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Kirchheim und Umland
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s stürmt und das Boot schwankt. Plötzlich taucht aus den Wellen eine Gruppe Orcas auf. Normalerweise würde Carsten Riedl jetzt sofort zur Kamera greifen. Doch auf dem Forschungsboot vor den Azoren heißt es auch für ihn: Erst die Bord-Pflichten, dann die Kür. Also nimmt er eine Wasserprobe, misst stellvertretend für ein seekrankes Crew-Mitglied die Wassertemperatur und notiert die Werte. Als er auf den Auslöser drückt, ist die Schwertwal-Gruppe schon wieder auf dem Rückzug. Eine Woche lang hat Teckboten-Fotograf Carsten Riedl als Bürgerwissenschaftler bei einem Walforschungsprojekt auf den Azoren mitgearbeitet. Auch wenn die Foto-Ausbeute nicht ganz so üppig ausgefallen ist wie erhofft, steht für den 44-Jäh-
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Man tut etwas Gutes, Sinnvolles, statt die Tiere zu stören. Carsten Riedl über seine wissenschaftliche Reise
rigen fest: „Das war eine der besten Erfahrungen, die ich je gemacht habe.“ Die Natur, Tiere und Reisen gehören zu den ganz großen Leidenschaften des Kirchheimers. „Früher wollte ich mal Biologe werden“, erzählt Carsten Riedl. Wale gehören zu seinen absoluten Favoriten. Mit der Forschungsreise hat er sich nun einen Traum erfüllt. „Es hat richtig Laune gemacht, für eine kurze Zeit Walforscher zu sein.“ Dazu kommt: „Anders als bei Safaris und Whale-Watching-Touren tut man etwas Gutes, Sinnvolles und stört die Tiere nicht.“ Klar war von Anfang an aber auch: Erholungsurlaub wird das nicht. Wer an einer solchen Expedition teilnimmt, muss arbeiten. Gerade das hat den Kirchheimer
Mittwoch, 19. Juni 2019
Auf Walfahrt Reise Teckboten-Fotograf Carsten Riedl ist in die Rolle eines Walforschers geschlüpft. Mit anderen Bürgerwissenschaftlern war er eine Woche lang auf einem Boot vor den Azoren unterwegs. Die Meeresriesen allerdings haben sich rargemacht. Von Bianca Lütz-Holoch so begeistert: „Man hatte immer eine Aufgabe. Es ist wirklich nie langweilig geworden.“ Neben Carsten Riedl waren neun weitere Laienforscher bei der Reise der Naturschutzorganisation Biosphere Expeditions dabei. Geschult und betreut wurden sie von einem Expeditionsleiter der Organisation und einer Meeresbiologin, die seit vielen Jahren Wale auf den Azoren erforscht.
Von ihr erfahren die Teilnehmer auch, dass Orcas eine absolute Rarität auf den Azoren sind. „In der Datenbank sind in den vergangenen 32 Jahren nur vier Sichtungen vermerkt“, sagt Carsten Riedl. Die schwarzweißen Meeresräuber bleiben dann allerdings auch die größten Wale, die die Gruppe zu Gesicht bekommt. „Dabei gehören die Azoren zu den weltweit besten Plätzen, um Pottwale zu beobachten.“ Die haben die
Reisen und forschen im Namen der Natur Biosphere Expeditions ist eine gemeinnützige Naturschutzorganisation und wurde im Jahr 1999 gegründet. Sie organisiert auf vier Kontinenten Fahrten, bei der sich interessierte Laien als Bürgerwissenschaftler für Umweltund Naturschutz einsetzen können. Dazu kooperiert sie in den Projektgebieten mit Bio-
logen und Wissenschaftlern. Die Organisation ist Mitglied der Weltnaturschutzunion IUCN und des UN-Umweltprogramms. Die Teilnehmer der Expeditionen zahlen für ihren Aufenthalt. Rund ein Drittel des Betrags ist zur Deckung der Unterbringungs- und Ver-
pflegungskosten vorgesehen, mindestens zwei Drittel der Teilnehmergebühr fließen in die Forschung. bil
1 Weitere Informationen über die Organisation und ihr Tourenprogramm finden Interessierte unter www.biosphere-expeditions.org
Teilnehmer immerhin gehört. Denn zu den täglich wechselnden Jobs der Bürgerwissenschaftler gehört es, das Unterwassermikrofon zu bedienen und zu lauschen, ob Tiere in der Nähe sind. „Pottwale machen Klicklaute“, erläutert Carsten Riedl. Weil die Mikrofone an dem rund 100 Meter langen Kabel versetzt sind, können die Forscher sogar orten, aus welcher Richtung sie kommen. „Gehört haben wir sie aber nur ganz leise.“ Lauter bemerkbar gemacht hat sich da schon eine andere Walart: „Keine fünf Meilen von unserem Boot entfernt hat ein Buckelwal gesungen“, erzählt Carsten Riedl. In Sichtweite aufgetaucht ist er aber nicht. „Ziel des Projekts auf den Azoren ist es, Wale zu dokumentieren, um mehr über ihr Verhalten und ihre Wanderrouten herauszufinden“, sagt Carsten Riedl. Andere Tagesaufgaben für die Teilnehmer waren es deshalb, Ausschau zu halten oder Fluken und Flossen zu fotografieren – sozusagen die „Fingerabdrücke“ der Meeresriesen. Die Bilder mussten dann den Tieren zugeordnet und in eine Datenbank eingepflegt werden. „So lassen sich die Wale eindeutig identifizieren, wenn sie anderswo auf der Welt auftauchen“, erläutert Carsten Riedl. Rund sieben Stunden hat die Gruppe pro Tag auf dem Boot verbracht, unter ihnen bis zu 4 000 Meter tiefes Wasser. Vor die Linse geschwommen sind dem Fotografen aus Kirchheim neben den Orcas auch noch jede Menge andere Tiere: Gemeine Delfine und Rundkopfdelfine etwa, die das Boot begleitet haben, unechte Karett-Schildkröten und Sturmtaucher – Vögel, die schreien wie kleine Kinder. Carsten Riedl schließt nicht aus, dass er noch einmal einen Anlauf wagt und auf Walfahrt geht, um endlich einmal Pottwale oder sogar einen Blauwal zu sehen. „Ganz bestimmt nehme ich aber noch einmal an einer Expedition der Organisation teil“, sagt er. Hoch im Kurs: Schneeleoparden in Kirgisistan suchen oder mit Walhaien auf den Malediven tauchen.
Delfine, Orcas und Sturmtaucher hat Teckboten-Fotograf Carsten Riedl vor die Linse bekommen. Fotos: Carsten Riedl und Shantala Wentink