Unitopia 4

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Uni für Alle?!

Obdachlosenuni: „Total viel Lebenserfahrung“

Interview mit Johannes, engagiert in der Obdachlosen-Uni und verantwortlich für den Standort Obdachlosenheim Lübecker StraSSe (Moabit). Unitopia: Du engagierst dich bei der Obdachlosen-uni. Was ist das für ein Projekt?

Johannes: Ausgangspunkt der Obdachlosen-uni ist, dass Obdachlose, die meist eine Ausbildung haben und auch total viel Lebenserfahrung, in der Öffentlichkeit eher so als „die Stinker aus der UBahn“ wahrgenommen werden, die nichts drauf haben. Das stimmt aber nicht. Sie haben oft viel Wissen und viele Fähigkeiten und wollen und können das weitergeben. Es gab aber keine Schule oder Universität für Obdachlose, zumindest nicht in Deutschland. 2012 hat Maik, der Hauptakteur, die Obdachlosenuni ins Leben gerufen. Das begann mit einer Umfrage1 : Was können Obdachlose? Was wollen sie lernen? Die Idee ist, dass Obdachlose eine Struktur bekommen; also einen Raum, wo sie nicht nur als Lernende, sondern auch als Lehrende auftreten können.

Unitopia: Wie ist die Obdachlosenuni strukturiert? Johannes: Es gibt ein kleines Team von Engagierten. Wir machen das ehrenamtlich, aus Spaß und Überzeugung. Wir sind so 4-6 Leute, die sich darum kümmern, dass etwas passiert, die Pressearbeit machen und neue Obdachlosenheime ansprechen. Wir bieten auch an, vorbeizukommen. Das Ganze ist also auch ein mobiles Konzept. Und wenn die Heimleitungen zustimmen, treffen wir uns mit den Obdachlosen und fragen: Was wollt und könnt ihr denn so? Und daraus wird dann ein Programm gemacht. Unitopia: Wer macht mit?

Johannes: Das kann ich nur aus der Perspektive des Obdachlosenheims in Moabit (Lübecker Str. 6) sagen. Wir haben uns mit den Obdachlosen getroffen und die zentrale Frage war, was sie machen wollten. Und da waren dann Spielenachmittage dabei, aber auch eine Ausstellung über die Geschichte des Hauses. Das war komplett von Betroffenen organisiert, bis auf die Initialzündung.

Es kommt aber auch vor, dass Externe spannende Angebote machen, z.B. ein Prof sagt: Ich würde gerne im Rahmen der Obdachlosenuni eine Vorlesung für Obdachlose machen.

Unitopia: Die Notwendigkeit eines solchen Projektes zeigt ja auch, dass staatliche Bildungseinrichtungen wie normale Schulen und Universitäten das Bildungsbedürfnis für Obdachlose nicht abdecken und sie ausgrenzen. Wie erlebt ihr diesen Ausschluss in eurer Arbeit?

Johannes: Man könnte fragen: Warum gehen Obdachlose nicht z.B. zu Volkshochschulen. Zumal da die Preise für sie auch erschwinglich wären. Meine Erfahrung aus dem Obdachlosenheim in der Lübecker Straße ist, dass viele Obdachlose solche öffentlichen Angebote nicht wahrnehmen, da auch Berührungsängste bestehen und die Verunsicherung ganz groß ist gegenüber solchen Institutionen. Es gibt also schon Angebote, aber vielleicht ist es Scham, in jedem Fall ist es eine große Verletztheit. Die meisten Menschen haben „normale“ Biografien und irgendwann gibt es dann einen großen Bruch und da sind so viele schlechten Erfahrungen gemacht worden, soviel Enttäuschtwerden von der Welt und der Gesellschaft, dass dann auch der Kontakt zur Gesellschaft, also in diesem Fall der Volkshochschule, schwieriger ist. Die Leute nehmen ja auch kaum Angebote innerhalb der Obdachlosenheime wahr. Man muss da erst mal etwas bewegen und auch dranbleiben. Es ist nicht so, dass die Menschen sagen: Wir wollen, wir wollen, wir wollen; auch die Obdachlosenuni hat da mit einer Zurückhaltung zu kämpfen. Unitopia: Ihr arbeitet u.a. mit Studierenden der Alice-SolomonHochschule zusammen - gelingt es hier die Mauer zwischen Akademiker*innen und Obdachlosen aufzubrechen?

Johannes: Ja, aber das geht nur mit persönlichem Engagement und auch einem Willen dahinter. An diesen Spielenachmittagen habe ich gemerkt: Ja, mich interessieren auch diese Geschichten. Es ist wichtig zu sagen: Ich möchte wissen, was die Leute umtreibt, was sie können. Da wird dann der Graben oder die Mauer individuell etwas überwindbarer. In der Gesamtgesellschaft ist der Graben einfach da, den kann auch die Obdachlosen-uni nicht so schnell überwinden. Aber wenn da Leute sind - gerade solche, die es schon in die Uni „geschafft“ haben - und die Lust haben etwas mit den Obdachlosen zu machen, dann kann das auch gelingen. Unitopia: Euer Angebot ist breit, es geht von klassischen Bildungsangeboten wie Englischkursen über soziale Bildungsveranstaltungen wie gemeinsamem Plätzchenbacken, Musik und Theatergruppen bis hin zu Bibelgesprächskreisen. Wie kommt das zusammen? Nach dem Initiativprinzip?

Johannes: Es kommt von zwei Seiten. Zum einen sagen Obdachlose selbst: „Ich kann was, ich will was anbieten“, dann ist das eben im Programm. Zum anderen sagen - meistens - Studierende: „Ich biete das mal an und schaue, ob genügend Obdachlose zusammenkommen.“

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