Unitopia

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Unitopia

„Ihr immer mit eurer Demokratie!“ - Professor Brunnberg im AS

Geschichten davon was Uni ist

und was Uni sein könnte

RSPO - Ein Rückblick Vom ersten Entwurf bis zur letzten AS-Sitzung

Demokratie an der „F“U? Ständedemokratie und Wissenschaftsmanagement

Eine Publikation des Bildungsprotestplenums #1 Mai 2013


Liebe_r Leser_in,

wenn du diese Publikation in den Händen hältst, haben wir es geschafft, die erste Ausgabe von „Unitopia“ drucken zu lassen. Wir hoffen, damit nicht nur die turbulenten Auseinandersetzungen um die Rahmenstudien- und -prüfungsordnung (RSPO) erklären zu können, sondern auch eine Diskussion um (un)demokratische Verhältnisse an der Uni anzustoßen. Denn die RSPO ist nicht die Ursache dessen, was an der Uni schief läuft, sie ist nur ein Symptom. In „Unitopia“ möchten wir erkunden, wie wir Uni anders gestalten können - und warum sie von unseren Vorstellungen noch so weit entfernt ist. In dieser ersten Ausgabe steht Letzteres im Vordergrund.

„Wir“, das sind Studierende aus dem Bildungsprotest-Plenum: Eine offene Gruppe von hochschulpolitisch engagierten Student_ innen, die seit einigen Semestern regelmäßig Veranstaltungen und Aktionen organisieren - Teach-Ins, Vollversammlungen, Demos, Gremien„besuche“, Diskussionsrunden, direkte Aktionen etc. Wir verstehen uns als basisdemokratisch und links und setzen uns für ein sozial gerechtes Bildungssystem und eine wirklich freie Uni ein, in der Menschen selbstbestimmt - und dabei solidarisch - ihrem Bildungsdrang nachgehen können. Wir kämpfen gegen die neoliberale Rationalisierung von Bildung, die am Ende nur noch Ausbildung ist (und selbst das nur für Privilegierte). Wir wehren uns gegen die Uni-Hierarchie, in der 1% der Uni-Mitglieder - die Profs - über den Rest bestimmen. Außerdem stehen wir für mehr Kürbisse und Tofu an der Uni. Wir kochen auch ganz gern mal selbst. Da wir eine heterogene Gruppe sind, spiegeln natürlich nicht alle Artikel zwangsläufig die Meinung aller im Plenum aktiven Menschen wider. Das offene Bildungsprotest-Plenum trifft sich aktuell - im Sommersemester 2013 - immer dienstags ab 18 Uhr im Foyer vor der großen Mensa (Silberlaube). Komm vorbei und bring dich ein! Es gibt genug zu tun. Euer Redaktionskollektiv

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Inhalte

S.2 Editorial

S.3 RSPO - Rückblick

S.6 Demokratiedefizit an der „F“U S.8 Interview mit Anja Schillhaneck

Termine

Das Bildungsprotestplenum trifft sich immer dienstags um 18:00 im Foyer vor der Mensa II in der Silberlaube.

Wir nutzen den sogenannten Gendergap (z.B. Leser_innen) um Menschen aller Geschlechter anzusprechen.

Auf unserem Titelbild seht ihr, wie der Wachschutz Studierende, die nach einer Vollversammlung eine Resolution und eine Petition mit über 2.000 Unterschriften gegen die RSPO übergeben wollen, mit robustem Körpereinsatz vom Betreten des Präsidiumsgebäudes abhält. Photo: Nick Jaussi, Juni 2012.

Kontakt/Impressum Bildungsprotest.FU@riseup.net www.bildungsprotestFU.net


RSPO - Ein Rückblick Am 23. Januar 2013 werden weite Teile des Henry-Ford-Baus mit Ketten abgeriegelt, bewacht von Securityleuten und reichlich Polizei. Über 100 Studierenden wird der Zutritt verwehrt. Drinnen: Eine „ganz normale“ und eigentlich öffentliche Gremiensitzung an der „Freien“ Universität. Präsident Alt hat entschieden: heute mal keine Öffentlichkeit. Es soll in Ruhe ein Beschluss über Prüfungswiederholungen gefasst werden. Zwei Wochen später die Retourkutsche: 200 Studierende stürmen das Audimax und blockieren die folgende Sitzung des Akademischen Senats (AS), um einen Beschluss zur Rahmenstudienund -prüfungsordnung zu verhindern. Wiederum eine Woche später kommt eine öffentliche Sitzung zustande. Studierende machen ein Gesprächsan

Blockade des EAS 06.02.2013

gebot. Ihnen wird mitgeteilt, das Präsidium rede gerne mit ihnen über anstehende Beschlüsse, aber erst nach Beschlussfassung und „in der von mir gewünschten Weise“ (Vizepräsidentin Schäfer-Korting). Bevor es zum Beschluss kommen kann, verhindern Studierende durch Lärm die Fortsetzung der Sitzung im Saal - die Gremienmitglieder ergreifen daraufhin die Flucht, werden in Autos mit (z.T. auch ihnen selbst) unbekanntem Ziel verfrachtet und verschwinden. Nach Hinweisen von studentischen AS-Mitgliedern, die während der Fahrt (!) versehentlich das Ziel erfahren, folgen Studieren

Chronologie

de dem Gremium auf das Gelände der Helmholtz-Gesellschaft in Teltow (!!). Sie wollen an der öffentlichen Sitzung teilnehmen. Wachleute aus der Hooliganszene halten sie gewaltsam davon ab. Die Studierenden erhalten Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs. Seit dem Frühjahr 2012 ging es im hochschulpolitischen Geschehen an der „F“U vor allem um ein Thema: Die Rahmenstudien- und -prüfungsordnung (RSPO), ein bürokratisch-trockenes Wortungetüm, das mittlerweile dennoch vielen Unimitgliedern leicht über die Zunge geht. 24 Paragraphen, wegen derer Studierende Vollversammlungen und Demonstrationen veranstalteten, hunderte Stunden plenierten, Gremiensitzungen blockierten, Pamphlete verfassten und sich von Sicherheitskräften malträtieren ließen. 24 Paragraphen, die zunächst vom präsidialen Rechtsamt hinter verschlossenen Türen ausgearbeitet wurden, die durch Indiskretion im Frühjahr 2012 an die Öffentlichkeit gerieten, die aus dieser Öffentlichkeit nicht mehr verschwinden wollten und dann letztlich mit präsidial gerufener Absicherung durch Polizei und Wachschutz wieder hinter verschlossene Türen gezerrt wurden. Oder sind es doch mehr als Paragraphen?

Alternativlosigkeit?

Während der Auseinandersetzungen um die RSPO wurde Studierenden, die sich etwa gegen Anwesenheitspflicht und Beschränkung von Prüfungswiederholungen stellten, von Präsidiumsseite gerne vorgeworfen, sich starr an „Maximalforderungen“ zu klammern. „Minimalforderungen“ wäre der angemessenere Begriff: Die von studentischer Seite angemahnten Punkte (siehe umseitige Box) waren

teils bloß eine Verteidigung des Status Quo, teils punktuelle Verbesserungen der Studienbedingungen. Gewissermaßen wurde in der RSPO nur die Spitze des unipolitischen Eisbergs verhandelt. (Den großen Rest dieses Eisbergs möchten wir in „Unitopia“ nach und nach erkunden.)

„Es geht um Leistung und Konkurrenz“

Dennoch - für Studierende, die nur die Schulen und Universitäten der Bologna-Ära kennengelernt haben, scheinen manche RSPO-Regelungen selbstverständlich: Studium, das ist eine Ausbildung, wie in der Schule – es geht um Leistung und Konkurrenz, und diese Leistung muss überprüft und in Zahlen gefasst werden, damit die Abschlüsse auf dem Arbeitsmarkt vergleichbar sind. Eine rigide Studienstruktur voller Zwangsmechanismen sorgt für Effizienz und verhindert, dass Studierende vor lauter Interesse an Inhalten das Ausbildungsziel aus dem Auge verlieren. Wer dabei nicht mithalten kann oder will, wird ausgesiebt: In der „Leistungsgesellschaft“ wird dies nicht als Problem, sondern als Teil der Lösung verstanden. Dass viele der Regeln noch für die vorherige Generation von Studis undenkbar gewesen wären, muss erst ins Bewusstsein gerufen werden. Vom einstigen Ideal der selbstbestimmten Bildung (d.h.: Bildung der eigenen Persönlichkeit, nicht: Ausbildung zu einem Beruf), das mit all dem kaum zu vereinen wäre, ist nicht viel geblieben. Dass gemeinsam statt gegeneinander gelernt werden könnte – eine ewiggestrige Idee. Oder doch eine von morgen? Die Auseinandersetzung um die RSPO verdeutlicht erneut: Das Leben

Erstes von vielen studentischen Plena Kommission f. Lehrangelegenheiten empfiehlt Runden Tisch zur RSPO zur RSPO Die Aufregung ist groß: Es Das novellierte Berliner HochschulVollversammlung spricht sich gegen RSPO aus. Anschließend drohen Zwangsberatung und -exgesetz tritt in Kraft: Unis sollen Demonstration zum Präsidium, wo mehrere hundert Studierenmatrikulation ab dem 3. Semester, „Rahmenstudien- und -prüfungsordde über 2.000 Unterschriften gegen die RSPO übergeben wollen, Anwesenheitspflicht und drastisch nung“ erlassen (§ 31) aber durch den Wachschutz ausgeschlossen werden. Fruchtlose beschränkte Prüfungswiederholungen Diskussion mit Kanzler Lange und Vizepräsidentin Schütt.

02.06.2011

10.04.2012

Der erste RSPO-Entwurf (datiert auf den 14.03.) gelangt an die Öffentlichkeit

17.04.2012

24.04.2012

15.05.2012

Einstimmige Resolution des Studierendenparlaments: RSPO „extrem restriktiv u. völlig inakzeptabel“, Prozess „undemokratisch“

23.05.2012

06.06.2012

Erste RSPO-Diskussion im Akademischen Senat (AS)

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an der Universität wird in immer höherem Maße von vermeintlichen oder realen – aber nicht naturgegebenen, sondern politisch herbeigeführten – „Sachzwängen“ diktiert („Wir haben doch kein Geld“, „Wir müssen uns dem globalen Wettbewerb stellen“).

In vorauseilendem Gehorsam orientiert sich die Universitätsstruktur stärker an diesen „Alternativlosigkeiten“ als sie müsste: Nicht einmal die Freiheiten, die an der Uni - zumal der „freien“ - möglich wären, werden genutzt. Die zutiefst undemokratischen Strukturen lassen es nicht zu. Das Präsidium versteht sich als Management – demokratische Entscheidungsprozesse und Mitbestimmung aller Statusgruppen sorgen nach diesem Verständnis nur für unerwünschte Verzögerungen und reduzieren die „Steuerbarkeit“ der „unternehmerischsten Hochschule“ Deutschlands. Im Folgenden möchten wir nicht nur auf den RSPO-Konflikt zurückblicken, sondern auch Perspektiven für eine Demokratisierung aufzeigen, damit uns solche Kämpfe mit ungleichen Voraussetzungen in Zukunft erspart bleiben.

Die RSPO im Kontext der Entwicklung von Uni & Gesellschaft Die neue Rahmenstudien- und Prüfungsordnung (RSPO) ist nicht nur ein inneruniversitäres Ärgernis, das Studierenden an der FU das Studieren erschwert, sie reiht sich außerdem ein in eine Entwicklung, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens betrifft. 1999 begann mit dem sogenannten Bolognaprozess der Versuch die europäische Bildungslandschaft zu ver

RSPO: Das Wichtigste zum Inhalt Die Rahmenstudien- und -prüfungsordnung soll einen universitätsweit einheitlichen Rahmen für studienbezogene Regelungen vorgeben, die in den einzelnen Fächerordnungen zu treffen sind. Hier die kontroversesten Punkte. Achtung: Juristische Überprüfungen und Anfechtungen der RSPO stehen noch aus – was ihr hier lest, ist nicht unbedingt endgültig. • Die Fachbereiche müssen die Wiederholungsmöglichkeiten für nicht bestandene Prüfungen auf zwei bis drei reduzieren (greift voraussichtlich ab 2015) – bisher gab es in vielen Fachbereichen keine Beschränkung. Die Argumentation des Präsidiums schwankte zwischen zwei Polen: einerseits wären nur wenige Studierende betroffen (welcher Vorteil ergibt sich aus dieser Schikanierung von Studierenden mit Prüfungsproblemen?) – andererseits wäre der Schritt durch die steigende Korrekturbelastung für Dozierende unausweichlich (dann müssten doch viele betroffen sein...?). Lange geforderte Statistiken hierzu konnten nie vorgelegt werden. Der gefundene „Kompromiss“ bedeutet: Viele der Fachbereiche, in denen die Beschränkung am problematischsten ist (WiWiss, ReWiss), werden auf zwei Wiederholungen beschränken. Dort, wo kaum Studierende durchfallen, kommt die liberalere Drei-WiederholungenRegel zur Anwendung (etwa in den Geistes- und Sozialwissenschaften). Physik und Mathe/Info beabsichtigen trotz bzw. wegen hoher Durchfallquoten drei Wiederholungen zuzulassen. • Anwesenheitspflicht: Entgegen aller Behauptungen des Präsidiums bedeutet die mehrfach geänderte Formulierung zur Anwesenheitspfl icht (§ 9) nicht, dass es keine solche geben wird. Anwesenheitsregelungen werden den Fachbereichen überlassen, und in deren Fächerordnungen ist Anwesenheitspfl icht i.d.R. schon lange weitgehend vorgeschrieben. Damit wird die seit 2009 (Erfolg des Bildungsstreiks) an der „F“U ausgesetzte Anwesenheits pfl icht de facto wieder eingeführt.

enzeit, liegt u.a. an einer Gesetzeslücke – das BerlHG lässt derzeit (!) nur entweder Zwangsmechanismen ab dem 3. Semester oder gar keine zu. Das Präsidium wollte zunächst ersteres, doch ein Großteil der Uni war sich einig, dass dies nicht praktikabel ist. Das Präsidium scheint dennoch zu beabsichtigen, die Beratung über die parallel weiterhin geltende Satzung für Studienangelegenheiten (SfS) zunächst weiterführen zu lassen, vor allem für die „alten“ Studiengänge. • Von Studierenden geforderte Möglichkeiten zur Studienerleichterung wurden liegen gelassen, z.B. Verringerung der Zeitkalkulation pro Leistungspunkt (wenngleich diese Quantifi zierung ohnehin realitätsfern ist), unbenotete Module (die es nur im ABV-Bereich geben soll), uniweite Freiversuche zur Notenverbesserung bei Klausuren oder die Einführung eines „Studium Generale“ (freie Wahl aus dem Lehrangebot für einen Teil des Studienpensums statt wie bisher das stark eingeschränkte ABV). • Die „F“U möchte weiterhin nicht wie im BerlHG (§ 22) zwingend vorgeschrieben (!) ein Teilzeitstudium für Studierende in diversen Lebensumständen anbieten. • Abschlussarbeiten: Bei längerer Krankheit während der Bearbeitungszeit muss eine Abschlussarbeit mit neuem Thema wiederholt werden. D.h.: Wenn ihr zwei Wochen vor Abgabe einen schwereren Unfall habt, könnt ihr nach Genesung von vorne anfangen. Survival of the fittest.

Zwangsberatung und -exmatrikulation: Dass diese momentan in Bachelor- und Masterstudiengängen nicht mehr vorgesehen sind, auch nicht mehr bei Überschreiten der Regelstudi-

Wichtig: Ihr werdet in Zukunft weiterhin mit Modulanmeldung auch automatisch zur zugehörigen Prüfung angemeldet. Wollt ihr wegen der Wiederholungsbeschränkung eine Prüfung lieber verschieben, müsst ihr euch fristgerecht (je nach Fach, mind. 2 Wochen) abmelden.

einheitlichen. Im Rahmen dessen kam es unter anderem zur Einführung der Bachelor/ Master Studiengänge und zu einer starken Verschulung der Universitäten. Die Gestaltung des Bolognaprozesses wurde politisch vor allem durch das neoliberale Credo von Wettbewerb und Privatisierung geprägt. Dieses schlägt sich durch omnipräsen

te Vergleichbarkeit und Selektion an der Uni und auch in allen anderen Bildungseinrichtungen nieder. Genau gegen diese Maximen und ihre Folgen richtete sich die starke Protesbewegung 2009/2010. Studierende wie Schüler_innen gingen damals Massenhaft für selbstbestimmtes Lernen auf die Straße und besetzten landauf,

Hunderte Studierende bei der AS-Sitzung, die für einige Stunden 4. RSPO-Entwurf: Zwangsberatung ins Audimax verlegt wird. Dort Dis- AS-Sitzung: Studentische Anträge für BA/MA gestrichen. Alle Status- kussion ohne Annäherung. zum RSPO-Verfahren (Vorschlag gruppen hielten sie in der Form für u.a.: Abgabe an die Kommission für nicht durchführbar. Lehrangelegenheiten) werden übergangen.

12.06.2012

13.06.2012

20.06.2012

Vollversammlung mit „Rundem Tisch“: Präsident Alt und Vizepräsident Bongardt diskutieren mit 500 Studis. Keine Annäherung.

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27.06.2012

11.07.2012

Wieder Vollversammlung/„Runder Tisch“: Präsident Alt und Vizepräsident Bongardt diskutieren mit. Erneut keine Zugeständnisse.

5. Entwurf sieht drei statt zwei Prüfungswiederholungen vor. Im nächsten Entwurf (02.11.2012) wird das revidiert: „zwei bis drei“, je nach Fachbereich.

JuliSep 2012

25.09.2012

Die studentische „AG Gegenentwurf“ erarbeitet kompletten RSPO-Entwurf.


landab Hörsäle. Die Resonanz war so groß, dass sich Universitätspräsidien, Politiker_innen und sogar Bildungsministerin Annette Schavan solidarisch erklärten. Geräumt wurden die geschaffenen Freiräume dann einige Monate später mit sinkender Medienräsenz natürlich trotzdem, und alles was uns an der „F“U blieb war eine selten beachtete Regelung, die die Anwesenheitspflicht aussetze. Doch auch dieses Überbleibsel des Protestes wird nun mit der RSPO zu den Akten gelegt.

Auch der Bolognaprozess selbst muss als Teil einer größeren hochschulpolitischen Entwicklung gesehen werden: Wo einst eine Gemeinschaft von Wissenschaft, Lehre, Forschung und kritischem Denken das Idealbild von Hochschulen prägte, entwickeln sie sich in der globalisierten, kapitalistischen Welt zu Unternehmen.

„ Selbstbestimmung bleibt auf der Strecke“

Die ‚F‘U kann sich sogar damit rühmen, 2006 vom Wirtschaftsmagazin ‚karriere‘ zur ‚unternehmerischsten Hochschule Deutschlands‘ gewählt worden zu sein. In einem solchen Unternehmen geht es selbstverständlich nicht darum ein selbstbestimmtes Studium zu ermöglichen, sondern darum die Produktionswege zu Rationalisieren: Höhere Abschlusszahlen, frequenteres publizieren, mehr Drittmittel, kürzere Regelstudienzeiten, weniger Lehrende für jeden Lernenden - Selbstbestimmung, Eigeninteresse aber auch Wissenschaftlichkeit bleiben hierbei auf der Strecke.

Doch es geht gar nicht mal nur um Wissenschaftlichkeit und mehr oder weniger selbstbestimmtes lernen – das Leben besteht nicht nur aus der Uni. Wir als Bildungsprotestierende, haben uns genau wie viele andere Gruppen aktiver Menschen gefragt, warum in Zeiten, in denen so viele unter Anwesenheitspflicht und Prüfungsdruck leiden, in denen Viele finanziell prekären Situationen ausgesetzt sind und eine gewisse soziale Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft vermissen, warum in solch einer Zeit immer weniger Menschen sich politisch engagieren – auch und gerade an der Uni, die immer ein Hort kritischen Denkens, radikalen Infragestellens und sozialen Forderns war. Die Antwort auf diese Frage ist nicht etwa die oft beschworene Politikverdrossenheit junger Menschen, sondern die schiere Überlastung in einer immer schneller werdenden Gesellschaft. Ritalintabletten vor Klausuren und Burnout noch vorm Master gehören längst zum Unialltag und mit der RSPO kommt nun die nächste Verschärfung der Studiumsbelastung. Schneller, Höher, Weiter – es geht schließlich um Wachstum – dabei immer vergleichbar bleiben, die Konkurrenz lauert schon! Und bloß nicht auf die Idee kommen mal etwas zu hinterfragen oder zwischendurch auch mal etwas Unproduktives zu tun. Leben zum Beispiel.

Wer mehr wissen will http://tobib.spline.de/fubook/ Vorlesung zur ökonomisierung der „F“U: http://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/dokumentation/aktdok/Zeuner-FreieUniversitaetBerlin-AbschVorl-3a.pdf

700 Studierende bei Vollversammlung; anschließend Demo zum Henry-Ford-Bau (HFB) und Präsident Alt lässt durch großes Polizei- u. Blockade der AS-Sitzung, auf der die RSPO be- Wachschutzaufgebot die Öffentlichkeit von der schlossen werden soll. AS-Sitzung ausschließen. Beschränkung der Prüfungswiederholungen wird vorgreifend beschlossen, zwei Studis festgenommen.

14.11.2012

12.12.2012

Vollversammlung im HFB, danach Diskussion mit AS-Mitgliedern vor & in Sitzung.

23.01.2013

06.02.2013

200 Studierende blockieren die Sitzung des (erweiterten) Akademischen Senats.

Einstimmige Stuparesolution vom 14.02.2013 Am Rande der Sitzung des AS am 13.02.2013 wurden Studierende vom privaten Sicherheitsdienst der FU verprügelt. Studierende wurden getreten, ihnen wurden Haare ausgerissen, sie wurden zu Boden geworfen und ihnen wurde massiv gedroht. Der Sicherheitsdienst war u.a. mit Kabelbindern ausgestattet. Im Anschluss wurde auch Polizei gegen Studierende der FU eingesetzt, wobei diese angesichts der massiven Gewalt, der sie sich durch eingesetzte private Sicherheitskräfte ausgesetzt sahen, sogar – trotz der Repressions-Erfahrungen bei der letzten Sitzung – erleichtert über das Auftauchen der Beamt_innen waren. Es wurden auf Grund der Anwesenheit der Beamt_innen sofort Anzeigen gegen Studierende erhoben. Das Präsidium der FU, inklusive aller amtierenden Vizepräsident_innen sowie FU-Kanzler Lange tragen die volle Verantwortung für den exzessiven Einsatz von Gewalt gegen Studierende der FU. Der Akademische Senat führte wissentlich und trotz der Vorgänge direkt außerhalb des Sitzungsorts die Beschlussfassung über die umstrittene Rahmenstudien- und Prüfungsordnung, kurz RSPO, durch. Aufgrund dieser massiven, vom Präsidium der FU vollumfänglich zu verantwortenden und in keinster Weise zu rechtfertigenden Eskalation fordert das Studierendenparlament der FU den sofortigen Rücktritt des gesamten Präsidiums. Das Studierendenparlament stellt fest, dass auch den Akademischen Senat in beschämender Weise Verantwortung trifft. Wir verurteilen jegliche Art von Gewalt und Repression gegen Studierende und fordern die FU zu einer sofortigen Au�kündigung der Zusammenarbeit mit dem direkt verantwortlichen privaten Sicherheitsdienst AWR auf. Die zuständige Senatsverwaltung wird aufgefordert, umgehend Konsequenzen aus der neuerlichen Eskalation der Gewalt gegen Studierende an der FU zu ziehen, welche unstreitig ein trauriges, neues und keinesfalls länger hinnehmbares Niveau erreicht hat

Der AS ignoriert ein studentisches Gesprächsangebot und will die RSPO beschließen. Studierende sprengen die Sitzung. Der AS flieht in bereitgestellten Wagen nach Teltow. Dort verprügelt der Wachschutz Studierende, die zur Sitzung wollen, während drinnen ungerührt die RSPO (Grundlage: 8. Entwurf vom 11.02.) beschlossen wird. Studentisches Gruppenveto gegen den Beschluss.

13.02.2013

20.03.2013

Dieselbe Wachschutzfirma hält geschminkte und nicht geschminkte Studierende von der AS-Sitzung fern. Der AS überstimmt das studentische Veto und ignoriert den studentischen Gegenentwurf, die RSPO ist vorerst beschlossen.

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Demokratische „F“U? Über Ständedemokratie und Wissenschaftsmanagement Über Demokratie wird besonders an der „Freien“ Universität seit je her mal mehr, mal weniger heftig gestritten. Diskussionspunkte gibt es zur Genüge. So besitzt die „F“U als einzige Berliner Hochschule keine Grundordnung (= Verfassung). Stattdessen wurden vor Allem dem Präsidium viele Befugnisse zugeteilt. Und in den akademischen Entscheidungs-Gremien der „F“U sitzt immer eine professorale Mehrheit. Das hat zur Folge, dass gar kein ergebnisoffener Gesprächsprozess stattinden muss. Die Vertreter_innen der Professor_innen können studentische Interessen und Vorschläge ignorieren und einfach nieder stimmen. Dies geschah etwa im vergangenen Wintersemester 2012/13 nicht nur in Bezug auf die RSPO.

„Das ist nicht demokratisch - das ist Mittelalter.“

In diesem Semester wird diese Politik fortgesetzt: In der vergangenen Sitzung des Erweiterten Akademischen Senats (EAS) der „F“U am 10.04.13 etwa war erneut ein studentischer Antrag zum Erlaß einer oben erwähnten Grundordnung und zur Demokratisierung der „F“U eingebracht worden. Doch aus fadenscheinigen Gründen wurde nicht einmal die Diskussion hierüber zugelassen - wie schon in der EAS-Sitzung am 06.02.13. Gleiches gilt für ein studentisches Misstrauensvotum gegenüber Präsident Peter-André Alt und dem gesamten Präsidium. Dieses war auf Grund des Einsatzes von Polizei und „Wachschutz“ zur gewaltsamen Verabschiedung der RSPO ausgesprochen worden, einstimmig bekräftigt durch das „F“U-Studierendenparlament. Doch über unangenehme studentische Anträge wird einfach nicht gesprochen.

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Für die „F“U-Studierendenschaft jedoch sind Demokratie und die Rücknahme der seit 1998 weit reichenden Befugnisse des Präsidiums ein zentrales Thema, das sie weiterhin auf die

Tagesordnung der „F“U setzen wird. Im Folgenden soll eine Darstellung gegeben werden, wo wir heute stehen, focussiert auf einige Kern-Bereiche.

Profporz: „Richter_innenrecht“ statt Wissenschaftsfreiheit

Die „F“U-Studierendenschaft hält bis heute am von Studierenden erkämpften Kompromiss der Gruppenuniversität der 1960er, Anfang 70er Jahre fest: Alle akademischen Gruppen sollen gleiches Stimmrecht in den Entscheidungsgremien der akademischen Selbstverwaltung haben („Viertelparität“). Dieser Kompromiss war schon damals schnell wieder gekippt worden: In den Entscheidungsgremien der Hochschule haben heute die Professor_innen generell die absolute Stimmen-Mehrheit. Auch in der „F“U und in deren Akademischem Senat (AS), der über die RSPO entschieden hat.

Das ist nicht demokratisch, „freiheitlich“, akademisch oder wissenschaftlich – sondern Mittelalter und feudale Stände-Herrschaft. Und es ist die zum Teil weit über‘s Ziel hinaus schießende gesetzliche Auslegung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) 1973 zur Gruppenuniversität: Das Gericht sprach damals in seinem bis heute umstrittenen Urteil auf eine Professor_innen-Klage hin den Professor_ innen in der BRD eine „heraus gehobene“ Stellung in der Hochschule zu. Es sah in ihnen die „Hauptträger_innen“ des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes. Diese ist jedoch eben so das Grundrecht der übrigen akademischen Gruppen. Dennoch sprach es den Professor_innen den “Ausschlag gebenden“ Einfluss sowie in vielen Entscheidungen die absolute Gremien-Mehrheit zu - in Angelegenheiten, die „unmittelbar“ Forschung und Lehre betreffen. Allerdings nicht in den Fällen, die nicht „unmittelbar“ Forschung und Lehre betreffen. Letzteres wird in der Praxis leider nicht angewandt. Denn das Berliner Hochschulgesetz

(BerlHG) macht heute in seiner weiten Auslegung keinen Unterschied: Es sieht ohne Not in allen Fällen die absolute Professor_innen-Mehrheit in akademischen Entscheidungen vor. Politische Versuche der Berliner Studierendenschaften, etwas hieran zu ändern, blieben zuletzt ohne Erfolg.

Die zwei 1973 abweichenden BVerfG-Richter_innen urteilten, das BVerfG setze sich damit „[...] unter Überschreitung seiner Funktion an die Stelle des Gesetzgebers“. Das Hochschulrecht würde fixiert, anstatt in einem gerade umstrittenen politischen Prozess zwischen Studierendenbewegung und dem Muff der Ordinarienuniversität in den 1960er und 70er Jahren den Freiheitsgedanken der Wissenschaftsfreiheit zum Wohle aller akademischen Gruppen auszulegen: Das BVerfG schreibe „[...] weitere hochschulpolitische Entwicklungen gerade in einer krisenhaften Übergangsphase fest, in der sich der Freiheitsgedanke eher in zukunftsoffener Flexibilität bewähren müßte“. Dies sei bedenklich, weil „[...] verfassungsgerichtliche Verbote im Unterschied zu inhaltsgleichen Gesetzesregelungen auch in ihren Fehleinschätzungen nur schwer korrigierbar [...]“ seien. Statt dessen habe die BVerfG-Mehrheit einem im Grundgesetz nie vorgesehenen, einseitigen ständischen Prinzip Verfassungsrang verliehen: Die Senatsmehrheit glaube, „[...] für einen Teil der Grundrechtsträger dem Grundgesetz unmittelbar einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf privilegierte Beteiligung an der Selbstverwaltung in Form eines bestimmten Stimmengewichts entnehmen zu müssen“. Und sie warnten voraus schauend: „Auch könnte eine derartig weitgehende Einengung seiner Gestaltungsfreiheit den Gesetzgeber zu Auswegen in Richtung auf ein Wissenschaftsmanagement veranlassen und damit den Anfang vom Ende der Hochschulautonomie einleiten.“

„Erprobungsklausel“: Alle Macht der Hochschulleitung Mit der Einführung der “Erprobungsklausel” im Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) 1997 wurde an den Hoch schulen das „Unternehmensmodell“ eingeführt –


und damit die bereits ohnehin demokratische Verfasstheit besondere der „F“U weiter stärkt. Diese Klausel hat zum

uninsverZiel,

“… neue Modelle der Leitung, Orga nisation und Finanzierung zu erproben, die dem Ziel einer Vereinfachung der Entscheidungsprozesse und einer Verbesserung der Wirtschaftlichkeit [...] dienen”. Kurz zugespitzt: Alle Macht der Hochschulleitung - zum Wohle haushaltspolitischer bzw. betriebswirtschaftlich ausgerichteter „Steuerbarkeit“.

„Alle Macht der Hochschulleitung“

Auf Basis dieser Klausel wurde 1998 die „F“U-“Teilgrundordnung (TGO)“ eingeführt. Diese TGO überträgt dem Präsidium weitreichende Kompetenzen, die das Präsidium immer weiter ausgeweitet oder zunehmend zur Anwendung gebracht hat. Die verbliebenen hochschulpolitischen Rechte der übrigen „F“U-Angehörigen und der akademischen Gremien werden im Zweifel hintan gestellt. Eine effektive gesellschaftlich-demokratische Aufsicht über die „F“U findet, gerade hinsichtlich der präsidialen Kompetenzen, nicht mehr statt und ist vom Land Berlin politisch auch nicht gewollt. Denn das Land gibt diesen Kurs selbst vor und „verschlankt“ sich im Rahmen der gesamten Landespolitik auf die gleiche Weise selbst.

Studierende fordern seit ihrem Bestehen die Abschaffung der „Erprobungsklausel“. Doch de facto hat es bis heute nicht ein Mal die noch zu Beginn 1997 vorgeschriebene Evaluation der Klausel gegeben, an die die optionale Fortführung der „Erprobung“ zunächst gekoppelt worden war. Die „Erprobung“ – und damit insbesondere die Stärkung der „F“U-Leitung – wurde im BerlHG schließlich schlicht „entfristet“ - d.h. alle hierauf basierenden Regelungen wurden verstetigt. Ein interner Bericht des Landes Berlin, der dem Vernehmen nach der „Erprobung“ ein katastrophales Ergebnis bescheinigen soll, wurde nie veröffentlicht.

Entscheidungskompeten- Bewegung nur auf studenzen für Kommissionen? tischen Druck Obwohl in akademischen Entscheidungsgremien weiterhin die dargestellte Professor_innen-Mehrheit besteht, zeigt etwa die Humboldt-Uni Berlin, dass es etwa im Bereich von Studium und Lehre anders geht: In der HU-Verfassung wird ermöglicht, der dortigen Lehr- und Studienkommission (LSK) des Akademischen Senats (AS) Entscheidungskompetenzen zu übertragen. Die LSK ist zur Hälfte mit Studierenden besetzt. Während des RSPO-Prozesses der „F“U gab es Versuche, daran zu erinnern, dass dies auch an der „F“U möglich wäre: Das Äquivalent zur HU-LSK ist die „F“U-Kommission für Lehrangelegenheiten (KfL). Doch schon diese Diskussion war in den wenigen von Studierenden erreichten Schein-Diskussionen im AS der „F“U, die im Nachhinein oft nur noch als „Störung“ durch Studierende subsummiert werden, nicht gewollt. So viel “Macht” darf die KfL und dürfen vor Allem Studierende an der „F“U nicht haben.

Irreversible Ermächtigung?

Bei internen Rechtsauffassungen des Präsidiums über den Charakter der „F“U-Teilgrundordnung (TGO) in Zusammenspiel mit der „Erprobungsklausel“ wird es noch bunter: Danach soll die TGO mithin jeder Änderungsmöglichkeit durch die „F“U-Mitglieder selbst enthoben sein. Mit Erlass der TGO 1998 durch die “F”U-Gremien sei eine Ermächtigung des Präsidiums ausgesprochen worden, die ohne Zustimmung des Präsidiums nicht mehr durch die “F”U-Mitglieder oder -Gremien selbst rückgängig gemacht werden könne. Für das Präsidium bedeutet die Entfristung der „Erprobungsklausel“ jedoch auch die Entfristung der TGO – so dass es bisher keine Anstalten machte, die TGO anzurühren. Ob die AG „Grundordnung“ des AS, die hierfür im Juli 2011 in‘s Leben gerufen worden war, dies tun wird, bleibt nach wie vor fraglich. Gegenwärtig steht auch diese AG wieder zur Disposition.

Von Studierenden-Seite ist es zuvorderst und auch in diesem Semester das Anliegen, diese undemokratischen Zustände mindestens in so weit zu ändern, als die „F“U sich entsprechend ihrer gesetzlichen Pflicht eine vollständige Grundordnung geben soll, in der die Rechte aller Uni-Mitglieder geregelt sind. Auch hier ist die „F“U eine Ausnahme: Andere Hochschulen besitzen eine vollständige Grundordnung (Verfassung). Die „F“U begnügt sich mit einer „Teil-Grundordnung“, die nur die Rechte des Präsidiums stärkt.

„Ohne Druck bewegt sich nichts!“

Wird dies nicht geändert, bleibt die herrschende Präsidialdiktatur an der „F“U bestehen. In diese Richtung wird sich, wie seit je her, nur durch studentischen Druck überhaupt etwas bewegen.

Wer mehr wissen will

Eine ausführliche Version dieses Artikels gibt es hier: http://fuwatch.de/?p=2297 weitere Informationen: http://www.trend.infopartisan.net/ trd1204/t341204.html http://www.astafu.de/sites/default/�iles/publikationen/fu60.pdf

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„Eine Frage von Menschenbild“

Anja Schillhaneck Diplom-Pädagogin, Vizepräsidentin d. Abgeordnetenhauses (B90/die Grünen), Fraktionssprecherin für Euopapolitik und Wissenschaftspolitik

Bildungsprotest: Sie waren ja bei der Sitzung am 20.3. dabei. Wie haben Sie die Sitzung wahrgenommen? Anja Schillhaneck: Ich muss sagen, mich hat die Sitzung irritiert. Ich habe ja selber vier Jahre lang als studentisches Mitgleid in einem akademischen Senat gesessen [TU, Anm.d.Red.] und ich weiß, dass es an der FU schon immer eine andere politische Kultur gab, aber es hat mich doch irritiert, wie verkämpft die Situation ist, wie tief die Gräben sind.

Bildungsprotest: Sie haben gesagt, dass es Sie erschreckt hat, wie verhärtet die Fronten sind. Haben Sie eine Idee, was man machen könnte? Anja Schillhaneck: Nennen sie mich naiv oder idealistisch, aber ich würde glauben, dass es eine ganz gute Idee wäre, wenn sich alle mal an einen runden Tisch setzen, wenn sie nicht mehr miteinander reden können, und vielleicht eine externe Person finden, die das Gespräch moderiert. Bildungsprotest: Ein anderes Mitglied des Abgeordnetenhauses Martin Delius (Piratenfraktion) nannte einige Kniffe der Sitzungsleitung per Twitter „grotesk“ und schrieb ebenfalls: „Es werden berechtigte Zweifel an der Souveränität des Gremiums laut“. Wie weit gehen Sie in dieser Einschätzung mit ihm? Anja Schillhaneck: Ich würde für alle Gremien sagen: Eine Geschäftsordnung ist nicht dafür da inhaltliche Debatten zu erschlagen. Na klar kann ich das immer machen, aber wenn ich zu solchen Mitteln greife, ist das normalerweise zumindest ein Hinweis darauf, dass man sich der inhaltlichen Debatte nicht gewachsen fühlt. Und von daher: Weder Satzung noch Geschäftsordnung sind dafür da eine Debatte zu verhindern, sondern sie sollen die Spielregeln abstecken um sie zu ermöglichen.

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Bildungsprotest: Um auf die RSPO zurück zu kommen: Das BerlHG fordert ein Teilzeitstudium, die RSPO setzt dies nicht um. Was ist von der Politik zu erwarten um dies einzufordern? Anja Schillhaneck: Zynisch gesagt: Erfahrungsgemäß ist es ‚nicht so wichtig‘ was im Hochschulgesetz steht. Was ich aber nach der Auseinandersetzung an der FU erwarte ist, dass die

Senatsverwaltung sehr genau prüfen wird, was da drin steht. und sagt: Leute, es ist lebensfremd, davon auszugehen, dass Menschen 38 Stunden Präsenz absolvieren, an ihrer Hochschule (BAföG-, Eltern- oder Stipendienfinanziert) , niemals durch eine Prüfung fallen, ihnen sonst nichts geschieht und sie innerhalb der Regelstudienzeit, maximal plus 1, 2 Semester da raus sind. Es ist auch in der Hinsicht lebensfremd, als dass die meisten Studierenden ja aus guten Gründen etwas anderes nebenbei tun. Ob sie arbeiten müssen oder wollen - wer arbeiten möchte soll das auch tun - die Erfahrung die sie dort gewinnen können würde ich durchaus auch im Sinne eines humboldtschen Bildungsideals für ganz sinnvoll halten. Das darf man da nicht in Abrede stellen. Wenn man diesen Ansatz wählen würde, würde man auch viel einfacher mit dem Thema Teilzeitstudium klar kommen. Bildungsprotest: Sie äußern sich auf ihrer Website gegen die Anwesenheitspflicht. An der FU wurde diese 2009/10 ausgesetzt - mit der RSPO kommt sie nun wieder. Anja Schillhaneck: Ich halte eine Anwesenheitspflicht für völligen Unfug. Ich meine: ich habe es da mit Menschen zu tun, die sind - im Regelfall - volljährig. Es ist einfach Unfug. Wenn ich Leuten, die studieren - und zwar völlig egal ob an einer Berufsakademie, an einer Uni, an einer PH oder sonst wo - nicht zutrauen kann selbstständig zu wissen, wie sie lernen und wie der Lernprozess für sie sein muss, dann habe ich irgendetwas falsch gemacht, und zwar nicht auf der Seite der Studierenden, sondern auf der Seite, die sich zu überlegen hat, wie das ganze funktioniert. Das ist nicht einmal eine Frage von Bildungsideal, sondern eine Frage von Menschenbild.

Bildungsprotest: Der Akademische Senat ist ein öffentliches Gremium, im vergangenen Jahr fanden seine Sitzungen aber wiederholt unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Anja Schillhaneck: Es muss möglich sein Sitzungen öffentlich stattfinden zu lassen und auch Sitzungsunterlagen sind öffentlich. Und da kann ich nicht nachvollziehen, warum da so eine Geheimhaltung betrieben wird. Auch ein Livestream ist eine Möglichkeit Öffentlichkeit zu schaffen und wie ich finde eine ziemlich gute. Je wichtiger, die Entscheidungen sind, die getroffen werden - und die RSPO ist eine Entscheidung, die Tausende betrifft - desto wichtiger ist es, dass die Betroffenen und Interessierten, die Möglichkeit haben nachzuvollziehen warum diese Entscheidungen so getroffen werden. In der Hinsicht finde ich es dann seltsam, wenn es heißt wir wollen das jetzt beschließen und danach drüber reden. Bildungsprotest: Die FU hat nach wie vor nur eine sog. Teilgrundordnung, die dem Präsidium viel Macht einräumt, obwohl das Berliner Hochschulgesetz eine Grundordnung vorsieht. Wie muss es dabei nun weitergehen? Anja Schillhaneck: Ich persönlich habe immer vertreten, und ich habe dazu auch mal einen Gesetzesentwurf geschrieben, zu sagen: Man müsste eigentlich eine Frist einräumen, in dem sie sich ein Grundordnungsgremium, das viertelparitätisch besetzt sein muss, geben müssen. Und dieses muss dann eine Grundordnung erlassen, auf eine Art und Weise, so dass alle Statusgruppen dann auch ein suspensives Vetorecht haben. Was da rauskommt, das will die Hochschule so. Aber die Mechanismen, wie man dazu kommt und wie man so etwas wieder ändern kann müssen klar geregelt sein. Die Vorstellung, dass nur der, der die Kompetenzen hat darüber entscheiden könnte sie wieder herzugeben ist schlichtweg undemokratisch und auch nicht sachgerecht. © Bild: http://www.anja-schillhaneck.de/


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