Bachelorarbeit - Was kommt nach dem Wachstum?

Wirtschaftsuniversität Wien Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte

Was kommt nach dem Wachstum?

Das Glücksprinzip und die soziale Nachhaltigkeit in der Postwachstumsökonomie – geeignete Alternativindikatoren zum Bruttoinlandsprodukt?

Veranschaulichung am Beispiel des Bruttonationalglücks

Bachelorarbeit

Wintersemester 2017/2018

Betreuer: ao.Univ.Prof.Mag.Dr.rer.soc.oec. Gerhard Senft

Eingereicht von:

Bianca Caroline Stöckl

Matrikelnummer: 1254544

Wien, Januar 2018

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung ........................................................................................................................... 1 B. Das Ende des Wachstums ................................................................................................. 3 1. Die Geschichte des BIP ............................................................................................................... 4 2. Wachstum und die Umweltbelastung ....................................................................................... 6 2.1 Das Kapital der Erde ........................................................................................................... 6 2.2 Die Wirtschaft als Subsystem ............................................................................................. 9 3. Innovationen als Chance .......................................................................................................... 11 C. Die Degrowth-Bewegung und die Bedeutung von Ungleichheit für Bevölkerung und Wirtschaft ................................................................................................................................ 12 1. Die Postwachstumsökonomie ................................................................................................. 13 2. Dezentralisierung: Lokale Währungen und Experimente....................................................... 14 3. Ungleichheit ............................................................................................................................. 16 3.1 Die Folgen von Ungleichheit auf die Gesellschaft............................................................ 17 3.2 Gesundheitliche und soziale Probleme............................................................................ 18 3.3 Macht Ungleichheit unglücklich? ..................................................................................... 20 3.4 Wie die Ungleichheit dem BIP den Ball zuspielt (Paradoxon) ......................................... 21 4. Gleichheit, Gerechtigkeit und Vertrauen durch gesellschaftlichen Wandel ......................... 22 4.1 Gleichheit und Vertrauen................................................................................................. 23 4.2 Kleine Schritte bis zum Ziel .............................................................................................. 24 D. Alternative Wohlstandsindikatoren ............................................................................... 26 1. Definition eines Indikators ...................................................................................................... 26 2. Bestehende Alternativen zum derzeitigen Indikator für Wirtschaftswachstum ................... 26 E.

F.

Glück als Determinante der Wirtschaft .......................................................................... 29 1. Der Glücksbegriff ...................................................................................................................... 30 1.1.

Die Geschichte des Glücks ............................................................................................... 30 1.2.

Definition von Glück ......................................................................................................... 31 2. Was macht uns glücklich? ........................................................................................................ 32 2.1 Glücksfaktoren ................................................................................................................. 33 2.2 Glück und Politik .............................................................................................................. 34 2.3 Nutzt uns Glück in der Wirtschaft? .................................................................................. 36 2.4 Unglück als Volkskrankheit .............................................................................................. 38 1.

2.

3.

Bhutan – das Bruttonationalglück .................................................................................. 39 Die vier Säulen des Bruttonationalglücks ............................................................................... 40 Gleichheit und Glück in Bhutan ............................................................................................... 41 Internationales Interesse und Projekte in der Praxis ............................................................. 43

G. Aussicht auf Anwendbarkeit des Bruttonationalglücks in unserer Gesellschaft.......... 44 Anhang ..................................................................................................................................... 47

Abbildungsverzeichnis

ABBILDUNG 1: AUSSCHNITTE AUS STUDIE DES SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR UMWELT: WACHSTUM UND UMWELTBELASTUNG: FINDET EINE ENTKOPPLUNG STATT? MAGAZIN UMWELT 4/2005, (SEITE 51) ABB. 20: VERGLEICH ENTWICKLUNG BIP UND BRUTTOENERGIEVERBRAUCH, 1970–2002, INDIZIERT MIT 1970 = 100, HTTP://ECOGLOBE.CH/ECONOMICS/D/ENTK5D26.HTM [03.10.2017] ........................................................................ 7 ABBILDUNG 2: NICKEL, K. (2016), HTTPS://WWW.WIRED.DE/COLLECTION/SCIENCE/GRAFIK-WIE-VIELE-ERDEN-BRAUCHEN-WIR [03.10.2017] ................................................................................................................................................... 9 ABBILDUNG 3, NEUMANN, M. (2012) S.18 ................................................................................................................... 18 ABBILDUNG 4, WILKINSON, R.; PICKETT, K. (2010), S.34 ................................................................................................. 19 ABBILDUNG 5, WILKINSON, R.; PICKETT, K. (2010), S.245 ............................................................................................... 22 ABBILDUNG 6, WILKINSON, R.; PICKETT, K. (2010), S.69 ................................................................................................ 24 ABBILDUNG 7, WEBER, A. (2008), S.150,151 .............................................................................................................. 51 ABBILDUNG 8, RUCKRIEGEL, K. (O.J.) GLÜCKSFORSCHUNG – KONSEQUENZEN FÜR DIE (WIRTSCHAFTS-)POLITIK, HTTPS://LINK.SPRINGER.COM/CONTENT/PDF/10.1007/S10273-012-1339-6.PDF [08.01.2018] .............................. 52 ABBILDUNG 9, LAYARD, R. (2009), S. 79 ...................................................................................................................... 52 ABBILDUNG 10, RUCKRIEGEL, K (2016), S.7 .................................................................................................................. 53

A. Einleitung

„Mir scheint, wir Amerikaner trachten schon lange nicht mehr nach persönlicher Vollkommenheit und haben auch unsere Gemeinschaftswerte längst zugunsten der schieren Anhäufung materieller Werte aufgegeben. Unser Bruttosozialprodukt beträgt über 800 Milliarden Dollar pro Jahr. Es rechnet aber die Luftverschmutzung und die Zigarettenwerbung mit und zählt den Wert der Krankenwagen, deren Sanitäter das Blutbad auf unseren Autobahnen aufräumen. Es rechnet Spezialschlösser für unsere Türen ein und Gefängnisse für all jene Menschen, die unsere Türen zu Hause aufbrechen. Es rechnet die Zerstörung des Mammutbaums ein und den Verlust unserer Naturwunder durch eine chaotische Zersiedelung unserer Landschaft. Es rechnet das Napalm und die Atomsprengköpfe sowie die gepanzerten Wagen für unsere Polizei, die unsere Beamten schützen sollen, wenn sie gegen die Krawalle in unseren Städten vorgehen. Es rechnet Gewehre und Messer. Und die Fernsehprogramme, die Gewalt verherrlichen, damit wir mehr Spielzeug für unsere Kinder kaufen. Unser Bruttosozialprodukt findet in seiner Rechnung keinen Platz für die Gesundheit unserer Kinder, die Qualität ihrer Erziehung oder ihre Freude am Spiel. Es berechnet weder die Schönheit unserer Poesie noch die Integrität und Würde unserer Amtsträger. Es misst auch nicht unsere Schlagfertigkeit noch unseren Mut, weder unsere Weisheit noch unser Lernen, weder unser Mitgefühl noch unsere Hingabe an unsere Nation.

Das Bruttosozialprodukt misst alles – nur nicht das, was das Leben lebenswert macht.“ Robert F. Kennedy 19681

Der Vorrat an irdischen Ressourcen ist begrenzt. Es sind jedoch genau jene Rohstoffe, die die derzeitige Grundlage für unseren Lebensstandard darstellen. In der Nachkriegszeit bestand großer Bedarf nach wirtschaftlichem Aufschwung für wiederkehrenden Wohlstand der Bevölkerung. Die neue Kaufkraft durch das „Wirtschaftswunder“ brachte das ersehnte Wirtschaftswachstum. Damit stieg jedoch ebenfalls der Ressourcenverbrauch und das mit rasanter Beschleunigung. Als Maß der wirtschaftlichen Leistung eines Landes gilt bis heute das Bruttoinlandsprodukt, dessen Änderung in einer Periode das jeweilige Wirtschaftswachstum

1

Kennedy, R. F. (1968): in seiner Wahlkampfrede um das Amt des Bundespräsidenten, zitiert in: Tho, H. V. (2017): Grundrecht auf Glück. Bhutans Vorbild für ein gelungenes Miteinander, Stuttgart: Nymphenburger Verlag 3.Auflage, S.63f

1

indiziert. Bis heute wird das sogenannte BIP-Wachstum jedoch auch als eine Art Heilmittel in der Krise gesehen uns soll als Wohlstandsindikator dienen. Es ist ein System bei dem jeder Euro gleich viel zählt.2 Doch führt dieses Wachstum auch immer zu höherem Wohlstand?

Natürlich sind sich die meisten Wirtschaftsexperten darüber im Klaren, dass das Bruttoinlandsprodukt keine alleinige Messlatte für den tatsächlichen Wohlstand der Bevölkerung darstellen kann. Es messe ja schließlich nur die wirtschaftliche Leistung. Es werden beispielsweise wohlfahrtssteigernde Faktoren wie „[...] der in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verbesserte Gesundheitszustand, die damit einhergehende steigende Lebenserwartung, aber auch das höhere Bildungsniveau [...] nicht adäquat erfasst.“3 Im Gegensatz dazu steigern auch Unfälle, Ausgaben für Psychiater und Krankheiten, Umweltkatastrophen, Versicherungsleistungen das Bruttoinlandsprodukt und deklarieren somit ein Wirtschaftswachstum. Viele Entwicklungen wie Umweltverschmutzung, soziale Belange und Reduzierung von Ressourcenbeständen (sog. negative Externalitäten) werden jedoch nicht mit eingerechnet.4 Laut EU-Chefstatistiker Radermacher bemühten sich seit den 1960er und 1970er Jahren die Wissenschaftler zusätzlich soziale Indikatoren zu betrachten.

Kurz danach kamen dann die Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz hinzu.5 Der Deutsche Bundestag wagte bereits 2010 einen Versuch und beschloss eine Enquete-Kommission mit dem Titel Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft6. Laut Abschlussbericht begann man zu erkennen, dass Wohlstand und Lebensqualität neben materiellen Wohlstand auch von sozialen und ökologischen Faktoren abhängig seien.7 Doch weshalb dann die Kritik? Neben dem Aspekt, dass das BIP pro Kopf in der Politik durchaus oft als Wohlfahrtsindikator und demnach für das Glück der Bevölkerung herangezogen wird, stellt sich zudem die Frage,

2

Layard, R. (2009): Die glückliche Gesellschaft. Was wir aus der Glücksforschung lernen können, Frankfurt a.M.: Campus Verlag 2.Auflage, S.150 3 Neumann, M. (2012): Zum Glück wachsen. Sieben Weisheiten zum Wachstum, Wohlstand und Wohlbefinden, Köln/Berlin: Studie des Roman Herzog Institut, S.15 4 Seidl, I.; Zahrnt, A. (2010): Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft, Marburg: Metropolis Verlag, S.29 5 Brendel, S. (2012): Das Bruttonationalprodukt – und was es über den Wohlstand aussagt, Funke Medien NRW, https://www.derwesten.de/wirtschaft/das-bruttoinlandsprodukt-und-was-es-ueber-wohlstand-aussagtid7374471.htmly [03.10.2017] 6 https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2010/32467716_kw48_de_wohlstandsenquete/203414 [07.01.2018] 7 Sievers, M. (2013): Wie das Glück vermessen wird, Frankfurter Rundschau, http://www.fr.de/wirtschaft/wohlstand-und-bip-wie-das-glueck-vermessen-wird-a-769850 [03.10.2017]

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welche neuen Indikatoren bis jetzt eingeführt worden sind, welche Alternativen es für eine geeignete Wohlfahrtsmessung gibt und woran die in den letzten 20 Jahren in Betracht gezogenen Indikatoren scheiterten? Wie misst man überhaupt Glück und Wohlstand?

In meiner Arbeit gehe ich auf das, in meiner Sicht endende Wirtschaftswachstum-System und die sich daraus herausbildende Postwachstumsökonomie ein und stelle am Beispiel des Gross National Happiness8 Index aus Bhutan eine der möglichen Alternativen vor. Hierbei konzentriere ich mich vor allem auf die Fragen: •

Was führt zu Wohlstand und Lebensqualität innerhalb einer Gesellschaft?

•

Welche Rolle spielt dabei die Gleichheit/Ungleichheit?

•

Wie misst man Glück und Wohlstand einer Bevölkerung?

•

Kann man den Faktor Glück auf unser Wirtschaftssystem anwenden?

B. Das Ende des Wachstums

„[...] am Ende des sogenannten Fortschrittszustandes liegt der stationäre Zustand.

Jeder Fortschritt ist nur ein Hinausschieben dieses Zustandes und jeder Schritt nach vorn eine Annäherung an ihn. […] […] Ich gestehe, dass mich nicht das Lebensideal der Leute bezaubert, die glauben, dass der Normalzustand menschlicher Wesen in dem fortwährenden Kampfe gegeneinander besteht, dass das Stoßen, Drängen, einander auf die Fersen treten, heute das Kennzeichen unseres gesellschaftlichen Zustandes ist, das wünschenswerteste Los der Menschen oder etwas Anderes sei, als die unerfreulichen Abschnitte des gewerblichen Fortschrittes.“ John Stuart Mill 18489

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Übers. für: Bruttonationalglück Mill, J. S. (1913/21; engl. orig. 1848): Grundsätze der politischen Ökonomie. 2 Bände. Jena, S.388 ff.; zitiert in: Prisching, M. (2009): Fetisch Wachstum. Wissenschaft & Umwelt.

Interdisziplinär 13, http://www.fwu.at/assets/userFiles/Wissenschaft_Umwelt/13_2009/2009_13_wachstum_4.pdf [07.11.2017] 9

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1. Die Geschichte des BIP

Die ursprüngliche Einführung und Durchsetzung des Bruttoinlandsprodukts „war fast schon ein imperialer Akt.“10 Denn das Bruttosozialprodukt, als Vorgänger des BIP, wurde den westlichen Ländern, die damals nach dem Krieg gemäß des Marshallplans zu Geld kommen wollten, von den Vereinigten Staaten aufgezwungen. „Der Fokus rückte vom Einkommen hin zur Produktion.“11 Mit dem Bruttosozialprodukt kam auch die Idee des Wirtschaftswachstums in die Politik und so fand dieser Wachstumstrend im damals und bis heute anhaltenden kapitalistischen System seinen Halt.

John Maynard Keynes legte mit seiner Theorie zur expansiven Fiskalpolitik und Nachfrageabhängigkeit von Wachstum in der Nachkriegszeit das Fundament für einen Paradigmenwechsel des damaligen Wirtschaftssystems. Die Gesellschaft wurde zur Konsumgesellschaft und stetig begleitet von der unsichtbaren Hand des Marktes12. Diese lässt uns glauben, dass wir immer mehr von Allem brauchen und das immer schneller. Dabei sah Keynes selbst in seiner Wachstumstheorie ein Ende. „Seine Begründung der endogenen Abschwächung des wirtschaftlichen Wachstums und des Übergangs zur Stagnation wurden weitgehend verdrängt und vergessen.“13 Wie auch Adam Smith14 sagte er das Ende des Wachstums und den Übergang zur stationären Wirtschaft voraus und war sogar der Ansicht, dass eine entwickelte Wirtschaft gar kein weiteres Wachstum braucht.15 Eine ähnliche Kritik am Wirtschaftswachstum-System vertrat bereits John Stuart Mill, der erkannte, dass Wachstum in aller Regel von Wettlauf und Kampf begleitet ist und schon Wachstumschancen allein eine hektische Gier stimulieren.16 Die Idee einer stationären Wirtschaft, die bereits von 10

Von der Hagen, H. (2014): Die mächtigste Kennzahl der Menschheitsgeschichte, Süddeutsche Zeitung, http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wirtschaftswachstum-die-maechtigste-kennzahl-dermenschheitsgeschichte-1.1925901 [03.10.2017] 11 ebd.

12 Der Begriff der „unsichtbaren Hand“ geht auf Adam Smith zurück. Dieser beschreibt ein natürliches Gleichgewicht des Marktes, in dem sich Angebot und Nachfrage, Einkommen und Preise selbst regulieren. Dies ermöglicht Selbstkontrolle ohne den Staat.

13 Zinn, K. G. (2013): Wachstumszwänge im Kapitalismus: Die gespaltene Keynes- Rezeption und Keyne’s Prognose auslaufenden Wachstums, ZINN Jena-Workshop Endfassung http://www.kollegpostwachstum.de/sozwgmedia/dokumente/Berichte/Wachstumszwänge+im+Kapitalismus/wz_zinn.pdf [03.10.2017] 14 Vgl. in Gilding, P. (2012): Die Klimakrise wird alles ändern. Und zwar zum Besseren, Freiburg im Breisgau: Verlag Herder GmbH, S. 257 15 Vgl. Uchatius, W. (2009): Wir könnten auch anders, Die Zeit Online, http://www.zeit.de/2009/22/DOSWachstum [03.10.2017] 16 Seidl, I.; Zahrnt, A. (2010), S.42

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Smith, Stuart und Keynes als logisches Ereignis in der Zukunft angesehen wurde hat also zur Aufgabe den Wechsel von einer Wachstumsgesellschaft mit Hilfe einer Übergangsphase umzusetzen bevor das derzeitige System scheitert.17 Denn die Wachstumswirtschaft die wir heute betreiben, würde ohne Wachstum hohe Arbeitslosenzahlen und eine Menge weiteren sozialen und ökologischen Leides nach sich ziehen.18

„Die Argumente gegen das Wachstum stammen also nicht aus den Reihen radikaler Kapitalismuskritiker, sondern wurden von den Gründungsvätern des Kapitalismus von Anfang an als logischer Punkt gesehen, den wir irgendwann unweigerlich erreichen werden.“19 Es hat sich ein ganzheitliches System etabliert das sowohl Wachstumsdränge als auch Wachstumszwänge mit sich bringt. Das verkehrte Zinssystem zeigt Hans Christoph Binswanger deutlich in seinem Buch Wachstumsspirale auf: Die heutige Geldwirtschaft ist keine Tauschwirtschaft mehr. Es ist ein System in dem Unternehmen Kredite aufnehmen müssen um Güter zu produzieren, zudem müssen sie Gewinne realisieren, um die Zinsen ihres Eigen- und Fremdkapitals zu begleichen. Es herrscht also eine Art „[...] Wachstumszwang, der durch zinsbedingte Geldschöpfung erzeugt wird.“20 Dies führte, laut Binswanger, zum Ausufern in die sogenannte Finanzblase und letztendlich zur Krise. Die Etablierung des Wachstumsparadigmas kann durch psychologische Gründe argumentiert werden. Denn ohne Wachstum würden sich die Unternehmen mit Investitionen zurückhalten und laut Keynes sind es gerade diese Aufwendungen, die wichtig sind um die Wirtschaft voran zu bringen. Aus einer sozialpolitischen Sicht versuchten das System unterstützende Wissenschaftler zu rechtfertigen, dass die ärmere Bevölkerung durch eine florierende Wirtschaft „[...] von dem größeren Kuchen am Ende auch ein größeres Stück abbekommen“ würde.21

Richard Heinberg beschreibt im Film Wachstum, was nun? das Wirtschaftswachstum und dessen Problematik anhand dreier Faktoren: „das immer teurer werdende Erdöl, den Klimawandel und das Vertrauen in Schulden zum Ankurbeln der Wirtschaft und weiteren

17

Vgl. Gilding, P. (2012), S. 258 Wallis, S. in: Gilding, P. (2012), S. 256 19 Gilding, P. (2012), Die Klimakrise wird alles ändern. Und zwar zum Besseren, Freiburg im Breisgau: Verlag Herder GmbH, S.258 20 König, J.; Thema, J. Hrsg. (2011): Nachhaltigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit. Theoretische Konzepte, strukturelle Herausforderungen und praktische Umsetzung, Wiebaden: VS Verlag, S.53 21 Seidl, I.; Zahrnt, A. (2010), S.43 18

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Wachstum.“22 Doch ist das Keynesianische Modell einer Wirtschaftspolitik, die auf Kosten der Bevölkerung und Natur mit Hilfe von Schulden zu ständigen Wachstum antreibt, das richtige?23

2. Wachstum und die Umweltbelastung

“Anyone who believes that exponential growth can go on forever in a finite world is either a madman or an economist.”

Kenneth Boulding24

Thomas Robert Malthus beschreibt in seinem Bevölkerungsgesetz die Grenzen des Wachstums und veranschaulichte diese mithilfe einer Insel: „Es ist klar, dass der in verschiedenen Staaten zu beobachtende Unterschied im Verhältnis zum Nahrungsmittel und der davon zu erhaltenden Menschenmasse an eine Grenze gebunden ist.“25 Im 17. und 18.

Jahrhundert, als noch das Holz die wichtigste Ressource zum Überleben war und als nahezu alleiniger Bau- und Werkstoff diente, verstanden sich die Grenzen des Wachstums von selbst: „fast automatisch war jedes Wachstum großer Holzverbraucher von Warnungen vor Holznot begleitet.“26 Besonders im Bauwesen zieht sich das Streben nach der „Ersparnis des Holzes“ entlang der gesamten Innovationsgeschichte bis in das 19. Jahrhundert.27

2.1 Das Kapital der Erde

Es sind neben den sozialen auch die ökologischen Faktoren, die die Kritik am Wachstum immer lauter werden lassen.28 Denn mit zunehmender Beschleunigung unseres derzeitigen Wirtschaftswachstums ohne geeignete Alternativen und Innovation wird sich die negative 22

Robin, M. (2015): Wachstum, was nun? Arte Film, Zugriff: https://www.youtube.com/watch?v=PqnF4RoHaK8 [03.10.2017] 23 Adam, H. (2016): Unglaublich, dieser Neoliberalismus, Common Verlagsgenossenschaft Oxiblog, https://oxiblog.de/unglaublich-dieser-neoliberalismus/ [03.10.2017] 24 Boulding, K. zitiert in: Holt, R. P. F.; Pressman, S.; Spash, C. L. (2009) Post Keynesian and Ecological Economics. Confronting Environmental Issues, Cheltenham: Edward Elgar Publishing, S.99 25 Malthus, T. R. (1905): Eine Abhandlung über das Bevölkerungsgesetz, oder eine Untersuchung seiner Bedeutung für die menschliche Wohlfahrt in Vergangenheit und Zukunft, nebst einer Untersuchung seiner Aussichten auf eine künftige Beseitigung der Linderung der Übel, die es verursacht. Bd.1, Jena, S.482 26 Seidl, I.; Zahrnt, A. (2010), S.38 27 Radkau 2007, 93-108, 126ff., 150-162, 198 zitiert in Seidl, I., Zahrnt, A. (2010), S.39 28 Vgl. Meadows, Hirsch, Binswanger, Club of Rome

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Auswirkung auf unsere zukünftige Lebensqualität immer mehr vergrößern. Genauso wie das Wirtschaftswachstum seit der Nachkriegszeit stark anstieg, so stieg auch der Verbrauch der Ressourcen und damit die Umweltbelastung an und das bis heute in rasanter Geschwindigkeit.

Abbildung 1: Ausschnitte aus Studie des Schweizer Bundesamt für Umwelt: Wachstum und Umweltbelastung: Findet eine Entkopplung statt? Magazin Umwelt 4/2005, (Seite 51) Abb. 20: Vergleich Entwicklung BIP und Bruttoenergieverbrauch, 1970–2002, indiziert mit 1970 = 100, http://ecoglobe.ch/economics/d/entk5d26.htm [03.10.2017]

Der unweigerliche Zusammenhang des Ressourcenverbrauchs mit der Entwicklung des BIP über die Jahre von 1970-2002 in Abbildung 1 zeigt diese stetige Beschleunigung.

Besonders das bevorstehende wirtschaftliche Wachstum der heutigen Schwellen- und Entwicklungsländer, in denen Umweltschutz kaum eine Rolle spielt, wird für uns eine Herausforderung, der wir jetzt begegnen müssen. Denn unsere CO2-Emissionen müssen drastisch verringert werden. Dies würde jedoch auch bedeuten, dass die eigentlich angestrebte Erhöhung des Lebensstandards in den Entwicklungsländern nicht mehr möglich wäre.29 Doch gerade Länder wie China, Indien oder Brasilien wollen und werden wachsen.

29

Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010): Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind, Frankfurt a.M.: Zweitausendeins 2. Auflage, S.25

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Warum sollte ihnen der Entwicklungspfad den der Westen eingeschlagen hat denn auch verwehrt werden?30

Unsere Erde kann ihre Ressourcen nur in einer bestimmen Zeitperiode nachproduzieren. Der Welterschöpfungstag wird für jedes Jahr für den Tag berechnet, an dem die Ressourcen der Erde nicht mehr ausreichen um den Bedarf der Weltbevölkerung zu decken. So lag er für das Jahr 2016 am 8.August, für dieses Jahr (2017) bereits auf dem 2.August.31 Das sind 6 Tage früher als im Vorjahr. Berechnet wird das Datum durch den Ökologischen Fußabdruck32 aller Länder, indem herausgefunden wird, wie viele natürliche Materialien die Welt jährlich produzieren kann, um die vom Menschen erzeugten Abfallstoffe zu absorbieren. „Kurzum: Wieviel Platz braucht der Mensch, wieviel die Welt.“33 Wie viel Platz die Welt braucht ist heutzutage leicht zu bestimmen: 2016 bräuchten wir insgesamt 1,6 Erden um unsere Umweltbelastung durch irdische Ressourcen auszugleichen. Deutschland allein hat seinen Teil der ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen bereits am 24. April verbraucht: man bräuchte 3,1 Erden (2016, siehe Abbildung 2). Nur durch den im Vergleich geringeren Konsum der heutigen Entwicklungsländer rückt das Datum des Werterschöpfungstages momentan nach hinten. Es drückt den Durchschnittswert.34 Doch das wird sich in Zukunft rasant ändern.

30

Machnig, M. (2010): Grünes Wachstum ist drin. Nachhaltigkeit geht nicht auf Kosten des Wohlstands, Die Zeit Online, http://www.zeit.de/2010/45/Wirtschaft-Wachstum-Nachhaltigkeit [03.10.2017] 31 Vgl. http://www.overshootday.org/ [03.10.2017] 32 Vgl. http://www.footprintnetwork.org/ [03.10.2017] 33 Nickel, K. (2016): Dreimal Deutschland, bitte! So viel Fläche bräuchte unser Planet jetzt, Condé Nast Verlag Wired, https://www.wired.de/collection/science/grafik-wie-viele-erden-brauchen-wir [03.10.2017] 34 Beau, Andrea: Menschheit lebt ab jetzt auf Pump, N-tv Nachrichtenfernsehen 2017, http://www.ntv.de/wissen/Menschheit-lebt-ab-jetzt-auf-Pump-article19962753.html [03.10.2017]

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Abbildung 2: Nickel, K. (2016), https://www.wired.de/collection/science/grafik-wie-viele-erden-brauchen-wir [03.10.2017]

2.2 Die Wirtschaft als Subsystem

"(...) Stärker als je zuvor tendiert die Menschheit gegenwärtig zu beschleunigtem Wachstum der Bevölkerung, rascherer Nutzung von Boden, Steigerung von Produktion, Verbrauch und Erzeugung von Schadstoffen. Man nimmt dabei kurzerhand an, dass der natürliche Lebensraum dies zulasse oder dass Wissenschaft und Technik alle etwaigen Hindernisse überwinden könnten. Wir wollten wissen, bis zu welchem Grad diese Haltung mit den Gegebenheiten auf unserem begrenzten Planeten und den grundlegenden Notwendigkeiten unserer menschlichen Gemeinschaft vereinbar ist.

Club of Rome 197235

35

Meadows, D.; Randers, J.; Behrens, W. (1972): Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, S.165 ff., https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/meadows_u_a_die_grenzen_des_wachstums_1972_1373.htm [03.10.2017]

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Es sind nun 45 Jahre vergangen, seit Dennis Meadows durch seine Studie Grenzen des Wachstums mit der Unterstützung des Club of Rome36 in den Fokus der Öffentlichkeit rückte.

In dieser Zeit bekannten sich nicht nur einige Politiker, sondern auch Ökonomen dazu, dass der Zeitpunkt zum Umdenken gekommen ist. Es entwickelten sich einige fortschrittliche Bewegungen die bis heute bestehen.37 Jedoch scheiterten durchaus ehrgeizige Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele immer wieder am vorrangigen Ziel des Wirtschaftswachstums.38 Denn ohne die Erhaltung des in damaligen Augen wohlfahrtssteigernden Systems fürchtete man, dass kein Weg aus der damaligen Krise hinausführen würde.39 Bis heute zeigen sich Länder in Abhängigkeit von Industrie und Lobbyismus. Nur ein Beispiel dafür ist die Automobilindustrie.

In Bezug auf den Treibhausgaseffekt und Ressourcenverbrauch ist diese Branche den meisten Umweltschützern ein Dorn im Auge. „Grafisch dargestellt, zeigt die Entwicklung der weltweiten CO2 – Emissionen während der vergangenen sechzig Jahre eine Linie, die von links unten nach rechts oben führt. Die Linie sieht aus wie die Umsatzkurve eines erfolgreichen Autoherstellers. Sie hat auch viel damit zu tun. In den vergangenen sechzig Jahren ist die Weltwirtschaft stärker gewachsen als vom Beginn der Zeitrechnung an bis zum Zweiten Weltkrieg.“40

Unsere Wirtschaft ist derzeit als zentraler Punkt in unserer Gesellschaft verankert. Von ihr gehen nicht nur politische Entscheidungen, sondern auch individuelle, persönliche Entscheidungen eines jeden aus. Jedoch sollte die Wirtschaft nur ein Subsystem unter vielen anderen Systemen sein, die unsere Gesellschaft bilden. Herman Daly sah die Wirtschaft bereits 1970 als solch ein Subsystem und fragte sich wie groß die Wirtschaft im Vergleich zum Ökosystem sein sollte.41 In seinem Buch Steady State Economy beschreibt er „[...] eine Vision der Wirtschaft, die auf einem optimalen Niveau physisch nicht mehr wächst, sondern sich auf 36

Definition lt. Homepage http://www.clubofrome.de/ [03.10.2017]: „Der Club of Rome ist eine Vereinigung von Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik aus allen Regionen unserer Erde. Er wurde 1968 von dem FIAT-Manager Aurelio Peccei und dem OECD-Generaldirektor Alexander King in Rom ins Leben gerufen, mit dem Ziel, sich für eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft der Menschheit einzusetzen.

Die Weltöffentlichkeit kennt den CLUB OF ROME seit 1972 durch den viel diskutierten Bericht Limits to Growth (Die Grenzen des Wachstums), dem bisher weitere 30 „Berichte an den CLUB OF ROME“ zu unterschiedlichen Zukunftsfragen der Menschheit folgten.“ 37 z.B. Happy Planet Index http://happyplanetindex.org/ [03.10.2017], Ökologischer Fußabdruck http://www.footprintnetwork.org/ [03.10.2017] 38 Vgl. Seidl, I.; Zahrnt, A. (2010), S.30-37 39 ebd.

40 Uchatius, W. (2009) 41 Daly, H. E. in: Linne, G. (2003): Handbuch Nachhaltige Entwicklung: Wie ist Nachhaltiges Wirtschaften machbar? Opladen: Leske+budrich, S.93

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einem nachhaltigen Konsumniveau und mit konstanter Bevölkerung weiterentwickelt.“42 Hierbei formuliert er John Stuart Mill’s vor 150 Jahren entworfenen Gedanken neu um und sucht nach der „[...] optimalen physischen Größe der Wirtschaft“. Auch er sieht die Grenzen der ökologischen Systeme erreicht, auf die unsere Wirtschaft aufgebaut ist. Das „[...]

Wirtschaftswachstum sei [...] bereits unwirtschaftlich geworden“ und schaffe „[...] in Summe keinen Wohlstand mehr, sondern verringert den Kapitalstock, auf dem unser Wohlstand aufgebaut ist.“43

3. Innovationen als Chance

Klar ist, sowohl Produktion als auch Konsum verbrauchen Ressourcen. Ressourcen, die immer knapper werden, desto schneller das gesamtwirtschaftliche Wachstum ansteigt. Große Chancen für eine nachhaltige Ökonomie werden vor allem im Innovationsbereich gesehen.

Durch Effizienzsteigerungen und technologischen Fortschritt sollen die Ressourcen besser ausgenutzt44 und der Massenwohlstand mit der Leistungsfähigkeit unseres Planeten in Einklang gebracht werden.45 Der Umweltökonom und Begleiter von Daly, William Rees, sagt: „Eigentlich müssen wir doch nur die Idee des Wachstums mit der Entwicklung austauschen.“46 Ein durchaus innovatives Beispiel, das sich durch die technologische Entwicklung in den letzten Jahren ergeben hat ist, dass die Menschen deutlich weniger Dinge konsumieren, wenn sie diese nur benutzen statt zu besitzen. „[...] Mieter teilen sich die Waschmaschine im gemeinsamen Keller eines Mehrfamilienhauses; Landwirte kaufen teure Maschinen wie Mähdrescher gemeinsam; Autofahrer setzen auf Carsharing. Gerade Letzteres wird durch moderne, per Smartphone buchbare Systeme immer flexibler. So ist ein neues Geschäftsfeld entstanden.“47 Ressourceneffizienz bedeutet also, dass Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit nur vereinbar sind, wenn der Ressourcenverbrauch von der ökonomischen 42

Lexikon der Nachhaltigkeit (2015): Steady State Economy, Industrie- und Handelskammer Nürnberg für Mittelfranken, https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/steady_state_economy_1848.htm [03.10.2017] 43 ebd.

44 Neumann, M. (2012), S.10 45 Machnig, M. (2010), http://www.zeit.de/2010/45/Wirtschaft-Wachstum-Nachhaltigkeit [03.10.2017] 46 Rees, W. zitiert in: Pinzler, P. (2011): Immer mehr ist nicht genug! Vom Wachstumswahn zum Bruttosozialglück. München: Pantheon Verlag, https://books.google.de/books?id=PqRcISMjmdsC&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&c ad=0#v=snippet&q=william%20rees&f=false [03.10.2017] 47 o.V., Brand Eins Magazin Ausgabe 12/2012- Schwerpunkt Das gute Leben, Muss denn immer alles größer werden? Kritik am Wirtschaftswachstum, https://www.brandeins.de/archiv/2012/das-gute-leben/muss-dennalles-immer-groesser-werden/ [03.10.2017]

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Entwicklung absolut entkoppelt wird.48 Doch führt wirklich jede Innovation zu umweltfreundlichem Wachstum? Reicht es aus, nur auf Wachstum und technologischen Fortschritt zu setzen? Laut Irmi Seidl und Angelika Zahrnt habe zwar in vielen Ländern eine Art Entkopplung stattgefunden, jedoch gab es durch die Effizienzsteigerung der Ressourcen wiederum erhöhte Nachfrage und Konsum. Denn „Strom und Wasser sparende Waschmaschinen oder wärmegedämmte Häuser schonen die Umwelt, aber sie schonen auch unsere Haushaltskasse, und wenn wir das eingesparte Geld für etwas Anderes ausgeben, geht das wieder zu Lasten der Umwelt und auf Kosten der Ressourcen.“49 Sogenannte Reboundeffekte traten auf.50 Derselben Meinung ist auch Nico Paech, Ökonom und bekanntester Vertreter des Begriffes der Postwachstumsökonomie (auf die ich im folgenden Kapitel genauer eingehen möchte). Er sagt: „Die Behauptung, durch Investitionen in grüne Technologien könne Wirtschaftswachstum mit einer absoluten Senkung von Umweltbelastungen einhergehen, ist nicht nur falsch – das genaue Gegenteil ist der Fall: Nur unter der Voraussetzung, dass das BIP gerade nicht wächst, haben grüne Technologien überhaupt eine Chance, die Ökosphäre zu entlasten. Und dies ist nur eine notwendige Bedingung, weil damit allein die finanziellen Rebound-Effekte vermieden würden, die im Wachstumsfall durch zusätzlichen Konsum entstehen.“51

C. Die Degrowth-Bewegung und die Bedeutung von Ungleichheit für Bevölkerung und Wirtschaft

„Der Tag ist nicht weit, an dem das ökonomische Problem in die hinteren Ränge verbannt werden wird, wohin es gehört. Dann werden Herz und Kopf sich wieder mit unseren wirklichen Problemen befassen können – den Fragen nach dem Leben und den menschlichen Beziehungen, nach der Schöpfung, nach unserem Verhalten und nach der Religion.“ John Maynard Keynes52

48

Meyer, B. in Seidl, I.; Zahrnt, A. (2010), S.167 Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S.250 50 Vgl. ebd. S.30 51 Vgl. Paech, Niko (2012): “Grünes“ Wachstum wäre ein Wunder. Die Zeit Online, http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-06/wachstumskritik-paech/seite-2 [03.10.2017] 52 Keynes, J. M. (1945-1946): First Annual Report of the Arts Council zitiert in: Weber, A. (2008): Biokapital, Die Versöhnung von Ökonomie, Natur und Menschlichkeit, Berlin: Berlin Verlag, S.7 49

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Wir leben in einer Zeit in der der Klimawandel und die Schere zwischen Arm und Reich zu immer größeren Problemen werden. Die Anzahl der Naturkatastrophen steigt53 und das Polareis schmilzt54. Unser Wirtschaftssystem und dessen bislang einziger Indikator sind nicht mehr aussagekräftig und führen ferner zu Ungleichheiten, die verheerende Folgen nach sich ziehen. Diese Tatsachen verlangen nicht nur nach einem systematischen Wandel, sondern vor allem nach einem gesellschaftlichen. Es liegt jetzt an uns, die Weichen dafür zu stellen.

1. Die Postwachstumsökonomie

Dem Wachstumsparadigma entgegen steht die Entwicklung der Degrowth55-Gesellschaft bzw.

Postwachstumsgesellschaft. Diese vertritt nicht nur die Wachstumskritik, sondern ist ferner der Meinung, dass es die Entkopplung durch technische Innovation nicht gebe. Denn dies führe letztendlich zu weiterem „[...] Wachstum der in Geld gemessenen Wertschöpfung“56 und häufig zu den bereits genannten Rebound-Effekten. Es wird vielmehr eine „starke Nachhaltigkeit“57 angestrebt, in der das Wirtschaftssystem wieder als eine Art Subsystem fungieren soll und nicht auf Ausnutzung der Ressourcen aufbaut. Die ökologischen Systeme sollen, wie schon damals, die alleinige Basis für die Ökonomie und die Gesellschaft bilden und nicht anders herum. Auf diese Weise soll auf einen Rückgang von globalen, von der Industrie geleiteten Wertschöpfungsprozessen, hin zu progressiven Alternativen auf lokaler und regionaler Ebene hingearbeitet werden.58 Inzwischen hat sich die Postwachstumsgesellschaft zu einer europaweiten, wissenschaftlichen Community entwickelt. Unter Niko Paech, einem der bekanntesten deutschen Wachstumskritiker, finden seit mehreren Jahren Ringvorlesungen mit unterschiedlichen Vortragenden zu diesem Thema statt. Paech äußert auf seiner Website konkrete Vorschläge zur Umsetzung der Postwachstumsökonomie und nennt „[...] fünf Entwicklungsschritte, die sich auf einen Wandel von Lebensstilen, Versorgungsmustern, Produktionsweisen und auf institutionelle Innovationen im Bereich des

53

Vgl. o.V.; Bundeszentrale für politische Bildung, http://www.bpb.de/gesellschaft/umwelt/klimawandel/ [03.10.2017] 54 Vgl. Lüdemann, D., Staud, T.; Blickle, P. (2016): Die Klimakurve des Grauens, Die Zeit Online, Interview, http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2016-11/klimawandel-meereis-arktis-antarktis-polarforscher [03.10.2017] 55 Übers. für Wachstumsrücknahme 56 Paech, N. (2017), http://www.postwachstumsoekonomie.de/material/grundzuege/ [03.10.2017] 57 Vgl. Ott, K.; Döring, R. (2004): Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit. Marburg: Metropolis 58 Vgl. Getzin, S.; Singer-Brodowski, M. (2016) Transformatives Lernen in einer Degrowth-Gesellschaft, Socience Journal of Science-Society Interfaces, http://openjournals.wu.ac.at/ojs/index.php/socience/article/view/181 [03.10.2017]

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Umgangs mit Geld und Boden beziehen.“59 Seidl und Zahrnt stellen in ihrem Buch Postwachstumsgesellschaft - Konzepte für die Zukunft, Lösungsansätze vor, die Ansatzpunkte und Einblicke geben sollen wie eine Postwachstumsgesellschaft aussehen könnte.60 Dies umfasst unter anderem die Bereiche Bildung, Arbeit und Verteilungsgerechtigkeit.

2. Dezentralisierung: Lokale Währungen und Experimente

Seit dem Start der Degrowth-Bewegung haben sich bereits einige lokale Projekte herausgebildet, die das derzeitige ökonomische Modell in Frage stellen und sich mit regionalem Anbau, energiesparenden Lösungen und konsumbefreiter Lebensweise entgegensetzen. Im Zentrum steht dabei die Dezentralisierung: Ziel ist die Selbstversorgung ihrer Region, sowie Unabhängigkeit von internationalen ökonomischen Krisen und Spekulation. Ein Beispiel dafür sind die Freshcityfarms, gegründet in Toronto, Kanada, die ihre Lebensmittel regional anbauen und ausliefern. Durch optimierte Lieferwege wirken sie nicht nur energiesparender, sondern können ihre Produkte 20% günstiger anbieten als die konkurrierenden Lebensmittelmärkte. Sie sind urbane Erzeuger, die keinerlei Überschuss produzieren und eine positive, pädagogische Wirkung auf die gesamte Gemeinde ausüben.61 Natürlich gibt es eine Reihe von Beispielen dieser Entwicklungen auf der ganzen Welt, unter anderem in Österreich.62 Darunter zählen ebenfalls Initiativen von lokalen Währungen.63 In einem der Experimente, dem Bremer Roland, stellt das neu eingeführte Zahlungsmittel eine Komplementärwährung zum Euro dar. Jedoch handelt es sich hierbei nicht um Papier- oder Münzgeld, sondern um an Wert verlierende Scheckgutscheine. Der Gutschein des Bremer Roland-Experiments wurde bereits im Herbst 2001 eingeführt. Er soll den Euro jedoch nicht gänzlich ersetzen, sondern man versucht aufzuzeigen, welche Vorteile eine solche umlaufgesicherte Währung64 für die Region und dadurch für die Bevölkerung bringt. Ein bereits sogar in Paech’s Ringvorlesungen behandeltes Projekt ist der Chiemgauer. Dieser ist das derzeit am weitreichendsten akzeptierte Regionalgeld-System im deutschsprachigen Raum. Der Chiemgauer unterstützt dabei nicht nur die regionale Wirtschaft durch die Bindung 59

Paech, N. (2017), Stichwort Entwicklungsschritte siehe Anhang Vgl. Seidl, I.; Zahrnt, A. (2010), S.221 ff.

61 Vgl. Fresh City Farms https://www.freshcityfarms.com/ [03.10.2017] und Arte Film: Robin, M. (2015): Wachstum, was nun?

62 Vgl. City Farm Wien https://www.cityfarm.wien/ [03.10.2017] 63 Vgl. Chiemgauer Lokalwährung in: Arte Film: Robin, M. (2015) 64 Siehe Silvio Gesell’s Freiwirtschaftslehre Anhang 60

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an den Ort - die Beträge, die beim Tausch zurück zum Euro anfallen, werden gespendet und helfen somit gemeinnützigen Projekten. Beide Zahlungsmittel werden von der regionalen Bevölkerung und den Unternehmern gut angenommen. Im Jahr 2009 konnte der Chiemgauer sogar ein Umsatzwachstum von 21% verzeichnen und ist mit einem Gesamtumsatz von 7,4 Millionen Euro, im Jahr 2014, sogar eine der erfolgreichsten Komplementärwährungen weltweit. Es gibt noch weitere Experimente in ganz Europa und auch Südamerika, wie z.B. der Palmas in Brasilien. Zu beachten ist aber, dass nicht jede Komplementärwährung - nach dem Gedanken Gesells und der Freiwirtschaft - umlaufgesichert ist.

„Wir müssen Abschied nehmen von einer Wirtschaft, deren Wachstum auf Kosten von Lebenschancen anderer Menschen und unser aller Lebensgrundlagen geht, und zu einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft finden, die das Richtige wachsen lässt, nämlich das Wohlergehen der Menschen und ihrer Lebensumwelt.“ Horst Köhler (2010)65

Degrowth oder Postwachstum steht also nicht für Rückschritt oder gar einen Verzicht, sondern für fortschrittliche Alternativen zum derzeitigen Wirtschaftsbild66 und will einige Wege aus der derzeitigen ökonomischen Entwicklung heraus aufzeigen. Die Vertreter der Postwachstumsökonomie sind außerdem der Meinung, dass sich die Lebenszufriedenheit beziehungsweise das „Glück“ eines Menschen nicht durch zusätzliches Einkommen und zunehmenden Konsum steigert.67 Auf die Determinanten Verteilungsgerechtigkeit, Glück und Wohlergehen will ich in den folgenden Kapiteln genauer eingehen.

65

Köhler, Horst (2010) im Geleitwort für Seidl, I., Zahrnt, A. (2010) Postwachstumsgesellschaft Vgl. Schmelzer, M. (2016): Degrowth, eine Alternative zum Wachstum, Frankfurter Allgemeine Online, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftswissen/postwachstumsgesellschaft-und-degrowth-neuekonzepte-der-oekonomie-14493710.html [20.10.2017] 67 Vgl. http://www.postwachstumsoekonomie.de/material/grundzuege/ [20.10.2017] 66

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3. Ungleichheit „Armut bedeutet nicht, nur eine kleine Menge von Gütern zu besitzen, Armut bedeutet auch nicht nur ein bestimmtes Verhältnis von Zielen und Mitteln, Armut ist vor allem eine Beziehung zwischen Menschen. Armut ist ein sozialer Status ... und sie hat zugenommen – sie bildet eine unerfreuliche Trennlinie zwischen den Schichten.“ Marshall Sahlins, Stone Age Economics68

Gerade in den weiter entwickelten Gesellschaften wächst die soziale Ungleichheit stetig. „Es ist jedoch nicht nur ein soziales Problem, sondern auch ein ökonomisches, weil es eine Volkswirtschaft auf Dauer schwächt.“69 Dass die Wirtschaft nicht mehr wächst wie in den 1970er Jahren macht uns jedoch nicht unbedingt ärmer, das Einkommen im Land ist vielmehr ungleicher verteilt.“70 Die Umverteilung ist jedoch ein sehr wichtiges Thema, das nicht vernachlässigt werden darf. Denn einige Ökonomen sind sich inzwischen einig, dass die Ungleichverteilung eigentliche Ursache für die Wirtschaftskrise 2008 war.71

Obwohl es für gering Qualifizierte immer schwerer wird eine Arbeit zu finden, bleiben viele Stellen unbesetzt. Auf der anderen Seite fällt es schwer die Zuwanderer, die arbeiten wollen, zu integrieren. Doch wie soll der Sozialstaat die Schwachen stützen? Das Ideal einer sozialen Marktwirtschaft ist doch, dass jeder mit Unterstützung des Staates dazu in der Lage sein sollte sich selbst zu versorgen.72 Es geht darum die Chancenungleichheit zu beseitigen, geeignete Erwerbstätigkeiten für jede Qualifikationsebene zu finden und die Bevölkerung bei der Suche und Ausübung dieser in jeder Lebenslage zu unterstützen.“73 Denn die Einkommensschere wird immer größer und die Armen immer ärmer.74 Das Wirtschaftssystem in dem wir leben

68

Sahlins, M. (2003): Stone Age Economics, London: Routledge zitiert in: Wilkinson, R., Pickett, K. (2010), S.29 o.V., Thema: Soziale Ungerechtigkeit. Wie gerecht ist Deutschland? Zeit Online, http://www.zeit.de/thema/soziale-ungleichheit [05.10.2017] 70 Fischer, F. (2015): Die mächtigste Zahl der Welt: Das Bruttoinlandsprodukt, Krautreporter, https://krautreporter.de/333--die-machtigste-zahl-der-welt-das-bruttoinlandsprodukt [11.10.2017] 71 Van Treeck, T. (2012): Did inequality cause the financial crisis? Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, https://www.boeckler.de/pdf/p_imk_wp_91_2012.pdf [11.10.2017] 72 Zitat Ludwig Erhard in: Interview mit Marcel Fratzscher (2016): Wer unten ist, bleibt unten, Zeit Online, http://www.zeit.de/2016/13/armut-marcel-fratzscher-ungleichheit-deutschland-klassismus [05.10.2017] 73 Vgl. Fratzscher, M. (2016): Verteilungskampf, München: Carl Hanser Verlag 74 Vgl. Soziale Ungleichheit - Eine Gesellschaft rückt auseinander. Bundeszentrale für politische Bildung, http://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verhaeltnisse-eine-sozialkunde/138379/soziale-ungleichheit [05.10.2017] 69

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lässt zu, dass die Menschen auf der einen Seite verschwenderisch und nicht nachhaltig leben und konsumieren, und der Großteil dafür auf der anderen Seite hungert, erkrankt oder vorzeitig stirbt. Tho Ha Vinh bezeichnet die wirtschaftliche Krise deshalb auch treffend als eine „moralische oder ethische Krise“75. Darüber hinaus kann man beobachten, dass die soziale Ungleichheit neben den Folgen für die Wirtschaft und Gesellschaft ebenfalls große Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen hat.

3.1 Die Folgen von Ungleichheit auf die Gesellschaft

Die Ausrede der Befürworter der Globalisierung lautet stets, dass das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts dabei helfen kann, den Wohlstand einer Bevölkerung zu verbessern.

Wohlstand bedeute Ernährung und Gesundheit für alle. Jedoch zeigt eine Studie der Bertelsmann Stiftung genau das Gegenteil: denn die „Gewinner sind – wie die Kritiker längst vermutet haben – genau jene, die ohnehin auf der Sonnenseite des Lebens weilen. Sie füllen ihre Taschen nur noch mehr“76 (sogenannter Matthäus Effekt77). Dies bestätigt auch Sebastian Vollmer, Entwicklungsökonom an der Universität Göttingen. Laut seinen Erkenntnissen hat Wachstum gar keinen Einfluss auf die Bekämpfung von Mangelernährung auf der Welt. Als Gründe dafür gelten unter anderem, dass die Güter oftmals nicht gerecht auf die gesamte Bevölkerung aufgeteilt werden.78

Laut Layard macht das Streben nach mehr Einkommen nicht glücklicher.79 Zum selben Ergebnis kommen die Teilnehmer der Diskussion des Roman Herzog Instituts (siehe Abbildung 3): Aus dem unteren Graph geht zwar heraus, dass das subjektive Wohlbefinden mit ansteigendem Pro-Kopf Einkommen höher wird. Jedoch zeigt der Graph auch, dass der Einkommensanstieg für ein höheres Wohlbefinden umso größer sein muss je reicher der Mensch bereits ist. Dies belegt das Gesetz des sinkenden Grenznutzens des Einkommens, das besagt, dass der Nutzen des Armen durch Wegnahme eines Euro des Reichen stärker ansteigt,

75

Tho, H. V. (2017), S.83 http://www.bti-project.org/en/home/ [17.10.2017] Zitat in: Tho, H. V. (2017), S.127 77 “Matthäus Effekt” Neckel, S.; Mijic, A; v. Scheve, C.; Titton, M. (2010): Sternstunden der Soziologie: Wegweisende Theoriemodelle des soziologischen Denkens, Frankfurt a.M./New York: Campus Verlag zitiert in: Kahneman, D., Deaton, A. (2010): High income improves evaluation of life but not emotional well-being, Princeton University, http://www.pnas.org/content/107/38/16489.full.pdf [17.10.2017] 78 Tho, H. V. (2017), S.127 79 Vgl. Layard, R. (2009) 76

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als der Nutzen des Reichen sinkt.80 Emotionales Wohlbefinden steigt also mit höherem Einkommen, jedoch gibt es keine weitere Steigerung ab einer bestimmten Einkommensgrenze.81

Abbildung 3, Neumann, M. (2012) S.18

3.2 Gesundheitliche und soziale Probleme

Die Schere zwischen Arm und Reich wächst also stetig. Welche Folgen haben diese Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaften auf die Menschen? Richard Wilkinson und Kate Pickett zeigen auf, „[...] dass Wirtschaftswachstum und steigende Durchschnittseinkommen in den reichen Ländern kaum noch etwas zum Wohlbefinden ihrer Bevölkerung beitragen können, dass aber innerhalb einer Gesellschaft sehr wohl ein enger Zusammenhang zwischen gesundheitlichen und sozialen Problemen und Einkommensniveau besteht.“82 In Abbildung 4 80

Martini, M. (2008): Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, Tübingen: Mohr Siebeck, S.246 Kahneman, D.; Deaton, A. (2010) 82 Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S.29 81

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wird deutlich, dass gesundheitliche und soziale Probleme83 signifikant häufiger in jenen Ländern vorkommen, in denen die Einkommensschere am größten ist.84

Abbildung 4, Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S.34

Die Selbstbestimmungs-Theorie nennt drei angeborene psychologische Bedürfnisse als Motor der Motivation des Menschen: Kompetenzerleben, Selbstwirksamkeit und der Bezug zu anderen Menschen.85 Ist eine dieser drei Verwirklichungsdeterminanten gestört, kann dies sowohl psychische als auch physische Auswirkungen haben. Beweise dafür liefert Marmot 2004 in den Whitehall Studien, die einen systematischen Zusammenhang von sozialem Stand und chronischen Herz-Kreislauferkrankungen aufzeigen.86 83

Kategorien: Niveau des Vertrauens, psychische Erkrankungen sowie Alkohol- und Drogensucht, Lebenserwartung und Säuglingssterblichkeit, Fettleibigkeit, schulische Leistungen der Kinder, TeenagerSchwangerschaften, Selbstmorde, Zahl der Gefängnisstrafen, soziale Mobilität (keine Angaben für die USA) 84 Vgl. Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S.34 85 Ryan, R.; Deci, E. L. (2000): Self-Determination Theory and the Facilitation of Intrinsic Motivation, Social Development, and Well-Being, University of Rochester, http://psycnet.apa.org/fulltext/2000-13324-007.pdf [16.10.2017] 86 Marmot, M. (2004): The Status Syndrome. New York: Times Books zitiert in v. Scheve, C. (2014) Gefühlte Ungleichheit. Einige Zusammenhänge zwischen Sozialstruktur und Emotionen, Freie Universität Berlin, S.10, erschienen in: Gebauer, G., Edler, M. (Hg.), Sprachen der Emotion: Kultur, Kunst, Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Campus 2014

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Einkommensungleichverteilung hat auch verheerende psychische Auswirkungen auf die Menschen. Schon Adam Smith erkannte wie wichtig es ist, sich gegenüber seinen Mitmenschen „kreditwürdig“87 zu zeigen: De facto verleiht immer mehr Ungleichverteilung dem sozialen Status größeres Gewicht und der Bewertungsdruck eines jeden wird größer. Dies macht die Rolle innerhalb einer Gesellschaft zu einem immer entscheidenderen Merkmal der Identität. Aufgaben, die zu einer möglichen Gefährdung dieses Status führen können, führen zu Stress. Die Symptome dieses sozialen Drucks haben dabei verheerende Folgen auf die Bevölkerung, denn mit anwachsendem Wohlstandsgefälle äußern sich diese sowohl in Angst, Depression- und Suchtstörungen also auch in Unsicherheit der Menschen.88 In der Tat berichten

Krankenkassen

in

Deutschland

von

deutlichen

Zunahmen

an

Krankheitsschreibungen aufgrund von psychischen Erkrankungen. Dabei sind es gerade die Menschen aus den niedrigeren sozialen Schichten, die häufiger von Krankheiten dieser Art betroffen sind.89

3.3 Macht Ungleichheit unglücklich?

Verschiedene Studien und Krankheitsbilder weltweit beweisen also: „Je niedriger der sozioökonomische Status, desto höher die Prävalenz dieser und anderer Krankheiten.“90 Doch welche Auswirkungen hat die Ungleichheit auf unser Glücklichsein? Mit Bestimmtheit tragen Krankheiten und psychische Störungen dazu bei, dass die Lebenszufriedenheit und -Qualität einer Bevölkerung sinkt. Andere Studien belegen jedoch auch, dass sich das unaufhörliche Streben nach Reichtum negativ auf unsere Lebenszufriedenheit auswirkt.91 Jedoch ist diese kapitalistische Verhaltensweise genau jene, welche das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem von uns verlangt, um mit der Masse im Strom zu schwimmen oder – noch besser – sich von ihr zu differenzieren. Nimmt man an, dass das Einkommen einer von vielen Glücksfaktoren ist, ist die logische Schlussfolgerung daraus, dass eine Gleichverteilung der Einkommen sowohl die Armen glücklicher, als auch die Reichen nicht weniger glücklich macht. Also „je 87

Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S.40 Vgl. Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S.47-49 89 Mauz, E.; Jacobi, F. (2008): Psychische Störungen und soziale Ungleichheit im Geburtskohortenvergleich, Robert Koch Institut Berlin und Technische Universität Dresden, https://psy2.psych.tudresden.de/i2/klinische/mitarbeiter/publikationen/jacobi-p/mauz-jacobi-kohorten-2008.pdf [17.10.2017] 90 v. Scheve, C. (2014), S.11 91 Kasser, T.; Ryan, R. M. (1993): A Dark Side of the American Dream: Correlates of Financial Success as a Central Life Aspiration, Journal of Personality and Social Psychology, Vol. 65, No. 2,410-422 88

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gleichmäßiger das Einkommen verteilt ist, desto glücklicher werden die Menschen eines Landes im Schnitt sein.“92 Nach Richard Layard sind die Gründe für das Unglücklichsein jedoch unabhängig vom individuellen Einkommen der Menschen. Entscheidend ist die tief in der Psyche verankerte Angewohnheit eines jeden Menschen sich mit anderen in der Umgebung zu vergleichen.93 So bedeutet dies im sozialen Kontext, dass das Einkommen nur als eine Art Glücksfaktor fungiert, wenn man sich dadurch von der Referenzgruppe abheben kann.94

3.4 Wie die Ungleichheit dem BIP den Ball zuspielt (Paradoxon)

Ein weiterer sich aus diesen Gegebenheiten herausbildender Effekt ist die allgemein ansteigende Unsicherheit der Menschen. In Kombination mit der Angst der „sozialen Bewertung“ trägt diese Eigenschaft entscheidend zum Konsumdrang der Bevölkerung bei.95 Durch diesen von Wilkinson und Pickett registrierten Wandel innerhalb der letzten Jahrzehnte, kann jedoch erklärt werden, wie uns die bereits erwähnte unsichtbare Hand des Marktes „im Dienst der ökonomischen Ankurbelung des Massenkonsums“ so leicht zu einer „prestigeträchtigen“

Konsumgesellschaft

erzog.96

„Ungleichheit

führt

zu

mehr

Statuskonkurrenz, weil wir ängstlich versuchen, mit den anderen Schritt zu halten, während Marketingexperten genau diese Ängste für ihre Zwecke nutzen.“97 Statt ihr vorhandenes Vermögen sinnvoll anzulegen, drängte die Menschen dieser Zustand dazu Kredite aufzunehmen und lies die sich steigernde Konsumentennachfrage schließlich in einen „[...] der Hauptmotoren des langen wirtschaftlichen Aufschwungs und Finanzspekulationen [...]“ resultieren, was letztendlich zur Weltwirtschaftskrise führte.98 „Schließlich waren die ersten Nachkriegsjahrzehnte in allen westlichen Industrienationen von wachsender Gleichheit geprägt.“99 Gerade die Politiker dieses Wirtschaftssystems behandeln die sozialen und gesundheitlichen Probleme „[…] zumeist als völlig unabhängige Phänomene […]“, für deren Lösung wir in Folge „[...] Ärzte und Krankenschwestern, [...], Nachhilfelehrer und

92

Layard, R. (2009) S.65 Layard, R. (2009) S.66 94 Neumann, M. (2012) S.21 95 Vgl. Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S.57-58 96 Baudrillard, J. Auflage (2015): Die Konsumgesellschaft: Ihre Mythen, ihre Strukturen, Dresden: Springer VS, S.68 97 Gilding, P. (2012), S.300 98 Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S.255 99 Jungclaussen, J.F.; Tenbrock, C. im Interview mit Wilkinson, P. (2010, editiert 2017), "Die Mittelklasse irrt" http://www.zeit.de/2010/13/Wohlstand-Interview-Richard-Wilkinson [18.10.2017] 93

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Erziehungspsychologen, […] Sozialarbeiter und Entziehungskliniken oder Psychiater und Gesundheitsexperten“ bezahlen.100 Absurderweise werden all diese Ausgaben im Rahmen des Bruttoinlandsproduktes positiv bewertet. Es ist die Aufgabe eines funktionierenden Sozialsystems, dass all diese Ausgaben möglichst geringgehalten werden und die Lebensqualität und der Wohlstand der Bevölkerung gewährleistet ist. Jedoch scheinen die unterschiedlichen Absichten von sowohl Wirtschaft als auch Politik mit den Interessen der Gesellschaft im Widerspruch zu stehen. Der derzeitige „Indikator für Wohlstand“ eines jeden Landes kann diesen Ansprüchen jedenfalls nicht gerecht werden.

4. Gleichheit, Gerechtigkeit und Vertrauen durch gesellschaftlichen Wandel

Abbildung 5, Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S.245

(...) Unserer Ansicht nach hat der Bevölkerungsdruck auf der Erde bereits eine solche Größe erreicht und ist gleichzeitig so ungleichmäßig verteilt, dass allein das schon die Menschheit veranlassen muss, einen Gleichgewichtszustand anzustreben.

Club of Rome101

Ging es früher noch um die Gerechtigkeitsfrage und Hoffnung, die Wohlhabenderen zu einer altruistischen Handlung gegenüber den Ärmeren zu überreden, wissen wir heute über die vielen Konsequenzen „struktureller Ungleichheit“ und die Auswirkung dieser auf soziale

100

Vgl. Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S.40-41 Club of Rome, https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/meadows_u_a_die_grenzen_des_wachstums_1972_1373.htm [30.10.2017] 101

22

Schichten Bescheid. Die noch nicht ausreichend definierten Fragen nach Moral und Gerechtigkeit richten sich dabei an „[…] keine verbindlichen Kriterien, sondern lassen große Spielräume offen, die je nach eigener Interessenslage genutzt werden.“ 102 Angesichts dieser fatalen Konsequenzen für die Umwelt als auch die Gesellschaft, müssten sich die sozialpolitischen als auch die ökologischen Ziele eigentlich ergänzen.103 Die „Zentralnormen Freiheit und Gleichheit“ haben sich „im historischen Entwicklungsprozess theoretischer Politik-Konzepte der letzten Jahrhunderte [zwar] immer stärker durchgesetzt […]“104, jedoch handelte es sich dabei angesichts des derzeitigen Zustandes offenbar doch nur um „politische Leisetreterei“105. Das geopolitische Ziel das es zu erreichen gilt, ist es die Ungleichheit abzuschaffen. Dabei geht es nicht darum, dass die Gleichheit im Gesetz fest verankert werden soll, sondern jedem Menschen von Geburt an die gleichen Voraussetzungen zu gewährleisten.

Angesichts

derzeitiger

politischer

und

wirtschaftlicher

Machtverhältnisse

und

Interessenskonflikte, muss es dafür einen gesellschaftlichen Wandel geben, der diesen Prozess

vorantreibt.106

Claudia

von

Braunmühl,

eine

Vertreterin

der

Postwachstumsgesellschaft, sieht ein erhebliches Entwicklungspotenzial seitens der gleichberechtigten Bürgerschaft. Laut ihrer Erhebungen hat die Zahl direkter Bürgerbeteiligungen in Deutschland in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Auch die Auswertung dieser Beteiligungen gebe „Anlass zu Hoffnung“. Denn „die BürgerInnen […] fühlen sich besser informiert, räsonieren reflektierter und politisch wacher, lernen, von Autoritäten Rechenschaft einzufordern und mit offenen Situationen und einer Vielfalt moralischer Vorstellungen umzugehen.“107 Die Frage die sich stellt ist, wie man diese soziale Bewegung führen und fördern kann?

4.1 Gleichheit und Vertrauen Ein wichtiger Angriffspunkt für den sozialen Wertewandel ist das gegenseitige Vertrauen innerhalb einer Gesellschaft. Aber in welchem Zusammenhang steht das Vertrauen mit dem

102

Glatzer, W.; Habich, R.; Mayer, K.U.; Hrsg. (2002): Sozialer Wandel und gesellschaftliche Dauerbeobachtung, Opladen: Leske & Budrich, S.159 103 Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S.245, 265 104 Bermbach, U. (1991): Demokratietheorie und politische Institutionen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 194 105 Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S. 265 106 Vgl. Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S. 264 ff.

107 Seidl, I.; Zahrnt, A. (2010), S.194

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Gleichheitsbegriff? Der World Happiness Report 2017108 erklärt Norwegen für das glücklichste Land der Welt. Andere nordische Länder und die Schweiz folgen dicht dahinter. Doch dafür ist nicht nur das allgemein höhere Durchschnittseinkommen verantwortlich, wie ich bereits in den vorherigen Abschnitten erörtert habe. Denn gerade der geringe Einkommensunterschied ist hier entscheidend. Laut Wilkinson und Pickett bedeutet weniger Ungleichverteilung und Leben in sozialer Gemeinschaft höheres Vertrauen innerhalb einer Bevölkerung. In der „nordischen Gleichberechtigungsgesellschaft“ genießt das Vertrauen inzwischen einen hohen Stellenwert.109 Dies äußert sich deutlich, denn „mehr als 75 Prozent aller Norweger meinen, dass den meisten Menschen zu trauen ist.“110

Abbildung 6, Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S.69

4.2 Kleine Schritte bis zum Ziel

Um einen Wertewandel zu sozialer Gemeinschaft zu erreichen, muss den Menschen mehr Sicherheit gegeben und Ängste genommen werden, die durch das heutige gesellschaftspolitische System entstehen. Denn dies schafft ebenfalls zu Vertrauen. Sie 108

http://worldhappiness.report/ [30.10.2017] Lipponen, P. (2014): Die Vernunft siegt, Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag, S.17 110 o.V., Welt N24, Darum sind Skandinavier glücklicher als wir (2017), https://www.welt.de/vermischtes/article162994801/Darum-sind-Skandinavier-gluecklicher-als-wir.html [30.10.2017] 109

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müssen überzeugt werden, dass „[…] Gleichheit nicht nur einen Platz für sie hat, sondern ihnen auch ein erfülltes Leben ermöglicht, das keine von Hierarchien und Ungleichheit geprägte Gesellschaft der Welt bieten kann.“111 In den letzten Jahrzehnten ließ sich ein erreichbarer Konsens beobachten, in dem versucht wird „[…] die Problematik extremer Armut und extremen Reichtums zu bewältigen.“112 Jedoch geht es um viele kleine Meilensteine, die bis zum letztendlichen Ziel erreicht werden müssen. So muss die Bedeutung von Gleichheit als gemeinschaftliches Interesse erst innerhalb der reicheren Länder vermittelt, das Beziehungsverhältnis, in welchem die Menschen zueinanderstehen, geklärt und der Grundsatz von Gleichheit als sozialer Wert verankert werden. Erst dann wird die Bevölkerung insgesamt offener für die Nöte der ärmeren Bevölkerung sein. Zudem brauchen die Menschen „[...]eine Vision davon, wie sie die notwendigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen erreichen lassen.113

Der freie Markt reagiert eben wenig auf die Begrenztheit der Ressourcen114 und auf das Wohlbefinden der Bevölkerung. Dass dies ein Paradoxon ist, wurde bereits dargelegt. „Dennoch lässt die Tatsache, dass unser gegenwärtiger Umgang mit den Kräften des Marktes uns an den Rand des Kollapses treibt, nur einen Schluss zu. Wir müssen unser Wirtschaftssystem von Grund auf umstrukturieren […], denn unser jetziger Ansatz funktioniert offensichtlich nicht besonders gut.“115 Wie es um das Glück der Gesellschaft steht und wie dieses als alternativer Ansatz für ein gesundes Wirtschaftswachstum genutzt werden kann, möchte ich im Folgenden genauer beleuchten.

„Wachstum ist ein Ersatz für Lohngleichheit.

Solange es Wachstum gibt, gibt es Hoffnung und das macht große Einkommensunterschiede erträglich.“ Henry Wallich116

111

Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S. 265 Glatzer, W.; Habich, R.; Mayer, K.U.; Hrsg. (2002), S. 159 113 Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S. 263 ff.

114 Seidl, I.; Zahrnt, A. (2010), S.41 115 Gilding, P. (2012), S.293 116 Wallich, H. zitiert in Gilding, P. (2012): Die Klimakrise wird alles ändern. Und zwar zum Besseren, Freiburg im Breisgau: Verlag Herder GmbH, S. 297 112

25

D. Alternative Wohlstandsindikatoren

Bisher misst das Bruttoinlandsprodukt als weltweit einziger Indikator den “Wohlstand“ der Menschen. Jedoch konnte bereits deutlich gemacht werden, dass das BIP über den tatsächlichen Wohlstand einer Bevölkerung nicht genug aussagekräftig ist. Zudem lässt es den Faktor Nachhaltigkeit völlig außer Acht. Daher ist es einleuchtend, dass nur die falsche Politik verfolgt werden kann, wenn ständig ein falscher Maßstab zu Messung als Entscheidungsgrundlage herangezogen wird.117 Im Folgenden soll kurz definiert werden, wie Indikatoren definiert sind und was einen „guten Indikator“ ausmacht. Außerdem werden Alternativindikatoren und Ergänzungsvorschläge zum BIP vorgestellt.

1. Definition eines Indikators

Indikatoren geben Auskunft über Entwicklungen, Tendenzen, Fortschritte oder Rückschritte des indizierten Gegenstands einer Betrachtung118. „Die mit ihrer Hilfe generierten Informationen können der Identifikation von Problemen dienen oder durch Soll-Ist-Vergleiche Steuerungsbedarf aufweisen.“119 Einleuchtend ist daher, dass die Auswahl der geeigneten Indikatoren sehr ursächlich für relevante Entscheidungen sind und sehr aussagekräftig für das zu betrachtende System sind.120

2. Bestehende Alternativen zum derzeitigen Indikator für Wirtschaftswachstum

„Wenn wir anerkennen, dass ein noch höherer materieller Lebensstandard uns kaum noch

etwas nützen kann, dann sollten wir uns als die erste Generation begreifen, die nach gänzlich neuen Wegen zur Verbesserung unserer Lebensqualität suchen muss.“121

Zur alternativen Wohlstandmessung gibt es bereits einige Entwicklungen, die den derzeitigen Indikator um weitere Teilindikatoren ergänzen sollen. Hierbei stehen zum ersten Mal die 117

o.V., Handelsblatt, Alternativen zum BIP. Die schwierige Kunst, den Wohlstand zu berechnen,http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/oekonomie/wissenswert/alternativen-zum-bipdie-schwierige-kunst-den-wohlstand-zu-berechnen-seite-2/3770314-2.html [07.11.2017] 118 Littig, B.; Grießler, E. (2004): Soziale Nachhaltigkeit, Wien: Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, S.82, S.79 119 Vgl. Ackeren/Hovestadt 2003: 25, 29 zitiert in: Bormann, I.; de Haan, G.; Hrsg. (2008) Kompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S.254 120 Vgl. Bormann, I.; de Haan, G.; Hrsg. (2008), S.254 121 Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S. 44

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Themen soziale Nachhaltigkeit, Wohlbefinden und Glück im Fokus. Jedoch scheitern diese hauptsächlich an der fehlenden internationalen Vergleichbarkeit mit anderen Ländern.122

Bei der Diskussion über Wachstum, Wohlstand und Wohlbefinden unter Leitung des Roman Herzog Instituts werden einige dieser Alternativen vorgestellt: Als monetär ausgewiesene Größen wird der Genuine Progress Indicator (GPI), sowie der Index of Sustainable Economic Welfare (ISEW) genannt. Dieser wird berechnet, indem produktive aber „[…] unentgeltlich erbrachte Tätigkeiten wie etwa ehrenamtliche Arbeit oder Hausarbeit hinzuaddiert […]“ werden. Die Kosten für Zugriff auf natürliche Ressourcen, sowie Luftverschmutzung und Kriminalität werden vom GPI abgezogen. Daneben gibt es andere Indikatoren die auf nichtmonetären Größen basieren. Der Human Development Index (HDI) betrachtet beispielsweise die Lebenserwartung, den Bildungstand und den materiellen Lebensstandard der Bevölkerung und orientiert sich zur Berechnung dabei an mehreren Teilindizes. Der Index of Economic Wellbeing (IEW-B) wird aus je einem Maß für Konsum, Vermögen, Einkommensverteilung und wirtschaftliche Sicherheit für die USA und Kanada berechnet. Daten wie Lohnhöhe, Selbstmordquote und Kinderarmut, Bildung, Status von Frauen, Militärausgaben und kulturelle Vielfalt werden in den USA mithilfe vieler Einzelindikatoren berücksichtigt und im Index of Social Health (ISH) und Index of Social Progress (ISP) aufgeführt. Doch man versucht auch die Lebensqualität anhand vieler einzelner Anzeiger zu messen, um einen Bezug zur Wohlergehen und Wohlstand der Bevölkerung herzustellen. Zur Erhebung des Happy Planet Index (HPI) wird beispielsweise die Lebenserwartung, der ökologische Fußabdruck und die Lebenszufriedenheit der Bevölkerung herangezogen. Beim Sustainable Society Index (SSI) gehen neben dem BIP verschiedene Teilindizes wie Energieverbrauch, Biodiversität und Staatsverschuldung mit ein.123 Neben bereits 2006 festgesteckten Nachhaltigkeitszielen124 der Europäischen Union125, konzentriert sich Österreich unteranderem seit mehreren Jahren auf Themen

wie

Gesundheit,

Zufriedenheit

und

Glück.

Im

Fachbereich

der

Bundesarbeiterkammer Österreich plädieren Beate Littig und Erich Grießler dabei auf ein Minimum von drei Kernindikatoren der sozialen Dimension von Nachhaltigkeit. Der erste Indikator umfasst hierbei die Lebensqualität und die Befriedigung von Grundbedürfnissen, der 122

Neumann, M. (2012), S.14 Neumann, M. (2012), S.14, Vgl. Anhang 124 Ausschnitt aus erneuerter EU-Nachhaltigkeitsstrategie siehe Anhang 125 o.V. Umweltsituation Nachhaltigkeitsstrategien http://www.umweltbundesamt.at/umweltsituation/nachhaltigkeit/nachhaltigkeitsstrategien/ [07.11.2017] 123

27

zweite

und

dritte

Kernindikator

betrachten

die

soziale

Gerechtigkeit

im

Nachhaltigkeitsdiskurs.126

Es bleibt jedoch die Frage im Raum, wieso trotz all dieser Bemühungen und dem Bestehen solch aussagekräftiger Teilindikatoren kein maßgeblicher Fortschritt innerhalb dieser wichtigen und fundamentalen Aufgaben erkannt werden kann, obwohl dies längst an der Zeit wäre. Werden all diese Beispiele für brauchbare, zukunftsorientierte Indikatoren nur aus dem Grund nicht als BIP-Ersatz angesehen werden, da es ihnen an internationalen Vergleichswerten mangelt?127 Auch, wenn die Entwicklungen aktueller Statistiken noch nicht vollständig ausreichend sind, wären diese Entwicklungen eine durchaus gute Ausgangsbasis für fundamentale Veränderungen hin zu höherer Lebensqualität. Entscheidend ist nur die sofortige Umsetzung.

Es muss sich einem neuen Fortschrittsmodell zugewandt werden um einen zukünftigen Kollaps zu verhindern.128 „Wir brauchen eine neue Wirtschaftsformel – einen neuen Satz sozioökonomischer Verfahrensregeln, unter denen die unsichtbare Hand zugunsten einer humanistischen Wirtschaft wirkt und nicht in die Richtung der Selbstzerstörung. Aber dafür müssen wir nicht Tausende von Details ändern, mit denen die Mittel verteilt werden, sondern bloß eine einzige Grundvoraussetzung: dass sich nicht länger das Anwachsen toter Materie am besten verzinst, sondern Leben.“129 Im Auftrag der von der deutschen Industrie unterstützten „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ hat Ulrich van Suntum, Leiter des Zentrums für angewandte Wirtschaftsforschung an der Universität Münster, einen Lebenszufriedenheitsindikator (Glücks-BIP) für Deutschland entwickelt.130 Aus diesem Versuch der Berechnung eines auf Lebenszufriedenheit basierenden Wirtschaftsindikators schloss auch Suntum, dass das Glück der Menschen nicht vom BIP alleine abhängig sei. Daraus geht hervor, dass es neben dem finanziellen Wohlstand noch viele weitere Faktoren gibt, die für die Lebenszufriedenheit eine Rolle spielen. „Nicht alle diese Faktoren sind politisch

126

Vgl. Littig, B.; Grießler, E. (2004), S.82 Vgl. Neumann, M. (2012), S.14 128 Gilding, P. (2012), S.256 129 Weber, A. (2008), S.147 siehe auch: die Weber’s Zehn Gebote des humanistischen Wirtschaftens, Anhang 130 Fremuth, M.L.; Kulessa, M.; Weiler, T (Hrsg.) (2010): Glückseligkeit des Drachens. Die Philosophie des Glücks in Bhutan und anderswo, Universität zu Köln, S. 53 127

28

beeinflussbar, aber viele sind es eben doch.“131 Als Beispiel für solche Werte nennt er sowohl den sicheren Arbeitsplatz, der nicht nur wegen des gesicherten Einkommens als Glücksfaktor diene, als auch den gesellschaftlichen Status und das daraus entstehende Selbstwertgefühl.132 Welches Potenzial die Ausrichtung nach dem Glück als „Leitprinzip der humanen Ethik“133 birgt und welche Faktoren es sind, die unser Glück und die Lebensqualität bestimmen werde ich im Weiteren definieren.

E. Glück als Determinante der Wirtschaft

„Ich brauche wohl nicht zu bemerken, dass ein Stillstand in der Kapital- und Bevölkerungszunahme nicht notwendig auch einen Stillstand des menschlichen Kulturfortschritts in sich schließt. Der Spielraum für alle geistige Kultur, für alle sittlichen und gesellschaftlichen Fortschritte würde noch ebenso groß sein, es wäre noch ebenso viel Raum

da für die Verschönerung der Lebenshaltung und auch viel mehr Wahrscheinlichkeit für deren Fortschritte, wenn die Gemüter nicht mehr so ausschließlich durch die Sucht, nur wirtschaftlich vorwärts zu kommen, in Anspruch genommen wären.“134 John Stuart Mill (1871)

Eine zukünftige nachhaltige Entwicklung ist also derzeit von höchster politischer und wirtschaftlicher Priorität. Doch nicht nur die ökologische Nachhaltigkeit, sondern auch die soziale Nachhaltigkeit spielt dabei eine entscheidende Rolle. Vielfach diskutiert wird seit geraumer Zeit das Glück der Bevölkerung, welches in den letzten Jahrzehnten auch in den Wirtschaftswissenschaften zunehmende Aufmerksamkeit erfuhr.135 Doch wie können diese sozialen und ökonomischen Dimensionen gemessen und damit kontrolliert werden? Dieses Problem ist, wie bereits erläutert, ein geopolitisches. Jedoch will ich im Folgenden anhand der Bundesebenen Österreich und Deutschland vor allem bereits entwickelte Länder genauer in Betracht ziehen, um die politischen Voraussetzungen eingehender zu analysieren. Vorab setze

131

Vgl. v. Suntum, U.; Prinz, Aloys (2010): Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden in Deutschland: Studie zur Konstruktion eines Lebenszufriedenheitsindikators, Centrum für angewandte Wirtschaftsforschung Münster 132 Vgl. ebd.

133 Layard, R. (2009), S.140 134 John Stuart Mill (1871) in: Gilding, P. (2012), S. 256 135 Pfaff, T. (2011): Das „Bruttonationalglück“ als Leitlinie der Politik in Bhutan – eine ordnungspolitische Analyse, Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Bd. 62, Stuttgart: Lucius & Lucius, S.365

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ich mich mit den Fragen auseinander, wie der Glücksbegriff zu definieren ist, wie man Lebensqualität erreicht und misst und wie diese Zustände im Wohlstand der Bevölkerung indiziert werden können.

1. Der Glücksbegriff

Wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln erläutert, haben „umfangreiche weltweite Umfragen […] gezeigt, dass in den westlichen Industrieländern kaum noch ein Zusammenhang zwischen der Steigerung des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf und der Lebenszufriedenheit besteht.“136 Zudem sind die Menschen erwiesenermaßen nicht glücklicher als vor 50 Jahren - „und das, obwohl sich das reale Durchschnittseinkommen in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt hat.“137 Um darauf einzugehen, was für die Menschen Lebenszufriedenheit und Lebensqualität bedeutet, muss der Begriff Glück zunächst genauer definiert werden.

1.1. Die Geschichte des Glücks

„Die Philosophie des Glücks geht auf das Zeitalter der Aufklärung im 18. Jahrhundert zurück, insbesondere auf den Philosophen Jeremy Bentham“138, der das Prinzip des größten Glücks prägte. Seiner Ansicht nach ist eine Gesellschaft, in der die Menschen am glücklichsten sind, die Beste. Daraus folgt, dass auch die beste Politik diejenige ist, die den Menschen am meisten Glück bringt und eines jeden moralischen Verhalten das Beste ist, welches für alle Menschen zu größtmöglichem Glück führt.139 Das Ideal „Streben nach Glück“140 war Baustein des sozialen Fortschritts der vergangenen 200 Jahre. Jedoch blieb dieses nur schwer umsetzbar, da niemand genau sagen konnte, was menschliches Glück eigentlich ist und was die Menschen glücklich macht. Außerdem wurde kritisiert, dass Glücksvergleiche nicht möglich sind: „wenn Person A sagt, sie sei glücklich, und Person B sagt, sie sei unglücklich, folgt daraus nicht, dass A glücklicher als B ist.“141 In diese sich im Laufe des 20. Jahrhunderts durch Kritik am

136

Ruckriegel, K. (o.J.): Glücksforschung - Erkenntnisse und Konsequenzen, Nürnberg, http://www.ruckriegel.org/papers/Gluecksforschung_wisu_8_9_2010.pdf [05.12.2017] 137 Layard, R. (2009), S.13 138 Layard, R. (2009), S.14f.

139 Layard, R. (2009), S.15 140 Vgl. Amerikanische Unabhängigkeitserklärung 141 o.V., Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 14.01.2007, Nr. 2 / Seite 28, Ökonomen auf Abwegen, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/gluecksforschung-oekonomen-auf-abwegen1411233.html [11.12.2017]

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Bentham’s Utilitarismus bildende Lücke trat „[…] die Nicht-Philosophie des grenzenlosen Individualismus“, welcher den Menschen jedoch bestenfalls das Bild der Selbstverwirklichung zu bieten hat. 142 Das Modell von Bentham, basiert wie die gegenwärtige Glücksforschung auf den Gefühlen der Menschen. Im Gegensatz zu damals müssen wir uns heutzutage nicht mehr auf Spekulationen verlassen, sondern „[…] können die Philosophie der Aufklärung mit fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Anwendung bringen.“ 143 Durch Befragungen und Messung von Hirnströmen ist es uns inzwischen möglich, die verschiedenen Zustände des Glücks zu definieren.144

1.2. Definition von Glück

Die

Glücksforschung,

als

eine

in

den

letzten

Jahren

rasant

wachsende

Wissenschaftsdisziplin145 beschäftigt sich weniger mit dem aus Zufall entstehenden Glückhaben, als mit dem subjektiven Wohlbefinden, also dem individuellen Glücklichsein.146 Dabei unterscheidet Karlheinz Ruckriegel zwischen: - „Emotionalem Wohlbefinden (Pleasure), d.h. momentanes Glücklichsein aufgrund positiver und fehlender negativer Gefühle […]“ und - „[…] Kognitivem Wohlbefinden (Happiness), d.h. Glücklichsein als andauerndes Gefühl und generelle Zufriedenheit mit dem Leben.“147,148 Es geht beim emotionalen Wohlbefinden also „[…] um das Wohlbefinden, das Menschen erleben, während sie ihr Leben leben. Beim kognitiven Wohlbefinden geht es hingegen um den Grad der Zufriedenheit mit dem Leben. Es findet eine Abwägung zwischen dem, was man will (den Zielen, Erwartungen und Wünschen), und dem, was man hat, statt.“149 Diese Art zu Urteilen und zu Vergleichen bestimmt somit die Ziele die sich jeder Mensch für sich selbst

142

Layard, R. (2009), S.16 ebd.

144 Layard, R. (2009), S.17 145 Mann, S. (2009): Markt, Glück und Staat, Wie Wirtschaft und Politik zu unserem Glück beitragen können, Moers: Brendow & Sohn Verlag, S.39 146 Ruckriegel, K. (o.J.), http://www.ruckriegel.org/papers/Gluecksforschung_wisu_8_9_2010.pdf [05.12.2017] 147 ebd.

148 Versuch einer weiteren begrifflichen Erklärung von Lebensqualität siehe Anhang 149 Ruckriegel, K. (o.J.), http://www.ruckriegel.org/papers/Gluecksforschung_wisu_8_9_2010.pdf [05.12.2017] 143

31

setzt150 und zeigt, dass die Bedürfnisse eines Menschen auch von dem gegenwärtigen und sozialen Umfeld abhängen.151

2. Was macht uns glücklich?

„Wenn wir wissen wollen was uns tatsächlich mehr Lebensglück bringt, dann müssen wir herausfinden, […] unter welchen Umständen wir glücklich leben können und wie wir diese Umstände schaffen können.“152 Da Wirtschaftstheoretiker die Bedürfnisse der Menschen lange als gegeben annahmen, war die Frage nach Art ihrer Sehnsüchte für die meisten Ökonomen sehr lange Zeit sinnlos. Ihrer Meinung nach bestand die Magie des Marktes gerade darin, dass dieser eine automatische Befriedigung für jeden Wunsch schafft – solange eben nur die Nachfrage bestand.153 Mit der Voraussetzung von gegebenen Bedürfnissen wurde demnach das BIP zum Gradmesser des Glücks und Lebenszufriedenheit eines Landes erhoben und beherrscht das Denken vieler Politiker.154 So könnte das derzeitige System uns glauben machen, dass unsere Wünsche unersättlich seien?155

Für Layard liegt der Schlüssel zum Glück in der Macht der Gesellschaft. Er fokussiert sich dabei auf mehrere wichtige Bedürfnisse eines Menschen und untersucht was diese für das Glücklichsein der Gesellschaft bedeuten. So hängen die Bedürfnisse eines Jeden stark davon ab, was andere besitzen oder an welchen Standard wir uns gewöhnt haben und kreieren somit untereinander einen Statuswettlauf. Dabei werden wir von Bildung ebenso beeinflusst wie von Fernsehen und Werbung. Im Weiteren fürchten wir, laut Layard, Arbeitslosigkeit, Armut und Kriminalität, was unser Bedürfnis nach Sicherheit ebenfalls zu einem wichtigen Bestandteil unseres Wohlbefindens macht. Ein weiteres Grundbedürfnis das zum Glücklichsein beiträgt ist, dass wir unseren Mitmenschen vertrauen können wollen.156 Dies belegt das Ergebnis des erst vor kurzem veröffentlichten Weltglücksberichts157, in dem Norwegen als Land mit den glücklichsten Menschen gewählt wurde. „Die Skandinavier 150

Ruckriegel, K. (2016): Glücksforschung auf den Punkt gebracht, Nürnberg: Fakultät der Betriebswirtschaft, S. 3 f.

151 Frey/Frey Marti, S. 17 f. in: Ruckriegel, K. (o.J.) 152 Layard, R. (2009), S.14 153 Weber, A. (2008), S.103 154 Layard, R. (2009), S.16 f.

155 Weber, A. (2008), S.103 156 Vgl. Layard, R. (2009) S.18 f.

157 http://worldhappiness.report/ed/2017/

32

vertrauen nicht nur den Behörden, der Polizei und der Justiz mehr als die Menschen in anderen Ländern, sondern auch einander: Mehr als 75 Prozent aller Norweger gaben an, dass den meisten Menschen zu trauen sei.“158 So stellen sich die Fragen, wie ein umfassender Rahmen geschaffen werden kann, indem der Mensch wieder als wertvoller Teil einer Gesellschaft betrachtet wird159 und wie diese Gemeinschaft dafür sorgen kann, dass das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen zunimmt?160

2.1 Glücksfaktoren

Neben Layard161 fasst auch Karlheinz Ruckriegel die durch die Glücksforschung bisher herausgearbeiteten Glücksfaktoren162 zusammen: 1. Soziale Beziehungen und Zugehörigkeit Als wichtigster Glücksfaktor gelten gelingende, liebevolle soziale Beziehungen (Partnerschaft, Familie, Kinder, Freunde, Nachbarschaft, Arbeitskollegen, ...). Die Goldene Regel der Ethik, Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst, gilt entlang sämtlicher Kulturen und Religionen und taucht in der griechischen Philosophie, im Buddhismus, im Christentum, im Judentum, im Hinduismus, im Daoismus und im Islam auf. Auch bei Immanuel Kant findet die Regel seinen Niederschlag.163 2. Physische und psychische Gesundheit 3. Engagement und befriedigende Erwerbs- und/oder nicht Erwerbsarbeit (Erfahrung der Kompetenz) Nicht nur Erwerbstätigkeiten, sondern auch ehrenamtliche Tätigkeiten gelten als bedeutsam und glücksfördernd. „Studien zeigen, dass eine ehrenamtliche Tätigkeit mit einer höheren Lebenszufriedenheit und einer positiven Stimmung verbunden ist. Dies beruht darauf, dass eine ehrenamtliche Tätigkeit Sinn schafft (sinnvolles Tun), Alternativen bei Ausscheiden aus dem Arbeitsleben bietet, Stress in Zeiten persönlicher Krisen entgegenwirkt, soziale Interaktionen ermöglicht und soziale Unterstützung liefert und - das Selbstvertrauen erhöht.“

158

o.V. (2017): Norweger fühlen sich am glücklichsten, Zeit Online, http://www.zeit.de/gesellschaft/201703/weltgluecksbericht-norwegen-zufriedenheit-jeffrey-sachs [09.12.2017] 159 Layard, R. (2009) S.146 160 Layard, R. (2009) S.18f.

161 Tabelle: Was beeinträchtigt unser Glück? Siehe Anhang 162 Ruckriegel, K. (2016), S.6 ff.

163 Immanuel Kant’s Kategorischen Imperativ: "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde."

33

4. Persönliche Freiheit (Erfahrung der Autonomie) Ebenfalls von großer Bedeutung ist ein gewisses Maß an persönlicher Freiheit und das Gefühl zu haben auf sein eigenes Leben Einfluss nehmen zu können.

5. Innere Haltung Jedoch hängt das Glück des Einzelnen auch von der inneren Einstellung ab. Wichtig für unser Glücksempfinden sind auch die Einstellungen im Hinblick auf Dankbarkeit, Optimismus164, Vermeidung von sozialen Vergleichen und Lebensphilosophie (Spiritualität, d.h. eine persönliche Suche nach dem Sinn des Lebens bzw. Religiosität)165. Eine Studie des Max-PlanckInstituts zeigt deutlich, dass positive innere Eigenschaften wie Mitgefühl, Güte, Großzügigkeit oder Selbstlosigkeit als Potenzial in allen Menschen verankert ist.166 Die Erkenntnisse, die unter dem Schlagwort Positive Psychologie bekannt wurden, zeigen Wege die negativen Gedanken auszuräumen und unsere positiven inneren Kräfte zu stärken. Einige dieser Erkenntnisse sind so alt wie die Menschheit selbst und finden sich im Buddhismus und anderen religiösen Traditionen, die spirituelle Versenkung lehren.“167 6. Mittel zur Befriedigung der materiellen (Grund)-Bedürfnisse Schließlich geht es darum, dass genügend Einkommen vorhanden ist, um unsere materiellen Grundbedürfnisse zu decken und eine finanzielle Sicherheit gewährleistet ist. Darüber hinaus konnte bereits geklärt werden, dass mehr Einkommen das subjektive Wohlbefinden nicht oder kaum mehr steigern kann. Vielmehr ist das relative Einkommen, also der Vergleich zu anderen, für den Einzelnen entscheidend.

Im Vergleich haben das Alter, das Geschlecht, das Aussehen, die Intelligenz und die Bildung keine oder nur sehr geringe Auswirkungen auf unser Empfinden von Glück.168

2.2 Glück und Politik

Viele der eben behandelten Faktoren wurden im Weltglücksbericht abgefragt. Dieser verbindet die Länderdaten mit der durch Befragungen evaluierte Selbstwahrnehmung der Bewohner und berücksichtigt dabei „[…] das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, die durchschnittliche Lebenserwartung, die gefühlte Unterstützung aus dem eigenen sozialen

164

Schaubild Optimismus, Pessimismus siehe Anhang Ruckriegel, K. (o.J.), http://www.ruckriegel.org/papers/Gluecksforschung_wisu_8_9_2010.pdf [05.12.2017] 166 Tho, H. V. (2017), S. 59 167 Layard, R. (2009) S.20 168 Vgl. Layard (2009), S.76 165

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Umfeld oder Vertrauen in Regierung und Unternehmen mit Blick auf Korruption. Auch die empfundene Freiheit, grundlegende Entscheidungen für das eigene Leben treffen zu können sowie die Großzügigkeit der Befragten bei Spenden fließen in die Bewertung ein. Als negative Faktoren wurden unter anderem Sorgen, Trauer und Wut in die Auswertung einbezogen.“169 Alternativ zur Ausrichtung nach der ursprünglichen Theorie der Marktwirtschaft, ist also auch die Politik danach auszurichten was uns wirklich glücklich macht. Bisher scheitern Regierungen wie die von Deutschland daran, ihren Wählern neue Wege aufzuzeigen, den Lebensstil qualitativ zu verändern.170 Zwar wurde bisher angedeutet, dass in einer „neuen Form“ über Wachstum nachgedacht werden muss171,172, jedoch spiegelt dies die Dringlichkeit unserer ökologischen und sozialen Situation heutzutage nicht angemessen wider. Bei der sich steigernden Ungleichheit, die eine wesentliche Auswirkung auf das Glück und die Zufriedenheit der Bevölkerung hat, sieht die Politik bislang nur ohnmächtig zu.173 Dabei hätte der Staat einige Hebel, um das Glück der Bevölkerung zu fördern.174 Gerade die skandinavischen Länder machen uns vor, wie ein stärkerer sozialer Ausgleich immer noch möglich ist.175

Zunächst haben also alle Menschen gewisse Bedürfnisse, die es zu erfüllen gilt, bevor das Streben nach Glück überhaupt möglich ist. Ha Vinh Tho spricht erst dann von der Erreichung eines sozialen Wohlbefindens. Ähnlich wie Layard sieht Tho das Glück der Menschen also in der Gesellschaft, die die gemeinsame soziale Verantwortung dafür trägt ein Umfeld zu schaffen, in dem wir alle unserem berechtigten Streben nach Glück nachgehen können. 176

169

o.V. (2017): Norweger fühlen sich am glücklichsten, Zeit Online, http://www.zeit.de/gesellschaft/201703/weltgluecksbericht-norwegen-zufriedenheit-jeffrey-sachs [09.12.2017] 170 Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S. 259 und 261 171 Vgl. Videobotschaft Angela Merkel (2010) in Ruckriegel, K. (o.J.), Nürnberg, http://www.ruckriegel.org/papers/Gluecksforschung_wisu_8_9_2010.pdf [05.12.2017] 172 Köhler, Horst (2010) im Geleitwort für Seidl, I., Zahrnt, A. (2010) Postwachstumsgesellschaft 173 Rudzio, K. (2011): Gespaltene Gesellschaft, Zeit Online, http://www.zeit.de/2011/50/SozialeUngleichheit/seite-2 [24.01.2018] 174 Bspw. Steuern für Besserverdiener, Mindestlohn, bessere Bezahlung für Leiharbeiter (siehe Rudzio, K. (2011)) 175 Rudzio, K. (2011): Gespaltene Gesellschaft, Zeit Online, http://www.zeit.de/2011/50/SozialeUngleichheit/seite-2 [24.01.2018] 176 Tho, H. V. (2017), S. 60

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2.3 Nutzt uns Glück in der Wirtschaft?

"In Wahrheit ist dieser Rohstoff die Antriebskraft einer jeden Volkswirtschaft; nicht Öl, nicht Stahl, sondern Zuversicht. Es sind die Optimisten, die die Welt schaffen, in der wir leben.“177

Harvard Studien belegen, dass Glücklichsein zu einer besseren Gesundheit und damit zu einer höheren Lebenserwartung führen.178 Dies resultiert daraus, dass das Glück, das wir aus Beziehungen zu Mitmenschen ziehen eine entscheidende Auswirkung auf unsere Gesundheit hat: „Wer etwas dafür tut, glücklicher zu werden, fühlt sich nicht nur subjektiv besser, sondern hat auch mehr Energie, ist kreativer, stärkt sein Immunsystem, festigt seine Beziehungen, arbeitet produktiver und erhöht seine Lebenserwartung.“179 Grund dafür ist, dass sich das Glücksempfinden eines jeden Menschen auf das Immunsystem, das Stressniveau, Diabetes, Bluthochdruck und sogar Herzinfarkte auswirkt: „ein glückliches Leben korreliert, je nach herangezogener Studie, mit einer um 5-10 Jahre höheren Lebenserwartung.“180 „Außerdem trägt eine vertrauensvolle Beziehung zu einem entspannten Nervensystem und einem gesunden Gehirn bei.“181 So müsste eine glückliche Bevölkerung die eigentliche Antriebskraft des wirtschaftlichen Systems darstellen und die Sicherstellung von Glück oberstes Ziel der Regierung. Schließlich müsste eine florierende Wirtschaft, die auf einer zufriedenen Gesellschaftsstruktur und gesunder Einwohnern aufbaut allen Beteiligten von Nutzen sein?

Dazu muss zunächst der Begriff Nutzen aus ökonomischer Sicht geklärt werden. Eine derzeitige Kosten-Nutzen-Analyse der Politik würde folgendermaßen aussehen: „Verändere die Politik, wenn sie mehr kostet als sie nutzt. Wenn nicht, lass sie, wie sie ist.“182 Das grundlegende Konzept des wirtschaftlichen Nutzens erklärt Layard demnach in der Zahlungsbereitschaft der Menschen: Reichen die öffentlichen Gelder nicht aus, so zahlen die Ausgleichzahlung die Verlierer. Denn meist geschehen jene Zahlungen nur auf dem Papier.

177

„Optimismus – der Rohstoff in uns“, Titelthema Handelsblatt, Wochenendausgabe vom 1./2./3.11.2013, S. 44 in Ruckriegel (2016), S.8 178 Mineo, L. (2017): Good genes are nice, but joy is better, Harvard.edu: https://news.harvard.edu/gazette/story/2017/04/over-nearly-80-years-harvard-study-has-been-showing-howto-live-a-healthy-and-happy-life/ [11.12.2017] 179 Lyubomirsky, S. in Ruckriegel, K. (2016) 180 Esch, T. in Ruckriegel, K. (2016) 181 Eckert, T. (2017): Laut Harvard-Studien brauchen wir genau eine Sache für ein erfülltes Leben, Zeit Online, http://ze.tt/laut-harvard-studien-brauchen-wir-genau-eine-sache-fuer-ein-erfuelltes-leben/ [11.12.2017] 182 Layard, R. (2009), S. 149 f.

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Von Effizienz und Nutzen könnte dann keine Rede mehr sein.183 Wenn man diesen Nutzen jedoch als subjektives Wohlbefinden versteht, dann „[…] muss man sich überlegen, wie man seine Zeit so verwendet, dass man ein hohes Maß an Glück im Leben erfährt.“184 Es ist „[…] also zu klären, wie man das knappe Gut Zeit (Input) so nutzt, dass man letztlich mit seinem Leben in hohem Maße glücklich (Output) ist.“185 Auch für die Unternehmen selbst sind glückliche Mitarbeiter von großem Vorteil. „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit ihrem Leben generell und in ihrem Job im Speziellen zufrieden sind, sind produktiver. Als Folge davon sind ebenfalls die Kunden glücklich und entwickeln eine Firmentreue. Und wenn Mitarbeitende und Kunden zufrieden sind, dann rechnet sich das auch für die Unternehmen.“186 In Bezug auf die Ausübung des Berufes ist von Ruckriegel festgestellt worden, dass glückliche Menschen: 1. „[…] besser mit anderen zusammenarbeiten, 2. kreativer sind, 3. Probleme lösen, statt sich darüber zu beschweren, 4. mehr Energie haben, 5. optimistischer sind, 6. engagierter sind, 7. seltener krank sind, 8. schneller lernen, 9. weniger Fehler machen und mehr aus ihnen lernen sowie 10. bessere Entscheidungen treffen.“187 Da dies sowohl die Mitarbeiter als auch Manager und Unternehmer selbst betrifft, kann der Glücksfaktor ein entscheidender Einflussfaktor auf die Produktivität der Wirtschaft bedeuten.

Mittlerweile wird die Transformation hin zu einer ökologischen sozialen Marktwirtschaft auch von der Bundesregierung aufgegriffen.188 Es geht nicht mehr nur um den ökonomischen 183

ebd.

Ruckriegel, K. (o.J.), http://www.ruckriegel.org/papers/Gluecksforschung_wisu_8_9_2010.pdf [05.12.2017] 185 Ruckriegel, K. (2016), S.4 f.

186 Frey/Frey Marti, S. 164, in: Ruckriegel, K. (o.J.), http://www.ruckriegel.org/papers/Gluecksforschung_wisu_8_9_2010.pdf [05.12.2017] 187 Ruckriegel, K. (o.J.), http://www.ruckriegel.org/papers/Gluecksforschung_wisu_8_9_2010.pdf [05.12.2017] 188 Vgl. o.V. (2017) Bruttoinlandsprodukt 2016 für Deutschland, Wiesbaden: Pressebroschüre Statistisches Bundesamt, https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressekonferenzen/2017/BIP2016/Pressebroschuere_BIP20 16.pdf?__blob=publicationFile [13.01.2018] 184

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Wohlstand allein, sondern auch um ein Wachstum, das nachhaltigen Wohlstand sichert. „Der von den Ökonomen traditionellerweise verwendete Begriff des Nutzens soll Inhalt bekommen und quantitativ erfasst werden. Die Psychologen haben uns gelehrt, wie Glück gemessen werden kann, was uns ermöglicht, das Nutzenkonzept der Ökonomen mit Leben zu füllen.“189 2.4 Unglück als Volkskrankheit

“Although our political and economic systems are based on the utilitarian philosophy of happiness - the greatest good for the greatest number - they seem to have contributed to our dissatisfaction with life.”

Robert E. Lane (2000)190

Wer das westliche Gesellschaftsmuster in den letzten Jahrzehnten genauer betrachtet, stellt einen seltsamen Widerspruch fest, denn so sehr sich der Lebensstandard verbesserte, so unglücklicher sind die Menschen heutzutage.191 Robert E. Lane erklärt in seinem Buch The Loss of Happiness in Market Democracies: „Wirtschaftswachstum und Depressionszunahme sind statistisch miteinander verbunden.“192 Auch „Psychologen beobachten, dass die Verbreitung von Depressionen in den europäischen und amerikanischen Gesellschaften in den letzten fünfzig Jahren um das Zehnfache zugenommen hat.“193 Das Unglück als Volkskrankheit wird auch seitens „[…]der WHO längst als bedrohlichstes Gesundheitsproblem weltweit identifiziert.“194 Ursächlich sieht Layard negative Entwicklungen wie die Zunahme von gestörten Familienverhältnissen, die gestiegene Kriminalität in den westlichen Ländern und den sich daraus bildenden Vertrauensschwund und fehlendes Sozialleben innerhalb der Gesellschaft.195 Kritiker dieser These argumentieren, dass sich der Anstieg von Depressionskrankheiten durch die Veränderung der ärztlichen Praxis erklären ließe. So seien psychische Erkrankungen früher einfach oft nicht erkannt worden und unsere Maßstäbe für psychische Gesundheit gestiegen. Allein die öffentliche Aufmerksamkeit für einzelne Krankheitsbilder könne ihr tatsächliches oder vermeintliches Auftreten beeinflussen, wofür

189

Frey/ Frey Marti, S.26 in: Fremuth, M.L.; Kulessa, M.; Weiler, T (Hrsg.) (2010), S.56 Lane, R. E. (2000): The Loss of Happiness in Market Democracies, Yale University Press, Abstract 191 Layard, R. (2009), S.13 192 Lane, R. E. in: Weber, A. (2008), S.97 193 Ed Diener und Martin Seligman, a. a. O., S.3 in: Weber, A. (2008), S.97 194 Weber, A. (2008), S.97 195 Vgl Layard, R. (2009), S.91 ff.

190

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exemplarisch die „Modediagnose Burn-Out“ stehe.196 Dennoch hat uns, trotz der seit den fünfziger Jahren entwickelten Medizin gegen psychische Erkrankungen, der Wohlstand in den westlichen Ländern nicht glücklicher gemacht.197 Letztlich entscheidend für die aktuelle Diskussion über einen geeigneteren Wohlstandsindikator ist nämlich die Tatsache, dass, wie bereits in den vorherigen Kapiteln erläutert, die steigende Ungleichheit und der Statuswettlauf Einfluss auf unser Glücksempfinden und damit unsere Lebensqualität haben.

Das derzeitige System „[…] steigert die Lebensqualität der Menschen nicht mehr, nachdem ihre Grundbedürfnisse befriedigt sind.“198 Wir sind also an dem Zeitpunkt angekommen, uns auf das zu besinnen, was fundamental für ein zufriedenes und ausgeglichenes Leben ist, um auf diese Weise ein neues Wirtschaftsmodell zu entwerfen und durchzusetzen. Denn „die einzige Möglichkeit, das Glück zu finden, sei, es nicht zu suchen, sondern stattdessen anderem nachzugehen - das Glück sei ein bloßer Nebeneffekt.“199

F. Bhutan – das Bruttonationalglück

Mit der Entwicklung von neuen Technologien und den damit einhergehenden Möglichkeiten ändern sich mit der Zeit natürlich auch die Erwartungen der Menschen. Jedoch richten sich diese zunehmend immer mehr auf Besitz und Konsum.200 Das kleine Land Bhutan, das sich erst in den 1960er Jahren begann der Weltpolitik zu öffnen, „[…] ist bis heute das einzige Land weltweit, das unmittelbar die Bereitstellung der Bedingungen für das Streben nach Glück als politische Leitlinie verfolgt“201 und bemüht sich in der Verfolgung des Bruttonationalglücks (Gross Happiness Product, GHP) darum, ein Gleichgewicht dieser Erwartungen herzustellen: „Idealerweise sollten diese Erwartungen so geformt sein, dass sie zu einem Lebensstil passen, der ein Gleichgewicht zwischen Tradition und Modernisierung, zwischen materiellen und spirituellen Werten und zwischen materiellem Reichtum und Lebensqualität entspricht.“202 So verfolgt das Königreich ein buddhistisches Entwicklungskonzept, das sich bemüht den

196

Dornes, M.; Altmeyer, M. (2015): Macht der Kapitalismus depressiv?, Die Zeit Online, http://www.zeit.de/2015/02/kapitalismus-depression-untersuchung-studie [14.12.2017] 197 Layard(2009), S.20 f.

198 Gilding, P. (2012), S. 256 199 Mill, J. S. (1861). Selbst wenn diese Behauptung so wahr wäre, dann könnte man indirekt das Glück trotzdem verfolgen, und zwar indem man all die Dinge tut, von denen man weiß, dass sie das Glück befördern.

In: Layard (2009), S.135 200 Fremuth, M.L.; Kulessa, M.; Weiler, T (Hrsg.) (2010): Die Entwicklungsstory von Bhutan nach Karma Ura, S.5 201 Pfaff, T. (2011), S.366 202 Fremuth, M.L.; Kulessa, M.; Weiler, T (Hrsg.) (2010), S.5

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Standard von Lebensqualität und Zufriedenheit einer Gesellschaft auf mehreren Ebenen zu definieren. Der damalige König des kleinen Himalaya-Königreichs, Jigme Singye Wangchuck, erkannte vor rund 40 Jahren „[…] dass er die Schönheit, die sich sein Land in der Abgeschiedenheit von der Welt bewahrt hatte, nur dann für künftige Generationen erhalten konnte, wenn er nicht am Wettlauf der Völker und Nationen um immer mehr Mammon203 teilnähme.“204 So waren Umweltschutz und Nachhaltigkeit bereits in den 1980er Jahren in das politische Konzept des kleinen Staates integriert, bevor solche Themen überhaupt in den öffentlichen Diskurs westlicher Staaten Fuß fassten.205 Im Artikel 9 der neuen Verfassung wird das Staatsziel der Förderung des Gross National Happiness (GNH) definiert, welches die Gesamtbedürfnisse der Menschen mit einbeziehen soll. Dabei geht es sowohl um die physischen und psychologischen als auch um die spirituellen Bedürfnisse.206

1. Die vier Säulen des Bruttonationalglücks

Die vier Säulen beinhalten die neun Gebiete, in denen das Bruttonationalglück wirken soll. Es geht um das psychologische Wohlbefinden, um die Verwendung von Zeit, die Vitalität der Gesellschaft, kulturelle Diversität, ökologische Resilienz, Lebensstandard, Gesundheit, Bildung und Good Governance.207 Die vier Pfeiler sind dabei im doppelten Sinne zu verstehen: „[…] einerseits tatsächlich als tragende Stützen einer sozialen Struktur, als Regierungsstruktur oder als Vorgabe für jedes Wirtschaftsgebilde. Sie bezeichnen zugleich aber auch eine Seelenhaltung“208 und benennen die für das System fundamentalen Werte: •

„Eine gerechte und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft

•

Der Schutz der natürlichen Umwelt und die Stärkung ihrer Widerstandsfähigkeit

•

Die Bewahrung und Förderung traditioneller, kultureller Werte der Menschen

•

Die Förderung einer guten Regierungsführung bzw. Leitung eines Unternehmens“209

203

Geld, Reichtum Tho, H. V. (2017), S. 125 205 Pfaff, T. (2011), S.366 206 ebd.

207 o.V (2015): Bruttonationalglück in Buthan, Lexikon der Nachhaltigkeit, https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/bruttoinlandsglueck_in_buthan_1869.htm [5.1.2018] 208 Tho, H. V. (2017), S. 131 209 ebd.

204

40

Richard Layard fehlt in den westlichen Ländern ein umfassender Rahmen, der den Menschen als Teil der Gesellschaft betrachtet210 - das Wirtschaftssystem des GHP hingegen, sieht das Glück des Individuums im Kontext des allgemeinen Wohlstandes und der Lebenszufriedenheit der Gesellschaft und schafft somit einen ganzheitlichen Rahmen, um die Voraussetzungen für ein glückliches Leben zu schaffen.

Gemessen wird das Glück der Einwohner mithilfe von Fragebögen. In bestimmten Zeitabständen werden die Bewohner selbst in den entlegensten Tälern besucht und somit wird der Prozess der Wandlung im Land aufs Genaueste mitverfolgt. Das Centre of Bhutan Studies and GNH Research bewertet anschließend den benötigten Transformationsprozess und korrigiert in gegebenenfalls. Es zeigt somit eine „auf eine wissenschaftliche Expertise gegründete Methode, den Fortschritt jederzeit und exakt zu taxieren und in statistisch ausgefeilten Berechnungen darzustellen. Das eröffnet den Politikern des Landes die große Chance, lenkend in den Entwicklungsprozess211 einzugreifen.“212 Jedoch kommt auch den Bürgern Bhutans eine wichtige Rolle zu, da sie viele Angelegenheiten selbst auf lokaler Ebene entscheiden dürfen. Die Regierung ist der Meinung, dass die Menschen vor Ort viel besser einschätzen können, welche Veränderungen benötigt werden.213 Zu einem dieser Erfolge zählt beispielsweise auch, dass Gesundheitswesen und Unterricht für alle Bewohner Bhutans vollkommen gratis sind.214

2. Gleichheit und Glück in Bhutan

„Wir wissen, dass dauerhaftes, echtes Glück nicht bestehen kann, wenn andere leiden. Wir erreichen es daher nur, wenn wir anderen dienen und in Harmonie mit der Natur leben. Denn Glück entfaltet sich nur, wenn wir die uns zutiefst eigene Weisheit und unser wahres Wesen verwirklichen.“ Ehem. Ministerpräsident Bhutans, Jigmi Y. Thinley215

210

Layard, R. (2009), S.146 Die Entwicklung erfolgt anhand von fünf Leitprinzipien siehe Anhang 212 Tho, H. V. (2017), S. 149 213 Tho, H. V. (2017), S. 152 214 Tho, H. V. (2017), S. 152 215 Tho, H. V. (2017), S. 58 211

41

Laut Karma Ura unterscheidet sich das BNG von der herkömmlichen Entwicklungstheorie so, dass das Glück in westlichen Theorien nicht als Ziel, sondern als mögliches Nebenprodukt von Entwicklung und damit als persönliche Angelegenheit des Individuums angesehen wird, statt als Aufgabe des Staates. Dies würde deutlich, da die Literatur das menschliche Glück als subjektives Wohlsein bezeichnet.216 Jedoch unterscheidet das BNG auch, wie Ruckriegel anführt, zwischen dem angenehmen, oberflächlichen feel-good Gefühl und dem andauernden Glückszustand, den man erreicht, wenn die Entfremdung von anderen Menschen, die Entfremdung von der Natur und die Entfremdung von uns selbst217 überwunden werden. Die buddhistische Perspektive unterscheidet dabei das Glück (Happiness) und Wohlbefinden (Well-being). Zunächst geht es darum alle elementaren Bedürfnisse, wie Wasser, Nahrung, Kleidung, Obdach, Sicherheit und Würdigung, zu befriedigen. Sind diese Bedürfnisse erreicht spricht man von sozialem Wohlbefinden. Diese Unterscheidung ist den Bhutanern insofern besonders wichtig, als dass man sonst denken könnte, das Glück des Einzelnen läge allein in den Händen der Regierung; „Das könnte dann nämlich zu einer psychologischen Diktatur führen.“218 Glück bedeutet demnach „[…] ein aus sich selbst heraus, durch die Ruhe des Geistes erzeugtes Gefühl“219, unter der Voraussetzung, dass jedem von der sozialen Gemeinschaft ein Umfeld geschaffen wurde, dem berechtigten Streben nach Glück nachzugehen.220

Laut Tho Ha Vinh kann erst eine echte Demokratie entstehen, wenn alle Bürger die gleichen Rechte besitzen und auch die gleiche Verantwortung tragen.221 Demnach ist Glück nicht das Ergebnis von Wahlmöglichkeiten, sondern ein sich aus dem Handeln des Individuums innerhalb dieses institutionellen Rahmens ergebendes Glück222 für ein auskömmliches, angenehmes, gesundes und erfülltes Leben.223

216

Vgl. Fremuth, M.L.; Kulessa, M.; Weiler, T (Hrsg.) (2010), S.5 Tho, H. V. (2017), S. 59 218 Tho, H. V. (2017), S. 60 219 Pfaff, T. (2011), S.370 220 Tho, H. V. (2017), S. 60 221 Tho, H. V. (2017), S. 133 222 Frey (1988) in Pfaff, T. (2011), S.370 223 Tho, H. V. (2017), S. 145 217

42

3. Internationales Interesse und Projekte in der Praxis

Es ist zwar keineswegs sicher, dass solch ein soziales Regierungssystem langfristig bei zunehmender Urbanisierung des kleinen Staates Bhutan funktionieren wird224, jedoch gibt es einige Beispiele von Projekten, die die Anwendbarkeit dieses Ansatzes in der Praxis zeigen.

Der Ökonom Tobias Pfaff untersuchte im Rahmen einer ordnungspolitischen Analyse die Parallelen dieses Konzepts zur Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft.225 Ebenfalls für Aufmerksamkeit sorgte die bis heute wirkende Kommunikationskampagne Ministerium für Glück226 in Deutschland, die eine Diskussion über Glück und die Werte Bewusstsein, Reduktion und Zufriedenheit in der Öffentlichkeit anstoßen soll.227 Der Gouverneur des Staates Oregon (USA), John Kitzhaber, war einer der Teilnehmer aus acht verschiedenen Ländern des Global Wellbeing and GNH Lab (Innovation beyond GDP).

Neben einigen Bewegungen in Europa und international228 ist der Trend demnach sogar in den USA durchaus vorhanden. Kitzhaber rief daraufhin sogar eine Konferenz ein, bei der die Gouverneure von zwanzig US-Bundesstaaten zusammenkamen, um das Thema zu behandeln.229

„Es wurde mir bewusst, dass echte Systemveränderung mit einzelnen Personen beginnt.

Dass die Fähigkeit, die Wirtschaft oder das Gesundheitssystem zu verändern, letzten Endes davon abhängt, dass Menschen innerhalb dieser Systeme den Willen aufbringen, sich selbst zu ändern. Dass sie bereit sind, die Fakten anders zu werten und im Einklang mit ihren Werten zu handeln. Das sehen wir ganz klar, wenn wir nur darüber nachdenken, zugleich aber ist es eine sehr bedeutsame Erkenntnis.“ John Kitzhaber

224

Walcott (2009) in Pfaff, T. (2011), S.374 Vgl. Pfaff, T. (2011) 226 http://ministeriumfuerglueck.de/ [14.01.2017] 227 Mittendorfer, E. (2013): Glücksministerium soll Menschen in Deutschland zufriedener machen, der Standard, https://derstandard.at/1381371077122/Deutsches-Gluecksministerium-soll-Menschen-zufriedenermachen [14.01.2017] 228 Vgl. Tho, H. V. (2017), S.179 ff.

229 Tho, H. V. (2017), S. 184 f.

225

43

G. Aussicht auf Anwendbarkeit des Bruttonationalglücks in unserer Gesellschaft

Wir stehen an einem entscheidenden Punkt für unsere Zukunft. Wir müssten alle längst eingesehen haben, dass unser übermäßiger Konsum und die Zerstörung der Umwelt einander bedingen und dies zugleich eine negative Auswirkung auf unser Gesellschaftssystem hat. All das sollte zur logischen Konsequenz führen, einzusehen, dass unser Wirtschaftssystem radikal neu gestaltet werden muss.230 Die immer lauter werdenden Diskussionen über die derzeitige ökonomische sowie ökologische Situation zeigen ein immer größer werdendes Bewusstsein für die bevorstehenden Herausforderungen und die Offenheit für neue alternative Denkweisen in Bezug auf die Wachstumstheorie. Die Entwicklungen seit den 1970er Jahren sind zu langsam fortgeschritten. Das Bruttonationalglück, das eine Ausgewogenheit von Wirtschaftswachstum und anderen Entwicklungszielen anstrebt und dabei den Erhalt von nationaler Identität und Umwelt sicherstellen soll231, zeigt einen alternativen vorbildlichen Weg auf, wie man den ökologischen und sozialen Herausforderungen begegnen kann. Nach genauerer Betrachtung, welche Faktoren zu Wohlstand und Lebensqualität in der Bevölkerung beitragen, ist festzustellen, dass soziale Gleichheit sowohl Problem als auch Lösung bei der Frage nach Alternativwegen sein kann. So hat der Grad von Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft große Auswirkung auf die physische und psychische Gesundheit und ist mit ursächlich für Existenzängste im gesellschaftspolitischem System, die mit weniger Vertrauen und nachweislich weniger Glück und Lebenszufriedenheit einhergehen.

Erkenntnisse aus der Glücksforschung erlauben es uns inzwischen, den ökonomischen Nutzenbegriff im Sinne von Glück und Wohlergehen verstehen zu können. „Faktoren wie Einkommen, Arbeitslosigkeit, Familie und Gesundheit beeinflussen nicht nur das Lebensglück der Individuen, sondern werden auch wiederum von diesem selbst beeinflusst.“232 So müsste eine glückliche Bevölkerung Zielsetzung einer politischen Führung sein und auch im wirtschaftlichen Interesse liegen, da glücklichere Menschen sowohl gesünder, als auch produktiver im Arbeitsleben sind.

230

Tho, H. V. (2017), S. 78 Pfaff, T. (2011), S.379 232 Binder, M.; Coad, A. (2011): Ökonomische Glücksforschung, Evolutionsökonomik (Witt) Jena: Max-Planck-Institut für Ökonomik, https://www.mpg.de/1337033/Oekonomische_Gluecksforschung [8.1.2018] 231

44

Jedoch lassen sich die Eigenschaften der Menschen und somit auch die der Entscheidungsträger, die überwiegend von Profitgier und Machtverhältnissen geprägt sind, nur schwer ändern. Umso mehr kann man also verstehen, wieso den Problemen bis jetzt in so geringem Maße begegnet wurde. Der wachstumsgetriebene Kapitalismus setzte in den vergangenen Jahren einfach auf die falschen Werte. Dennoch lässt sich erkennen, dass das Pendel langsam wieder zurückschwingt, da immer mehr Menschen sich von Individualismus abwenden und nach neuen Idealen der Zwischenmenschlichkeit und des Gemeinwohls suchen.233 Um einen systemischen Wechsel voranzutreiben, brauchen die Menschen einer Vision, wie sich die notwendigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen erreichen lassen.234 Es sind bereits einige Entwicklungen im Bereich sozialem Wandel und Erreichung der Chancengleichheit erkennbar. Mit Hilfe von Bildung und Konzepten wie Mindestlohn wird versucht, ungleichen sozialen Verhältnissen entgegenzuwirken. „Doch die Erhöhung der Chancengleichheit und die Bekämpfung von Bildungsarmut sowie die Erweiterung des Bildungsverständnisses werden allein nicht ausreichen.“235 Für soziale Gleichheit braucht es weitere Anstöße um intrinsische Motivatoren zu geben und Dringlichkeit dieses Problems verständlich zu machen. Erst dann kann ein Wertewandel erreicht werden, der letztendlich als Endprodukt eine glücklichere Gesellschaft zur Folge haben könnte. Nicht alle Faktoren für eine glückliche Gesellschaft sind beeinflussbar236. Nimmt man Bhutans Beispiel als Vorbild, so könnte man jedoch zumindest damit anfangen zu gewährleisten, dass alle Grundbedürfnisse befriedigt sind. Denn den Bürgern ausreichend Sicherheit und Würdigung zukommen zu lassen, spielt eine entscheidende Rolle für einen gesellschaftlichen Wandel.

Großes Potenzial und Chancen sehe ich auch in der Weiterentwicklung von Technologie und Innovationen. Sie können neben Ressourceneinsparung dazu verhelfen, eine gesellschaftliche Grundfrage neu zu verhandeln: „Wie wollen wir arbeiten? Wollen wir die Produktivitätsgewinne, die uns die neue Generation von Computern und Robotern verheißen, in noch mehr Lebensstandard umwandeln […] oder investieren wir den Produktivitätsgewinn

233

Layard, R. (2009), S. 16 Wilkinson, R.; Pickett, K. (2010), S. 263 ff.

235 Bosančić, S. (2017): Ungleichheit bekämpfen! Wo der deutsche Wohlfahrtsstaat jetzt investieren muss, Friedrich-Ebert-Stiftung, https://www.fes.de/e/ungleichheit-bekaempfen/ [07.01.2018] 236 Vgl. v. Suntum, U.; Prinz, Aloys (2010): Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden in Deutschland: Studie zur Konstruktion eines Lebenszufriedenheitsindikators, Centrum für angewandte Wirtschaftsforschung Münster 234

45

lieber in mehr Freiheit, mehr Muße, mehr Zeit zum Lernen, Lieben, Erziehen, Engagieren?

Tätigkeiten die uns Roboter niemals abnehmen werden.“237 Zwar mag es im Innovationsprozess in Richtung Ressourceneinsparung vereinzelnd zu Reboundeffekten238 kommen, jedoch sollte es gerade in diesem Bereich weiterhin Anstöße seitens der Politik geben, um die Gesellschaft zu einer nachhaltigeren Lebensweise zu animieren.239 Auch Bhutan hat mit dem stetig wachsenden Interesse an materiellen Gütern mit einer Erosion der traditionellen buddhistischen Werte zu kämpfen, was das Fundament ihres Bruttonationalglück-Konzepts untergräbt.240 Jedoch kann dieses Konzept eines Wirtschaftssystems als Ansatz für einen Umschwung dienen, in dem die richtigen Werte zählen. Denn eine holistische Entwicklungsperspektive unter der besonderen Berücksichtigung von Umweltschutz und nachhaltigem Wachstum und sozialer Gleichheit in unserer globalisierten Welt, ist sowohl für uns als auch die Menschen in den Entwicklungsländern wohlfahrtsförderlich.241 Ziel einer Regierung sollte es also sein, die Impulse für eine ökologische und soziale Marktwirtschaft242 zu verstärken und die Kennzahlen für das Wohlergehen einer Gesellschaft so anzupassen, dass sie erfassen, was wirklich zu einer Lebensqualität beiträgt. Dies würde dabei helfen, die Anstrengungen auf jene Herausforderungen zu richten, auf die es wirklich ankommt.243

„Willst du eine Stunde glücklich sein, mache ein Nickerchen. Willst du einen Tag lang glücklich sein, gehe angeln. Willst du einen Monat glücklich sein, heirate. Willst du ein ganzes Jahr glücklich sein, erbe ein Vermögen. Willst du aber dein Leben lang glücklich sein, helfe anderen Menschen.“ Chinesisches Sprichwort244

237

o.V. Handelsblatt Online: Radikaler Bruch mit Bismarcks Sozialstaat? Wochenendausgabe 2./3./4. 12. 2016, S. 63 http://www.handelsblatt.com/my/unternehmen/beruf-und-buero/buero-special/jobs-2020-was-kommtwas-bleibt-wer-geht-radikaler-bruch-mit-bismarcks-sozialstaat/14921588-3.html, [08.01.2018] 238 Vgl. B.3. Innovationen als Chance 239 Beispiel Ansatz Nudging im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit siehe Anhang 240 Pfaff, T. (2011), S.380 241 Pfaff, T. (2011), S.380 242 Horst Köhler in Ruckriegel, K. (o.J.), http://www.ruckriegel.org/papers/Gluecksforschung_wisu_8_9_2010.pdf [08.01.2018] 243 Stiglitz in Vgl. Fremuth, M.L.; Kulessa, M.; Weiler, T (Hrsg.) (2010), S.56 244 Tho, H. V. (2017), S. 61

46

Anhang

Niko Paech - Entwicklungsschritte Niko Paech nennt auf seiner Website (www.postwachstumsoekonomie.de) fünf Entwicklungsschritte, „[…] die sich auf einen Wandel von Lebensstilen, Versorgungsmustern, Produktionsweisen und auf institutionelle Innovationen im Bereich des Umgangs mit Geld und Boden beziehen: 1. Entrümpelung und Entschleunigung. Es entspricht ökonomischer Logik in Reinform, sich klug jenes Ballasts zu entledigen, der Zeit, Geld, Raum und ökologische Ressourcen beansprucht, aber nur minimalen Nutzen stiftet. Eine solchermaßen begründete Suffizienzstrategie konfrontiert die Suche nach weiteren Steigerungen von Güterwohlstand und Komfort mit einer Gegenfrage: Von welchen Energiesklaven, Konsum- und Komfortkrücken ließen sich übervolle Lebensstile und schließlich die Gesellschaft als Ganzes befreien?

2. Balance zwischen Selbst- und Fremdversorgung. Wer von monetär basierter Fremdversorgung abhängig ist, verliert seine Daseingrundlage, wenn die Geld speiende Wachstumsmaschine ins Stocken gerät. Sozial stabil sind nur Versorgungsstrukturen mit geringerer Distanz zwischen Verbrauch und Produktion.

Dazu zählt die Reaktivierung von Kompetenzen, manuell und kraft eigener Fertigkeiten Bedürfnisse jenseits kommerzieller Märkte zu befriedigen. Durch eine Umverteilung der Erwerbsarbeit ließen sich Selbst- und Fremdversorgung so kombinieren, dass die Geld- und Wachstumsabhängigkeit sinkt. Eigenarbeit, (urbane) Subsistenz, Community-Gärten,

Tauschringe,

Verschenkmärkte,

Einrichtungen

Netzwerke zur

der

Nachbarschaftshilfe,

Gemeinschaftsnutzung

von

Geräten/Werkzeugen etc. würde zu einer graduellen De-Globalisierung verhelfen.

3. Regionalökonomie. Viele Bedürfnisse ließen sich durch regionale Märkte, verkürzte Wertschöpfungsketten bis hin zu Konzepten wie Community Supported Agriculture (CSA) befriedigen. Regionalwährungen könnten Kaufkraft an die Region binden und damit von globalisierten Transaktionen abkoppeln. So würden die Effizienzvorteile einer geldbasierten Arbeitsteilung weiterhin genutzt, jedoch innerhalb eines ökologieverträglicheren und krisenresistenteren Rahmens.

4. Stoffliche Nullsummenspiele. Konsumansprüche, die sich nicht entrümpeln oder durch lokale/regionale Versorgungsstrukturen substituieren lassen, bilden die weiter zu 47

minimierende Restgröße an industrieller und ggf. globalisierter Produktion. Die damit korrespondierenden Produkte und Infrastrukturen ließen sich über noch weitgehend unausgeschöpfte

Möglichkeiten

der

Nutzungsdauerverlängerung

oder

Nutzungsintensivierung dergestalt optimieren, dass anstelle zusätzlicher materieller Produktion die Instandhaltung und Aufwertung bereits vorhandener Artefakte träte.

5. Institutionelle Innovationen. Zur Milderung systemimmanenter Wachstumszwänge ist eine Boden- und Geldreform nötig. So könnten Regionalwährungen mit einer zinslosen Umlaufsicherung versehen werden. Weiterhin wäre die noch immer fehlende Abschätzung, Zurechnung und Deckelung von Umweltbeanspruchungen dadurch zu beheben, dass der dehnbare Nachhaltigkeitsbegriff durch individuelle CO2-Bilanzen konkretisiert wird. Jede Person hätte ein Anrecht auf dasselbe jährliche Emissionskontingent (ca. 2-3 Tonnen), das allerdings handelbar wäre. Die Summe aller Kontingente dürfte höchstens der globalen Gesamtbelastung entsprechen, die mit der Einhaltung des Zwei-Grad-Klimaschutzziels vereinbar wäre.“245

Silvio Gesell - Freiwirtschaftslehre Silvio Gesell’s Freiwirtschaftslehre beruht auf der Annahme, dass die ökonomischen und sozialen Probleme durch die Geldtheorie erfasst werden müssen. Gesell hat sich dabei gegen die damalige Geldverfassung gewandt und übte ebenso Kritik an der Grundrente (Bodenrente), da diese zu Ungleichheiten in der Bevölkerung führen. Ziel sei es, eine stabile und freie Marktwirtschaft ohne Monopole durch Besitztümer (Freiland) und umlaufgesichertes Geld durch Freigeld zu gewährleisten. Es entstand somit der „Freiwirtschaftsbund (F.F.F.). Drei Hauptpunkte – Freiland, Freigeld und Festwährung - sollten die Forderungen des Bundesprogramms in abgekürzter Form zum Ausdruck bringen: a) Sicherung des freien Zugangs zum Boden für jedermann und Überführung des

Bodenzinses, eines Erzeugnisses der Allgemeinheit, in Allgemeinbesitz (Freiland);

b) Ermöglichung einer zinsfreien Wirtschaft durch ungehemmte Produktion auf der

Grundlage eines stockungslosen Geldumlaufes dank eines reinen, unter einem

natürlichen Umlaufzwang stehenden Tauschmittels (Freigeld);

c) Schaffung gleichbleibender Kaufkraft des Geldes (Festwährung)"246

245

http://www.postwachstumsoekonomie.de/material/grundzuege/ [05.01.2018] Senft, G. (1990): Weder Kapitalismus, noch Kommunismus. Silvio Gesell und das libertäre Modell der Freiwirtschaft, Potsdam: Libertad Verlag, S.180 246

48

Alternative Wohstandsindikatoren: - „Der Genuine Progress Indicator (GPI) und der Index of Sustainable Economic Welfare (ISEW) sind – in monetären Größen ausgewiesene – Alternativen zum BIP für die Berechnung des Wohlstands. Der ISEW wird berechnet, indem das BIP um soziale und umweltbezogene Kosten ergänzt wird; wertschaffende, jedoch unentgeltlich erbrachte Tätigkeiten wie etwa ehrenamtliche Arbeit oder Hausarbeit werden hinzuaddiert. Der GPI basiert ebenfalls auf dem BIP, und auch hier werden produktive, unentgeltlich erbrachte Aktivitäten hinzugerechnet. Subtrahiert werden beim GPI die Kosten von Kriminalität, Luftverschmutzung oder des Verbrauchs natürlicher Ressourcen. Für die Indikatoren GPI und ISEW liegen bisher keine internationalen Vergleichswerte vor.

- Nicht-monetäre Wohlstandsindizes sind eine andere Möglichkeit, den nationalen Wohlstand zu messen und zu vergleichen. Solche Indizes setzen nicht am Sozialprodukt an, sondern ermitteln aus mehreren Teilindizes einen nicht-monetären Gesamtindex.

Viele dieser Indizes benutzen das Sozialprodukt zwar als Teilindex, berücksichtigen aber auch andere Elemente. Der bekannteste nicht-monetäre Wohlstandsindex ist der im Auftrag der Vereinten Nationen entwickelte Human Development Index (HDI). Als Indikatoren subsumiert der HDI die Lebenserwartung, den Bildungsstand und den materiellen Lebensstandard, wobei Letzterer nicht über das Bruttoinlandsprodukt, sondern über das Brutto Nationaleinkommen gemessen wird.

- Der für die USA und Kanada berechnete Index of Economic Well-being (IEW-B) ist aus vier Teilindizes zusammengesetzt, namentlich aus je einem Maß für den Konsum, für das Vermögen, für die Einkommensverteilung und für die wirtschaftliche Sicherheit.

Der für die USA ermittelte Index of Social Health (ISH) berücksichtigt 16 soziale und Verteilungsindikatoren: Er enthält unter anderem Daten zum Drogenmissbrauch Jugendlicher, zur Lohnhöhe, zur Selbstmordquote und zur Kinderarmut. Der Index of Social Progress (ISP) integriert sogar 41 Einzelindikatoren, etwa aus den Bereichen Bildung,

Status

von

Frauen,

Militärausgaben,

kulturelle

Vielfalt

und

Wohlfahrtsaufwendungen. Vor allem die notwendige Auslese der gewählten Indizes und ihre Gewichtung machen die nicht-monetären Wohlstandsindizes angreifbar.

- Weitere Autoren oder Institutionen haben zudem eine Reihe von Indizes entworfen, die nicht nur den Wohlstand abbilden sollen, sondern auch die damit einhergehende 49

Lebensqualität. Damit stellen sie zumeist einen Zusammenhang zwischen Wohlstand und Lebenszufriedenheit respektive Wohlbefinden her. Ein Beispiel hierfür ist der Happy Planet Index (HPI), der sich aus der Lebenserwartung, dem ökologischen Fußabdruck und eben der Lebenszufriedenheit zusammensetzt. Ein weiteres Maß für Wohlstand und Lebensqualität ist der Sustainable Society Index (SSI). Dieser basiert auf 24 Indikatoren. Das Bevölkerungswachstum, der Energieverbrauch, die Biodiversität, aber auch die Staatsverschuldung gehen hier neben dem BIP als Teilindizes mit ein.“247

Ausschnitt aus erneuerter EU-Nachhaltigkeitsstrategie: „[…] UNSER ENGAGEMENT FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG 1. Nachhaltige Entwicklung bedeutet, dass den Bedürfnissen der heutigen Generation dergestalt Rechnung getragen werden sollte, dass die Fähigkeit künftiger Generationen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, nicht gefährdet wird. Nachhaltige Entwicklung ist ein im Vertrag festgelegtes übergeordnetes Ziel der Europäischen Union, das für alle Politikbereiche und Maßnahmen der Union maßgebend ist. Ihr Ziel ist die Bewahrung der Fähigkeit der Erde, das Leben in all seiner Vielfalt zu beherbergen, und sie baut auf den Grundsätzen der Demokratie, der Gleichstellung der Geschlechter, der Solidarität, der Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Grundrechte, wozu Freiheit und Chancengleichheit gehören, auf. Sie strebt eine kontinuierliche Verbesserung der Lebensqualität und des Wohlergehens auf unserem Planeten für die heute lebenden und für die künftigen Generationen an. Zu diesem Zweck fördert sie eine dynamische Wirtschaft und Vollbeschäftigung sowie ein hohes Maß an Bildung, Schutz der Gesundheit, sozialem und territorialem Zusammenhalt und Umweltschutz in einer friedlichen und sicheren Welt, in der die kulturelle Vielfalt geachtet wird. […]“248

247

Neumann, M. (2012), S.14 o.V. (2016): EU-SDS-Europäische Nachhaltigkeitsstrategie, https://www.bmlfuw.gv.at/umwelt/nachhaltigkeit/nachh_strategien_programme/eusds.html [09.12.2017] 248

50

Weber’s Zehn Gebote des humanistischen Wirtschaftens:

Abbildung 7, Weber, A. (2008), S.150,151

51

Versuch einer begrifflichen Erklärung Lebensqualität

Abbildung 8, Ruckriegel, k. (o.J.) Glücksforschung – Konsequenzen für die (Wirtschafts-)Politik, https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s10273-012-1339-6.pdf [08.01.2018]

Was beeinträchtigt unser Glück?

Abbildung 9, Layard, R. (2009), S. 79

52

Schaubild Ruckriegel Optimismus, Pessimismus

„Das nachstehende Schaubild zeigt, dass die Einstellung, ob das "Glas halb voll oder halb leer ist", tief im Gehirn (im Limbischen System) verankert ist, weniger auf einer rationalen Abwägung der Argumente (Neocortex) beruht. Je nach pessimistischer oder optimistischer (Vor-) Einstellung kommt es bei ein und derselben Aufgabenstellungen zu unterschiedlichen Verhaltensweisen. Bei einer eher optimistischen Sichtweise ist das Belohnungssystem stärker aktiv, bei einer eher pessimistischen Sichtweise das Angstzentrum. Während man im ersten Fall die Aufgabe angeht, versucht man im zweiten Fall der Herausforderungen aus dem Weg zu gehen. Mit speziellen Übungen kann das Gehirn aber trainiert werden, automatisch eher auf positive Eindrücke zu achten, was zu einer eher zuversichtlichen Grundhaltung führt.“

Abbildung 10, Ruckriegel, K (2016), S.7

Fünf Leitprinzipien:249 1. Wirtschaftliche Eigenständigkeit 2. Umweltschutz (nach buddhistischer Lehre existiert ein Staat nicht allein für das Wohl der Menschen, sondern auch für das aller anderen Lebewesen) 3. Regional ausgewogene Entwicklung (bei gleichen Marktbedingungen verteilt sich das Wachstum) 4. Dezentralisierung und Stärkung der Gemeindeselbstständigkeit 5. Bewahrung der Kultur statt Vereinheitlichung

249

Vgl. Fremuth, M.L.; Kulessa, M.; Weiler, T (Hrsg.) (2010), S.9

53

Auszug und Begriffserklärung: Nudging im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit „Nudging ist ein Ansatz aus der Verhaltensökonomie und Kommunikation, um Menschen mit bewusst gesetzten indirekten Anreizen zu einem gewünschten Verhalten zu bewegen.

Unternehmen, NGOs und – in den letzten Jahren – immer stärker auch die öffentliche Hand versuchen mit Nudging das Verhalten von Menschen in die Richtung von Umweltschutz und Nachhaltigkeit zu lenken. Die Ideen des Nudgings werden von verschiedenen Organisationen eingesetzt, um das Verhalten von Menschen in ihrem eigenen Sinne zu steuern. Die Motivationen dabei können beispielsweise simples Marketing sein, aber auch soziale und gesellschaftliche Anliegen können dahinter stehen.“250

250

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