Zuschauer blog bericht stop gap

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Zuschauer Blog Bericht: „Artificial things. Das bedeutet künstliche Dinge.“ Es beginnt mit einem leeren Schaukasten, wie einer auf dem Jahrmarkt, wo man eine Münze einschmeißt und dann ein Spektakel beginnt. Und dann noch ein Herrenanzug aus dem Schaufenster, leblos und doch stehend. Das als Bühnenbild zu Beginn, da denkt man sich sofort: Schaufenster, kommt hier etwa eine Zur-Schau-Stellung von Behinderung? Nun ist Tanz und Theater ja immer das Zur-Schau-Stellen von etwas. Dieses etwas war bei der Stopgag Dance Company aus England so beeindruckend, ich kann es nicht in Worte fassen. Es bleibt genau dieses „thing“, das die Gruppe in ihren Titel aufgenommen hat. Künstlich, im Sinne von Ding der Kunst. Wenn Laura Jones und David Toole gemeinsam tanzen, die eine mit reglosen, der andere gänzlich ohne Beine, dann entwickelt sich zu schneller Klaviermusik eine anmutende Ästhetik, ohne Betroffenheitsgedanken. Natürlich spielt die Gruppe mit dem Vergleich von Behinderung und nicht-Behinderung, wenn das romantische Fallen bei Amy Butler in die Arme von David Wildridge zum Festhalten des kippenden Rollstuhls bei den anderen Tänzern wird oder die schnell wirbelnden Beine zur Akrobatik des Rollstuhls im Vergleich stehen – es macht nichts. Es macht so viel in einem drin, aber es stört nicht, es berührt, aber betrifft einen nicht. Nebenbei verhandeln die Briten ein fast nicht aufzählbares Repertoire an Themen: Liebe, Sehnsucht, Macht (besonders stark: der einen Diktator darstellende Chris Pavia), Konkurrenz...Alles so eindeutig auf der Bewegungsebene mit beeindruckender Energie. Als David Toole zu Musical-Musik auf seinen beiden Armen im Schaukasten brilliert, hat es etwas von „Rocky-Horror-Picture-Show“. Irgendwo bizarr und doch befreiend amüsant. Überhaupt begeisterte Toole mit einer Bühnenpräsenz, die er sich in 25 Jahren professionellen Schaffens erworben hatte. Die stärksten Momente sind die, wenn das Künstliche (wie die Rollstühle) und der natürliche Körper miteinander verschmelzen. Staunend blickt man minutenlang auf das Zusammenspiel von Musik und den Körpern, gerade weil diese Körper so ausgestaltet sind wie sie sind und wie sie sich bewegen. Vor allem gegen Ende stellen sich die Akteure immer wieder zu einem neuen Gruppenbild zusammen, als würden sie sich darüber lustig machen, dieses in der Gesellschaft ewige Suche nach einer Form des Gemeinsamen trotz und mit den Unterschieden. „Give me a smile“, tönte es während dieser letzten Bewegungen aus dem Lautsprecher. Ich musste lachen. Denn die ganze Aufführung über suchten die Tanzenden den Blickkontakt ins Publikum, am Ende fordern sie dann nur ein Lächeln. Sie bekamen mehr: langanhaltenden Applaus und langanhaltenden Eindruck. Peter Krauch (Gast-Studierender am ITW Bern, Freier Journalist, Universität Mainz)


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