Berner kulturagenda 2008 N° 35

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28. August bis 3. September 2008 /// Ein unabhängiges Engagement des Vereins Berner Kulturagenda /// www.kulturagenda.be /// 3

Anzeiger Region Bern

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Typisch tamilisch? Ein multikultureller Familienschwank! Die Zusammenarbeit sei mit Herausforderungen verbunden gewesen, erzählt er. Dabei ging es auch um Inhaltliches: Wie viel darf dem mitunter tamilischen Publikum zugemutet werden, gerade bei Themen wie Freundschaft und Sexualität? «Dann wurde auf Tamilisch heftig debattiert», so Graf.

Ein Chutney haben die meisten mal probiert. Einige Mutige haben sich gar schon einen Shirodhara, einen ayurvedischen Stirnguss, gegönnt. Den Berner Hindutempel hingegen haben höchstens Studierende der vergleichenden Religionswissenschaften von innen gesehen. Kurz: mit der tamilischen Kultur kommen nur wenige Schweizerinnen und Schweizer in Berührung. Das, obwohl heute über 42 000 Tamilinnen und Tamilen hier leben.

Grosses Echo auf mutigen Stoff Ramanathas Sathiyanathan identifiziert sich mit seiner Rolle als Familienfreund. Der Vater von drei Kindern, der schon seit neunzehn Jahren in der Schweiz lebt, findet, dass die Jugendlichen jeden Beruf lernen sollen, den sie wollen. Das Echo auf das Stück sei gross, so die Beteiligten. «Einige machen mir Komplimente, andere sind schockiert», so der neunzehnjährige Lehrling Kajan Shanmuganathan, der den Sohn spielt. Dass durch die spielerische Eigendynamik in den Aufführungen die komödiantischen Seiten zu Lasten der besinnlichen Momente akzentuiert worden sind, bedauert Regisseur Graf ein wenig, ergänzt aber, die Produktion überzeuge nach wie vor durch «unbändige Spielfreude, Authentizität und viel Herzblut». Nadine Guldimann

Umstrittene Zukunftspläne Einblick in den Alltag einer tamilischschweizerischen Familie gewährt das Theaterstück «O°–sehr heiss». Bruder und Schwester träumen von einer Musikkarriere: Karthy gewinnt einen Wettbewerb für südindischen Gesang, Bruder Ragul bewirbt sich beim MusicstarContest. Pläne, die dem Vater Ganesch gar nicht passen. Aus Angst, sich vor der Verwandtschaft zu blamieren, will er, dass seine Kinder einen «anständigen»

ZVG

Grosse Gefühle, prächtige Kleider, Live­ musik und viel Spielfreude: das tami­lischschweizerische Stück «Oº–sehr heiss» verspricht einen bewegten Theaterabend. Das Laienensemble Alps Arankadikal gastiert mit seinem zweisprachigen Stück rund um einen Generationenkonflikt in Ostermundigen.

Wirbel in der guten tamilischen Stube: die Familie, umrahmt von den Erzählern Weissmann und Schwarzmann. Beruf lernen. Da treten allerlei Figuren auf den Plan, die Öl ins Feuer giessen: der Familienfreund und selbst ernannte Musikproduzent Ramkan, der Musiklehrer, der Onkel, die Schweizer Freundin und die überforderte Mutter. Der multi­

kulturelle Generationenkonflikt ist in vollem Gange. Interkultureller Spagat Das tamilische Laienensemble Alps Arankadikal hat den Basler Urs-Anders

Graf gebeten, den tamilischen Stoff auf Deutsch zu adaptieren. Graf, der seit vielen Jahren in interkulturellen Projekten mitwirkt, hat Elemente aus der südindischen Tradition eingesetzt: Ebenenwechsel mit Erzählern und viel Livemusik.

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Kulturzentrum Tell, Ostermundigen Di., 2.9., 20.15 Uhr

Zwischen Sturm und Drang

Folklore, volle Kanne: Nur die Farben Rot und Schwarz erinnern hier noch an die Berner Tracht.

Volkstanz im Überflug Der Volkstanz hat einen schweren Stand, ausser beim Bauernstand? Das war einmal. Die Tanzgruppe «d'Schwyz tanzt…» hat mit «Tanz Fuer» eine Annäherung an die Gegenwart gewagt – ganz schön erfolgreich. Nun nimmt sie das Programm wieder auf. Der geistige Horizont der Volkstänzer ist eng wie das Mieder der Berner Festtagstracht, denkt man gemeinhin. Verwurzelt, festgewachsen in der heimatlichen Scholle der Tradition – so lässt sich schlecht fortschreiten. Vor allem Agrarsubventionsempfänger finden Brauchtum «bäumig», alle anderen schütteln mitleidig den Kopf. Hierzulande hat es der Volkstanz nicht einfach. In der urbanen Kulturszene wird das traditionalistische Volkstum mit Nichtbeachtung abgestraft wie das urwüchsige Margritli im potent gezüchteten Rosenbeet. Diese Haltung steht im Widerspruch zur beständigen Popularität der Volkskultur in ländlichen Gegenden. Auffrischung wie bei Lauterburg Eine Annäherung von Stadt und Land ist jedoch in Aussicht. Der Volkstanz wird aufgefrischt. Dies hat sich in der Schwesterdisziplin Gesang schon länger bemerkbar gemacht, etwa mit der Jodlerin Christine Lauterburg. Die Berner Tanzkompagnie «d’Schwyz tanzt…» hat sich des Vorhabens angenommen und war damit letztes Jahr im Haberhuus Köniz so erfolgreich, dass sie das Programm «Tanz Fuer» nun für zwei Aufführungen wieder aufnimmt, diesmal in den Vid-

marhallen im Liebefeld. «Das Programm geht vom Herzen aus», begründet Bettina Engel von der Tanzgruppe den Erfolg, «die Mischung von Volkstanz und neueren Tanzstilen macht Spass». Gäste, die sonst vom intellektuell verpönten Volkstanz abgeschreckt würden, hätten sich vom neuen Umgang mit der Tradition angesprochen gefühlt. Schätze bereichern, nicht verhunzen Die Leiterin von «d’Schwyz tanzt…», Sjoukje Benedictus, verbindet in ihren Stücken traditionelle Elemente der Volkskultur mit modernen Tänzen. So packt sie den Schwing-Sport an der Zwilchhose und macht daraus einen Tango. «Wir machen das Brauchtum nicht lächerlich», betont sie, «wir suchen nach den Schätzen und bereichern sie mit modernen Elementen.» Als die holländische Tänzerin vor 27 Jahren in die Schweiz kam, traute sie ihren Augen nicht: Der Volkstanz fristete ein Stiefmütterchendasein, ganz anders als in ihrer Heimat. Darum wollte sie mit ihrem unvoreingenommenen Blick auf die Traditionen da und dort betoniertes Denken aufbrechen. Auch Jugendlichen will sie dadurch den Zugang zur abgeschlossenen Volkskultur öffnen. Die Tänzer von «d’Schwyz tanzt…» führen deshalb Workshops an Schulen durch, die auf grossen Anklang stossen. Michael Feller \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Vidmar:1 in den Vidmarhallen, Liebefeld Do., 28.8., und Sa., 30.8., 20 Uhr www.dschwyztanzt.ch

Es war eine Zeit des Schwankens zwischen Sentimentalität und Sturm und Drang, zwischen Klassizismus und beginnender Romantik, als Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) sein Stück «Stella» schrieb, das 1806 in Weimar uraufgeführt wurde. Auch Fernando, die Hauptfigur des Trauerspiels, ist hinund hergerissen zwischen zwei Frauen, der Ehefrau Lucie und seiner Geliebten Stella. Am liebsten möchte er mit beiden leben. In seiner Erstfassung sah Goethe

für seine Protagonisten diese Lösung nach dem Motto «eine Wohnung, ein Bett und ein Grab» vor. Doch die Weimarer Gesellschaft des 19. Jahrhunderts verabscheute ein solches Ende. Fernando und seine Geliebte Stella mussten dem Liebestod erliegen, um herrschende Moralvorstellungen nicht zu brüskieren. Keine Radikalerneuerung Wie gehen die heutige Regisseure damit um? Urs Häberli, der das Stück auf der Bühne des Theaters an der Effingerstrasse inszeniert, verrät noch nicht, wie das Ende unter seiner Leitung ausfallen wird. «Wir haben uns mit beiden Varianten auseinandergesetzt», erzählt er im Gespräch. Das Interessante an Goethes

Severin Nowacki

Marianne Hügli

In Goethes Stück «Stella» schwankt ein Mann zwischen der Liebe zu seiner Frau und der Leidenschaft für seine Geliebte. Ob die Beteiligten den Sturm der Gefühle im Theater an der Effingerstrasse überleben?

Au Backe: Stella (Fabienne Biever, rechts) zeigt Caecilie (Ariane Senn) das Bild ihres verschwundenen Geliebten – und die erkennt darauf ihren Ehemann, der sie verlassen hat.

Thema sei, dass auch in der heutigen Zeit, in der etwa Patchwork-Familien gang und gäbe seien, Dreiecksgeschichten nach wie vor zu Gefühlstürmen führten. Häberli will das Stück nicht radikal erneuern, sondern versteht es eher als eine Parabel. Die Kostüme haben zwar das Kolorit der guten alten Zeit, sind aber keineswegs akribisch historisch, sondern enthalten auch einzelne moderne Elemente. «Unsere Bühne ist mehr ein Seelenraum und enthält nur wenig Konkretes», erklärt Häberli. Eine einzige Dekoration zieht sich durch alle Bilder hindurch. Anhand von einfachen Requisiten würden verschiedene Schauplätze, wie etwa die Grabstätte von Stellas verstorbenem Kind, angedeutet. Die neue Empfindsamkeit Der 1960 in Bern geborene Regisseur inszeniert unterschiedliche Gattungen, sei es Oper, Musical oder Schauspiel. Zurzeit ist er als stellvertretender Intendant am Theater in Kaiserslautern tätig. Er freut sich, für «Stella» in seine Heimatstadt zurückzukehren. Die kleine Bühne des Theaters an der Effingerstrasse eigne sich für Goethes Kammerspiel hervorragend. Anders als auf der Seebühne Thun, auf der er das Musical «Les Misérables» inszenierte, liege der Fokus hier weniger auf gewaltigen Bildern, sondern vor allem auf der Psychologisierung der Figuren. «Stella» sei eine Art Vorstudie zu Goethes Roman «Die Wahlverwandtschaften». Bei beiden Geschichten gehe es um die Unausweichlichkeit der Gefühle. Dabei beziehe Goethe keine Stellung, sondern empfinde für jede seiner Figuren Empathie. Es war ja auch die Zeit der neuen Empfindsamkeit, als überschwängliche Gefühle nicht länger als Makel wahrgenommen wurden und als man Sinnlichkeit einer strikt vernunftgeleiteten Lebensweise vorzog. Bleibt zu hoffen, dass auf unsere pragmatische Zeit wieder eine leidenschaftlichere folgen wird. Bis dahin lässt sich zumindest im Theater ein wenig Pathos geniessen. Helen Lagger \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\

Das Theater an der Effingerstrasse, Bern Premiere: Di, 2.9., 20 Uhr www.dastheater-effingerstr.ch


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