SIE & ER im Gespräch

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SIE & ER im Gespräch Eva Gritzmann und Denis Scheck über den kleinen Unterschied beim Essen und Trinken Frau Gritzmann, herr scheck, wie sind sie überhaupt auf dieses Thema gekommen? siE & Er: am anfang unseres Buchs stand ein spiel. Wir kennen uns aus der schule und sind über die Jahre oft gemeinsam essen gegangen. Eines tages haben wir in restaurants aus einer laune heraus zu wetten begonnen, ob ein bestimmtes Gericht, ein bestimmtes Getränk von einer Frau oder von einem mann bestellt wurde. Wir haben diese Feldforschung dann intensiviert, sind in Discounter, supermärkte und Feinkostläden gegangen und haben einfach mal in ruhe beobachtet, was wirklich in die Einkaufskörbe wandert. anschließend haben wir mit köchen, hirnforschern und anderen schlauen menschen gesprochen. Und wir waren ja gewissermaßen schon länger am Thema dran: im lauf unserer lebens haben wir schließlich jeweils an die 50.000 mahlzeiten zu uns genommen – Er ganz offenbar einige mehr als siE. Das ist das schöne an diesem Thema: hier darf sich endlich mal jeder als Experte fühlen. ist Fleisch wirklich das Gemüse des mannes? Wir begegnen auf unseren speisezetteln den gesellschaftlichen 12


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rangordnungen vergangener zeiten. Diese prägen auch ganz entscheidend den Geschmack der Geschlechter. Wie immer, wenn man seinem früheren selbst begegnet, muss das nicht unbedingt ein schöner anblick sein. männer essen in der Bundesrepublik Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts doppelt so viel Fleisch wie Frauen. kennen sie eine andere säugetierart mit derart unterschiedlichem Ernährungsverhalten? Gemüse galt lange als Frauenessen, während Fleisch als »Energiespender« in erster linie dem jagenden, kämpfenden, schwerstarbeit verrichtenden mann vorbehalten blieb. Was hat sie bei ihren recherchen am meisten überrascht? Dass murmeltiere nicht nur süß aussehen, sondern auch gut schmecken. Dass männer viermal so viel alkohol trinken wie Frauen. Und dass eine Frau, um ihre zugehörigkeit zur Oberschicht zu demonstrieren, keinen zobel und keinen Ferrari braucht, sondern einfach eine säuferleber. Welche kulinarischen klischees über männer und Frauen stimmen tatsächlich? schon in der Fragestellung nach den Geschmacksunterschieden zwischen mann und Frau liegt ja eine vielen unbewusste agenda. Daran haben auch Jahrzehnte von gender studies wenig geändert. Wir könnten ja auch nach unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten von Großen und kleinen, Blau13


oder Grünäugigen oder von Blonden und schwarzhaarigen fragen. Unser Buch ist ein versuch, misstrauen gegen simple antworten auf komplizierte Fragen zu wecken. außerdem wollen wir gern ein paar neue klischees in die Welt setzen. zum Beispiel das Gritzmann-scheck-Theorem: Dass man dort am besten isst, wo am wenigsten musikberieselung stattfindet. Worin liegt ihrer meinung nach der Grund für die unterschiedlichen Geschmäcker der Geschlechter? Wir werden zu männern und Frauen, weil wir uns wie männer und Frauen ernähren. Genetik und morphologie liefern ihren teil der Erklärung – aber die kulturellen und soziologischen aspekte sind die spannenderen. Was haben gute literatur und gutes Essen gemeinsam? mehr als man denkt. Beide erfordern auf der seite von Produzenten wie von konsumenten jene gesteigerte Form der aufmerksamkeit, die man landläufig liebe nennt. Wo überall haben sie für dieses Buch recherchiert? Wir waren in Garküchen in china, bei durchgeknallten suppenkaspern in chicago und bei sterneköchen wie Johanna maier, Jean-claude Bourgueil, Ferran adrià oder vincent klink. Genauso haben wir aber mit der metzgermeisterin und 14


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dem Gemüsehändler um die Ecke gesprochen und uns bei der Wurstbude und dem Pizzabäcker nebenan umgesehen. Wie viel haben sie bei den recherchen zu oder abgenommen? sagen wir so: Wir sind für dieses Buch durch dick und dünn gegangen … Was muss sich ändern? Wir sollten vielleicht einmal darüber nachdenken, ob wir wirklich in einem land leben wollen, in dem jeder Deutsche pro Jahr an die 70 tiefkühlpizzen verzehrt. Esserziehung ist wichtig, auch der aufbau von aromenbibliotheken. in kindergärten, krankenhäusern und altenheimen muss endlich anders gekocht werden. man darf sich auch fragen, inwieweit die Ernährung im Gefängnis teil der strafe sein soll. Das Elend unserer supermärkte und Discounter muss stärker ins visier genommen werden. immer mehr menschen wird ja allmählich klar, dass mit unserem Fleischkonsum etwas nicht stimmt. schließlich müssen mann und Frau in Deutschland begreifen, dass wir für lebensmittel mehr Geld ausgeben sollten. Das alles ergibt sich aber fast von allein, wenn wir uns der biologischen und kulturellen Determiniertheit unseres individuellen Geschmacks bewusst werden. Dann kann man vielleicht auch einfach mehr über sich selbst lachen, was ja immer eine gute idee ist.

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