Behörden Spiegel Februar 2024

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Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Februar 2024

„Bewegt eure Hintern hierher“

als Broadcom, wo auch zu Corona-Zeiten im April 2020 Mitarbeiter in die Büros kommen sollten, was Ärger mit den US-Behörden nach sich zog. Nach einem amerikanischen Medienbericht soll kurz nach der Übernahme von VMWare durch Broadcom nicht nur die Massenentlassung eingesetzt haben, sondern es sollen auch die VMWare-Mitarbeitenden sofort ins Office beordert worden sein. Laut dem US-Medienbericht soll CEO Hock Tan gesagt haben: „Wenn ihr im Umkreis von 50 Meilen um ein Büro wohnt, bewegt ihr eure Hintern hierher.“ Die Mitarbeitenden, vor allem die Vertriebspartner, und selbst die Kunden spielen bei dieser Gewinnmaximierung nur eine untergeordnete Rolle. Ein Unternehmen, das ein anderes kauft, möchte üblicherweise dessen Technologie erwerben, die Beschäftigten oder den Markt oder die Kunden, um dauerhaft in dem Bereich Geschäfte machen zu können. Doch hier ist es anders. Der Kauf eines Unternehmens dient dazu, neue Geschäftsmodelle einzuführen, egal wie hoch die Kollateralschäden sind – selbst wenn nach zwei Jahren Kunden und Markt weg sind, es muss sich gelohnt haben. Es muss mehr rausgepresst worden sein, als das Investment gekostet hat.

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ie von VMWare bisher lizenzierte Software bestimmt zwei Drittel des Virtualisierungsmarktes auch bei Behörden. Mit der Virtualisierung ist es möglich die vorhandenen physikalischen Rechnerkapazitäten nicht nur besser auszulasten, sondern auch mehreren Nutzern parallele Rechenprozesse zu ermöglichen und auf dem eigenen Maschinenpark eine Privat Cloud zu simulieren. Gerade Letzteres trifft die Bundesbehörden besonders, denn ihnen war es, anders als Unternehmen, aus regulatorischen Gründen bisher nicht erlaubt, Public Clouds von Google, Amazon, Microsoft und anderen aus zu nutzen, also die Daten dorthin auszulagern. Daher war bisher Virtualisierung das probate Mittel. Die Abhängigkeit von VMWare-Produkten ist allerdings massiv, obwohl es Alternativen gegeben hätte, doch viele öffentlichen IT-Anwender setzten auf One-Vendor-Politik, eben nicht auf eine Multi-Vendor-Strategie, die mit mehreren Lieferanten größere Unabhängigkeit von einem einzigen Lieferanten hätte sichern können.

VMWare kündigte alle Verträge (BS) Für Markt- und Börsenkenner ist es keine Überraschung, für die meisten großen Kunden in der öffentlichen Verwaltung hingegen ist es eine sehr böse. VMWare, übernommen von dem US-Unternehmen Broadcom – über dessen marktbeherrschende Stellung bei anspruchsvollen Chips besonders für den Mobilfunk selbst schon Peking und Washington stritten –, hat alle Verträge kurzfristig und einseitig gekündigt und bringt neue Vertragsmodellemit mit sofortiger Wirkung auf den Markt. Durch die Bündelung der Produkte und eine andere Berechnungsgrundlage verlangen diese den meisten IT-Anwendern und Dienstleistern in der öffentlichen Verwaltung mittlere bis hohe, prozentual zweistellige Lizenzgebühren-Erhöhungen ab.Dabei stehen die Zeichen auf Sparen in den öffentlichen Haushalten.

Das Rennen läuft bereits Zwar hat das Rennen auf die öffentlichen Kunden von VMWare by Broadcom, wie das Unternehmen im Moment heißt, längst eingesetzt. Und es gibt Produkte von Nutanix, auch Microsoft und Oracle – auch OpenSource-Produkte –, aber eine Umstellung der Virtualisierung in einem größeren Rechenzentrum wie z. B. bei der Bundesagentur für Arbeit, der Deutschen Rente, des ITZBund, der BWI (Bundeswehr) oder Dataport sind keine Angelegenheit von sechs Monaten – dann läuft die Restlaufzeit nach Ansicht von VMWare aber aus. Dahinter steht die Broadcom-Strategie: Der Kunde muss die neuen Lizenzmodelle akzeptieren oder er ist dann eben kein Kunde mehr. Das neue Lizenzmodell bündelt die dreistellige Zahl der VMWare-Produkte, für die der Kunde eine zeitlich definierte Nutzungszeit inklusive Services erwarb, in wenige Abonnement-Modelle. Es müssen also in diesen Abos mehr Produkte abonniert werden als womöglich notwendig. Zudem soll als Basisberechnung dafür nicht wie bisher die Zahl der CPUs (Central Processing Units) in den Servern zugrunde gelegt werden, sondern die Anzahl der Rechenkerne (Core). Der Vorteil für VMWare dabei ist, dass Server in der Regel über zwei CPUs verfügen, moderne Maschinen aber bis sieben oder acht Rechenkerne haben. In der

Vertriebspartner massiv verunsichert Regide, auch beim Thema Personalpolitik: Broadcom CEO Tan soll nach Medienberichten kurz nach der Übernahme die VMWare-BeFoto: BS/Flamingo Images, stock.adobe.com schäftigen mit markigen Worten aus dem Home Office zurück in die Büros beordert haben.

Konsequenz wird es für die meisten, besonders die größeren Kunden, saftig teurer. Laut VMWare soll es einige Kunden bis zu zehn Prozent günstiger werden. Da diese aber nicht kurzfristig umstellen können, setzt VMWare auf die „Einsicht“ der Kunden, dass ihnen nichts anderes übrigbleibt, als die neu diktierten Bedingungen zu übernehmen.

tegie sehr erfolgreich ist. Von einst einem Aktienwert bei 500 Dollar ist das Papier auf 1.100 gestiegen. Spätestens hier hätten die Alarmglocken läuten müssen. Denn Broadcom ist unter Führung des Chinesen Hock Tan neben einem sehr erfolgreichen Chip-Hersteller auch ein Hedgefondsähnlicher Investor, hinter dem auch große Kapitalgeber stecken.

Entwicklung war vorhersehbar

Gewinnmaximierung im Fokus

Hätte man das nicht kommen sehen können? Doch, hätte man, spätestens als nach allerlei regulatorischen Hindernissen in den USA Broadcom am 25. Mai 2022 die Übernahme von VMWare zu dem auch in der Geschichte der IT-Übernahmen sensationellen Kaufpreis von 61 Milliarden US-Dollar bekannt gab wurde. Darauf kamen noch mal acht Milliarden VMWare-Schulden. Ein Blick an die Börse zeigt, dass Broadcom seit zehn Jahren mit dieser Übernahmestra-

2018 kaufte Broadcom den Software-Konzern CA Technologies und exerzierte hier, wie man mit einer nicht an Technologie orientierten Strategie Gewinn maximiert. Die Produkte von CA wurden zu einem Mammutprodukt zusammengebaut und den bisherigen Kunden alternativlos angeboten. Die Überlegung dahinter: Der auch hier hohe Kaufpreis muss innerhalb weniger Jahre, die die Kunden brauchen, um auf andere Anbieter umzustellen, aus diesen mit

Erst 18 Prozent umgesetzt Bitkom-Studie zur Umsetzung digitalpolitischer Vorhaben (BS/ast) Bislang wurden 60 der insgesamt 334 digitalpolitischen Vorhaben der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode umgesetzt. Rund zwei Drittel (68 Prozent) befinden sich in der Umsetzung, 14 Prozent wurden noch nicht angegangen. Das zeigt die neueste Auswertung des „Monitors Digitalpolitik“ , den der Branchenverband Bitkom jüngst ­vorstellte. „Auch wenn die Bundesregierung in den vergangenen Monaten etwas Boden gut gemacht hat: Viele zentrale Vorhaben sind von Abschluss oder Umsetzung weit entfernt“, sagte Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst. Dazu gehörten insbesondere der DigitalPakt 2.0 für Deutschlands Schulen, die Digitalisierung der Verwaltung und auch Projekte wie der digitale Führerschein.

Wintergerst: Tempo verdoppeln Wenn die Bundesregierung ihre Ziele noch erreichen wolle, müsse sie das Tempo in der Digitalpolitik mehr als verdoppeln, betonte Wintergerst. Um vor den nächsten Bundestagswahlen alle 334 Vorhaben abzuschließen, müssten noch 274 Vorhaben in sieben Quartalen umgesetzt werden, also durchschnittlich 39 pro Quartal, teilt der Bitkom mit. Aktuell werden durch-

schnittlich 17 Vorhaben im Quartal abgeschlossen. Im letzten Quartal waren es mit 22 überdurchschnittlich viele. „Die Ampel hat es selbst in der Hand, zu einer echten Fortschrittskoalition zu werden. Dafür muss sie 2024 zum Digital-Jahr machen“, mahnt der Präsident des Digitalverbandes.

BMWK und BMF vorne Im zurückliegenden Quartal wurde als Groß-Projekt der Digitalpakt für die Justiz umgesetzt. Insgesamt war das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) am „erfolgreichsten“. Es brachte fünf Vorhaben zum Abschluss. Dabei ging es unter anderem um eine verbesserte Finanzierung von Start-ups. In der Verantwortung des BMWK liegen allerdings mit 55 die zweitmeisten Vorhaben. Mit 74 Vorhaben hat das Bundesinnen-

ministerium (BMI) am meisten zu tun. Dazu zählen beispielsweise die Schaffung einer öffentlichen Vergabeplattform (abgeschlossen), allgemein anwendbare digitale Identitäten (begonnen) sowie der medienbruchfreie Austausch von Daten in der Strafverfolgung (nicht begonnen). Das Finanzministerium (BMF) schloss im letzten Quartal vier seiner insgesamt 15 Vorhaben ab. Der „Monitor Digitalpolitik“ wurde im August 2023 erstmals veröffentlicht und zum Jahreswechsel auf den neuesten Stand gebracht. Er gibt Auskunft über den Umsetzungsstand von 144 Projekten aus der Digitalstrategie, 188 digitalpolitischen Projekten aus dem Koalitionsvertrag sowie zweier weiterer digitalpolitischer Vorhaben, die die Bundesregierung nachträglich aufgesetzt hat.

Gewinn herausgepresst werden. Ob danach noch ein Markt für CA-Produkte und die Kunden da war, interessierte nicht, es ging ausschließlich um die Rentabilisierung der Investition mit Gewinn. Das klappte, wie der Aktienkurs zeigte. Der nächste Coup folgte gleich darauf 2019: die Übernahme der Enterprise-Sparte von Symantec. Doch hier klappte es nicht ganz so gut, denn der Hersteller von Sicherheitssoftware hatte, um den Cyber-Herausforderungen zu begegnen, immer große Summen in die Weiter- und Neuentwicklung seiner Software investiert. Das unterblieb im bis dahin geübten Umfang. Heute gibt es Symantec noch auf dem Papier, die Produkte spielen keine Rolle mehr und die Kunden sind weg. Hier gab es allerdings reichlich Alternativen. Daraus hat Broadcom gelernt und sich ein Kaufobjekt gesucht, bei dem die Abhängigkeiten der Kunden besonders groß ist – eben VMWare. Broadcom ist nicht nur mit seiner hervorragenden Stellung im ChipMarkt einzigartig und mit dieser nicht zum eigentlichen Geschäft gehörenden Kaufstrategie zudem wirtschaftlich erfolgreich, sondern auch legendär im Umgang mit dem Personal. Bei CA wurden so viele Leute entlassen, wie es ging, bei Symantec dasselbe – in den USA einfacher als hierzulande. Daher gab es für europäische, insbesondere deutsche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter riesige Abfindungen. Der Plan soll jetzt auch in der Münchner Firmenzentrale von VMWare auf dem Tisch liegen. Die Beschäftigten sind in einer weißen und einer schwarzen Liste aufgeführt, teils ohne selbst davon Kenntnis zu haben. Die „Schwarzen“ sollen weg mit hohen Abfindungen, die „Weißen“ sollen bleiben. Doch die Rigidität beim Personalumgang könnte dazu führen, dass nun auch die Weißen lieber freiwillig gehen, statt zu bleiben. Von den 33.000 VMWare-Mitarbeitern weltweit sollen offiziell zehn Prozent gehen, doch nach Insider-Informationen plant die US-Firmenzentrale, insgesamt 20.000 zu entlassen. Eine Bestätigung hierfür allerdings liegt nicht vor, würde aber ins Bild passen. VMWare galt als Homeofficefreundliches Unternehmen, anders

Panik herrscht bei den bisherigen Vertriebspartnern von VMWare, hierzulande meist Systemhäuser wie SVA, Computacenter oder Bechtle. Sie waren diejenigen die erst in diesem Monat von teils noch nicht ausgereiften Abo-Modellen erfuhren. Sie sind es aber, die als Vertragspartner den Kunden gegenüberstehen, die teils von ihrer neuen Situation nicht mal was ahnen, geschweige denn wissen. Zudem: 2.000 Kunden will Broadcom selbst betreuen. Offensichtlich sollen dem Channel Rosinen entzogen werden. Im Markt ist die Rede von mindestens 500.000 Euro, die ein Vertriebspartner einbringen muss. Es stellen sich Fragen: Kann ein Vertragsverhältnis einseitig ohne Einhaltung einer angemessenen Auslauffrist gekündigt werden? Wer könnte zur Verantwortung, womöglich zu Schadensersatz herangezogen werden? Aber es gibt noch Grundsätzlicheres zu beantworten. Wieso wurden Verträge mit VMWare, Sitz München, gemacht, die nach deutschem Recht jahrelang keine Entität war? Es hieß VMWare Deutschland, Zweigniederlassung der VMWare Global Inc. Cooperation. Also eine Filiale ohne deutschen Firmenstatus. Noch interessanter ist, wie es dazu kam, dass nach langem Hin und Her Beschäftigte der VMWare Deutschland als Sicherheitsüberprüfte bei Behörden mit Sicherheitsaufgaben – hierfür zuständig ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz – , ja sogar Diensten ein- und ausgehen konnten? Diese Fragen werden jedoch nicht von VMWare oder gar Broadcom beantwortet werden müssen.

Fragen nach digitaler Souveränität Auch politisch wirft dieser Deal mit unangenehmen Folgen für die Sparhaushalte Fragen nach der digitalen Souveränität auf. Einige der VMWareKunden tragen die Fahne der digitalen Souveränität vor sich her, doch der Worst Case wurde, wenn nicht ausgeblendet, so unterbewertet, was aber spätestens nach der Ankündigung der Übernahme von VMWare durch Broadcom 2022, sträflich war. Erste Konsequenzen haben die öffentlichen IT-Beschaffer bereits gezogen und daraus gelernt: Beim nächsten Schritt in große Abhängigkeiten bei der Nutzung von Cloud heißt es Multi-Cloud-Strategie.


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