Behörden Spiegel Januar 2020

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Länder

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Digitalisierung auf Sächsisch

Kommentar

IT-Vorhaben der neuen Kenia-Koalition in Dresden

Foto: BS/Tjark Thönßen

Deutschland braucht eine Reform des Föderalismus Konstantin Kuhle ist Innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag.

(BS) Ende des vergangenen Jahres jährte sich der Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz zum dritten Mal. Bei dieser Tat starben elf Menschen und 55 weitere wurden verletzt. Die Aufarbeitung in einem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages dauert an. Aber schon heute ist klar: Die mangelhafte Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Verfassungsschutz- und Polizeibehörden des Bundes und der Länder trug dazu bei, dass die Tat nicht verhindert werden konnte. Wie schon bei der viel zu späten Aufdeckung des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) im Jahr 2011 zeigt sich, dass die föderale Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland durch die aktuellen Gefahren in den Bereichen Extremismus und Terrorismus an ihre Grenzen gerät.

Braucht es im 21. Jahrhundert wirklich 16 Landesämter für Verfassungsschutz? Wie können die Bereiche Beschaffung, Digitalisierung und Datenweitergabe zeitgemäß organisiert werden? Warum erfolgt die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Nachrichtendiensten oftmals auf der Grundlage loser Absprachen und nicht auf Basis transparenter Gesetze? Will der Rechtsstaat die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger auch zukünftig effizient schützen, darf er sich den Antworten auf solche Fragen nicht verschließen. Es ist an der Zeit, die Herausforderungen an der Schnittstelle von Föderalismus und Sicherheit konzentriert anzugehen. Schon in den Jahren 2006 und 2009 hat unser Staatswesen mit zwei Föderalismusreformen gezeigt, dass es zu grundlegenden Reformen in der Lage ist. Man sollte diese Erfahrungen nutzen und

eine gemeinsame Kommission aus Bundes- und Ländervertretern bilden, die Vorschläge erarbeitet. Reibungsverluste, unnütze Doppelarbeiten sowie eine fehlende oder unvollständige Informationsweitergabe müssen durch eine gemeinsame Anstrengung bekämpft werden. Geschieht dies im Rahmen einer Debatte auf Augenhöhe zwischen Bund und Ländern, so müssen letztere auch keine Angst vor einem schleichenden Kompetenzverlust haben. Ein solcher würde sich eher einstellen, wenn nötige Reformen weiter verschleppt werden. Ein weiteres Abwarten jedoch kann nicht die Reaktion auf die Bedrohungen der Inneren Sicherheit sein. Wer angemessen auf die terroristischen Ereignisse der vergangenen Jahre und die extremistischen Bedrohungen von heute reagieren will, der sollte Strukturreformen nicht im Wege stehen.

“Verbrechen an den Kindern” Lehrerverband übt Kritik an Quereinsteiger-Praxis (BS/Katarina Heidrich) Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, hält den Einsatz von Quereinsteigern als Lehrer an Schulen für “absurd”. Den Bundesländern wirft er vor, die Seiteneinsteiger nur unzureichend für ihre neue Aufgabe zu qualifizieren. Die Zahlen zeichnen allerdings ein uneinheitliches Bild im Bundesgebiet. Es sei “ein Verbrechen an den Kindern”, dass bundesweit pädagogische Laien ohne ausreichende Vorbereitung und Qualitätssicherung tätig seien. “Innerhalb von zwei Wochen UniAbsolventen, die noch nie etwas von Pädagogik und Didaktik gehört haben, per Crashkurs zur Grundschullehrkraft auszubilden, das ist doch absurd”, so Meidinger. Dazu komme, dass es für die Quereinsteiger nicht genügend Ausbildungslehrer gebe. Alles in allem zeige sich hier ein “völliges Versagen” und die geringe Wertschätzung einer notwendigen Berufsprofessionalität seitens der Politik. Die reagiert teilweise mit Unverständnis auf die harsche Kritik. Hessens Kultusminister und Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK), Alexander Lorz (CDU), betont, dass mittelfristig einige Länder nicht ohne Quereinsteiger auskommen würden. “Aber wir sind uns bewusst, dass diese auch entsprechend qualifiziert werden müssen”, so Lorz. In Hessen hatten im Oktober 2018 insgesamt 6.300 Lehrkräfte keine abgeschlossene Lehrerausbildung. An Grundschulen unterrichten 1.500 ohne pädagogische Fachkenntnisse. Das sind zehn Prozent aller Grundschullehrer.

Kein pauschaler Lehrer­ mangel Gerade dort fehlen auch die meisten ausgebildeten Lehrer. Aufgrund veralteter Bevölkerungshochrechnungen hatte sich die KMK in ihren Bedarfsprognosen verrechnet, seit Ende letzten Jahres steht fest: Der Lehrermangel wird deutlich größer als bisher angenommen. Bis 2025 sollen nicht nur 15.300 Grundschullehrer deutschlandweit fehlen, wie von der KMK berechnet, sondern insgesamt 26.300. Nach den Zahlen kann der Bedarf bis 2025 nicht mit voll ausgebildeten Grundschullehrern gedeckt werden. Daher würden alle Länder ihre Bemühungen weiter verstärken, Quereinsteiger gezielt fortzubilden und zu qualifizieren, so Lorz. “Richtig bleibt, dass je-

de gegebene Unterrichtsstunde besser ist als eine ausgefallene.” Deutschlandweit ist in den vergangenen Jahren der Anteil von neu eingestellten Quereinsteigern an öffentlichen Schulen von unter drei Prozent auf 13 Prozent gestiegen. Allerdings mit großen regionalen Unterschieden. Der KMK-Präsident wehrt sich deshalb auch gegen den pauschalen Begriff “Lehrermangel”. Der

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rend in Bayern und dem Saarland nach Angaben der KMK im Jahr 2018 kein einziger Seiteneinsteiger eingestellt wurde, war in Mecklenburg-Vorpommern mehr als jede fünfte Stelle mit ihnen besetzt. In Bremen rund jede vierte und in Brandenburg mehr als jede dritte. Berlin mit 40,1 Prozent und Sachsen mit 50,2 Prozent verzeichneten den größten Bedarf.

(BS/bk) Das erste Dreierbündnis in Sachsen und die dritte Kenia-Koalition auf Länderebene – nach SachsenAnhalt und Brandenburg – erblickte kurz vor Weihnachten das Licht der Welt. Für Thomas Popp (CDU) bedeutete die Kabinettsbildung einen Aufstieg zum Staatssekretär für Digitale Verwaltung und Verwaltungs­ modernisierung. Für seinen Geschäftsbereich hat sich die Koalition in der nächsten Legislaturperiode einiges vorgenommen. Das “Softwareland” Sachsen, wie es im Koalitionsvertrag genannt wird, bescheinigt sich selbst schon hervorragende Voraussetzungen für die digitale Transformation. Dennoch möchte die neue Regierung den Wandel finanziell und beratend weiter unterstützen. Zur effizienten Bündelung der Aufgaben und Prozesse soll eine Digitalagentur, wie in anderen Bundesländern schon geschehen, gegründet werden.

freuen. Dies ist auch nötig, da die Plattform Amt24 zu einer landesweiten Verwaltungsplattform weiterentwickelt werden soll. Entsprechend den zeitlichen Vorgaben des OZG plant die Koalition, bis 2022 einen Großteil ihrer Dienstleistungen, wie das Beantragen von Elterngeld oder Wohngeld, Geburts- und Gewerbeanzeige, elektronisch anzubieten. Dazu sollen die Behörden und Kommunen stärker finanziell unterstützt werden. Wie hoch

Unternehmen vom SAX.CERT profitieren und mit dessen Hilfe Sicherheitslücken in Soft- und Hardware schließen. Die Klimadebatte und Umweltanstrengungen machen aber auch nicht vor dem Thema Digitalisierung halt. Deshalb will sich die neue Landesregierung eine Green-IT-Landesstrategie geben und möglichst energiesparend und umweltschonend bei Nutzung und Entsorgung von Hardware handeln. Neben den zahlreichen Vorhaben im Bereich der Digitalisierung bleibt vieles im Koalitionsvertrag vage. Ungeklärt sind die technische und personelle Ausstattung sowie der finanzielle Rahmen der Maßnahmen.

Brandenburger bei Breit­ bandausbau konkreter

Thomas Popp (CDU) hatte seit 2018 die Position des Landes-CIO inne, hier auf dem IT-Sicherheitstag des Behörden Spiegel in Dresden. Foto: BS/Stiebel Die Agentur soll die Digitalstrategie des Freistaates, welche 2019 in der dritten Auflage erschien und durch das Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr erstellt wurde, fortführen und weiterentwickeln. Die Themen, der sich die Digital­ agentur annehmen soll, reichen von Teilhabechancen über eine Open-Data-Strategie bis hin zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt.

Digitalisierungsoffensive in der Verwaltung Neben der Strategiefindung soll die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) vorangetrieben werden. Dafür kann sich Popp als Verantwortlicher über ein eigenes Budget im Haushalt

das Budget oder die Förderung ausfallen sollen, ist dabei noch nicht bekannt. Bei allen Vorhaben der Digitalisierung von Dienstleistungen und Prozessen in der Verwaltung sieht der Koalitionsvertrag auch eine Stärkung der IT-Sicherheit vor. Das Computer Emergency Response Team des Freistaates Sachsen (SAX.CERT) soll seine Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vertiefen und zum IT-Sicherheitszentrum ausgebaut werden. Die Aufgabe des Zentrums wird es sein, sächsische Verwaltungen und Betreiber von Kritischen Infrastruktur beim Thema Sicherheit zu unterstützen. Zusätzlich sollen auch kleine und mittelständische

Im Vergleich zur einen Monat älteren Kenia-Koalition in Brandenburg werden kleine Unterschiede in der Herangehensweise durchaus deutlich. Während sich die Koalition in Sachsen in Sachen Glasfaser- und Mobilfunkausbau nur allgemein für eine flächendeckende Versorgung ausspricht, nennt die Potsdamer Koalition konkrete Daten und Fristen für ihre Vorhaben. So soll in Brandenburg Glasfaser bis 2025 flächendeckend zur Verfügung stehen und der Mobilfunkstandart 4G/LTE zügig vorangetrieben werden. Um eine vollständige Abdeckung des Mobilfunknetzes zu erreichen, schlagen die Brandenburger Maßnahmen in ihrem Koalitionsvertrag, wie die Bereitstellung von Flächen und Gebäuden des Landes für die Errichtung von Funkmasten, vor. Bedeutende Gewerbestandorte sollen so noch vor Ende der Legislaturperiode voll versorgt sein. Doch auch in der Potsdamer Vereinbarung werden noch keine konkreten Aussagen zur Personalausstattung oder Finanzierung getroffen.

Drehscheibe für Einwanderung Arbeitsrechtliche und ausländerrechtliche Aufgaben verknüpft (BS/bk) In Bonn werden zwei neue Stellen für ausländische Fachkräfte eingerichtet. Hintergrund ist das ab 1. März in Kraft tretende Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Zum einen nimmt die Zentrale Servicestelle Berufs­ anerkennung (ZSBA) unter dem Dach der Bundesagentur für Arbeit (BA) ihre Arbeit auf. Zum anderen entsteht auf Landesseite die Zentralstelle Fachkräfteeinwanderung NRW (ZFE).

Ein Buch und eine Aktentasche machen noch keinen Pädagogen: Der Deutsche Lehrerverband kritisiert Quereinsteiger. Foto: BS/Pexels, pixabay.com

Bedarf sei von Region zu Region, von Schulform zu Schulform und letzten Endes auch von Unterrichtsfach zu Unterrichtsfach verschieden. Lorz gesteht aber ein: “Wir haben Regionen, da finden die Kultusministerien einfach nicht mehr genug Bewerber für die Plätze.”

Abnehmende Qualität In Hamburg etwa müsste laut Bildungssenator Ties Rabe jeder zehnte Abiturient Lehrer werden, um den Bedarf der wachsenden Stadt zu decken. Auch er ist der Meinung, im Notfall sei es besser, in begrenztem Maße ebenfalls Quereinsteiger einzusetzen als Unterrichtsstunden ausfallen zu lassen. Die Anforderungen und erforderlichen Qualifizierungen der angehenden Lehrer bei Unterrichtsbeginn sind in den Ländern indes völlig unterschiedlich. Und auch das Ausmaß an Einsätzen von Quereinsteigern fällt bundesweit nicht einheitlich aus. Wäh-

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Hessen (GEW) schließt sich indes Meidingers Kritik an. “Niemand würde sich von einer Krankenschwester am offenen Herzen operieren lassen”, kritisiert der stellvertretende GEW-Vorsitzende Tony Schwarz die aktuelle Situation. Quereinsteiger würden genutzt, um die Unterrichtszahlen gut aussehen zu lassen, “während die Qualität den Bach runtergeht”. Die GEW bemängelt zudem, dass Quereinsteiger verstärkt an Schulen in schwierigen sozialen Lagen eingesetzt würden, was die Chancenungleichheiten der Kinder erhöhe. Darüber hi­naus belaste ihre Betreuung auch die vollausgebildeten Kollegen. Schwarz fordert eine verbesserte Qualifikation und vor allem, den Lehrerberuf attraktiver zu gestalten, damit es langfristig wieder mehr ausgebildete Lehrfachkräfte gibt.

Als zentrale Anlaufstelle für Fachkräfte im Ausland soll die ZSBA Einwanderer sowie Einwanderungsinteressierte von Anfang an bei der Beratung in Fragen des Anerkennungsverfahrens von Berufsabschlüssen begleiten. Sie soll die bisher zuständigen Stellen bei der kommunikationsintensiven Beratung entlasten sowie das Anerkennungsverfahren transparenter und effizienter gestalten. Das ZSBA ist der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) zugeordnet. Die ZAV erweitert so ihr Dienstleistungsangebot für Fachkräfte im Ausland.

Ausländerbehörde tätig sein. Die Zuständigkeit für das neue Fachkräfteeinwanderungsverfahren wurde dazu auf die Bezirksregierung Köln übertragen.

Bund-Land-Kooperation wird geschlossen Die ZFE wird aktiv nach der Antragstellung durch den Arbeitgeber mit der Vollmacht der ausländischen eingestellten Fachkraft und erteilt, sofern alle Voraussetzungen vorliegen, die Vorabzustimmung im Visumverfahren. Die Zentralstelle wird kurz nach der ZSBA ihre Tätigkeit Anfang März aufnehmen.

ZFE als Unterstützung Die Servicestelle soll zum 1. Februar ihre Arbeit aufnehmen und wird vier Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 3,5 Millionen Euro pro Jahr finanziert. Zusätzlich stellt das BMBF einmalig 500.000 Euro für den Aufbau der Stelle zur Verfügung. Im gleichen Zuge beschloss die Landesregierung NordrheinWestfalens, die ZFE in Bonn einzurichten. Die Stelle wird dabei das ZSBA unterstützen und als

In Bonn entstehen Anlaufstellen für ausländische Fachkräfte. Foto: BS/jacqueline macou, pixabay.com

Beide neu eingerichteten Stellen sollen sich jeweils ergänzen und eng mit einander kooperieren.

So sollen arbeitsrechtliche und ausländerrechtliche Aufgaben eng miteinander verknüpft und Synergieeffekte geschaffen werden. Dazu wird derzeit zwischen der BA und dem Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration (MKFFI) des Landes NRW eine Verwaltungsvereinbarung ausgearbeitet.

Landesamt für Einwanderung in Berlin Beide Stellen sind jedoch nicht für die Berufsanerkennung von Geflüchteten und Arbeitsmigranten, die sich schon in Deutschland befinden, zuständig, sondern die jeweilige Agentur für Arbeit des Wohnortes der Personen sowie die zuständige Anlaufstelle des Förderprogramms “Integration durch Qualifizierung (IQ)”. Seit Anfang des Jahres hat auch das Land Berlin ein eigenständiges Landesamt für Einwanderung. Die neue Behörde nehme als service- und beratungsorientierte Willkommensbehörde eine Schlüsselstellung für die Steuerung und Gestaltung der Einwanderung in Berlin ein, heißt es aus der Senatsverwaltung für Inneres und Sport.


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