27 minute read

Radensdorf im sorbischen/wendischen Siedlungsgebiet und seine bauliche Entwicklung

ALFRED ROGGAN

Etwa sechs Kilometer östlich der Stadt Lübben befindet sich der Ort Radensdorf. Seine Lage an einer Umgehungsstraße führt dazu, dass er heute nur von außen, nur von der Tangente, wahrgenommen wird und scheinbar wirkt auch das Fehlen eines Herrenhauses, einer Kirche oder eines urwüchsigen Angers wie ein Grund, um nicht abzubiegen bzw. auf eine Besichtigung neugierig zu werden. Dennoch steht die Radensdorfer Gründungs- und Dorfgeschichte sowohl für Typisches wie auch für ziemlich Untypisches einer Brandenburgisch-Niederlausitzer Ortsentwicklung und es sollen nachfolgend die Ortsanlage in spätmittelalterlicher Zeit, die Entwicklungsphasen anhand von Land- bzw. Vermessungskarten, die Sozial- und Besitzstruktur nach historischen Aufzeichnungen, die infrastrukturelle Entwicklung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sowie eine Beschreibung von Bauweisen und -typen betrachtet werden.

Advertisement

Der Ort Radensdorf hat eine mindestens seit 1439 bezeugte Zugehörigkeit zur Herrschaft Zauche, jedoch ab 1674 zum Amt Neu Zauche. Dieses wiederum war mit dem Amt Lübben verbunden – sodass der Status eines Amtsdorfes als Entwicklungs-Chance gelten kann: Amtsdörfer unterlagen im Normalfall überschaubaren feststehenden Dienste-Verbindlichkeiten, während aus heutiger Sicht bei gutsuntertänigen Orten die Belastungen durch adlige Besitzer oft höher, willkürlicher und fast jederzeit änderbar erscheinen.

◀ Blockfüll-Scheune (radensdorfer Hauptstraße 16), 2022.

Der Übergang von der slawischen zur deutsch-dominierten Zeit

Die prähistorische Zeit weist eine hohe Vergleichbarkeit mit anderen Niederlausitzer Regionen auf, denn nach dem Abzug germanischer Stammesgruppen im Zuge der Völkerwanderung war die Region zwischen dem 5. und dem 7. Jahrhundert für ca. 200 Jahre wenig oder gar nicht besiedelt. Etwa im 8. Jahrhundert wanderten slawische Sippenverbände ein, die, wie auch vorangegangene Kulturen, entlang fruchtbarer Flusstäler siedelten. Allerdings blieben sie untereinander durch teils beträchtliche Waldmassive wie auch andere naturräumliche Hindernisse getrennt.

Das heutige Lübben, wie auch direkt in der SpreeNiederung liegende Bereiche, zeigt eine über lange Zeit anhaltende Funddichte aus allen Jahrhunderten der slawischen Präsenz. Doch im Gegensatz dazu weisen weite Landstriche, wie auch die Radensdorfer Orts- und Feldflur, eine archäologische Fundarmut1 auf – hier kann man von einem kaum, weil wirtschaftlich unattraktiv, oder sehr dünn besiedelten Landstrich ausgehen. Anneliese

Siedlungszentren und siedlungsleere Bereiche auf dem Gebiet der späteren Niederlausitz in slawischer Zeit (radensdorf siehe Kennzeichnung). Bereiche in Flusstälern waren meist dichter besiedelt als sandige Hochflächen wie um das heutige dorf.

radensdorf am Kreuzungspunkt dreier Wege, 1783. Krenzlin lieferte aufgrund ihrer Forschungen eine Erklärung, die für ganze Teile der heutigen Niederlausitz gilt: Sie war »in mittel- und spätslawischer Zeit so gut wie unbesiedelt […] Erst im 12. und 13. Jahrhundert hat von dem alten slawischen Siedlungsgebiet des LuckauKottbuser Niederlandes eine Ausdehnung der Besiedlung […] langsam stattgefunden. Sie wurde mit der deutschen Kolonisation verstärkt, in der in diesem Gebiet von deutschen Grundherren Slawen angesiedelt wurden, die aus altslawischen Gebieten kamen. Das dürfte frühestens im 13. Jahrhundert gewesen sein.«2

Die in deutscher Zeit angeworbenen bzw. eingewanderten Slawen hatten offenkundig den Übergang von einer Naturgötter-Religion (Polytheismus und Animismus) zum frühen Christentum bereits vollzogen – offen bleibt die Frage, ob dies vielleicht sogar eine Bedingung der Teilnahme am mittelalterlichen Landesausbau unter deutscher Oberhoheit war und diese wiederum das teils ausgedehnte Fehlen slawischer Kultplätze erklärt.

Derartige Forschungsergebnisse mit Differenzierung nach slawischen Lebens- und Siedlungsformen trotz deutscher Dominanz sind erst in den letzten 50 bis 70 Jahren zunehmend in die Betrachtungen gerückt – noch vor 100 Jahren wirkten dagegen althergebrachte, aber recht einseitige Stereotype, von denen beispielsweise auch der anerkannte Volkskundler Prof. Dr. Ernst Muka/Arnošt Muka nicht frei war. So führte er 1917 zu Niederlausitzer Baustrukturen aus: »Die Häuser der Wenden und ihrer Nachkommen waren bis in die neueste Zeit meist einstöckig, die fränkischen Wohnhäuser der deutschen Kolonisten aber hatten häufig […] noch ein Obergeschoß.«3

In spätmittelalterlicher Zeit entstand mit dem Namen »Radmisdorff« ein Wirtschaftsbereich unter deutscher Oberhoheit, mit neuer Infrastruktur und einer Hufenverfassung.4

Sage der Lüttgen als Form der Volksfrömmigkeit. Niedergeschrieben in der Lauitzer rundschau, 30. März 1957.

Die Ortsanlage in spätmittelalterlicher Zeit – eine »Einreihige Zeile« (›Kurze Gasse‹)

Radensdorf teilt mit vielen anderen Orten das Schicksal eines, gemessen an der Ersterwähnung, sicherlich höheren Alters. Die Ersterwähnung erfolgte 1425, doch die Gründung wird vor diesem Datum gewesen sein, da im beschriebenen Zusammenhang ein vorhandener (funktionierender) Ort als Voraussetzung gilt. Ebenso ist es sicher, dass Rudolf Lehmann mit dem Begriff »Kurze Gasse« für Radensdorf den Terminus der »Einreihigen Zeile« umschreibt, denn zur slawischen Wirtschaftstätigkeit gehörte unter anderem dieser Siedlungstyp. Die »Einreihige Zeile«5 wurde nicht nur im südlichen Teil der heutigen Niederlausitz, sondern auch bei den Grabungen im Bergbau-Devastierungsbereich Vetschau-Calau sowohl für die slawische wie auch für die spätmittelalterlich-deutsche Zeit nachgewiesen. Zu diesen Ergebnissen bemerkt Gertraud Eva Schrage: »Durch die in der letzten Zeit durchgeführten Untersuchungen in der Umgebung des Burgwalls von Schönfeld, Krs. Calau, konnte nachgewiesen werden, dass die […] nördliche Vorburg-Siedlung eine längliche Form aufwies, die man wohl mit einer Zeile gleichsetzen kann […] Es konnte wahrscheinlich gemacht werden, dass die Zeile eine Ortsform darstellt, die […] außerdem als Ausgangsform für eine Reihe anderer Ortsformen dienen konnte [und es] ist festzustellen, dass sich diese Ortsform hauptsächlich auf die Grund- und Endmoränenplatten bzw. ihre Ränder beschränkt.«6

Die Zeile war eine für Wirtschafts- und Wohnverhältnisse gleichermaßen praktikable Form, die von »den siedelnden Slawen in frühdeutscher Zeit vornehmlich angelegt wurde […] Die Vorliebe für die Zeile ist wahrscheinlich damit zu erklären, dass bei den siedelnden Slawen die Viehzucht eine größere Rolle spielte als bei den deutschen Siedlern, die stärker auf den Ackerbau eingestellt waren. Die einfache Zeile ist nämlich immer am Rand der Niederung gelegen, und zwar so, dass die Hin-

terhöfe und Gärten weit in die Niederung hineinragen. Diese eichenbestandenen ‚Grashöfe‘ sind den Slawen als Koppeln für das Vieh unentbehrlich gewesen und waren in der ganzen Feldmark die wertvollsten Weidebezirke, da die feuchten unentwässerten Niederungen vorwiegend Sauergräser trugen […] Die einfache Aneinanderreihung der Höfe am Rande der Niederung bot jedem Bauern eine gleich gute Gelegenheit, seinem Hofe einen beliebig langen Grashof anzugliedern.«7

Erstaunlicherweise ist, im Gegensatz zu weiteren ähnlichen Dorfanlagen, die Gründungsgeschichte in Radensdorf unvergessen geblieben: Der Ursprungsteil der Siedlung trägt heute noch die Straßenbezeichnung (Altes) »Dorf«. Ebenso deutlich zeigen sich die Verhältnisse der historischen Zeile mit deren ehemaligen Weidebezirken, die als Wirtschaftsflächen bis zu einem tiefer liegenden Graben reichen und bis heute als Ortsrand fungieren – jede Ortserweiterung war aufgrund der Topografie nur in nordöstlicher oder in nordwestlicher Richtung möglich.

das ursprüngliche radensdorf. unter mittelalterlich-deutscher Herrschaft gründeten angeworbene Slawen ihre typischen dörfer, die »einreihigen Zeilen«: Lange Parzellen wurden von einem etwas tiefer liegenden Fließ begrenzt und boten beste Bedingungen für die Tierhaltung.

Proschim als Musterbeispiel einer slawischen dorfgründung in früher deutscher Zeit. Noch nach 1780 bestand es in der spätmittelalterlichen Form.

Die Dorfentwicklung, belegt durch Vermessungen und Statistiken

In Radensdorf ist die Ortsgröße und nutzbare Feldflur bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges annähernd gleichgeblieben. Es gab von Anfang an etwa acht bis zehn Gehöfte: Das entsprach einer Bevölkerung von maximal 30 bis 40 Einwohnern – zuzüglich Dienstpersonal. Diese scheinbare Einwohner-Stetigkeit ist jedoch nahezu eine Regel gewesen, da bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts eine Zunahme der Bevölkerung infolge der wiederkehrenden Krankheits- und Seuchenwellen (Pest, aber auch insbesondere Pocken) in vielen Niederlausitzer Dörfern kaum zu verzeichnen gewesen ist. Es gibt sogar Berichte des 16. und 18. Jahrhunderts aus dem kirchlichen Raum, in denen die häufige de facto »Zwei-KinderEhe« der Landbevölkerung (offensichtlich unter Einrechnung der hohen Kindersterblichkeit) stark kritisiert

wurde. Die Bevölkerungsverluste in der Zeit des Großen Krieges (1618–1648) brachte die Einwohnerschaft auf einen Tiefpunkt, der bestenfalls um das oder erst nach dem Jahr 1700 wieder ausgeglichen schien: Radensdorf hatte durch seine direkte Lage an mehreren Wegen stetig unter Truppendurchzügen, Plünderungen und den nachfolgenden Störungen jeder Wirtschaftstätigkeit zu leiden gehabt und der Friedensschluss 1648 kann durchaus als »Stunde Null« des Dorfes bezeichnet werden.8

Die Sozial- und Besitzstandsgliederung im Dorf

Die dörflichen Rangordnungen gründeten sich seit dem Mittelalter auf dem streng parzellierten Hufenbesitz, die gemeinschaftlich zu nutzende Hutung und den Flurzwang innerhalb der Felderbewirtschaftung. Auch gab es zu allen Zeiten eine dörfliche Selbstverwaltung, in der aber nur Besitzende (Bauern, Kossäten) stimmberechtigt waren. Sie bestimmten beispielsweise über gemeinsame Baumaßnahmen gegen Wasser- und Wildschäden, internen Wegebau sowie über die wichtigen Saat- und Erntetermine in den einzuhaltenden Notwendigkeiten einer DreiFelder-Wirtschaft.

Die Verhältnisse für die unmittelbar auf den Dreißigjährigen Krieg folgende Zeit waren zwar nicht zu ermitteln, doch führt Rudolf Lehmann verlässliche Gehöftzahlen für das Jahr 1708 an: »1708 leben im Ort 6 Bauern / 9 Kossäten / 4 Büdner: 33 Personen zwischen 12 und 60 Jahren.«9 Zu dieser Zeit hat die ursprüngliche Zeile noch die gesamte Dorfstruktur gebildet und es scheinen die größten Verluste an Menschen und der Infrastruktur, die der Dreißigjährige Krieg hinterließ, im Wesentlichen ausgeglichen. In der nachfolgenden Auflistung entsprechen: Bauern=Hüfner, Halbbauern=Kossäten oder Gärtner, während Büdner und Häusler über keinen nennenswerten Landbesitz verfügten, also als Dienstleute oder Handwerker ihr Auskommen suchten.

Die Größe einer Hufe entsprach in der Region einer Fläche von etwa 8 Hektar; diese sicherte die Ernährung einer Hüfner- bzw. Bauernfamilie ab. Zu bemerken ist weiterhin, dass innerhalb der Auflistung10 gelegentlich der Unterschied von Bauern zu Halbbauern mehr im Dienste- und Steuersystem als in gravierenden Besitzunterschieden liegen konnte. Zu Radensdorf gehörten:

– 1718: 4 Hüfner, 8 Kossäten oder Gärtner, 4 Häusler, – 1723: 7 Bauern, 9 Kossäten, 4 Büdner, – 1791: 2 Bauern, 9 Kossäten, 7 Büdner, – 1810: 7 Ganz-Bauern, 9 Ganz- u. 4 Halb-Koss., 22 Häusler/Büdner, – 1816: Insgesamt lebten nach den Ermittlungen zur

Budarschen Stiftung 280 Personen im Dorf11 , – 1864: 2 Windmühlen sind vorhanden.

Es ist bemerkenswert und zugleich eigentlich unüblich, dass zwischen 1708 und 1810 die Schicht der Bauern wenig Stetigkeit zeigt, während die Zahl der Kossäten/Halbbauern bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eine hohe Beständigkeit aufweist. Die Entwicklung in der Schicht der Bauern ist nicht typisch für Niederlausitzer Dörfer, da ein Wechsel im Sozialrang »Bauer« auch einen erheblichen gesellschaftlichen wie auch wirtschaftlichen Abstieg bedeutete. Doch müssten zukünftige detailliertere Untersuchungen aufzeigen, ob entgegen allgemeinen Definitionen der Besitzstand zwischen Bauern, Halbbauern und Büdnern, analog der Verhältnisse im Burger Oberspreewald, in Radensdorf tatsächlich nicht sehr bedeutsam war – es wirkte sich in jedem Fall auf den verbrieften Sozialrang aus!12

Weitere nicht recht erklärbare, doch spürbare Umwälzungen erlebte die Radensdorfer Region um das Jahr 1800: Es ist noch nicht die Zeit der Separation13 und dennoch wächst die Zahl der Häusler, der Kleinbesitzer, bis 1810 auf 22 Wirtschaften an – sie dominieren erstmals in der Anzahl über die der Bauern und Halbbauern. Vermutlich ist u.a. ein gesteigerter Bedarf an Arbeitskräften (Dienstleute, Handwerker) durch das nahe »Lübbener Raths-Vorwerk«, die Forstwirtschaft, eine nahe gelegene Schäferei und zwei erbaute Mühlen entstanden, während der Torf-Abbau keine große Rolle spielt.

der Familienname Wugler ist der älteste nachweisbare Familienname im ort. im august 1500 wird ein »clawß Vgler von radmentstorff« genannt.

ehemaliger Wugler-Hof (dorf 11). ein Gehöft behielt traditionell den Namen des ersten Besitzers. Wurde es verkauft oder an eine Tochter vererbt, wurden die neuen Besitzer nach dem Gehöft benannt. der letzte Wugler starb 1801 auf diesem Gehöft. Noch heute werden die jeweiligen Besitzer umgangssprachlich »Wugler’s« genannt. Grundstück von Wilhelmine Wugler (1878–1928), radensdorfer Hauptstraße 77. Mit ihr starb der Name »Wugler« im ort aus. obwohl sich der Name auf diesem Grundstück weitaus länger hielt, wird er bis heute nicht mit ihm in Verbindung gebracht.

Eine weitere Abrundung der Infrastruktur stellt sich zu dieser Zeit mit der Einrichtung eines Begräbnisplatzes ein. Bis dato galt der Friedhof der Lübbener Wendischen Kirche als Bestattungsort für alle eingepfarrten Orte, doch in Umsetzung der preußischen Regierungsverordnung vom 20. Mai 1814 war jeder Transport eines Verstorbenen über eine preußische Meile hinaus verboten worden. So wurden damals in vielen Ortschaften kommunale bzw. kirchliche Friedhöfe eingerichtet.

die letzten ihres Standes. die jahrhundertealten Handwerkstraditionen des Korbflechtens und Besenbindens werden durch Günter Kuhring und Walter Piesker gepflegt.

radensdorf, 1843. das »alte dorf« hat einen kompletten neuen Scheunenkranz und jegliche SiedlungsNeubebauung wurde umfassend davon nördlich liegend entwickelt. etwas entfernt liegt der Begräbnisplatz; zwei runde Katasterstücke daneben zeigen die Mühlen.

radensdorf zum abschluss der Separation, 1864. das dorf hat seine Feldflur abschließend neu geordnet.

In der Zeit bzw. zum Ende der Napoleonischen Kriege traten in der Folge der Bauernbefreiung auch in Radensdorf im neuen Maß ganzjährige Tierhaltung und eine gesteigerte Vorratswirtschaft auf. Infolge dieser erweiterten Prozesse wurden andere Bauwerke nötig und so findet sich ein beachtlicher »Scheunenkranz« am südlichen Zeilenrand errichtet. Wegen der erheblichen Brandgefahren befanden sich diese Bauten in einem Sicherheitsabstand, der den Scheunen den Charakter des namengebenden »Kranzes« verleiht. Solche städtebaulichen Elemente prägten von nun an Radensdorf, wie auch andere Dörfer der Niederlausitz.

Die nachfolgende Separation – die in Preußen zwischen 1820 und etwa 1860 vorgenommenen Gemeinheitsteilungen zur Beseitigung der alten schmalstreifigen Gewanngliederungen und der Aufteilung der historischen Gemeindehutungen – erbrachte neue Maßstäbe für eine ertragsorientierte Land-, Forst- und Fischwirtschaft. Erweiterte Haus-, Stall- und Scheunenformen waren u.a. eine Reaktion darauf. »Modernere« Verdingungen und Anstellungsverhältnisse boten zusätzliche Wirtschaftsimpulse für viele Familien, die bisher nicht zu den Besitzenden bzw. Kleinbesitzenden gehörten. Die sich ergebenen finanziellen Möglichkeiten begünstigten eine erneute Bautätigkeit im Privaten wie auch im öffentlichen Bereich.

Die Ortsentwicklung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Der Kunststraßenbau

Wenige Jahre nach der Separation wurde seitens der Landes- und Kreisbehörden ein neues Großvorhaben in Gang gesetzt – der Kunststraßenbau. Bis zu deren Fertigstellungen zeigten sich nahezu überall die normalen Straßen außerhalb von Ortschaften seit Jahrhunderten als mehrgleisige, teils ausufernde Sandbahnen, die pflichtgemäß im Rahmen zu erbringender Dienste von den Bewohnern anliegender Orte zu reparieren bzw. auszubessern waren.14 Es traf vielfach zu, »daß die Wege im Frühjahr und im Spätherbste gar nicht befahrbar sind« und »nur im Sommer seien so wie überall auch die hiesigen Straßen gut.«15 Doch lagen die Probleme des Niederlausitzer außerörtlichen Straßennetzes noch auf einer ganz anderen Ebene. Der ausgewiesene Kenner Niederlausitzer Verhältnisse, Dr. Rudolf Lehmann, beschreibt die lausitzischen Verkehrsverhältnisse vor und nach der 1815 erfolgten Eingliederung in den preußischen Staatsverband wie folgt: »Im Wiener Frieden vom 18. Mai 1815 war neben anderen sächsischen Gebieten auch das Markgraftum Niederlausitz an Preußen abgetreten worden […] Die Hoffnungen der Niederlausitzer, mit Berlin durch eine Chaussee verbunden zu werden und eine weitere in der Richtung von Leipzig nach Frankfurt, dem Sitz der Regierung und des Oberlandsgerichts, zu erhalten, erfüllten sich nicht. So war aller Verkehr mit den übrigen Provinzen des preußischen Staates aus der Niederlausitz hinausverlegt […] Zu

ehemaliges chausseehaus (radensdorfer Hauptstraße 6), 2022. Für den Bau der chaussee Lübben-Straupitz-Lieberose sind drei chausseegeld-Hebestellen in radensdorf, Neu Zauche und Lamsfeld genehmigt worden. Mit der Fertigstellung des Baus in radensdorf erfolgte die chausseegeld-erhebung ab oktober 1867. danksagung zum Tod von chausseeaufseher Friedrich Wilhelm Schwitzky, 1886.

dem Verlust, der das Land 1815 durch die Aufhebung aller einheimischen höheren Behörden betroffen hatte, kam jetzt der Verlust in der Verkehrsbedeutung. Etwa 35 Jahre nach der Angliederung an Preußen, also etwa bis zum Anfang der 1850-er Jahre, war außer der Berlin-Görlitzer Straße nur die Strecke Guben-Cottbus nahezu vollendet. Für Städte wie Lübben, Lieberose aber auch Calau, Senftenberg und Finsterwalde bestand noch keine Aussicht, an das neue Straßensystem angeschlossen zu werden.«16

Diese Situation veranlasste zur bzw. nach der Mitte des 19. Jahrhunderts viele Kreise, so auch Lübben und Beeskow-Storkow, eigenständig das Planen wie auch Bauen von Kreisstraßen anzugehen. Um im Zuge der Genehmigungen durch die Königliche Regierung zu Frankfurt/ Oder mögliche staatliche Förderungen zu bekommen, wurden die Planungen als Allwetterstraßen, als »Kunststraßen mit Grundbau aus größeren und Deckbau aus kleineren Steinstücken«17 vorgenommen. So lag auch durch den Lübbener Kreistag ein Beschluss vor, der in den Jahren von 1867 bis 1869 zum Straßenbau von Lübben in Richtung Straupitz, Lamsfeld und Lieberose führte.18 Diese mit Straßenbäumen versehene Chaussee führte von West nach Ost gehend, direkt durch den Ort, heute als »Radensdorfer Hauptstraße« bezeichnet. Damit war der Ort, wie auch andere Gemeinden, ganzjährig gut erreichbar geworden – an und für sich begann damit die »Moderne Zeit«.

Zur Tilgung von Baukrediten und für die Instandhaltung wurden für eine gewisse Zeit von allen Nutzern der Chausseen Gebühren erhoben. Als Einrichtungen dafür wurden »Chausseegeld-Hebestellen« (Chausseehäuser) errichtet; heute als Straßenhäuser und sogar irreführend als »Zollstationen« bezeichnet. Der Abstand zwischen den Chausseehäusern konnte eine, seltener zwei Preußische Meilen (7,5 bzw. 15 Kilometer) betragen. Hier wohnte das nötige Personal, wie beispielsweise die »Vereidigten Aufseher und Gebühren-Einnehmer.«19

In diesem Zusammenhang wurden wiederum Arbeitskräfte benötigt und es kam vermutlich zu weiteren

radensdorf, 1901: die Kreisstraße von 1867 erschließt den ort und die Spreewaldbahn mit ihrem östlich des dorfes liegenden Bahnhof ermöglicht den Personen- und Güterverkehr in bisher ungeahntem umfang.

Ansiedlungen in Radensdorf. Wahrscheinlich begann die Bebauung des Areals westlich vom Weg Dorf–Friedhof und nördlich der Kreisstraße in dieser Zeit mit den kleineren Gehöften, in denen Familien wohnten, die Landwirtschaft nur noch im Nebenerwerb betrieben.

Doch übertraf eine Infrastrukturmaßnahme noch die Bedeutung des Straßenbaus – die Einrichtung der Lübbener Kreisbahn, später nur noch »Spreewaldbahn« genannt.

Die Kleinbahn, genannt Spreewaldbahn

Im Jahre 1898 wurde die Spreewaldbahn in Betrieb genommen, auch wenn einige Teilbereiche bzw. Bahn- und Betriebsbauwerke noch nicht fertig gestellt waren. Die für Radensdorf gewählte Trasse bildete sichtbar von nun an den nördlichen Ortsabschluss – eine strukturelle Grenze, die sich auch nach der Einstellung des Bahnbetriebs in den 1970/80er Jahren bis heute im Grunde genommen in der Lage der Umgehungsstraße bewahrt findet.

Mit der Eisenbahn begann im größeren Umfang ein bilateraler Austausch zwischen Radensdorf und den umgebenden Märkten, insbesondere in Lübben und Straupitz. Auch wenn diese Dimension einerseits im Absatz von Tierhaltungs-, Garten- und Feldprodukten wirtschaftlich bedeutsam wurde, so waren doch andererseits für Einwohner auch entferntere Arbeitsstellen gut erreichbar geworden, d.h. ein fast typischer Arbeitskräftemangel bei insgesamt angezogenen Entlohnungen war eine weitere Folge.

Das Erscheinungsbild von Radensdorf wie auch weiterer in Bahnnähe liegender Ortschaften nahm neue Prägungen an, denn durch die Eisenbahn konnten Baumaterialien leicht und preiswert angeliefert werden: So wurde im Bereich des Spreewaldes beispielsweise in größeren Mengen englischer Schiefer verarbeitet, der trotz Schiffstransport via Hamburg/Goyatz–Hoffnungsbay immer noch billiger als der deutsche Schiefer, z.B. aus der Eifel, blieb. Mit der Bahnlinie kamen auch strapazierfähige Entwicklungen, wie der sogenannte »Holz-Beton« (heute würde man es als Asbestprodukt bezeichnen) in die Region. Dieser relativ leichte und haltbare Baustoff begann seit Anfang der 1920er Jahre in seiner rhombischen plattenartigen Verarbeitung viele Dächer im gesamten Spreewaldbereich zu prägen. Weiterhin trat für einheimische Ziegeleien ein ungeahnter Absatz, aber auch Konkurrenzkampf nach Preis und Qualität ein: Der Burger Bahnhof wurde beispielsweise fast vollständig mit Bausteinen aus den (an einer Bahnstrecke liegenden) Ziegeleien bei Halbe errichtet, während gleichzeitig im Burger Bahnhofsbereich Werbung für Ziegel aus den Lieberoser Ziegeleien gemacht wurde.

Die Spreewaldbahn brachte für Radensdorf nicht nur Prestige und neue anspruchsvolle Arbeitsplätze, sondern durch preiswerte Material-Antransporte Modernisierungen und Überprägungen im Ortsbild. Zu dieser Zeit stellte sich für so manchen Einwohner die Frage: Warum ein altes Fachwerk-Wohnhaus erhalten, wenn unter den geänderten Bedingungen und den gestiegenen Einkommensverhältnissen endlich »modern und stolz« im Stile der neuen Zeit gebaut werden kann?

Historische Bauten und Baustoffe im Radensdorfer Ortsbild

Das alte Lübbener Kreisgebiet ist seit dem späten 18. Jahrhundert in Bezug auf Wohnbauten dem Fachwerk-Bereich zuzurechnen. Ähnlich dem heutigen Landkreis Elbe-Elster finden sich in der ganzen Region Fachwerkbauten, die teils ein hohes Alter aufweisen. Bei diesen alten Bauten zeichneten sich beispielsweise deutliche Drempel-LagerZonen und ebenso die Deckenbalkenenden in den Außenwand-Gefügen ab. Im Vergleich der Grundrisse zeigen sich jedoch keine nennenswerten Unterschiede zwischen Lausitzer Block- und Fachwerk-Wohnhäusern: Sie dienten beide, trotz äußerlicher Unterschiede, den gleichen bäuerlichen Nutzungsprinzipien.

Interessanterweise ist die alte Blockwerk-Konstruktion von deutschen Wissenschaftlern und Denkmalpflegern noch um 1900 als Ausdruck wendischer Bautraditionen (!) bezeichnet worden. So schreibt der preußische Provinzialkonservator Theodor Goecke 1917 über den alten Luckauer Kreis: »Neben dem Bauernhaus aus Fachwerk haben sich noch verschiedene, auf wendische Vorbilder zurückgehende Blockhäuser herübergerettet.«20

Auch wenn Block- oder Fachwerkbauten heute kaum noch in größerem Maßstab die Orte der Lübbener Region prägen, geben Wissenschaftler wie Frank Delitz oder Klaus Schmidt Hinweise für die ehemalige Dominanz: »Rückschlüsse auf die ehemalige Verbreitung der Holzbauweise gestatten heute in vielen Fällen nur die in größerer Anzahl vorhandenen Block- [bzw. Blockfüll-] Scheunen. Als bisher kaum angetastete Überbleibsel der alten dörflichen Architektur stellen sie die letzten überlebenden Zeugen einer [fast] erloschenen Kultur dar.«21 So stellen sich in Bezug auf alte wendische Holzbautraditionen tatsächlich manche Scheunen als wichtige Zeugnisse heraus: »In der Niederlausitz, die bis 1815 sächsisch war, findet sich […] eine sehr eigene Scheunenarchitektur. Diese ist im Allgemeinen von einer großzügigeren Verwendung von Holz in den unterschiedlichsten Verarbeitungsformen geprägt. So wurde an den Außenwänden die untere Gefachreihe ausgeblockt.«22 Diese Bauformen der Kombination von Block- und Fachwerk werden heute als »Blockfüllwerk« bezeichnet.

Allgemein gilt (Ausnahme Byhleguhre/Neu-Byhleguhre), dass seit dem Ende des 18. Jahrhunderts eine Grenzlinie von Block- zu Fachwerkbauten innerhalb der Wohnhauslandschaft des alten Lübbener Kreises festzustellen ist, die annähernd dem Verlauf der südlichen Kreisgrenze entspricht. Westlich der Linie Straupitz–Goyatz beherrschten ebenso seit dem späten 18. Jahrhundert Wohn-Fachwerkbauten (Beispiele Hartmannsdorf23 , Schlepzig, Kuschkow, aber auch Radensdorf) die Ortsbilder. Allerdings waren beim Scheunenbau in weiten Teilen des Kreises alte erprobte Kostruktionen, oft als Kombination von Block- und Fachwerk (Blockfüllwerk), weiterhin üblich.

Von allen Bautypen, die für Wohn-Architekturen bestimmter Zeiten stehen, sind heute in Radensdorf nur noch Beispiele aus der zweiten Hälfte des 19. und des 20. Jahrhunderts präsent. Die erhebliche Hauserneuerungsrate seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeugt sogar von stetig angewachsenem Wohlstand. So steht die Abfolge von Holz- zum Massivbau zwar für die örtlichen Wohnbauten, jedoch weisen im Dorf die Wirtschaftsbauten noch eine größere Vielfalt auf.24

Die Blockfüllkonstruktion in Scheunen In Radensdorf hat sich das sogenannte »Blockfüllwerk« im Scheunenbau zwar nicht in der historischen »Zeile« erhalten, doch im nördlich anschließenden Bereich der ersten großen Ortserweiterung ist ein Bauwerk aus der Zeit um 1810/20 zu finden. Dieses ist sogar auf allen Ortsvermessungen abgebildet, so auch auf dem ältesten Ortsplan von 1843. Eine weitere Scheune gleicher Bauart ist durch ein Foto dokumentiert – hier ist sogar noch ein altes Zeichen aus der Volksfrömmigkeit, eine Giebelverzierung in Form eines gekreuzten tierischen Motivs, dokumentiert.25

Die Blockfüll-Scheunen sind ursprünglich in den oberen Gefachen mit Lehmstak versehen worden und weisen stets im unteren bodennahen Gefach ein eingeschobenes

Blockfüll-Scheune (radensdorfer Hauptstraße 17) des 19. Jahrhunderts mit einem Tiermotiv, einem alten Schutzzeichen aus der Volksfrömmigkeit, als Giebelverzier, 1955. 1975 abgebrannt.

Blockfüll-Scheune (radensdorfer Hauptstraße 63) mit rogosch-dach, Giebelsymbol und Lehmstak, 1955. Zwei große einfahrten zeugen von ertragreicher Landwirtschaft. Blockfüll-Scheune (radensdorfer Hauptstraße 16), 2022.

die Lagerung auf Naturstein bot Wasser keine angriffsfläche und sicherte so die Langlebigkeit der Holzkonstruktion.

Blockwerk auf. Es wird angenommen, dass solche Blockfüllkonstruktionen, egal ob nur im unteren oder in allen Gefachen vorhanden, besser und verformungsfreier Lasten aus landwirtschaftlichen Stapel- wie auch Schüttgütern aufnahmen, wohl auch guten Schutz gegen Schädlinge (Mäuse usw.) boten und aktiver die Trocknungsprozesse begünstigten. Manche dieser Bauten kannten sogar Dielen als Schutz gegen Bodennässe.

Galerie-Stall (radensdorfer Hauptstraße 18), ende der 1980er Jahre. der alte Stallteil ist mit Ziegel erneuert worden, das obergeschoss zeigt sich in Fachwerk mit einer (Trocknungs-)Galerie. erst auf den zweiten Blick fallen die schön verzierten Verbretterungen an den Traufen auf.

der abbruch eines ehemals stolzen und wichtigen Wirtschaftsbaus, wie dem Galerie-Stall, ist immer ein trauriger anblick, 1986. Eine heutige Seltenheit – der Fachwerk-Galeriestall Diese Bauwerke waren zwischen dem Fläming bis hin zum Jüterboger Bereich, der westlichen, mittleren und nördlichen Niederlausitz (Beispiel in Goschen bei Lieberose) ursprünglich nicht selten gewesen. Sie standen sowohl in Dörfern wie auch in Ackerbürgerstädten (Beispiel Lieberose), doch es führten Abbrüche wegen scheinbarem Nicht-mehr-Bedarf oder die Folgen von nicht materialgerechten »Sanierungen« der Stall-Ebenen zum Schwinden des Bestandes. Denn naturgemäß unterlagen die Stallebenen einer recht hohen Abnutzung, während die oberen Fachwerk-Ebenen mit den Trockengalerien und Lagerzonen kaum Verschleiß kannten: Im Regelfall wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entweder eine »Modernisierung« durch Abbruch oder im Bereich der Ställe eine Auswechselung der Fachwerk- gegen Ziegelsteinsubstanz durchgeführt.

So zeigt sich bei dem nur noch durch ein Foto überlieferten Radensdorfer Beispiel, dass bei der Versteinerung des Untergeschosses keine kraftschlüssig ausgebildeten Lastabführungen aus dem Fachwerk-Galeriebereich vorgenommen wurden – diese wären nötig gewesen, um den Dachschub und die Tritt-Lasten aufzunehmen. Die Folge bestand aus unkontrollierten Absenkungen und nachfolgendem Abbruch.

erhaltene inschrift zum Bau der Scheune von christian Bogott (dorf 5). in diesen sehr frühen Wirtschaftsbau »signierte« der Zimmermann den Bauherrn und die Bauzeit 1718. die Scheune wurde 1948 durch einen Neubau ersetzt.

Ein Unterschied fällt bei den erwähnten Niederlausitzer Galerie-Ställen in Hinsicht auf ähnliche Bauwerke des Kern-Spreewaldes auf: Sie verzichten in den Brüstungen auf die Verwendung von oft kultisch gedeuteten Glücks- und Segenssymbolen, den sogenannten »Andreaskreuzen«, und werden nur über eingefügte gerade Ständer getragen.26

Die Fachwerk-Wohnbauten Die Ermittlungen zur Holzbaugeschichte in den ländlichen Bereichen der alten Niederlausitz haben ergeben, dass der Grundsatz, wonach Fachwerkbauweisen den Blockbaukonstruktionen folgten, nicht für alle Bereiche der Niederlausitz Geltung hat. Auch wenn sich im 19. Jahrhundert immer deutlicher ein Bauholzmangel bzw. differenziertere Anforderungen an Baumaterialien in Hinsicht auf Funktionalität wie auch Brandschutz zeigten, hat jedoch die nordwestliche Niederlausitz in Bezug auf Holzbauweisen eine geteilte Tradition – es zeigen sich in den Fläming- und alten Krummspreeischen Bereichen des heutigen Kreises Dahme-Spreewald wirklich alte Fachwerkbauten. So schätzt das Landesdenkmalamt (BLDAM) ein: »In den Dörfern sind eine Reihe von Fachwerkbauten des 18. Jh. erhalten geblieben, hingegen keine Blockbauten. Das Mitteldeutsche Ernhaus – ein traufseitig erschlossenes, quergegliedertes Haus mit durchgehendem Flur, das zumeist Wohn- und Stallzone vereinte – stellte den am stärksten verbreiteten Haustyp dar.«27 Der beschriebene Grundriss ist sogar bei späteren Steinbauten beibehalten worden. Doch besteht die Besonderheit der alten Fachwerk-Konstruktionen oft in einer ausgeprägten Drempel-Lösung, die für die Lagerung landwirtschaftlicher Produkte und saisonal benötigter Werkzeuge gute Bedingung bot.

Drei aufschlussreiche Fotokopien aus dem »historischen Radensdorf« zeigen Fachwerk-Wohnbauten, die in ihrer Art für die Fachwerk-Praxis des gesamten 19. Jahrhunderts stehen. Das älteste Beispiel zeigt ein um 1800 errichtetes Haus mit einer ausgeprägten DrempelLagerzone und den sich deutlich markierenden Enden

ehemaliges Fachwerkhaus (radensdorfer Hauptstraße 78) aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. es gehörte zum Typ eines doppelstubenhauses. die dachverformungen weisen auf originale und relativ weite Sparrenabstände hin, die auf eine ehemalige rogosch-deckung schließen lassen.

ein Fachwerkbau, der kurz nach 1850 entstand (radensdorfer Hauptstraße 71). ursprünglich trug er ein rogosch-dach (sichtbar an leichten dachverformungen wegen großer Sparrenabstände). 2020/21 abgerissen.

Ältestes Wohnhaus des ortes (dorf 6). ein stilvoller Fachwerkbau mit originaler drempel-Zone, erbaut um 1800. die dachschräge ist als Hartdach konzipiert und das kleine Fenster (links) weist auf eine Teilunterkellerung hin. Fachwerkhaus aus dem Jahr 1845 (radensdorfer Hauptstraße 63). dieser Bau ist mit gut sichtbarer Baugeschichte ausgestattet: ein im oberen Giebel in Streben eingefügtes sogenanntes »andreas-Kreuz« gilt als Glücks- und Segenszeichen. der Bau ist auffallend großzügig mehr als halb unterkellert. eine anfügung des späten 19. Jahrhunderts stellen die letzten drei Gefache dar. Sie blieben aus der alten unterkellerung ausgeklammert.

Haus Bogula (radensdorfer Hauptstraße 15), Baujahr 1917.

Haus Meier (Neue Gasse 3) mit Zahnfries und drempel, Baujahr 1908. Haus Ziemainz (Neue Gasse 6) mit Fensterläden aus Zinkblech, Baujahr um 1900.

der Deckenbalken im Gefüge, während ein weiteres ohne Drempel-Ausbildung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert sowie ein drittes Gebäude erst nach 1850 errichtet wurde. So zeichneten sich auch Besitzunterschiede in den verschiedenen Fachwerk-Ausführungen ab.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhundert hat in Radensdorf zur Dominanz von Wohn-Steinbauten und damit zum Abbruch vieler Fachwerk-Bauten geführt; daher ist die Fachwerk-Baupraxis aktuell nur noch in einigen Wirtschaftsgebäuden zu erleben.

Die Backstein- bzw. Hartbrandstein-Wohnbauten Diese Bauten wurden über Jahrzehnte in ähnlicher Art errichtet, die älteren stammen oft noch aus dem späten 19. Jahrhundert. Sie behielten, wie bereits gesagt, den bewährten Grundriss früherer Fachwerkhäuser bei: Ein traufseitig erschlossenes, quergegliedertes Haus (Ernhaus) mit durchgehendem Flur, von dem zu einer Seite Stube und Kammer abgingen, während die andere Flurseite nicht immer zu Wohn- sondern oft zu Lager- und Vorratsräumen führte. Im Normalfall wiesen diese Häuser eine Teilunterkellerung auf und die Bewohner betrieben Landwirtschaft nur im Nebenerwerb.

Die hohe Gestaltung – Klinker-Bauten, fast im kleinstädtischen Stil Diese Bauten wurden im späten 19. bzw. im ersten Drittel des 20. Jahrhundert errichtet. Sie prägen wie Denkmale aktueller oder ehemaliger Wohlhabenheit insbesondere den Bereich der alten Dorf-Zeile. Solche Bauten orientierten sich an bürgerlich-städtischen, gelegentlich sogar an Herrenhaus-Vorbildern und bestimmten Elementen (Eingangsbauwerk, Vollunterkellerung und Drempelausführung) und zeugen von bäurischem Wohn- und Wirtschaftsstandard einer gehobenen Besitzerschicht.

Sie stellen im hohen Maß ortsbildprägende und geschichtsträchtige Bauwerke dar und es lässt sich weiterhin ein Einfluss zeitgenössischer »moderner« Architekturauffassungen erkennen.

Zusammenfassende Ortsgeschichte Radensdorf zeigt seine Ortsgeschichte noch heute sehr deutlich. Während sich andere Orte um ihren alten Kern schalenförmig entwickelten, bildet Radensdorf eine deutliche Süd-Nord-Entwicklung ab. Dabei steht der Südteil vollständig für den Ortsursprung, die mittelalterliche »Einreihige Zeile«. Doch der nördlich davon liegende Bereich, der sich ursprünglich um einen alten Weg entwickelte (1867 als Kreisstraße ausgebaut), repräsentiert die erste größere Ortserweiterung. Weitere Ansiedlungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lagern sich dagegen fast durchweg in Gassenform in weitergeführter nördlicher Richtung an diese Hauptstraße an. Nahezu vollständig begrenzte seit den 1890er Jahren die Spreewaldbahntrasse den Ort, dessen bauliche Entwicklung im Großen und Ganzen tatsächlich an dieser Achse (aufgenommen von einer heutigen Umgehungsstraße) sein Ende fand – Erweiterungen sind seitdem in gewissem Umfang nur noch westlich und insbesondere östlich der Hauptstraße in Richtung des Bahnhofs vorgenommen worden.

Die Situation für die dörflichen Gehöft- und Gebäudestrukturen ist kompliziert geworden, seitdem die alte und umfangreiche Landwirtschaft verschwunden ist oder

das alte dorf. die »einreihige Zeile« ist bis heute ein markanter Bereich geblieben, 2022.

als städtebaulicher abschluss der alten dorfzeile dient ein interessanter Klinkerbau (Baujahr 1909), …

…der mit seinem stolzen Vorbau schon an ein, wenn auch kleines, Gutshaus erinnert, 2022.

Taubenschlag (radensdorfer Hauptstraße 63). Sorgfältig wie ein HausModell gefertigt konnte er die erreichte Wohlsituiertheit zeigen.

sich auf einen kleinen Nebenerwerb reduziert hat. Das Beispiel von Scheunen, Ställen und anderen Wirtschaftsgebäuden im Ort verdeutlicht dieses strukturelle Problem und es bieten sich nicht für jeden Bau neue Nutzungen an. Unter diesen Bedingungen scheinen die wege- oder straßenbegleitend errichteten Wohnbauten noch die weniger gefährdeten Bauten aus älterer Zeit zu sein. Doch täuscht dieser Eindruck, denn beispielsweise legten frühere Generationen Wert auf eine Darstellung von Besitz wie auch Modernität, was zu teils besonderen und kleinteiligen Fassadengestaltungen führte. So sind vielfältige Gliederungen, wie Gurtbänder, Fensterfaschen, betonte Hauseingänge und vieles mehr, als Zeugnisse jener Zeit anzusehen, deren erste Verluste schon durch einen Materialmangel in vergangenen Zeiten eintraten. Heute hingegen zeigen sich Vorlauben und steinerne Vorbauten wie auch originale Fensterformate als besonders erhaltenswerte Elemente.

Es wäre wünschenswert, wenn über Hilfsprogramme den Besitzern besonders wichtiger Bauten der Radensdorfer Orts- und Architekturgeschichte spürbare Unterstützungen gewährt würden.

Ein Exkurs: Berichte des 19. Jahrhunderts zur wendischen Kultur in Radensdorf – Die staatlich-preußische Anordnung zur Erfassung des wendischen Sprach-Elements

Seit 1846 gab es angeordnete preußisch-staatliche Ermittlungen »zur Erfassung des wendischen SprachElements«28, also zu den Einwohnern, die sich ausschließlich der wendischen Sprache bedienten. So entstanden zur Mitte des 19. Jahrhunderts verlässliche Angaben zur Anzahl der Radensdorfer, die sich ausschließlich über die wendische Sprache verständigten – nicht ermittelt wurde jedoch durch die beauftragten preußischen Behörden der hohe Grad an Zweisprachigkeit:

1847 sprachen von 389 Einwohnern 30 Personen nur wendisch = 7,8 Prozent 1850 waren von 391 Einwohnern 16 ausschließlich wendisch-sprachig = 4 Prozent 1867 wurden keine wendisch-einsprachigen Personen festgestellt, jedoch 1956 haben Sprachwissenschaftler unter 514 Einwohnern immer noch drei Personen gefunden, die keine nennenswerten Deutschkenntnisse hatten = 0,6 Prozent.

Für Radensdorf sollte bei zukünftigen Forschungen geklärt werden, ob der bedeutende Einwohner-Zuzug zu einer umfangreichen bzw. signifikanten Abnahme des Wendischen führte.

This article is from: