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Die Rekonstruktion der Wredow-Sammlungen
Ein Werkstattbericht
Wolfgang Rose
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Eine »ausgezeichnete Sammlung« – Zur Geschichte der Wredow-Sammlungen
Die früheste Nachricht über die Sammlungen der Wredow-Stiftung stammt aus dem Jahr 1872. In der lokalen Tageszeitung »Brandenburger Anzeiger« vom 3. Januar dieses Jahres wird aus einer Eingabe des Kuratoriums der vom Handwerkerverein betriebenen gewerblichen Zeichenschule an den Magistrat von Brandenburg an der Havel zitiert: »Vorbilder, bestehend aus vorzüglichen Kupferstichen und Werken des Kupferstichs und Steindrucks und eine Sammlung Ornamente in Gips und einige Köpfe und Figuren in eben diesem Materiale, ist unser Landsmann, der Professor Wredow in Berlin bereit, der Schule zu schenken.«1
Der Berliner Bildhauer August Wredow (1804–1891), der der klassizistischen Berliner Schule um Johann Gottfried Schadow (1764–1850) und Christian Daniel Rauch (1777–1857) zuzurechnen ist, hatte seit den 1830er Jahren nur wenige, aber von Kritik und Publikum hochgelobte Werke geschaffen.2 Er hatte sich, wie in Bildhauerkreisen seiner Zeit üblich, eine Sammlung von Gipsabgüssen von Skulpturen und Reliefs aus der griechisch-römischen Antike und anderen Kunstepochen angelegt, um sie als Vorlagen und Studienobjekte zu nutzen. Diese, heute leider zum größten Teil verlorene Gipsabguss-Sammlung schenkte der inzwischen 66-Jährige im Winter 1870/71 seiner Geburtsstadt Brandenburg.3 Davon profitierte die 1870 gegründete und nach dem Deutsch-Französischen Krieg wiedereröffnete gewerbliche Zeichenschule unter der Leitung des Zeichenlehrers August Köpke (1834–1915). Wredow, der durch Erbschaften und eigene geschäftliche Unternehmungen sehr wohlhabend geworden war, fokussierte seine Unterstützung auf diese künstlerische Bildungseinrichtung und bedachte sie mit Geldzuwendungen und weiteren Kunstwerken, die als Vorlagen für den Zeichenunterricht dienten. Dafür verlieh man ihm schon 1872 den Ehrenbürgertitel der Stadt Brandenburg und die Zeichenschule trug fortan seinen Namen. Sein zunehmendes Engagement führte schließlich im Jahr 1883 zur Gründung der Stiftung »Wredowsche Zeichenschule«, die 1886 staatlich anerkannt wurde.4
Unbekannter Künstler, Büste einer jungen Frau, Gipsabguss.
Die Wredowsche Zeichenschule war ein »Kind« der »Kunstgewerbebewegung« (Heinrich Waentig) des 19. Jahrhunderts, die wesentlich von der Konkurrenz zwischen den europäischen Nationalstaaten angetrieben wurde.5 Deutschland holte in diesem Wettbewerb insbesondere den industriellen Rückstand gegenüber seinen Hauptkonkurrenten Großbritannien und Frankreich auf. Große Defizite sahen die Protagonisten der Kunstgewerbebewegung jedoch in der Gestaltung der Industrie- und Handwerksprodukte »Made in Germany«. Darin wurde einerseits ein wirtschaftlicher Nachteil gesehen, weil sich ästhetisch anspruchsvolle Waren besser verkauften, andererseits gab es einen pädagogischen Ansatz, der auf die Verfeinerung des »Volksgeschmacks« zielte. Die von der Kunstgewerbebewegung erhobene Forderung nach hochwertigem Design für handwerkliche und industrielle Produkte sollte insbesondere durch die systematische Vermittlung künstlerischer Fertigkeiten an die Produzenten erreicht werden. Im Zuge dessen entstanden – wie in Brandenburg an der Havel – in ganz Deutschland zahlreiche, teils staatliche, teils private kunsthandwerkliche Bildungseinrichtungen. Aufgrund der zeitgenössischen ästhetischen Präferenzen verband man die Vorstellung von künstlerisch wertvollem Design in erster Linie mit einer Rückbesinnung auf Stilrichtungen aus den vorindustriellen Jahrhunderten. Als nachahmenswert galt insbesondere die Renaissance. Daher war es wichtig, den auszubildenden Industriearbeitern und Handwerkern entsprechende Muster zur Verfügung zu stellen, anhand derer sie ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Gestaltung schulen konnten. Diesem Paradigma war die Sammeltätigkeit August Wredows in den 1870er und 1880er Jahren verpflichtet.
Die Entstehung der Sammlungen 1872 bis 1891
Wredow besaß schon vor seinem Engagement für die Zeichenschule zahlreiche Kunstwerke. Die bereits erwähnte Sammlung von Gipsabgüssen umfasste beispielsweise »70 Stück antike und neuere Ornamente […] 4 Stück antike Köpfe; 2 antike Körper, eine Anatomie usw.«.6 Welchen Umfang und Inhalt die Privatsammlung insgesamt hatte, lässt sich aufgrund der äußerst schwierigen Quellenlage nicht mehr ermitteln.7 Sicherlich gehörten dazu Gemälde, die er teils selbst erwarb, teils von seiner Verwandtschaft erbte, wie etwa eine »Landschaft mit Vieh« des französischen Malers Jean-Louis Demarne (1752–1829), die ursprünglich seinem Onkel mütterlicherseits, dem Kaufmann Ludwig Scheuermann, gehörte.8 Auch Druckgrafiken zählten zu seinen Sammlungsobjekten. Allerdings ist die Anzahl der bisher nachgewiesenen Stücke, die den handschriftlichen Vermerk »Bestand vor 1872«, »Besitz vor 1872« bzw. nur »vor 1872« tragen, mit 59 äußerst gering und beinhal-
Hugo von Blomberg, Die Huldigung der Künste (Tafelordnung bei der Schillerfeier des wissenschaftlichen Kunstvereins), 1859, Farblithografie.
tet zum großen Teil künstlerisch gestaltete Einladungen zu verschiedenen Festlichkeiten, daneben aber auch Arbeiten verschiedener Künstler, wie etwa von Bernhard Rode (1725–1797).9 Vermutlich erfolgte diese zeitliche Zuordnung nicht systematisch, sodass von einer größeren Anzahl Druckgrafiken – vielleicht einige Hundert – ausgegangen werden kann. Darauf deutet die Aufzählung in dem eingangs erwähnten Schreiben des Kuratoriums der Zeichenschule hin. Demnach war Wredow Anfang 1872 bereit, der Schule fol-
Bernhard Rode, Der Kritiker beim Betrachten eines Gemäldes, 1745–1797, Radierung, mit handschriftlichem Vermerk »Bestand vor 1872« auf der Rückseite des Blattes.

gende Objekte zu schenken, die wahrscheinlich nur einen Teil seiner Sammlung ausmachten: »1. Kupferstiche in Rahmen, für die Ausschmückung des Lokals bestimmt: 10 Blätter große historische Darstellungen, unter dem Namen Stanzen von Raphael bekannt; die Sixtinische Madonna von Raphael in Dresden; 5 Blätter nach den Tapeten des Raphael, Darstellungen aus dem Leben Christi und der Apostel; das Abendmahl von Leonardo da Vinci usw. 2. Kupfer-, Stein- und Buntdruckwerke: 9 Bände in Großfolio Museo Bourbonico, Prachtwerk, enthaltend Abbildungen auf über 700 Tafeln von den in Herculanum und Pompeji gefundenen Werken; 75 Blätter antike Vasen und Kandelaber, Großfolio, Prachtwerk von Piranesi; 100 Blätter die schönsten Ornamente aller Zeiten und Jahre in Farbendruck usw.«10 Diese Aufstellung kann quasi als das erste Inventar der Wredow-Sammlungen angesehen werden. Ein Teil der darin genannten Objekte konnte im Rahmen der aktuellen Erfassung des Gesamtbestandes bereits identifiziert werden, etwa der 1816 erschienene Reproduktionsstich der Sixtinischen Madonna von Friedrich Müller (1782–1816). In der Aufzählung wird außerdem deutlich, dass Wre-