Operation am lebenden Objekt (Leseprobe)

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falls von einer gottesdienstlichen Konzentration geprägt ist. Diese ist vom Zweiten Vatikanischen Konzil wieder in Erinnerung gerufen worden, indem es die kirchliche Gemeinschaft erneut in der eucharistischen Gemeinschaft verwurzelt hat: »Beim Brechen des eucharistischen Brotes erhalten wir wirklichen Anteil am Leib des Herrn und werden zur Gemeinschaft (communio) mit ihm und untereinander erhoben.«26 Das Konzil hat damit die einseitigen Entwicklungen überwinden können, die im Gefolge des zweiten Abendmahlsstreits im 11. Jahrhundert zu einer verhängnisvollen Individuali­ sierung, wenn nicht gar Privatisierung des Verständnisses und des Vollzugs der Liturgie im allgemeinen und der Eucharistie im besonderen geführt haben und die von Henri de Lubac eingehend analysiert worden sind27. Dieser französische Konzilstheologe hat denn auch wesentlich zur Wiederentdeckung einer eucharistischen Ekklesiologie in der katholischen Kirche beigetragen. Dasselbe Verdienst kommt auch dem Konzilstheologen Joseph Ratzinger zu, der bereits in seiner Doktorarbeit über die Kirchenlehre des Heiligen Augustinus dargelegt hat, dass die Kirche Volk Gottes nur dadurch ist, dass sie vom sakramentalen Leib der Eucharistie her aufgebaut wird und selbst Leib Christi ist: »Kirche ist Volk Gottes nur im und durch den Leib Christi.«28

Liturgiereform im Licht entschiedener Christozentrik Die Wiederentdeckung einer eucharistischen Ekklesiologie in dem Sinne, dass Kirche in ihrem innersten Kern eucharistische Versammlung und Kirche folglich vor allem dort ist, wo Eucharistie gefeiert wird, verdankt sich nicht zufälligerweise einer ökumenischen Revitalisierung des theologischen Gedankengutes der Patristik, die auch zu einer stärkeren Perichorese von liturgischen Traditionen des Westens mit Traditionen ostkirchlicher Liturgien geführt hat. Eine Betrachtung von Roms Liturgiereformen in einer ökumenischen Perspektive ist deshalb gut beraten, sich auch Rechenschaft darüber zu geben, von welchen geschichtlichen Konstellationen Reformen ausgehen und wie sie sich entwickeln und reifen können. Exemplarisch lässt sich diese Fragestellung wohl am besten verdeutlichen anhand der vom Zweiten Vatikanischen Konzil angestoßenen Liturgiereform und ihrer Vorbereitung wie Nachgeschichte.

Die Liturgie als Anfang und Mitte des Konzils Die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils hat man im allgemeinen Bewusstsein als das »sichtbarste und dauerhafteste Reformwerk des Konzils« bezeichnet29. Dieses Urteil ist freilich nur und erst von ihrer Rezeption her berechtigt. Auch für 26 Lumen Gentium 7. 27 H. de Lubac, Corpus mysticum. Kirche und Eucharistie im Mittelalter, Einsiedeln 1969. 28 J. Ratzinger, Vorwort zur Neuauflage von Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche, St. Ottilien 1992, XI–XX, hier XIV. 29 O. H. Pesch, Das Zweite Vatikanische Konzil. Vorgeschichte – Verlauf – Ergebnisse – Nachgeschichte, Würzburg 1993, 105.

Gabe und Aufgabe

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