frei gespielt Carina Sophia Linne
FrauenfuĂ&#x;ball im g eteilten Deutschland
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Inhalt Aufwärmung Einleitung Untersuchungsgegenstand und Problemstellung Forschungsstand Methodik Aufbau der Arbeit
7 7 9 15 17
Aufstellung (1795 –1945 ) Entwicklung des deutschen Frauensports Die Ausgangslage des weiblichen (Fußball-)Sports zwischen 1795 und 1933 Informelles Frauenfußballverbot in der Zeit des Nationalsozialismus Sportpolitische Grundlagen des Frauenfußballs in Ost und West nach 1945
19 19 31 35
Anpfiff (1950er bis 1970er Jahre) Frauenfußball in der DDR: mehr als nur Freizeit- und Erholungssport Von den Anfängen im östlichen Mitteldeutschland Reaktion(en) des DFV Allgemeine institutionelle Rahmenbedingungen für die (ballverliebten) Frauen Die spielerische Entwicklung bis zur DDR-Bestenermittlung in der Ö ffentlichkeit Persönliche Erinnerungen der ersten Fußballerinnen von Ostsee bis Erzgebirge Resümee Zwischen Ressentiments und Durchsetzungsvermögen: Damenfußball in der Bundesrepublik Vom Damenfußball im Ruhrgebiet bis zum Verbot des DFB Der »illegale« Spielbetrieb Spiel frei: der DFB erkennt den Damenfußball offiziell an Die »Deutschen Amateur-Meisterschaften« der Damen ab 1974 Die 1970er Jahre im deutsch-deutschen Vergleich
39 39 50 53 58 70 98 100 100 104 111 116 123
Halbzeit (1980er Jahre) Im Zeichen der DDR-Bestenermittlung Die Endrundenturniere und ihre veränderten Wettkampfmodi Finanzielle Rahmenbedingungen Die »sportliche« Chronologie der Titelkämpfe DDR-Frauenfußball vielseitig und international Resümee
127 127 129 137 170 175
Im Zeichen der DFB-Nationalmannschaft Steigende Mitgliederzahlen, öffentliche Wahrnehmung und Mädchenfußball Zugpferd Nationalmannschaft und professionellere Strukturen Der Gewinn der »Europameisterschaft« und seine Folgen Die 1980er Jahre im deutsch-deutschen Vergleich
178 178 181 186 190
Verlängerung (1989 –1991) Die DFV-Damen-Nationalmannschaft der DDR: nur ein »offizielles« Länderspiel Gründungsphase auf Verbandsebene Sportliche Ziele, Möglichkeiten und Realität Das einzige Länderspiel: 9. Mai 1990 Wendezeit: die Transformationsphase des Ost-Frauenfußballs Ausgangslage der beiden deutschen Frauenfußballsysteme 1989/90 Übergang in DFB-Strukturen Fazit zur deutschen Frauenfußball-Einheit
195 195 199 204 210 210 213 223
Abpfiff Frauenfußball im geteilten Berlin Die Anfänge 1970er Jahre: Duelle, Förderer und Probleme 1980er Jahre: dominierende Teams, Titelkämpfe, gefestigte Strukturen Fortan gemeinsam im Berliner Fußball-Verband
228 228 230 241 246
Spielanalyse Der deutsch-deutsche Frauenfußball im Fokus der Geschlechter 1960er Jahre: »Nicht um das Für und Wider!« 1970er Jahre: »Steigendes Ansehen des Frauenfußballs« 1980er Jahre: »Die Frauen des Königs« Ein Fazit: Gender, Medien und Frauenfußball im geteilten Deutschland
249 251 255 262 271
Auslaufen Ergebnisse und Ausblick
274
Anhang Abkürzungsverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis Abbildungsnachweis Die Autorin
281 283 313 314
Aufwärmung »Wenig Beachtung schenken die DDR-Funktionäre dem Frauenfußball. Da es kaum internationale Titel und Medaillen zu gewinnen gibt, lässt sich der weibliche Kick eben auch nicht entsprechend propagandistisch nutzen.«1
Einleitung Untersuchungsgegenstand und Problemstellung »Wir möchten Geschichte schreiben«2, zitierte das Handelsblatt am 28. März 2011 die WM-OK-Präsidentin Steffi Jones. Diese Hoffnung teilen unzählige Fans der Frauennationalmannschaft für die Weltmeisterschaft im eigenen Land, die vom 26. Juni bis 17. Juli 2011 in Deutschland ausgetragen wird. Und tatsächlich können die Spielerinnen von Silvia Neid den dritten Weltmeistertitel hintereinander gewinnen. Im Vorfeld der WM im eigenen Land verstärkt sich das Interesse an der Geschichte des Frauenfußballs: 1897 waren es die Fußballerinnen in Großbritannien, 1911 jene in Russland und 1923 Studentinnen in Deutschland, die den Fußball ins Rollen brachten.3 Zuletzt wurde die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Entwicklung des Frauenfußballs in Deutschland im Februar 2011 mit einer Tagung der Schwabenakademie Irsee aus den unterschiedlichsten Perspektiven vorangetrieben.4 Im Monat April titelte die Ausgabe der Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte 5: »Frauenfußball – zurück aus dem Abseits«. Weil Veröffentlichungen wie diese den DDR-Frauenfußball zumeist – gewollt oder ungewollt – nur als »Exkurs«6 abhandeln, ist es an der Zeit, sich diesem Thema sporthistorisch fundiert zu widmen. Der Frauenfußball in der DDR hatte einen schweren Stand, verglichen mit dem hoch subventionierten7 ostdeutschen Leistungssport. Anders als in der Bundesrepublik 1 Radio Bremen: Geschichte des Fußballs, in: http://www.radiobremen.de/magazin/sport/fussballwm2006/geschichte3.html, letzter Zugriff: 25.7.2008. 2 Fröhlich, Diana/Hennes, Markus: »Wir möchten Geschichte schreiben«, in: Handelsblatt, 28.3.2011, S. 28 f. 3 Vgl. ausführlich das Kapitel »Aufstellung (1795 bis 1945)«. 4 Vom 4. bis 6. 2011 Februar lud die Schwabenakademie Irsee zu der Tagung »Die Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland. Anfänge – Verbote – Widerstände – Durchbruch« ein. 5 Die Zeitschrift wird von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben. 6 Vgl. Holsten, Nicole/Wörner, Simone: Frauenfußball – zurück aus dem Abseits, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 16–19, 4/2011, S. 21–26, S. 25. 7 Vgl. Kummer, Michael: Rot-Weiß Erfurt und Carl-Zeiss Jena und ihre Vorgänger in der DDR (= Diss. Universität Potsdam, 2010), in: http://opus.kobv.de/ubp/volltexte/2011/5106/pdf/kummer_ diss.pdf, letzter Zugriff: 18.5.2011.
Einleitung
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suchten sich die Frauen zwischen der Ostsee und dem Erzgebirge ab 1960 ihre Nische im Sportsystem. Inwieweit die gesellschaftlichen und sportpolitischen Rahmenbedingungen der DDR die Entwicklung des dortigen Frauenfußballs förderten oder hinderten, will die vorliegende Studie klären und dabei einen Vergleich zur bundesrepublikanischen Entwicklung vornehmen. Angelegt als sporthistorische Promotion, verknüpft die Arbeit die gesellschaftliche und sportpolitische Ebene des Fußballsports mit der Lebenswelt der fußballerisch aktiven Frauen. Dabei geht es vordergründig um die Rolle der Fußballerinnen – in ihrem persönlichen Umfeld, im Beruf und auf dem Fußballplatz. Im Zentrum der Untersuchung stehen im Wesentlichen zwei Leitfragen: Welche Entwicklung hat der Frauenfußball in der DDR und in der Bundesrepublik zwischen 1960 und 1991 durchlaufen? Welche sportpolitischen Auseinandersetzungen rief er innerhalb der unterschiedlichen Sport- und Gesellschaftssysteme hervor? Dabei konzentriert sich die Untersuchung zum einen auf die 15 DDR-Bezirke, die ab 1979 ihre besten Frauenmannschaften zur nationalen Endrunde entsendeten. Zum anderen werden individuelle Lebensverläufe ehemaliger DDR-National- und Ligaspielerinnen betrachtet. Anhand offizieller sportpolitischer Dokumente und einer umfangreichen Sichtung von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln sowie Fernsehbeiträgen in beiden deutschen Staaten werden die zentralen – sowie weitere – Fragen zur Entwicklung des Frauenfußballs erörtert. So ist etwa der vergleichende Blick auf den sportlichen und sportpolitischen Stellenwert des Männerfußballs erhellend: In welchem Maße lässt sich von einer sportpolitischen Gleichberechtigung des DDR-Frauenfußballs gegenüber dem Männerfußball sprechen oder war er vielmehr ein Stiefkind der Männerdomäne? Inwieweit spiegelte sich der DDR-Frauenfußball in der SED-Sportpolitik und in den Regularien des Deutschen Fußball-Verbandes der DDR wider? Wie wurde der Frauenfußball in der DDR sportlich und sportpolitisch betreut? Wie sehr hat man dabei auf die Entwicklung in Westdeutschland geschaut? Aber auch die öffentliche Wahrnehmung der »kickenden« Frauen ist von nicht unerheblichem Interesse: Wie waren Fußballfrauen bzw. generell der Frauenfußballsport in der DDR und in der Bundesrepublik anerkannt? Welche Frauen haben sich für diesen scheinbaren Männersport interessiert? Wie konnten sie Beruf, Familie und Fußball miteinander vereinbaren oder war es nur eine Sportart für junge, kinderlose ungebundene Frauen? Außerdem gilt es, neben der sportpolitischen und gesellschaftlichen auch die sportliche Geschichte des Frauenfußballs im geteilten Deutschland zu erzählen: Wer waren die besten Damenteams der DDR und in der Bundesrepublik? Wer waren die erfolgreichen Trainer? Welche Vorschriften gab es zu beachten? Wie änderte sich das Regelwerk im Laufe der Jahre? Wieso startete die DDR-Bestenermittlung erst 1979? Und warum wurde in der DDR erst 1989 die Gründung einer Frauennationalmannschaft beschlossen?
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Aufwä rmung
Spiel der DDR-Bestenermittlung 1981 im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion. Vorn links: Sabine Seidel beim Kopfball.
Im Zentrum der Arbeit steht der Frauenfußball in der DDR, allerdings stets mit vergleichendem Blick »über die Mauer«: Aus welchen Gründen waren die bundesrepublikanischen Fußballfrauen denen im Osten um Jahre in der Entwicklung voraus? Wo, wie und wann wurden sportpolitische Entscheidungen zugunsten des Damenfußballs in Westdeutschland getroffen? Das vorliegende Buch zeigt, wie sich die Fußballerinnen in der DDR im Vergleich zur Bundesrepublik ihre Freiräume im Sportsystem der DDR schufen und so die Entwicklung des Frauenfußballs im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten erfolgreich vorantrieben. Außerdem soll die Frage geklärt werden, wie sich der bundesrepublikanische Damenfußball trotz eines 15-jährigen Verbandsverbotes entwickelte und vor welchen Ressentiments die Spielerinnen im Westen der Republik standen.8
Forschungsstand Die Entwicklung des Frauenfußballs in der DDR bzw. im geteilten Deutschland wurde in seiner Struktur und Entwicklung bis dato wissenschaftlich nur marginal untersucht. 8 Obwohl die Arbeit sich mit dem Frauenfußball im geteilten Deutschland auseinandersetzt und ein eigenes Kapitel zur Bedeutung von Gender im Frauenfußball enthält, folgt keine Separierung der Bezeichnung nach Journalist und Journalistin oder Trainer und Trainerin. Je nach Sachverhalt wird die weibliche oder männliche Endung gewählt.
Einleitung
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Vor diesem Hintergrund gestaltet sich der Zugang zu dem Thema äußerst schwierig. Hiermit wird erstmalig ein Grundlagenwerk zum deutsch-deutschen Frauenfußball vorgelegt. Aufgrund der geringen existierenden wissenschaftlichen Literatur wurde die Forschungsfrage mithilfe von 309 Zeitzeugeninterviews sowie einer umfangreichen Quellenrecherche10 und Medienanalyse11 bearbeitet. Für die Einordnung der Ergebnisse halfen die Vorarbeiten der Frauensport- und Sportgeschichtsforschung in Deutschland, Europa und in der DDR sowie der Geschlechterforschung. Gertrud Pfister widmet sich beispielsweise in ihrem Sammelband »Frauen und Sport in der DDR«12 von 2002 an zwei Stellen dem ostdeutschen Frauenfußball. Ihre Forschungsergebnisse basieren u. a. auf dem Privatarchiv von Werner Lenz, das als Chronik der BSG NAGEMA/NGMB Neubrandenburg beim 1. FFC Neubrandenburg13 auch für die vorliegende Arbeit gesichtet wurde. Darüber hinaus sind Pfisters Veröffentlichungen für die Einordnung des Frauenfußballs in Deutschland und Europa aus der Geschlechterperspektive und für die Medienanalyse grundlegend. Hierzu zählen Publikationen wie »Das Lernen der Geschlechterrolle im Prozess der Sozialisation«14, »Fußball – immer noch ein Männerspiel?«15 und »Zwischen Weiblichkeitsidealen und sportlichen Erfolgen – Geschlechtersegregierungen im Sport«16. Außerdem eröffnet Pfister den Zugang zur Auseinandersetzung mit der allgemeinen Entwicklung des Frauensports in Deutschland ab 1795 durch verschiedenste Arbeiten wie »Starke werden nur von Starken geboren«17, »Körperkultur und Weiblichkeit. Ein historischer Bei-
9 Zu den Interviews vgl. Anhang S. 283. 10 Die Recherche stützte sich auf das Bundesarchiv Berlin, das Staatsarchiv Chemnitz, das NOFVArchiv Berlin, das Landesarchiv Berlin und das Brandenburgische Landeshauptarchiv Potsdam sowie die Zeitungsarchive der Staatsbibliothek Berlin und der Bibliothek des Bundesarchivs Berlin. Bis auf wenige Glückstreffer in den offiziellen Akten der Behörden ist die Faktenlage für den DDR-Frauenfußball äußerst dürftig. Für den Westteil erfolgte eine auserwählte Zuarbeit des DFBArchivs sowie eine stichprobenartige Sichtung der Bundestagsprotokolle des DFB in Frankfurt am Main. Allerdings ist das DFB-Archiv noch nicht wissenschaftlich erschlossen und birgt möglicherweise auch zukünftig noch Schätze zur Aufarbeitung des Frauenfußballs in der Bundesrepublik. 11 Siehe hierzu den Abschnitt »Methodik«. 12 Vgl. Pfister, Gertrud: Frauen und Sport in der DDR, Köln 2002, S. 104–161. 13 Vgl. 1. FFC Neubrandenburg: Chronik Frauenfußball der BSG Ascobloc/NGMB Neubrandenburg, 1972–1990. 14 Vgl. Pfister, Gertrud: Das Lernen der Geschlechterrolle im Prozess der Sozialisation, in: Gertrud Pfister (Hrsg.): Geschlechtsspezifische Sozialisation und Koedukation im Sport, Berlin 1983, S. 142–180. 15 Vgl. Pfister, Gertrud: Fußball – immer noch ein Männerspiel? Biographien von Spitzenfußballspielerinnen in vier Europäischen Ländern, in: Gertrud Pfister (Hrsg.): Sport im Lebenszusammenhang von Frauen. Ausgewählte Themen, Schorndorf 1999, S. 263–279. 16 Vgl. Pfister, Gertrud: Zwischen Weiblichkeitsidealen und sportlichen Erfolgen – Geschlechtersegregierungen im Sport, in: Pfister (Hrsg.): Frauen und Sport in der DDR, S. 104–146, S. 127. 17 Vgl. Pfister, Gertrud: »Starke werden nur von Starken geboren«. Die Spielbewegung und die körperliche Ertüchtigung des weiblichen Geschlechts, in: Gerd Steins (Hrsg.): Spielbewegung – Bewegungsspiel, 100 Jahre Goßler’scher Spielerlaß (= Katalog zur Ausstellung), Berlin 1982, S. 59–66.
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Aufwä rmung
trag des modernen Sports in Deutschland bis zur Zeit der Weimarer Republik«18, »Ausnahmen von der Regel – Frauen im Sport«19 sowie »Von Suffragetten, Megären und Mannweibern«20. Der Sporthistoriker Giselher Spitzer behandelt innerhalb seiner 2004 erschienenen Studie »Fußball und Triathlon – Sportentwicklung in der DDR«21 auch die Benachteiligung von Mädchen- und Frauenfußball in der DDR. Gerade in Bezug auf deren Anfänge bleibt er dabei allerdings der journalistischen These treu, der DDR-Frauenfußball habe seinen Ursprung 1968 in Dresden. Der Abschnitt »Anpfiff (1950er bis 1970er Jahre)« präsentiert die neuesten – anderslautenden – Forschungsergebnisse zum Anfang der DDR-Fußballerinnen. Die Arbeit Spitzers dient indes zur Diskussion der Frage, ob der Frauenfußballsport möglicherweise benachteiligt wurde und letztlich nur aufgrund von Eigeninitiativen und Selbstorganisation in der DDR Bestand haben konnte.22 In diesem Zusammenhang bieten die Veröffentlichungen zum Leistungssportsystem der DDR,23 die an der Professur Zeitgeschichte des Sports der Universität Potsdam in den letzten 15 Jahren publiziert wurden, zentrale Hintergrundinformationen. Insbesondere die Fallstudie von W. Ludwig Tegelbeckers zum SG-Sport bietet eine sehr differenzierte Analyse zum Basissport, die u. a. im Statistikteil des Kreises Potsdam weibliche Mitglieder im Fußball verzeichnet.24 Da der Frauenfußball in der DDR dem Freizeit- und Erholungssport zugeordnet wurde, gewähren auch die entsprechenden Veröffentlichungen von Günter Wonneber-
18 Vgl. Pfister, Gertrud: Körperkultur und Weiblichkeit. Ein historischer Beitrag des modernen Sports in Deutschland bis zur Zeit der Weimarer Republik, in: Michael Klein (Hrsg.): Sport und Geschlecht, Reinbek 1983, S. 35–59. 19 Vgl. Pfister, Gertrud: Ausnahmen von der Regel – Frauen im Sport, in: Bundesausschuss Frauen im Sport des Deutschen Sportbundes (Hrsg.): Fair Play – Für Mädchen und Frauen im Sport?, Frankfurt am Main 1995, S. 4–15. 20 Vgl. Pfister, Gertrud: Von Suffragetten, Megären und Mannweibern. Frauenfußballgeschichten, in: Trend Sport Wissenschaft, 11, 2008, S. 7–17. 21 Vgl. Spitzer, Giselher: Identifikation: Fußball in den Bezirken, Nationalmannschaft, Frauensport als Gegenbeispiel, in: Giselher Spitzer (Hrsg.): Sportentwicklungen in der DDR. Fußball und Triathlon, Aachen 2004, S. 27–40. 22 Vgl. ebd., S. 39. 23 Vgl. Braun, Jutta/Teichler, Hans Joachim: Sportstadt Berlin im Kalten Krieg. Prestigekämpfe und Systemwettstreit, Berlin 2006; Spitzer, Giselher/Teichler, Hans Joachim/Reinartz, Klaus: Schlüsseldokumente zum DDR-Sport. Ein sporthistorischer Überblick in Originalquellen, Aachen 1998; Teichler, Hans Joachim: Die Sportbeschlüsse des Politbüros – Eine Studie zum Verhältnis von SED und Sport mit einem Gesamtverzeichnis und einer Dokumentation ausgewählter Beschlüsse, Köln 2002; Teichler, Hans Joachim: Sport in der DDR. Eigensinn, Konflikte, Trends, Köln 2003; Reinartz, Klaus/Teichler, Hans Joachim: Das Leistungssportsystem in der DDR in den 80er Jahren und im Prozeß der Wende, Köln 1999. 24 Vgl. Tegelbeckers, W. Ludwig: SG-Sport im Spiegel von Plan und »Erfüllung«, in: Teichler (Hrsg.): Sport in der DDR, S. 135–235.
Einleitung
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ger25, Klaus Henning und Jochen Hinsching26 weitere Ansatzpunkte. Darüber hinaus unterstützen zahlreiche Publikationen und wissenschaftliche Arbeiten zum internationalen Frauenfußball sowie zur westdeutschen Entwicklung ab 1970 die Einordnung in die jeweilige Zeit. So veröffentlichte Marianne Meier 2004 eine umfangreiche deutschsprachige Arbeit zum Frauenfußball in der Schweiz. In »Zarte Füsschen am harten Leder«27 beschreibt sie die dortige Entwicklung des weiblichen Kicks von 1970 bis 1999. Einzelne Kapitel geben einen guten Überblick der Entwicklung des Frauenfußballs in Europa, der auch für die Betrachtung der diesbezüglichen DDR-Geschichte hilfreich ist. Bereits ein Jahr zuvor, 2003, hatte der österreichische Sporthistoriker Matthias Marschik mit »Frauenfußball und Maskulinität. Geschichte – Gegenwart – Perspektiven«28, den Weg des Frauenfußballs in Österreich vom Ende des 18. Jahrhunderts bis heute kritisch und kulturhistorisch aufgearbeitet. Da die vorliegende Arbeit den Vergleich zum Männerfußball im geteilten Deutschland mit einbezieht, bietet die für diesen Bereich gesichtete Literatur29 ebenfalls eine
25 Vgl. Wonneberger, Günter: Körperkultur und Sport in der DDR, Berlin 1982. Hierin spiegelt sich v. a. die offizielle Sichtweise der DDR wider. 26 Vgl. Henning, Klaus: Massensport – Freizeit- und Erholungssport: Entwicklungsabschnitte und Entwicklungslinien im Rückblick, in: Jochen Hinsching (Hrsg.): Alltagssport in der DDR, Aachen 1998, S. 34–73; Hinsching, Jochen: Der Bereich »Freizeit- und Erholungssport« im »ausdifferenzierten« Sport in der DDR, in: Hinsching (Hrsg.): Alltagssport in der DDR, S. 15–33; Hinsching, Jochen: Vom Betrieb zum Wohngebiet: Sportangebot zwischen Planangebot und Improvisation, in: Hinsching (Hrsg.): Alltagssport in der DDR, S. 187–213. Hinsching referiert allerdings in erster Linie die positive Beschlusslage des DTSB in Sachen Massensport und blendet dessen Benachteiligung gegenüber dem Leistungssport aus. 27 Vgl. Meier, Marianne: Zarte Füsschen am harten Leder. Frauenfußball in der Schweiz 1970–1999, Frauenfeld/Stuttgart/Wien 2004. 28 Vgl. Marschik, Matthias: Frauenfußball und Maskulinität. Geschichte – Gegenwart – Perspektiven, Münster/Hamburg/London 2003. 29 Vgl. Braun, Jutta: Fußball und politische Freiheit – historische Erfahrungen des geteilten Deutschlands, in: PositionLiberal, 2008, S. 5–21; Braun, Jutta/Wiese, René: Doppelpässe – Wie die Deutschen die Mauer umspielten, Berlin 2006; Eggers, Eric: Die Anfänge des Fußballsports in Deutschland, in: Markwart Herzog (Hrsg.): Fußball als Kulturphänomen. Kunst – Kultur – Kommerz, Stuttgart 2002, S. 67–91; Eggers, Eric: Fußball in der Weimarer Republik, Kassel 2001; Friedemann, Horst: Sparwasser und Mauerblümchen. Die Geschichte des Fußballs in der DDR, Essen 1991; Fuge, Jens: Der Rest von Leipzig, Kassel 2009; Havemann, Nils: Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz, Frankfurt am Main 2005; Herzog, Markwart: Von der Fußlümmelei zur Kunst am Ball. Über die kulturgeschichtliche Karriere des Fußballsports, in: Herzog (Hrsg.): Fußball als Kulturphänomen, S. 12–19; Kasza, Peter: Das Wunder von Bern 1954. Fußball spielt Geschichte, Berlin 2004; Kneschke, Tobias: »Fußballwunderland« Bundesrepublik, in: Braun/Wiese (Hrsg.): Doppelpässe, S. 18–21; Kummer: Dissertation; Leske, Hans: Erich Mielke, die Stasi und das runde Leder, Göttingen 2004; Luther, Jörn: Unsere Clubs und Vereine, in: Frank Willmann (Hrsg.): Fußball-Land DDR. Anstoß, Apfiff, Aus, Berlin 2003, S. 39–50; Pöppl, Michael: Fußball ist unser Leben, Berlin 2002; Pyta, Wolfram: Einleitung. Der Beitrag des Fußballsports zur kulturellen Identitätsstiftung in Deutschland, in: Wolfram Pyta (Hrsg.): Der lange Weg zur Bundesliga. Zum Siegeszug des Fußballs in Deutschland, Berlin u. a. 2004, S. 2–30; Rautenberg, Michael/Tillmann, Angela/Böhnisch, Lothar: Doppelpässe. Eine sozialwissenschaftliche Fußballschule, München 2008; Schwarze, Nico/Stamm, Christoph: Parteikontrollierte Offensive. Die politische Instrumentalisierung des Fußballsports in der DDR, in: Jürgen Mittag/Jörg-Uwe Nieland (Hrsg.):
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Aufwä rmung
wichtige Folie, ohne dass die hier – stellvertretend für den recht umfangreichen Korpus der Forschung – angeführte Titelliste als vollständig anzusehen ist. Bevor abschließend auf den Forschungsstand zum westdeutschen Damenfußball eingegangen wird, sind noch zwei Bibliografien hervorzuheben. Zum einen erschien 2003 die von Lorenz Peiffer und Matthias Fink erstellte Übersicht »Zum aktuellen Forschungsstand der Geschichte von Körperkultur und Sport in der DDR. Eine kommentierte Bibliographie«30. Diese ist insofern von besonderem Interesse, da sie zum Forschungsstand »Frauensport« (nur) vier Titel umfasst, darunter Gertrud Pfisters Werk »Frauen und Sport in der DDR« sowie zwei Artikel von Doreen Meier zum DDR-Frauenfußball. Darüber hinaus fasst die Bibliografie die bis 2003 beendeten Forschungsprojekte zum DDR-Sport zusammen. Die zweite Übersicht veröffentlichte Rolf Parr 2006. Parr liefert in seiner »kulturwissenschaftlichen Auswahlbiographie« 1.962 Titel zum Thema Fußball.31 Von diesen widmen sich lediglich 23 dem Thema Mädchen- und Frauenfußball, wobei allein 15 der Rubrik »Fußball als Thema der Kinder- und Jugendliteratur« zugeordnet wurden. Diese zwei Bibliografien seien deswegen erwähnt, weil die darin dokumentierte Forschungslage ein deutlicher Hinweis für das offenbar fehlende Forschungsinteresse zum Frauenfußball anzusehen ist – was sich erst änderte, nachdem die Weltmeisterschaft 2006 an Deutschland vergeben wurde. Zum 25-jährigen Bestehen des Frauenfußballs in (West-)Deutschland erschien 1995 unter Leitung der heutigen Vizepräsidentin des DFB, Hannelore Ratzeburg, in Zusammenarbeit mit Horst Biese das Buch »Frauen, Fußball, Meisterschaften«.32 Darin befindet sich auch eine 13-seitige Zusammenfassung33 der 1993 abgeschlossenen Diplom arbeit von Doreen Meier, die sich mit der Entwicklung des Frauenfußballs in der DDR bis zur Wende 1989/90 beschäftigte.34 Meier war am 9. Mai 1990 eine der Akteurinnen, die beim einzigen offiziellen Länderspiel der DDR gegen die ČSFR auf dem Platz standen.
Das Spiel mit dem Fußball. Interessen, Projektionen und Vereinnahmungen, Essen 2007, S. 95–116; Stegemann, Bodo: Fußball im Leistungssportsystem der SBZ/DDR 1945–1965, in: Wolfgang Buss/ Christian Becker (Hrsg.): Aktionsfelder des DDR-Sports in der Frühzeit 1945–1965, Köln 2001, S. 351–381; Wiese, René: Der Traum von der Einheit 1950–1961, in: Braun/Wiese (Hrsg.): Doppelpässe, S. 68–77; Wiese, René/Huster, Ronald: Anpfiff in Ruinen, in: Braun/Wiese (Hrsg.): Doppelpässe, S. 12–17; Wiese, René/Klaetke, Uta: Fußball im »Sportwunderland« DDR, in: Braun/Wiese (Hrsg.): Doppelpässe, S. 22–28. 30 Vgl. Peiffer, Lorenz/Fink, Matthias: Zum aktuellen Forschungsstand der Geschichte von Körperkultur und Sport in der DDR. Eine kommentierte Bibliographie, Köln 2003. 31 Vgl. Paar, Rolf: Fußball – eine kulturwissenschaftliche Auswahlbiographie, Heidelberg 2006. 32 Vgl. Biese, Horst/Ratzeburg, Hannelore: Frauen, Fußball, Meisterschaften, Kassel 1995. 33 Vgl. ebd., S. 29–42. 34 Vgl. Meier, Doreen: Anfänge und Entwicklung des Damenfußballes in der DDR (1969–1989/90) (= unveröff. wissenschaftliche Prüfungsarbeit zur Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien, Jena 1993).
Einleitung
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Mit dem Damenfußball in der Bundesrepublik setzte sich der Sozialpsychologe Alexander Thomas auseinander. Seine 1979 erschienene Fallstudie dokumentiert die sozialen und psychologischen Aspekte des weiblichen Fußballsports und ist eine der der wenigen diesbezüglichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen.35 Weitere Literatur zum Entwicklungsstand des bundesrepublikanischen Damenfußballs publizierten Klaus Bernau36, Dietmar Wagner37 und der Deutsche Sportärztebund38. Vor allem der Bericht des DÄSB zeigt, wie sehr man sich auf westdeutscher Seite seit den 1980er Jahren intensiv mit dem Damenfußball auseinandersetzte. Aus populärwissenschaftlicher Sicht sind die Werke der Autoren Eduard Hoffmann und Klaus Nendza zu nennen, deren Buch zur gleichnamigen Wanderausstellung »Verlacht, verboten und gefeiert«39 seit seinem Erscheinen 2006 bereits in zweiter Auflage vorliegt. Ihr Werk zur Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland sowie das von Rainer Hennies und Daniel Meuren 2009 herausgegebene Band »Frauenfußball. Der lange Weg zur Anerkennung«40 bilden ebenso brauchbare Nachschlagewerke wie die beiden aktuellsten Publikationen von Ronny Galzynski41 und Okka Gundel42. Bei allen vier Veröffentlichungen sei allerdings angemerkt, dass sie bei aller Mühe eher einseitig aus westdeutscher Sicht berichten. Das Ziel der vorliegende Dissertation ist es, Journalisten, Studierenden und vom Frauenfußball begeisterten Lesern ein sporthistorisches Werk an die Hand zu geben, das die vergessene Geschichte der DDR-Fußballerinnen im Vergleich zur Bundesrepublik zwischen 1955 und 1991 umfassend darstellt. Damit verbindet sich gleichzeitig die Hoffnung, dass Fehler, wie sie auch Okka Gundel in ihrem erst 2011 erschienen Buch »11 Freundinnen müsst ihr sein« unterlaufen, zukünftig vermieden werden können: Gundel schreibt nämlich, dass es keine DDR-Spielerin in die gesamtdeutsche Nationalmannschaft geschafft habe.43 Tatsächlich aber lief Birte Weiß, ehemalige Spielerin der BSG Rotation Schlema, am 9. Mai 1991 mit 19 Jahren für die gesamtdeutsche Nationalmannschaft beim Länderspiel in Aue gegen Polen auf.44
35 Vgl. Thomas, Alexander: Sozialpsychologie des Damenfußballs, in: Dirk Albrecht (Hrsg.): Fußballsport. Ergebnisse sportwissenschaftlicher Forschung, Berlin/München/Frankfurt 1979, S. 218–235. 36 Vgl. Bernau, Klaus: Damenfußball im Vormarsch, Oberursel 1980. 37 Vgl. Wagner, Dietmar: Damenfußball, Leifende 1986. 38 Vgl. DSÄB: Damenfußball: Grundlagen und Entwicklung, Hamburg 1983. 39 Vgl. Hoffmann, Eduard/Nendza, Jürgen: Verlacht, verboten und gefeiert, Weilerswist 2006. 40 Vgl. Hennies, Rainer/Meuren, Daniel: Frauenfußball. Der lange Weg zur Anerkennung, Göttingen 2009. 41 Vgl. Galczynski, Ronny: Frauenfußball von A–Z: das Lexikon des deutschen Frauenfußballs. Spielerinnen, Vereine und Rekorde. Viele Hintergrundgeschichten, Berlin 2010. 42 Vgl. Gundel, Okka: 11 Freundinnen müsst ihr sein. Warum Frauenfußball begeistert, München 2011. 43 Vgl. ebd., S. 39. 44 Vgl. den Abschnitt »Fazit zur deutschen Frauenfußball-Einheit«.
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Aufwä rmung
Methodik In der vorliegenden Arbeit wird – in Anlehnung an die Sozialwissenschaftler Jochen Gläser und Grit Laudel – die Methodik einer qualitativen Inhaltsanalyse angewandt, die eine modifizierte Variante der qualitativen Inhaltsanalyse von Phillip Mayring darstellt.45 Als Material dienen Originaldokumente, Sekundärquellen und eigenständig durchgeführte Zeitzeugeninterviews mit ehemaligen Fußballspielerinnen und Trainern der bekanntesten Frauenfußball-Betriebssportgemeinschaften (BSG)46 der DDR, das ausgehend von den zentralen Fragestellungen betrachtet wird: »Wenn man eine qualitative Inhaltsanalyse durchführt, dann entnimmt man den Texten diese Daten, dass heißt, man extrahiert Rohdaten, bereitet diese auf und wertet sie aus.«47 In Abgrenzung zum Vorgehen von Gläser und Laudel wird bei der Analyse der Quellen aber nicht nur nach dem Was gefragt, sondern auch das Wie und Warum der Protagonisten spielte eine wichtige Rolle. Vor allem die Zeitzeugeninterviews sind als Quelle kritisch zu betrachten. Befragungen von Menschen, die 20 bis 40 Jahre Abstand zum Erlebten besitzen, haben ein zwangsläufig ambivalentes Ergebnis zur Folge. Daher werden die Aussagen der Zeitzeuginnen anhand von Archivmaterial und Zeitungsartikeln verifiziert. Gelingt dies nicht, wird es an der jeweiligen Stelle angemerkt.48 Neben der Fokussierung auf die Entwicklung des Frauenfußballs in der DDR geht der Hauptteil auf die Entwicklung in der Bundesrepublik vergleichend ein. Der wissenschaftlichen Analyse liegt ein Frageraster zugrunde, das für alle betrachteten historischen Phasen Anwendung findet und die Verbindung des Frauenfußballs zu politischen und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen offenlegen soll. Aufgrund der Vielzahl von Originaldokumenten und Sekundärquellen ermöglicht es gerade die qualitative Inhalts- und Bedeutungsanalyse, die zentralen Informationen der verschiedenen Interviews hinsichtlich ihrer zentralen Aussagen zusammenzufassen. Dies war der Grund dafür, diese Untersuchungsmethode in gezielter Abwandlung für eine politik- und sporthistorische Dissertation zu nutzen. Als Quellenbasis wurden alle zugängigen Frauenfußballbeschlüsse im geteilten Deutschland ausgewertet. Vor allem der Bestand des NOFV-Archivs in Berlin und die Zuarbeit des DFB-Archivs in Frankfurt am Main waren hierfür hilfreich. Forschungsaufenthalte im Bundesarchiv Berlin, im Staatsarchiv Chemnitz, im Landesarchiv Berlin 45 Vgl. Gläser, Jochen/Laudel, Grit: Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse, Wiesbaden 2004. 46 Zu nennen wären beispielsweise BSG Turbine Potsdam, BSG Wismut Karl-Marx-Stadt, BSG Post Rostock, Chemie Leipzig oder Chemie PCK Schwedt. 47 Gläser/Laudel: Experteninterviews, S. 193. 48 Vgl. Bösch, Frank: Historikerersatz oder Quelle?, in: Geschichte lernen, 76, 2000, S. 62–65; Kann, Hartmut: »So werden Bilder Wirklichkeit«, in: Geschichte lernen, 76, 2000, S. 50–61; Niethammer, Lutz/Trapp, Werner: Lebenserfahrung und kollektive Gedächtnis. Die Praxis der »Oral History«, Frankfurt am Main 1985.
Einleitung
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Fußballbeschlüsse: Wie waren sie aufgebaut? An wen waren sie gerichtet? Welche Ziele verfolgten sie? Inwieweit wurde auf den anderen deutschen/ europäischen Frauenfußball geschaut?
Sportfunktionäre: Wer waren sie? Welchen Einfluss hatten sie? Mit wem arbeiteten sie zusammen? An welche Institution waren sie angegliedert?
Institutionen und Organisationen: Welche Arbeit leisteten sie? Was konnten sie entscheiden? Welche Sportpolitik vertraten sie?
Fußballspielerinnen, Trainer: Was bekamen sie von den Fußballbeschlüssen mit? Welches Trainings- und Wettkampf umfeld wurde geschaffen?
Frageraster zur Verbindung zwischen Politik und Frauenfußball im geteilten Deutschland.
sowie im Brandenburgischen Landeshauptarchiv und Erfurter Stadtarchiv komplettierten die Recherche. Mitteilungen über den Frauenfußball in einzelnen Aktenbeständen der DTSB-Kreis- und Bezirksvorstände und der SED-Kreis- und Bezirksleitungen waren dagegen kaum zu eruieren. Positiver gestaltete sich die Auswertung der Privatarchive49 der Zeitzeugen und Zeitzeuginnen, die mitunter Originaldokumente enthalten, etwa ein Glückwunschschreiben der SED-Kreisleitung oder der Sektion Fußball der BSG.50 Die Sichtung auserwählter Betriebszeitungen51 in der Bibliothek des Bundesarchivs Berlin und die Zeitungsanalyse der Berliner Zeitung im Westhafen der Staatsbibliothek zu Berlin ermöglicht eine umfangreiche Rekonstruktion der spielerischen Entwicklungen in den einzelnen Bezirken. Vor allem der Zugang zum Archiv der Fußball-Woche52 in Berlin-Lichtenberg stellt die Basis für die Fallstudie zum Frauenfußball im geteilten Berlin dar. Darüber hinaus konnten auch das Deutsche Sportecho (DS) und Die neue Fußballwoche (FUWO) im Archiv der Professur Zeitgeschichte des Sports an der Universität Potsdam gesichtet und ausgewertet werden. Die Kombination der Expertenaussagen mit der Analyse von Original- und Sekundärquellen zum Frauenfußball im geteilten Deutschland bildet die Grundlage der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit. Sie sollen helfen, dem Leser einen gezielten und konzentrierten53 Einblick in die sportpolitischen Vorgaben und Entscheidungen zum deutsch-deutschen Frauenfußball bis zur Zusammenführung beider Systeme zu geben. 49 Vgl. u. a. Privatarchiv Maja Bogs, Berlin, 1971–1996; Privatarchiv Gerhard Breiter: Mannschaftsleitung DFV-Frauenauswahl/Nationalmannschaft, Berlin/Dresden, 1988–1991; Privatarchiv Waltraud Horn, 1967–1975; Privatarchiv Elke Mertens, Potsdam, 1971–1991 [Ordner A]; Privatarchiv Jan-Peter Richter, Frauenfußball-Sammlung der BSG Turbine Erfurt, Erfurt, 1974–1991; Privat archiv Bernd Schröder, Artikelsammlung BSG Turbine Potsdam, Potsdam, 1971–1983. 50 Vgl. FC Erzgebirge Aue: Vereinschronik Frauenfußball, 1974–1994 (Teil II). 51 Dabei handelt es sich u. a. um Das Kabel, Der Brennpunkt, Der Fischfang, Film-Funken und Der Patriot. 52 Herzlichen Dank an Ulli Meyer und Horst Bläsig für die zügige Recherche. 53 Gemeint ist in diesem Fall die gezielte Auswahl von Dokumenten.
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Dieses Vorgehen folgt dem Urteil der Soziologin Marianne Schmidt-Grunert, dass eine qualitative Betrachtung eines Lebensverlaufes, welche die persönliche Entwicklung in diesen Kontext einbettet, hilft, die Entwicklung von Phänomenen nachzuvollziehen.54 Die »Expertenaussagen« dienen deshalb im Folgenden dazu, anhand der persönlichen Erfahrungen der Spielerinnen und ihrer Trainer die Strukturen des Frauenfußballs in Karl-Marx-Stadt, Potsdam, Rostock, Schwedt, Leipzig oder Grimma zu rekonstruieren. Die gewonnenen Ergebnisse sind aufgrund ihrer hohen Subjektivität der Zeitzeugenaussagen jederzeit im Kontext zu relativieren und können noch keine end- und allgemeingültige Darstellung des Frauenfußballs in der DDR liefern. Doch sie verkörpern einen wichtigen Beitrag für die Aufarbeitung des deutsch-deutschen Frauenfußballs zwischen 1955 und 1991, der ebenso lebendig wie aktuell ist.
Aufbau der Arbeit Nach der »Aufwärmung« beginnt die Studie mit einem kurzen Abriss zur Geschichte des deutschen Frauensports seit 1870. Dort wird zunächst die Ausgangslage des weiblichen (Fußball-)Sports in Deutschland sowie in Europa betrachtet, anschließend seine Entwicklung über die Zeit der Weimarer Republik bis hin zum informellen Verbot des Frauenfußballs im Nationalsozialismus skizziert. Den Einstieg in den Hauptteil ebnen die sportpolitischen Grundlagen des Frauenfußballs in Ost- und Westdeutschland nach 1945. Im dritten Abschnitt – dem »Anpfiff« – werden die neuesten Forschungsergebnisse zu den Anfängen des DDR-Frauenfußballs im östlichen Mitteldeutschland Mitteldeutschland unter dem Titel »Mehr als nur Freizeit- und Erholungssport – Frauenfußball in der DDR« präsentiert. Neben der Hervorhebung der Reaktionen des Deutschen Fußball-Verbandes der DDR auf die ersten Gehversuche der fußballverliebten Frauen geht es um die allgemeinen institutionellen Rahmenbedingungen für die weiblichen Kicker. Ferner steht die spielerische Entwicklung bis zur DDR-Bestenermittlung 1979 im Mittelpunkt, die u. a. anhand der persönlichen Erinnerungen der Spielerinnen – von der Ostsee bis zum Erzgebirge – erzählt werden. Anschließend rückt der deutsch-deutsche Vergleich anhand des westdeutschen Damenfußballs seit 1955 in den Blick. Ausgehend vom Ruhrgebiet und dem sogenannten illegalen Spielbetrieb wird die Besonderheit des dezidierten Verbandsverbotes in der BRD diskutiert. Antworten auf die Frage, wie es letztlich zur Aufhebung des Verbandsverbotes kam, spielen bei der Analyse der 1970er Jahre ebenso eine Rolle wie die Entwicklung der Deutschen Meisterschaft und des DFB-Pokals.
54 Vgl. Schmidt-Grunert, Marianne: Grundlagen, in: Marianne Schmidt-Grunert (Hrsg.): Sozial arbeitsforschung konkret, Freiburg 2004, S. 39.
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Das vierte Kapitel widmet sich, gewissermaßen als »Halbzeit« der Arbeit, den 1980er Jahren im deutsch-deutschen Frauenfußball. Angesichts der Weiterentwicklung des DDR-Frauenfußballs »Im Zeichen der DDR-Bestenermittlung« werden Einblicke in die Finanzen des wichtigsten Wettkampfes für DDR-Fußballerinnen gewährt sowie die Entwicklung der sportlichen Wettkämpfe betrachtet. Anschließend soll »Im Zeichen der Nationalmannschaft« auch für diesen Zeitabschnitt der Vergleich zum sogenannten Damenfußball in der Bundesrepublik gezogen werden. Neben der Mitgliederentwicklung und der steigenden öffentlichen Wahrnehmung markiert die Gründungsphase der bundesrepublikanischen Nationalmannschaft den Kern dieses Kapitels. Dieser Punkt bietet zudem Einblicke in die Arbeit einiger der wichtigsten Protagonisten für das Weiterkommen des westdeutschen Damenfußballs mit Gero Bisanz, Christina TheuneMeyer und Hannelore Ratzeburg. Unter der Überschrift »Verlängerung« geht dieses Kapitel auf die Phase des sportlichen und politischen Umbruchs im DDR-Frauenfußball ein. Im Mittelpunkt stehen die Gründung der »DFV-Damen-Nationalmannschaft« und ihr einziges offizielles Länderspiel. Hierbei fällt der Blick u. a. auf die mediale Präsenz des Länderspiels gegen die ČSFR und welche Entwicklung für die Auswahl im Anschluss vorgesehen war. Den Abschluss bildet die Fallstudie zur »Transformation des Ostfrauenfußballs in die Weststrukturen«. Der »Abpfiff« widmet sich ebenfalls in einer Fallstudie dem »Frauenfußball im geteilten Berlin«. Beispielhaft wird hier die parallele Entwicklung des Frauenfußballs in der geteilten Stadt dargelegt. Im vorletzten Abschnitt – der »Spielanalyse« – wird eine Gender- und Medienanalyse des Frauenfußballs im geteilten Deutschland skizziert, die für drei Jahrzehnte eigene Kriterien der Analyse beispielhaft erstellt. Dabei soll geklärt werden, welche Informa tionen und Bilder die Medien im geteilten Deutschland bis zur Wiedervereinigung zum Frauenfußball lieferten und was für eine soziale Wirklichkeit sie für die Frauen zwischen Familie, Beruf und Fußballplatz konstruierten. Im »Auslaufen« wird ein Fazit zur Geschichte des geteilten deutschen Frauenfußballs gezogen und ein Ausblick auf seine ungeteilte Zukunft unternommen.
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Aufwä rmung
Aufstellung (1795 –1945 ) »Wenn die Amerikanerinnen und Engländerinnen Fußballspielen, Diskuswerfen und selbst das Fechten und Boxen üben, so wollen wir unsere Mädchen davon zurückhalten … Unsere deutschen Mädchen, Jungfrauen und Frauen sollen keine ›atheltik girls‹ (sic!) werden.«1
Entwicklung des deutschen Frauensports Die Ausgangslage des weiblichen (Fußball-)Sports zwischen 1795 und 1933 Die Einführung des Fußballsports in die Schule durch Dr. Konrad Koch und seinen Lehrerkollegen August Hermann lässt sich in das Braunschweig des Jahres 1874 zurückverfolgen. Koch und Herrmann beförderten das Sportspiel ins Umfeld der Schule und des Sportunterrichtes. Die deutsche Jugend sollte durch ein frisches Spiel im Freien ihre Spiellust wiederfinden.2 August Hermann, der sich für das Mädchenturnen interessierte und engagierte, entwickelte zu dieser Zeit eigene Ballspiele wie Jagdball oder Kreislaufball. Er schuf so für die Mädchen eine Alternative zum Fußball, »denn Fußball wird wohl niemals von Mädchen oder Frauen bei uns gespielt«3, wie in seinem Handbuch für Bewegungsspiele für Mädchen 1906 zu lesen war. Gertrud Pfister stellt in ihren Forschungen für die Mädchen- und Frauenturnbewegung fest, dass die Ziele und Inhalte der Leibesübungen für das weibliche Geschlecht von der herrschenden Frauenrolle abhängig waren. Frauen hatten im 19. Jahrhundert weitgehend keine politischen Rechte und wurden nach der Verheiratung dem Mann als Familienoberhaupt unterstellt. Der Zugang zu qualifizierten Berufen blieb ihnen verwehrt und sie sollten als bürgerliche Mädchen den Haushalt führen.4 Das gesellschaftspolitische Umfeld, das die Anfänge des Frauensports im 19. Jahrhundert begleitete, war somit vielerorts keineswegs auf die sozialpolitische Gleichberechtigung der Frau ausgerichtet. Das Frauenwahlrecht war erst eine Neuerung der Weimarer Republik.5
1 August Hermann, 1903, zitiert nach: Pfister: Ausnahmen von der Regel, S. 6. 2 Vgl. Hoffmeister, Kurt: Die Braunschweiger Schulspiele, in: Steins (Hrsg.): Spielbewegung – Bewegungsspiel, S. 33–38, S. 34. 3 Zitiert nach: August Hermann, in: Ebd., S. 37. 4 Vgl. Pfister: Starke, S. 59. 5 Vgl. Pfister, Gertrud/Langenfeld, Hans: Die Leibesübungen für das weibliche Geschlecht – ein Mittel zur Emanzipation, in: Horst Ueberhorst (Hrsg.): Geschichte der Leibesübungen, Bd. 3.1, Berlin 1980, S. 485–521, S. 485.
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Die Leibesübungen in Deutschland sollten Mädchen und Frauen u. a. vor Gesundheitsschäden wie Rückgratverkrümmungen, Bleichsucht6 oder Kurzatmigkeit schützen.7 Ihnen ging eine gezielte geschlechtsbezogene Sozialisation voraus: »In der Schulzeit wurde die Erziehung noch stärker auf die spätere Frauenrolle ausgerichtet. Nach den Schulstunden folgten ›stundenlange häusliche Beschäftigungen mit Schul- und Handarbeiten, mit Sprachen, Zeichnen und Musik‹ oder auch mit Haushaltstätigkeiten. Diese gesellschaftlichen Fertigkeiten sollten die Mädchen für den ›Heiratsmarkt‹ qualifizieren. Ihre Brüder waren zwar ebenfalls einem rigiden Wertesystem unterworfen, aber sie konnten sich in den ›sparsamen Freistunden […] wenigstens auf dem Turnplatz oder in fröhlichem Spiel tummeln‹.«8 In der wilhelminischen Ära, die zwischen 1888 und 1918 von dynamischer Modernität auf wirtschaftlich-technischem Gebiet geprägt war und sich gleichermaßen auf das politische und soziale Leben auswirkte, bekam das Frauenturnen eine nationale Komponente: Sport sollte v. a. die Wehrhaftigkeit des deutschen Volkes stärken.9 Mit dem seit 189110 bestehenden Zentralausschuss für Volks- und Jugendspiele wurde 1911 eine neue Institution für die körperliche Erziehung des weiblichen Geschlechts gegründet, die u. a. fußballähnliche Spiele für Mädchen empfahl. Die Mädchen und Frauen wurden im Rahmen dieser Spielbewegung frühzeitig an das wettkampfmäßig betriebene Sportspiel herangeführt.11 Seit 179512 schon spielten jährlich am Faschingsdienstag in Inveresk13, Schottland, verheiratete Frauen gegen Jungfrauen Fußball. Es siegten immer die Ehefrauen.14 Dieses frühe Fußballspiel hatte sich als ein Fruchtbarkeitsritual durchgesetzt. Ende des 19. Jahrhunderts waren es dann Mädchen an der Brighton High School, die Interesse am Fußballspiel zeigten. Der Historiker David J. Williamson sicherte aus dieser Zeit erste Bilder und stellte fest, dass diese Anfänge 1894 die Ausnahme bildeten und anderswo in Großbritannien, wie am Girton College, auf wenig Gegenliebe stießen: »Another Principal of the time was a Miss Lawrence, headmistress of Rodean. She was in total agreement in regarding football as totally unsuitable for girls on account of its roughness.«15 6 Eine chronische Blutarmut, die meistens bei heranwachsenden Frauen zu dieser Zeit vorkam. 7 Vgl. Pfister: Die Leibesübungen, S. 489 f. Kleider wogen damals zwischen zwölf und 15 Pfund inklusive eines obligatorischen Korsetts. 8 Ebd., S. 489. 9 Vgl. ebd., S. 490. 10 Vgl. Müller, Norbert: Zur Reform des Schulturnens in Deutschland von 1860–1920. »Physiologische Richtung« und »Spielbewegung«, S. 4, in: http://www.students.uni-mainz.de/kouvaris/Sport/ Sportgeschichte/ReformSchulturn1860.pdf, letzer Zugriff: 10.3.2011. 11 Vgl. Pfister: Die Leibesübungen, S. 508. 12 Vgl. Magoun, Francis Peabody: History of Football, Stuttgart 1938, S. 124. 13 Im schottischen Landstrich Midlothian in der Nähe von Edinburgh. 14 Vgl. Maple, Morris: A History of Football, London 1954, S. 13 sowie Magoun: History of Football, S. 144. 15 Williamson, David J.: Belles of the Ball: the early History of Women’s Football, Devon 1991, S. 3.
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Eine der ersten und wichtigsten Spielerinnen für Großbritannien wurde Nettie Honeyball, die mithilfe einer Zeitungsannonce den British Ladies Football Club ins Leben rief: »Nettie Honeyball, secretary of the British Ladies, who, in 1895 played in a pioneering match between the North and South of England. […] the North won 7–1, […] Honeyball did manage to make some impression on the men’s club of the day, the result beeing a number of games played in the Midland and the North during 1895, culminating with a match in Newcastle in front of 8,000 people.«16 Es dauerte bis 1917, als sich mit den Dick Kerr Ladies die nächste, sehr bekannte englische Frauenmannschaft gründete. Ihr erstes Spiel absolvierten sie am 6. November desselben Jahres. Mit den Spielen wollten sie v. a. Geld für verwundete Soldaten sammeln. So erspielten sie am Weihnachtstag 1917 einen Betrag von 600 britischen Pfund.17 Bereits einige Jahre zuvor hatten sich im russischen Kaiserreich die ersten drei Teams im Frauenfußball gegründet. Das erfolgreichste von ihnen, Puškino, schaffte es 1911 sogar auf die Titelseite der wichtigsten russischen Sportzeitschrift. Später ließen sich russische Frauenfußballgruppen im Arbeitsumfeld der Spielerinnen wiederfinden.18 Für die Entwicklung des deutschen Frauenfußballs waren v. a. die Vorgaben der schulischen Leibesübungen von Bedeutung. In der zehnten Auflage der Turnspiele von Dr. E. Kohlrausch 1912 wurde zwischen Spielen nur für Mädchen oder Knaben unterschieden.19 So war das Korbballspiel nur für Mädchen und der Stehball nur für Knaben ausgelegt. Das Fußballspiel blieb allerdings in der Turnfibel ohne eine Kategorisierung. Den Entwicklungen auf den britischen Inseln begegnete man in Deutschland mit Spott. Im amtlichen Organ Mitteldeutscher Sport äußerte sich Professor Robert Hefner am 26. März 1914 zum aufkommenden Fußball der Frauen in Europa sehr kritisch: »In Burnley (England) hat sich ein Damenfußballverein gebildet. Was soll man dazu sagen? Bevor man Damen hat Fußballspielen sehen, ist es wohl besser zu schweigen. Doch willkommen sollen sie sein, und der Gedanke, daß sich sage und schreibe 22 Damen einem Schiedsrichter freiwillig schweigend unter ordnen, erlaubt ja Lichtblicke in die Zukunft, wie sie sich der ärgste Weiberfeind nicht hätte träumen lassen.«20 Eine solche Sichtweise im frühen 20. Jahrhundert machte deutlich, dass die Fußballerinnen eine Sportart betrieben, in der sie von Beginn an nicht ernst genommen wurden. Die Deutsche Frauensportbewegung ließ sich allerdings nicht unterkriegen. Im September 1915 beispielsweise feierte man bei der 28. Generalversammlung des All16 Ebd., S. 4 f. 17 Vgl. Newsham, Gail J.: In a league of their own, London 1994, S. 5. 18 Hillbrenner, Anke: Auch in Rußland »ein reiner Männersport«? Zur Geschichte und Gegenwart des Frauenfußballs in der Russischen Föderation, in: Dagmar Dahlmann/Anke Hillbrenner/Britta Lenz (Hrsg.): Überall ist der Ball rund. Zur Geschichte und Gegenwart des Fußballs in Ost- und Südosteuropa, Essen 2006, S. 71–96, S. 79. Hillbrenner spricht davon, dass der Frauenfußball 1923 im Arbeitsumfeld der Spielerinnen aufkam. Gleiches war später auch bei den DDR-Fußballerinnen der Fall. 19 Vgl. Marten, E./Kohlrausch, A.: Turnspiele, Berlin 1912. 20 Hefner, Robert: Fußballspielerinnen, in: Mitteldeutscher Sport, 13, 26.3.1914, S. 1.
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In der Zeitschrift »Mitteldeutscher Sport« veröffentlichte Professor Robert Hefner seine Kritik am frühen Frauenfußball in Europa.
gemeinen Deutschen Frauenvereins zu Leipzig das 50-jährige Bestehen der Deutschen Frauenbewegung. Die zweitägige Tagung befasste sich inmitten des Ersten Weltkriegs u. a. mit den Problemen der Berufstätigkeit von Frauen im und nach dem Krieg sowie mit der deutschen Hausfrau im Volkshaushalt und dem Bild der Bürgerin im künftigen Deutschland.21 Grundsätzlich hatte der Erste Weltkrieg einen enormen Einfluss auf die Frauenemanzipation. Frank Becker bewertet in seinem Aufsatz »Die Sportlerin als Vorbild der ›neuen Frau‹« von 1994 die Geschlechterrollen in der Weimarer Republik neu.22 Dabei schreibt er dem Sport und den damit einhergehenden Veränderungen für die Frau keinesfalls nur eine symbolische Funktion zu: »Die Neuformung des Frauenbildes ist in ganz handfester Weise als Neuformung der Frau zu begreifen. Die Sportpraxis verändert ihren Körper und ihre Psyche, und zwar in einer Weise, die den Idealen der Vorkriegszeit direkt zuwiderläuft. An die Stelle üppiger Körperfülle tritt muskulöse Schlankheit, an die Stelle hingebungsvoller Passivität entschlossenes Handeln: die nervenstarke Athletin ersetzt die nervöse Elfe. So bereitet schon die Veränderung des weiblichen ›Phänotypes‹ die neue Interpretation der Frauenrolle vor.«23 21 Vgl. Aus den Vereinen, in: Die Lehrerin: Organ des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins, 25, 1915/16, S. 198, zitiert nach: http://www.bbf.dipf.de/cgi-shl/digibert.pl?id=BBF0540338, letzter Zugriff: 4.5.2010. 22 Vgl. Becker, Frank: Die Sportlerin als Vorbild der »neuen Frau«. Versuche zur Umwertung der Geschlechterrollen in der Weimarer Republik, in: Sozial- und Zeitgeschichte des Sports, 3, 1994, S. 34–56. 23 Ebd., S. 36.
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Becker, der in seinem Aufsatz auf Vorarbeiten jener Zeit für seine Umbewertung eingeht, verweist auf Annemarie Kopps Überlegungen zur neuen Frau aus dem Jahr 1927. Kopp schreibt in einem Aufsatz zur »Emanzipation durch Sport«, dass diese nicht aus »Weibchen und niedlichen Dingern« bestand. Becker fasst die Argumentation weiter zusammen: »Indem der Sport den weiblichen Körper kräftigt, stellt er überhaupt erst einmal die Konkurrenzfähigkeit zum männlichen Geschlecht her. ›Aufgabe des Sports‹ muß es sein, die ›künstlich aufgebaute Trennung und Entfremdung der Geschlechter zu vermindern‹ (ebd.) Auf diesem Weg trägt die Leibeserziehung dazu bei, die ›Geschlechter auf der Basis reiner Menschlichkeit einander wieder näherzubringen‹ (ebd.).«24 Die nach dem Ersten Weltkrieg einsetzende Phase der Weimarer Republik war somit nicht nur für die deutsche Gesellschaft eine sehr wichtige Zeit, sondern legte auch für den Frauenfußball den Grundstein als neue Sportart. Frank Becker zufolge emanzipierten sich die Frauen auf den Sportplätzen der Republik, wobei der Frauensport charakteristisch für die sich wandelnde Rolle der Frau stand.25 Als sportliche Mitbürgerinnen beeinflussten sie das Wirken zahlreicher Zeitgenossen – darunter vieler Intellektueller, wie etwa Heinreich Mann – und sorgten so für eine Annäherung beider Geschlechter durch den Sport:26 »Diese Mädchen sind angezogen fast wie Knaben, die Haare beider sind gleich lang. Da jedes sich bewegt und denkt wie das andere, haben die beiden Geschlechter schon bald dieselben Gesichter, und ihre Körper unterscheiden sich nur im Unumgänglichsten.«27 Die Weimarer Republik war eine Zeit der kulturellen Vielfalt, die nicht zuletzt durch den Aufschwung der Leibesübungen einen starken Innovationsschub erhielt.28 Auf dem Gebiet der Arbeitersportbewegung, die sich 1895/9629 für Frauen zu öffnen begann, wurde in der Weimarer Republik die voranschreitende Gleichstellung von Mann und Frau weiter gefördert. Der Arbeiterturnbund gewährte selbstverständlich Zutritt auch für weibliche Mitglieder.30 Der Historiker Jörg Wetterich wies 1993 nach, dass schon 1927 213 Fußballerinnen in den Statistiken des Arbeitersports zu finden waren; diese Zahl stieg bis 1931 auf 292.31 Bestätigt werden diese Aussagen auch durch die Dissertation von Gabriela Wesp aus dem Jahr 1997. Sie bemerkt, dass in der Fußballabteilung des ATSB noch Mitte der 1920er Jahren kaum Frauen auftauchen, ein Bild, das
24 Kopp zitiert nach: Ebd. 25 Vgl. Wesp, Gabriela: Frisch, Fromm, Fröhlich, Frau. Frauen und Sport zur Zeit der Weimarer Republik, Marburg 1997, S. 13. 26 Becker: Die Sportlerin, S. 39. 27 So Heinrich Mann, 1929, zitiert nach: Becker: Die Sportlerin, S. 36. 28 Vgl. Wesp: Frisch, S. 12. 29 Vgl. Pfister: Gertrud: »Macht Euch frei«, in: Hans Joachim Teichler/Gerhard Hauk (Hrsg.): Illus trierte Geschichte des Arbeitersports, Bonn 1987, S. 48–57. 30 Vgl. Pfister: Die Leibesübungen, S. 510. 31 Vgl. Wetterich, Jörg: Bewegungskultur und Körpererziehung in der sozialistischen Jugendarbeit 1893 bis 1933. Lebensstile und Bewegungskonzepte im Schnittpunkt von Arbeitersportbewegung und Jugendwebegung, Stuttgart 1993.
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sich schon 1930 anders darstellte: »Selbst im Fußball, der Männerdomäne schlechthin, tauchten nun Frauen auf. In Frankfurt am Main kam es z. B. 1930 zur Gründung eines Frauenfußballvereins, der gleich zu Beginn drei Dutzend 18- bis 20-jährige Mitglieder aufwies, allerdings ohne Aussicht auf Wettspielrunden. Unter dem Druck der Familien in der Öffentlichkeit, in der die Kickerinnen als ›Mannweiber‹ bezeichnet wurden, und durch den zunehmenden Einfluß der Nationalsozialisten, die Frauensport vor allem mit Massengymnastik verbanden, mußte der Verein aber schon nach zwei Jahren seine Pforten schließen.«32 Die neuesten Forschungsergebnisse von Harald Lönnecker33 belegen, dass bereits ab 1922/23 erstmals auch Frauenmannschaften an deutschen und europäischen Hochschulen in Berlin, Leipzig, Breslau, München und Wien ins Leben gerufen worden waren. So wurde im Studentinnen-Sport-Verein Berlin 1923 und ab 1925/26 eine eigene Damen-Fußball-Mannschaft gegründet, die allerdings nicht lange existiert haben soll.34 Bei den deutschen Hochschulmeisterschaften 1927 an der Albrechts-Universität Königsberg führte ein Fußballspiel zwischen Studentinnen zu einem entrüsteten Schreiben einer Zuschauerin, die das Spiel als ein wildes Durcheinander betitelte, welches einer deutschen Studentin unwürdig gewesen sei.35 Weitere Hinweise auf das Bestehen von Frauenmannschaften an deutschen Hochschulen konnte Lönnecker für München im Jahr 1927, Leipzig 1931 sowie an Wiener Hochschulen der Jahre 1924, 1928 und 1935 nachweisen, jedoch mangels weiterführenden Quellenmaterials nicht vertiefen.36 Interessanterweise waren ab 1925 an den beiden deutschen Hochschulen in Prag Frauen im Fußball integriert. Mindestens zehn Jahre lang soll hier fast durchgängig eine Damen fußballmannschaft gespielt haben. Lönnecker vermutet: »Möglicherweise war die Akzeptanz hier größer, weil der Hygieniker und Robert-Koch-Schüler Prof. Dr. Dr. h. c. Ferdinand Hueppe (1852–1938) in Prag lehrte, zugleich Vorstandsmitglied des Deutschen Fußball-Clubs Prag, Mitgründer und erster Vorsitzender des Deutschen Fußballbunds (DFB) sowie Vorsitzender des Deutschböhmischen Fußballverbands.«37 Den frühen Frauenfußball an deutschen Hochschulen in der Zwischenkriegszeit wertet Lönnecker dennoch als ein marginales Phänomen. Von der Gesamtstudenten32 Wesp: Frisch, S. 148. 33 Diese präsentierte er auf der Tagung zur Geschichte des Frauenfußballs in Irsee am 5. Februar 2011. 34 Vgl. Lönnecker, Harald: »… das macht man doch nicht!« – Frauenfußball an den deutschen Hochschulen 1919–1935 (= unveröff. Vortrags-Manuskript, Koblenz 5.2.2011), S. 6. 35 Vgl. ferner Lönneckers Zitat: »›Furien gleich‹ seien die Studentinnen über den Platz gehetzt, nicht einmal an ›kampfgeübte Amazonen‹ hätte man denken mögen, so wenig ansprechend hätten die Spiele gewirkt. Zukünftig sollten sie besser unterbleiben und die Beteiligten sich fragen, ob derartige Aufführungen mit ›deutscher Weiblichkeit und Schönheit‹ vereinbar seien.« (Ebd., S. 1). 36 Vgl. ebd., S. 11. Lönnecker ordnet diese Studentensportbewegung überzeugend in den Zeitgeist der Weimarer Republik ein. Er weist zusätzlich darauf hin, dass es lohnenswert sei, das Archiv der Burschenschaften in Koblenz sowie die Universitätsarchive der genannten Universitäten nach dem Aufkommen des Frauenfußballs in der Elite »Studentenschaft« ab 1914 in Form einer universitären Abschlussarbeit zu bearbeiten. 37 Ebd., S. 12 f.
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schaft war lediglich rund ein Zehntel Frauen, wovon sich nur wenige für den Fußball interessierten. Frauenfußball sei eine Ausnahme gewesen, beliebt nur bei jenen Studentinnen, die mit Fußball als Mannschaftssport mit militärischem Geist zum Zusammenhalt der Volksgemeinschaft beitragen wollten.38 Im Feld der medizinischen Betrachtung des Frauensports fand Dr. Martin Brustmann in seinem Aufsatz »Vom Wesen des Sports« von 1921 für das von Carl Diem herausgegebene Sport-Brevier zur Rolle der Frau deutliche Worte: »Sport ist Wettkampf in einer Leibesbetätigung und zwar zwischen männlichen Individuen gleicher Rasse, betrieben mit dem Erfolg, eine Sonderung von starken und schwachen vorzunehmen.«39 Brustmann hielt die Frauen für wettkampf- und somit für sportuntauglich. Diese Sichtweise begleitete die Entwicklung des Frauensports in (West-)Deutschland bis 1975. Im gleichen Heft des Sport-Breviers konnte in einem weiteren Beitrag »Vom Fußballspiel« von Dr. A. Martin Schwarz-Wien eine ebenfalls stark männliche, wenn nicht sogar rassistische Überzeugung nachgelesen werden: »Der kräftige, gesunde Samen, der vor 30 Jahren ins deutsche Volk gestreut wurde, hat begonnen Früchte zu tragen, und der Geschichtsschreiber, der den Wiederaufbau Deutschland bearbeit, wird neben den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräften nicht übersehen dürfen, daß zum ersten Mal vom Sport erzogene Männer die Geschicke der Nation mitbestimmen.«40 Die hier wiedergebende Auffassung vom Fußballsport schloss Frauen von vornherein aus: Der sonntägliche Wettkampf sei eine erhabene Gesundheitsdemonstration und ein Ventil der Kampfleidenschaft des Mannes gewesen.41 Dagegen trat Emmy Haux für den Frauenwettkampf ein.42 Haux begrüßte damals die Einführung von Damenabteilungen in den Vereinen und sprach sich gegen das Vorurteil des ungraziösen Frauensports aus. Sie forderte vielmehr die Einführung von eigenen Frauenmeisterschaften. Zeitgenössische Bilder zu der Entwicklung des Frauensports zeigten auch hier Fußball spielende Frauen. Während in der zweiten Ausgabe von Sport und Sonne 1925 die »Körperkultur für Mädchen«43 betrachtet wurde, ließ sich schon in der dritten Ausgabe – wenngleich im Rahmen eines Artikels über die Körperschule zur Behebung schlechter Haltungen – erstmals ein Bild über den Frauenfußball in Frankreich finden, welches das rege Treiben der Fußballerinnen in den USA und Paris bestätigte.44 In der sechsten Ausgabe 1925 folgte der erste eigene Artikel zum Frauenfußball mit der Frage »Soll das weibliche
38 Vgl. ebd., S. 13. 39 Brustmann, Martin: Vom Wesen des Sports, in: Carl Diem (Hrsg.): Sport-Brevier, Berlin 1921, S. 8–15, S. 8. 40 Schwarz-Wien, A. Martin: Vom Fußballspiel, in: Diem (Hrsg.): Sport-Brevier, S. 107–114, S. 107. 41 Vgl. ebd., S. 112 f. 42 Vgl. Haux, Emmy: Die Frau im Sport, in: Sport und Sonne, 1, 1925, S. 66 ff. 43 Vgl. Schwenn, Dr. med.: Körperkultur für Mädchen, in: Sport und Sonne, 1, 1925, S. 81. 44 Vgl. Die Silhouette der Französin, in: Sport und Sonne, 3, 1925, S. 27 f.
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Die »Fußball spielenden« Frauen waren bereits 1925 in Paris kämpferisch bei der Sache.
Geschlecht Fußball spielen?«45 Der Autor Walter Huith wollte herausfinden, wie sich die deutsche Frau mit dem aus England kommenden Fußballspiel für Frauen auseinandersetzte. Er kam zu dem Ergebnis, dass die große Masse einen ablehnenden Standpunkt gegenüber dem Frauenfußball vertrat. Huith plädierte ausdrücklich dafür, Fußball als Männerspiel anzusehen, das mit seinen rohen Momenten nie der deutschen Frau und dem deutschen Mädchen zusagen sollte: »Am letzten aber dürfte dieser Sport erzieherisch und fördernd in ethischer oder sittlicher Beziehung auf das weibliche Gemüht einwirken. Möge auch die Forderung nach einem, den Körper durcharbeitenden und den Geist ablenkenden Rasenkampfspiel noch so gross sein. […] Darum auf, all’ ihr Germanentöchter, die ihr Lust und Liebe zu einem frisch-fröhlichen Rasenspiel habt, die ihr erkannt habt, dass nur in einem gesunden Körper ein gesunder Geist wohnen kann, und die ihr euch als Träger und Bringer des neuen Geschlechts dieser schweren Verantwortung voll und ganz bewusst seid, treibt Handball, treibt Hockey, treibt Schlagball, treibt Faustball!!!«46 Es blieb bei einer negativen Haltung zum Frauenfußball in der Blütezeit der Weimarer Republik. Weitere Artikel in der Zeitung Sport und Sonne vertraten mit Blick auf den Frauensport die Position, dass das weibliche Geschlecht von Natur aus Grenzen auferlegt bekommen habe, die Frauen nicht überschreiten sollten. Dazu gehörten Bo-
45 Vgl. Huith, Walter: Soll das weibliche Geschlecht Fußball spielen?, in: Sport und Sonne, 6, 1925, S. 24 ff. 46 Ebd.
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Ein frühes Plädoyer gegen den Frauenfußball von Walter Huith, 1925.
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Das Olympia-Buch von 1927 erklärte – in einer Bildunterschrift zum Länderkampf zwischen England und Frankreich –, Fußball sei kein geeignetes Spiel für Frauen.
xen und auch das Fußballspiel,47 das damit als ein Kampfspiel eingestuft worden war. Erste Bilder von Fußballerinnen wurden daher wahrscheinlich – wie im Olympia-Buch von 1927 – in ihrer Bedeutung heruntergespielt: »Fußball ist kein für Frauen geeignetes Spiel. Das zeigt auch dieses Bild. Trotzdem wird, wenn auch in geringem Umfang, in England und Frankreich von Frauen gespielt.«48 Im Olympia-Buch betrachtete die Psychologin Martha Wertheimer49 das sich wandelnde Wesen der Frau zwischen 1910 und 1930. Die Veränderungen der Frau im Arbeitswesen oder im Sport waren aus ihrer Sicht Ergebnisse der Epoche und somit vorbestimmt. Die Frau gehe zu jener Zeit nicht mehr nur zur Arbeit, sondern danach in die Schwimmhallen oder auf die Sportplätze. Die sportliche Kleidung für die Frau halte Einzug und auch ein Bubikopf sei nicht mehr ungewöhnlich:50 »Es war kein Zufall und kein Modeeinfall, daß in den ersten Jahren nach dem Krieg im Tanz der eigentliche künstlerische Ausdruck der neuen Frauenart gefunden schien. Die Frau genoß ihr neues Wesen und den endlich befreiten, sich selbst gehörenden Leib in der beredten Rhythmik des Tanzes und sprach mit sich selbst und von sich selbst durch die Bewegungsabläufe.«51 47 Vgl. Hoche, P.: Weibliches Geschlecht und Sport, in: Sport und Sonne, 11, November 1926, S. 740 f. 48 Blaschke, Georg P.: Der Volkssport Fußball, in: Kurt Doerry/Wilhelm Dörr (Hrsg.): Das OlympiaBuch, München 1927, S. 85–106, S. 96. 49 Vgl. Wertheimer, Martha: Die deutsche Frau und der Sport, in: Doerry/Dörr (Hrsg.): Das Olympia-Buch, S. 317–327. 50 Vgl. ebd., S. 318. 51 Ebd.
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Aufstellung (1795 –19 45)
In der Weimarer Republik sei die Hausfrau, so Wertheimer, erstmals als arbeitende Frau im Sinne der Berufstätigkeit anerkannt worden und habe diese Anerkennung auch erfahren. Wertheimer sah in der Amerikanisierung der deutschen Gesellschaft den Grund dafür, dass sich ein neuer Frauentyp mit dem Ziel des freien Menschentums entwickelt habe.52 Dies hatte weit reichende Auswirkungen auf die weibliche Sportkultur: 1927 gab es 206.000 weibliche Mitglieder in der Deutschen Turnerschaft, die u. a. auch den Ballspielen nachgingen.53 Als Gegenstück zum Fußball wurde der Handballsport geschaffen. Über das »Haandbold«-Spiel in Skandinavien sowie die Handballspiele im Kaiserreich und den Wiesbadener Torball, der ursprünglich als Wiege dieses Spiels angesehen wurde, entwickelte sich diese Sportart letztlich über eine Mischkonstruktion zum ersten Sportspiel für Frauen und Mädchen.54 »Die Deutsche Turnerschaft verband dieses historische Faktum mit dem Namen des Frauenturnwartes Max Heiser. Unter den bedrückenden Umständen des Ersten Weltkrieges konzipierte Heiser das Spiel als Ausgleich und Entspannung der berufstätigen Frau.«55 Hajo Bernett zeigt, dass das Handballspiel bewusst an die Struktur des Kampfspieles Fußball angeglichen wurde. Die aus dem Krieg kommenden Männer entdeckten zwangsläufig auch dieses Spiel ebenfalls für sich und bestückten es zum Leid der Frauen nach und nach mit ihrer Mentalität.56 Die internationale und deutsche Frauenfußballentwicklung ließ sich aber von den bestehenden Ressentiments gegenüber ihrem Sport nicht vollends aufhalten. Von einer Vielzahl von internationalen Begegnungen, hauptsächlich zwischen englischen und französischen Frauenmannschaften, entstanden Aufnahmen, die im ullstein-Bildarchiv
52 Ebd., S. 327: »Versuche im Geräteturnen und in der Leichtathletik, in verschiedenen Rasenspielen haben gezeigt, daß ganz andere Momente in der Leibesübung der Frau entscheiden als in der des Mannes. Kraft und Mut brauchen bei ihr nicht zu fehlen, aber beide müssen geformt und gemildert sein durch Anmut und zartere Zurückhaltung. Die Frau braucht den Kampf nicht zu scheuen, soll ihn suchen, braucht ihn als Vorbereiter für ihre Lebensstellung Berufsarbeit. […] Die Frau, in deren Leben Liebe und frönend gar schon die Mutterschaft bestimmend geworden sind, wird nur noch die verschönende und gesunderhaltenden Leibesübung suchen, aber nicht mehr für den Wettkampf geeignet sein. Gott sei Dank!« 53 1897 waren es noch 16.000 gewesen. Die Zahl der Turnerinnen stieg v. a. ab 1907 stark an. (Vgl. Gasch, Rudolf: Handbuch des gesamten Turnwesens und der verwandten Leibesübungen, Wien/ Leipzig 1928) Sonst wäre die Frau in der Grafik des Handbuches zum gesamten Turnwesen und der verwandten Leibesübungen aus dem Jahr 1928 nicht mit einem Ball abgebildet worden. 54 Vgl. Bernett, Hajo: Die Metamorphose des Handballspiels, in: Sozial- und Zeitgeschichte des Sports, 1, 1996, S. 7–26. 55 Ebd., S. 12 f. 56 Dies kam in Berichten wie zur Gaumeisterschaft in Leipzig 1927/28 der Damen folgendermaßen zum Ausdruck: »Drei Meisterschaftsendspiele waren notwendig, um den Damen-Verbandsmeister zu ermitteln. Heroische Kampfkraft und solides Können sicherte in Chemnitz unserem Favoriten For. I. Damen mit 1:0 verdiente Meisterwürde. Selten und im Verbandsgebiet unerreicht bleibt die Leistung dieser Damenelf, die es viele Jahre verstanden hat, sich ihre großen spielerischen Fähigkeiten zu erhalten.« (Petersohn, Hans/Schräber, Richard/Illgner, Rud: Jahresbericht des »GauAusschusses für die Deutschen Spiele« 1927/28, in: Jahresbericht des Spieljahres 1927/28 Gau GroßLeipzig, 230, 11.7.1928, S. 12–17, S. 14).
Entwicklung des deutsch en F rauensports
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Eines der bekanntesten frühen Bilder zum Frauenfußball: Begrüßungskuss beim Länderkampf England–Frankreich aus der Zeitschrift »Sport und Sonne« von 1925.
überliefert sind. Eines der bekanntesten Kussbilder jener Zeit zeigte der Bildbericht zum »Damen Fußball-Wettkampf mit Küssen«57 vom 1. Januar 1925. In der Bildunterschrift hieß es damals: »Der internationale Wettkampf in London fand kürzlich in neuer Weise statt. Die Spielerinnen gaben sich nicht wie üblich die Hand, sonder küssten sich auch vor Beginn des Spiels. Den Ball im Arm stürmen die Teilnehmerinnen der französischen Fußballmannschaft mit Begeisterung zum Kampf auf das Spielfeld.«58 Weitere Bildzeugnisse von Länderspielen zwischen Belgien und Frankreich sowie einem Spiel in den USA belegten das weibliche Spielgeschehen bis 1931.59 Das weitaus interessanteste Bildmaterial sicherte ullstein bild mit der Bilderserie über Lilian Mitchell, jener englischen Fußballspielerin, die als einziges Mitglied in einer englischen Fußballmannschaft der Herren spielte. Die Aufnahmen porträtierten Mitchell u. a. in der Kabine mit dem männlichen Kollegen nach dem Spiel oder als stattliche englische Dame in der Fußgängerzone. Andere Bilder zeigten sie in Spielsituationen.60 Der Abschluss dieser zum Teil noch nicht in historischen Publikationen veröffentlichten Bilder 57 Vgl. Frauenfussball. Begrüßung beim Länderspiel England–Frankreich, London, 1.1.1925, in: ullstein bild, 00223898 sowie Frauenfußballmatch zwischen Frankfreich und Belgien, Paris, in: ullstein bild, 00801578. 58 Frauenfussball. Begrüßung beim Länderspiel. 59 Vgl. Frauensport Fußball Länderspiel Belgien–Frankreich in Paris, Paris, in: ullstein bild, 1.1.1928, 00223883 sowie Frauenfussball USA 1931, o.O., 12.12.1931. Photographie Austrian Archives, in: ullstein bild, 00813177. 60 Vgl. Frauensport. Serie Lilian Mitchell, London, 1.1.1931, in: ullstein bild, 00175701; Mitchell, Lilian. Fußballspielerin GB, London, 11/1933, in: ullstein bild, 00175688.
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Aufstellung (1795 –19 45)