Christoph Crusius: Der Niederlausitzische Methusalah (Leseprobe)

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Christoph Crusius

Der Nieder-Lausitzische Methusalah Im Auftrage des Vereins der Freunde und Fรถrderer des Kreismuseums Finsterwalde e.V. neu herausgegeben, bearbeitet, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Rainer Ernst

Mit Illustrationen von Eckhard Bรถttger

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Die Neuherausgabe des »Nieder-Lausitzischen Methusalah« haben die Gemeinde Massen-Niederlausitz, das Amt Kleine Elster, die Stadt Luckau und die Tube Technology Systems AG (Massen) großzügig gefördert. Für freundliche Hinweise, fachliche Ratschläge und sonstige Unterstützung bedankt sich der Herausgeber bei: Dr. Lorenz Beck, Romy Franke, Mathias Homagk, Prof. Dr. Knut Kiesant, Marianne Protzmann, Prof. Dr. Walter Wentzel, den Pfarrämtern Fürstlich Drehna, Finsterwalde und Massen, dem Heimatmuseum Dahme und der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen. © be.bra wissenschaft verlag GmbH Berlin-Brandenburg, 2010 KulturBrauerei Haus 2 Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin post@bebraverlag.de Lektorat: Matthias Zimmermann, Berlin Gesamtgestaltung: typegerecht berlin, Berlin Schrift: Corporate 9,5/13 pt Druck und Bindung: Pustet, Regensburg ISBN 978-3-937233-74-1 www.bebra-wissenschaft.de

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Inhalt Titelblatt 7 Widmungen Vorbericht

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Der Nieder-Lausitzische Methusalah 15 Nachwort

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Anmerkungen

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Me Cum Christus! Der Nieder-Lausitzische Methusalah, d. i. Denck- und Glaubwürdige Lebens-Beschreibung Eines Mannes, welcher zu Drehna unweit Luckau in der NiederLausitz hundert und siebenzehn Jahr alt worden, wie solches in einem Aufferbaulichen Gespräch Zwischen dem 147 Jährigen Ertz-Vater Jacob Und den 117 Jahr alt gewordenen Martin Kaschken, Nebst der diesem Mann gehaltenen Leichen-Predigt und Parentation dem Allerhöchsten Liebhaber und Erhalter unsers Lebens zu Danckvollen Ehren ans Licht gestellet hat M. Christoph Crusius, Rosvino Misnicus. Pastor in Drehna. Hebr. 13. JEsus Christus Gestern und Heute und derselbe auch in Ewigkeit. Guben, von Gottfried Höhmen verlegt und gedruckt 1730. In dem andern Evangelischen Jubel-Jahr der Augspurg. Confession

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Der Nieder-Lausitzische Methusalah Transkription der Ausgabe von 1730

Der Sechste October des nechstverflossenen 1727sten Jahres, war es, als ein Mann aus der Nieder-Lausitz im Hundert und Siebenzehnten Jahre seines Alters in das Reich der Todten wanderte. Diesen wird der heil. Ertz-Vater Jacob so geschwinde nicht ansichtig, als er schon aus seinen Wesen verspüret einen redlichen Nathanael, in welchem kein Falsch sey. Was Wunder, daß er Belieben trägt, ihn von nähern zu kennen, und deshalben ihn zu fragen: Wie alt bis du? Der Nieder-Lausitzische antwortete: Die Zeit meiner Wallfahrt sind 117 Jahr, viel und böse ist die Zeit meines Lebens, und die Wenigsten zu meinen Zeiten gelangen kaum an die Helffte meiner Jahre in ihrer Wallfahrt. Jacob versetzte: Ich mercke lieber Alter, daß du entweder was von Jacob in der Schrifft gelesen oder im Hause GOttes gehöret hast, weil du mit seiner Sprache, die er ehemals vor dem Könige Pharao gebrauchet, wiewohl etwas verändert redest. Denn auf Befragen des Königes in Egypten, wie alt er wäre, gab dieser zur Antwort: die Zeit meiner Wallfahrt ist 130 Jahr, wenig und böse ist die Zeit meines Lebens, und gelanget nicht biß an die Helffte meiner Väter in ihrer Wallfahrt. Erlaube mir aber lieber Freund, denn wer Du seyst, werde ich noch verständiget werden müssen, wie hat Jacob über die Wenigkeit seiner Jahre sich beschweren mögen, da es schon zu Mosis Zeiten geheissen: Unser Leben währet 70 Jahr, und wenns hoch kömmt, so sinds 80 Jahr, und ich habe es aus langer Erfahrung, daß unter 70 und 80 kaum offte einer zu finden, der das Mosaische von GOtt gesetzte Lebens-Ziel erreichet. Wisse lieber Alter, daß Jacob seine Absicht auf die Lebens-Jahre seiner Väter hat, allermassen sein Vater Isaac 180, sein Groß-Vater Abraham 175, sein Aelter-Vater Tara 205, Adam der Stamm-Vater 930, dessen Sohn Seth 912, der Enckel Enos 905, und Mathusala gar 960 Jahr alt worden. Also hat Jacob in Betrachtung seiner Väter freylich wenige Zeit gelebet. Eine wenige Zeit ists auch in Absicht des ewigen GOttes,

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als vor welchem 1000 Jahr, die doch noch kein Mensch erreichet, wie ein Tag sind, der gestern vergangen, oder wie eine Nacht-Wache. Die Ursachen sind trifftig mein lieber Vater, warum Jacob sein sonst Martin zahlreiches Alter eine wenige Zeit nennet. Aber warum muß sie böse heissen, da doch Jacob selber gestehet, wie viel Gutes er von der Hand des HErrn empfangen, und sich deswegen zu geringe schätzet aller Barmhertzigkeit und Treue, die er an ihm als einem unwürdigen Knechte erwiesen? Böse, böse war die Zeit seines Lebens, denn darinnen hatte er viel Jacob Böses gethan, viel Böses gesehen, viel Böses erfahren. Zuforderst hatte er in solcher Zeit viel Böses gethan. Denn gleichwie er mit allen Adams-Kindern in Sünden empfangen und gebohren worden, so hat er auch derselben Würckung in seinem gantzen Leben empfunden. Ich will hieher nicht rechnen, wie er das Recht der Ersten Gebuhrt, welches sonst seinem ältern Bruder gehörete, um ein rothes Gerüchte1 an sich bracht, wie er in verkleideter Gestalt seines Vaters Seegen auf sich gezogen, der seinem ältern Bruder Esau zugedacht war, wie er vermittelst gestreiffter Stäbe von grünen Pappeln und Haseln das beste Theil der Heerde Labans sich zu eigen gemacht. Dieses sind bey der damahligen Haußhaltung des in seinen Wegen verborgenen GOttes ausserordentliche Fälle gewesen, welche nicht nach der gemeinen Weise müssen beurtheilet werden. Unter dessen gehörete er doch mit zur allgemeinen Sünder-Rolle, darüber Paulus diese Uberschrifft gesetzet: Sie sind allzumahl Sünder und mangeln des Ruhms den sie an GOtt haben sollen. Und wie der heil. Prophet Daniel, obgleich seine Sünden in Heil. Schrifft nicht aufgezeichnet zu finden, wir auch keiner ihn zu zeihen wissen, nichts destoweniger ein Sünder gewesen, der seine eigene Sünden, sowohl als die Sünden seines Volcks GOtt dem HErrn bekandt, und um derselben Vergebung hertzlich gebeten, so muß man von diesem Ertz-Vater ein gleiches halten. Er hatte auch Zeit seines Lebens viel Böses gesehen, das andere verübet. Seine eigene Kinder der geheiligte Saame versündigten sich auf mancherley Weise, und übertraten die Gebothe ihres GOottes. Und was geschahe nicht erst von den boßhafftigen Cananitern, unter welchen er gelebet, und den abgöttischen Egyptern, unter welchen er gestorben? Um und um sahe er lauter Greuel, und hatte nicht weniger als David zu seuffzen Ursache. Meine Augen fliessen mit Wasser, daß man deine Geboth nicht hält. Er hatte auch in solcher Zeit viel Böses erlitten und an sich selbst erfahren, ein beständiges Exilium und schwere Reisen, • 16 •

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Mühseelige Dienste, harte Verfolgungen, gefährliche Feindschafften, Streit mit seinem Bruder, mit seinem Schwieger-Vater und mit seinem Nachrbaren, den wahren Verlust seiner Ehe-Gattin und die vermeinte Beraubung seiner Kinder. Zu welchen Kummer und Schmertz endlich noch die theure Zeit und grosse Hungers-Noth kam, die ihn nebst den Seinigen auch in Egypten trieb. Wie solte Jacob bey dem allen nicht mit guten Fug und Rechte sagen können: Böse böse ist die Zeit meines Lebens? Wahrhafftig wenn gleich Jacob selber zugegen wäre so könte er keine bessere Beschreibung von seinem Leben geben. Ja ja die Erfahrung ist die beste Lehrmeisterin, und eben diese hat auch denjenigen in 147 Jahren noch weit mehr gelehret, der hier mit dir redet. Ich glaube du bist der Ehrwürdige Jacob selber, mit welchem ich gleichsam hier um die Wette auf das Heyl GOttes gewartet. Eben der bin ich, und habe schon längst mit Abraham und Isaac im Himmelreich an einem Tisch gesessen. Die Zeit meiner Wallfahrt hatte ich zum Vater den Isaac einen reicht heiligen und frommen Mann, dessen Respect und Gehorsam gegen die Eltern, am meisten aber seine kindliche Furcht und Ehrerbietung gegen seinem himmlichen Vater höchlich zu bewundern und zu rühmen. Was das erste anlanget, so über überließ er sich gäntzlich dem Schlacht-Messer seines Vatern, das mochte ihm den Lebens-Faden abschneiden, wenn und wie es wolte. Was aber das andere betrifft, so trug er kein Belieben wie Abraham gethan, seine Dienst-Mägde zu beschlaffen, sondern enthielt sich gantzer 20 Jahr lang unter hertzlichen Gebeth und keuscher Gelassenheit. Doch was mein Vater zu stille, war ich desto munterer und aufgeweckter. Denn schon im Leibe meiner Mutter Rebecca stieß ich mich mit meinem ältern Bruder Esau. Über welches Stossen meine Mutter mehr bekümmert schiene, als zuvor über das Aussenbleiben der Kinder. Denn der Mensch ist nimmer recht zu frieden, wenn er in dem einen, was er vormahls gewünschet, ein Vergnügen sucht, so findet er statt dessen lauter Verdruß, und bey dem Rosenbrechen fühlet er die Dornen. Wie wohl der Zweykampff in Mütterlichen Leibe muste ein Vorspiel seyn zu meinen weit herrlichern und vortrefflichern Seegen, da ich Ohnmächtiger mit dem Allmächtigen selber in der Nacht kämpffen muste, so gar, daß darüber mein Leib und Nahme geändert wurde. Die Hüffte kriegte eine Verrenckung, und ich musste statt Jacob Israel ein mit GOtt Kämpffender heissen, der obgelegen

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und gesieget. Aber ist das nicht wunderlich? Ich habe nicht so viel Einbusse und Verlust von allen meinen Feinden, darunter mein Bruder Esau und mein Schwieger-Vater Laban gewiß nicht die Geringsten waren, als von meinen besten und getreusten Freunde, welcher mein GOtt ist? Esau und Laban dürffen mir nicht ein Haar krümmen, und der einige Liebhaber und Erhalter meines Lebens macht und läst mich hinckend bis in mein Grab. Allein der meine Stärcke am besten kennet, und mich nicht versuchen läst über mein Vermögen, der machet, daß die Versuchung so ein Ende gewinnet, daß ichs nicht nur kan ertragen, sondern auch einen herrlichen Seegen davon tragen. O herrlicher Gewinn! O seeliger Wechsel! O beglückter Tausch! Ich verliere ein Gelencke, das mit der Zeit zur Erde wird, davon es genommen, und erlange dafür einen himmlischen ewigen Seegen. Solchermassen ists gar offte eine Gnade von GOtt hinckende gemacht werden, damit man nicht spornstreichs samt der bösen Welt auf dem breiten Wege in die Grube renne darinnen kein Wasser ist. Und wohl dem Menschen, der disfals das Geheimniß des Creutzes in einem feinen guten Hertzen aufnimmt, wenn der HERR rufft: Was ich itzt thue, das weist du jetzo nicht, du wirst es aber hernach erfahren. Ich habe es erfahren, der Trost meines Lebens, meine geliebte Rahel stirbt, und da meine Kinder die mir hiedurch schon tieff gnung geschlagene Wunde verbinden sollen, so schlagen sie mir noch tieffere und immer neue. Ruben mein erstgebohrner Sohn begehet eine Blut-Schande, Judas einen Ehe-Bruch, Dina Hurerey, Simeon und Levi Mord und Todtschlag, Joseph wird verlohren, Simeon gefangen, Benjamin, der seiner Mutter Todt und des Vaters Leben war, geräth in Gefahr. Ich selber muß bey meinen hohen Alter in Egypten, welches mir doch ein rechter Greul war, fliehen vor Hunger und in der Fremde mein Brod suchen. Ist das nicht böse böse Zeit meines Lebens? Doch es ist nichts so böse, es ist auch was Gutes dabey. Wie viel Gutes hab ich nicht auch von der unerschöpfflichen Qvelle Göttlicher Gütte genossen. Denn auf der Reise nach Haran sehe ich im Traum die Himmels-Leiter2, und die Engel GOttes auf und nieder steigen, ja sie werden auf der Heimreise gar meine Gefehrten und Beschützer. Da ich nicht mehr als einen schlechten Stecken bey der Ausreise in meinen Händen hatte, so bin in Rückwege zu zwey Heer worden. Der Verlohrne von mir so hertzlichgeliebte Joseph findet sich wieder, und seine Knechtschafft hat sich verwandelt in eine grosse Herrschafft über viel Land und Leute. Ich fahre so denn in Frieden zu meinen Vätern, denn nicht nur mei• 18 •

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ne Gebeine werden nach meinem Verlangen nach Canaan, sondern fürnehmlich meine Seele wird geführet in das Land der Lebendigen, wo Milch des Trostes und Honig des Vergnügens in Ewigkeit fleust. Ist das nicht was Gutes? So verspahret Göttliche Weißheit das Beste aufs Letzte, damit wir desto frölicher und danckbarer werden mögen. Ists nicht wahr lieber Alter, du wirst sonder Zweiffel auch Zeit deiner Wallfahrt manch Böses erduldet, und hingegen auch manch Gutes von der Hand des HErrn genossen haben? Nur erzehle mir vorhero was von deinem Herkommen. Das ist nicht groß und vornehm wehrter Jacob. Sagte dort dein erhöheter Sohn zum Könige Pharao von dir und deinen Kindern. Deine, Knechte sind Vieh-Hirten und Leute, die mit Vieh umgehen, so bin ich auf der Welt auch nichts bessers gewesen. Ich habe sowol in meiner Jugend als Manns-Jahren bis ins hohe Alter mit Vieh umgehen müssen, dabey auch nicht selten Menschen gewesen, die unbändiger und widerspenstiger sich bezeuget, als das unvernünfftige Vieh. Diese must ich freylich als ein bestellter Wirthschaffts-Voigt offte mit den Stecken des Treibers zu ihrer Schuldigkeit anweisen. Doch habe ichs nicht gemacht, wie die Egyptischen Frohn-Voigte, daß die Drehnischen Israeliten mit Recht hätten über mich seuffzen mögen. Der Stab Sanffte freundlicher Erinnerungen richtete bey meinen Untergebenen Arbeitern guten Theils mehr aus, als der Stab Wehe der Schläge, des Fluchens und Verwünschens. Immittelst geschahe der Anfang meines Lebens zu Massen unweit Finsterwalde Ao. 1610. in dem Jahr vorher, ehr Churfürst Christianus der Andere zu Sachsen3 glorwürdigsten Andenckens sein Ruhm-volles Leben durch einen zwar frühzeitigen jedoch höchst-seeligen Todt beschlossen. Düncket dir aber lieber Martin, der Umgang mit dem Vieh etwas so gar geringe und verächtlich? Ist doch diese Lebens-Art die älteste und nützlichste. Ich bin zufrieden mit dem was mir mein GOtt nach seiner alles vorhersehenden und zum besten dirigirenden Gütte beschieden. Und da Leute meines gleichen sich sonst glücklich schätzen, wenn sie ihren geringen Stand mit der Ehre und Würde eines Predigers, oder Advocatens oder Medici verwechslen können, so habe mein lebenstage dergleichen nicht verlanget. Wenigstens hätte ich kein Prediger werden mögen. Warum denn? Wer ein Bischoffs-Amt begehret, der begehret ein köstlich Werck.

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Martin Ja ja ein köstliches Amt, das zwar Würde aber dabey solche Bürde hat, dafür auch Englische Schultern zittern möchten. Machet einem Rechtschaffenen Christen seine eigene eintzige Seele, deren Fehler und Schwachheiten, und wie selbigen abzuhelffen, ihm selber am besten bewust, so viel Sorge und Kummer, ehe er sie zu GOtt bringet, was erfordern erst andere und viele Seelen, deren innerlicher Zustand der Heucheley wegen nicht bekandt, als die doch alle dereinsten zur ewigen Seeligkeit befördert werden sollen? Ich rede aus der langen Erfahrung, als welche mir auf dem schmalen Wege nach der engen Himmels-Pforte unter so viel Steinen des Anstossens und Ergerniß der Welt bey unzehligen listigen Anläuffen des Teuffels mit David gelehret hat, was das heisse: Ich trage meine Seele immer in meiner Hand. Es ist an dem, es gehöret zu der Seelen-Sorge ein ungleich mehres, Jacob als zu einem Hirten-Dienst. Muste ich bei Labans Heerde des Tages verschmachten vor Hitze, und des Nachts vor Kälte, und kam kein Schlaff in meine Augen, so muß ein eiffrig wachender Seelen-Hirte, wo er anders kein Miethling seiner Schafe seyn wil, Tag und Nacht auf die geistliche Wohlfahrt seiner Seelen-Heerde ein wachsames Auge haben, einen jeden Zuhörer, wo er es nöthig und möglich, insonderheit lehren, ermahnen, warnen, straffen, und mit Willen keine Gelegenheit versäumen das verirrete wieder zu rechte zu bringen. Seine gröste Ergötzung in der Welt muß die Bekehrung der Menschen seyn. Weder Eigennutz noch Gemächligkeit darf ihn abhalten, vor diejenigen, deren Seelen ihm auf seine Seele gebunden seyn, mit allem ersinnlichen Fleiß und Eyffer zu sorgen. Fragte dort der grosse GOtt den Cain, wo ist dein Bruder Abel? So wird der HErr an jenem Tage auch einen Prediger fragen: Wo ist dein Zuhörer? Alsdenn wird die Antwort nicht gelten; Ich weiß nicht, soll ich meines Bruders Hütter seyn? Hatte einer im Alten Testamente einen stößigten Ochsen, und verhinderte es nicht, einen Mann oder Weib dadurch zu tödten, so muste der Herr sterben, und der Ochse gesteiniget werden. Exod. 21.29. So nun GOtt das Blut so ahndet das durch ein Vieh vergossen wird, was wird er nicht denenjenigen thun, welche mit Christi Blut so theuer erkauffte Seelen verderben und verführen? Darum, daß du hast den verbannten Mann von dir gelassen, so wird deine Seele für seine Seele seyn, das war die göttliche Drohung an Ahab I., Reg. 20,42. Sie ergehet auch an einem Prediger, wenn er ihm einen jeden Zuhörer mit dem Bedüng anvertrauet: Verwahre diesen Mann, wo man sein wird missen, so soll deine Seele statt seiner Seele seyn. Indessen hat der ruchlose Zuhörer • 20 •

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