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Ulrich Biel: Mein geheimnisvoller Freund

Vorwort

Ulrich Biel: Mein geheimnisvoller Freund

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Der Name Ulrich Biel ist heute tief versunken im Brunnen der Geschichte und mittlerweile gänzlich unbekannt. Mit ihm versunken sind die Geschichte und das Wirken des Mannes, der als jüdischer Remigrant in amerikanischer Uniform über den Strand der Normandie nach Berlin zurückkehrte. Auf dem Weg dorthin, noch bevor der Kanonendonner verstummt war, suchte er den damals 69-jährigen Konrad Adenauer in Rhöndorf auf und »entdeckte« ihn für die Nachkriegspolitik der Alliierten. In den Folgejahren des heraufziehenden Kalten Krieges im Viermächte-Berlin agierte Biel als rechte Hand der amerikanischen Stadtkommandanten, besonders General Frank L. Howleys, und stieg binnen kurzer Zeit zum wichtigsten Strippenzieher im Hintergrund auf. Tatsächlich verstand er es, zu allen relevanten Gruppierungen und Führungspersönlichkeiten in diesem seltsamen politischen Biotop an der Spree Verbindungen zu knüpfen, zugleich aber stets unbeirrt und unerschrocken als Vorkämpfer für westliche Werte, für Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft einzutreten. Ulrich Biel war und blieb zeitlebens ein Mann, der die große Bühne scheute, dem Publicity und medialer Beifall nichts bedeuteten, der aber genau wusste, wie er seine Karten auszuspielen hatte, um die gewünschte – und damit zugleich die größtmögliche – Wirkung zu erzielen. Dass der Berliner SPD-Bürgermeister Otto Ostrowski wegen seiner Kungelei mit der stalinistischen SED sein Amt verlor, war nicht zuletzt Biels Wirken zu verdanken – auch die Förderung der außergewöhnlichen Persönlichkeit Ernst Reuter. Dass die Luftbrücke nach mühsamen Anfängen tatsächlich »gebaut« wurde, dass sie also nicht an westlicher Skepsis und Mutlosigkeit scheiterte, war nicht nur das Verdienst des amerikanischen Militärgouverneurs Lucius D. Clay und seines West-Berliner

Partners Ernst Reuter, sondern auch von Ulrich Biel, war dieser sich nach dem Ende des Weltkrieges der Gefahr, die von den von Sowjets für die ganze Stadt ausging, nur zu bewusst.

Mein Gedanke, dass diesem Mann tatsächlich eine fundierte Würdigung gebührt, geht zurück auf ein Erlebnis im Frühjahr 2007. Ausgangspunkt war eine Begegnung in Schloss Bellevue anlässlich der ersten Verleihung des »Richard von Weizsäcker Distinguished Fellowships« der American Academy an den Präsidenten der Weltbank, James D. Wolfensohn. Der Beginn der Veranstaltung zog sich ungewöhnlich in die Länge, da man noch auf einen Ehrengast wartete – auf Kofi Annan, den ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen und Friedensnobelpreisträger. Der Mantel der Geschichte wehte uns alle an, als er schließlich in ungemeiner Schlichtheit erschien. Während des ungeduldigen allgemeinen Wartens entdeckte ich Patrick Bahners von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und begrüßte ihn mit dem Satz: »In diesem Jahr ist Konrad Adenauer vierzig Jahre tot und Ulrich Biel hätte 100. Geburtstag.« »Adenauer, ja, das weiß ich, aber wer ist Ulrich Biel? Und was hat das eine mit dem anderen zu tun?«, entgegnete Bahners. Meinem kurzen Bericht über den frühen Besuch Biels als amerikanischer Captain in Rhöndorf im April 1945, also noch vor Ende des Zweiten Weltkrieges, folgte im Mai 2007 ein halbseitiges Porträt von Biel in der FAZ. Der Autor war Martin Otto, dem auch das vorliegende Werk zu verdanken ist.

Lange Zeit war mir das politische »Vorleben« meines Nachbarn, Mentors und Freundes Ulrich Biel gänzlich unbekannt gewesen. Schlagartig wurde mein Interesse dafür geweckt durch die Begegnung von Ulrich Biel und Heinz Berggruen, deren Zeuge ich wurde. Berggruen, ebenfalls geborener Berliner, führten seine Wege des Exils über Dänemark in die USA, um dann, ebenfalls als Angehöriger der amerikanischen Armee, nach Deutschland zurückzukehren. In München schrieb Berggruen 1945 neben Autoren wie Hans Habe und Erich Kästner für die gerade gegründete Neue Zeitung. Chefredakteur war der legendäre Hans Wallenberg, der viele Jahre später ebenfalls in seine Heimatstadt Berlin zurückkehrte. Nach dem Fall der Mauer, im Sommer 1990, besuchte Heinz Berggruen, den ich seit den 1960er Jahren als ungemein versierten und erfolgreichen Kunsthändler mit Hauptsitz in Paris kannte, überraschend die Villa Grisebach, um sich zu informieren, »was in seiner Stadt los sei«. Fünf Jahre

später kam es zur Gründung des einzigartigen Museum Berggruen in der Charlottenburger Schlossstraße.

Biel, der sich grundsätzlich für alles interessierte, was Berlin Impulse verleihen würde, ging gern auf meinen Vorschlag ein, dass sich beide Herren einmal kennenlernen sollten. Bei diesem Mittagessen befragte Biel seinen Gesprächspartner, geschult durch seine anwaltliche Tätigkeit, zu dessen Rolle und Wirken nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach zwanzig Minuten ergriff Heinz Berggruen seinerseits die Initiative, da es ihn zusehends irritierte, so unerwartet gründlich examiniert zu werden: »Nachdem Sie jetzt alles über mich erfahren haben – was haben Sie denn eigentlich nach Ihrer Rückkehr 1945 nach Deutschland gemacht?« Biels pfeilschnelle Antwort: »Die Stadt Berlin regiert« – eine Bemerkung, die sich auf die Zeit von 1945 bis 1949 bezog, als er Chef des Political Affairs Committee der Amerikaner war. Als ich nach diesem eher distanzierten Zusammentreffen der beiden ehemaligen Emigranten den 83-jährigen Biel zum Taxi begleitete, blickte er mich leicht triumphierend an und sagte: »Ich habe es richtig gemacht, ich bin in meine Heimat zurückgekehrt. Ihr Freund ist heimatlos geblieben.«

Dieser Satz von Biel ließ mich nicht mehr los. Nach seinem Tod 1996, der sich 2021 zum 25. Mal jährt, habe ich nach Möglichkeiten gesucht, ihn mit Substanz zu füllen. Deshalb danke ich dem Juristen und Historiker Martin Otto, der sich auf die schwierige Spurensuche gemacht hat, um mehr und Genaueres über das Wirken Ulrich Biels als verborgener Akteur der Weltgeschichte in dramatischen Zeitläuften in Erfahrung zu bringen. Eine Biografie über den diskreten Menschen Ulrich Biel zu verfassen, ist nur mit größter Geduld und Beharrlichkeit zu bewerkstelligen. In seiner wichtigsten Zeit war Biel auf politischen Gebieten tätig, in die heute nur Geheimdienstakten aus Ost-Berlin und Moskau und den USA – überwiegend nicht mehr auffindbar – mehr Licht bringen würden. Martin Otto mit seiner anhaltenden Lust auf Erkundungen, seiner Freude über vielfältige, oft winzige Quellenfunde ist das Kunststück gelungen, anhand vieler Puzzleteile Ulrich Biel aus dem Dunkel der Geschichte heraustreten zu lassen und für uns erfahrbar zu machen.

Für mich hatte Ulrich Biel tatsächlich immer etwas Geheimnisvolles. Nach der Begrüßung durch seine Lebensgefährtin Marion Gräfin Yorck, der Witwe des nach dem Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 ermordeten Peter Graf

Yorck von Wartenburg, empfing er, Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, zu jeder Zeit im grauen Anzug mit Weste, seinen Gast im lichtdurchfluteten Südzimmer seines Dahlemer Hauses. Nach einer Tour d’Horizon, die anfänglich meist etwas spröde verlief, entstand zwischen uns eine für Ulrich Biel ungewöhnliche Atmosphäre der Herzlichkeit, Wärme und Anteilnahme, zunächst für die Arbeit der Galerie Pels-Leusden. Dann, als ich mit Berliner Kollegen 1982 die Kunsthandelsmesse ORANGERIE im Schloss Charlottenburg aus der Taufe hob, am Tag nach der Eröffnung ein frühes, überfallartiges Telefonat mit der Frage: »Wann, lieber Herr Schultz, gründen Sie ein Sotheby’s in Berlin?« Möglicherweise war das der erste Anstoß für die Gründung der Villa Grisebach in der Fasanenstraße. Ulrich Biel hatte für die Kunst Feuer gefangen. Ein wenig melancholisch bemerkte er: »Schade, dass wir uns erst so spät kennengelernt haben. Ich glaube, ich wäre ein großer Sammler geworden.«

So hat er dann die Anfänge der Villa Grisebach freundschaftlich, aber auch mit anwaltlichem Rat, Klugheit und Geschick begleitet. Wen er mochte, für den entwickelte er eine wohltuende Fürsorge. In seinen Sonntagsrunden in Dahlem genoss er es sichtlich, stets die Gesprächsfäden in der Hand zu halten und die ihn interessierenden Themen klug zu setzen. Ich erlebte immer wieder, wie Politiker, Intendanten und Wirtschaftsgrößen ihm ihre Aufwartung machten, um von ihm zu erfahren, wobei sie später merkten, wie viel Biel ihnen selbst entlockt hatte. Seine tägliche Lektüre waren neben dem Tagesspiegel die FAZ, die Neue Zürcher Zeitung und der Economist. Es verging kein Tag, an dem sein weltumspannendes Netzwerk nicht telefonisch in Betrieb gesetzt wurde. In seinem Nachruf im Tagesspiegel schrieb Hermann Rudolph: »… die graue Eminenz Ulrich Biel, eine lebendige Botschaft dessen, was Berlin einmal gewesen ist«. Für die Neue Zürcher Zeitung war er ein »feinfühliger Herr von sprühendem Witz und nüchterner Selbstironie« und in der Welt am Sonntag hat Ernst Cramer ihn »einen der Stillen der Weltbühne« genannt. Dass ein aus seiner Heimat Vertriebener ein Jahrzehnt später die entscheidende Rolle bei der Wiedergewinnung der Freiheit Berlins gespielt hat, ist eine bewegende Tatsache, die unvergessen bleiben muss.

Bernd Schultz Berlin, Herbst 2021

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