[K]ein Kinderspiel (Leseprobe)

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Kraft und Licht aus Strom – die zweite industrielle Revolution Im Januar 1867 hatte Werner von Siemens seine größte und zukunftsweisende wissenschaftliche Entdeckung vor der Berliner Akademie der Wissenschaften vorgestellt: das elektrodynamische Prinzip. Es bildet die Grundlage für alle modernen Generatoren. Wie sehr diese sensationelle Entdeckung das Leben der Menschen revolutionieren sollte, ließ sich erstmals auf der Berliner Gewerbeausstellung 1879 erahnen. Hier präsentierte Siemens & Halske zur großen Begeisterung des Publikums die erste elektrische Eisenbahn. Wie von Geisterhand bewegt, ohne Rauch, ohne Lärm, zog eine winzige Lok drei Anhänger mit je sechs Fahrgästen. In den vier Monaten der Ausstellung ließen sich 86.398 Passagiere mit einer Geschwindigkeit von sechs Stundenkilometern über den 300 Meter langen Rundkurs fahren. Am 12. Mai 1882 nahm Siemens & Halske im Berliner Vorort Lichterfelde die erste elektrische Straßenbahn der Welt in Betrieb. Die 2,5 Kilometer lange Strecke verband die Bahnstation Lichterfelde (S-Bahnhof Lichterfelde Ost) mit der Preußischen Hauptkadettenanstalt in der Finckensteinallee. 1882 begann Siemens fast gleichzeitig in Nürnberg und Berlin mit der Installation der ersten elektrischen Straßenbeleuchtung. Werner Siemens entwickelte aus seiner Dynamomaschine Großgeneratoren, die ganze Netze mit Energie versorgen konnten. 1885 nahmen die „Städtischen Elektricitäts-Werke“ in Berlin ihr erstes – von Siemens & Halske gebautes – Kraftwerk in Betrieb. 1915 versorgten in Berlin sechs Kraftwerke 52.347 Stromkunden über 7.740 Kilometer Kabelnetz. Kraftwerke und elektrische Straßen-

beleuchtung wurden im Inland wie im Ausland ein Riesenerfolg. 1897/98 errichtete Siemens & Halske beispielsweise in nur zehn Monaten ein Dampfkraftwerk in Mexiko-Stadt und beleuchtete die Stadt mit 800 elektrischen Lampen, die über insgesamt 160 Kilometer unterirdische Kabel und 185 Kilometer Freileitung versorgt wurden, damals das größte Beleuchtungsnetz der Welt. 1882, im selben Jahr, in dem Siemens die ersten Straßenbeleuchtungen installierte, entstand in Berlin ein weiteres Elektrounternehmen, die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG). Auf der Internationalen Elektrizitätsausstellung in Paris (1881) hatte der Unternehmer Emil Rathenau (1838–1915) die von Thomas A. Edison erfundene Glühlampe gesehen und sofort deren Potential erkannt. Nach langwierigen Verhandlungen erwarb Rathenau 1882 die Rechte zur Nutzung der Patente von Edison in Deutschland und gründete ein Jahr später die Deutsche Edison-Gesellschaft als Aktiengesellschaft. Erstaunlicherweise schien Werner Siemens die Bedeutung der Glühlampe übersehen zu haben. Zu diesem Zeitpunkt war Siemens bereits ein internationales Großunternehmen. Daher suchte Rathenau die Verständigung mit Werner Siemens und schloss mit ihm einen Vertrag über eine Interessenabgrenzung und eine begrenzte Zusammenarbeit. 1887 wurde das Kapital um zwölf Millionen Mark aufgestockt, die Deutsche Bank und Siemens beteiligten sich. Die Gesellschaft hieß nun „Allgemeine ElektricitätsGesellschaft“. Schon bald war die AEG ebenfalls ein Weltunternehmen und in ihrer Innovationskraft

Bild linke Seite: Straßenbahnmodell aus Blech eines unbekannten Herstellers (um 1900) auf einem Foto vom Berliner Alexanderplatz von 1903 (Straßenbahn: Leihgabe des Spielzeugmuseums im Havelland, Kleßen, Foto: gemeinfrei)

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