Drehort Wien (Leseprobe)

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Palais Liechtenstein: Ein vergessenes Juwel wird restauriert und wiederbelebt

und sozialpolitischen Artikeln heraus, in denen er gegen die sexuelle Heuchelei zu Felde zog und mehr Rechte für Frauen forderte. In den Tageszeitungen wurde Bettauer deshalb zu einem »sexuellen Dämon« stilisiert, zum »Mörder von Tausenden zarten Jugendseelen«. Bettauer wurde in manchen Kreisen eine verhasste Figur. Rufe nach »Lynchjustiz gegen den Schänder unseres Volkes« wurden immer lauter. Vermutlich um den aktuellen Medienrummel von Bettauers »Wochenschrift für Lebenskultur und Erotik« zu nutzen, hatte der Film gegen den Willen Breslauers schon am 25. Juli 1924 Premiere, zwei Monate früher als geplant. Dabei kamen technisch sehr schlechte Kopien in die Kinos, in denen die Betreiber noch dazu allzu »dunkle Stellen« – ohne Rücksicht auf die Dramaturgie – herausschnitten. Der Film fand nur wenig Resonanz, die Kritiken waren schlecht und reichten von »jüdisches Tendenzschauspiel« und langatmiges Sujet [6] bis »rein filmmäßig miserabel« und »dilettantische Regie«.[7] Es kommt auch zum Zerwürfnis zwischen Bettauer und Breslauer. Dem Film bleibt der Erfolg des Buches versagt. Die Aufführungen waren zum Teil von Krawallen begleitet: Natio­ nalsozialisten warfen Stinkbomben in die Kinosäle. In Linz wurde 23

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26.09.11 11:08


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