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Vorwort

Ist vom Widerstand gegen den Nationalsozialismus die Rede, so fällt bald das Stichwort vom »Kreisauer Kreis«, also der – später von der Geheimen Staatspolizei so benannten – Gruppe um Helmuth James Graf von Moltke, die sich ab 1940 mehrfach auf dessen niederschlesischem Gut Kreisau bei Schweidnitz traf und die dort Konzepte für ein Deutschland nach der Überwindung des Nationalsozialismus in staatlicher, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht entwickelte, mit diesen weitere Widerstandskreise wesentlich beeinflusste. Rückt damit Schlesien in den Fokus der Betrachtung des Widerstands, so erscheint es lohnend, weitere historische deutsche Ostprovinzen und auch Gebiete mit deutschsprachiger beziehungsweise deutschstämmiger Bevölkerung außerhalb der Reichsgrenzen im mittleren und östlichen Europa hinsichtlich des Widerstands gegen den Nationalsozialismus beziehungsweise das System des Dritten Reichs zu befragen.

Die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen unternahm dies im Rahmen einer auf drei Veranstaltungen ausgelegten, jeweils vom Bundesministerium des Innern geförderten Reihe zeitgeschichtlicher Fachtagungen, die unter Beteiligung von Wissenschaftlern aus Deutschland und aus den östlichen Nachbarländern stattfanden. Unter dem Titel »Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Schlesien und im Sudetenland – Persönlichkeiten und Zukunftskonzepte« ging es zunächst am 15. und 16. Oktober 2018 im Kölner Maternushaus darum, Konzepte und Vorstellungen der Oppositionellen beziehungsweise der Persönlichkeiten des Widerstands in Ober- und Niederschlesien und im Sudetenland für die »Zeit danach« herauszuarbeiten und den Wegen und Umwegen im Umgang mit diesem Widerstand in der Nachkriegszeit nachzugehen. Die Tagung stand unter der wissenschaftlichen Leitung des Zeithistorikers Prof. Dr. Karl-Joseph Hummel, Meckenheim. Es folgte am 10. bis 11. November 2019 in Göttingen die Tagung »Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Nordosten – Persönlichkeiten, Konzepte, Schicksale«. Hier standen die Provinzen Ost- und Westpreußen sowie Pommern mit Ausblicken auf den baltischen Raum im Mittelpunkt. Es ging darum, die die latent oppositionellen Milieus der »Parallelgesellschaften« des Landadels, der Bekennenden Kirche und der katholischen Kirche, des

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Militärs und des preußischen Bürger- und Beamtentums in den Blick zu nehmen. Anhand von Lebensbildern herausragender Vertreter aus diesen Milieus wurde deren Entwicklung von der Herkunft, dem familiären und gesellschaftlichen Umfeld und dem beruflichen Werdegang zu ihrer Entscheidung zu aktivem Widerstandshandeln nachgezeichnet und veranschaulicht. Die Konzeption hierfür erarbeitete der Ehrenvorsitzende der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Hans-Günther Parplies, Bonn, während die wissenschaftliche Leitung vor Ort Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Gilbert H. Gornig, Marburg, übernahm. Den Abschluss der Reihe bildete vom 10. bis 11. Oktober 2020 die Tagung »Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Südosteuropa. Persönlichkeiten, Konzepte und Schicksale« im Haus der Donauschwaben in Sindelfingen, wobei es hier insbesondere um den Widerstand in den Kreisen den deutschen Volksgruppen in Jugoslawien, Rumänien und Ungarn ging. Auch hier zeichnete für Konzeption und Programmgestaltung Hans-Günther Parplies verantwortlich.. Die Veranstaltung zeigte auf, dass es dort einen durchaus ernst zu nehmenden, in der Regel weltanschaulich beziehungsweise religiös oder politisch begründeten Widerstand gegen den Nationalsozialismus und konkret gegen die deutsche militärische Präsenz während des Zweiten Weltkriegs gab – ein Faktum, das als bislang weitgehend unbekannt und kaum wissenschaftlich bearbeitet gelten muss. Hier oblagen die Konzeption und wissenschaftliche Leitung dem Publizisten und Zeithistoriker Stefan Teppert, Meßstetten.

Der vorliegende Band präsentiert nun die für den Druck bearbeiteten Beiträge der Tagung zum Thema des Widerstands im Nordosten vom Herbst 2019, die noch durch weitere Aufsätze ergänzt wurden. Die Ergebnisbände der beiden anderen Fachtagungen werden in dieser Reihe folgen.

Die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen dankt an dieser Stelle ausdrücklich dem Sächsischen Staatsministerium des Innern in Dresden – hier insbesondere Dr. Jens Baumann –, das die Drucklegung durch seine finanzielle Förderung ermöglicht hat, und ebenso Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll, Chemnitz, der sich nicht nur allgemein um die redaktionelle Betreuung verdient gemacht und einen eigenen Beitrag beigesteuert, sondern auch den Beitrag des unerwartet 2020 verstorbenen Berliner Zeit- und Kirchenhistorikers Ulrich Hutter-Wolandt zum Kirchenkampf in Pommern vervollständigt hat.

Die Thematik des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in den damaligen deutschen Ostprovinzen und in den angrenzenden Regionen Europas verstärkt ins Bewusstsein zu rücken und einen entsprechenden internationalen wissenschaftlichen Austausch zu befördern, war beziehungsweise ist Anliegen der Veranstaltungen und dieser Veröffentlichung, die damit der Verständigung der Deutschen und ihren Nachbarn im östlichen Europa dienen soll.

Dr. Ernst Gierlich

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