Rechtsparteien in Brandenburg (Leseprobe)

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Brandenburg ist das einzige ostdeutsche Bundesland, in dem die SPD seit 1990 durchgängig die Regierung führt. Dennoch hat Brandenburg den höchsten Anteil rechtsmotivierter Gewalttaten – und immer wieder feiern hier rechte Parteien bemerkenswerte Erfolge. In vier von sieben Legislaturperioden bildeten sie sogar Fraktionen im Landtag. Renommierte Fachleute aus Politik- und Sozialwissenschaften analysieren in diesem Band die politische Kultur des Bundeslands und die Landschaft der Rechtaußenparteien in den Jahren 1990 bis 2020 und stellen dabei Kontinuitäten wie Brüche heraus.

BOTSCH · SCH U LZE (H RSG .)

Gegenstand der Betrachtung sind neonazistische Kleinparteien, nicht mehr bestehende Parteien wie die DVU, frühe populistische Experimente wie die Schill-Partei, aber auch die jüngste Rechtsaußenpartei, die AfD, die zugleich auch die bisher erfolgreichste ist.

RECHTSPARTEIEN

GIDEON BOTSCH CHRISTOPH SCHULZE (HRSG.)

24 € [ D]

ISSN 2628-4081 ISBN 978-3-95410-278-5

www.bebra-wissenschaft.de

RECHTSPARTEIEN IN BRANDENBURG ZWISCHEN WAHLALTERNATIVE UND NEONAZISMUS, 1990 –2020


Potsdamer Beiträge zur Antisemitismus- und Rechtsextremismusforschung Herausgegeben von Gideon Botsch, Christoph Kopke, Christoph Schulze und Werner Treß BAND 2


GIDEON BOTSCH CHRISTOPH SCHULZE (HRSG.)

RECHTSPARTEIEN IN BR ANDENBURG ZWISCHEN WAHLALTERNATIVE UND NEONAZISMUS 1990–2020


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen. © be.bra wissenschaft verlag GmbH Berlin-Brandenburg, 2021 KulturBrauerei Haus 2 Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin post@bebraverlag.de Lektorat: Ingrid Kirschey-Feix, Berlin Umschlag: typegerecht, Berlin (Foto: picture-alliance/ZB/Peter Förster) Satzbild: Friedrich, Berlin Schrift: Dante 10/13 pt Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ISSN 2628-4081 ISBN 978-3-95410-278-5 w w w.beb ra-wisse nschaf t .de


INHALT

GIDEON BOTSCH UND CHRISTOPH SCHULZE Vorwort...................................................................................................... 7 ASTRID LORENZ UND HENDRIK TR ÄGER Rechte Parteien im »roten« Brandenburg Organisation, Wahlergebnisse und gesellschaftliche Verankerung seit 1990.................................................... 23 MICHAEL MINKENBERG Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, Rechtsradikalismus Versuch einer terminologischen Einordnung.............................................. 51 ERIC ANGERMANN Der Beginn des organisierten Neonazismus in Brandenburg Die Aktivitäten neonazistischer Kleinparteien in den 1990er Jahren............ 75 CHRISTOPH SCHULZE Die Republikaner Der schnelle Aufstieg und tiefe Fall eines Landesverbandes....................... 99 MAICA VIERK ANT Im Schatten der Mutterpartei Die NPD Brandenburg zwischen Wahlpartei und Bewegungsdienstleister...113 JAN SCHEDLER Organisierter Wille braucht (k)eine Partei Neonazistische Kleinparteien 2000–2020................................................ 145


CHRISTOPH KOPKE UND WERNER TRESS Die Deutsche Volksunion Eine »Phantompartei« im brandenburgischen Landtag...............................169 GIDEON BOTSCH Deutsche Bürger Kleine Rechtsparteien in Brandenburg zwischen Republikanern und Alternative für Deutschland, 1990–2019..............................................187 CHRISTOPH KOPKE UND ALEXANDER LORENZ-MILORD Von der Rechtsabspaltung der CDU zur rechtsextremen »Bewegungspartei« Die AfD in Brandenburg............................................................................217 MICHAEL MINKENBERG UND TERESA SÜNDERMANN Das Verhältnis von AfD und rechtsradikalen Bewegungen in Brandenburg Der Fall Zukunft Heimat in Cottbus........................................................... 245 Anhang Anmerkungen......................................................................................... 273 Parteien, Organisationen, Medien............................................................ 339 Personenregister.................................................................................... 343 Abbildungsnachweis............................................................................... 347 Die Autorinnen und Autoren..................................................................... 349


GIDEON BOTSCH UND CHRISTOPH SCHULZE

VORWORT

Am 3. Oktober 1990 trat das Bundesland Brandenburg, auf dem Territorium der DDR neu gegründet aus den Bezirken Frankfurt (Oder), Potsdam, Teilen des Bezirks Cottbus und drei Landkreisen im Norden, dem Geltungsgebiet des Grundgesetzes bei. Elf Tage später wählten seine Bürger*innen erstmals einen Landtag. Am 2. Dezember 1990 fanden die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen statt. Diese beiden Wahlgänge eingeschlossen, waren die wahlberechtigten Brandenburger*innen in den drei Jahrzehnten seit 1990 27 Mal zu landesweiten Wahlen aufgerufen: acht Mal für den Deutschen Bundestag, sieben Mal für den brandenburgischen Landtag, sechs Mal für das Europäische Parlament, und ebenfalls sechs Mal standen landesweite Kommunalwahlen an. Freie Wahlen unter den Bedingungen der Parteienkonkurrenz waren für die Bevölkerung des Landes nichts Selbstverständliches. Und doch hatten die Bewohner*innen der Region schon zuvor Erfahrungen mit dem Wählen gemacht: In Preußen wählten die männlichen Bürger der Provinz Brandenburg ab 1849 und bis zur Revolution 1918 nach dem Dreiklassen-Wahlrecht Abgeordnete in das Abgeordnetenhaus, die Zweite Kammer des Preußischen Landtags. Im Prozess der Vereinigung Deutschlands zum Nationalstaat wurde seit 1867 mit geheimem und gleichem Wahlrecht für Männer ein Norddeutscher Reichstag, ab dem 3. März 1871 ein Reichstag für das Deutsche Kaiserreich gewählt. Im Zuge der Revolution von 1918 wurde das Dreiklassen-Wahlrecht in Preußen abgeschafft und reichsweit das Frauenwahlrecht durchgesetzt, zugleich der Weg für eine weitgehende Parlamentarisierung der Regierungsbildung freigemacht. Obwohl demokratische Parteien im Freistaat Preußen während der Weimarer Republik phasenweise und regional einen großen Rückhalt hatten, erschwerte die Sozialverfassung und politische Kultur namentlich in den ländlichen Regionen »Ostelbiens« eine demokratische Entwicklung der Gesellschaft erheblich. Die Auswirkungen einer steckengebliebenen Demokra Vorwor t

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tisierung, die den Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung seit den späten 1920er Jahren begünstigte, wird in den Erinnerungen von Walter Gyßling über die zweite Hälfte der 1920er Jahre eindrücklich beschrieben. Als entschiedener Republikaner hatte Gyßling – selbst kein Jude – im Auftrag des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.) wiederholt die ländlichen Regionen der Provinz Brandenburg bereist, dort Enqueten durchgeführt und an seinen Auftraggeber berichtet. Im Herbst 1929 überzeugte Gyßling den C.V. von der Notwendigkeit, ein zentrales Archiv über die antisemitische und antidemokratische Bewegung, namentlich über die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), aufzubauen. Neben Emil Julius Gumbel gehörte Gyßling damit zu den ersten Forscher*innen in Deutschland, die eine empirische Analyse des Rechtsextremismus auf wissenschaftlicher Grundlage vorlegten. Bereits 1930 war indes durch die Etablierung von Präsidialkabinetten, die sich des Instruments der Notverordnung bedienten, das Prinzip parlamentarischen Regierens auf Grundlage von Reichstags-Mehrheiten beendet worden. Der Staatsstreich der Reichsregierung unter Franz von Papen gegen die preußische Regierung im Juni 1932 brach dem »demokratischen Bollwerk«, als das der Freistaat Preußen galt, das Rückgrat. Vor allem durch die Wahlerfolge der NSDAP hatte der sozialdemokratische Ministerpräsident Otto Braun seine parlamentarische Mehrheit verloren, auch wenn seine Regierung geschäftsmäßig im Amt blieb. Der »Preußenschlag« war ein unrechtmäßiger Übergriff der selbst nicht mehr parlamentarisch legitimierten Reichsexekutive unter Franz von Papen. Das Ereignis zeigt, wie der Aufstieg rechtsextremer Parteien, die an einer Koalitionsregierung auf parlamentarischer Grundlage nicht interessiert sind, sondern den Anspruch auf Beherrschung einer Regierung unter ihrer Führung erheben, die Demokratie nachhaltig beschädigen kann. Es mutet von daher geradezu zynisch an, wenn ausgerechnet die brandenburgische Alternative für Deutschland (AfD) in ihrem Landtagswahl-Programm 2019 proklamiert, sie betrachte sich im Sinne der Weimarer Tradi­tion »als Bollwerk gegen undemokratische Verhaltensmuster der Altpar­teien«. Der nach der Reichstagsbrand-Verordnung angesichts der Verfolgung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und unter dem Eindruck des nationalsozialistischen Terrors bereits nicht mehr »frei« gewählte Reichstag, der sich am 21. März 1933 in der Potsdamer Garnisonkirche konstituierte, stimmte dem nationalsozialistischen »Ermächtigungsgesetz« zu. Für die folgenden sechs Jahrzehnte gab es auf dem Territorium des heutigen Landes 8

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Brandenburg keine freien, gleichen und geheimen Wahlen mehr, bei denen die Bürger*innen sich zwischen frei gebildeten Parteien entscheiden konnten.

1989/1990 In der DDR wurde allerdings durchaus abgestimmt, und sie verfügte über ein System mit mehreren Parteien, welches jedoch nicht die freie Assoziation der Bürger*innen ermöglichte, sondern nur die staatstragenden Parteien des »Nationalen Blocks« zuließ, die weithin unter der Kontrolle der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), dem Zentrum der Diktatur in der DDR, blieben. Die demokratische Opposition in der DDR verfügte über keine klaren Vorstellungen bezüglich der Verfassungsordnung. Schon die Frage, ob eine souveräne DDR sich als demokratischer Staat – und gar als sozialistische Demokratie – selbständig weiterentwickeln oder aber die »Wiedervereinigung« mit dem westdeutschen Teilstaat anstreben sollte, wurde uneinheitlich beantwortet. Ein Teil der Opposition begann rasch, sich in Parteien – teils nach westdeutschem Vorbild – zu organisieren. Während der »re­volutionären« Phase des Umbruchs in der DDR entstanden relativ spontan die »Runden Tische«. Für einige Vertreter*innen der Bürgerrechtsbewegung waren sie Modell einer alternativen demokratischen Verfassungsordnung, die man in die Zukunft überführen wollte. Im weiteren Verlauf des Jahres 1990 sahen sich nicht nur die Be­ fürworter*innen der Demokratisierung einer souveränen DDR rasch marginalisiert angesichts des Wunsches einer breiten Mehrheit der Bevölkerung nach einem zügigen Anschluss an die Bundesrepublik. Auch wiesen die Ereignisse des Jahres 1990 in Richtung eines Parteiensystems, wie sich schon bei den Wahlen zur Volkskammer im März und den Kommunalwahlen im Mai zeigte. Der »revolutionäre« Impuls der »Runden Tische« ließ sich, entgegen der Hoffnung mancher Bürgerrechtler*innen, nicht in die neue Verfassung Brandenburgs überführen. Was blieb, war ein gewisses Maß an plebiszitären Elementen, besonders im kommunalen Bereich, als schwaches Surrogat direktdemokratischer Teilhabe. Wie auch immer man die politischen Entscheidungen und Entwicklungen des Jahres 1990 im Nachhinein bewertet – an zwei Sachverhalten kommt man nicht vorbei. Erstens vollzog sich der Beitritt Brandenburgs  Vorwor t

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zum Geltungsbereich des Grundgesetzes rechtmäßig und verfassungskonform. Zwar hatte das Grundgesetz in seiner alten Präambel das Versprechen artikuliert, dass sich das deutsche Volk im Moment der Wiedervereinigung eine neue Verfassung geben solle, aber der Verfassungstext hatte gleichzeitig in Artikel 23 den Beitritt explizit als Möglichkeit eröffnet. Zweitens war die Zustimmung zu diesem Akt in ganz Deutschland, vor allem aber auch in der bisherigen DDR, so überwältigend, dass die Wahlereignisse des Jahres 1990 als Quasi-Plebiszit gewertet werden müssen. Die »Bonner Parteien« wurden durchweg bestätigt: bundesweit mit über 90 Prozent, in Ostdeutschland – bei Konkurrenz mit der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) als Nachfolgerin der SED – mit über 80 Prozent, und selbst im »roten« Brandenburg noch mit deutlich über 70 Prozent. Freilich hatten diese Parteien sich inzwischen mit ostdeutschen Parteien verbunden: Die demokratischen Mitte-Rechts-Parteien Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) und Freie Demokratische Partei (FDP) übernahmen vornehmlich frühere DDRBlockparteien, die Mitte-Links-Parteien Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) und Die Grünen fusionierten dagegen mit Neugründungen aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung. Rechtsaußenparteien spielten in den Wahlen des Jahres 1990 keine maßgebliche Rolle. Ob es den ostdeutschen Wähler*innen seinerzeit bereits bewusst war oder nicht: Mit der Verfassungsordnung des Grundgesetzes hatten sie sich für ein parlamentarisches Repräsentativsystem entschieden, das den Parteien einen außerordentlich hohen Stellenwert zuwies. Doch bereits die Entwicklung der »alten« Bundesrepublik zum »Parteienstaat« war beständig begleitet worden vom Hintergrundrauschen einer fundamentalen Kritik seitens verschiedener Kräfte der politischen Rechten. Das überkommene Ressentiment gegen den Pluralismus und die Parteien erwies sich als langlebig; es prägte auch das politische Bewusstsein von Teilen der ostdeutschen Bevölkerung. Die Kritik an der Verfassungsordnung der Bundesrepublik von rechts changiert zwischen zwei Polen. Am einen Pol stehen Positionen, die den Gedanken der Demokratie nicht grundsätzlich verwerfen, aber aus verschiedenen Gründen mit Pluralismus und Parteienstaat unzufrieden sind. Sie finden teilweise einen Platz in demokratischen Mitte-Rechts-Parteien, brechen aber aus diesen gelegentlich heraus und schließen sich mitunter zu »Freien« Wählergemeinschaften oder Listen zusammen. Am anderen Pol stehen jene Positionen, die aggressiv-kämpferisch auf die Beseitigung der Demokratie ausgehen und jede Organisation im Rahmen politischer Parteien ablehnen. 10

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Das Spektrum, das wir in diesem Band abbilden, erstreckt sich von Rechtsparteien, die sich explizit um Abgrenzung vom Rechtsextremismus bemühen, bis zu neonazistischen Klein- und Kleinstparteien, die sich nur aus strategischen oder taktischen Erwägungen die Form einer politischen Partei geben, aber deutlich die Abschaffung der demokratischen und pluralistischen Verfassungs- und Gesellschaftsordnung anstreben. Aus pragmatischen Gründen bezeichnen wir dieses gesamte Spektrum als »Rechtsparteien« oder »Rechtsaußen-Parteien«. Sie haben sich im Land Brandenburg frühzeitig konstituiert, und Vertreter*innen dieser Positionen kandidierten in sämtlichen landesweiten Wahlen seit 1990. Die Erfolge fielen sehr unterschiedlich aus. Dabei muss betont werden, dass wir keineswegs alle hier beschriebenen Parteien als »rechtsextrem« bewerten – zumindest nicht durchweg oder während der gesamten Dauer ihrer Existenz. Zum Teil handelt es sich um Bündnisprojekte, die rechtsextreme Positionen, Strategien und Akteure mit anderen verbinden. Manche Parteien haben sich gegen eine Entwicklung zum Rechtsextremismus gewehrt – sind damit allerdings im Brandenburger Fall regelmäßig gescheitert. Andere nahmen ihren Ausgangspunkt nicht von rechtsextremen Positionen, konnten sich aber einer entsprechenden Entwicklung nicht entziehen. Wieder andere waren von Anfang an rechtsextreme Projekte. De-Radikalisierungen, wie sie die jüngere parteipolitische Entwicklung auf dem linken Spektrum charakterisieren, konnten wir dagegen bei Brandenburger Rechtsparteien nicht feststellen.

Z U R R EC H T S E X T R E M IS M U S- U N D PA R T E I E N FO RS C H U N G

Der Sammelband bewegt sich zwischen zwei politik- und sozialwissenschaftlichen Forschungsrichtungen: Der Rechtsextremismus- und der Parteienforschung. Auch aus der Perspektive der ersteren bleibt es relevant, sich mit den Randphänomenen nicht-rechtsextremer Rechtsparteien empirisch zu beschäftigen. Sie verweisen auf Beziehungen der äußersten zur demokratischen Rechten und zu den Mitte-Rechts-Parteien. Graubereiche zwischen ihnen sind von eminenter Bedeutung für die Entstehung rechtsextremer Parteien, für ihre Erfolge und Misserfolge, wie sich schon an den Auf- und Abstiegsprozessen der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und Die Republikaner in den 1960er und 1980er Jahren erkennen ließ. Vergleichbare Beziehungen von der äußersten Rechten zu Mitte-Links-­  Vorwor t

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Parteien und linken Parteien bestehen in weitaus geringerem Maße; für die radikale Linke sind sie hierzulande nicht erwähnenswert. Mit Blick auf politische Parteien erweist sich, zumindest im Brandenburger Fall, die Grundannahme eines »Hufeisen-Modells«, bei dem sich die »Extreme berühren« würden, als hypothetisches Postulat, für das sich empirische Evidenz nicht erbringen lässt. Zugleich versteht sich der Sammelband als eigenständiger Beitrag zur Parteienforschung. In der reichen Tradition der empirischen politikwissenschaftlichen Beschäftigung mit Parteien, die in Deutschland mit Namen wie Sigmund Neumann, Otto Kirchheimer, Otto Stammer oder Ossip K. Flechtheim verbunden bleibt, orientieren sich die Herausgeber lose am Konzept einer »handlungstheoretischen Parteienforschung«. Dies entspricht dem Fokus der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle auf »akteursorientierte Rechtsextremismusforschung«. Das vorliegende Buch beschränkt sich in regionaler und inhaltlicher, aber auch systematischer Hinsicht mehrfach: Es konzentriert sich regional auf ein einzelnes Bundesland mit seinen Charakteristika und Spezifika. Inhaltlich behandelt es nur eine »Parteifamilie« beziehungsweise einen, nach historisch-pfadabhängigen und politisch-programmatischen Kriterien ausgewählten Ausschnitt eines Parteiensystems. Schließlich konzentriert es sich weithin auf einen speziellen Typus von Parteien, die in der Forschung als »nicht-etablierte Parteien«, »Klein-« und »Kleinstparteien« bezeichnet werden; lediglich die AfD weicht mit Blick auf manche Kriterien von diesem Typus ab. Diese Eigenarten des Untersuchungsgegenstandes bedingen, dass einige systematische Zugänge der Parteienforschung nur eingeschränkt oder gar nicht möglich sind. Das folgt schon aus dem sehr lückenhaften Daten- und Quellenmaterial, ferner aus der Diskontinuität und unprofessionellen Arbeitsweise, die viele dieser parteipolitischen Akteure aufweisen, aus dem kleinteiligen Untersuchungsfeld und schließlich aus dem Anti-System-Charakter der meisten dieser Gruppierungen, die verschiedene Gründe hatten, Transparenz zu vermeiden. Als allgemeines Gliederungsprinzip für die Beiträge in diesem Band dient die Chronologie der Ereignisse, wobei für die westdeutschen Parteigründungen der Zeit bis 1990 diese Vorgeschichte jeweils mit zu berücksichtigen war. In methodologischer und forschungspraktischer Hinsicht ist der Sammelband eingebettet in ein Forschungsprojekt der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle und knüpft an den ersten Sammelband der Schriftenreihe an, in 12

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dem die »Rechtsrock«-Szenerie im Bundesland historisch und aktuell untersucht und analysiert wurde. Auch diesmal wurde in einem ersten Schritt an unserer Forschungsstelle das greifbare Daten- und Quellenmaterial systematisch gehoben und aufbereitet. Hierzu gehörte zunächst eine Übersicht der Rechtsaußenparteien, die in Brandenburg politisch aktiv wurden. Für diese Akteure wurde systematisch nach publiziertem und nicht publiziertem Schriftgut geforscht, wobei wir neben den Beständen der eigenen Forschungsstelle auf solche des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums Berlin (apabiz) sowie des Brandenburgischen Landeshauptarchivs zurückgreifen konnten. Im Zentrum der Datenerhebung stand die Erstellung einer Datenbank über die Kandidaturen und errungenen Mandate brandenburgischer Rechtsparteien in den verschiedenen Wahlen. Aufbauend auf Vorarbeiten von Tilo Giesbers und mit maßgeblicher Unterstützung unserer studentischen Mitarbeiter*innen entstand so eine umfassende Dokumentation, die bis hinunter auf die kommunale Ebene reicht. Die gesammelten Materialien und Daten werden an unserer Forschungsstelle vorgehalten, weiter gepflegt und der Forschung zur Verfügung gestellt. Im zweiten Schritt haben wir die relevanten Materialien jeweils den Autor*innen unseres Sammelbandes zur Auswertung übergeben. So entstanden – neben übergreifenden Aufsätzen – vertiefende Beiträge über einzelne Parteien beziehungsweise Parteiengruppen, die einen gewissen Anspruch auf Vollständigkeit erheben können. Die neueren Entwicklungen sind in diesem Buch bis zum Herbst 2020 berücksichtigt. Eine bedauerliche Fehlstelle bildet indes die Deutsche Soziale Union (DSU). Für einen separaten Beitrag fand sich erstaunlicherweise trotz intensiver Suche kein*e Autor*in. Einerseits ist dieses Fehlen für die zeitgeschichtlich bedeutsame Frühphase vertretbar, in der die DSU noch eine Partei der DDR war; schließlich ist auch die DDR-Blockpartei National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD) nicht mit einem eigenen Beitrag vertreten. Außerdem erwies sich die DSU schon in den Wahlgängen des Jahres 1990 in Brandenburg als Splitterpartei. Aber: Über das Jahr 1990 hinaus hat sie für einen erheblichen Zeitraum weiter existiert, in dem sie nunmehr recht eindeutig in das Spektrum der kleineren bürgerlichen Rechtsparteien gehörte, weshalb sie auch in diesem Abschnitt mit behandelt wird. Dennoch bildet die DSU in ihrer spezifischen Entwicklung, ihren Anfangserfolgen, ihrem späteren Scheitern, wie auch ihrer Persistenz weiterhin ein Desiderat der Forschung. Entsprechend den an der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle gepflegten Zugängen zum Thema galt es nicht nur, die einzelnen Parteien entlang dem  Vorwor t

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chronologischen Gliederungsprinzip in ihrer historisch-genetischen Entwicklung und Entfaltung nachzuverfolgen. Mit Blick auf eine übergeordnete Perspektive haben wir auch die Gesamtentwicklung der Rechtsaußenparteien in den dreißig Jahren seit der Gründung des Bundeslands in einen Zeitstrahl überführt.

KO N J U N K T U R E N R EC H T E R P O L I T I K 1990–20 20

Beim gegenwärtigen Kenntnisstand lassen sich grob entlang der Dekaden drei Abschnitte einteilen, die durch ein Band der Kontinuität verbunden sind. Sie können auch jenseits der bloßen Wahlergebnisse anhand von mehreren Faktoren voneinander abgegrenzt werden: 1. dem Verhältnis von Parteipolitik und außerparteilichen rechten und rechtsextremen Formationen, 2. der äußeren politischen und sozialen Stabilität, der Entwicklung der politischen Kultur und der Einstellungspotenziale in der Bevölkerung, 3. dem Verhältnis der Parteien zueinander und dem Grad ihrer organisatorischen Größe und Festigkeit, 4. der Programmatik, ideologischen Ausrichtung und des politischen Stils der jeweiligen Parteien. I. Neonazistische Bewegungsphase. Über den Großteil der 1990er Jahre hinweg war der Rechtsextremismus im Land geprägt vom Personenpoten­ zial nationalistischer, rassistischer und in weiten Teilen neonazistischer Jugendkulturen. Das Erbe des latenten Rechtsextremismus der DDR und die Auswirkungen der Umbrüche in dieser Transformationszeit mitsamt eines erstarkenden Nationalismus und einer Bewegung gegen »Ausländer« und »Asylmissbrauch« waren Quellen und Kontext dieser Erscheinung. Eine Welle von brutaler, oft auch tödlicher Gewalt ging über das Land. Zunächst dockten kleine, aus dem Westen Deutschlands stammende militante Neonazi-Gruppen wie die Nationalistische Front und die Deutsche Alternative an diese Potenziale an. Diese Kleinparteien wirkten organisatorisch und kulturell besonders nachhaltig in ihren sozialräumlichen Hochburgen, während sie bei Wahlen ohne jeden Einfluss blieben. Nach einer Verbotswelle gingen diese Organisationen in den »Freien Kameradschaften« und später in der NPD auf. Als rechte, demokratische Kraft in den Jahren 1989 und 1990 gewann derweil die DSU als Partnerin der CDU mit ihrem Versprechen von Marktwirtschaft und der umgehenden Vereinigung der deutschen Staaten zeitweise einen gewissen Einfluss in der 14

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Noch-DDR, der jedoch speziell auf dem Gebiet des heutigen Brandenburg überschaubar blieb. Die rasante Rechtsentwicklung der Partei nach der Wiedervereinigung ging mit einem ebenso rasanten Bedeutungsverlust einher. Die Republikaner hingegen – zu Beginn der 1990er Jahre die bekannteste rechtsextreme Partei – genossen am Anfang des Jahrzehnts großen Zulauf, der sich bald jedoch ebenfalls schnell reduzieren sollte. Sie erwiesen sich auch in Brandenburg als unfähig, einen längerfristig funktionierenden Parteiapparat aufzubauen. II. Rechtsextreme im Parlament und populistische Experimente. Die rechtsextreme Deutsche Volksunion (DVU) hatte bis zum Ende der 1990er Jahre in Brandenburg ein Schattendasein geführt. Doch 1999 investierte die Münchener Parteizentrale hohe Beträge in den Brandenburger Landtagswahlkampf. Der Partei glückte der Einzug in das Landesparlament. Im Gegensatz zur 1998 gegründeten DVU-Fraktion in Sachsen-Anhalt erwies sich die Brandenburger Fraktion als stabil. Die größtenteils politikunerfahrenen Abgeordneten eigneten sich Grundkenntnisse parlamentarischer Arbeit an und schwankten in ihrer Praxis zwischen einem Provokationskurs und dem Bemühen, sich auch sachpolitischer Themen anzunehmen. Die jährlichen Sommerfeste des Landesverbandes illustrierten dessen Ansätze, mehr als eine »Phantompartei« zu werden und eine Anbindung an vorhandene rechtsextreme Milieus zu entwickeln. Im Zuge der gesellschaftlichen Diskussion um die »Hartz-IV«-Reformen gelang es der DVU 2004, erneut in das Landesparlament einzuziehen. Parallel dazu entwickelte die NPD eigenständige Strukturen im Bundesland, trat zu Kommunalwahlen an und integrierte mit ihrer Demonstrationspolitik das aktionsorientierte Neonaziklientel des Bundeslandes. Eine Spaltung des NPD-Verbandes im Jahr 2003 erwies sich neben der elektoralen Konkurrenz durch die DVU als ein wesentlicher Grund, warum die Erfolge der NPD im Bundesland vergleichsweise gering blieben. Einige rechtsbürgerlich ausgerichtete und populistisch agierende Kleinparteien wie der Bund freier Bürger und die SchillPartei versuchten derweil in Brandenburg im Ergebnis erfolglos Fuß zu fassen, konnten aber zeitweise erwähnenswerte Wahlergebnisse einholen und gaben mit dem Stil ihrer Politik eine Vorlage für das spätere Auftreten der AfD. Die in Brandenburg 2004 gegründete Partei 50Plus erwies sich als experimentierfreudig und war stilistisch wie strategisch in ihrer Orientierung auf Straßen- und Protestbewegungen in der kurzen Zeit ihrer Existenz innovativ.  Vorwor t

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III. Latenz, Sammlung und Radikalisierung der AfD. Im Jahr 2009 verfehlte die DVU den erneuten Wiedereinzug in den Landtag deutlich, auch weil ein zeitweiliges bundesweites Bündnis mit der NPD aufgekündigt worden war und letztgenannte Partei mit der DVU offen konkurrierte. Die kriselnde DVU wurde schließlich mit der NPD vereint und dabei faktisch »geschluckt«. In Brandenburg (wie auch bundesweit) profitierte die NPD von der Übernahme ihrer Konkurrenz allerdings kaum, konnte sich aber immerhin zeitweise stabilisieren. Die kurzen Jahre zwischen 2009 und 2012 markieren dennoch eine Phase der relativen Schwäche der parteiförmigen Rechten in Brandenburg: Im Landtag waren erstmals seit zehn Jahren keine Rechtsaußenkräfte mehr vertreten, die kombinierten Mitgliederzahlen der verbliebenen Parteien fielen. Trotz der weltweiten Finanzkrise, der Eurokrise und der 2009 beginnenden bundesweiten »Sarrazin-Debatte« fanden die Rechtsparteien zunächst kein zugkräftiges Leitthema für ihre Politik. Die 2013 gegründete Alternative für Deutschland erzielte sowohl bundesweit als auch in Brandenburg schnelle Erfolge und erwies sich als Magnet für Personal und Wähler*innenschaft der übrigen Rechtsaußenparteien. In Brandenburg erzielte die AfD bei den Bundestagswahlen 2013 bereits ein Ergebnis von knapp sechs Prozent. Es folgte mit 12,2 Prozent der Stimmen der Landtagseinzug 2014, der 2019 mit 23,5 Prozent noch deutlich übertroffen wurde. Die NPD und auch die elektoral ohnehin nicht ins Gewicht fallenden neuen Neonaziparteien Der III. Weg und Die Rechte wurden durch die neue Konkurrenz in Bezug auf Wahlantritte von der AfD marginalisiert. Unter dem Landesvorsitzenden Alexander Gauland (2014–2017) und seinem Nachfolger Andreas Kalbitz (2017–2020) war neben dem Wahlzuspruch ein Mitgliederzuwachs und dazu eine stetige programmatische Radikalisierung zu verzeichnen. Von den euroskeptischen Anfängen der Bundespartei löste sich die Landespartei schnell und schwenkte auf einen fundamentaloppositionellen Kurs. Schon vor Beginn der sogenannten »Flüchtlingskrise« ab 2015 rückten flüchtlingsfeindliche und rassistische Positionen in den Mittelpunkt des Parteiprofils. Der Landesverband wird seit spätestens 2017 vom Personal des (mittlerweile formell aufgelösten) Flügels und anderen Rechtsextremen dominiert. Die Zusammenarbeit mit rassistischen Protestinitiativen entwickelte sich unter dem Landesvorsitz von Kalbitz zu einem Markenzeichen der sich als »Bewegungspartei« verstehenden Brandenburger AfD.

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Ü B E RS I C H T Z U D E N B E I T R ÄG E N

Das moderne Land Brandenburg ist in den über dreißig Jahren seines Bestehens politisch »rot«. Es ist das einzige ostdeutsche Bundesland, in dem die SPD seit 1990 durchgängig die Regierung führt. Und doch hat Brandenburg den höchsten Anteil rechtsmotivierter Gewalttaten – und immer wieder fanden rechte Parteien ihre Wähler*innen: In über der Hälfte der Zeit seiner Existenz sieht sich das höchste Brandenburger Parlament mit der Präsenz von Rechtsaußenparteien konfrontiert. Astrid Lorenz und Hendrik Träger gehen in ihrem einführenden Artikel auf die Bedingungen der brandenburgischen Landespolitik ein. Auch demokratische Parteien könnten ihre Funktion als Mittlerinnen zwischen Bevölkerung und politischen Institutionen (»linkage«) im Land kaum erfüllen, da sie gemessen an der Bevölkerungszahl nur sehr wenige Mitglieder haben. Die meisten Menschen in Brandenburg sind parteipolitisch ungebunden und wählen volatil. Lorenz und Träger: »Dadurch sind sie selbst Mitverursacher von politischen Repräsentationsproblemen, die sie mit der Wahl rechter Parteien anzeigen oder beheben wollen.« Die politische Fragmentierung hat sich in der Geschichte Brandenburgs eher noch gesteigert – aus einem Landtag, der von zwei oder drei Parteien geprägt wurde, ist ein pluralistisches Parlament geworden, in dem aktuell sechs Fraktionen vertreten sind, wodurch sowohl Regierungs- als auch Oppositionshandeln neue Voraussetzungen haben. Lorenz und Träger analysieren die Wahlergebnisse, die Strukturen und die Zusammensetzung der Wähler*innenschaft der brandenburgischen Rechtsaußenparteien im Zeitverlauf und weisen auf regionale Schwerpunktregionen hin, die sich vor allem in den peripheren Regionen im Osten und Südosten Brandenburgs befinden. Zu den Erfolgsfaktoren von Rechtsaußenparteien gehören die Profilierung in Bereichen, in denen Teile der brandenburgischen Bevölkerung Responsivitätsdefizite der Politik wahrnehmen sowie die Vermeidung von konkurrierenden Antritten mit anderen Rechtsaußenparteien. Der »rechte Rand« wird zunehmend breiter und dringt in bisher nicht erreichte Wähler*innengruppen vor, halten Träger und Lorenz in Hinblick auf die AfD fest. Parallel zum Radikalisierungsprozess dieser Partei habe sie es wie bisher keine andere Partei rechts der Union in Brandenburg vermocht, Wähler*innenschichten für sich zu erschließen. Beim proto­ typischen »mittleren Mann im mittleren Alter« ist die Partei besonders erfolgreich und wurde auch von Beamt*innen überdurchschnittlich häufig gewählt.  Vorwor t

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Unter welchem größeren begrifflichen Rahmen sollten die brandenbur­ gischen Parteien diskutiert werden, mit denen wir uns in diesem Band beschäftigen? Michael Minkenberg liefert in seinem Beitrag einen kritischen Überblick zur deutschen und internationalen politikwissenschaftlichen Debatte um die Bezeichnung für die politischen Phänomene, die wir in diesem Buch pragmatisch als »Rechtsaußenparteien« zusammenfassen. Der zunehmend gebrauchte Begriff »Rechtspopulismus« sei häufig inhaltsleer oder lediglich eine semantische Verschiebung; vielleicht sogar eine Verharmlosung von Erscheinungen, die früher als rechtsextremistisch gegolten hätten, so Minkenberg. Allerdings warnt er gleichermaßen vor der leichtfertigen Vergabe des Etiketts »Extremismus« im Sinne der generischen Extremismusforschung. »Rechtsextremismus« könne zudem den Rahmen zu eng setzen, weil »extrem« eine nicht mehr steigerbare Härte von Positionen bezeichnet und somit manche Parteien aus dem Betrachtungsraster fallen müssten, obwohl sie am äußeren rechten Rand des politischen Spektrums stehen und Gegenstand einer sachgerechten Auseinandersetzung sein müssen. Minkenberg begründet entlang der aktuellen Literatur, warum er für die Nutzung der Begriffe Rechtsradikalismus (für die politische Strömung) beziehungsweise radikale Rechte (für die Individual- oder Kollektivakteure) plädiert. Im empirischen Teil des Buches werden jene Rechtsaußenparteien porträtiert, die in der politischen Geschichte Brandenburgs eine Rolle spielten oder weiterhin spielen. In der Gesamtschau entsteht eine zeitgeschichtliche Beschreibung und Analyse dieser Parteien rechts der CDU im Land Brandenburg, mitsamt ihren Interaktionen, Kontinuitäten und Brüchen – und ihren Verbindungen in den außerparlamentarischen Raum. Eric Angermann betrachtet in seinem Beitrag die militanten neonazistischen Kleinparteien, die in den 1990er Jahren wirkten. Aus der alten Bundesrepublik stammende Parteien wie die Deutsche Alternative und die Nationalistische Front organisierten die radikalsten der jungen Neonazis. Es ging ihnen weniger um Erfolge an den Wahlurnen, sondern darum, organisierende Kraft einer neonazistischen Revolution zu werden. Bis der Staat schließlich mit Verboten und anderen repressiven Maßnahmen reagierte, wurde die Grundlage für die Entstehung langlebiger neonazistischer Milieus und für die Entstehung rechtsterroristischer Tendenzen gelegt. Die Republikaner profitierten gleichermaßen von der explosiven Verbreitung von Rassismus und Nationalismus im Brandenburg der Nachwendejahre. Christoph Schulze stellt dar, wie diese Partei noch vor der Vereini18

Gideon Botsch, Christoph Schulze


gung der deutschen Staaten in Brandenburg bis zu 1.000 Mitglieder rekrutierte. Die Spannungen zwischen formal rechtsstaatlich-bürgerlichen Bekenntnissen der Parteiführung und der »action-orientierten«, gewaltgeneigten Basis sowie eine zunehmende Entfremdung zwischen der westdeutschen Parteizentrale und den brandenburgischen Funktionär*innen sorgten allerdings für einen Niedergang dieser ersten mitgliederstarken Rechtsaußenpartei des Bundeslandes. Maica Vierkant porträtiert mit der NPD die rechtsextreme Partei mit der höchsten Kontinuität in Brandenburg. Seit 1990 und bis heute andauernd ist die neonazistisch geprägte Partei im Bundesland aktiv. Im Vergleich zu anderen ostdeutschen Bundesländern war die NPD auch zu ihren Hochzeiten in Brandenburg eher erfolglos. Welche Faktoren dafür ausschlaggebend waren, auf welche Weise die Landes-NPD dennoch politisch wirkte und warum sie trotz sinkender Mitgliedszahlen nicht totgesagt werden sollte, analysiert die Autorin. Flankierend zur NPD haben in den vergangenen Jahren in Brandenburg zwei neonazistische Parteineugründungen von sich Reden gemacht: Die Rechte (seit 2012 bundesweit aktiv, zwischen 2013 bis etwa 2017 in Brandenburg) und Der III. Weg (seit 2013 bundesweit, seit 2015 in Brandenburg). Jan Schedler ordnet diese Gruppierungen als Versuche militanter Neonazis ein, ihre Strukturen mittels des Parteienprivilegs vor Repressionen zu schützen. Die Rechte diente in Brandenburg konkret als Schutzraum für die verbotsbedrohte Kameradschaft Märkisch-Oder-Barnim. Die sich selbst als Eliteformation verstehende Partei Der III. Weg wirkt durch Demonstrationen und Agitprop nicht nur nach außen, sondern – wohl wichtiger – auch nach innen als Milieuorganisation, um den Zusammenhalt der militanten Rechten zu festigen. Christoph Kopke und Werner Treß untersuchen mit der Deutschen Volksunion (DVU) eine der besonders eigentümlichen und gleichzeitig eine für die Landesgeschichte bedeutendsten rechtsextremen Parteien. Die DVU war eine Phantomorganisation, die vor Ort nur relativ wenige Mitglieder hatte, der es dank eines hohen Wahlkampfetats dennoch gelang, 1999 in den Landtag einzuziehen. Trotz geringer Ausstrahlung und eher niedriger Qualität ihrer Parlamentsarbeit erwies sich die Brandenburger DVU beständiger als vergleichbare Verbände. Nach dem Ausscheiden aus dem Landtag 2009 folgte dennoch ein schneller Niedergang: Austritte, Zerfall der ohnehin schwachen Strukturen und 2012 das endgültige Aus durch die Fusion mit der NPD.  Vorwor t

19


Einem bisher kaum beachteten Aspekt der Vorgeschichte der AfD widmet sich Gideon Botsch in seinem Beitrag, in dem er jene bürgerlich-rechten bis rechtsextremen Klein- und Kleinstparteien analysiert, die in Brandenburg schon vor der Gründung des AfD-Landesverbandes 2013 in Erscheinung traten. Gruppierungen wie der Bund freier Bürger, 50Plus, Die Freiheit oder die Partei Rechtsstaatlicher Offensive einte eine populistische Rhetorik, ein bürgerliches Auftreten sowie eine autoritäre und oft rassistische Programmatik, begleitet von Parolen wie »Mut zur Wahrheit«. Was damals noch allenfalls kommunalpolitisch als Erfolgsrezept taugte, wurde später von der AfD in größeres politisches Potenzial umgemünzt. Das in der Summe nicht unbedeutende Wähler*innenpotenzial dieser Kleinparteien und teilweise ganz direkt ihr Personal wurden von der AfD angezogen und integriert. Den brandenburgischen Landesverband der AfD stellen Alexander Lorenz-Milord und Christoph Kopke in ihrem Beitrag vor. Binnen weniger Jahre steigerte sich die AfD auf über 23 Prozent Stimmanteil bei den Landtagswahlen 2019. Gleichzeitig zu seinen Erfolgen radikalisierte sich der Landesverband Schritt um Schritt und mit zunehmender Intensität; ein Prozess, der um 2017 seinen vorläufigen Abschluss fand. Lorenz-Milord und Kopke zeigen auf: Die AfD ist zum Gravitationsfeld des Rechtsextremismus im Bundesland geworden. Die AfD setzt in Brandenburg indes nicht nur auf parlamentarische Präsenz, sondern sie sieht sich an der Seite oppositioneller »Bürgerbewegungen«. Michael Minkenberg und Teresa Sündermann untersuchen in ihrem Beitrag die Demonstrationskampagne der Initiative Zukunft Heimat zwischen 2017 und 2020 in Cottbus und arbeiten heraus, wie die rassistische Vereinigung große Demonstrationen organisieren konnte und zielgerichtet zu einer Vorfeldorganisation der AfD entwickelt wurde. Im westlichen Europa, so Minkenberg und Sündermann, sei das Ineinandergreifen von rechten Parteien und Bewegungen selten erfolgreich, während es im Osten Europas eine durch den postsozialistischen Transformationsprozess bedingte »Flüssigkeit« der politischen Verhältnisse gebe. Die Kooperation der AfD mit rassistischen Bewegungsorganisationen in Brandenburg könnte, so Minkenberg und Sündermann, ein eigentlich osteuropäisches Muster spiegeln.

20

Gideon Botsch, Christoph Schulze


DA N KS AG U N G

Unser Dank gilt zuerst den Autorinnen und Autoren der Beiträge dieses Bandes. Trotz des erschwerten Zugangs zu Archiven und Materialien und eines durcheinandergewirbelten Alltags unter den Bedingungen der Covid19-Pandemie konnten wir diesen Band zusammenstellen – ohne die Einsatzbereitschaft, die Geduld und Kreativität der Beteiligten wäre dies nicht möglich gewesen. Wir danken auch dem Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum, dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv und dem Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft, durch die wir wichtiges Quellenmaterial erschließen konnten. Wir danken unseren studentischen Mitarbeiter*innen für ihr Engagement sowie Andrea Enkel und Felicia Bayer für Unterstützung im Rahmen studienbegleitender Praktika, Tilo Giesbers für seine wertvollen Vorrecherchen, der Bibliothekarin der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle, Heike Hilbert, für ihre Literaturaufbereitung sowie Juliane Deppe für ihre Arbeit als Lektorin. Die Herausgeber im Januar 2021

Danksagung

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ASTR I D LO R ENZ U N D H EN D R I K TR ÄG ER

RECHTE PARTEIEN IM »ROTEN« BRANDENBURG ORGANISATION, WAHLERGEBNISSE UND GESELLSCHAFTLICHE VERANKERUNG SEIT 1990

Brandenburg gilt als »rotes« Bundesland. Es ist das einzige ostdeutsche Bundesland, in dem die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) seit 1990 durchgängig den Ministerpräsidenten stellt. Trotz der starken Prägung der brandenburgischen Sozialdemokraten durch die Bürgerbewegung der DDR1 wurde die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), die 1989/90 aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) entstanden ist, schon früh als »normaler Wettbewerber« behandelt und wandelte sich vom Skeptiker zum aktiven Befürworter des Systemwandels auf einem »Brandenburger Weg«2. Nirgendwo sonst in Ostdeutschland wählten die Menschen bis einschließlich 20143 bei jeder Landtagswahl mehrheitlich Mitte-Links-Parteien. Allerdings ist Brandenburg auch das deutsche Bundesland mit dem höchsten Anteil politisch motivierter Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund.4 Außerdem fanden rechte Parteien vor allem seit Ende der 1990er Jahre regelmäßig Wähler.5 So stellte die Deutsche Volksunion (DVU) zehn Jahre lang eine Fraktion im Landtag und war in mehreren Kommunalpar­ lamenten vertreten. Mit der 2013 gegründeten Alternative für Deutschland (AfD) existiert mittlerweile eine neue Partei, die mit ihrer rechtspopulistischen, nicht rein weltanschaulichen Programmatik im Gegensatz zu der DVU, der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und anderen Parteien weit über das rechte Wählerspektrum hinaus mobilisiert. Bei der Landtagswahl 2019 setzte fast jeder vierte Wähler sein Kreuz bei der Partei, die in Brandenburg damals von dem rechtsextremen gebürtigen Münchner Andreas Kalbitz6 geführt wurde. Vor diesem Hintergrund untersucht der vorliegende Beitrag für alle Parteien rechts der CDU in Brandenburg, wie stark organisiert, gesellschaftlich verankert und erfolgreich diese bei Wahlen waren beziehungsweise sind. Wir berücksichtigen insgesamt 23 Organisationen7 für den Zeitraum seit 1990. Zunächst skizzieren wir mit Blick auf den Forschungsstand zu politischen Parteien, ihrer Funktion als »Scharnier« zwischen Bürgern und den Institutionen staatlicher Willensbildung (Linkage-Funktion) sowie System Rechte Par teien im »roten« Brandenburg

23


wechseln die besonderen Rahmenbedingungen für Parteien und Wahlen in Brandenburg (Abschnitt 2). Anschließend befassen wir uns speziell mit dem rechten Parteienspektrum, wobei wir auf die Mitgliederbestände (Abschnitt 3), die Wahlergebnisse (Abschnitt 4), das Wahlverhalten (Abschnitt 5) und die regionale Verteilung (Abschnitt 6) eingehen. Dabei zeigt sich unter anderem, dass es bedeutende regionale Differenzen gibt und die AfD in verschiedener Hinsicht von den bisherigen Entwicklungen im rechten Spektrum abweicht. Abschließend ziehen wir ein Resümee und geben Hinweise auf weiteren Forschungsbedarf (Abschnitt 7).

BAU E N AU F S A N D: PA R T E I E N O H N E U N T E R BAU, U N G E B U N D E N E WÄ H L E R U N D E I N U N D E F I N I E R T E R »R EC H T E R R A N D«

In Brandenburg ist die Scharnierfunktion der Parteien zwischen den Bürgern und den Institutionen staatlicher Willensbildung – die US-ameri­ kanische Politikwissenschaftlerin Kay Lawson hat in diesem Kontext den Linkage-Ansatz geprägt 8 – institutionell garantiert.9 So existieren einerseits umfangreiche Rechte, die nicht an ein Parlamentsmandat gebunden sind; andererseits werden die Grenzen der politischen Betätigung von Parteien gezogen: Die brandenburgische Verfassung gewährleistet in Artikel 20 Absatz 1 auf dem Gebiet des Landes allen Menschen »das Recht, Parteien […] zu gründen und ihnen beizutreten«. In Absatz 3 ist normiert, dass Parteien »in ihrer inneren Ordnung demokratischen Grundsätzen entsprechen« müssen. Außerdem wird ihnen ausdrücklich »[d]ie Freiheit ihrer Mitwirkung an der politischen Willensbildung […] gewährleistet« (Artikel 20 Absatz 3 Satz 2 VerfBB). Darüber hinaus hat der Verfassungsgeber festgelegt, dass »[e]ine Entlassung oder Disziplinierung wegen einer Betätigung in […] Parteien […] unzulässig« (Artikel 21 Absatz 2 Satz 2 VerfBB) ist, und damit deutlich über das Grundgesetz und andere Landesverfassungen hinausgehende Rechte verankert. Ähnlich wie das Grundgesetz sieht Artikel 20 Absatz 2 der brandenburgischen Verfassung aber vor, dass »Vereinigungen, die nach ihrem Zweck oder ihrer Tätigkeit gegen die Verfassung, die Strafgesetze oder die Völkerverständigung verstoßen, […] aufgrund eines Gesetzes Beschränkungen unterworfen oder verboten werden.« Was ihre tatsächliche Verankerung in der Gesellschaft angeht, bauen die Parteien in Brandenburg hingegen auf sprichwörtlich »märkischem Sand«.10 24

Astrid Lorenz, Hendrik Träger


Die Forschung deutet darauf hin, dass Parteien dort gut eine Linkage-Funktion zwischen Bürgerschaft und Staat erfüllen, wo die Menschen die liberale Demokratie unterstützen, politischen Institutionen und einander vertrauen, wo sie generell gesellschaftlich aktiv sind und es etablierte, sozial weitergetragene Praktiken des Engagements gibt, wo kurze Wege und eine gute Infrastruktur regelmäßige Treffen und Kommunikation ermöglichen, wo es einen höheren Bevölkerungsanteil an Akademikern und Beamten gibt (die oft besonders aktiv sind), wo Parteien über ein Mindestmaß an aktivierbaren Mitgliedern und einen guten Organisationsgrad verfügen und wo sie dazu in der Lage sind, ihre programmatischen Versprechen in Policy-Output umzusetzen (denn dies sichert Akzeptanz).11 Bei all diesen Dingen klemmt es in Brandenburg wie in weiten Teilen des postsozialistischen Raums: Ehemalige Angehörige der mittleren Funktionsebene im umfangreichen Staatssektor – in westlichen Demokratien sozialstrukturell prädestiniert für politisches Engagement – verließen nach der Friedlichen Revolution 1989 und dem Wegfall des allgegenwärtigen Organisationsdrucks die ehemaligen Blockparteien und fanden selten eine neue politische Heimat. Dafür waren vielfältige Gründe maßgeblich. Für die unmittelbare Umbruchzeit sind unter anderem die Mühen des beruflichen Neuanfangs, Lust an der politischen Bindungsfreiheit, grundsätzliche Enttäuschung über die Politik, eine nachhaltige Erschütterung von Grundannahmen zu nennen. Nach dem Fußfassen im neuen System fehlten oft Menschen im eigenen Umfeld, die Interessierte zu einer Parteiveranstaltung hätten mitnehmen können, eine Kultur der politischen Selbstorganisation. Dadurch mussten die Parteien, die sich eigentlich von unten nach oben aufbauen sollten, auf einen Seismografen für gesellschaftliche Stimmungen und Alltagssorgen – vor allem im mittleren und jüngeren Alterssegment – verzichten und konnten ihre Beweggründe für politische Entscheidungen nur begrenzt gegenüber potenziell wichtigen Multiplikatoren begründen. Doch auch stabile abweichende Einstellungen gegenüber der Politik sind als Gründe zu nennen. Beispielsweise zeigen die Daten des 2018 veröffentlichten »Brandenburg-Monitors«,12 dass es im bundesweiten Vergleich bis heute eine geringere Zustimmung zur tatsächlichen Funktionsweise der Demokratie, wenig Vertrauen in Parteien und Politiker, wenig soziales Vertrauen (gerade auf dem Land) sowie eine hohe Zustimmung zu gemeinschaftsorientierten Demokratievorstellungen und autoritären Werten gibt. Ein aktivistisches, auf individuelle Selbstentfaltung setzendes Menschenbild, wie es etwa Bündnis 90/Die Grünen (Grüne) und Die Freie Demokratische  Rechte Par teien im »roten« Brandenburg

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Partei (FDP) vermitteln, ist in der Bevölkerung nur schwach verbreitet. Viele dieser Merkmale bestehen bereits seit längerer Zeit. Auch die Siedlungsstruktur ist eine strukturelle Herausforderung für Parteien: In Brandenburg, das nach Mecklenburg-Vorpommern mit Abstand zu den anderen Bundesländern die zweitniedrigste Bevölkerungsdichte aufweist, sind viele Ortschaften auf einer großen Fläche verteilt und nur bei langer Anfahrt zu erreichen; erschwerend kommt die nicht überall ausgebaute Verkehrs- und Digital-Infrastruktur hinzu. 39 Prozent der brandenburgischen Gemeindeverbände zählen dem Thünen-Index zufolge zu den drei Kategorien mit der größten Ländlichkeit, während 30 Prozent urban geprägt sind.13 Das in Parteien üblicherweise besonders aktive Milieu der Akademiker und Beamten ist lokal auf die wenigen größeren Städte – vor allem auf die Landeshauptstadt Potsdam – konzentriert. Die im Land erbrachten Steuereinnahmen reichen unter den gegebenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nach wie vor nicht aus, um die anspruchsvollen Wählerwünsche zu erfüllen. Stabilisierend für die Wahrnehmung der Linkage-Funktion wirken unter diesen Bedingungen vor allem die erwähnten institutionellen Garantien des Parteienhandelns und die Einbindung in die föderalen Organisationsstrukturen der Parteien. Diese kann eine höhere mediale Sichtbarkeit von Politikern in bundesweiten Medien gewährleisten, als es der politischen Relevanz des jeweiligen Landesverbandes entspricht.14 Darüber hinaus erlaubt die Teilhabe am Bund-Länder-Finanzausgleich einen besseren Politik-Output, als es aus eigener Kraft möglich wäre. Genau diese stabilisierenden Faktoren sind jedoch ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite sorgen sie dafür, dass der Landtag auch bei einer geringen Wahlbeteiligung und Repräsentationsdefiziten arbeitsfähig bleibt; und auf der anderen Seite sind die Bundesparteien trotz der Linkage-Defizite vor Ort stabil und medial präsent. Aufgrund dessen ist der Druck, die ganze Kraft auf die Verbesserung der Verbindung zu den Menschen zu legen, geringer als demokratietheo­ retisch gedacht. Angesichts der widrigen Rahmenbedingungen verwundert es nicht, dass die brandenburgischen Wähler unstet ihre Stimmen an Parteien vergeben und die Sozialstruktur wie in allen postsozialistischen Regionen15 lediglich eine schwache Determinante des Wahlverhaltens ist. Die starke Volatilität führt letztlich auch dazu, dass dem Landtag bisher insgesamt acht verschiedene Parteien beziehungsweise Wählergruppierungen16 angehörten. Aus dem anfänglichen Fünf-Fraktionen-Parlament, in dem – ähnlich wie in Sach26

Astrid Lorenz, Hendrik Träger


sen, Sachsen-Anhalt und Thüringen – neben SPD, Christlich Demokratischer Union Deutschlands (CDU) und PDS auch die FDP und das aus der DDR-Bürgerbewegung stammende Bündnis 90 vertreten waren,17 entstand 1994 durch das Ausscheiden der beiden kleinen Parteien und den elektoralen Erfolg der SPD unter dem populären Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (zumindest kurzzeitig) »ein Dreiparteiensystem mit einer dominanten Partei«.18 Fünf Jahre später zog auch die DVU, die mit 5,3 Prozent knapp die Sperrklausel erfüllt hatte, in den Landtag ein, sodass dieser aus vier Fraktionen bestand.19 Die rechtsextreme Partei schied erst 2009 wieder aus. Zu diesem Zeitpunkt verhalfen die Wähler der FDP und den Grünen erstmals seit eineinhalb Jahrzehnten wieder zu Mandaten im Parlament.20 Nach einer Legislaturperiode rutschte die FTP abermals unter die Fünf-ProzentMarke. Gleichzeitig zogen mit der AfD und der Wählervereinigung Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen/Freie Wähler (BVB/FW) zwei neue Akteure in den Landtag ein, sodass dieser erstmals aus fünf Fraktionen und einer dreiköpfigen Parlamentariergruppe bestand.21 Bei der Wahl 2019 legten neben der AfD und den Grünen auch die BVB/FW deutlich an Wählerstimmen zu, sodass die BVB/FW nun als sechste Fraktion in den Landtag einzog (Tabbelle 1). Mit drei bis sechs Parteien war der brandenburgische Landtag im Laufe der Zeit ganz unterschiedlich strukturiert. Die effektive Anzahl der Parteien im Parlament22 nahm mit der Landtagswahl 1994 kurzzeitig ab und stieg danach kontinuierlich, um 2019 mit einem Wert von 4,8 den bisherigen Höhepunkt zu erreichen. In die umgekehrte Richtung entwickelte sich der Faktor »Konzentration«: Der addierte Zweitstimmenanteil von SPD und CDU als den klassischen Volksparteien sank zwischen 1994 und 2019 – dem generellen Trend sowohl in den anderen Bundesländern23 als auch auf Bundesebene folgend – von 72,8 auf 41,8 Prozent (Tabbaelle 1). Entsprechend einer Typologie von Oskar Niedermayer existierte in Brandenburg zunächst (1990–1994) ein Zweiparteiensystem, bei dem mindestens zwei Drittel der Parlamentsmandate auf die beiden größten Parteien (SPD, CDU) entfielen, und danach fünf Jahre lang ein Parteiensystem mit einer prädominanten Partei (SPD). Seit 1999 gehört das Land zum pluralistischen Typ und befindet sich aufgrund einer effektiven Parteienanzahl von knapp unter 5,0 auf dem Weg zu einem hoch fragmentierten Parteiensystem. Zudem änderte sich durch das Hinzutreten und Erstarken der AfD das Verhältnis zwischen den anderen Parteien. Bei der Landtagswahl 2019 erreichten SPD und AfD zusammen 55 Prozent der Mandate; eine entspre Rechte Par teien im »roten« Brandenburg

27


Tabelle 1: Zusammensetzung des brandenburgischen Landtages seit 1990 Struktureigenschaften des Parteiensystems auf parlamentarischer Ebene

Grüne2

FDP

DVU

AfD

BVB3

Asymmetrie (in Prozentpunkten)

Linke1

Konzentration (in Prozent)

CDU

effektive Anzahl der Parteien

SPD

Mandatsverteilung

1990

36

27

13

6

6

-

-

-

3,4

71,6

+10,2

1994

52

18

18

-

-

-

-

-

2,3

79,5

+38,6

1999

37

25

22

-

-

5

-

-

3,2

69,7

+13,5

2004

33

20

29

-

-

6

-

-

3,3

60,2

+14,8

2009

31

19

26

5

7

-

-

-

3,7

56,8

+13,6

2014

30

21

17

6

-

-

11

3

4,3

58,0

+10,2

2019

25

15

10

10

-

-

23

5

4,8

45,5

+11,4

Anmerkungen: 1: 1990: PDS-LL; 1994-2004: PDS; seit 2009: Die Linke; 2: 1990: Bündnis 90/Die Grünen: 2,8%; seit 1994: Bündnis 90/Die Grünen; 3: Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen/Freie Wähler - effektive Anzahl der Parteien: berechnet nach Formel von Laakso und Taagepera - Konzentration: addierte Mandatsanteile von SPD und CDU als klassischen Volksparteien - Asymmetrie: Differenz zwischen Mandatsanteilen von SPD und CDU Quelle: Eigene Darstellung und Berechnungen nach Informationen des Landeswahlleiters.

28

Astrid Lorenz, Hendrik Träger


chende Koalition – als das einzige rechnerisch mögliche Bündnis von zwei Parteien in Brandenburg – war jedoch völlig ausgeschlossen. Weil mit der AfD keine der anderen Parteien zusammenarbeiten will, musste um 26 Prozent der Mandate »herumregiert« werden. Dies gelang (wie in anderen Bundesländern) nur durch eine Koalition aus mehr als zwei Parteien mit traditionell unterschiedlichen Programmatiken. In Brandenburg verständigten sich SPD, CDU und Grüne auf eine »Kenia-Koalition«. Durch diese Konstellation steigt das Risiko, dass die Profile der regierenden Parteien für die Bevölkerung nicht mehr erkennbar sind und Wahlverlierer überproportional politischen Einfluss gewinnen.24 Die für den ganzen postsozialistischen Raum geltende Diskrepanz zwischen politischer Ermächtigung durch die Wähler und schwacher gesellschaftlicher Verankerung25 ist besonders stark bei der brandenburgischen SPD zu beobachten. Obwohl das Land als »Hochburg der Sozialdemokratie in Ostdeutschland«26 gilt, hat die Partei seit jeher nur sehr wenige Mitglieder .27 Erst 2017 löste sie Die Linke (Linke) als den größten Landesverband ab; aber weiterhin gehören ihr lediglich zwischen 6.000 und 6.500 Personen an. Überdies ist sie anfällig für Mitgliedschaftskonjunkturen, wie die deutlichen Schwankungen zwischen 5.721 (1990) und 7.575 Mitgliedern (1998) belegen. Wird die Mitgliederentwicklung der Parteien auf Landes- und Bundesebene miteinander verglichen (Abb. 1), so geht Brandenburg dem generellen »Trend des Abschmelzens der Parteimitgliedschaften«28 voran. Deutschlandweit halbierten sich die Mitgliederzahlen seit der Wiedervereinigung. Hatten 1990 noch 3,0 Prozent der Bevölkerung CDU, CSU, SPD, FDP, PDS oder den Grünen angehört, so waren es 29 Jahre später lediglich 1,4 Prozent. In Brandenburg sank der Wert im gleichen Zeitraum sogar von 3,2 auf 0,8 Prozent. Statistisch betrachtet, gehörten im Jahr 2019 von 10.000 Einwohnern nur noch 83 einer der genannten Parteien an. Das entspricht einem Rückgang um fast drei Viertel, wobei die Bereinigung der Altbestände bei den Nachfolgern der ehemaligen Blockparteien (PDS, CDU, FDP) in den ersten Jahren nach der Friedlichen Revolution von 1989 besonders zu Buche schlug. Bis 2019 waren PDS beziehungsweise Die Linke, CDU und FDP in den meisten Jahren mit mehr Abgängen (Austritte und Todesfälle) als Eintritten konfrontiert, sodass ihre Mitgliederbestände fast kontinuierlich sanken. Schon 2008 bezeichnete der deutsche Politikwissenschaftler Stephan Dreischer die Situation der brandenburgischen CDU als »zunehmend […] problematisch«;29 Ähnliches gilt auch für die anderen Parteien. Angesichts der  Rechte Par teien im »roten« Brandenburg

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Abbildung 1: Parteimitglieder von SPD, CDU, PDS/Linke, Grüne und FDP (1990–2019)

Anmerkung: Es sind nicht die Rekrutierungsquoten der Parteien, sondern die Anteile der Parteimitglieder an der Gesamtbevölkerung angegeben. Quelle: Eigene Berechnungen und Darstellung nach Informationen der Landesgeschäftsstellen und von Oskar Niedermayer.

geringen Mitgliederzahlen ist zu erwarten, dass vergleichsweise viele Mit­ glieder ein innerparteiliches Amt oder ein öffentliches Mandat – nicht selten in Personalunion – innehaben und/oder für Abgeordnete, die Landtagsfraktion oder die Partei arbeiten, weshalb die Entfremdung von weiten Teilen der Gesellschaft noch zunimmt. Nur vereinzelt – bei der Linken sogar lediglich einmal (2009) – verzeichneten die drei genannten Parteien infolge von Mobilisierungseffekten durch Wahlen einen leichten Zuwachs. Im Gegensatz zu den bisher betrachteten Parteien wuchsen die Grünen relativ beständig auf 1.975 Mitglieder im Jahr 2019. Das sind erstmals deutlich mehr als bei der FDP (1.333), die als Nachfolgerin der DDR-Blockparteien LDPD und NDPD 1990 noch 15.853 Mitglieder hatte.

WÄ H L E R- S TAT T M I TG L I E D E R PA R T E I E N: M I TG L I E D E R B E S TÄ N D E U N D O R G A N IS AT I O NS S T RU K T U R E N R EC H T E R PA R T E I E N

Hinsichtlich der schwachen organisatorischen Verankerung in der Gesellschaft gleichen die rechten Organisationen in Brandenburg den anderen Parteien. Die Mitgliederzahlen von DVU, NPD, Die Republikaner (REP), der 30

Astrid Lorenz, Hendrik Träger


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