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die ›Palme‹ genannt wird – die ›Friedenspalme‹, grausame Ironie – besucht, und ich muß sagen, es ist der furchtbarste menschliche Aufenthalt, den ich je gesehen habe. Es sind da einige Baracken, die wohl früher zu Lazarettzwecken gedient haben (…). Dieses hölzerne Lager ist das einzige, was die Stadt ihnen giebt; kein Kissen, keine Decke, nicht einmal das bißchen Spreu, das dem elenden Vieh gestreut wird, ist da.«18

Demzufolge fand der künftig im Volksmund für das städtische Obdach geläufige Name »Palme« bereits für die provisorischen Baracken des ersten kommunalen Asyls für Obdachlose Verwendung. Aufgrund der historischen Fotografie einer großen Topfpalme im Aufnahmeraum des Neubaus an der Prenzlauer Allee liegt zwar die Vermutung nahe, dass die kuriose Namensgebung auf dieses Motiv zurückzuführen sein könnte.19 Allerdings erscheint die Präsenz einer solchen Pflanze in den baufälligen hölzernen Baracken in der Friedenstraße wenig plausibel. Vielmehr mutet die spätere Aufstellung einer Topfpalme im städtischen Obdach wie ein zynisches Zitat auf die frühere Namensgebung an, deren Ursprung wahrscheinlich eher in der originalen Bezeichnung als »Friedenspalme« zu suchen ist und in direktem Zusammenhang mit dem Straßennamen am ehemaligen Standort entstanden zu sein scheint.

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Der Überlieferung nach gilt die Palme besonders in der christlichen Ikonographie seit jeher als Symbol des Friedens aber auch des Sieges.20 Palmenzweige wurden demnach bereits in der Antike als Schmuck von Grabstätten verwendet, um im christlichen Sinne symbolisch auf die Überwindung des Todes und das ewige Leben zu verweisen.21 Folglich läge die »grausame Ironie«, auf die der Schriftsteller und Journalist Paul Lindau (1839–1919) in seinem Bericht verwiesen hat, darin, dass das frühere städtische Obdach in der Friedenstraße im übertragenen Sinne als Grabstätte bzw. die Holzbaracken gar als riesige Särge charakterisiert wurden. Somit wäre die kuriose Namensgebung ursprünglich auf die äußerst schwierigen Lebensumstände der Menschen sowie die unwürdigen Bedingungen der Unterbringung vor

18 Paul Lindau, Im Fluge. Gelegentliche Aufzeichnungen: Berliner Stadtreisen. Aus der Berliner

Verbrecherwelt, Leipzig 1886, S. 31. 19 Das Bild des Aufnahmeraums mit einer großen Topfpalme findet sich in einem historischen

Fotoalbum aus dem städtischen Obdach. Dieses Album wird als Dauerleihgabe im Museum

Europäischer Kulturen, Berlin aufbewahrt. 20 Zur Symbolik der Palme in der christlichen Ikonographie vgl.: Lucia Impelluso, Die Natur und ihre Symbole. Pflanzen, Tiere und Fabelwesen (= Bildlexikon der Kunst, Bd. 7), Berlin 2005,

S. 25-31; Hildegard Kretschmer, Lexikon der Symbole und Attribute in der Kunst, Stuttgart 2008, S. 311f. 21 Ebd.

30 |DIE ERSTEN ASYLE FÜR OBDACHLOSE IN BERLIN

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