Potsdamer Beiträge zur Antisemitismus- und Rechtsextremismusforschung Herausgegeben von Gideon Botsch, Christoph Kopke, Christoph Schulze und Werner TreĂ&#x; BAND 1
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GI D EO N B OTSCH JAN R A AB E CH R ISTO PH SCH U L ZE (H RS G.)
RECHTSROCK AUFSTIEG UND WANDEL NEONAZISTISCHER JUGENDKULTUR AM BEISPIEL BRANDENBURGS
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen. © be.bra wissenschaft verlag GmbH Berlin-Brandenburg, 2019 KulturBrauerei Haus 2 Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin post@bebraverlag.de Lektorat: Ingrid Kirschey-Feix, Berlin Umschlag: hawemannundmosch, Berlin (Foto: Shutterstock 48789196) Satz: typegerecht, Berlin Schrift: Dante 10/13 pt Druck und Bindung: Multiprint, Kostinbrod ISSN 2628-4081 ISBN 978-3-95410-229-7 (Buch) ISBN 978-3-947686-21-6 (E-Book) www.bebra-wissenschaft.de
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INHALT
Einleitung
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JAN R A AB E
Rechtsrock in Deutschland Funktionen, Entwicklung, zentrale Akteure – Umrisse eines wachsenden Problems
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C H R I STO P H S C H U L ZE
Rechtsrock in Brandenburg Bands – Konzerte – Netzwerke – Ereignisse
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M I C HAEL W EI S S
Subkultur, Kommerz und Terrorismus Die Netzwerke von Blood & Honour und Hammerskins in Brandenburg
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G I D EO N B OT S C H
»Es sind Feinde unter uns« Zur V-Mann-Problematik im brandenburgischen Rechtsrock
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TH O R STE N H I N D R I C H S
Mit Musik die Herzen der Jugend öffnen? Eine musikwissenschaftliche Zurückweisung der fortgesetzten Rede von der »Einstiegsdroge Musik«
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AN N E T T G R ÄFE- G EU S C H U N D CYN T H IA M I LLER- I D R I S S
»Der Ruf bleibt ja« Thor Steinar – historische Entwicklung und Bedeutung der Marke für Jugendliche heute
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N I KO L AI O KU N E W
Ins Sonnenlicht gezerrt Internationalität in der Grauzone? Das »Under-The-Black-Sun«-Festival
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K AR I N STOVER O C K
Nationalsozialistische Kontinuitäten im brandenburgischen Rechtsrock Aneignungsprozesse zwischen Neuinterpretation und Neuvertonung
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L AU R A S C H E N D ER LEI N
Feindbild Jude Antisemitismus im Rechtsrock
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MAI C A VI ER K AN T
Zwischen Kitsch und Propaganda Einblicke in die Bilderwelten des Rechtsrocks in Brandenburg
271
S O NJA B R AS C H , FR AU KE B Ü T T N ER , JANA R EI C H U N D J O HAN NA S I G L
Frauenbilder – Männerbilder Gender im Rechtsrock am Beispiel Brandenburgs
301
G ES A KÖ B B ER LI N G
Rechtsrock und Gewalt Zum Zusammenhang zwischen Musik, Text und gewalttätigem Handeln
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C H R I STI N JÄN I C KE
Aktiv gegen Rechtsrock in Brandenburg Erfolgsbedingungen und Grenzen zivilgesellschaftlicher Interventionen am Beispiel Finowfurt
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Anhang Diskographie Anmerkungen Abbildungen Die Autorinnen und Autoren
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Inhalt
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EINLEITUNG
Das Wetter ist gut und die Stimmung ist es auch: Mindestens 6.000 Neonazis aus ganz Deutschland und dem Ausland reisen am 16. Juli 2017 in den kleinen südthüringischen Ort Themar zum Festival »Rock gegen Überfremdung«. Wie eine rechtsextreme Modenschau wirkt der Anmarsch zum Festplatz. Neben Produkten der Marke Thor Steinar aus Mittenwalde sieht man sehr viele Kleidungsstücke mit offenem Bezug auf den historischen Nationalsozialismus – popkulturell aufbereitet und mitunter spielerisch gewendet. Zahlreiche Neonazis stellen ihre regionale Herkunft heraus; auch »Division Brandenburg« ist zu lesen. Eine kleinere Gruppe bekennt sich zu ihrem Heimatort Finsterwalde – der Schriftzug in Weiß auf schwarzem Shirt, aber die beiden Buchstaben »N« und »S« sind in Rot gehalten. Viele T-Shirts mit Bandnamen sind zu sehen, darunter wiederholt Frontalkraft aus Cottbus: »Schwarz ist die Nacht in der wir euch kriegen, weiß sind die Männer, die für Deutschland siegen, rot ist das Blut auf dem Asphalt« steht als Rückenaufdruck auf manchen Hemden – es sind Zeilen aus einem Kultsong der dienstältesten brandenburgischen Rechtsrock-Formation. Schon vor Beginn der Veranstaltung werden Tattoos mit verbotenen Kennzeichen überklebt, Journalistinnen und Journalisten sowie Gegendemonstrierende beschimpft. Später am Abend kommt es zu den erwarteten Hitlergrüßen und »Heil«-Rufen, während die RechtsrockBands spielen. Einer der Haupt-Acts ist an diesem Tag Uwocaust, der Neonazi und Rockmusiker Uwe Menzel aus Potsdam. Von den insgesamt fünf Interpreten kommen noch zwei weitere – Tätervolk und Frontfeuer – aus Brandenburg, und auch Die Lunikoff Verschwörung spielt, die Formation um den Sänger der verbotenen Band Landser, die ihren ersten Auftritt einst in diesem Bundesland hatte. Seit mehreren Jahren boomt der deutsche Rechtsextremismus. Eine Partei feiert bemerkenswerte Wahlerfolge, die mindestens stark beeinflusst ist von rechtsextremen Positionen und in der zahlreiche Parteigliederungen rechtsextrem dominiert sind. Die Zahlen rassistischer Straßenproteste sind Einleitung 7
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innerhalb weniger Jahre rasant gestiegen. Neonazistische Organisationen verweisen stolz auf den Zulauf, den sie zu verzeichnen haben. Die entsprechenden Gewalttaten sind erkennbar angewachsen, Brandanschläge und sogar Sprengstoffdelikte inklusive. Rechtsextremismus ist ein politisches Phänomen, das die Gesellschaft spaltet und für viele Menschen eine konkrete Bedrohung darstellt. Er äußert sich durch Gewalt und Protest, bei Wahlen und in Organisationen. Darüber hinaus äußert er sich kulturell – beispielsweise in völkischen Jugendbünden, Traditionspflege und in der Weltkriegsnostalgie. Eine der wichtigsten kulturellen Ausdrucksformen des Rechtsextremismus der vergangenen Jahrzehnte ist in der Sphäre der Rock- und Popmusik zu finden. 1977 gründete sich im Umfeld der NPD in Baden-Württemberg mit Ragnaröck das erste Mal in Deutschland eine Rockband, die rechtsextreme Ideologie und moderne Rockmusik zusammenbrachte. Mit dem Aufkommen der Skinheads und der anschließenden Politisierung nach rechts von großen Teilen dieser Jugendkultur während der 1980er Jahre wurde die rechte Musik zu einem bemerkenswert erfolgreichen Phänomen in Westdeutschland, mit leichter Verzögerung auch in der DDR. Nach 1990 explodierte die Zahl von Bands, Konzerten und Tonträgern regelrecht. In manchen Landstrichen war die rechte Musik der Dreh- und Angelpunkt, um den sich Jugendcliquen gruppierten und der ihre Alterskohorten entscheidend mitprägte. Die Musik stilisiert und inszeniert die ideologischen Grundpfeiler des Rechtsextremismus in immer neuen Varianten. Die extrem rechte Kombination von Größen- und Verfolgungswahn wird klanglich, textlich und ästhetisch artikuliert – sie drückt aus, was für Neonazis und andere Rechtsextreme »lebensrichtig« ist: die »arteigene« Weise, auf das Leben, die Vergangenheit und die Gegenwart zu schauen. Der Sound mag für viele Ohren primitiv oder einfallslos klingen, die Reime oft holprig und formelhaft. Das trifft jedoch nicht auf alle Sorten dieser Musik zu. Darüber hinaus ist die Attraktivität von Musik nicht unbedingt an musikalischer Meisterschaft zu messen. Das gilt nicht nur für den Rechtsrock: Die Mitglieder von Black Sabbath waren keine herausragenden Musiker, dennoch hat die Band klassische Rockhymnen aufgenommen. Entscheidender als qualitative Urteile zu fällen ist die Feststellung: Die extrem rechts ausgerichtete Musik hat Erfolg, erreicht ein Publikum und erzielt so ihre Wirkung. Rock und Pop, moderne, westlich geprägte Jugendkultur im Dienste einer Ideologie, die dem Gestern verschrieben ist und Glanz und Gloria von einst wieder herstellen will? Dies ist nur scheinbar ein Widerspruch, denn 8
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Einleitung
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die extreme Rechte verstand sich immer darauf, fast alles als Inspiration zu nehmen, womit sie sich einen Werbeerfolg erhoffen konnte. Seit den Anfangstagen von Ragnaröck dürften in der Bundesrepublik hunderttausende Jugendliche und Erwachsene die entsprechende Musik rezipiert haben. Der rechte Politrock hat zahlreiche Menschen in ihrer Meinungsfindung und ihrer Sozialisation beeinflusst und ihnen ein Medium geboten, das ihren politischen Überzeugungen Ausdruck verleiht. Politik und Kultur der extremen Rechten sind untrennbar miteinander verwoben. Christian Dornbusch und Jan Raabe haben das Phänomen der rechten Musik auf einen Begriff gebracht: Rechtsrock. Gemeint ist damit jede Form von popkulturell verorteter Musik, die sich selbst in den Dienst der politischen Bewegung der extremen Rechten stellt oder zumindest erkennbar positiven Bezug darauf nimmt. Ideologisch überwiegen neonazistische Spielarten, sie sind aber nicht die einzigen. Der konkrete musikalische Stil ist für die Einordnung als Rechtsrock nicht ausschlaggebend. Dadurch birgt der 2002, in der Hochphase der Skinhead-Kultur, geprägte Begriff Rechtsrock eine gewisse Unschärfe, denn beispielsweise zählt auch neonazistischer Rap dazu, welcher musikalisch natürlich keine Rockmusik ist. Rechtsrock ist Ausdruck extrem rechter Kultur, er kann Sprachrohr für den politischen Rechtsextremismus sein oder als Werbemittel eingesetzt werden. Rechtsrock schafft auch soziale Räume, bei Konzerten und Festivals findet Vernetzung statt, Szenemitglieder lernen sich kennen. Die Events dienen als temporäre Refugien vor den Zumutungen einer als feindlich wahrgenommenen Umwelt, ein Gefühl von Gemeinschaft wird so erlebbar. In dieser Hinsicht hat er eine ähnliche Funktion wie die SA-Lieder in der »Kampfzeit« der nationalsozialistischen Bewegung oder die Marschmusik und Wehrmachtslieder bei Veranstaltungen der Sozialistischen Reichspartei in den 1950er oder der Deutschen Volksunion in den 1970er und 1980er Jahren. Nicht zuletzt lässt sich Rechtsrock kommerziell ausbeuten und somit zur Quelle des Lebensunterhalts von nicht wenigen Neonazis sowie zur Finanzierungsoption für politische Aktivitäten machen. Zum Rechtsrock gehört nicht nur regelmäßig eine krasse, skrupellose und für gewöhnlich ungebrochene Bejahung und Verherrlichung von Gewalt. Das einschlägige Milieu ist darüber hinaus seit den 1990er Jahren eng mit dem Rechtsterrorismus verbunden. Nicht zufällig ist es mit Blood & Honour ein Rechtsrock-Netzwerk gewesen, das wesentliche Unterstützungsleistungen für die rechtsterroristische Organisation Nationalsozialistischer Untergrund organisierte. Einleitung 9
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Rechtsrock ist kein Phänomen, dessen Höhepunkt längst vergangen ist und das nur noch ein Randdasein führt. »Rock gegen Überfremdung« in Themar und andere Musikfestivals der vergangenen Jahre zogen tausende Neonazis an. Von der Professionalität der Organisierung und auch von ihrer Größe her können diese Veranstaltungen durchaus mit mittelgroßen nichtrechten, »normalen« Popveranstaltungen konkurrieren. Im Windschatten der Großevents finden zuhauf kleinere Veranstaltungen statt. Eine Vielzahl von Bands, alte und neue, sowie eine große Menge von Plattenfirmen gehören zum Netzwerk. Ab und an weicht die Szene für Veranstaltungen ins Ausland aus, um öffentliche Aufmerksamkeit, zivilgesellschaftliche Gegenproteste oder Ärger mit Behörden zu vermeiden. Gerade in jüngster Zeit finden Konzerte aber wieder verstärkt ganz offen mitten in Deutschland statt – mitsamt Werbeanzeigen auf Facebook und Kartenvorverkauf. Die Autorinnen und Autoren dieses Buchs beschäftigen sich in ihren Beiträgen mit Geschichte und Gegenwart des Rechtsrocks. Mit unterschiedlichen wissenschaftlichen und journalistischen Hintergründen wird das Phänomen aus diversen Perspektiven einer Revision unterzogen. Diese ist dringend nötig: Die Literatur zum Thema ist größtenteils zu alt, um aktuelle Entwicklungen berücksichtigen zu können. Mit analytischem Blick, fern von Sensationslust und auf solider Quellengrundlage haben die Autorinnen und Autoren ihre Analysen erarbeitet. Dieses Buch hält Material für die Praxis bereit, es versammelt Informationen, die in der Zivilgesellschaft, in der pädagogischen und sozialarbeiterischen Praxis, in Verwaltungen und Behörden genutzt werden können. Für die akademische Debatte will das Buch zum weiteren Verständnis des Themenfeldes beitragen – etwa in politikwissenschaftlicher, soziologischer, historischer, musikwissenschaftlicher oder psychologischer Hinsicht, innerhalb der Studienfelder zum Rechtsextremismus, zum Antisemitismus, zu sozialen Bewegungen und zur Protestforschung. Unsere Analysen fokussieren den Rechtsrock, indem wir uns auf seine Erscheinung in einer ausgewählten Region konzentrieren. Das Land Brandenburg, so werden wir darlegen, verfügt über eine vitale Rechtsrock-Szene, deren Akteure auf vielfältige Weise in den Rechtsextremismus der Region eingebunden sind und bundesweiten Einfluss nehmen. Der Rechtsrock in Brandenburg hat eine Geschichte, die es rechtfertigt, ihn als zeitgeschichtliches Phänomen, als Teil einer Zeitgeschichte der extremen Rechten zu betrachten. Er hat eine Größe und Bedeutung erlangt, die eine Beschäftigung mit ihm erfordern – wegen seiner jahrzehntelangen Präsenz, wegen 10
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seiner aktuellen Wirkung und der zukünftigen Gefahren, die sich daraus für eine demokratische Gesellschaft ergeben. Trotz Brandenburger Spezifika taugt der Rechtsrock in Brandenburg auch als Exempel, aus dem sich Erkenntnisse über den Rechtsrock in anderen Bundesländern und international ableiten lassen.
ZUR QUELLENBASIS Das vorliegende Buch bringt Beiträge mit unterschiedlichen disziplinären, theoretischen und methodologischen Zugängen zusammen. Gemeinsam ist ihnen eine empirische Herangehensweise. Hierfür konnten verschiedene Quellen herangezogen werden. Sämtliche Materialien, ob Selbstdarstellungen aus der Szene oder Berichte über sie, wurden entsprechend methodisch entwickelter Kriterien interpretiert und quellenkritisch betrachtet. Als Sekundärquellen dienen neben der wissenschaftlichen Literatur verschiedene Formen von Berichten unterschiedlicher Provenienz. Ergänzend zur medialen Berichterstattung konnten Materialien zivilgesellschaftlicher Initiativen und Ergebnisse antifaschistischer Recherchen herangezogen und quellenkritisch verwendet werden. Doch auch Berichte und Auskünfte der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern erfordern eine eigene Quellenkritik: Oftmals nennen sie nicht ihre Einordnungskriterien, beispielsweise für die Zählung von Konzert- und Musikveranstaltungen. Zudem bleibt die wissenschaftliche Kontrolle und intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Angaben des Verfassungsschutzes problematisch, da die Behörden mit Rücksicht auf den Schutz ihrer Quellen darüber keine Auskunft geben. Eine andere Herausforderung stellt die Arbeit mit Selbstzeugnissen der Szene dar. Diese Materialien bilden den Schwerpunkt des hier verwendeten Quellenmaterials. Sie sind schwer zu erschließen, zu bewerten und einzuordnen; wenn dies allerdings gelingt, geben sie unerwartete Einblicke in rechtsextreme Lebenswelten. Für den vorliegenden Band konnten wir ein umfassendes Primärmaterial erschließen und aufbereiten, welches wir unseren Autorinnen und Autoren zur Verfügung gestellt haben. Wesentliche Auskunft über das Phänomen Rechtsrock gibt die Musik selbst, wobei wir unter Musik, vereinfacht gesagt, eine Einheit aus Klang ereignis, Text, Kontext und Performanz verstehen. Auf Grundlage der einmaligen Sammlungen des Vereins Argumente & Kultur gegen rechts konnten Einleitung 11
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wir in großem Umfang Tondokumente sichern. Die Liedtexte ließen sich teilweise über Booklets der einschlägigen Tonträger erschließen; in diesem Fall haben wir die Texte möglichst exakt und mit allen Auffälligkeiten und Fehlern übernommen. Für weitere Lieder ließen sich Texte und Varianten im Internet auffinden. Schließlich musste eine größere Anzahl von Texten transkribiert werden – angesichts der zweifelhaften Qualität vieler Tondokumente und den Besonderheiten des Stils vieler Rechtsrock-Interpreten ein schwieriges und fehleranfälliges Verfahren. Über die zu transkribierenden Texte hinaus mussten auch die publizierten Texte mit der gesungenen Version verglichen werden, da manche Botschaften und Subbotschaften nur auf diese Weise erschlossen werden können. Sämtliche Texte wurden in ein Textdokument überführt und den Autorinnen und Autoren dieses Bandes zur Auswertung zur Verfügung gestellt. Cover und Beihefte – die so genannten Booklets –, mit ihrer eigenen Symbol- und Zeichenwelt, unterstützen die Einordnung und Kontextualisierung. Label und Vertriebe lassen mitunter eine Anbindung an bestimmte Unterströmungen und Netzwerke im Milieu erkennen. Eine begrenzte Anzahl von Materialien – zum Beispiel Konzertberichte oder ausschnittweise überlieferte Filmdokumente – ließen darüber hinaus auch Aussagen über performative Aspekte zu. Eine zweite wesentliche Quelle stellen so genannte Fanzines dar. Dabei handelt es sich um Schriften von unterschiedlicher Qualität, Aufmachung und Erscheinungsweise und uneinheitlichem Umfang, die nicht-professionell von Aktivistinnen und Aktivisten der Szene erstellt werden. Die Hochphase einschlägiger gedruckter Fanzines endet im Land Brandenburg Mitte der 2000er mit der allgemeinen Verbreitung des Internets. Für diesen Sammelband ist es uns gelungen, zahlreiche Fanzines aus Brandenburg sowie ergänzend Fanzine-Material mit Bezug zum Bundesland zu dokumentieren. Dabei konnte neben eigenen Exemplaren auf Originale und Kopien in den Sammlungen von Argumente & Kultur gegen rechts, des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums Berlin (Apabiz) und des Archivs der Jugendkulturen Berlin zurückgegriffen werden. Während die Konzertberichte zwar einige atmosphärische Einblicke in die Szene bringen und häufig die einzigen Orte sind, an denen dokumentiert ist, ob ein Konzert überhaupt stattfand, wirken sie doch oft stereotyp. Zwar gilt dies auch für Interviews mit Bands und Interpreten, doch enthalten diese meist auch Angaben zur Gründung, Besetzung und Entwicklung der Bands. Viele Fanzines enthalten einen Besprechungsteil, dem häufig ebenfalls interessante Details entnommen werden können. Die Rahmung der musikbezogenen 12
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Beiträge durch politische Statements zeigt Diskussionen und Tendenzen in der Szene auf. Das Bildmaterial ist häufig nicht originär und in aller Regel von schlechter Qualität. Interessante Informationen zu rechtsextremen Netzwerken finden sich mitunter in Grußlisten, die in Fanzines oder den Booklets der Tonträger abgedruckt werden. Die Analyse und Interpretation der von uns zusammengestellten Materialien durch Forscherinnen und Forscher aus unterschiedlichen Fachrichtungen gehört für uns Herausgeber zu den spannendsten Ergebnissen dieses Sammelbandes. Am konkreten Beispiel stellt sich dar, welche Möglichkeiten sich für die empirische, material- und quellenbasierte akteursbezogene Rechtsextremismusforschung bieten. Der große Aufwand bei der Beschaffung des Materials rechtfertigt sich durch den hohen Ertrag, den dieses Vorgehen erbringt.
DIE BEITRÄGE IM ÜBERBLICK Jan Raabe ordnet in einem Überblicksbeitrag den brandenburgischen Rechtsrock in den gesamten deutschen und internationalen Kontext ein. Er beschreibt und analysiert die Entstehung des Rechtsrocks anhand des aktuellen internationalen Forschungsstands und gestützt durch Primärquellen. So werden Entwicklungslinien und Brüche herausgearbeitet, die nachvollziehbar machen, dass sich gesamtgesellschaftliche Erscheinungen und die Politik des Rechtsextremismus im Rechtsrock widerspiegeln. Unabhängig von seiner künstlerischen Qualität – oder des Mangels hieran – ist Rechtsrock auch als Ausdruck von politisch bewegter Jugendkultur beziehungsweise als kulturelle Äußerungsform des Rechtsextremismus ernst zu nehmen. Die Funktionen, die der Rechtsrock erfüllt und die ihm zugeschrieben werden können, werden so von Raabe herausgearbeitet. Christoph Schulze wirft einen detaillierten Blick auf die konkrete Erscheinung in Brandenburg. Er stellt die regionale Entstehung und Entfaltung des Rechtsrocks chronologisch dar und schreibt dabei eine Popgeschichte, an der sich Tendenzen in der politischen Geschichte der extremen Rechten im Bundesland nachvollziehen lassen. Die Analysen stützen sich maßgeblich auf kritisch eingeordnete Primärquellen. Von den Wurzeln in den dissidenten DDR-Jugendkulturen über die massive Ausbreitung der Musik und der Skinhead-Mode nach 1990 bis zu den folgenden Transformationsprozessen wird die Entwicklung nachgezeichnet und in ihrer Ausformung und BedeuEinleitung 13
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tung analysiert. In diesen Rahmen gehört auch die Geschichte von Hammerschlag aus Frankfurt (Oder), der frühesten Gründung einer RechtsrockBand in der DDR, die bislang bekannt geworden ist; sie wird hier erstmals aus Akten des Ministeriums für Staatssicherheit rekonstruiert. Michael Weiss untersucht die Netzwerkorganisationen des Rechtsrocks in der Region Brandenburg. Die Hammerskins und die im Jahr 2000 verbotene Gruppe Blood & Honour nebst ihren Nachfolgern hatten und haben Schlüsselpositionen im Rechtsrock inne. Die Mitglieder verstehen sich als Elite der Neonazimusikszene und sind maßgeblich mitverantwortlich für ihre Professionalisierung und in der Folge für das Wachstum der Szene insgesamt. In den Organisationen wurde so stellenweise eine kommerzielle Ausbeutung des Rechtsrocks vollzogen, im Falle von Blood & Honour aber auch der Einsatz terroristischer Strategien ausgelotet. Aus dem Skinheadnetzwerk Blood & Honour, dies belegt Weiss, rekrutierte sich nicht zufällig das engste Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrundes. Gideon Botsch diskutiert in seinem Beitrag den Einsatz von V-Leuten durch Sicherheitsbehörden anhand brandenburgischer Beispiele. Liedtexte und Fanzine-Beiträge zeigen, wie die Szene ihre Durchdringung mit »Verrätern«, »Spitzeln« und »Provokateuren« rezipiert und dargestellt hat. Doch jenseits dieser ideologisch verzerrten Sicht hatte die Praxis der Informationsbeschaffung der Verfassungsschutzbehörde des Landes in den 1990ern auch aus demokratischer Sicht höchst problematische Effekte, wie zwei prominente V-Mann-Skandale zeigen. Darüber hinaus hat auch das Landeskriminalamt zeitweise mit einem Unternehmer der Rechtsrock-Szene so zusammengearbeitet, dass de facto ein Verhältnis wie zu einer V-Person entstanden ist. Thorsten Hindrichs hält in seinem Beitrag ein Plädoyer für eine differenzierte Betrachtung der Wirkungsweise von Rechtsrock-Musik. Populär aber irreführend seien Darstellungen der Musik als eine »Einstiegsdroge«, die Kinder und Jugendliche zum Neonazismus verführe. Musik und deshalb auch Rechtsrock wirken jedoch anders, denn auch Musikrezeption ist bewusstes oder unbewusstes Handeln. Pädagogische Maßnahmen gegen den Rechtsrock sollten sich darum nicht an »Einstiegsdrogen«-Hypothesen orientieren, argumentiert Hindrichs. Annett Gräfe-Geusch und Cynthia Miller-Idriss befassen sich mit der textilen Mode, die von der Szene, die sich um den Rechtsrock herum konstituiert hat, getragen wird und ebenso wie die Musik ideologische Positionierung und Bekenntnis ist. Mit Thor Steinar stammt aus dem Land Brandenburg eine Kleidungsmarke, die seit Jahren große Popularität in 14
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der extremen Rechten genießt und deren Stil an Ideologie und Lebenswelt auch vieler Rechtsrockfans andockt. Die beiden Autorinnen zeichnen die Entwicklung, die Hintergründe und das Image von Thor Steinar nach und untersuchen anhand von Interviews die – durchaus ambivalente – Haltung von Jugendlichen gegenüber dieser Marke. Nikolai Okunew beschäftigt die Frage, wo genau die Grenzen zwischen Rechtsrock und anderen musik-zentrierten Szenen zu ziehen sind. Anhand des jährlich in Brandenburg stattfindenden Black-Metal-Festivals »Under The Black Sun« untersucht er die »Grauzonen«-Problematik. Im MetalSubgenre Black Metal sind Transgressionen und mit ihnen kriegsverherrlichende Posen und menschenfeindliche Aussagen konstitutiv. Ein Teil der Szene ist explizit pro-nationalsozialistisch ausgerichtet, die große Mehrheit nicht. Wo verlaufen die Grenzen, wie werden die Unterschiede verhandelt? Warum fällt es der Szene so schwer, sich von ihrem neonazistischen Anhängsel konkret und nachhaltig abzugrenzen? Karin Stoverock untersucht, wie stark im brandenburgischen Rechtsrock auf die Traditionsbestände des historischen Nationalsozialismus zurückgegriffen wird. Sie hat die Lieder der brandenburgischen Bands ausgewertet und dabei eine Vielzahl entsprechender Verweise gefunden – von Zitaten oder sprachlichen Figuren bis zu regelrechten Neuinterpretationen der alten Nazilieder. Der idealisierende Blick auf die »Kampfzeit« und den NS-Staat sind Fixpunkte, an denen sich Neonazis kulturell wie politisch orientieren. Laura Schenderlein wirft in ihrem Beitrag einen analytischen Blick auf die Rolle des Antisemitismus im brandenburgischen Rechtsrock. Jüdinnen und Juden sind für hiesige Neonazis unbedingte Feindbilder. Die antisemitische Feind-Markierung erfolgt dabei auf vielfältige Art, wie Schenderlein darstellt: von subtilen Andeutungen bis zur brachialen Vernichtungsfantasie, von Imitation des nationalsozialistischen Sprachgebrauchs bis zu modernen Verpackungen, vom rassistischen Antisemitismus bis zu neuesten Varianten, die ihren ideologischen Gehalt als Israelkritik oder als Kritik an einem »Schuldkult« verbrämen. Maica Vierkant analysiert die Bilder- und Symbolwelt des brandenburgischen Rechtsrocks. Sie hat die Coverabbildungen und die Booklets der Tonträger ausgewertet und leitet aus diesem Materialfundus in zweifacher Hinsicht Erkenntnisse über den Rechtsrock ab: welche Themen und Themenfelder im Rechtsrock bei diesen Selbstinszenierungen gesetzt und eingesetzt werden, sowie die ästhetischen Mittel, die historischen und popkulturellen Referenzen, die dabei zum Einsatz kommen. Einleitung 15
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Sonja Brasch, Frauke Büttner, Jana Reich und Johanna Sigl analysieren in ihrem Beitrag, wie Geschlecht im brandenburgischen Rechtsrock verhandelt wird: Wie wird in den Texten und der Gestaltung der Tonträger im (männlich dominierten) Rechtsrock Männlichkeit inszeniert, mit welchen Attributen ausgestattet und für welche Zwecke eingesetzt? Wo und in welcher Rolle und mit welchen Eigenschaften kommen Frauen vor? Wie haben sich im Zeitverlauf die Geschlechterbilder im Rechtsrock verändert? Gesa Köbberling macht darauf aufmerksam, dass in den Liedtexten und in der Praxis der Rechtsrock-Bands und ihrer Fans die Gewalt ein wiederkehrendes, ja sogar ein konstituierendes Element ist. Oft genug war Rechtsrock für Neonazis buchstäblich die Begleitmusik für Mord und Totschlag. Ist die Musik selbst also gewalttätig oder macht sie ihre Fans gewalttätig? Köbberling differenziert und analysiert die Wechselwirkungen zwischen der gewaltbefürwortenden Musik, dem sozialen Gefüge des Neonazismus und seiner Ideologie. Christin Jänicke lotet in ihrem Beitrag die zivilgesellschaftlichen Interventionsmöglichkeiten gegen den Rechtsrock aus. Unter anderem anhand von Interviews mit Engagierten und mit Fachleuten zeichnet sie die zivilen Interventionen gegen eine Neonazi-Immobilie nach, die in Finowfurt (Barnim) zeitweise zu einer kontinuierlichen Anlaufstelle für RechtsrockKonzerte in Brandenburg zu werden drohte. Vendula Prokůpková, Jan Raabe und Christoph Schulze haben die Diskographie des brandenburgischen Rechtsrocks bearbeitet. Sie listet im Anhang die erschienenen Tonträger auf, nach Bands sortiert und gruppiert nach Alben und kleineren Veröffentlichungen wie Samplerbeiträgen. Größtenteils ausgelassen sind Demo-Aufnahmen und ähnliche Kleinstveröffentlichungen. Von einer Vollständigkeit der Liste ist wegen des uneindeutigen und schwer zugänglichen Feldes indes nicht auszugehen. Dennoch: Die zeitliche Verteilung und der Umfang der hier dokumentierten Tonträger können zum Nachschlagen und für weitere Recherchen genutzt werden. In den Beiträgen dieses Bandes wurde die Rechtschreibung der zitierten Literatur und der zitierten Quellen beibehalten. Dies gilt auch für die primären Quellen aus dem Neonazismus – die dort häufigen orthografischen und grammatikalischen Fehler sind also übernommen worden. Wenn Liedtexte zitiert werden, wurde die Schreibweise aus den Booklets genutzt. Wenn es keine solchen Beihefte gab, wurden eigene Transkriptionen der Lieder zu Grunde gelegt.
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DANKSAGUNG Wir bedanken uns bei den Autorinnen und Autoren, die mit ihrer Expertise dieses Buch gestaltet haben, und bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Archive und Sammlungen, auf die wir zurückgreifen konnten – insbesondere beim Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin (Apabiz), dem Archiv der Jugendkulturen Berlin, dem Verein Argumente & Kultur gegen rechts und dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU). Unser besonderer Dank gilt Heike Hilbert, die die Sammlungen der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle betreut. Für anregende Gespräche über Struktur und Wandel des Rechtsrocks im Land bedanken wir uns bei den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landeskriminalamts in Eberswalde und bei zahlreichen weiteren Gesprächspartnerinnen und -partnern aus Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft. Bei den Recherchen leisteten uns als studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beziehungsweise im Rahmen von Praktika Lucia Bruns, Romana Demjjanow, Dorina Feldmann, Christin Jänicke, Jessica Kieck, Oleksandr Oks und Julia Marie Wittorf sowie im Rahmen eines Werkvertrags Vendula Prokůpková unverzichtbare Unterstützung. Nadia Matin danken wir für das umsichtige Lektorat. Nicht zuletzt gilt unser Dank der Rosa Luxemburg Stiftung und der Amadeu Antonio Stiftung, die durch ihre großzügige Unterstützung die Realisierung dieses Buches ermöglicht haben. Die Herausgeber im Januar 2019
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RECHTSROCK IN DEUTSCHLAND FUNKTION, ENTWICKLUNG, ZENTRALE AKTEURE – UMRISSE EINES WACHSENDEN PROBLEMS
Rechtsrock ist mehr als Musik mit extrem rechten Inhalten. Das Phänomen umfasst Meinungsäußerungen, Bekenntnisse und Forderungen nach einer anderen, nicht demokratischen Gesellschaft. Es transportiert Rassismus, Antisemitismus und die Verherrlichung des Nationalsozialismus. Rechtsrock jedoch nur auf Ideologie zu reduzieren, würde zu kurz greifen. Es geht hier umfassender um ein Lebensgefühl, die Lust am Feiern, das Bedürfnis nach Gemeinschaft und nach Aktionen, aber auch das Gefühl, zu kurz zu kommen und daher zu rebellieren, die Pose des legitimen Widerstands. Ausgehend von Musik, Ideologie und Lebensgefühl bildet sich ein »Wir«, welches immer wieder reproduziert und bestätigt werden muss: ideologisch durch Liedtexte und Bilder, lebensweltlich durch Gemeinschaftserlebnisse auf Konzerten oder Aufmärschen. Zu Rechtsrock gehören Bands und Plattenlabels, Versände und Geschäfte, Tonträger und Szene-Bekleidung – zumeist betrieben und hergestellt von Szenegängern selbst, die damit ideologisch und organisatorisch auf ihr Publikum einwirken, zum Teil aber auch Geld damit verdienen. Der politische und der kommerzielle Mehrwert ziehen szenefremde Akteure an; ideologische Nähe kommt im Verhältnis zu rechtsextremen Parteien und zum militanten Neonazismus zum Ausdruck. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die zentralen Funktionsmechanismen der Rechtsrock-Szene, analysiert ihre Entwicklung und benennt zentrale Akteure in Brandenburg und darüber hinaus. Seit im Sommer 2017 im Thüringischen Themar etwa 6.000 Neonazis zu einem Konzert zusammenkamen, ist das Thema Rechtsrock wieder in den Medien präsent. 2012 hatten die schockierenden Bilder aus dem Inneren der neonazistischen Konzerte im Film »Blut muss fließen«, die der Journalist Thomas Kuban unter Einsatz seines Lebens gedreht hatte, kurz für Aufmerksamkeit gesorgt,1 doch danach standen wieder schnell andere Akteure des Rechtsextremismus im Fokus der Medien. Über rechte Jugendkultur schien bereits alles gesagt. Nach über 30 Jahren Rechtsrock war der Rechtsrock in Deutschland 19
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Nachrichtenwert des Themas in den Keller gegangen. Dabei hat sich die Szene kontinuierlich weiterentwickelt. Im vorliegenden Band wird der Begriff »Rechtsrock« verwendet.2 Dieser bezeichnet keinen musikalischen Stil. Gemeint ist nicht allein RockMusik, sondern er bezieht alle musikalischen Ausdrucksformen ein, mit denen extrem rechte Inhalte transportiert werden. Dies geschieht in erster Linie durch den Text, in einigen Fällen auch durch Melodien oder Melodienfragmente. Relevant können darüber hinaus auch Entstehungskontexte, performative Aspekte, die konkrete Verwendung oder Elemente der Rahmung der Musikstücke sein. Daher ist es im Einzelfall schwierig zu entscheiden, welches Stück oder welche InterpretInnen dem Rechtsrock zuzuordnen sind. Neben den Liedtexten müssen Kontextfaktoren berücksichtigt werden. Hierzu gehört der äußere Rahmen: Wurde ein bestimmtes Lied vielleicht auf einer Veranstaltung der NPD gespielt? Wie verorten sich die InterpretInnen selbst, beispielsweise in Interviews? Wie ist es, wenn eine Band nur einige wenige entsprechend aufgeladene Lieder veröffentlichte? Welche Codes und popkulturellen Aneignungsformen sind im jeweiligen Genre üblich, die eine Aussage für die unmittelbaren RezipientInnen decodierbar machen und damit einer rechtsextremen Lesart den Boden entziehen? Als Rechtsrock wird in diesem Buch ein politisches Feld benannt, welches inhaltlich hochgradig verdichtet ist, in dem rassistische, antisemitische und den Nationalsozialismus verherrlichende Motive sehr klar und offen benannt und immer wieder in verschiedensten Formen revitalisiert werden. Textelemente, die den »Holocaust« verharmlosen, finden sich auch in Mainstream-Rap-Songs, etwa in dem Battle-Rap »Gamechanger« von Kollegah & Farid Bang3. Solche Aussagen mögen durchaus im Zusammenhang mit israelbezogenem Antisemitismus stehen, der sich auch in anderen Aussagen nachweisen lässt. Im Rechtsrock kommt indes die Anbindung an organisatorische Strukturen der extremen Rechten hinzu, und vor allem lassen die Liedtexte wenig Spielraum für Interpretationen. Bei Aryan Hate heißt es zum Beispiel: Wenn die Judenschweine erstmal rennen die Verräter aus Berlin an den Bäumen hängen dann ist Schluss mit all der Tyrannei und Deutschland ist endlich wieder frei. Der Holocaust wird diesmal Wirklichkeit.4 20
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Handelt es sich bei letzterem eindeutig um Rechtsrock, so wird das Lied von Kollegah & Farid Bang nach unserer Definition nicht entsprechend klassifiziert. Auch über die Beziehungen des Rechtsrock zur organisierten extremen Rechten beziehungsweise zum entsprechenden Milieu bestehen irreführende Annahmen. Dazu gehört nicht nur die Bezeichnung dieser Musik als »Einstiegsdroge«.5 Auch die medial häufig vorgebrachte Warnung, Nazis würden eine Szene – den Rap, den Black-Metal6, den Hardcore7 oder elektronische Musik8 – »unterwandern«, zeichnet ein schiefes Bild. »Unterwanderung« deutet ja an, dass man sich verstellt, die eigenen Interessen nicht zeigen möchte. Wenn indes Neonazis rappen, machen sie dies in der Regel als Neonazis und nicht heimlich und versteckt. Als die NPD in den 2000ern begann, mit »Schulhof-CDs« auf sich aufmerksam zu machen, wurde mitunter suggeriert, die Jugendlichen seien der Gefahr ausgesetzt, unbewusst die Ideologie der extremen Rechten zu übernehmen. Dabei stand auf jeder CD groß »NPD«, denn die Partei wollte ja gerade für sich werben. Auch der Rechtsrock-Aktivist Sebastian Raack unterwandert nicht – wie der Rundfunk Berlin-Brandenburg in einem Bericht nahelegte9 – die Gemeinde Lindenau. Beim Aufstellen eines Schildes zur 650-Jahrfeier trug er vielmehr demonstrativ ein T-Shirt mit dem eindeutigen Bekenntnis »Europas Front steht«.
DER SOUND DER EXTREMEN RECHTEN Bei vielen Szenen ist der musikalische Stil der entscheidende Punkt, durch den sie sich von anderen unterschieden. Bei der Rechtsrock-Szene stimmt dies nur bedingt. Unter dem Primat der Politik findet sich ein breiteres Spektrum an verschiedenen musikalischen Stilen. Indes existieren keine extrem rechten Jazz-Stücke, auch Reggae ist in der deutschen RechtsrockCommunity nicht vertreten, Rap bleibt umstritten. In den letzten zehn Jahren kamen mindestens 1.148 Tonträger deutscher Bands als Neuerscheinungen auf den Markt. Von diesen waren 56 Sampler, die nicht musikalisch eindeutig zu verorten sind. Von den verbleibenden 1.092 Tonträgern sind etwa 70 Prozent (754) verschiedenen Schattierungen des Rock-Stils inklusive Hard-Rock, Metal und Punk zuzuordnen. Fast 14 Prozent (142) sind im Liedermacher-Stil eingespielt, etwas mehr als 10 Prozent (112) im Hardcore-Stil, etwa 7 Prozent (69) lassen sich dem Black Metal zuordnen und Rechtsrock in Deutschland 21
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nur knapp 1,5 Prozent (15) dem Rap. Diese unterschiedlichen Zahlen sind Ausdruck von Geschichte und Selbstverständnis beziehungsweise Nähe und Distanz der jeweiligen Genres zu extrem rechten Inhalten. PUNK, ROCK, METAL
An der Wiege des Rechtsrock stand der Punk. Die ersten deutschen Bands, die Musik mit extrem rechten Texten spielten, waren diesem Stil zuzurechnen, und wie die Böhsen Onkelz aus Frankfurt am Main starteten sie oftmals nicht als extrem rechte Bands. Auch das große internationale Vorbild, die Band Skrewdriver spielte Punkrock. Betrachtet man die Entwicklung der 1980er Jahre, so fallen in dieser Zeit der einfache und eingängige Sound der Lieder, der rotzige und trotzige Ton des Gesangs und der antibürgerliche Gestus auf.10 Saufen und Raufen mischten sich hier mit Skinheadkult und Rassismus. Klanglich wandelte sich das Bild erst Anfang der 1990er Jahre, als erste Bands den Metal-Sound in den deutschen Rechtsrock einführten. Inhaltlich wichen ab den frühen 1990er Jahren die subkulturellen Themen zunehmend dem direkten Bezug auf den Nationalsozialismus.11 Im Laufe der Jahre wurde der Sound ausgefeilter, Elemente des Punks fanden sich seltener. Auch als Reaktion auf Strafverfolgungsmaßnahmen verzichteten immer mehr Texte auf eine allzu offene Verherrlichung des Nationalsozia lismus. Einst gab es Völker – Sprachen, Bräuche, soviel Tradition heut gibt’s die ›Menschheit‹, international Und die ›Gesellschaft‹, individuell und lange schon Austauschbar ein ums andere mal Dort reden sie von ›Vielfalt‹, doch machen alles gleich12,
sang 2010 die Brandenburger Band Hassgesang und nahm dabei Motive des Kultur-Rassismus der sogenannten Neuen Rechten auf.13 Durch die zunehmende Verbreitung des Hardcore innerhalb des Rechtsrocks ist auch der Sound des Rocks in diesem Bereich in den letzten Jahren deutlich härter geworden. LIEDERMACHER
Als Prototyp des extrem rechten Liedermachers kann der heute in Bayern lebende Frank Rennicke gelten, der bereits in den frühen 1990ern erste gut besuchte Liederabende in Brandenburg durchführte. Politisch und musika22
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lisch in dem neonazistischen, seit 1992 verbotenen Jugendverband Wiking Jugend sozialisiert,14 habe er dort – wie es in einer Biographie aus der Szene heißt – »zum geschmähten deutschen Liedgut« gefunden und von »sangesfreudigen Kameraden angeregt« begonnen, »erste Gedichte zu vertonen«.15 Seine ersten Auftritte fanden in diesem Rahmen statt, seine ersten Tonträger, so die 1987 veröffentlichte Kassette »Protestnoten«, enthielten Stücke aus dem Liedgut völkischer und nationalistischer Jugendverbände und der Hitlerjugend. Nur mit der eigenen Gitarre begleitet, griffen Rennickes stilbildende Liederabende Formen der historischen Deutschen Jugendbewegung auf. Rennicke verfasste und vertonte auch eigene Lieder; darüber hinaus spielte er traditionelle Lieder aus Arbeiterbewegung und linker Protestkultur nach. Die nationalistischen Jugendverbände beförderten den Liedermacherstil, unterstützt er doch ihre Intention. Zum Beispiel veröffentlichte die Wanderjugend Gibor, die in Brandenburg und Sachsen funktional an die Stelle der Wiking Jugend getreten war, 1999 ein Album mit 20 Liedern im Stil bündischer Singegruppen. Inzwischen treten indes auch InterpretInnen auf, die diese extrem rechten Sozialisierungsinstanzen nicht durchlaufen haben. In den letzten Jahren ist zudem zu beobachten, dass immer mehr Sänger von Rechtsrock-Bands gleichzeitig oder nach Auflösung ihrer Projekte solo als Liedermacher touren. Als prominente Beispiele seien hier Michael Regener aus Berlin, bis zum Verbot Frontmann von Landser und jetzt von Die Lunikoff Verschwörung, sowie der Sänger der Band Frontalkraft, Sten Söhndel aus Cottbus genannt. Bundesweit sind aktuell etwa 30–40 LiedermacherInnen aktiv. Hier finden sich auch einige Frauen, so die Interpretin Karin Mundt, die mit der Formation Wut aus Liebe auftritt und zeitweilig in Brandenburg lebte. Auch Annett aus Frankfurt (Oder) trug Stücke im Liedermacherstil vor. Einige Bekanntheit als Liedermacher erlangte der brandenburgische Szene-Aktivist Jörg Hähnel, ursprünglich aus Frankfurt (Oder). Aktuell gibt es im Bundesland etwa zehn bis fünfzehn aktive Liedermacher, darunter Artgerecht aus dem Raum Cottbus, Björn Brusak aus Frankfurt (Oder), AK Solingen 47 aus Cottbus und Thomas Lange aka Toitonicus. Die musikalisch eher schlichten, formal rückwärtsgewandten Lieder transportieren mit ihren gut verständlichen Texten klare und deutliche ideologische Botschaften. Liederabende dienen einer intimen Vergemeinschaftung, sie »animieren […] zum gemeinsamen Singen« und schaffen »gemeinsame Erlebnisse der Mitglieder der radikalen Rechten«.16
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NATIONAL SOCIALIST HARDCORE Bühne frei für Moshpit und rein in die Höhle des Löwen. Von Anfang bis Ende zogen sie eine Hammer-Show ab und die Menge war einfach nur am Platzen. Überall flogen Leute umher, keiner blieb mehr ruhig stehen. Immer wieder kletterten welche die Boxen hoch und ließen sich in die Menge fallen und wurden dann auf Händen getragen. Die Stimmung mehr als passend zur Musik und mit Worten schwer beschreibbar, so was muss man erlebt haben um mitreden zu können.17
So schildert ein Teilnehmer das Konzert am 27. Oktober 2007 im brandenburgischen Hermsdorf mit Moshpit aus Thüringen, einer der deutschen Top-Bands des National Socialist Hardcore (NSHC). Hardcore entstand Ende der 1970er Jahre in den USA aus dem Punk. Unter dem Motto »hardcore is more than music«18 sollten die »No Future«-Stimmung des Punk und der selbstzerstörerische Alkohol- und Drogenkonsum überwunden werden, um das eigene Leben und die Gesellschaft wieder aktiv mitzugestalten. Das allgemeine Prinzip des »Do it yourself« (DIY) verwies auf eine »Politik aus erster Hand«, die ihren Ausgang von der Änderung des eigenen Lebensstils nehmen wollte. Damit verbunden war der »Straight-Edge«-Ansatz, der bewusste Verzicht auf Alkohol, Drogen und emotions- und achtlosen Gelegenheits-Sex. Allerdings zogen die harte und schnelle Musik und der kämpferische, männliche Gestus der Szene auch schnell Nazis an.19 Ende der 1980er Jahre wurde Hardcore auch unter unpolitischen, patriotischen oder neonazistischen Skinheads populär. Zu den ersten extrem rechten Bands in diesem Genre zählten Max Resist & The Hooligans, Blue Eyed Devils, Aggravated Assault und Bound for Glory. Musiker von Bands wie Nordmacht aus Rostock waren fasziniert von dem Sound und begannen ihn nachzuspielen, gründeten zum Teil aber auch »neue« Formationen. So spielen Mitglieder von Nordmacht bei der NSHC-Band Path of Resistance. Mit dem Sound zogen auch neue Outfits in die Rechtsrock-Szene ein und das Themenspektrum wurde auf Kapitalismus, Naturzerstörung und Tierschutz ausgeweitet.20 Diese Entwicklung im Musikbereich half auch, die Herausbildung der Autonomen Nationalisten als neuen Typus nationalsozialistischer Kameradschaften vorzubereiten.21 Viele Veröffentlichungen des NSHC sind heute nicht sofort als Produkte der extremen Rechten zu erkennen, es dominieren unauffällige Motive, die sich an den im Mainstream-Hardcore verwendeten orientieren sowie die englische Sprache – doch dürften den HörerInnen die vertretenen Inhalte bekannt sein. 24
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NATIONAL SOCIALIST BLACK METAL
Black Metal, als eine rohe und ungeschliffene Spielart des Metal, entwickelte sich ab den 1980er Jahren ausgehend von Norwegen und Schweden zu einem eigenen Genre mit einem speziellen Satz an Themen und Werteinstellungen. Gewalt, Vernichtung, Satanismus und Misanthropie waren damals die zentralen Themen von Bands wie Mayhem aus Norwegen. Für die weitere Entwicklung von besonderer Bedeutung war Kristian »Varg« Vikernes mit seiner Ein-Mann-Band Burzum. Für die Brandstiftung an drei Kirchen und den Mord an Oystein Aarseth22, Musiker der Band Mayhem, wurde er 1994 zu 21 Jahren Haft verurteilt, während der er sich zum Nationalsozialismus und zum germanischen Neuheidentum bekannte. Vikernes und Burzum wurden zum Kern des sich entwickelnden National Socialist Black Metal (NSBM). Auch in Deutschland war es ein Mord, welcher einen Teil der Mitglieder der Thüringer Black-Metal-Band Absurd zu Helden der Szene machte. Sie hatten 1993 einen Mitschüler ermordet, was in den Medien fälschlich als Satansmord dargestellt wurde.23 An die Popularität von Absurd knüpfen deutsche NSBM-Bands an. Sie orientieren sich im Gegensatz zum Mainstream des Black Metal, der zumeist einen eher spielerischen Umgang mit Satanismus und Kirchenkritik pflegt, am germanenmythischen Neuheidentum, Sozialdarwinismus und dem historischen Nationalsozialismus. Die Differenzierung bleibt im Einzelfall schwierig. Bei einigen Bands lassen sich indes enge Verbindungen in den klassischen Rechtsrock feststellen. Dies gilt etwa für die Geraer Band Totenburg, deren Musiker auch bei der Band Eugenik aktiv sind. Reine NSBM-Konzerte nur mit deutschen Bands sind selten, die Szene ist, verglichen mit extrem rechtem Hardcore und Rock, klein. Zumeist treten ein bis zwei deutsche Bands mit solchen aus dem Ausland auf. Öfter stehen die deutschen NSBM-Interpreten jedoch mit Bands des Rechtsrock oder des NSHC auf der Bühne. Gerade weil der Kreis der NSBM-Bands klein ist, sind Events mit transnationaler Besetzung, wie das jährliche Konzert mit dem zynischen Namen »Hot Shower« in Italien, von besonderer Bedeutung. In Brandenburg hat NSBM zwar keine besondere Bedeutung, es existieren bzw. existierten hier jedoch seit Ende der 1990er Jahre einzelne Bands, wie Fornost aus Falkensee, Feuersturm aus Potsdam, Divison Hagal aus Eberswalde und Mogon aus Beeskow. Die wichtigste extrem rechte Black-Metal Band in Brandenburg ist Nordreich. Überregionale Bedeutung erreichte keine dieser Bands.
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RAP 24
Rap-Musik und die Hip-Hop-Kultur mit ihrer migrantischen Prägung wurde von der Rechtsrock-Szene als Genre lange abgelehnt. Noch 1998 bezeichnete Kraftschlag Rapper als »[s]chreiende Neger« und Rap als »Plastikmusik«.25 Anfang der 2000er Jahre verfassten weiße Rapper wie MC Pain aus Flensburg und Dissau Crime aus Dessau erste rassistische und antisemitische Raps.26 Gegen Ende des Jahrzehnts experimentierten einige bekannte Rechtsrock-Bands mit Rap und brachten erste Tonträger heraus. Hinter dem Brandenburger Projekt Natürlich stand zum Beispiel mit Martin R. ein Mitglied der Rechtsrock-Band Cynic. Doch diese Experimente wurden nicht wirklich anerkannt: In der Rechtsrock-Szene blieben die rassistischen Vorbehalte zu groß, während die Rap-Szene die extrem rechten Bands nicht als authentisch anerkannte. Erst 2011 wechselte der höchst umstrittene, aber eindeutig der Community zugehörige Rapper Makss Damage ( Julian Fritsch), der sich bislang in stalinistischen Randgruppen engagiert hatte, zur Neonazi-Szene. Er öffnete zumindest Teile der Rechtsrock-Szene für NS-Rap. Immer noch erscheinen im jährlichen Durchschnitt nur ein bis zwei extrem rechte Tonträger im Rap-Stil. In der Szene schließen sich viele noch dem Statement der Angry Bootboys an: »Wir haben keinen Bock, wir haben keinen Bock, wir haben keinen Bock | auf NS-Hip Hop«27. Auf Youtube werden die Songs der NS-Rapper jedoch häufig geklickt und gelegentlich auch gelikt, so dass die Reichweite dieser Lieder schwer einzuschätzen ist. In Brandenburg ist das Genre unbedeutend und neben Natürlich nur noch Rapvolution (Marvin Koch) erwähnenswert.
MESSAGE-ROCK Es sind in erster Linie die Liedtexte, welche den Rechtsrock ausmachen. Sie sind voller aggressiver Feindbestimmungen gegen »Juden«, gegen »Ausländer« – worunter oftmals alle nicht »Weißen« subsumiert werden –, gegen FeministInnen, Linke, teilweise auch gegen den Staat und seine RepräsentantInnen.28 Den Gegenpol der Feindbestimmungen bilden Opfermythen, die vom Leid zumeist der deutschen Zivilbevölkerung während des Zweiten Weltkriegs handeln und dabei historische Kontexte bewusst ausblenden. Teilweise werben die Liedtexte für politische Organisationen, so wenn die Potsdamer Band Cynic singt: »NPD zur nächsten Wahl«,29 und die aus Frankfurt (Oder) stammende Annett bekannte: »Ich gehör zur NPD«30. Auffällig 26
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oft sind auch die Germanen und Wikinger, die »nordischen« Götter Odin und Wotan oder die Edda Thema der Liedtexte. Hier geht es um die Konstruktion einer überzeitlichen und überlegenen nordisch-arischen Rasse, als deren Nachfahren sich die SängerInnen betrachten.31 Die Texte formulieren in der Regel eine Gemeinschaft, ein »Wir«, welches unterschiedliche Gruppen beschreibt. »Wir«, die Patrioten, die »Weißen«, die Deutschen, die Nationalsozialisten oder auch der »Nationale Widerstand«. Dabei werden die HörerInnen nicht nur in das »Wir« einbezogen, sondern auch aufgefordert, sich zu beteiligen und aktiv zu werden. Eine Analyse der Liedtexte über die Zeit zeigt einige Veränderungen. In den 1980er Jahren fanden sich zahlreiche Texte, welche den »Skinhead way of life«, mit regelmäßigem Betrinken und Schlägereien, verherrlichten. Der jugend- beziehungsweise subkulturelle Einfluss war sehr präsent. Ab Anfang der 1990er Jahre war eine deutliche Politisierung festzustellen,32 während »Skinhead« das zentrale Role-Model der Szene blieb. Die Potsdamer Band Proissenheads beschwor 1995 noch »Skinhead-Prollpower«33, doch wurden den Skins zunehmend Attribute politischer Kämpfer, wenn nicht politischer Soldaten zugeschrieben. Die immer offener nationalsozialistischen Texte provozierten staatliche Gegenmaßnahmen, darunter Indizierungen, polizeiliche Konzertauflösungen und erste Verurteilungen von Bands. So setzte ab Mitte der 1990er ein Wandel ein. Die Texte wurden ausgefeilter, es wurde mehr mit Umschreibungen und Chiffren gearbeitet, die für sich genommen nicht strafbar waren, während die Botschaft gleich blieb. Mit dem schwindenden Skinheadbezug und unter dem Einfluss des Hardcore ab den 2000er Jahren wurden Themen angesprochen, welche vor allem für linke Jugendkulturen prägend sind, wie Kapitalismus-Kritik und Umweltzerstörung. Jüngere Texte aus den letzten Jahren greifen immer wieder die flüchtlingsfeindlichen Proteste auf. In Übereinstimmung mit der »Merkelmuss-weg«-Kampagne und der Agitation gegen einen angeblichen »großen Austausch«, wie sie die Alternative für Deutschland und ihre Bündnispartner auf der Straße – beispielsweise der Verein Zukunft Heimat aus Golßen – betreiben, singt die aus Potsdam stammende Band Handstreich 2016: Doch schalte ich das Radio an, kotzt es mich gleich richtig an Merkel spricht zur ganzen Welt, was sie von der Heimat hält Im Ausland lacht man sich nur schlapp, was sie aus Deutschland macht Das eigene Volk, sie hält es klein tauscht es gegen ein anderes ein.34 Rechtsrock in Deutschland 27
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Die Texte stehen jedoch nicht allein. Es besteht ein Wechselverhältnis mit der Musik, in welche sie eingebettet sind. Ruhige, getragene Klänge begleiten die Erzählungen der Liedermacher vom vermeintlichen Opfergang der deutschen Soldaten. Das gilt für Michael Regeners populären Song »Drei wie Brüder«35, von dem mehrere Cover-Versionen existieren. Eine stammt von Preussen Wut aka Thomas Lange aus Rathenow.36 Den musikalischen Gegensatz zu den ruhigen Balladen bildet der extrem schnelle und treibende Hardcore mit seinen wuterfüllten Anklagen gegen die Demokratie, aber auch gegen die Zerstörung der Natur. A darknight the oceans overflow, it’s the end for a time of waste Better human beings have to grow, than those who destroy the woods those who poisoned the water those who turned our people from the strong to the weak Nature now fights back to slaughter37,
singen Anger Within aus Teltow. Interessanterweise handelt es sich hierbei um ein Projekt von Hassgesang. Hassgesang produzierten ausschließlich deutschsprachige Rockmusik mit eindeutig extrem rechten Texten, bei der »nature« kein Thema war. Unter dem Namen Anger Within wurden andere, mit dem Hardcore verknüpfte Themen besungen, und zwar in englischer Sprache. Doch erfahren die Bezüge zur Umweltzerstörung hier eine sozialdarwinistische Wendung: In Übereinstimmung mit einem verbreiteten Motiv der extremen Rechten wird die ökologische Katastrophe zur Chance für einen »artgerechten« Neuanfang. Die Themen und Inhalte der Liedtexte entsprechen hier den gängigen und an-sozialisierten Hörgewohnheiten, wodurch sich beim Publikum zumeist die gewünschten Assoziationen und Stimmungen einstellen. Andererseits spiegeln sich in den Texten auch jene Themen wider, welche in den Jugendkulturen, denen der Sound des Liedes entstammt, virulent sind. So ist ein Lied über Tierquälerei, Umweltverschmutzung oder gar Veganismus im Black-Metal oder auch im extrem rechten Rock kaum vorstellbar, im nationalsozialistischen Hardcore aber durchaus zu finden.38
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LEBENSWELT RECHTSROCK Im Gegensatz zu Parteipolitik, die in einem sehr begrenzten Sektor des Lebens stattfinden kann, umfasst der Rechtsrock zumeist sehr weite Bereiche der Lebenswelt. Die Ideologie prägt das »Leben in Szenen« und kommt in verschiedenen Bereichen des Alltags zum Ausdruck – von der Wahl der Bekleidungsmarken über Tattoos bis zur Gestaltung der Privaträume und den Mustern des Freizeitverhaltens, aber auch im klassisch politischen Engagement, bei Aufmärschen, Aktionen, Parteipolitik oder Straf- und Gewalttaten. Im sozialen Bereich geht dies mit einer Konzentration auf einen eingeengten Personenkreis einher, während Außenkontakte zunehmend unwichtiger werden. Kommunikation ist eine Voraussetzung für die Entstehung und den Bestand subkultureller Szenen. Seitdem erste deutsche Rechtsrock-Bands Fans um sich scharten und sich eine Szene bildete, entwickelten sich eigenständige Kommunikationswege. In den 1980er und 1990er Jahren wurde in Fanzines ausgehandelt und verbreitet, welche Bekleidung in der Szene als »in« gilt, welche ideologischen Bezugspunkte relevant und welche Bands im Kommen sind. Das Wort »Fanzine« setzt sich zusammen aus »Fan« und »Magazine« und steht für von Szenemitgliedern selbst produzierte Hefte. In den Zines des Rechtsrock, bei denen es sich in den ersten 20 Jahren zumeist um kopierte Heftchen mit einer Auflage zwischen 100 und 500 Exemplaren handelte, in den 2000er Jahren auch um gedruckte Hefte, fanden sich Berichte von Konzerten und politischen Demonstrationen, Interviews mit Bands, Platten-Reviews, Werbung für politische Organisationen. Personen-Porträts kreierten »Helden« der Szene, an erster Stelle der Hitlerstellvertreter Rudolf Hess und der Blood-&-Honour-Gründer und Skrewdriver-Sänger Ian Stuart (Donaldson).39 Die inhaltliche Zusammenstellung und Mischung der einzelnen Hefte hing von mehreren Faktoren ab: von propagandistischen Inputs politischer Akteure, von aktuellen Modetrends in- und außerhalb Deutschlands, aber nicht zuletzt auch von den jeweiligen Präferenzen der MacherInnen.40 Unter den etwa 40 Heften, die in den Hochzeiten der Szene zeitgleich in Deutschland erschienen, kamen einige auch aus Brandenburg. Zu den ersten und wichtigsten gehört »United Skins«, dessen erste Ausgabe 1992 erschien. Initiiert wurde das Heft von dem zu diesem Zeitpunkt in Königs Wusterhausen lebenden Skinhead und Neonazi-Aktivisten Carsten Szczepanski. Inhaltlich spiegelt das Heft die Interessen und die Lebenswelt seiner AutorInnen wider. Rechtsrock in Deutschland 29
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RECHTSROCK – seit über 30 Jahren stabilisiert und inszeniert diese Subkultur die ideologischen Grundpfeiler des Rechtsextremismus in immer neuen Varianten. Die Autorinnen und Autoren dieses Buches beschäftigen sich in ihren Beiträgen mit Geschichte und Gegenwart des Rechtsrocks, besonders an Beispielen aus dem Land Brandenburg. Sie zeigen auf, wie die Musik seit den 1990er Jahren Teil der sozialen Bewegung der extremen Rechten wurde und inzwischen zu einer Lebenswelt gehört, der viele Neonazis bis weit ins Erwachsenenalter verbunden bleiben.
BOTSCH · RAABE · SCHULZE (HRSG.)
Das Buch will ein breitere Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren, grundlegendes Wissen über die Szene vermitteln und auf mögliche Gegenstrategien hinweisen.
RECHTSROCK
GIDEON BOTSCH JAN RAABE CHRISTOPH SCHULZE (HRSG.)
22 € [ D]
ISSN 2628-4081 ISBN 978-3-95410-229-7
www.bebra-wissenschaft.de
RECHTS ROCK AUFSTIEG UND WANDEL NEONAZISTISCHER JUGENDKULTUR AM BEISPIEL BRANDENBURGS