Traditionsbruch ohne Neuanfang (Leseprobe)

Page 1


Traditionsbruch ohne Neuanfang

Charite01_Traditionsbruch.indd 1

13.11.17 12:05


Hefte zur Geschichte der Charité – Universitätsmedizin Berlin

Herausgegeben von Thomas Beddies und Heinz-Peter Schmiedebach Heft 1

Charite01_Traditionsbruch.indd 2

13.11.17 12:05


Thomas Beddies

Traditionsbruch ohne Neuanfang Die I. Chirurgische Klinik der Berliner Universität im »Dritten Reich«

Charite01_Traditionsbruch.indd 3

13.11.17 12:05


Gefördert mit Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin.

Die vordere Umschlagseite zeigt Professor Dr. Georg Magnus und Dr. Karl Brandt am 8. Nov. 1938 in Paris nach einer Visite bei dem während eines Attentats durch den jüdischen Emigranten Herschel Grynszpan verletzten Gesandtschaftsrat Ernst vom Rath in der Klinik d’Alma in Paris.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen. be.bra wissenschaft verlag GmbH Berlin-Brandenburg, 2017 KulturBrauerei Haus 2 Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin Lektorat: Matthias Zimmermann, Berlin Umschlag und Satz: typegerecht, Berlin Schrift: Minion Pro 10,5/14 pt Druck und Bindung: Elbe Druckerei, Wittenberg ISBN 978-3-95410-205-1 www.bebra-wissenschaft.de

Charite01_Traditionsbruch.indd 4

13.11.17 12:05


Einleitung

Die Chirurgische Universitätsklinik in der Ziegelstraße war während des 19. Jahrhunderts eine hervorragende Stätte der Ausbildung und Forschung, die insbesondere von den »besseren« Kreisen Berlins zur Behandlung aufgesucht wurde. Mittellose Berlinerinnen und Berliner ließen sich hingegen vorwiegend in der Charité operieren, die zu dieser Zeit vor allem noch der Ausbildung von Militärärzten diente. Erst mit der Berufung Ferdinand Sauerbruchs an die Charité 1928 und der vorübergehenden Schließung der maroden Universitätsklinik in der Ziegelstraße 1932 gewann die Chirurgie in der Charité die Anerkennung in der Bevölkerung, die lange Zeit die Universitätsklinik genossen hatte. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 etablierte sich in der Chirurgie in der Ziegelstraße eine Gruppe regimetreuer Ärzte, die vielfältig vernetzt weit über die Universität hinaus in staatliche, parteiamtliche und militärische Bereiche hineinwirkte. Als Angehörige einer Funktionselite stellten sich diese Mediziner in den Dienst einer »biopolitischen Entwicklungsdiktatur« (HansWalter Schmuhl), die darauf abzielte, einen Heilungsauftrag für das »Ganze« umzusetzen, dabei jedoch nicht das »Ganze« meinte, sondern nur dessen »lebenswerten« Teil, zu dessen ­Gunsten der angeblich »lebensunwerte« Rest eliminiert werden sollte. Im negativen Sinne hervorragend, beteiligte sich aus der Ziegelstraße vor allem Hitlers »Begleitarzt« Karl Brandt an der Umsetzung dieses mörderischen Programms. Seinen Spuren und denen seiner ebenfalls dem Nationalsozialismus zugewandten überwiegend jungen und ehrgeizigen chirurgischen Kollegen in der Ziegelstraße soll im Folgenden nachgegangen werden.

5

Charite01_Traditionsbruch.indd 5

13.11.17 12:05


Die Chirurgische Universitätsklinik vor 1933

Als 1932 die zu Beginn des 19. Jahrhunderts gegründete I. Chirurgische Universitätsklinik in der Berliner Ziegelstraße geschlossen wurde, schien eine Institution an ihr Ende zu kommen, die den hervorragenden Ruf der Berliner, sogar der deutschen Chirurgie über ein Jahrhundert mitgeprägt und begründet hatte. Bedeutende Operateure hatten hier gewirkt, manche von ihnen – wie Bernhard von Langenbeck (1810 –1887) – über Jahrzehnte hinweg. Für viele andere war die Klinik eine wichtige Station ihrer Aus- und Weiterbildung in einer rasant sich entwickelnden Disziplin gewesen. Letzter »Chef« der Chirurgie in der Ziegelstraße war August Bier (1861–1949). Mit der Emeritierung dieses ebenso berühmten wie eigensinnigen und in der zeitgenössischen Medizin nicht unumstrittenen Pioniers der Lokalanästhesie, »Erfinders« des Stahlhelms und Befürworters der Homöopathie wurde der klinisch-stationäre Betrieb 1932 eingestellt; der Lehrstuhl sollte vakant bleiben. Bier, der sich zunehmend dem Nationalsozialismus angenähert und auch für ihn geworben hatte, konnte sich 1937 noch mit Ferdinand Sauerbruch (1875 –1951) den hochdotierten Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft teilen. Gegen jede Wahrscheinlichkeit wurde die Klinik dann bereits 1933 von den neuen Machthabern energisch »reanimiert«, stand dabei aber in keiner wirklichen Kontinuität mehr zur Bier’schen Ära, geschweige denn zu den geradezu legendär verklärten Zeiten eines Langenbeck oder Ernst von Bergmann (1836 –1907) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Schließung noch in der »Systemzeit« hatte die Kündigung nahezu des gesamten ärztlichen Personals zur Folge gehabt. Und die nach 1933 neu an die Klinik kommenden Chirurgen unter Georg Magnus (1883 –1942) erwiesen sich als entschiedene Parteigänger des Nationalsozialismus, die es verstanden, die Chirurgie in der Ziegelstraße vielfach mit 6

Charite01_Traditionsbruch.indd 6

13.11.17 12:05


Partei und Staat, Militär und SS zu verweben und so zu einem Vorposten nationalsozialistischer Gesundheits- und Forschungspolitik auszubauen. Der Standort in der Mitte Berlins gab dafür die räumliche Basis, die wiederbelebte Klinik die institutionelle Anbindung und die Universität die Aussicht auf akademische Titel und Ehren. Bevor im Folgenden dieser Prozess durch die nähere Betrachtung exponierter Akteure anschaulich gemacht und in seinen Auswirkungen beschrieben wird, soll kurz noch einmal der Blick auf die Entstehungszeit der Klinik gerichtet werden. Im Zuge der Etablierung der Chirurgie als medizinisch-wissenschaftliche Disziplin seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert wurde 1810 auch an der Medizinischen Fakultät der neu gegründeten Berliner Universität ein chirurgischer Lehrstuhl eingerichtet, auf den man den erst 23-jährigen Carl Ferdinand von Graefe (1787–1840), der vor allem auf dem Gebiet der plastischen Chirurgie erfolgreich war, berief. Zugleich wurde entschieden, für die praktische Ausbildung nicht die Charité zu nutzen, sondern eine eigene Klinik nahe der Universität zu gründen. Begonnen wurde – höchst bescheiden und mit wenigen Betten – in einer angemieteten Wohnung in der Friedrichstraße. Weitere Provisorien folgten und erst nach den Befreiungskriegen gelang es Graefe 1816, den Kauf eines vormaligen Fabrikgebäudes, gelegen am rechten Spreeufer in der Spandauer Vorstadt (Ziegelstraße 5 – 6), durchzusetzen, in dem nach Umbauten 1820 der Betrieb aufgenommen werden konnte.1 Hier residierte dann seit 1840 auch Graefes Nachfolger, Johann Friedrich Dieffenbach (1792–1847), der sich als innovativer Operateur vornehmlich auf dem Gebiet der »Wiederherstellung zerstörter Theile des menschlichen Körpers« betätigte.2 Nach seinem Tod 1847 wurde die Klinik für lange Zeit von Bernhard von Langenbeck übernommen, der seinem Nachfolger Ernst von Bergmann 1882 eine baulich erneuerte und erweiterte Klinik übergeben konnte; die Zahl 7

Charite01_Traditionsbruch.indd 7

13.11.17 12:05


Die I. Chirurgische Universitätsklinik in Klinik (Spreeseite), um 1910

der chirurgischen Betten war auf 189 gestiegen. In die Zeit Bergmanns fällt noch ein bis 1893 errichteter Neubau am westlichen Rand des Areals, der u. a. die Chirurgische Poliklinik aufnahm. Angesichts steigender Patientenzahlen bestand freilich weiterhin Platznot auf dem beengten Areal. Langenbeck wie auch Bergmann machten in den durch die Einführung von Anästhesie und Asepsis geprägten Jahrzehnten an ihrer Klinik jeweils »Schule« und schufen unter ihren Assistenten bewusst eine Stimmung »wetteifernden Lernens«: Zahlreiche chirurgische Lehrstuhlinhaber des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts bezeichneten sie als ihre Lehrer. Hier liegt einer der wesentlichen Unterschiede zur Charité, wo die 1816 etablierte II. Universitätschirurgie als »Ausbildungsklinik« eng mit der »medico-chirurgischen Militär-Akademie« verbunden war und als As8

Charite01_Traditionsbruch.indd 8

13.11.17 12:05


sistenten nur Militärärzte zuließ. Ein weiterer Unterschied ergibt sich aus der Klientel: Während in der Ziegelstraße zahlreiche Privatpatienten versorgt wurden, wurden in der Chirurgie der Charité, die Anfang der 1870er-Jahre bereits über 300 Betten verfügte, vornehmlich Patienten aus den unteren Berliner Schichten auf Kosten der städtischen Armendirektion behandelt. So ist es nicht verwunderlich, dass zeitgenössisch die I. Chirurgische Universitätsklinik (die »Langenbeck-Klinik«) im Vergleich zu der II. auf dem Charité-Gelände als die renommiertere galt.3 Als Gustav von Bergmann 1907 starb, wurde von Friedrich Althoff (1839–1908), Ministerialdirektor im Preußischen »Ministerium der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten«, der damals in Bonn lehrende August Bier als Nachfolger auf dem Lehrstuhl und Klinikdirektor in der Ziegelstraße durchgesetzt. Über Bier, der lediglich auf Platz 3 der Liste gestanden hatte, hieß es im Fakultätsgutachten: »Freilich werden viele von seinen originellen Auffassungen von kritischen Beurteilern noch nicht als genügend fundiert und manche als unzutreffend angesehen.«4 Trotz der hier aufscheinenden Vorbehalte konnte sich Bier in Berlin schnell durchsetzen. Als Professor und Direktor seiner Klinik, die er über die Zeit des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik hinweg leitete und prägte, wurde er zu einem anerkannten und populären Repräsentanten deutscher Chirurgie, der freilich u. a. durch sein Eintreten für Heilmethoden jenseits der Schulmedizin, durch seine philosophischen Neigungen und seinen Hang zu pointierten Formulierungen immer wieder auch im Zentrum lebhafter Auseinandersetzungen stand.

9

Charite01_Traditionsbruch.indd 9

13.11.17 12:05


Die SchlieSSung der Bier’schen Klinik

Angesichts der langen Geschichte der Chirurgie in der Ziegelstraße, ihres guten Rufes in der Bevölkerung und der Prominenz ihres Direktors stieß das ministerielle Vorhaben, die Klinik mit der Emeritierung Biers im Herbst 1931 zu schließen, vorhersehbar auf lebhaften Widerspruch. Die Klinische Wochenschrift dokumentierte, wie der 70-jährige Bier sich im Oktober d. J. gegenüber den »Wolffschen Telegraphenbüros« zu der »aufsehenerregenden Entscheidung der Regierung« einließ: »Ich fürchte, dass unsere Regierung (…) Gefahr läuft, sich eine Herostratos-Berühmtheit zu verschaffen,5 indem sie diese Klinik, die auf die größte und glorreichste Tradition zurückblicken kann, zerstört.«6 Starke Worte, die vielleicht mehr über Biers Selbsteinschätzung als chirurgisches »Weltwunder« aussagen, denn über die realistische Bewertung eines »steinernen Dokuments« baulicher Unterlassungssünden, als das seine Klinik inzwischen angesehen wurde.7 Angesichts der Wirtschaftskrise und ausbleibender politischer Unterstützung war der Klinikbetrieb jedenfalls nicht aufrechtzuerhalten. Nur eine Woche nach Bier schrieb der Dekan der Medizinischen Fakultät, Gustav von Bergmann (1878–1955), in der Wochenschrift, es sei die »wirtschaftliche Katastrophe« der Zeit, die einen kostspieligen Neubau (der Biers designiertem Nachfolger, Ferdinand Sauerbruch, bei seiner Berufung nach Berlin 1928 noch zugesagt worden war) unmöglich mache. Aber mehr noch: »Man entschloß sich von seiten der Regierung zu dem viel weittragenderen Schritt, auf nicht übersehbare Zeit die Klinik in der Ziegelstraße als chirurgische Klinik aufhören zu lassen, nur die Poliklinik dort (…) aufrechtzuerhalten.«8 Mit dieser Entscheidung wurde faktisch eines der beiden planmäßigen Ordinariate für Chirurgie an der Berliner Universität abgeschafft; eine »Nachfolge August Bier« war zunächst nicht vorgesehen. 10

Charite01_Traditionsbruch.indd 10

13.11.17 12:05


Der Widerstand gegen diese Pläne bewirkte letztlich nur einen zeitlichen Aufschub: Im März 1932 wurden die stationären Abteilungen der Klinik geschlossen und die meisten Mitarbeiter entlassen oder umgesetzt. Erhalten blieb allein die Poliklinik in der Ziegelsttraße, die organisatorisch an die II. Chirurgische Klinik in der Charité unter Sauer­bruch angebunden wurde.9 Ihre Leitung übernahm zunächst Biers vormaliger Oberarzt Arthur Israel (1883 –1969).10 Als »der Jude« Israel im Frühjahr 1933 genötigt wurde, die Leitung aufzugeben, wurde das poliklinische Institut von dem »Arier« und »Parteigenossen« Karl Vogeler (1889–1978) übernommen. Karl Vogeler habilitierte 1927. Im Dezember 1932 trat er der ­NSDAP und der SA (im Range eines Sanitäts-Sturmbannführers) bei. Im Rahmen einer Erhebung der NSD-Dozentenschaft gab er als »Allgemeine Interessen« »Rassenhygiene und vaterländische Geschichte« an. Am 15. Juli 1934 wechselte er als leitender Arzt an die Chirurgische Abteilung des Städtischen Krankenhauses Stettin.11

Mutmaßlich hatte Vogeler bereits mit dem Auftrag, die Wiedereröffnung der stationären Abteilungen vorzubereiten, die Position übernommen. Als er im Mai 1933 in der Ziegelstraße einen »Vortragsabend« zur Fortbildung praktischer Ärzte auf dem Gebiet der Unfallchirurgie veranstaltete, sprach er von einer »Übergangszeit«, nach der die »alte berühmte Stätte wieder ihrer überkommenen Aufgabe in Krankenbehandlung, Lehre und Forschung übergeben« werden würde.12 Die im Rahmen der Veranstaltung von Mitarbeitern der Klinik gehaltenen Vorträge wurden öffentlichkeitswirksam in der »Medizinischen Welt«, einer weit verbreiteten Wochenschrift für die medizinische Fort- und Weiterbildung, abgedruckt.13 Arthur Israel befand sich nicht mehr unter den Vortragenden. 11

Charite01_Traditionsbruch.indd 11

13.11.17 12:05


Arthur Israel

Arthur Israel, geboren in Berlin als Sohn des hoch angesehenen Urologen und leitenden Arztes am Berliner Jüdischen Krankenhaus James Israel (1848 –1926), war bereits seit 1910 bei August Bier tätig gewesen. 1917/18 leistete er als »landsturmpflichtiger Arzt« Dienst bei einer Minenwerferkompanie. 1923 habilitierte er, 1927 erfolgte die Ernennung zum a. o. Professor der Berliner Universität. Als Oberarzt vertrat er Bier auch in der Klinikleitung. Im Frühjahr 1933 wurde Israel genötigt,14 seiner akademischen Rechte zu entsagen und die Leitung der Poliklinik niederzulegen: »Wir (betroffen war auch der ›nicht-arische‹ Assistent Hans Mannheim,15 d. Verf.) wurden nach dem Braunen Haus in der Prinz-Albrechtstrasse gebracht und gezwungen,16 einen Verzicht auf unsere Stellung bzw. einen Antrag auf Beurlaubung zu unterschreiben. Nach 24 Stunden wurden wir wieder entlassen. Wir durften die Klinik nicht mehr betreten und die offizielle Kündigung erfolgte ein halbes Jahr später.«17 Israels damaliger Kollege Hermann Domrich (1901–1989), der als »Arier« über den Systemwechsel 1933 und bis über das Kriegsende hinweg an der Klinik verbleiben konnte, schrieb 1963: »Ich werde nie den Augenblick vergessen, in dem eine 23jährige Arbeit und verheißungsvolle Entwicklung brutal beendet wurde, als Professor Israel aus dem Vorraum des OperaHermann Domrich, Parteigenosse seit dem 1. Mai 1933, war ehrenamtlich als Leiter (Hauptarzt) der Gesundheitsstelle des Bannes 201 der Hitlerjugend tätig. Außerdem betätigte er sich »eifrig« als Obmann des NSD-Dozentenbundes in der Chirurgischen Klinik. Er wurde im Mai 1934 planmäßiger Assistent; 1941 Oberarzt. Seiner Ernennung zum apl. Professor stimmte die Dozentenschaft mit der Einschätzung zu: »In weltanschaulicher Hinsicht ist er einwandfrei.« Nach 1945 wurde er als ehemaliges NSDAP-Mitglied entlassen.20

12

Charite01_Traditionsbruch.indd 12

13.11.17 12:05


August Bier bei seiner Abschiedsvorlesung, 1932

tions- und Hörsaals mit Mannheim zusammen durch einen Parteifunktionär abgeholt wurde.«18 Domrich hatte sich 1933 offenbar einigermaßen »anständig« verhalten, denn Israel antwortete ihm im März 1948 aus den USA auf einen ersten Nachkriegsbrief: »Sie waren damals der Einzige, der mir gegenüber eine Anerkennung meines Wesens und Wirkens zum Ausdruck brachte und ich weiß noch, wie wohltuend ich diese Sympathie empfunden habe.«19 Als Israel nach seiner Vertreibung aus der Klinik im Frühjahr 1933 eine Anstellung an der Chirurgischen Abteilung des Israelitischen Krankenhaus in Hamburg anstrebte, gewann er seinen alten Chef noch einmal für ein Unterstützungsschreiben. Am 28. April schrieb Bier an Fritz Warburg (1879–1964), Vorsitzender des Kuratoriums der Krankenhaus-Stiftung: »Ich kann Herrn Professor Israel, abgesehen von seiner ärztlichen und chirurgischen Befähi13

Charite01_Traditionsbruch.indd 13

13.11.17 12:05


gung, auch in menschlicher Beziehung aufs wärmste empfehlen. Er ist ein hochanständiger und vornehmer Mensch.« Zu Beginn des Jahres 1934 erfolgte der Wechsel nach Hamburg, im Mai 1938 übernahm Israel dort auch das ärztliche Direktorat des gesamten Krankenhauses. Wenig später, im Sommer 1938, wurde ihm »gemäß § 2 der Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz« vom 25. Juli d. J. verboten, sich weiterhin »als Arzt« zu bezeichnen; auch war er nur mehr »zur ärztlichen Behandlung ausschließlich von Juden« berechtigt. Arthur Israel emigrierte mit Unterstützung des »Warburgs-Netzwerks« spät, im Jahr 1940, in die USA (New York),21 wo er – nach Absolvierung notwendiger Examina – in bescheidenem Umfang wieder als Chirurg tätig sein konnte. Während sein Bruder Wilhelm (1881–1959) ebenfalls die Emigration gelang (er arbeitete als Chirurg in London), starb seine Schwester Charlotte (1884 –1944) in Auschwitz. Sein Schwager, der Arzt Siegfried Levi (1877–1944), kam in Theresienstadt um, seine Schwester Else (1891–1974) verlor ihren Mann, den Arzt Arthur Block (1880 –1943), als er im Durchgangslager Mechelen in Belgien von der SS gehenkt wurde. Else Block wanderte nach 1945 mit dem Sohn Peter in die USA aus.22 Nach dem Krieg gratulierte Arthur Israel Anfang 1947 seinem Lehrer August Bier brieflich aus New York zu seinem 85. Geburtstag. In der Folge ergab sich der Briefwechsel mit Hermann Domrich, der ihm im Winter 1947/48 u. a. berichtete: »Ich selbst habe in der Klinik die ganze Zeit durchgehalten, was nicht immer ganz leicht war in der Bombenzeit und in der Zeit des Zusammenbruchs. Seit etwa Herbst 1944 habe ich die Klinik stellvertretend (für Paul Rostock [1892–1956], d. Verf.) geleitet, seit dem Zusammenbruch bin ich kommissarisch mit der Leitung beauftragt. Wir haben keinen Tag die Arbeit zu unterbrechen brauchen. (…) Die Universität untersteht mit allen ihren Instituten der russischen Besatzungsmacht. (…) Der Bau an und für sich ist natürlich auch nicht 14

Charite01_Traditionsbruch.indd 14

13.11.17 12:05


Arthur Israel. Ausweiskarte der Friedrich-Wilhelms-Universität, um 1925

neuer geworden. Da aber alle wesentlichen Räume (…) erhalten geblieben sind, so kann wohl von der Gesundheitsverwaltung auf den Wiederaufbau der Klinik bei dem herrschenden Bettenmangel nicht verzichtet werden. Durch den Abriss vieler zerstörter Häuser in der Umgebung der Klinik ist aber eine wahrscheinlich in 100 Jahren nicht wiederkehrende Gelegenheit gegeben, an Ort und Stelle die Klinik zu erweitern und auszubauen.«23 Und weiter unter Hinweis darauf, dass ihm als ehemaligem »Parteigenossen« inzwischen von der Sowjetischen Militäradministration gekündigt worden war: »Ich weiss nicht, ob Sie unter den gegebenen Zeitumständen überhaupt sich mit der Absicht tragen werden, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Falls ja, würde es vielleicht ein angenehmer Gedanke für Sie sein, an Ihre alte Wirkungsstätte zurückzukehren und die Zügel dort wieder aufzunehmen, wo Sie sie 1933 aus der Hand geben mussten. Auch würde die Bier’sche Schule über einen solchen Entschluss 15

Charite01_Traditionsbruch.indd 15

13.11.17 12:05


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.