DESIGNSCHAU! Das Magazin zur MCBW 2019

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einer heute nicht mehr vorstellbaren Fortschrittsgläubigkeit, von einem unerschütterlichen Glauben an das unendliche Wachstum und ganz besonders daran, dass die Technik alles lösen könnte. Schließlich war man ja 1969 auf dem Mond gelandet, hatte die Pille erfunden und den Farbfernseher. Aber dann kamen Zweifel: 1972 mit den Thesen des Club of Rome zu den „Grenzen des Wachstums“, die heute aktueller sind denn je. Oder mit den Grenzen der Weltraumfahrt bei der Beinahekatastrophe von Apollo 13. Oder dem Ölschock im Jahr 1973 und der darauf folgenden scharfen globalen Rezession, die schließlich die Wirtschaftswunderzeit beendete. Danach erfreuten sich Plastikmaterialien keiner großen Beliebtheit mehr, zumindest mussten sie dann lange braun, grau, beige – sprich: unauffällig – sein. Es folgte eine Art ästhetisches Rollback, zu dem grelle futuristische Visionen und spacige Bauten nicht mehr passten. Hinzu kam, dass die Terrassen(hoch)häuser nicht gut funktionierten. Die Konstruktionen waren anfällig für Wassereinbruch, und sich wandelnde Gewohnheiten zogen Leerstände und andere Probleme in den dunkleren Zonen der unteren Geschosse nach sich. Die dort teils vorgesehenen kleinen Läden wurden immer weniger rentabel. Dennoch haben ein paar Ideen überdauert. Der Architekt der Citta 2000 baute etwa in Hamburg-Altona mit dem 1973 eröffneten Frappant etwas Ähnliches im Großformat inklusive Sauna, Fitnessraum, Diskothek, Gastronomie, Boutiquen und 120 Wohnungen. Aber auch das größere Konzept trug

nicht lange. Der Betreiber ging 1998 in die Insolvenz. Trotzdem waren die Konzepte Citta 2000 oder Schwabylon so etwas wie die Vorläufer von Urban Entertainment Centern, in denen Unterhaltung, Freizeit und Erlebnis in Kombination mit Einzelhandel die Besucher umgarnen. Jede Zeit hat halt ihre eigenen Experimente. Die einen gehen schief, die anderen gelingen. So betrachtet, kann man sich in München darüber freuen, dass wenigstens noch ein paar gebaute Zeugnisse dieser fröhlich beschwingten Zeit da sind. Die wichtigen darunter muss man schützen.

Kliniken, Restaurants, Büros und Wohnen unter einem Dach: Das 1972 revolutionäre Arabellahaus wird 2026 abgerissen.

Mittlerweile denkmalgeschützt: das Sterne-Restaurant Tantris. Einstmals braun – heute edel schwarz.

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