Pierre-Laurent Aimard & Tamara Stefanovich

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Pierre-Laurent Aimard

& Tamara Stefanovich

Einführungstext von Wolfgang Stähr Program Note by Paul Griffiths

PIERRE-LAURENT AIMARD & TAMARA STEFANOVICH

Freitag 27. Januar 2023 19.30 Uhr

Pierre-Laurent Aimard Klavier

Tamara Stefanovich Klavier

Maurice Ravel (1875–1937)

aus Sites auriculaires für zwei Klaviere (1895–97)

II. Entre cloches

George Enescu (1881–1955)

aus Pièces impromptues für Klavier (Suite Nr. 3) op. 18 (1913–16)

VII. Carillon nocturne

Oliver Knussen (1952–2018)

Prayer Bell Sketch für Klavier op. 29 (1996)

Harrison

Birtwistle (1934–2022) Keyboard Engine für zwei Klaviere (2017–18) Pause

Olivier Messiaen (1908–1992)

Visions de l’Amen für zwei Klaviere (1943)

I. Amen de la création

II. Amen des étoiles, de la planète à l’anneau

III. Amen de l’agonie de Jésus

IV. Amen du désir

V. Amen des anges, des saints, du chant des oiseaux

VI. Amen du jugement

VII. Amen de la consommation

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Glockenspiel des Lichts

Von Natur aus künstlich

Sollte jemals ein Preis ausgelobt werden für den besten Titel einer Komposition: zu den klaren Favoriten zählten die Sites auriculaires von Maurice Ravel. Jede Übersetzung ins Deutsche kommt einer Entzauberung gleich, aber „Hör-Landschaften“ trifft es eindeutig am besten. Das französische Original ist vieldeutig und reich an physiologischen wie esoterischen Konnotationen. „Warum nannte M. Ravel diese kurzen Stücke bloß Sites auriculaires?“, wunderte sich der Kritiker des Mercure de France. Ein anderer fand diese Bezeichnung nachgerade „empörend“, durchaus im Sinne des Erfinders. „Scherz oder tiefere Bedeutung?“, fragte sich auch der Schriftsteller Léon Leclère. „Die Symbolisten, die Décadents und Possenreißer teilten sich den Applaus der wenigen hundert Leute, die vorgaben, Paris zu sein. Sie alle, Ravel eingeschlossen, hatten ihren Spaß daran, das Bürgertum vor den Kopf zu stoßen.“ Leclère wusste, wovon er sprach: Er kannte sich aus mit ominösen Namen, publizierte er doch selbst unter dem wagnerisierenden Pseudonym „Tristan Klingsor“.

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Landschaften für den Gehörsinn: Ravel plante die Sites auriculaires ursprünglich als Triptychon, das er allerdings nur zu zwei Dritteln ins Werk setzte. Von den drei Stücken ist das letzte bloß dem Namen nach bekannt: Nuit en gondole. Man denkt an Venedig, an Hoffmanns Erzählungen – oder womöglich an Liszts Trauergondel? Mit dem ersten Stück, der Habanera, huldigte Ravel nicht allein Spanien, dem „Land seiner Träume“, sondern insbesondere der französischen Musik „à l’espagnole“ in der Tradition von Bizet, Chabrier und Saint-Saëns. Das zweite ist keinem bestimmten Ort, keiner Region verschrieben, es schafft sich seinen eigenen tönenden Raum „zwischen den Glocken“ – Entre cloches. Markieren die Kirchtürme das Bild einer Stadt, ihre Ansicht, ihre Silhouette, so begründet das Läuten der Glocken die akustische Topographie, die unverwechselbare Klangsphäre der Straßen und Plätze, den Schall von nah und fern. Ohnehin sind Glocken für Komponist:innen ein Faszinosum, als ein Phänomen der Raummusik, aber auch weil ihr imaginärer „Schlagton“ erst vom Glockengießer fabriziert wird: ein schöpferischer Eingriff in die naturgegebene Obertonreihe. Ravel, der Sohn eines Schweizer Ingenieurs, kultivierte eine lebenslange Passion für die technischen, konstruktiven und mechanischen Tatsachen der Musik: Aus diesem Grund liebte er die Glocken ebenso wie die Uhren, Spieldosen oder Automaten. „Den Leuten kommt es wohl niemals in den Sinn, dass ich von Natur aus künstlich sein könnte“, bemerkte Ravel.

Entre cloches entstand 1897, im Jahr der Rückkehr Ravels ans Pariser Conservatoire, das er wenige Monate zuvor mit Schimpf und Schande hatte verlassen müssen. „Sie sind ein Verbrecher: Sie sollten der Klassenbeste sein – und sind der Letzte!“, hatte ihm sein Klavierprofessor im Zorn nachgerufen. Den Traum, als Virtuose im Rampenlicht zu stehen, sollte Ravel zwar niemals vollständig aufgeben, doch vorerst traf er sich, ganz ohne Lektionen und Ambitionen, tagtäglich mit dem gleichaltrigen spanischen Pianisten Ricardo Viñes zum vierhändigen Klavierspiel, um „neue Akkorde und neue Ideen“ auszuprobieren. Sie liebten die „wunderbare östliche Musik“ der Russen, lasen die verbotenen Verse aus Baudelaires Fleurs du mal und begeisterten sich für die abgründigen literarischen Fantasien Edgar Allan Poes. Dessen Gedicht The Bells könnte Ravel auch zu seinem Klavierstück „zwischen den Glocken“ inspiriert haben: „wie das Schlittenglöckchen schellt“, „wie das Hochzeitsläuten wellt“, „wie die Feuerglocke gellt“. Entre cloches beginnt mit frenetischem, festtäglichem Läuten, das bald jedoch den fragilen

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Tönen eines Glockenspiels weicht, aus denen sich melodische Fragmente wie zu einem Kinderlied ergeben. Mit den Sites auriculaires wagte Ravel am 5. März 1898 sein Debüt als Komponist. In einem Konzert der Société Nationale de Musique in der Pariser Salle Pleyel spielten Marthe Dron und Ricardo Viñes die Uraufführung, die jedoch zum Debakel geriet, weil sich die beiden in Ravels unleserlichem Manuskript nicht mehr zurechtfanden und seine „Glocken“ in abschreckender Kakophonie versenkten. Ein Trauma für den 23-jährigen Komponisten: Während er die Habanera später für Orchester fasste und in seine Rapsodie espagnole einbezog, blieb Entre cloches unveröffentlicht. Die Erstausgabe erschien postum zu Ravels 100. Geburtstag.

Geisterstimmen, Doppelgänger

Zur selben Zeit wie Ravel und in denselben Klassen für Kontrapunkt und Komposition studierte der sechs Jahre jüngere Rumäne George Enescu am Pariser Conservatoire, ein unglaublich vielseitig begabter Geiger, Pianist, Dirigent und Komponist, ein Mensch mit einem legendären musikalischen Gedächtnis, der sich in Frankreich „Georges Enesco“ schrieb und in der Pariser Rue de Clichy wohnte, sich im Sommer aber in das rumänische Sinaia zurückzog, in die „Hör-Landschaft“ der südlichen Karpaten. Dort schrieb er auch im Juli 1916 das Carillon nocturne für Klavier, eine der acht Pièces impromptues op. 18, deren Manuskripte in den Wirren des Ersten Weltkriegs verlorengingen, scheinbar unwiderruflich, jedoch nach Enescus Tod im Jahr 1955 wiedergefunden und als „Suite Nr. 3“ publiziert wurden. Den unverwechselbar metallischen und auratischen „Carillon-Effekt“ des Glockenspiels, bei dem jeder angeschlagene Ton wie von einem geisterhaften Doppelgänger verfolgt wird, erzielt Enescu auf dem Klavier, indem er die Hauptstimme mit einer zweiten, koloristischen im Abstand der großen Sexte koppelt und obendrein in der Notation mit Vergrößerungen und Verkleinerungen der Notenköpfe arbeitet, um die Melodie von ihrem Schatten zu unterscheiden. Durch diesen Kunstgriff klingt das Klavier so „falsch“ und rein verstimmt wie die Westminster Chimes in London. Enescu aber kannte diesen magischen Effekt einer melodischen Simultaneität oder eines mehrgleisigen Musizierens auch aus der rumänischen Volksmusik: eine Monodie, die ins Polytonale abdriftet, „von Natur aus künstlich“.

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Nachhall, Nachruf

In einem Garten wird die Natur zur Kunst und umgekehrt. „Ich liebe Gärten. Sie weisen niemanden ab“, bekannte der japanische Komponist Tōru Takemitsu. „Man kann zwanglos umhergehen, innehalten, um den Garten als Ganzes zu betrachten oder einen einzelnen Baum in den Blick zu nehmen, eine Pflanze, einen Felsen, den Sand. Und alles verwandelt sich, unaufhörlich.“ Auf einem langen Spaziergang durch den Londoner Regent’s Park erklärte Takemitsu einmal, dass er den Titel einer neuen Komposition immer schon lange im vorhinein festlege und gegenwärtig über ein Klavierstück mit dem Namen „Prayer Bell“ nachdenke, das er für Peter Serkin schreiben wolle: „Gebetsglocke“. Sein Gesprächspartner, der britische Komponist und Dirigent Oliver Knussen, war beeindruckt: „Ich sprach ihm meine Bewunderung aus für diesen herrlich evokativen Einfall und versuchte mir später auszumalen, was sich hinter diesem Titel verbergen könnte.“ Doch als Knussen Jahre später auf die immer noch ungeschriebene Musik zu sprechen kam, entgegnete ihm Takemitsu: „Prayer Bell ist vielleicht zu schwierig.“

Wie der zwanglose Weg durch einen Garten, die Suche nach einem verlorenen Klang, der Nachhall eines vergangenen Lebens: so tönt Prayer Bell Sketch, die „Gebetsglockenskizze“, die Knussen nach dem Tod Takemitsus im September 1996 in Tokio schrieb. Sich dessen bewusst, dass das Vorhaben tatsächlich „zu schwierig“ sei, versuchte er wohlweislich nur eine Skizze: „Erinnerungen und Umstellungen einiger weniger schlichter Glockenklänge, in denen, für mich, die Gedanken an einen lieben Freund und wunderbaren Komponisten mitschwingen“, erklärte Knussen. Die Töne seiner Gebetsglocke hallen lange noch nach in der Stille, die er hinterließ, als er im Sommer 2018 viel zu früh verstarb.

Maschinenzeit

„Wie die Stundenglocke schallt – eisern schallt! Welche Welt von Ernst in ihrer Monodie sich ballt!“ Mit dieser Beschwörung kündigt Edgar Allan Poe die letzte Glocke im Zyklus The Bells an. Vor bald einem Jahr schlug sie auch für Sir Harrison Birtwistle, dessen Musik niemals veraltete, sondern ungeheuerlich und extrem blieb bis zum Schluss: eine radikale Kunst. Zu seinem frappierenden

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Spätwerk gehört Keyboard Engine für zwei Klaviere, das Tamara Stefanovich und Pierre-Laurent Aimard im Juni 2018 beim englischen Aldeburgh Festival uraufführten (dessen künstlerischer Leiter viele Jahre lang der Messiaen-Schüler Oliver Knussen war). Und als sei der wiederum preisverdächtige Werktitel nicht Warnung genug, bezeichnete Birtwistle sein etwa halbstündiges Stück auch noch als „a construction for two pianos“.

Das Klavier als Motor und Maschine, die Komposition als gläserne Fabrik und funktionslos durchkonstruierte Form: diese Erwartungen werden von Birtwistles Keyboard Engine zugleich erfüllt und durchkreuzt. Hier läuft nichts rund, hier geht nichts glatt: Dieses überdrehte, sperrig widerhakende Uhrwerk rast beständig in den Stillstand. Der Apparat rockt und stockt, feuert unkalkulierbar seine knallenden Sforzati und klirrenden Akkorde in den Raum oder tobt sich aus wie Ragtime auf einem wildgewordenen Walzenklavier. Andererseits werden die Stimmen ausgedünnt und aufgelichtet, zu isolierten Punkten in einem ausgesparten Satz; oder sie wechseln sich ab, streng komplementär, wie im kunstvollen Gewebe des mittelalterlichen Hoquetus. Und immer wieder sinken sie in melodischen Bögen in die Tiefe – lyrische Oasen in der wüsten Maschinenwelt. Mittendrin aber stoppt und schweigt die Musik. „Keep silence“ steht über dem leeren Takt und unter den Noten: „quoted from Tōru Takemitsu’s November Steps“. Scherz oder tiefere Bedeutung?

Das Licht des Lebens

Nach dem Ende seiner Kriegsgefangenschaft kehrte der französische Komponist und Organist Olivier Messiaen in das von den Deutschen besetzte Paris zurück, an einen Ort der Gewalt, der Schikanen, der Razzien und der Deportationen. 1942 nahm er einen Kompositionsauftrag an, der ihn zu einem Werk ermutigte, dessen Umfang und Anspruch quer zur vertrauten Konzertpraxis standen. Der Komponist wusste es nur zu gut: „Das Werk hat beträchtliche Ausmaße: Es dauert 40, fast 45 Minuten! Es ist in einem sehr eigenwilligen Stil gehalten und sollte deshalb im Zentrum des Konzerts stehen. Es wäre unmöglich, damit zu beginnen.“ Obendrein wählte Messiaen als „Programm“ seiner für zwei Klaviere bestimmten Partitur eine Abfolge von theologischen Betrachtungen über das Amen, sieben an der Zahl: wie die sieben Schöpfungstage, die sieben Sakramente oder die sieben Gaben des Heiligen Geistes.

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Die Visions de l’Amen feiern das Amen als Beglaubigung der göttlichen Kreation: „Amen, so sei es!“ Davon kündet sogleich das mystische, den Anfang aller Anfänge symbolisierende Stück mit dem aus der Tiefe aufsteigenden „thème cyclique“ im zweiten Klavier, dem „Thema der Schöpfung“, das dem gesamten Werk zugrunde liegt. Die Sterne, die Sonnen, die Planeten stimmen in der folgenden Vision in das große Schöpferlob ein, in einem wilden, entfesselten Tanz: „Gott ruft sie, und sie antworten: Amen, hier sind wir.“ Das „Amen der Agonie Jesu“ bezeichnet die Antiklimax der Schöpfung, den „Fluch des Vaters über die Sünden der Welt“, wie Messiaen streng katholisch darlegt, aber auch das Einverständnis in die Passion, das Leiden und den Tod. Jesus in der Einsamkeit des Gartens Gethsemane: „Mein Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst!“

In der vierten Vision vertieft sich Messiaen in zwei Daseinsformen der Sehnsucht, übersetzt in zwei stark kontrastierende Themen: „Das erste langsam, ekstatisch und von tiefer Zärtlichkeit geprägt –schon der friedvolle Duft des Paradieses. Das zweite sehr viel ungestümer – die Seele ist von einer schrecklichen Liebe erfüllt, die sich bis an den Rand eines Paroxysmus steigert.“ Im „Amen der Engel, der Heiligen, der Vogelstimmen“ ertönen die „jubelnden Vokalisen“, mit denen die Schöpfung ihren Schöpfer verherrlicht: „Einige der besten Sänger: Amsel, Fink und Mönchsgrasmücke werden hier stilisiert, idealisiert und mit den tausend Stimmen der Natur zu einem ausgelassenen Ganzen verschmolzen“, erklärt Messiaen. Das „Amen des Jüngsten Gerichts“ ist dagegen kurz, aber nicht schmerzlos gehalten: ein äußerst schroffes Stück, eine endzeitliche Absage an die Verdammten, von drei „eisigen“ Glockenschlägen wieder und wieder eingehämmert. Doch in der siebten und letzten Vision, dem „Amen der Erfüllung“, sucht Messiaen mit einem „Glockenspiel des Lichts“ nach dem Jenseits seiner christlichen Verheißung, dem Paradies. Das „Thema der Schöpfung“ verwandelt sich in einen monumentalen Gloria-Choral, während das erste Klavier kristalline Töne von Saphir, Smaragd, Topas, Hyazinth, Amethyst und Sarder erschimmern lässt, „das Licht des Lebens“.

Die letzte Stufe, den überirdischen Glanz erreicht die Musik nach Messiaens Überzeugung in dieser metaphysischen Wechselwirkung von „Klangfarbe und Geblendetsein“, in einer Regenbogen- und Kirchenfenstermusik, die mit tausend schillernden und leuchtenden Tönen unsere Sinne überflutet: „Wir verstehen nicht, wir sind geblendet. ‚Gott blendet uns durch ein Übermaß an Wahr-

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heit‘, sagt Thomas von Aquin.“ Und diese ekstatische Erfahrung des „Geblendetseins“ verlangte Messiaen auch von der wahren, der höchsten Sakralmusik, die eine Musik des unfassbaren Klangfarbenreichtums sein müsse, ein Abglanz der himmlischen Stadt, des neuen Jerusalem, das durchstrahlt wird von einem Licht wie Kristall und Edelstein und umgeben ist von einer Mauer, die in allen Regenbogenfarben schimmert.

Messiaen schrieb die Visions für zwei Klaviere, vor allem aber schrieb er sie für sich und seine Schülerin Yvonne Loriod, die viele Jahre später seine Frau werden sollte. Einstweilen war es noch eine „amour impossible“, da Messiaen weder nach seinem Gewissen noch nach den Gesetzen seiner Kirche eine zweite Ehe schließen konnte, solange seine erste Frau lebte, die unheilbar kranke Geigerin Claire Delbos. Für Loriod, die große Liebe seines Lebens, war die erste Partie, für den Komponisten die zweite bestimmt: „Ich habe dem ersten Klavier die rhythmischen Schwierigkeiten, die Akkordcluster, alles, was Schnelligkeit, Charme und Klangqualität erfordert, anvertraut. Dem zweiten Klavier überließ ich die Hauptmelodie, die thematischen Elemente, alles, was nach Emotion und Kraft verlangt.“ Am 10. Mai 1943 spielten Loriod und Messiaen die Uraufführung der Visions im besetzten Paris, doch nicht in einer Kirche, sondern in der mondänen Galerie Charpentier, vor einem illustren Publikum, in dessen Reihen Jean Cocteau, Paul Valéry, Arthur Honegger, Francis Poulenc und Christian Dior saßen: Repräsentanten der französischen Kultur, des humanen Widerstands und der irdischen Paradiese der schönen Künste.

Wolfgang Stähr, geboren 1964 in Berlin, schreibt über Musik und Literatur; er verfasste Buchbeiträge zur Bach- und Beethoven-Rezeption sowie über Haydn, Schubert, Bruckner und Mahler und publizierte Essays und Werkkommentare für die Festspiele in Salzburg, Grafenegg, Luzern, Würzburg und Dresden, Orchester wie die Berliner und die Münchner Philharmoniker, für Rundfunkanstalten, Schallplattengesellschaften, Konzert- und Opernhäuser.

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Colors of the Piano

Bells and an Engine

The opening bells—celebratory bells? alarm bells?—of tonight’s program are those of Maurice Ravel’s Entre cloches (Between Bells), which he composed in 1897 and added to his Habanera of two years before to make a short suite of Sites auriculaires: places you can only get to by ear. The Spanish one soon found another home in his orchestral Rapsodie espagnole, leaving the two-minute Entre cloches lost until the two pieces were published in the composer’s centenary year. An ostinato in open fifths from the first piano is complicated by the second. A middle section emerges, turning from pure diatonic folk song into something more like the café entertainment of the period, but with faint echoes of the bells still. Then they are back in force.

George Enescu’s bells come from the seventh and last movement of his Third Suite for piano, composed in 1913–6 (and originally titled Pièces impromptues) but again published only posthumously. Ostinato is again prominent, it being in the nature of bells to sound in regular patterns. Enescu strives to capture the non-tempered

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resonances of struck metal by jutting abrasive sevenths and ninths into the harmony. As they rotate on, the bells drift off from fixed meter, the music becoming unbarred. Eventually midnight strikes, and the bells go to sleep.

Oliver Knussen’s singular bell began chiming in his mind when he and Tōru Takemitsu were talking about pieces they were going to write for the American pianist Peter Serkin. Takemitsu disclosed that his title would be “Prayer Bell.” Knussen expressed approval and tried to imagine what such an image might draw from his senior colleague. Some years later he asked how the piece had turned out. “‘Prayer Bell’ may be too difficult,” was the answer. “Following his death in 1996,” Knussen goes on, “I spent much time trying to imagine a Prayer Bell in memory of Tōru, and came to the conclusion that he was probably right—so what eventually emerged during three days in Tokyo in September 1997 is a Prayer Bell Sketch, recollections and rearrangements of a few simple bell sounds which, to me, resonate with memories of a dear friend and wonderful composer.”

Harrison Birtwistle, still with us when this concert was being planned, was also a composer who listened to bells, as well as one who created engines—systems of cogwheels and axles and pulleys and gears all made of sound. Keyboard Engine was, we now have to say, among his last, a mighty thing he created in 2017–8 for the two pianists who play it tonight.

Birtwistle described the fifteen-minute work as “a construction for two pianos,” something mechanical and assembled that can rear up with a life of its own as repetition gets out of joint while acquiring ferocious energy in doing so. Pulse is crucial, of course, to an engine made of sound, but pulse that can be lopsided, pulled in two directions at once (or more), colliding with other pulses. As usual with Birtwistle, the music is thrown through a single movement of diverse impulses that take over for a while before winding down, coming to a standstill, or changing into something else. Speeds are generally fast, the two pianos meshing together or on separate courses. There is the sense, the composer suggested, of a machine that is in hectic activity but stationary. We are not being taken anywhere; we are observing wild action. But there are moments when this wild action, this constructed whirlwind, is interrupted by gentle contrapuntal song. There are moments, too, where the two pianos slip out of gear, about a third of the way through and then precipitating the close.

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Visions of Amen

After writing his Quatuor pour la fin du temps as a prisoner of war in the winter of 1940–1, Olivier Messiaen returned to Paris and took up his teaching career at the Paris Conservatoire. Creativity, however, did not come back to him so immediately in the occupied city, and for two years he achieved rather little. Then there arrived in his classroom a young woman who was to be his muse for the rest of his life, and his wife for a large part of it: Yvonne Loriod. Astonished by her virtuosity at the piano, and in particular by her exact command of color and rhythm, he very soon set about writing a work that could enable the two of them as pianists to share the concert platform. He would take the secondo part, entrusting himself with, as he put it in his preface to the score, “the principal melody, the thematic elements, everything demanding emotion and power,” while to Loriod he gave “the rhythmic difficulties, the bunches of chords, everything concerned with speed, allure and quality of sound.”

This conception of Visions de l’Amen entailed a stratification of the two instruments, with the second piano generally slower and lower, the first faster and more brilliant. Perhaps thereby there sounded in Messiaen’s mind an echo of Indonesian gamelans, metal percussion orchestras in which larger gongs go at a slow tempo while increasingly higher-pitched instruments play at increasing levels of speed. Hence also, perhaps, the pentatonic character the music often has, sometimes directly evoking the scales of Indonesian music. French musical ethnography was well developed by this time, and Messiaen would have had access to recordings from around the world at the Musée de l’Homme. Gamelan music certainly appealed to him for its chiming resonances and for its rhythm of pulses in irregular groupings; there was also the point that here instrumental music had not abandoned its claim of contact with the divine.

Thus world-ranging, the work Messiaen produced for Loriod and himself—very quickly, in the first three months of 1943—was at the same time local to French Catholicism. Again in his preface Messiaen acknowledged that he based the work on four meanings of the word “Amen” as described by the 19th-century French devotional writer Ernest Hello: the Amen uttered by the Creator in creating, the Amen of obedience to the divine will, the Amen of longing for union with God, and the Amen of the eternal consum-

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mation of everything in Paradise. These meanings can be associated in turn with the first, third, fourth, and last movements, to which Messiaen adds three more, so that the whole sequence embodies the sacred number seven. The larger sense of “Amen” as a gesture of assent can be felt throughout the work, since the most obvious musical image of assent is the cadence, and the entire cycle is founded on a “theme of Creation” that is an enlargement of a pentatonic cadence. This theme’s first phrase cadences harmonically through a tritone, from E flat to the A major that is the work’s home key—the key, for Messiaen, of joy and luminous blue.

In the first movement, “Amen of Creation,” the second piano sounds out the theme of Creation in a low register and repeats it ever higher, while the first adds two layers of chiming in rhythmic patterns that repeat and reverse themselves, unpredictably. Rising and becoming ever louder, the whole piece is one long affirmation. There follows the “Amen of the Stars, of the Ringed Planet,” in which the planets dance at the hands of the second pianist. (Such explications come once more from the composer’s preface.) There are three developments, then a varied repeat.

“Amen of the Agony of Jesus” proceeds through a form Messiaen often used, based on the choral odes of Greek tragedy, with a strophe, an antistrophe that is effectively a variation of the strophe, and a concluding but not directly related epode. The strophe, intended to suggest Jesus alone on the Mount of Olives, has three musical motifs: the Father’s curse on sin, a cry, and a short melody of lament. The antistrophe develops these ideas and adds low rhythmic ostinatos suggesting the sounds of gongs and tam tams. After the epode has recalled the theme of Creation, a long silence, broken by pulsations, evokes Jesus’s anguish.

The subject of the fourth movement, desire, consists of two themes, the first slow, ecstatic, the second much more vehement. In the coda they intermingle. More complex in form, “Amen of the Angels, of the Saints, of Bird Song” has the angels and saints singing with great purity, to be followed by a middle section based on bird songs and requiring greater brilliance. In returning, the song of the angels and saints is varied and laid out in canon on three levels. The brief coda again evokes the bird songs Messiaen adored, as natural music, divine music. The following “Amen of Judgement” comprises, Messiaen says, three “frozen notes, like the bell of evidence.”

The final “Amen of Consummation” has the second piano taking up the theme of Creation and extending it into a long chorale of

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glory. Meanwhile, the first piano—and here Messiaen’s words demand to be quoted in full—“at both extremes of the keyboard together creates a ceaseless carillon of chords and brilliant, scintillating rhythms, in increasingly crowded rhythmic canons: sapphire, emerald, topaz, jacinth, amethyst, sardonyx, the whole rainbow of precious stones mentioned in the Apocalypse, sounding, jarring, dancing, coloring, and perfuming the light of eternal life.”

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Paul Griffiths has been writing on music for more than 50 years. He also writes novels, including most recently Mr. Beethoven (2020) and The Tomb Guardians (2021).
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Pierre-Laurent Aimard

Geboren 1957 in Lyon, studierte PierreLaurent Aimard am Konservatorium in Paris bei Yvonne Loriod und in London bei Maria Curcio. Zu den frühen Höhepunkten seiner Karriere zählten der Gewinn des Ersten Preises beim Messiaen Wettbewerb 1973 und drei Jahre später seine Ernennung zum ersten Solopianisten des Ensemble intercontemporain durch Pierre Boulez. Heute zählt er zu den zentralen Figuren der Musik unserer Zeit und gilt als herausragender Interpret des Klavierrepertoires aller Epochen. Er arbeitete eng mit vielen zeitgenössischen Komponisten zusammen, darunter György Kurtág, Sir George Benjamin, Karl-

heinz Stockhausen, Elliott Carter und Boulez, und tritt weltweit mit führenden Orchestern und Dirigenten wie Esa-Pekka Salonen, Peter Eötvös, Sir Simon Rattle und Vladimir Jurowski auf. Für verschiedene Institutionen kuratierte er eigene Konzertreihen, darunter die Carnegie Hall und das Lincoln Center in New York, das Wiener Konzerthaus, die Philharmonie Berlin, die Alte Oper in Frankfurt, das Lucerne Festival, das Mozarteum Salzburg, die Cité de la Musique in Paris, das Tanglewood Festival und das Southbank Centre in London. Von 2009 bis 2016 war er künstlerischer Leiter des Aldeburgh Festival. Pierre-

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Laurent Aimard ist Professor an der Musikhochschule in Köln und übernahm 2020 die Leitung des Fachbereichs Neue Musik an der Escuela superior de música Reina Sofía in Madrid.

Born in Lyon in 1957, Pierre-Laurent Aimard studied at the Paris Conservatoire with Yvonne Loriod and in London with Maria Curcio. Early career highlights included his first-prize win at the 1973 Messiaen Competition and being appointed by Pierre Boulez as the Ensemble intercontemporain’s solo pianist three years later. Today he is among the most acclaimed artist in contemporary music and considered an outstanding performer of the piano repertoire of all eras. He has worked closely with many composers, including György Kurtág, George Benjamin,

Karlheinz Stockhausen, Elliott Carter, and Boulez, and appears around the world with leading orchestras and conductors such as Esa-Pekka Salonen, Peter Eötvös, Sir Simon Rattle, and Vladimir Jurowski. He has curated his own concert series for a number of institutions, including Carnegie Hall and Lincoln Center in New York, the Vienna Konzerthaus, Berlin Philharmonie, Alte Oper in Frankfurt, Lucerne Festival, Salzburg’s Mozarteum, Paris’s Cité de la Musique, Tanglewood Festival, and Southbank Centre in London. From 2009 to 2016, he served as artistic director of the Aldeburgh Festival. Pierre-Laurent Aimard is a professor at the Cologne Musikhochschule and in 2020 was named head of the New Music department at the Escuela superior de música Reina Sofía in Madrid.

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Tamara Stefanovich

Tamara Stefanovich absolvierte ihre Ausbildung in Belgrad, am Curtis Institute of Music in Philadelphia und an der Musikhochschule in Köln. Als Solistin ist sie bei den wichtigsten Orchestern zu Gast, darunter das Cleveland Orchestra, das Chicago Symphony Orchestra, das London Symphony und London Philharmonic

Orchestra, das Chamber Orchestra of Europe und das Mahler Chamber Orchestra. Konzerte führten sie u.a. in die Suntory Hall in Tokio, die Royal Albert Hall und die Wigmore Hall in London, die Berliner Philharmonie sowie zu den Salzburger Festspielen, zum Beethovenfest Bonn und zu den BBC Proms. Eine enge Zusammenarbeit verbindet sie mit Komponisten

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wie Sir George Benjamin, György Kurtág und Hans Abrahamsen. Im Klavierduo mit Pierre-Laurent Aimard feiert sie seit vielen Jahren internationale Erfolge. Ihre gemeinsame Einspielung von Bartóks

Konzert für zwei Klaviere, Schlagzeug und Orchester unter der Leitung von Pierre Boulez war für einem Grammy nominiert. Zuletzt erschien im September 2022 eine Aufnahme von Messiaens Visions de l’Amen. Zu Tamara Stefanovichs

Kammermusikpartnern zählen außerdem Matthias Goerne und ihr eigenes Improvisationsensemble SDLW, mit dem sie u.a. in Köln, Berlin, Hamburg und bei den Klangspuren Schwaz gastierte. Zu den Höhepunkten der aktuellen Saison zählen u.a. Auftritte im Muziekgebouw Amsterdam, der Elbphilharmonie Hamburg und bei den Schwetzinger SWR Festspielen.

Tamara Stefanovich studied piano in Belgrade, at the Curtis Institute of Music in Philadelphia, and at the Cologne Musikhochschule. As a soloist, she has appeared with major orchestras worldwide, including the Cleveland Orchestra, Chicago Symphony Orchestra, London Symphony and London Philharmonic Orchestra, Chamber Orchestra of Europe and Mahler Chamber Orchestra. Concerts have taken her to Tokyo’s Suntory Hall, the Royal Albert Hall and Wigmore Hall in London, the Berlin Philharmonie, as well as to the Salzburg Festival, Beethovenfest Bonn,

and the BBC Proms, among others. She maintains close artistic partnerships with composers such as Sir George Benjamin, György Kurtág, and Hans Abrahamsen and has performed as a duo with Pierre-Laurent Aimard for many years. Their recording of Bartók’s Concerto for Two Pianos, Percussion, and Orchestra conducted by Pierre Boulez was nominated for a Grammy Award. Most recently, the duo released a recording of Messiaen’s Visions de l’Amen. Tamara Stefanovich’s chamber music partners also include baritone Matthias Goerne and her own improvisation ensemble SDLW, with which she has performed in Cologne, Berlin, Hamburg, and at the Klangspuren Schwaz festival. Highlights of the current season include appearances at the Muziekgebouw Amsterdam, Hamburg’s Elbphilharmonie, and the Schwetzingen SWR Festival.

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Impressum

Herausgeber Pierre Boulez Saal

Präsident Daniel Barenboim Intendant Ole Bækhøj

Redaktion Philipp Brieler, Christoph Schaller Gestaltung Annette Sonnewend Marketing Kurt Danner

Textnachweise

Die Werkeinführungen von Wolfgang Stähr und Paul Griffiths sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.

Abbildungsnachweise

Gemälde von Lyonel Feininger © VG Bild-Kunst, Bonn 2022 (S. 4, 14, 21) • Michael Stegemann, Maurice Ravel, Reinbek bei Hamburg 1996 (S. 6) • Mark Allen / BBC (S. 9) • Lebrecht Collection, repr. in Michael Hall, Harrison Birtwistle in Recent Years, Robson Books, London 1998 (S. 10) • Noel Malcolm, George Enescu. His Life and Music, 1990 (S. 16) • Peter Hill und Nigel Simeone, Messiaen, Mainz 2007 (S. 19) • Julia Wesely (S. 22) • Marco Borggreve (S. 24)

Im Fall bestehender und nicht berücksichtigter Urheberrechte bitten wir den oder die Rechteinhaber um Nachricht.

Herstellung Druckhaus Sportflieger, Berlin

Programmheft Nr. 28 der Saison 2022/23 Redaktionsschluss: 19. Januar 2023

Verantwortlich für dieses Konzert Künstlerische Planung und Produktion Kirsten Dawes Projektmanagement Arianna de la Cruz Lara Veranstaltungstechnik Oliver Klühs Produktion und Inspizienz backlight! GmbH

Pierre Boulez Saal

Barenboim-Said Akademie gGmbH

Rektorin Regula Rapp Geschäftsführer Carsten Siebert Französische Straße 33d 10117 Berlin

Demnächst im Pierre Boulez Saal So 29. Januar 16.00 YAMEN SAADI & JULIEN QUENTIN Werke von Ysaÿe, Messiaen, Berio und Strauss Mi 1. Februar 19.30 KIRILL GERSTEIN Werke von Strawinsky, Schubert, Ligeti und Liszt Fr 3. Februar 19.30 VINCENT COURTOIS Featuring Daniel Erdmann, Robin Fincker, Colin Vallon und Éric-Maria Couturier So 5. Februar 18.00 NACHT DES SCHLAGZEUGS Werke von George Crumb, Alejandro Viñao, Alyssa Weinberg, Gene Koshinski u.a. Informationen & Tickets boulezsaal.de +49 30 4799 7411
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