Balancer N3. 86, 1/2023

Page 1

THEMA

Frieden schaffen –Wie geht das?

WOHNEN

Mittendrin.Sein. Können

INTERBALANCE

„Ich begleite die Lösung des Streits“, Roland Übelbacher, Peer-Streitschlichter

Zeitschrift von BALANCE Verein BALANCE – Leben ohne Barrieren, Ausgabe Nr. 86. 1/2023, Jahrgang 25

Editorial

Es sind bewegte Zeiten, auch bei BALANCE. Gerade sind wir dabei, den Umzug der Zentrale und der Tagesstruktur ELF zu bewältigen, unzählige Dinge mussten bewegt, in Kisten gepackt, ein- und wieder ausgepackt werden, vieles musste ausgemistet werden. So manche liebgewonnene Pflanze oder auch Möbelstücke mussten zurückgelassen werden sowie auch der alte Standort in der Hochheimgasse.

Im nächsten Balancer sind wir dann bereits am funkelnagelneuen Standort angekommen und werden berichten, wie wir uns dort eingelebt haben! Wir bitten um Verständnis und Entschuldigung, dass diese Ausgabe so spät bei Ihnen ankommt, das liegt vor allem daran, dass wir den Versand vor der Übersiedlung nicht mehr am alten Standort erledigen konnten.

Abschied genommen vom Standort Hochheimgasse haben wir bei einer netten kleinen Zusammenkunft am 24. November. Mit gemeinsamem Essen, Plaudern, Flohmarkt, dazu ein Festakt mit Reden, Blumen und einem Geschenk für jede:n, denn auch ein Jubiläum wollte gewürdigt werden, nämlich das 45-jährige Bestehen von BALANCE. (Seite 10)

Abschied nehmen würden wir auch gerne von den Kriegen und Konflikten dieser Welt, daher ist diese Ausgabe ganz der Frage gewidmet: Wie kann es gelingen, Frieden zu schaffen und Konflikte zu lösen bzw. was kann man tun, damit diese erst gar nicht entstehen? Wir haben uns umgesehen und viele Ideen und Antworten dazu gefunden, im Kleinen wie im Großen.

Lesen Sie über Deeskalation durch Langsamkeit, das Stufenmodell des Konfliktforschers Friedrich Glasl, die Friedenswoche in Gars am Kamp, über das Theater der Unterdrückten und über die große Friedensaktivistin Bertha von Suttner und ihre Ideen!

Die Redaktion wünscht schöne Lesestunden und ein friedliches Jahr 2023!

Inhalt

Vorgestellt

03 Anna Lakits

BALANCE Intern

04 MUV – Auf gute Nachbarschaft!

BALANCE Kunst

06 Kunst im Friseursalon

BALANCE Pinnwand

08 Göttinnen und Götter des Friedens

09 Fix und fertig!

Freundschaft geht durch den Garten

Nachruf Dipl.Vw. Herbert Kopper

10 Cartoon von Christian Zuckerstätter

Das war Servus & Baba und 45 Jahre

BALANCE!

Thema: Frieden Schaffen

11 Give peace a chance!

Interbalance

13 Ich begleite die Lösung des Streits

BALANCE Kunst

16 Friedrich Ettenauer

„Drei Boote ober dem Wasser“

Thema: Frieden Schaffen

18 Frieden schaffen – wie geht das?

21 Deeskalation durch Langsamkeit

timeout – Auszeit mit Chris

23 Krieg … das war mal, oder??

Tanzfestival

24 nichts ist, wie es ist

Unterstütztes Wohnen

26 Mittendrin.Sein.Können.

Mode ohne Barrieren

28 MOB – das andere Modelabel

Unser Cover

Das Cover dieser Ausgabe ist das Wandbild „Cosimo“ und wurde im Frühjahr 2022 im Atelier Maria Ponsee von der Künstlerin Barbara Plak gemaltes zeigt einen männlichen Androiden, der als Beschützer für ihre restlichen Roboter-Figuren im kleinen Atelierraum entstanden ist. Einige Zeit später entstand auch ein weiblicher Android an der gegenüberliegenden Wand.

Barbara Plak hat das Malen großen Spass bereitet, auch wenn es ungewohnt war im Stehen an der Wand zu arbeiten. Bevor sie das Wandbild mit Acryl gemalt hat, hat sie sich noch die Arbeit gemacht und den kleinen Atelierraum frisch ausgemalt.

Barbara Plak arbeite seit 2010 im bildBalance Atelier Maria Ponsee.

BALANCER 86, 1/2023
Foto: © A. Berger
Pro & Contra
30 Online streiten
2 EDITORIAL
31 Impressum

Vorgestellt

Anna Lakits, BA

Teamkoordinatorin

Wohngemeinschaft Goldschlag

26 Jahre alt, hat am FH Campus Wien studiert – Sozialarbeiterin/pädagogin, seit September 2020 bei BALANCE Leben ohne Barrieren GmbH und seit April 2022 als administrative Teamkoordinatorin in der Wohngemeinschaft Goldschlag

Hobbys: backen, kochen, lesen, mit meiner Familie und meinen Freund:innen Zeit verbringen, Zeit draußen verbringen.

Ein guter Tag bei BALANCE beginnt mit einem lauten „Hallo“ beim Betreten der Wohngemeinschaft.

Zufrieden bin ich nach einem Arbeitstag in der WG Goldschlag, wenn ich meine To-do-Liste abgearbeitet habe und die Bewohner:innen einen Schritt weitergekommen sind.

Meine Aufgabe als Teamkoordinatorin ist … genau das Richtige für mich.

Das Team der Wohngemeinschaft Goldschlag ist besonders, weil wir aufeinander schauen und miteinander lachen können.

Das Miteinander der Bewohner:innen funktioniert am besten, wenn gemeinsam etwas unternommen wird.

Frieden schaffen kann ich am besten, wenn ich selber ruhig bleibe.

Seit der Covid-19-Krise habe ich gelernt, dass wir nicht alleine mit unseren Problemen sind.

Wenn wir Betreuuer:innen mit den Bewohner:innen gemeinsam lachen, dann weiß ich, warum ich mir einen Beruf mit Menschen ausgesucht habe.

Wäre mein Leben ein Buch, würde es folgenden Titel tragen: „Ehrlich bäckt am Längsten“

Was mir noch wichtig ist: Ein Spruch, der mich durch die Corona-Krise begleitet hat: „Hinfallen, aufstehen, Krone richten und weitergehen“.

BALANCER 86, 1/2023 3 Foto: © Anna Lakits privat VORGESTELLT

MUV –Auf gute Nachbarschaft!

MUV – Die Mobile Unterstützungs-Vermittlung will vernetzen und vermitteln und ist ein neues Projekt des Vereins BALANCE – Leben ohne Barrieren, unabhängig von den Geschäftsbetrieben der BALANCE Leben ohne Barrieren GmbH.

Worum geht es da genau?

Von Brigitte Balic und Robert Schöne

Brigitte Balic: ich bin Mitglied der Planungsgruppe

MUV und Vorstandsmitglied beim Verein BALANCE

Leben ohne Barrieren

MUV ist ein Projekt des Vereins BALANCE und damit unabhängig von den Geschäftsbetrieben der BALANCE GmbH. Das Projekt MUV befindet sich aktuell in der Planungsphase und soll im Frühjahr 2023 in der Wohnhausanlage Käthe-DorschGasse 15 und 17 starten, wo auch Bewohner:innen mit Behinderungen, die von BALANCE unterstützt werden, im Frühjahr 2023 einziehen werden. In der neu gebauten Wohnhausanlage befinden sich insgesamt in etwa 500 Wohnungen.

Die Grundidee

MUV will eine Anlaufstelle für die Bewohner:innen der Wohnhausanlage Käthe-Dorsch-Gasse 15 und 17 sein. Bei Problemen und Anliegen aller Art kann MUV vermitteln und auf kurzem Weg, unbürokratisch und kostenlos eine Lösung finden. Dazu stellen die Mitarbeiter:innen von MUV zwischen den Bewohner:innen, die Hilfe suchen und denen, die Hilfe anbieten, einen Kontakt her. Das kann zwischen einzelnen Personen sein oder auch als ein Unterstützer:innenkreis. Außerdem soll es einen Pool von Kontakten zu professionellen Organisationen geben, auf die bei Problemen, die nicht nachbarschaftlich gelöst werden können, zurückgegriffen werden kann. Fünf bis zehn ehrenamtliche Mitarbeiter:innen sollen als Ansprechpersonen für die Bewohner:innen der Wohnhausanlage zur Verfügung stehen. Die Aufgabe und Leistung soll die Vermittlung von Unterstützung sein, aber nicht die Unterstützung selbst. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen können z. B. in Form eines Praktikums beim Verein BALANCE – Leben ohne Barrieren angebunden werden, oder es können auch ehrenamtliche Personen aus der Wohnhausanlage selbst sein bzw. welche, die woanders herkommen und sich

BALANCER 86, 1/2023 INTERN 4 Foto: © muv/Brigitte Balic

engagieren möchten. Unterstützt und koordiniert werden sollen die ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen von einer beim Verein BALANCE angestellten Koordinator:in.

Wie kam es zu der Idee MUV und wer ist an der Umsetzung beteiligt

In meiner aktiven Zeit bei BALANCE als Leitung der Tagesstruktur SoHo habe ich eines gelernt: Will man Teilhabe im Gemeinwesen von Menschen mit Behinderungen unterstützen, braucht es abseits von einer individuellen auf die Person abgestimmten Unterstützung, auch allgemeine Angebote – also Angebote für alle Menschen unabhängig davon, ob jemand mit einer Behinderung lebt. Gemeint sind Angebote die Erfahrungen wie „dazugehören“, „respektiert werden“, „etwas beitragen können, was andere brauchen“, ermöglichen. Diese Erfahrungen „tun gut“ und haben eine stärkende Wirkung auf uns alle.

Dieses Wissen und viel mehr Zeit zum „Visionieren“ – ich bin ja mittlerweile Pensionistin – waren mein Start zum heutigen Projekt MUV. Der Wunsch einen Beitrag leisten zu können für ein mehr an „Miteinander“, für ein mehr an Freude oder wenigstens Akzeptanz von „Vielfalt“ hat mich getrieben und treibt mich noch heute.

In diese große Wohnhausanlage der Käthe-Dorsch-Gasse werden die unterschiedlichsten Menschen einziehen. Geht man davon aus, dass alle gerne in guter „Nachbarschaftlichkeit“ zusammenleben möchten, könnte das Projekt MUV hier gute Unterstützung bieten. Für Menschen mit Behinderungen die von BALANCE Mitarbeiter:innen unterstützt werden genauso, wie für alle anderen Bewohner:innen der Wohnhausanlage.

Ich freue mich sehr, dass aus einer Vision von mehr „Miteinander“ und „Freude an Vielfalt“ durch das Wirken engagierter Menschen die gemeinsamen Idee MUV geworden ist.

Aktuell arbeitet eine Gruppe von Personen an der Planung des Projektes MUV. Robert Schöne und ich sind Teil dieser Planungsgruppe. Wie alle anderen Personen unserer Gruppe - das sind aktuell noch: Cornelia Renoldner, Maria Brandl, Stefanie Erhartmaier, Karo Wahl, Marion Ondricek - bringen wir unsere Ideen und Wissen ehrenamtlich ein. Jede:r in dem Ausmaß dass sie:er leisten mag und kann.

Robert Schöne: Ich bin Mitglied der Planungsgruppe MUV, Bewohner im Wohnhaus Maxing und Nutzer der Tagesstruktur SoHo:

Ich werde bald in eine eigene Wohnung in der Käthe-DorschGasse einziehen. Das ist eine große Veränderung für mich. Darauf freue ich mich. Ich habe dann eine eigene Küche und Bad. Mein Leben wird dadurch selbstständiger. Ich nutze einen Rollstuhl. Ich wünsche mir, dass die Menschen in der neuen Wohnhausanlage aufeinander schauen. Ich kann mir vorstellen, dass ich selbst Unterstützung anbiete, z.B. Blumen gießen, wenn jemand auf Urlaub ist. Ich habe mir mit Brigitte die Wohnhausanlage angeschaut. Ruhig ist es da. Das hat mir gefallen. Einkaufen kann ich beim Billa. Da muss ich aber ein schönes Stück fahren mit dem Rollstuhl. Visavis des Billas ist das Fußballstadion. Einkaufen werde ich hauptsächlich bei der Arbeit. Da sind die Geschäfte näher zu erreichen, das geht leichter und schneller. Vielleicht nimmt mir auch mal jemand aus der Wohnhausanlage etwas mit, wenn er:sie

einkaufen geht.

In der Planungsgruppe MUV arbeite ich sehr gerne mit. Ich habe mich geehrt gefühlt, als ich gefragt wurde, ob ich da mitarbeiten will. Ich habe eine „Sekretärin“, die mich bei den Treffen unterstützt in dem sie für mich mitschreibt. Das funktioniert gut. In einer Mappe habe ich alle Unterlagen. Ich habe keinen eigenen Computer. Alles was für mich wichtig ist, wird deshalb in die Tagesstruktur SoHo geschickt. Mein Betreuer gibt die Unterlagen an mich weiter und unterstützt mich auch sonst, wenn ich etwas brauche. Ich sehe es als meine Aufgabe, meinen Mitbewohner:innen und Kolleg:innnen zu erzählen, wie es in der neuen Wohnhausanlage aussieht und was es dort gibt. Beim Planungsgruppentreffen wurde ich gefragt was MUV für mich ist:

MUV ist sehr positiv, MUV ist kreativ und vielseitig, MUV ist hilfsbereit, MUV bringt entsprechende Begleitung.

Wir suchen ab März 2023 ehrenamtlich tätige Mitarbeiter:innen für unser Projekt MUV. Wenn Sie Interesse haben, melden Sie sich bitte bei Brigitte Balic verein@balance.atunter:

Kunst im Friseursalon

… wieder mal ganz was Neues –ein Friseursalon, in dem Bilder von Künstler:innen aus dem bildBalanceAtelier ausgestellt werden

Von Christian Zuckerstätter

Die Idee dazu wurde von BALANCE-Mitarbeiterin Sandra Almer-Tschiritsch und dem Team von bildBalance Wien gemeinsam mit der Friseurin Maria Erl geboren. Die 33-jährige Maria Erl ist Inhaberin des Friseursalons hdesign in der Praterstraße im 2. Wiener Gemeindebezirk, eines seit Jahren stark aufblühenden Stadtteils. So wandelte sich die Praterstraße von der Verkehrsader zur belebten Einkaufsstraße und ist somit idealer Standort für Marias Salon. Und jetzt auch für die Einzelausstellungen der Künstler:innen des bildBalance-Ateliers.

Überraschtes Publikum – unerwarteter Kunstgenuss

Soviel gleich vorweg – die Idee ging voll auf. Auf der einen Seite hat die Kundschaft des Friseursalons auf einmal völlig überraschend Gelegenheit, sich während des Haareschneidens, -trocknens und Ahnlichem, während z. B. Lesen nicht so leicht möglich ist, in aller Ruhe die an den Wänden hängenden Bilder anzusehen und auch darüber zu sprechen. Und viele nehmen diese Möglichkeit auch dankbar wahr. Die Bilder können darüber hinaus auch käuflich erworben werden.

Ein im Grunde einfacher Schritt hat somit viele positive Auswirkungen. Einerseits kommen dadurch die Künstler:innen von bildBalance an eine Zielgruppe, die sie sonst nie erreichen würden, andererseits kommen Menschen, die einfach zum Friseur gehen und sonst nie Kontakt zu bildender

Kunst haben, „hautnah“ in Berührung mit Kunstwerken, noch dazu mit besonderen Kunstwerken, geschaffen von Menschen mit Behinderung. Eine ebenso spannende wie wunderbare Kombination.

Das Publikum beschränkt sich vorwiegend auf die Kundschaft des Friseursalons. Ab und zu kommen aber auch rein an den Bildern Interessierte vorbei. Manche, weil sie wissen, wer ausstellt und manche, weil sie im Vorbeigehen darauf aufmerksam geworden sind. Das hält sich aber in angenehmen Grenzen, sodass es zu keiner Störung der anwesenden Kundschaft führt.

Bisher wurden die Werke dreier bildBalance-Künstler:innen ausgestellt. In der Reihenfolge ihrer Ausstellungen waren dies Darko Beric, Andrea Mejia-Rocha und Franz Wedl. Ab November folgte die Ausstellung von Steffi Wimmer und aktuell hängen die Werke von Felicitas Wölger. Die einzelnen Ausstellungen hängen im Schnitt etwa zwei Monate. Das ist eine optimale Dauer. Lange genug, dass möglichst viele Kundinnen und Kunden jede einzelne Ausstellung zu Gesicht bekommen, aber nicht zu lang, sodass sie beim nächsten Friseurbesuch wieder neue Bilder sehen.

„Open Door“ im Friseursalon

Anders als bei herkömmlichen Ausstellungen gibt es hier keine klassischen Vernissagen, also Eröffnungsveranstaltungen am Start einer Ausstellung. Stattdessen öffnet Maria

BALANCER 86, 1/2023 KUNST 6

Erl einen Abend je Ausstellung ihre Pforten für interessierte Besucher:innen. Und das ließen sich bei allen bisherigen Gelegenheiten viele Leute nicht entgehen. Die Gäste wurden von Maria mit Getränken und Knabbereien bewirtet, betrachteten die ausgestellten Werke in angenehmer, geradezu „familiärer“ Atmosphäre und freuten sich über ein Treffen mit dem anwesenden Künstler, der Künstlerin.

Verstärkt wurde das in den Sommermonaten noch dadurch, dass das benachbarte Lokal Fischerie dankenswerterweise Tische und Sessel zur Verfügung stellte, die auf dem Platz neben dem Friseursalon zu einem kleinen Schanigarten zusammengestellt wurden. Wahrhaft zum Pudelwohlfühlen. In der kälteren Jahreszeit war es drinnen etwas enger, der Wohlfühl-Atmosphäre tat das aber keinen Abbruch. Dafür sorgen die Gäste, die Gastgeberin Maria, das angenehme Ambiente in ihrem Salon und last but not least natürlich die ausgestellten Kunstwerke der bildBalanceKünstler:innen.

Eine richtungsweisende Idee

Bei näherer Betrachtung ist es eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Galerien oder Orte zu finden, die Einzelausstellungen in kleinem Rahmen ermöglichen, ist immer schwierig. Das Team von bildBalance Wien schafft es nun, in dem intimen Rahmen, den Maria für sie geöffnet hat, eine wunderbare Übersicht über das Werk einzelner

Künstler:innen zu zeigen, immer stark mit Fokus auf deren aktuelles Schaffen.

Die Einbeziehung von bildender Kunst in vertraute Umgebungen, in gewohnte, alltägliche Situationen ist beispielgebend. Vielmehr: sollte beispielgebend sein und viele Menschen und viele Kleinbetriebe zur Nachahmung anregen. Denn es ist höchst interessant, Maria bei ihren Erzählungen vom „neuen Alltag“ im Friseursalon zuzuhören. Demnach hat ihre Kundschaft jetzt ein neues, anderes Gesprächsthema. Die Kundinnen und Kunden reden offen über Kunst, über die Künstler:innen, darüber, was ihnen gefällt und was weniger. Nach dem Haareschneiden nehmen sich die meisten noch die Zeit, sich die gesamte Ausstellung anzusehen. Ihr Interesse an der Kunst ist geweckt.

Maria Erl setzt sich intensiv mit dem in die Tat umgesetzten Konzept „Kunst – Friseursalon“ auseinander und betont, dass auch Frisieren Kunst ist – das Spielen mit Formen, mit Farben. Eine schöne Sichtweise, wie ich finde. Es ist vorgesehen, dass noch weitere Künstler:innen von bildBalance Wien ihre Werke präsentieren. Maria kann sich darüber hinaus auch gut eine Fortsetzung mit anderen Gruppen vorstellen.

Eine wunderschöne Aussage von Maria möchte ich an den Schluss setzen – „Die Ausstellungen im Friseursalon LEBEN“. •

Es ist erfrischend, den Kundinnen und Kunden beim Gespräch über die ausgestellten Bilder zu lauschen. … Ich
empfinde das Konzept als revolutionär und weit ausbaufähig.
BALANCER 86, 1/2023 KUNST 7
– Maria Erl
Fotos: © Christian Zuckerstätter

Pinn wand.

Göttinnen und Götter des Friedens

Und wieder bringe ich einen Artikel über Götter und Göttinnen, diesmal geht es um solche, die für den Frieden stehen. Und wieder ist ein sehr bekannter Gott involviert, zwar nicht direkt, sondern indirekt – und das ist Zeus, der Göttervater. Über seine Liebschaften ist ja einiges bekannt, aber er hatte auch etwas mit Themis, die zum Göttergeschlecht der Titanen gehört. Sie war die Mutter der drei Horen und gilt als Göttin der Gerechtigkeit und Ordnung. Die Horen galten in der griechischen Mythologie als die Göttinnen, die das geregelte Leben überwachen, früher wurden sie mit den drei Jahreszeiten (Ja, die Griechen kannten nur drei, nämlich Frühling, Sommer und Winter) assoziiert und danach mit einem friedlichen Zusammenleben.

Aus dieser Verbindung ist also die Göttin Eirene, die klassische Friedensgöttin hervorgegangen. Und wenn man es genau betrachtet, ist sie die Tochter der Macht und der gerechten Gesetze. Eirene wiederum hat noch die zwei anderen Horen-Göttinnen an ihrer Seite. Nämlich die Göttin Eunomia (Personifikation der guten Ordnung und Gesetze) und Dike (Personifikation der Gerechtigkeit). Hier wiederum muss man sagen, kann unser Schicksal liegen. Denn wenn man einen früheren Artikel von mir anschaut, fallen die drei Namen sofort ins Auge. Nun aber wieder zurück zum Thema und zur Göttin des Friedens.

Eirene steht für ein sehr starkes politisches Ideal. Nämlich dafür, dass Politik und Handel zu einem Abkommen gedrängt werden sollen, um Frieden zu schaffen. Nach einem Friedensabschluss im Jahr 347 v. Chr. wurde Eirene besonders verehrt und angebetet, weil durch eine allgemeine Sicherheitsordnung zwischen Sparta und Persien Frieden für den gesamten östlichen Mittelmeerraum geschaffen wurde. Es wird von der Errichtung von Altären für Eirene aus dieser Zeit berichtet, wobei es auch Berichte gibt, dass der Friedensgöttin schon im 5. Jahrhundert v. Chr. im privaten Rahmen Opfer dargebracht wurden.

Wenn man also auf die Geschichte der Menschheit zurückblickt, gibt es in vielen Weltgegenden immer wieder Götter und Göttinnen, die für Frieden stehen, wie zum Beispiel die Zwillings-Geschwister Frey (Freyr) und Freya (Freyja). Die beiden gehören dem nordischen Sagenkreis an.

Im alten Schweden, Dänemark und auch bei den südlicheren Germanen wurde Freyr sogar als Hauptgott verehrt und mit der Sonne assoziiert, außerdem als Gott des Friedens, der Fruchtbarkeit und der Jagd. Freyja hingegen wurde mit dem Mond verbunden und zudem als Göttin der Liebe bezeichnet. Beide sind sowohl Gegensätze als auch unzertrennlich. Aber nun noch zu Freyrs nicht so schönem Schicksal. Er hatte zwei magische Gegenstände, die ihn unbesiegbar machten, das Schwert „Mimming“ und das Schiff „Skibladnir“. Beides verschenkte er leichtfertig an seinen Diener Skinir, der ihm half, seine große Liebe Gerda zu erobern. Quasi ohne Schutz und Macht musste er dann dem Feuerriesen Surt in der Schlacht von Ragnarök gegenübertreten und starb daraufhin. Spannend und einzigartig ist, dass Frey (Freyr) gleichzeitig als sanft und kämpferisch beschrieben wird, eine ungewöhnliche Mischung, aber vielleicht genau richtig, um Frieden zu schaffen und zu bewahren! •

SPUREN IM HEUTE

Der Name Irene kommt von der Göttin Eirene, in der griechischen Sprache bedeutet Irini auch heute noch Frieden. Im Deutschen zeigt sich Freyr noch im Eigenschaftswort „froh“.

Die Horen findet man in der Bezeichnung des griechischen/ lateinischen „ora“ und in den Stundengebeten in der katholischen Kirche wieder.

Eunomia heißt ein 1851 entdeckter Hauptasteroid im Sternbild des Schützens.

Dike hat als römisches Pendant der Justitia in unser Rechtswesen Einzug gehalten und es gibt einen bekannten juristischen Fachverlag mit dem Namen Dike

Die Horen, dem Peleus Hochzeitsgeschenke bringend (Paris, Louvre) © Wikipedia–gemeinfrei
Von Pia Wolf

Freundschaft geht durch den Garten

Von Andi Tettinger

Im Frühling 2022 hatten wir von einem neuen MieterNachbarn (Jerzy) eine Anfrage bekommen, ob er bei uns ein Hochbeet im Garten aufstellen und uns bei der Gestaltung unseres Gartens helfen dürfe. Bei einer Plauderei, die wir alle zwei Monaten haben, haben wir diesem Nachbarschaftsprojekt alle zugestimmt.

So begann Jerzy ein Hochbeet mit Harry aufzustellen und zu bepflanzen. Es gab Tomaten, leckeren grünen Salat und Gurken, die wir uns mit Jerzy aufteilten. Wenn er Zeit hat, mäht er unseren Rasen und wir sind ihm dafür sehr dankbar. Er hat sogar einen Teil unseres Gartens umgestaltet in Absprache mit unserem Gartenbeauftragten Harry.

Mittlerweile ist der umgestaltete Garten auch für andere Bewohner:innen der Anlage ein Hingucker und Jerzy ist ein guter Freund geworden.

Jetzt ist Winter, aber wir freuen uns schon auf die nächste Gartensaison!

BALANCE trauert um Dipl. Vw. Herbert Kopper, langjähriges Vorstandsmitglied und Ehrenmitglied des Vereins BALANCE, der am 22. Dezember 2022 im Alter von 93 Jahren von uns gegangen ist.

BALANCE denkt in Trauer und Dankbarkeit an einen großen Unterstützer des Vereins, der sich auf politischer wie geschäftlicher Ebene immer für die Anliegen von Menschen mit Behinderungen einsetzte.

Unser herzliches Beileid gilt seiner Familie!

BALANCER 86, 1/2023 Foto. © A.Berger PINNWAND
9

Fix und fertig!

Wir vom Betriebsteam hatten heuer viel zu tun. Einmal war die Waschmaschine an einem anderen Standort kaputt und so mussten wir von dort viele Wischmopps mitwaschen, für das Magazin, für das Wohnhaus Maxing … an manchen Tagen waren es fünf Säcke voller Wischmopps und auch von der Wohngemeinschaft Böckh kam etwas dazu – und natürlich war von unserem Standort die Wäsche auch noch zu machen! Nach der Arbeit waren wir damals fix und fertig! Wir haben gesagt, wenn einmal unsere Waschmaschine kaputt ist, schicken wir dann auch alles woanders hin. Die Betreuer:innen aber haben uns sehr viel gelobt, der Karli hat uns beruhigt und gesagt, wir können uns Zeit lassen und dafür haben wir uns bedankt bei ihm.

Das war Servus & Baba und 45 Jahre BALANCE!

Anlässlich der Übersiedlung der BALANCE Zentrale, des Wohnhauses Maxing und der Tagesstruktur ELF nahmen wir am 24. November am Nachmittag gemeinsam bei einer kleinen Feier statt Abschied vom alten Standort. Außerdem würdigten wir das 45-jährige Bestehen von BALANCE. Hier ein paar Eindrücke!

KÖRPERBILDER BALANCER 86, 1/2023
Fix und fertig Foto: © David Galko; Servus & Baba Fotos: © BALANCE Fotoarchiv
10
Cartoon von Christian Zuckerstätter

Give peace a chance!

Zum dritten Mal hat 2022 in Gars am Kamp in Niederösterreich das Symposium One Week Peace stattgefunden, auch Bertha von Suttner Friedensakademie genannt. Eine Veranstaltung im Zeichen des Friedens – aufgrund des aktuellen Krieges in der Ukraine leider am Puls der Zeit.

Text: Andrea Hiller, Jürgen Plank

„Das Symposium möchte Frieden thematisieren: was können wir für den Frieden aktuell und für eine friedliche Zukunft tun“, fragt Magdalena Pfeifer, die Kuratorin von One Week Peace. Sie ist selbst bildende Künstlerin und auch im Bereich Film aktiv. Namensgeberin des Symposiums ist Bertha von Suttner, die im Jahr 1905 als erste Frau den Friedensnobelpreis bekommen hat. Sie hat in der Nähe von Gars am Kamp, auf Schloss Harmannsdorf, gelebt und gewirkt und dort ihren weltberühmten Roman „Die Waffen nieder!“ geschrieben. One Week Peace greift das Vermächtnis Suttners auf und thematisiert Friede auf künstlerisch-sinnliche Weise.

Pazifistin, Autorin, Frauenrechtlerin

Bertha von Suttner wird als Gräfin Bertha Sofia Felicitas Kinsky im Jahr 1843 in Prag geboren. Sie interessiert sich schon früh für klassische Literatur und Philosophie, lernt Französisch, Englisch und Italienisch, ebenso Klavier und Gesang. Als Pazifistin, Autorin, Journalistin und Frauenrechtlerin gelingt es ihr vor dem Ersten Weltkrieg, ein internationales pazifistisches Frauen-Netzwerk aufzubauen und die internationale Friedensbewegung voranzubringen. Ihr Leben und

Wirken stehen im Zeitgeist der Umbrüche der Habsburger Monarchie: soziale und politische Herausforderungen wie Nationalitäten-Konflikte, Fragen nach der religiösen Zugehörigkeit, der aufkeimende Antisemitismus, Frauenfragen und die Gefahr der Zensur prägen ihre Arbeit.

Der Streit der europäischen Mächte um Kolonien bestimmt damals die Tagespolitik. Heute selbstverständliche Grundrechte der Demokratie und Friedensideen sind zu dieser Zeit noch allesamt gesellschaftliche Utopien, die sich erst den Weg in die gesellschaftliche Mitte bahnen müssen.

1889: „Die Waffen nieder!“

Die junge Comtes Kinsky lehnt alle Heiratsanträge ab, im Alter von 30 Jahren wird sie Erzieherin im Hause Suttner, muss das Haus aber 1875 verlassen, weil sie sich in den Sohn Arthur verliebt. Daraufhin bewirbt sie sich als Sekretärin beim schwedischen Dynamit-Fabrikanten Alfred Nobel, mit dem sie später den Nobelpreis begründen sollte. Weil sie den Avancen von Nobel nicht nachgibt, verlässt sie diese Arbeit nach nur 10 Tagen. Sie heiratet Arthur Suttner und die beiden flüchten nach Georgien, wo sie von 1876 bis 1885 vom Schreiben leben. Bertha veröffentlicht ihre ersten Werke unter dem Pseudonym B. Oulot in Tiflis – aus Angst vor Zensur und der Diskreditierung weiblicher Autorinnen.

Während eines Besuchs in Paris im Jahr 1887 erfährt Bertha von Suttner von der Existenz nationaler Friedensgesellschaften. Sie ist begeistert von den Plänen, ein internationales Schiedsgericht zu gründen. Dann beginnt sie einen Roman zu schreiben, da sie davon überzeugt ist, dass Friedensthemen vor allem Frauen ansprechen sollten: „Die Waffen nieder!“ wurde 1889 veröffentlicht und ist mittlerweile in 20 Sprachen übersetzt und in 40 Auflagen auf Deutsch erschienen.

Dem folgt ihr Engagement im politischen Pazifismus. Sie beginnt Netzwerke und Organisationen zu gründen, betont übernationale Ziele, um nicht als antinational zu gelten und um zu vermeiden, dass ihre Aktivitäten verboten werden.

BALANCER 86, 1/2023 11 Thema FRIEDEN SCHAFFEN

Im Jahr 1891 gründet von Suttner die österreichische Friedensgesellschaft, gibt eine Monatszeitschrift mit dem Titel „Die Waffen nieder“ heraus, gründet den „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ und wird zur Präsidentin des Internationalen Friedensverbundes in Bern gewählt. Sie vernetzt sich intensiv mit der schon existierenden Frauenbewegung, national und international, nimmt an WeltfriedensKongressen teil und hält zahlreiche Vorträge, auch 1904 und 1912 in den USA. Als erster Frau wird ihr 1905 der Friedensnobelpreis verliehen.

Von Suttners Forderungen

In ihrem Aufsatz „Rüstung und Überrüstung“ (1909) kritisiert sie den zum Selbstzweck gewordenen Militarismus und die steigende Tendenz zur Rüstung. Dem gegenüber stehe das wachsende Bedürfnis der Völker nach Frieden, gepaart mit einer zunehmenden Abscheu vor kriegerischen Abschlachtungen. Es liege im Wesen aller Institutionen, dass sie nach und nach von ihrem ursprünglichen Zweck abkämen und nur mehr ihr eigenes Wachstum, die eigene Macht und Lebenserhaltung zum Ziel hätten. Die von den Rüstungsanhänger:innen und den Kriegsmittelfabrikanten verbreitete Gefahr und Angst halte die Rüstungsschraube im Gang. Unter dem Motto: „Wenn Du den Frieden willst, dann bereite den Krieg. Wenn du mit dem Nachbarn Freundschaft halten willst, dann fletsche die Zähne“.

Den drohenden Krieg am Horizont brauche der Militarismus wie einen Bissen Brot, all die Heere und Flotten haben wieder Heere und Flotten abzuwehren. Somit wären Gefahren und Schutz identisch. So als wäre die Feuerwehr zugleich Brandstifter oder die Heiler:innen zugleich Giftmischer:innen. Von Suttner setzt die Losung „Die Waffen nieder!“ dagegen, das Volk habe das Recht auf Frieden und Abrüstung. Gerichtshöfe sollten zwischen Staaten vermitteln können. Sie setzt sich für ein sofortiges Ende des Wettrüstens und gegen jegliche kriegerische Gewalt ein. Im Fokus ist dabei die Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung der Jugend. Ebenso setzt sie auf die Bildung von Frauen. Mit ihrem Präventions- und Bildungsverständnis ging sie gegen das Schweigen der Unbeteiligten an, das auf Ängstlichkeit beruhe. Sie nutzt die Möglichkeiten des Zeitungsbooms, sie gründet viele Organisationen und ist eine famose Netzwerkerin. Sie versucht niederschwellig zu arbeiten, um dadurch ihre Ideen besser zu vermitteln. Obwohl sie als „Juden-Bertha“ diffamiert wird, setzt sie sich aktiv gegen Antisemitismus ein, getreu ihrem Motto, „um Verfolgte vor Verfolgung zu schützen, muss man sich neben sie stellen.“ Sie ist eine Pionierin der Friedensarbeit und in ihrem Denken heute wieder hochaktuell und leider noch immer utopisch.

Diverse Workshops in Gars

Im Rahmen von One Week Peace 2022 gab es drei KreativWorkshops: die Gesangsgruppe wurde von Sabine Federspieler angeleitet, der Radioworkshop von Wally Rettenbacher und jener für Theater wurde von Joschka Köck durchgeführt. Die freischaffende Musikerin, Sängerin und Chorleiterin Sabine Federspieler ist gebürtige Südtirolerin und

Kuratorin Magdalena

Pfeifer plant bereits das OneWeek-Peace-Symposium für das Jahr 2023. Vielleicht wird dann wie heuer dieses Friedenslied zu hören sein: Give peace a chance.

sammelte bereits als Kind prägende Bühnenerfahrungen mit solistischen Blockflötenkonzerten. Seit 1989 lebt sie in Wien. Sie studierte Musik- und Bewegungserziehung sowie Blockflöte an der Musikuniversität Wien und ging in weiterer Folge intensiv ihrer Liebe zum Gesang nach. Die Freude am Chorleiten ergänzt ihre solistische Ader: „Singen ist erlebtes und gefühltes Miteinander!“

Dieses Lebensgefühl des singenden Miteinanders, das der Seele guttut, hat sie den Teilnehmer:innen des Gesangsworkshops in Gars am Kamp eindringlich vermittelt. Mit belebenden Übungen wurde das Selbstvertrauen jeder:s einzelnen gestärkt und auch schüchterne Naturen wurden aus der Reserve gelockt und dahingehend motiviert, dass sie mit Freude am Singen von Friedensliedern aus verschiedensten Kulturen eine gemeinsame erfüllte Zeit genossen. Rhythmus und Bewegung ist Federspieler zur zweiten Natur geworden und deswegen brachte sie die Gruppe auch immer wieder an verschiedene Plätze, um in unterschiedlichen Räumen zu proben. Singend erkundete die Gesangsgruppe den Park an der Kamp, die Rosenburg und – als Höhepunkt – den Kuppelbau am Wachtberg. Die einstudierten Lieder wurden in diesem besonderen Klangraum spontan in ein Geburtstagsständchen für Helena Graf, die Initiatorin von „Kunst in der Natur“ am Wachtberg, umgewandelt.

Theater der Unterdrückten: Augusto Boal

Joschka Köck ist partizipativer Theatermacher und Sozialwissenschaftler beim Theater der Unterdrückten (TdU) Wien. Mit dem Theater der Unterdrückten und dem Lehrstücktheater nach Reiner Steinweg arbeitet er an der friedlichen Transformation unserer Gesellschaft mit Theatermethoden. Er schreibt zurzeit auch seine Dissertation über das Theater der Unterdrückten als ästhetisch-politische Praxis in Zeiten des Anthropozän. „Unser Hauptfokus beim TdU Wien ist Klimagerechtigkeit, prekäre Arbeit und Feminismus“, sagt Joschka Köck. Insofern passend: das TdU Wien plant für die nächste Zeit ein Theaterstück mit/über Krankenpfleger:innen und deren prekäre Arbeitsbedingungen.

Das Theater der Unterdrückten wurde in den 1950er und 1960er vom brasilianischen Theatermacher Augusto Boal geprägt – in der Zeit einer Militärdiktatur, in der Repression allgegenwärtig war. Boals Ansatz bei der

12 KÖRPERBILDER BALANCER 86, 1/2023 Thema FRIEDEN SCHAFFEN

Entwicklung eines brasilianischen Volkstheaters: er wollte Theater für das Volk aus der Perspektive des Volkes machen. Betroffene spielen dabei mitunter selbst mit. Boal hat etwa mit Aktivist:innen der Landlosenbewegungen MST (Movimento dos Sem Terra) gearbeitet. Es ist ein Theater, das auch zeigt, dass sich die Welt im Wandel befindet und Veränderung möglich ist.

Boal brachte mit seiner Theatergruppe die Stücke auf die Straße, in die Armenviertel. Eine Technik des Theaters der Unterdrückten ist das Forumtheater: ein Stück wird vorgespielt, dann werden die Zuschauer:innen aktiv ins Geschehen eingebunden, sie ersetzen die Schauspieler:innen bzw. schlagen neue Handlungsstränge und damit neue Lösungen vor. Danach wird das Stück noch einmal gespielt.

„Es geht darum, zu untersuchen, wie Gesellschaft funktioniert“, erklärt Joschka Köck: „Dadurch können wir das gemeinschaftliche Verständnis von Problemen stärken, also Bewusstseinsarbeit leisten. Gleichzeitig sehe ich das Theater der Unterdrückten immer verknüpft mit einer gesellschaftlichen Organisierungsarbeit. Etwa mit Kooperationspartner:innen.“

Transformation der Gesellschaft

Im Rahmen von One Week Peace hat Köck einen SchauspielWorkshop mit drei Teilnehmer:innen angeleitet: Boals Ansätzen folgend, wurde ein 15 Minuten langes Theaterstück mit dem Titel „Give Peace A Chance – es gibt keine einfachen Antworten“ entwickelt – zur Reflexion von Klimawandel und sozio-politischen Zuständen. Miteinander wurden mehrere Szenen entwickelt, in denen Unterdrückung passiert: etwa in einer Kriegs-Situation, aber auch bei der Unterjochung der Natur – symbolisch dafür stand ein seltenes Nashorn, das in Afrika von bewaffneten Wildhüter:innen vor Wilder:innen geschützt wird. Friede wurde durch eine Musikgruppen-Situation dargestellt: gemeinsam mit dem Publikum bei der Präsentation im working space 4.0 in Gars am Kamp „Give Peace A Chance“ singend.

Fieldrecordings in Gars

Die Radiomacherin Wally Rettenbacher, deren Sendungen oft von Reisen und durch Fieldrecordings (englisch „Feldaufnahme“, das sind Natur- beziehungsweise Umgebungsgeräusche außerhalb eines Tonstudios) inspiriert sind, hat in Gars einen Radio-Workshop abgehalten: mit ihren Teilnehmer:innen ist sie u. a. im Ort unterwegs gewesen und hat die lokale Bevölkerung zu Themen wie „Friede“ und „Liebe“ befragen lassen. Daraus wurden kurze Hörstücke gefertigt, die bei der Abschluss-Präsentation des Symposiums in Gars zu hören waren. Eine der Radioarbeiten beinhaltete das Stück „Frieden“ von Gabriele Proy: das war ein Kompositionsauftrag für den „Denkmalchor Leipzig – Chor des Völkerschlachtdenkmals Leipzig“ zum Doppeljubiläum „Leipzig 1813/1913/2013“ und wurde vom Chor La speranza in der Gertrudskirche im Rahmen von One Week Peace aufgeführt. Daraus stammen die folgenden Textzeilen, die uns auch in der heutigen Zeit inspirieren und leiten mögen:

Welches freie Aufatmen dieses Wort „Waffenstillstand“ doch gewährt … Wie müsste die Welt erst aufatmen – dachte ich zum erstenmal –Wenn es allenthalben hieße: Die Waffen nieder – auf immer nieder!

Es fing bei mir an, eine fixe Idee zu werden: Die Kriege müssen aufhören. Und jeder Mensch muss beitragen, was er nur immer kann, auf dass die Menschheit diesem Ziele – sei’s auch nur eine Tausendstel Linie – näher rücke.

(Aus: „Die Waffen nieder!“ von Bertha von Suttner, Mille Tre Verlag, Wien, 2008)

Was ist das Besondere am Roman „Die Waffen nieder!“?

Der von wohldurchdachten Argumenten und von Meinungsvielfalt durchzogene Roman erzählt von der Baronin Martha Tillin, deren Leben durch vier Kriege zerstört wird. Sie wird Kriegswitwe und entwickelt sich zur Kriegsgegnerin. Der Roman ist als friedenspädagogisches Programm mit Kritik am Militarismus zu lesen. Die Autorin benennt darin jene Kriege, die tatsächlich im Habsburger Reich geführt wurden – der italienische, der preußischdänische, der französische Krieg. In ihrer Zeit in Georgien ist sie Zeugin des russisch-osmanischen Krieges. Das Buch wird zum Bestseller und Bertha von Suttner zum Superstar des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

www.onepeaceweek.at, www.tdu-wien.at Radio Augartenstadt über One Week Peace: https://cba.fro.at/506634

BALANCER 86, 1/2023 13 Thema FRIEDEN SCHAFFEN

Ich begleite die Lösung des Streits

Roland Übelbacher wohnt in der Wohngemeinschaft Böckh und ist Peer-Streitschlichter.

Interview: David Galko, Jürgen Plank

Foto: Jürgen Plank

Wie bist du Peer-Streitschlichter geworden?

Roland Übelbacher: Ich bin über den Fond Soziales Wien (FSW) Peer-Streitschlichter geworden. Der FSW hat vor einigen Jahren eine Tagung zum Thema Inklusion abgehalten und dabei mehrere Projekte vorgestellt. Die Peer-Streitschlichter:innen haben alle selbst eine Behinderung, kennen sich in TagesStrukturen aus oder wohnen selbst in einer Einrichtung.

Wie war die Ausbildung zum Peer-Streitschlichter?

Wie lief die ab?

Der Fonds Soziales Wien (FSW) hatte die Idee der Peer-Streitschlichtung. Deshalb hat der FSW im September 2018 eine Ausbildung zur Peer-Streitschlichter:in angeboten. Zwölf Menschen mit verschiedenen Behinderungen haben damals diese Ausbildung begonnen. Im Dezember 2019 haben zehn Peer-Streitschlichter:innen – das waren vier Frauen und sechs Männer – eine Abschlussprüfung abgelegt. Die Ausbildung hat 14 Monate gedauert und wurde in 13 Module aufgeteilt. Wir hatten zwei bis drei Mal in der Woche Kurse, die dauerten jeweils vier Stunden. Die Module wurden von externen Expert:innen – z. B. von Universitäten, Volkshochschulen usw. – geleitet. Wir mussten zwei Praktika machen, das waren insgesamt 80 Stunden.

An welchen konkreten Streitfall erinnerst du dich, der an dich herangetragen worden ist?

Es geht zum Beispiel um die Lautstärke in einzelnen Räumen. Da kann es um das Radiohören oder ums Musikhören in großer Lautstärke gehen. Oder um Arbeiten, die nicht gemacht werden, in der Tagesstruktur. Jemand soll etwa das Holzschleifen erledigen und macht das nicht.

Wie kann man, wenn es zu einem Konflikt kommt, einen Streit beilegen?

Ich mache keine Vorschläge, sondern ich begleite die Lösung des Streits mit Fragen. Etwa: Wie geht es dir damit, wenn du von diesem Problem hörst? Wie geht es dir in der Streitsituation?

Verbale Gewalt

Unter welchen Bedingungen ist es nicht möglich, einen Streit zu beenden?

Wenn eine der Konfliktparteien nach 2 oder 3 Terminen auf ihrem Standpunkt beharrt und sich nicht für neue Sichtweisen öffnet. Oder wenn eine der Konfliktparteien ständig zu verbaler Gewalt greift bzw. wenn es zur Ausübung von physischer Gewalt kommt. Wie gesagt, alle Konfliktparteien müssen für die Streitschlichtung bereit sein bzw. diese freiwillig machen wollen.

Wie kann man grundsätzlich einen Streit verhindern?

Wenn man mit anderen mehr darüber redet, worum es in der Sache wirklich geht. Kommunikation ist extrem wichtig, immer gut miteinander zu reden bzw. sich gut auszutauschen, kann Streit schon im Vorfeld verhindern. Weil man dann weiß, worum es für die Andere bzw. den Anderen gerade geht und wie er oder sie die Dinge sieht. Das fördert die Toleranz, sodass ein Streit eben nicht mehr notwendig ist.

Hast du selbst schon einen großen Streit gehabt? Hast du dich anders verhalten, seit du Peer-Streitschlichter bist?

BALANCER 86, 1/2023 interbalance 14

Das ist eine gute Frage, aber auch eine schwer zu beantwortende Frage. Spontan fällt mir dazu nichts ein. Beim Schlichten eines Streits verhalten wir Peer-Streitschlichter:innen uns so: Wir sind allparteilich, das ist sehr wichtig. Das bedeutet, dass wir gegenüber den Streitparteien neutral sind.

Treffen mit Peer-Streitschlichter:innen

Hat sich bei Balance atmosphärisch etwas geändert, seit es die Peer-Streitschlichter:innen gibt?

Wie bei allem ist es wegen der Corona-Pandemie nicht so gelaufen, wie es geplant war. Das Angebot der PeerStreitschlichter:innen wurde bisher noch nicht so gut angenommen.

Wie tauscht du dich mit den anderen PeerStreitschlichter:innen bei Balance aus? Trefft ihr euch regelmäßig bzw. wie werdet ihr unterstützt?

Jede Woche haben wir ein Treffen, bei dem wir über Anrufe sprechen, die wir wegen einer Streitschlichtung hereinbekommen. Da besprechen wir uns, wer sich vorstellen kann, sich um welchen Streitfall zu kümmern. Wir haben auch einmal im Quartal eine Supervision mit einem externen Supervisor. Da können wir uns Tipps und Hilfe holen, wenn wir selbst Probleme haben. •

Wie kann man einen Streit schlichten?

A

Zeit geben: manche Streits lassen sich nicht sofort lösen, weil die Emotionen gerade hochgekocht sind. Wenn sich alle Beteiligten beruhigt haben, kann man sich nochmals austauschen.

B

Auf den anderen zugehen: der Klügere gibt nach, heißt es.

C

Höflich nachfragen: um Missverständnisse und Vorwürfe zu vermeiden, macht es Sinn, freundlich zu bleiben und höflich und konkret nachzufragen. Wörter wie „nie“, „ständig“ oder „immer“ vermeiden. D

Verständnis zeigen und eigene Fehler eingestehen. E

Zur Person

Roland Übelbacher ist Nutzer des Unterstützten Wohnens von BALANCE, ausgebildeter Peer-Streitschlichter und Mitarbeiter der Agentur Sonnenklar.

Kontakt

Die Agentur Sonnenklar ist ein Projekt des Unternehmens equalizent. Ansprechperson Drehscheibe Peer-Streitschlichtung der Agentur Sonnenklar:

Wolfgang Brunthaler

Telefon: +43 (0)664 8587554

E-Mail: streitschlichtung@agentur-sonnenklar.at www.agentur-sonnenklar.at

Streits: eine ehrliche Entschuldigung annehmen und sich selbst aufrichtig entschuldigen.

BALANCER 86, 1/2023 interbalance 15

„Drei

Friedrich Ettenauer Boote ober dem Wasser“

Frieden schaffen –wie geht das?

Wir sind zu allen Zeiten immer von mehr oder weniger eskalierenden Konflikten umgeben, sei es im privaten Bereich, in der Arbeit, in der Politik oder in der größtmöglichen und verheerendsten Form eines Krieges. Wie schaffen wir es als Menschen, im Kleinen wie im Großen die Eskalationsspirale zu verlangsamen und zum Stillstand zu bringen, also Frieden schaffend zu handeln? Was sind überhaupt die Voraussetzungen für Frieden und wie kommt es zur Eskalation?

Von Helga Hiebl

Auseinandersetzungen, Meinungsverschiedenheiten, verschiedene Haltungen, Sympathien und auch Antipathien treten häufig im sozialen Zusammenleben auf. Sie sind menschlich, normal, ja sogar notwendig, wenn man nicht stagnieren, sondern sich weiterentwickeln möchte. Sie können zwischen Menschen, Gruppen oder größer zusammengefassten sozialen und politischen Räumen wie zum Beispiel zwischen gesellschaftlichen Gruppen und Staaten entstehen.

Ein Konflikt oder Streit im ursprünglichen Sinn des Wortes ist vorerst einmal noch nichts Schlimmes oder Böses, es bedeutet einfach nur, dass es zwei oder mehrere Seiten oder Ansichten eines Themas gibt und diese nebeneinandergestellt werden. Im besten Fall werden diese Ansichten ausgetauscht und es ergibt im Ergebnis einen Kompromiss, der nachhaltig ist, beide Seiten berücksichtigt und eine Situation „verbes-

BALANCER 86, 1/2023 18
Thema FRIEDEN SCHAFFEN

sert“. Im positiven Sinn ist nach so einem „Streit“ eine Entwicklung passiert, beide Streitparteien haben sich ein Stück verändert und neue Erkenntnisse gewonnen. Streit kann zu Innovationen, zu neuen Ideen oder zu einer Verbesserung eines unbefriedigenden Zustands führen.

Schädlich und ungesund wird es erst dann, wenn Konflikte eskalieren. Wenn sich aus einer ursprünglichen Meinungsverschiedenheit also ein handfester Konflikt entwickelt. So missglücken Projekte, Teams zerbrechen, Beziehungen scheitern, ja ganze Unternehmen oder Staaten können vernichtet werden.

Die meisten Konflikte entwickeln sich eskalierend und oft schleichend. Spätestens dann, wenn ich selbst bemerke, dass ich bereits in einem eskalierten Konflikt drinnen stecke, ist es hoch an der Zeit, sich zu fragen: Wie bin ich da hineingeraten und wie tief stecke ich bereits in der Eskalationsspirale drinnen? Und vor allem stellt sich die Frage: Wie komme ich da wieder heraus?

Der weltweit bekannte österreichische Konfliktforscher Friedrich Glasl kann uns mit seinem neunstufigen Eskalationsmodell dabei helfen, Konflikt-Eskalationen zu verstehen und auch die Frage beantworten, wie wir es auf welcher Stufe schaffen können, da wieder herauszukommen. Er beschreibt die Stufen der Konflikt-Eskalation mit drei Phasen zu je drei Stufen. Von der 1. Stufe der Verhärtung bis zur letzten 9. Stufe der Vernichtung des Gegners. Je nach Stufe und Phase gibt es wahrnehmbare Schwellenübertritte, Wendepunkte, aber auch Möglichkeiten zu deeskalieren, auszusteigen. Am besten ist es aber natürlich, den Konflikt dort aufzulösen, wo er noch nicht als so verhärtet gilt, beziehungsweise es gar nicht so weit kommen zu lassen.

Krieg und Frieden

Beim Gedanken des Frieden Schaffens steckt die Vorgeschichte des Krieges interessanterweise bereits drinnen, denn ich muss ja erst dann Frieden schaffen, wenn es bereits Krieg gibt. Wenn wir also über Frieden schaffen reden wollen, dann sind wir schon an der höchsten Eskalation eines Konflikts angekommen. In Gedanken glaubt man in diesem Fall an keine andere Lösung außerhalb der Vernichtung des Gegners.

Springen wir also gedanklich zur letzten Phase einer Eskalation nach Glasl, den Stufen 7 (Angriff mit begrenzten Vernichtungsschlägen), 8 (Zerstörung, Zersplitterung) und 9 (Gemeinsamer Untergang). In dieser Phase ist jeder Krieg und jede Gewaltanwendung gemeint, aber auch die

Vernichtung auf anderen Ebenen, wie z. B. auf der geschäftlichen oder politischen Ebene, wie die Beseitigung eines Konkurrenten mit wirtschaftlichen Mitteln oder Diskreditierungskampagnen.

Die Waffen nieder!

Bertha von Suttner, die große Österreicherin und Friedensaktivistin trat nicht nur gegen jede Kriegsverherrlichung ein, sondern auch dafür, dass Staaten statt durch blutige Kriege ihre Konflikte durch ein international anerkanntes Rechtssystem, eine Art Internationalen Gerichtshof, friedlich klären sollten. Das, so meinte sie, gelänge aber nur in Demokratien. Die Geschichte zeigt, dass es beinahe nie der Fall war, dass demokratische Staaten gegeneinander Krieg geführt hätten. Bertha von Suttner ging also davon aus, dass eine Demokratisierung der Welt und ein von allen anerkanntes Gericht Kriege komplett verhindern könnten. Und sie hat wahrscheinlich recht, der Zusammenhang zwischen Demokratie und Frieden ist evident, wenn auch die These, Demokratien seien generell friedlicher, sich als nicht haltbar erwiesen hat.

Psycholog:innen und Konfliktforscher:innen sind sich einig. Wenn ich in der dritten Phase einer Konflikteskalation stecke, ist es den Beteiligten nicht mehr möglich, aus der Situation alleine herauszukommen. Solche Konflikte enden dann in der Vernichtung des Gegners oder beider oder in einer gewaltsamen Niederlage des einen Parts, was dann wiederum Ursache für eine spätere Eskalation sein kann, ein Teufelskreis entsteht. Und doch gibt es Ausnahmen und die finden sich ausgerechnet in einer der bekanntesten und für viele aussichtslosesten Konfliktregionen: in Israel und Palästina.

Die Kämpfer für den Frieden

Seit vielen Jahren stagniert dieser Konflikt, immer wieder haben sich hier Menschen von beiden Seiten und auch von außen bemüht, Lösungen zu finden, bisher sind alle gescheitert. Geht ein Konflikt so tief und wird Gewaltanwendung bereits so viele Jahre von beiden Seiten als Normalität wahrgenommen, scheint eine friedliche Lösung aussichtslos. 2001 hat sich aber eine interessante Gruppierung gegründet, die völlig anders an das Thema „Frieden schaffen“ herangeht. Viele der Gründungsmitglieder sind Ex-Soldaten aus den Israelischen Verteidigungskräften oder ehemalige palästinensische Paramilitärs. Sie haben gemeinsam beschlossen, aus der Gewaltspirale auszusteigen. Jede Person hatte dabei ein sehr individuelles „Wendepunkt-Erlebnis“, das zu diesem Entschluss geführt hat.

Foto: © Adobe Stock -Zarya Maxim; Illustration: Nina Ober
BALANCER 86, 1/2023 19 Thema FRIEDEN SCHAFFEN

Hass und Versöhnung

Obwohl jeder dieser Menschen einen Ausstieg aus der Gewalt suchte und mit besten Vorsätzen zum ersten Treffen kam, schildern die Aktivist:innen, wie sie beim ersten Anblick des „Feindes“ plötzlich von Hass überwältigt waren und von diesem starken Gefühl so ergriffen waren, dass sie alle vorerst nur schweigen konnten, bis der Erste anfing, seine Geschichte zu erzählen, eine Art Bericht und Beichte, dann begann der:die Nächste etc. Da erkannten die Mitglieder der Gruppe plötzlich eine Art Gemeinsamkeit: sie alle waren bereit gewesen, Menschen zu töten, die sie gar nicht kannten. Durch den Spiegel im anderen erkannte jede:r von ihnen die Absurdität ihrer Handlungen und die Sinnlosigkeit des Lebens mit permanentem Hass in sich. Der erste Schritt zur Versöhnung mit sich und dem Hass in sich und damit auch dem „Feind“ begann. Von da an trafen sie sich öfters, zum gemeinsamen Essen, Arbeiten, Hilfe bei der Ernte etc. Die Gruppe wurde immer größer. Heute sind die damaligen Feinde Freunde geworden.

Wendepunkte

Im Verhältnis noch ein sehr kleines Grüppchen, aber das Beispiel gibt Hoffnung. Es zeigt sich, dass es gelingen kann, sogar in den letzten drei Stufen der Konflikteskalation auszusteigen, oft mit „Hilfe“ von außen oder einem Erlebnis in einem selbst, das so eindrücklich ist, dass es als „Wendepunkt“ erlebt wird.

Mutig sein!

„Nur durch Mut kann dem Konflikt eine positive Wendung gegeben werden.“ Mit dieser Aussage hat der Konfliktforscher Friedrich Glasl darauf hingewiesen, wie wichtig das aktive Gegensteuern in einem Konflikt ist. Denn was auf den Stufen 7, 8 und 9 bereits im Gange und beinahe unumkehrbar scheint, ist auf den Stufen 4, 5 und 6 gerade noch im Entstehen. Mit jeder Stufe wird es schwieriger … auf der Stufe 4 suchen wir uns Verbündete, auf der fünften Stufe haben wir längst Moral und Anstand hinter uns gelassen, es wird gelogen, der Widerpart wird denunziert, verleumdet, schlechtgemacht, schlechtgeredet, das Vertrauen ist dahin. Auf dem Stufen-Absatz Nr. 6 liegt dann bereits die Vorstufe dessen, was später stattfindet, es kommt zu Drohungen.

Den neutralen Standpunkt üben

Auf den ersten drei Stufen ist es vergleichsweise noch am einfachsten, eine Eskalation zu vermeiden. Um rechtzeitig zu deeskalieren, gibt es verschiedene Ansätze, beispielsweise aus dem Bereich Konfliktmanagement. Hilfreich ist aber immer, wenn man es schafft, ungeachtet der Emotion einen neutralen Standpunkt einzuneh-

men. Dazu versucht man das Geschehen zu analysieren: was ist passiert? Und an welchem Punkt ist es eskaliert?

Polarisierendes Denken vermeiden

Wer kennt das nicht: wir diskutieren engagiert und plötzlich kippt die Stimmung, die Fronten verhärten sich immer mehr, man verlässt die Sachebene, plötzlich werden völlig unsachliche Dinge in die Debatte eingebracht – bis zu persönlichen Angriffen. Spätestens da ist der Zeitpunkt gekommen, um wieder einen Schritt zurück zu gehen, den neutralen Standpunkt zu suchen, das eigene Denken wieder aus der Polarisation zu führen, auszusteigen.

Ausstiegshilfen

In jeder Phase der Eskalation gibt es Hilfen zum Aussteigen, die Absurdität der Lage zu erkennen, mit Mut und Disziplin nicht der Eskalation zu folgen oder auch Humor, der es einem leicht macht, sich plötzlich von außen wahrzunehmen und die Absurdität kann sich im befreienden Lachen entladen.

Bewusstes Wahrnehmen

Der Weg in die Eskalationsspirale geht schnell – zum Ausstieg braucht man ein bewusstes Handeln und Denken. Wenn man aufmerksam ist, dann kann man die kleinen Ausstiegshilfen wahrnehmen und nutzen und das Großartige daran ist, dass Menschen, die sehr geübt sind im Wahrnehmen und Aussteigen aus der Eskalation meistens ansteckend sind und Frieden schaffend auf andere wirken. Frieden schaffen fängt also mit einem selbst an, der eigenen Wahrnehmung, der Wahrnehmung des anderen und der Situation. •

Foto: © Adobe Stock
BALANCER 86, 1/2023 20 Thema FRIEDEN SCHAFFEN

Deeskalation durch Langsamkeit

„Schön langsam“ oder auf englisch „slow down“ hat immer viel zu tun mit – friedlich sein.

Von Christian Zuckerstätter

Langsamkeit war das Thema der vorigen Ausgabe des Balancers. Viele Aspekte des schönen Themas konnten beleuchtet werden, einer kam aber gar nicht vor – Langsamkeit macht milde, macht sanft, macht verträglich und kooperativ. Das wird sofort klar, wenn man sich das Gegenteil vor Augen hält. Bei jeder Form von Kampf, von Aggression kommt es in erster Linie auf eines an – auf Schnelligkeit. In der Langsamkeit liegen Ruhe, Gelassenheit und vor allem eines: Zeit. Viel Zeit zum Nachdenken, zum Überlegen. Und wer überlegt, kann vorschnelle, impulsive und oft aggressive Handlungen vermeiden.

21 BALANCER 86, 1/2023 Thema FRIEDEN SCHAFFEN

All diese Handlungen sind bestimmende Faktoren jedes ernsten Kampfes, jeder kriegerischen Aktivität. Es geht dabei um nichts weniger als um die Frage „Leben oder Tod“. Angesichts dieser existenziellen Frage erscheint es absurd und tragisch, dass sich die Akteure von urzeitlichen aggressiven Instinkten leiten lassen. Und dafür wird der Mensch eben in stressigen Situationen anfällig und empfänglich. Ein vielversprechendes Mittel dagegen ist, erraten – langsam sein.

Dominante Rolle des hohen Tempos

Abseits von Kampfhandlungen spielt das „schneller sein als Du“ auch in friedlichen Zeiten eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dazu genügt ein Blick auf die Sportwelt. Allein die Terminologie macht schon vieles klar. So ist zum Beispiel „Kampf“ ein häufiges Vokabel im Wortschatz von Sportreportern. Ein weiteres Wort ist „schlagen“, allerdings verursacht durch die Doppelbedeutung des Wortes. Das wird zum Beispiel überaus deutlich, wenn ein Boxer seinen Gegner schlägt, indem er ihn zu Boden schlägt.

Der Fluch namens Wettbewerb, der uns so sehr zur Last geworden ist, kommt nicht zuletzt aus dem Sport. Um einen Sieger ermitteln zu können, muss gemessen werden, wer höher, weiter, schneller ist, wer mehr Tore erzielt, wer, wofür auch immer, mehr Punkte erhält und Ähnliches mehr. Das alles hält sich jetzt schon seit Jahrzehnten, Jahrhunderten, wahrscheinlich Jahrtausenden. Und ich denk mir schon lange, irgendwann hört das wieder auf. Das wird es auch, vielleicht in ein, zwei Jahrzehnten, vielleicht in einem Jahrhundert

In letzter Zeit habe ich ohnehin immer mehr das Gefühl, dass das Interesse, zum Beispiel an Skirennen mehr und mehr schwindet. Vielleicht liegt das auch daran, dass mein Interesse verlorengegangen ist. Bis vor einigen Jahren verfolgte ich mit Begeisterung alpine Skirennen, zuletzt insbesondere Slaloms. Mit einem Mal stellte sich ein Gefühl der Leere ein. Da treten sechzig, achtzig Spitzenskiläufer:innen an und gewinnen tut jene:r, die:der um zwei zehntel Sekunden schneller ist, als die:der zweite. Ja und??

Ganz besonders absurd erscheint mir das Ganze im Bereich des Motorsports. Schon in meiner Jugend dachte ich mir, das gibt’s doch nicht – um die Wette Auto fahren ist pubertär. Nichtsdestotrotz hat sich das Spektakel bis heute ungebrochen gehalten. Zehntausende reißen sich um Karten, Millionen sitzen vor den Fernsehapparaten und fiebern mit ihren Helden mit. Millionenumsätze werden gemacht und alle jubeln lautstark, dass Österreich nach jahrzehntelanger Pause wieder einen eigenen Grand Prix hat. Schnell, schneller, am schnellsten …

Cool down – Spiel statt Sport

Was im Sport unmöglich ist, hat im Spielesektor schon seit Jahren Einzug gehalten. Eine unüberschaubare Vielzahl neuer Spiele wurde entwickelt und bietet etwas für die unterschiedlichsten Erwartungshaltungen. Vor allem ein

Trend ist dabei bemerkenswert – kooperieren statt gewinnen. Mitunter sind die Spiele sehr komplex und komplizierte Spielanleitungen sind zu meistern, aber es lohnt sich.

Vor allem, wenn sich am Spielende herausstellt: mithilfe des Spiel-Stils „miteinander “ statt „ gegeneinander “ haben alle gewonnen. Gepaart mit einer guten Spiel-Dramaturgie ergibt das ein großes Spielvergnügen mit Lerneffekt. Was hat das mit Langsamkeit zu tun? Ganz einfach – Gesellschaftsspiele finden zu allermeist im Sitzen statt. Geschwindigkeit spielt nur in Ausnahmefällen eine Rolle. Somit sind die meisten Spiele eine Umkehrung der Sportwelt. In erster Linie kommt es aufs überlegte Handeln an.

Jeder braucht, so lange er braucht. Geschwindigkeit ist kein Thema. Wunderbares Beispiel dafür ist das schon an die 2.000 Jahre alte Schachspiel. Wenn die weltbesten Schachspieler aufeinandertreffen, kommt es schon mal vor, dass einer der beiden zwei Stunden oder länger nachdenkt, wie er den nächsten Zug anlegt. Und das ist für alle, die das Spiel mitverfolgen, eine ganz und gar nicht außergewöhnliche Selbstverständlichkeit.

Auch im Sport-Sektor sollten lieber früher als später neue Trends ausreichend Platz finden. So wäre zum Beispiel vorstellbar und durchaus begrüßenswert, wenn alpine Skiläufe nicht mehr nach Geschwindigkeit, sondern nach Fahrstil bewertet werden. Eine Jury bewertet, ähnlich wie beim Eiskunstlauf, die ästhetische Qualität, gepaart mit technischem Schwierigkeitsgrad der dargebotenen Läufe. In diese Richtung und darüber hinaus wäre vieles möglich.

Die Quintessenz: die Ruhe aus Spiel und Sport überträgt sich auf die anderen Lebensbereiche. Wer Ausgleich zum Stress des Alltags sucht, glaubt nicht mehr, ihn bei sportlichen Wettkämpfen zu finden, die ihn in Wahrheit aufs Neue stressen. Vielmehr sucht man sich neue Nischen, die uns wahrhaft austeigen und Ausgleich finden lassen. Von den vielen Möglichkeiten, die sich dafür anbieten, fällt mir natürlich als erstes Qi Gong ein, die wundersame, universell wirksame Medizin aus China. Die in Ruhe ausgeführten, extrem langsamen Bewegungen, entspannen, beruhigen, lassen einen zu sich selbst finden und … DEESKALIEREN. •

Foto: © googlemaps BALANCER 86, 1/2023
22 Thema FRIEDEN SCHAFFEN

Krieg … das war mal, oder??

Was uns in der Schulzeit lediglich im Geschichte-Unterricht beschäftigt hat, ist auf einmal Teil unseres Alltags. von Christian Zuckerstätter

In meiner Kindheit war Krieg etwas geradezu Abstraktes. Etwas, das es irgendwo auf der Welt gibt, weit, weit weg von uns. Ebenso schrecklich wie irreal. Das änderte sich bereits im Gymnasium. Schon in der zweiten Klasse nahmen wir zum ersten Mal in Geschichte den Zweiten Weltkrieg durch. Wir waren alle zutiefst schockiert und setzten uns lange damit auseinander, dass unsere Eltern das als Kinder miterlebt hatten. Und wir selbst sind nur 16 Jahre nach diesem schrecklichen Ereignis auf die Welt gekommen! Wir stellten uns Fragen wie: wie schwer muss es für unsere Eltern und Großeltern sein, mit dem Selbstvorwurf zu leben, damals nichts dagegen unternommen zu haben? Warum haben uns unsere Eltern nie davon erzählt? Selbst die Lauten, Starken aus der Klasse wurden zum Teil der leisen Runden, die sich in jeder Pause bildeten. Da war mit einem Mal etwas, das die ganze Klasse über einen längeren Zeitraum tief beschäftigte. Somit ein Schulerlebnis, das sich tief eingeprägt hat.

Mehr und mehr Platz in der Gegenwart Schon einige Jahre später rückte der Krieg viel näher an uns heran. Das damals noch bestehende, unmittelbar an Österreich grenzende, große Land Jugoslawien begann, sich in Einzelstaaten aufzuspalten. Da das den Dogmen einiger Machthabender zuwiderlief, gestaltete sich die Bildung neuer Staaten äußerst diffizil und gefährlich. Und führte letztendlich zu kriegerischen Handlungen. Viele Menschen flohen, vorwiegend nach Österreich oder Deutschland. Es war damals die erste große Flüchtlingswelle, die in meinem Bewusstsein verankert ist. Damals war der Begriff „Flüchtlinge“ noch nicht gebräuchlich, die Menschen aus Jugoslawien wurden abfällig „Jugos“ oder gar „Tschuschen“ genannt. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie die Neulinge in unserem Land argwöhnisch und distanziert beäugt wurden. Viele fragten sich, wo das hinführen soll, ob die Leute unsere Sprache lernen werden, ob sie Arbeit finden werden und vieles mehr.

Heute kennen wir die Antworten. Die Menschen sind schon lange Österreicher:innen, sind unverzichtbarer Bestandteil unserer Gesellschaft geworden. Lediglich ihre Namen

deuten zumeist noch auf ihre ursprüngliche Herkunft hin. Sie sind sogar so weit Österreicher:innen, dass sie heutzutage, ebenso wie die Alteingesessenen, die in den letzten Jahren bei uns Zuflucht suchenden Syrer:innen, Afghan:innen, Tschetschen:innen und andere ablehnen. Ganz und gar nicht schön.

Das Schicksal all dieser Menschen bringt die schreckliche Situation, in der sich die Welt seit längerer Zeit befindet, schonungslos zum Ausdruck. Für mein Gefühl nimmt die Zahl der langandauernden Kriege auf der ganzen Welt laufend zu. Seit bald einem Jahr sogar in Europa – der Überfall der Russen auf die Ukraine ist ein barbarischer Akt, den vor kurzem niemand für möglich gehalten hat. Und China führt womöglich mit der Insel Taiwan Ähnliches im Schilde. Unglaublich, aber leider wahr.

„Vor unserer Haustür“

Was mit der Ukraine passiert, ist im Spiegel der jüngeren Geschichte ganz und gar unwirklich. Vor gut dreißig Jahren vollzog der damalige russische Präsident Michail Gorbatschow einen unglaublichen Schwenk weg von einem autoritären, kriegerischen Staat. Er erhielt dafür auch den Friedensnobelpreis. Jetzt heißt es plötzlich: zurück in die Vergangenheit. Der jetzige russische Machthaber Putin, der vor einigen Jahren noch der Einladung einer österreichischen Politikerin zu ihrer Hochzeit folgte, der Besuche von österreichischen Ski-Legenden empfing usw., offenbart auf einmal sein wahres Gesicht.

Der Analyse von Politolog:innen zufolge strebt er die Wiederherstellung des russischen Zarenreiches oder der alten Sowjetunion an. Ein ganz und gar wahnwitziger und zu 100 % zum Scheitern verurteilter Plan. Wie viele Menschenleben dieser Plan aber bisher gefordert hat und, wie zu befürchten ist, auch weiterhin fordern wird, ist furchterregend. Es lebt aber die Hoffnung, dass irgendwer/irgendwas die völlig aus der Zeit gefallenen Machthaber in Russland und auch in China zur Vernunft bringt und in die Gegenwart zurückholt. Soweit möglich natürlich mit friedlichen Mitteln. •

BALANCER 86, 1/2023 23 Auszeit mit chriz

nichts ist, wie es ist …

Wie schon die vielen Jahre zuvor wird ImPulsTanz seinem ungeschriebenen All-time-Motto mehr als gerecht – und das ist sehr gut so

Eine Reportage von Christian Zuckerstätter

Wie schon beim Ding-workshop im Jahr 2019 luden heuer wieder die beiden Tänzerinnen Inge Kaindlstorfer und Sonja Browne, beide früher als langjährige Betreuerinnen bei BALANCE tätig, zu einem inklusiven Workshop, der sich gleichermaßen an Menschen mit, wie an Menschen ohne Behinderung richtete. Dies kam heuer verstärkt dadurch zum Ausdruck, dass sie gemeinsam mit Cornelia Scheuer den Workshop als Trio leiteten. Und die Rollstuhlfahrerin Cornelia Scheuer war nicht nur in den Passagen, die sie selbst leitete, ein höchst aktiver Teil des Workshops. Damit ist auch gleich ein ganz wichtiges Stichwort gefallen. Die rollstuhlfahrenden Teilnehmer:innen waren – anders als zumeist im alltäglichen Leben – den ganzen Workshop hindurch nicht passive Zuseher:innen, sondern nahmen einen höchst aktiven Part ein. Die meisten von ihnen nahmen auch ganz ohne Unterstützung am Workshop teil. Eine Unterstützerin, die dabei war, nahm auch selbst aktiv am Workshop teil.

Der heurige Workshop stand unter dem „herausfordernden“ Titel: Layers, Drills and Flying Heads

Dem Titel lag ein Gedankenspiel zugrunde. Zum einen soll mit dem Fliegen Leichtigkeit und „in die Höhe streben“ zum Ausdruck gebracht werden, eben „Flying heads“. Um ein Davonfliegen zu vermeiden, bedarf es aber einer guten Verankerung im Boden, zum Beispiel mittels Bohrungen („Drills“), die sich durch die Erdschichten („Layers“) graben. Das alles ist im Detail gar nicht so wichtig und hat vielmehr zum Ziel, die Fantasie Interessierter anzuregen und gleichermaßen großen Interpretationsspielraum zu ermöglichen.

Gemessen an der Zahl der Teilnehmer:innen ist diese Strategie durchaus gut aufgegangen. Meine Freude war groß, auch einige „alte Bekannte“ vom Ding-Workshop wieder anzutreffen. Ebenso groß war die Freude, viele neue, interessante Menschen kennenzulernen. Alle fügten sich zu einer sehr harmonischen Runde zusammen, die großteils die ganze Woche über erhalten blieb und von Tag zu Tag mehr zusammenwuchs. Ein schönes, gehaltvolles und bereichern-

KÖRPERBILDER BALANCER 86, 1/2023 24 Tanzfestival

des Erlebnis.

Auch die drei Trainerinnen harmonierten bestens, sowohl untereinander als auch mit den Teilnehmer:innen. An den ersten drei Tagen leitete uns jeweils eine von ihnen an, jede von ihnen in ihrem spezifischen Stil. An den letzten beiden Tagen ging die Leitung des Workshops im Ping-Pong-Stil von einer zur anderen über. Fließend und fast unmerklich wechselte die „Führungsrolle“, so wie es die ganze Woche über

Freude, ihr dabei zuzusehen und ihr zu folgen. Ihre unausgesprochene Botschaft dabei: „Tu so, wie du kannst und so wie du willst“. Herrlich und großartig!!

Laissez faire als konstruktives Element

Wenn man mich jetzt fragen würde, was wir in den Tagen konkret gemacht haben, hätte ich keine spontane Antwort. Und das ist ein sehr gutes Zeichen. Eben, weil wir nicht angeleitet wurden, dies oder jenes zu tun, in diese oder jene Rolle zu schlüpfen oder Ähnliches. Jede:r von uns war sie:er selbst, folgte zwar den „Richtungen“, in die uns die Trainerinnen einluden zu folgen, war dabei und darüber hinaus aber sich selbst überlassen. Und das taten wir alle mit großer Verve und Freude.

Die Übungen, die wir durchführten, waren zumeist PaarÜbungen. Die Paare waren dabei aber nicht voneinander getrennt, sondern, wie es sich gerade ergab, miteinander mal mehr, mal weniger verbunden, vernetzt, verwoben. Abhängig von den Impulsen, die wir von den Trainerinnen erhielten, wurden die Übungen mal nur mit Einsatz des eigenen Körpers ausgeführt, andere Male mit Zuhilfenahme einfacher Gegenstände, die gerade zur Hand waren. Starkes Leitmotiv bei alledem war stets die Improvisation, das „Sichgehen-Lassen“ im positivsten Sinn.

Wie immer das Wichtigste –die Gemeinschaft

Wie schon bei den letzten impulstanz-Workshops war es auch diesmal faszinierend, dass sich scheinbar „aus dem Nichts“ eine – trotz augenscheinlicher Inhomogenität – äußerst harmonische Gruppe zusammenfand, wo sich auf Anhieb jede:r mit jeder:m gut verstand. „Aus dem Nichts“ stimmt natürlich nicht, denn das Interesse an diesem Workshop ist eine starke Gemeinsamkeit, die uns verlässlich vom ersten Moment an miteinander verband.

war. Es war sehr, sehr angenehm und ebenso gekonnt, wie die drei im Team die Veranstaltung leiteten.

Kurz noch ein paar Worte zu den Stilen der drei Trainerinnen. So unterschiedlich sie auch waren, fügten sie sich zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Inge setzte in gewissem Sinn auf die Botschaft, die in der Bewegung liegt, somit gewissermaßen aufs schauspielerische Element, natürlich sowohl ohne Worte wie auch ohne Regisseur. Sonja wiederum setzte diesmal stark aufs „mediale Element“, auf den Einsatz von Kameras und Monitoren direkt in den Performances. Sehr interessant, wobei mir persönlich gerade in Zeiten, wo viele von uns von einer Videokonferenz in die nächste geraten, der reale physische Kontakt wichtiger ist. Aber wie auch immer – in unserem Workshop war ausreichend Platz für beides.

Für mich doch eine große Überraschung war, dass die Parts, die Conny leitete, äußerst körperbetont waren. Sie ließ sich aus dem Rollstuhl gleiten und gab mit vollem Körpereinsatz Impulse für die kommenden Bewegungen. Es war eine große

Ebenso wundervoll wie der Workshop selbst war es, die Teilnehmer:innen beim Workshop, wie auch in den Pausen und im „Drumherum“ ein bisschen kennenzulernen. Allen voran fällt mir dazu der aus Berlin angereiste Martin ein. Martin ist Rollstuhlfahrer und fuhr stets ohne Begleitung vor. Er ist in jeder Hinsicht sehr selbstständig und war, soweit ich es mitbekam, auch alleine aus Berlin gekommen. Am Beginn jeder täglichen Einheit mühte er sich in aller Gelassenheit mit dem Umziehen ab. Jeden Tag fand sich jemand, die:der ihm dabei Unterstützung anbot. Er ließ es gerne zu, hätte aber nie danach gerufen und wäre ganz bestimmt auch alleine zurechtgekommen. Eine großartige Bereicherung, Menschen wie Martin zu kennen.

Ich kenne es schon von den letzten Workshops, dass ich beim Verlassen des Geländes am letzten Tag Tränen in den Augen habe. Tränen der Freude und des Glücks. Und Tränen der Traurigkeit, weil mir bewusst wird, dass ich all die Leute, die mir im Laufe der intensiven gemeinsamen Woche so sehr ans Herz gewachsen sind, vielleicht erst in ein paar Jahren bei einem der nächsten Workshops oder vielleicht auch nie wieder sehen werde … letztendlich ist aber die glückliche Freude über das in den letzten Tagen Erlebte viiiiel, viel stärker. •

BALANCER 86, 1/2023 25 Tanzfestival Fotos: © ImPulstanz

Mittendrin.Sein.

Im April 2023 werden 45 Bewohner:innen des Wohnhauses Maxing in Wohnverbünde übersiedeln. Diese werden gerade gebaut. Was das für die bisher im vollbetreuten Wohnen lebenden Menschen und deren Unterstützer:innen von BALANCE bedeutet, beschreibt der folgende Bericht.

Von Andrej Rubarth

Die neuen Wohnverbünde befinden sich im 12. Bezirk, Hermann-Glück-Weg in der Nähe zur Tagesstruktur Fuchsenfeld sowie im 14. Bezirk in der Käthe-Dorsch-Gasse, in der Nähe des Rapid-Stadions, was für einige ein Grund ist, genau dorthin zu ziehen. Die TAGS ELF ist am 15. Dezember bereits in die Käthe-Dorsch-Gasse übersiedelt. Die Zentrale folgte einen Tag später.

Von vollbetreuter Wohngemeinschaft zu eigenständigen Mieter:innen

Der Auszug aus dem Wohnhaus Maxing ist ein sehr großes Vorhaben. Die Bewohner:innen werden statt Mitbewohner:innen einer vollbetreuten Wohngemeinschaft künftig Mieter:innen eigener Wohnungen sein. Sie werden in ihrem eigenen Haushalt leben.

Was die Herausforderung ist? Es sind fast alles Personen mit einem sehr hohem Unterstützungs- und Pflegebedarf. Die Bedeutung für soziale Inklusion dabei ist: Was für Menschen mit schwerer Behinderung funktioniert, funktioniert für alle. „Teilbetreuung“ heißt im Modell der Garconnierenverbünde: Man kann wählen, von wem man die Dienstleistungen bzw. sozialbetreuerische Unterstützung haben möchte. Die Leistungen gehen dorthin, wo die Menschen mit

Unterstützungsbedarf wohnen. Bisher mussten Personen dorthin ziehen, wo Leistungen „stationiert“ angeboten werden. Wohn- und Lebenshaltungskosten werden nun aus eigenem Einkommen bezahlt. Die Kosten für Sozialbetreuung übernimmt der Fonds Soziales Wien. Pflegebezogene Leistungen bezahlen Nutzer:innen aus ihrem Pflegegeld. Daraus ergeben sich neue und interessante Fragen der Finanzierbarkeit für jede Person. Es gibt zum Beispiel mehr Wahlmöglichkeiten für den eigenen Einkauf und die eigene Ernährung. Andererseits muss das Geld auch bis Ende des Monats reichen. Zum Beispiel für Lebensmittel, Therapien oder die Reinigung der Wohnung. Die Mieter:innen werden jede nötige Unterstützung durch Betreuer:innen erhalten. Aber sie werden auch viel für sich neu entscheiden. Sie werden so auch neue Verantwortung für ihr Leben übernehmen. Und die Betreuer:innen werden lernen, einige Dinge loszulassen und anders zu sehen, damit Neues auch entstehen kann. Damit eine gewünschte Richtung im Leben der Person auch gelingen kann.

Die Wohnungen wurden mit den Architekt:innen und Bauträgern so geplant, dass sie barrierefrei ausgestattet sind, mit individuellen Nachrüstungsmöglichkeiten. Die Küchen sind fertig geplant und bestellt, ebenso die Ausstattung der Dienstzimmer. Zu all dem wurden Erhebungen und

KÖRPERBILDER BALANCER 86, 1/2023 26 Unterstütztes Wohnen

.Können.

Befragungen gemacht, sodass alle wichtigen Erfordernisse und Details berücksichtigten werden. Im April soll es losgehen. Dann wird übersiedelt.

Neue Unterstützungsformen

Die Konzeptarbeit für die Unterstützung der Menschen an den neuen Orten wurde von den Standortleitungen und der Fachstelle Wohnen vorangetrieben. Beraten wurden sie von Oliver Koenig, der internationale Forschung und internationale Praxiserfahrungen zu inklusiven Wirkungen eingebracht hat. Schwerpunkt war die Entwicklung von Teilhabeunterstützung, insbesondere die Unterstützung von Beziehungen von Menschen mit Behinderungen zu anderen Menschen. Außerdem geht es um unterstützte Entscheidungsfindung im neuen Leben. Es wurden strukturelle Grundlagen entwickelt, die das fördern.

Jede:r Bewohner:in im neuen Garconnierenverbund wird künftig ein Klein-Team von drei bis vier Mitarbeiter:innen zur Seite stehen, das für die persönlichen Angelegenheiten in der Unterstützung zuständig sein wird. Das Klein-Team wird durch eine:n Planungsbuddy unterstützt. Dadurch werden die wichtigen Anliegen der Person auch in der Planung und Dokumentation kontinuierlich verfolgt. Sie gehen

dann in den Mühlen des Alltags nicht so leicht unter. Das Klein-Team hat das Potenzial, andere Menschen einzubeziehen und so zu einem Unterstützer:innenkreis für den:die Bewohner:in zu werden. Ein:e Grätzlverbinder:in unterstützt zusätzlich durch professionelle Arbeit in der Sozialraumerschließung die Verbindung in die Nachbarschaft und zu Orten, wo soziale Kontakt- und Anschlussmöglichkeiten entstehen. Dadurch kann Dabeisein und Miterleben entstehen. Es gibt gemeinschaftlich nutzbare Räume für alle Mieter:innen. Interessen werden sichtbar und auch die eine oder andere Möglichkeit, Beiträge für Nachbar:innen zu leisten. Dinge die gemocht oder gebraucht werden. Der Begegnungsraum in jedem Wohnverbund ist auch ein Ort, wo sich Menschen treffen können und wo auch Betreuung angeboten wird.

Mittendrin.Sein.Können. bedeutet eine völlig andere Unterstützung als bisher! Die Mitarbeiter:innen und die Bewohner:innen werden sich auch in den letzten Monaten bis April auf die vielen neuen Umstände und Ungewissheiten vorbereiten. Genauso freuen sie sich aber auch auf die schönen Wohnungen und die neuen Möglichkeiten für neue Erfahrungen. Mehr über das neue Unterstützungskonzept kann man auf der BALANCE Website unter dem Projekt Mittendrin.Sein.Können laufend nachlesen. •

© ISOCHROM
Rendering:
Foto: AdobeStock: Westend61
BALANCER 86, 1/2023 27 Unterstütztes Wohnen

MOB –das andere Modelabel

Vor drei Jahren wurde MOB im Balancer vorgestellt – nun wurde eine neue Produktlinie entwickelt. Von Christian Zuckerstätter

Seit dem Kick-off im Jahr 2019 hat sich bei MOB viel getan. Der Online-Verkauf ist gut angelaufen und hat sich zu einer wichtigen Stütze der Firma entwickelt. Darüber hinaus hat sich die Gewichtung seither deutlich verschoben. Die Zielgruppe von MOB sind Menschen mit Mehrfachbehinderung mit hohem Unterstützungsbedarf. Das erfordert ein Angebot unterschiedlicher Schnitte entsprechend den individuellen Anforderungen. Der neue Schwerpunkt trägt somit den Titel „Maßanfertigung“.

Zeitgemäßes Design spielt selbstverständlich nach wie vor eine große Rolle. Die Artikel sollen nicht bloß praktisch sein, sondern auch schön. Dies sowohl im Sinne der vorwiegend rollstuhlfahrenden Kundinnen und Kunden, als auch deren Unterstützer:innen. Der Entwurf der neuen Modelle erfolgt vorwiegend nicht mehr nur durch Designer:innen, sondern durch die potenziellen Träger:innen, Angehörigen oder pflegendendes und/oder unterstützendes Personal. Das Funktionsdesign wird von MOB selbst erstellt. Der Beitrag von Designer:innen beschränkt sich auf die Herstellung von Showpieces. Erst heuer im Sommer ist die 2. Kollabo-Kollektion („Kollabo“ kommt von Kollaboration, Zusammenarbeit) gemeinsam mit den Designerinnen Astrid Deigner und Jennifer Mory entstanden.

Individuelle Einzelanfertigungen

Eine große Rolle fällt jetzt den Schnittmacher:innen zu. Fast ein ganzes Jahr wurden die entsprechenden Schnitte entwickelt, die nun wie eine Art modulares System bei jeder Einzelanfertigung zusammengestellt werden können. Kundinnen und Kunden haben dabei – insbesondere bei Farben und Maßanpassung – alle Möglichkeiten zur Mitsprache. Da die

individuellen, einzelgefertigten Produkte nicht an auswärtigen Billigstandorten produziert werden können, spricht alles für die Produktion in Österreich. Das bringt – abgesehen von den höheren Preisen – zahlreiche Vorteile mit sich. Die Produkte werden aus hochwertigen Materialien gefertigt, haben dadurch eine sehr lange Lebensdauer und können auch laufend geänderten Bedürfnissen angepasst werden. Die neue Produktlinie umfasst in erster Linie Jacken. Die Modelle haben die bewusst funktionellen Bezeichnungen M1, M2, M3, M4. Mit den Kürzeln wird in erster Linie die jeweilige Rollstuhlart zum Ausdruck gebracht. Demnach unterscheiden sich die Jacken insbesondere in den unterschiedlichen Rückenlösungen. Die Jacke M2 ist z. B. für Benutzer:innen von Sitzschalen- und Liegerollstühlen gedacht.

Im Brustbereich haben die Jacken eine glatte, leicht zu reinigende Oberfläche, die den Einsatz eines Latzes erspart und als Speichelschutz dient. Diese Fläche wird nicht versteckt, sondern farblich betont und wird somit zum Blickfang. Insgesamt ist die neue Linie sehr ausgeklügelt und bedarfsorientiert. Das geht letztendlich soweit, dass bis zu einem gewissen Grad Assistenz eingespart werden kann, was die Selbstständigkeit der Benutzer:innen erhöht.

Weiterhin auch Designerware im Angebot

Das neue Fundament heißt also: Produktion auf Bestellung statt Lagerware. Darüber hinaus laufen die bewährten Produkte der ersten Kollektion, hauptsächlich über Online-Verkauf, weiter. Auch wurde etwa mit einer Designerin aus der M3-Jacke eine Jeansjacke mit Magnetverschlüssen weiterentwickelt. Das verwendete Material heißt Denim mit Stretchanteil. Generell gibt es bei den Jackenmodellen

28 BALANCER 86, 1/2023 Mode ohne Barrieren

verschiedene praktische Verschlussarten wie z. B. Klettverschlüsse an der Rückseite oder Magnetverschlüsse vorne.

In einem kleinen Katalog wird die neue Produktpalette übersichtlich vorgestellt. Neben den schon beschriebenen Jacken finden sich darin auch Hosen speziell für Rollstuhlfahrer:innen, ebenso Fußsäcke, Schlupfsäcke und Beindecken. Und darüber hinaus – klein aber oho – Dreieckstücher, die vielseitig einsetzbaren Allrounder, u. a. als Speichelschutz.

Einen Teil ihres Umsatzes macht die Firma MOB in Deutschland. Aus einem pragmatischen Grund – in Deutschland werden die von MOB produzierten Jacken als Hilfsmittel von der Kassa bezahlt, sind somit keine finanzielle Belastung für die Rollstuhlfahrer:innen. Auch wenn der Wunsch, dass dies eines Tages auch in Österreich so sein möge, nicht in Erfüllung geht, gehen Josefine und Johann, die Köpfe von MOB, bestimmt auch weiterhin auf bemerkenswerte und beeindruckende Art und Weise ihren Weg. Eine schöne Erfolgsgeschichte! •

Fotos: © Aus dem MOB Katalog 2021/2022
29 BALANCER 86, 1/2023 Mode ohne Barrieren

pro Online Streiten

Von Helga Hiebl

Ich bin gerne in guten und moderierten Online-Foren. Zu jedem Thema kann man dort vortrefflich diskutieren und manchmal auch streiten. Das ist für mich eine viel angenehmere Form des Streites als in echt.

Ein Online-Streit ist immer schriftlich, daher muss man schon einmal überlegen, was man schreibt, selbst wenn man sehr emotional wird, muss man immer noch nachdenken, was und wie man es ausdrückt, um nicht missverstanden zu werden. Und schließlich weiß jede:r, dass das alles auch öffentlich ist und von anderen mitgelesen wird, das kühlt die Emotion sofort um ein paar Grade ab. Viele Poster:innen bemühen sich daher, die Argumente gut und verständlich zu formulieren, diese Form des Streites diszipliniert.

Die Anonymität ist ebenfalls ein Vorteil, so fällt es viel leichter, auch gute Argumente einzusehen und anzunehmen, jedenfalls sind solche Streitgespräche in der Regel qualitativer und sachlicher als in einem mündlichen Wortgefecht. Ich habe schon spannende, tagelange Diskussionen und Streitgespräche mit mir völlig unbekannten Personen geführt oder mitgelesen und jedes Mal habe ich etwas Neues gelernt und meistens ist es mir gelungen, auch ein Verständnis für den anderen aufzubringen oder durch die ausgetauschten Argumente habe ich mich noch besser mit dem Streitthema beschäftigt und mehr herausgefunden – auch Dinge, bei denen ich falsch lag.

Beim Online-Streiten ist auch die Geschwindigkeit anders. Wenn live gestritten wird, dann ist keine Zeit dazwischen, Worte fallen schnell, die Emotionen gehen hoch. Da gewinnt dann oft nur derjenige, der die bessere Kampfrhetorik beherrscht, was man an vielen für mich abstoßenden Politiker:innen-Diskussionen erleben kann, die meist kein Austausch von Argumenten mehr sind, sondern bei denen es häufig nur mehr darum geht, die Diskussionspartner:in niederzumachen.

Nachzudenken oder zu recherchieren, die Argumente des anderen zu überprüfen, dafür ist keine Zeit. Da lobe ich mir die schriftliche öffentliche Auseinandersetzung, die uns ein wenig bremst und diszipliniert. Und wenn jemand meint, dass es ja auch online solche gibt, die nur den Diskurs zerstören oder schimpfen, dann muss ich entgegnen: ja, die gibt es natürlich auch, das sind aber meist solche, mit denen man weder online noch live streiten kann. Wenn jemand online so agiert, kann ich außerdem viel leichter den Streit beenden oder abbrechen, indem ich einfach nicht mehr reagiere oder die Sichtbarkeit des „Trolls“ für mich sperre, das spart Ärger und Energie.

Online streiten

Von Pia Wolf

Online streiten, das ist für mich gar nicht gut, weil ich Streitigkeiten lieber real austrage. Ich bin nicht der Typ Mensch, der auf Facebook oder WhatsApp den besten Freund oder die beste Freundin anschreibt und ihm oder ihr etwas ausrichtet, was öffentlich sichtbar ist.

Wenn ich streite, dann brauche ich die spontane Reaktion des anderen. Am Telefon ginge es, weil ich da die Stimme höre, den Tonfall, ich brauch das als Feedback, damit ich weiß, ob ich zu wild bin oder nicht. Denn wenn ich einen Wutanfall habe, dann schaltet bei mir oft der Kopf ab und dann muss ich schreien, laut werden, egal ob wer da ist oder nicht. Ich brauche daher eine Reaktion in echt, damit ich verstehe: das war jetzt zu viel, bis hierher und nicht weiter, damit ich den Punkt nicht überschreite. Da helfen auch die Emojis und Memes nicht. Wenn mir jemand ein Meme mit einer meiner Lieblingsserien schickt, dann verstärkt es nur meine Wut weiter.

Ich kenne zwei tolle YouTuber, ein Paar, die hatten sich getrennt und die Fans spekulierten wild und gerieten in hitzige Diskussionen und Streitereien, niemand wusste genau Bescheid und trotzdem bildeten sich gleich zwei unversöhnliche Blöcke, die Fancommunity war gespalten. Die eine hat sich daraufhin völlig aus allen Social-Media- Kanälen zurückgezogen. Das ist total schade, weil ich beide sehr mochte. Ein:e Influencer:in soll schließlich auch ein Privatleben haben und die Beziehung und Familie sollte nicht hineingezogen werden – es wäre besser, hier disziplinierter zu sein. Das ist so wie mit Shitstorms, die finde ich auch sehr schädlich für alle.

Ich mag das generell überhaupt nicht, wenn hinter dem Rücken über andere gelästert oder geschimpft wird, online ist halt dann zusätzlich noch alles öffentlich oder kann irgendwann einmal veröffentlicht und einem vorgehalten werden. Wenn ich sehr gereizt werde, kann ich auch online heftig streiten und ungut werden, aber das mag ich dann selber nicht gern.

Diskussionen oder Streit im positiven Sinn lese ich hingegen gern, z. B. über Pokémonspiele, aber nicht über Menschen.

&$!#% contra
BALANCER 86, 1/2023 Pro & contra 30

bildBalance Wien im Friseursalon

Impressum

Medieninhaber, Herausgeber, Verleger:

Verein BALANCE – Leben ohne Barrieren,1130

Wien,Hochheimgasse 1, T 01/8248733-8205,F DW 8250

E-Mail: h hiebl@balance.at

Internet: www.balance.at

Chefredaktion: Maga Helga Hiebl

Redaktion: David Galko, DorisKallinger,Mag

Jürgen Plank,Mag Andrej Rubarth,Andreas Tettinger und Brigitte Wallner,PiaWolf, Christian Zuckerstätter Versand:Tagesstruktur

Käthe Dorsch Redaktionsadresse: Zeitschrift

Balancer,Käthe-Dorsch-Gasse 17/3,1140Wien, T 01/824 87 33-8205,

E-Mail:h hiebl@balance at Erscheinungsweise: 1/4-jährlich

Erscheinungsort:Wien

Offenlegung nach § 25 Mediengesetz:

Eigentümer:BALANCE,gemeinnütziger, überparteilicher,nicht-konfessioneller Verein.

Vorstand:

Obmann:Dir OSR RudolfWögerer

Stellvertreterin:Marianne Kühtreiber

Schriftführer:Dr Karl Katary

Stellvertreterin:Irmtraut Vaclavik

Kassierin:Brigitte Balic

Weitere Vorstandsmitglieder:Irene Pautsch, Cornelia Renoldner

Felicitas Wölger

10.Jänner − 04.März 2023

Treffen mit der Künstlerin

MO, 23.Jän. 2023 ab 17:30 Uhr

1020 Wien, Praterstraße 51

bildBalance Wien: tel 01 817 93 44/22 Facebook: bild.Balance.Wien web: www.balance.at

Geschäftsführung: Marion Ondricek

Blattlinie: Der„Balancer“ berichtet als Fach- und Vereinszeitschrift über die Aktivitäten von BALANCE,bekennt sich zu dessen Leitbild und Grundsätzen und thematisiert besonders relevanteThemen und Ereignisse,die Menschen mit Behinderungen betreffen.Der„Balancer“ folgt inhaltlich dem Bekenntnis des Art.7 der Bundesverfassung,nach welchem es ein Grundrecht aller Menschen ist,gleichberechtigt und ohne Diskriminierung zu leben

Inklusive Redaktion: Als Grundvoraussetzung für eine zukünftige inklusive Gesellschaft werden Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit der BALANCE-KlientInnen unterstützt.Gemäß diesem Anspruch setzt sich das Redaktionsteam des„Balancers“ zu gleichenTeilen aus BewohnerInnen,Tagesstruktur-TeilnehmerInnen und MitarbeiterInnen zusammen

BALANCER 86, 1/2023
31 imPressum

BALANCE Design und Handwerk

Türkränze aus Papierblumen

Ein wunderschönes Upcycling-Produkt zur Dekoration, aus Zeitungspapier, Farbwünsche möglich.

Größe: groß 38 ø und klein 30 ø

Stück: € 26,-

Verein BALANCE – Leben ohne Barrieren

Käthe-Dorsch-Gasse 17/3, 1140 Wien

Bankverbindung Spendenkonto:

Foto: © Tagesstruktur Fuchsenfeld

zu beziehen im Werkverkauf: Mo-Di 8.30–15.30 Uhr Fr 8.30–12.00

SoHo Laden Viktor Kapian Str. 6–8 1220 Wien 01/209 37 31

Fuchsenfeld Fockygasse 52 1120 Wien 01/817 93 44-13

Produziert in der Tagesstätte MaPo Maria Ponsee 8 3454 Maria Ponsee

Österreichische Post AG / Sponsoring.Post

GZ: 08Z037718S

Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien AG

UID: ATU38252717

BIC RLNWATWW, IBAN AT96 3200 0000 0747 9868

Spenden an BALANCE sind absetzbar: SO 1482

Nr. 86/2023, Jahrgang 25

Verlagspostamt 1140 Wien

Erscheinungsort Wien

Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.