Aspekte Nr. 78

Page 20

Partner von Jugendämtern, Jobcentern und weiteren Instanzen aktiv, halten eine vielgestaltige Angebotslandschaft vor, spielen auf der gesamten Klaviatur der einschlägigen Rechtskreise, Paragraphen, Förderprogramme. So sieht eine reiche Kirche für die Armen aus: reich an Rat und Tat, an Unterstützung und Begleitung. Tausende junge Menschen profitieren Jahr für Jahr davon. Wer mit schwierigen Startchancen, persönlichen Beeinträchtigungen, strukturellen Benachteiligungen oder brüchigen Bildungsbiografien unterwegs ist, findet hier Menschen und Möglichkeiten, um noch einmal neu anzufangen und eigene Perspektiven zu entwerfen. Diese Jugendsozialarbeit ist nicht zuletzt auch reich an Erfolgsgeschichten. Doch da gibt es noch die anderen … Junge Menschen, von denen wir vielleicht ahnen, dass sie existieren; von denen wir aber nicht wissen, wo sie sind, was genau sie brauchen oder wie wir sie überhaupt erreichen könnten. Wir spüren, dass nichts von dem, was wir gewöhnlich tun, für sie passt, nicht ein einziges der vielen guten Angebote aus unserem ganzen Maßnahmereichtum. Hier kommt die arme Kirche ins Spiel – die Kirche, die im entscheidenden Moment ihre Strukturen und Förderpläne, Antragsformulare und Abgabefristen hinter sich lässt und sich auf den Weg macht, diese jungen Menschen aufzusuchen. So wie der gute Hirte im berühmten Gleichnis seine neunundneunzig Schafe auf der Weide stehen lässt, um diesem einen nachzulaufen, das verloren zu gehen droht. Denn dort, wo eine Sozialarbeiterin, ein Sozialpädagoge sich aufmacht, sich vielleicht sogar wortwörtlich „mit dem Schlamm der Straße beschmutzt“ (wie es in Evangelii Gaudium Nr. 45 heißt), wird eine arme Kirche wirksam. Arm, indem sie aus der Routine ausbricht, behördliche Logiken in Frage stellt und einfach da ist, wo sie gebraucht wird. „Unser Einsatz […] ist nicht ein übertriebener Aktivismus, sondern vor allem eine aufmerksame Zuwendung zum anderen“, heißt es in Evangelii Gaudium Nr. 199. Das beschreibt die echte Begegnung mit dem jungen Menschen, der als eigenständige Persönlichkeit erkannt und anerkannt wird. Dazu gehört, „dass die Sorge um die Armen nicht zu Missionierungszwecken passiert, sondern frei von solcher Funktionalisierung ist“, wie die Sozialethikerin Ursula Nothelle-Wildfeuer zu Evangelii Gaudium erläutert, „dass sie jedoch nicht minderwertig im Vergleich zu den anderen Wesensvollzügen der Kirche ist.“ Im Gegenteil konkretisiert sich genau dort, wo die Kirche mit ihrer Jugendsozialarbeit tatsächlich an die Ränder der Gesellschaft vordringt und Menschen anzusprechen versucht, die schon lange unerreichbar scheinen, der unauflösliche Zusammenhang kirchlicher Grundvollzüge – die „Einheit von Mystik und Politik“, wie es in der Tradition der katholischen Jugendverbände heißt. Oder, wie die Theologin Dorothee Sölle schon vor mehr als vierzig Jahren über die „Tugend der Fantasie“ geschrieben hat: „Die Fantasie Christi ist Fantasie der Hoffnung, die nichts und niemanden aufgibt. […] Sie geht nicht schlafen, bevor ihr nicht etwas eingefallen ist.“ Diese Fantasie kann uns beflügeln. Würden wir dadurch auch nur einen einzigen jungen Menschen zusätzlich erreichen, wäre sie schon allen Einsatz wert.

Nicht Aktivismus, sondern aufmerksame Zuwendung

20


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.