Adoleszenz___Migration___Bildung__Bildungsprozesse_Jugendlicher_und_junger_Erwachsener_mit_Migration

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Janina Zölch/Vera King/Hans-Christoph Koller/Javier Carnicer/Elvin Subow

Wirkmechanismen müssen jedoch in vielen Aspekten erst noch erhellt und präzisiert werden. Gerade die Zwischenglieder in dem von Hurrelmann so genannten „zirkulären Verlauf des Sozialisationsprozesses“ (2000, S.170), die Übergangsbereiche und Transpositionen zwischen familialen und außerfamilialen Erfahrungen, die insbesondere in der Adoleszenz bedeutsam werden, müssen hier ins Zentrum rücken. Ein fehlendes Bindeglied stellen in diesem Sinne gerade jene Prozesse dar, die einerseits in starkem Maße von der Herkunftsfamilie geprägt sind, aber zugleich einen Übergangsbereich zwischen Familie und Schule bzw. außerfamilialen gesellschaftlichen Feldern darstellen – die adoleszenten Entwicklungs-, Ablösungs- oder Individuationsprozesse. In Hinblick auf die Verbindung von Methode und Gegenstand ist entsprechend anzunehmen, dass sich die Komplexität und Subtilität dieser Zusammenhänge eher einer detaillierten qualitativen Analyse erschließt – im Folgenden veranschaulicht anhand von Ausschnitten der narrations- und sequenzanalytischen Rekonstruktion des Falls einer Familie. Fallrekonstruktion Familie Güngör6 Anhand der folgenden detaillierten Fallanalyse sollen die Wechselwirkungen zwischen Qualität und Dynamik der Eltern-Kind-Beziehung, migrationsspezifischen Erfahrungen, adoleszenten Ablösungsprozessen und der Bildungskarriere Engin Güngörs rekonstruiert werden.7 Der 25jährige Engin ist in einem so genannten Problemstadtteil8 einer mitteldeutschen Großstadt aufgewachsen. Sein Vater war zu Beginn der 1970erJahre als Gastarbeiter aus einem türkischen Dorf nach Deutschland mi6 7

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Alle Namens- und Ortsangaben wurden anonymisiert. Aufgrund des ausgeführten Forschungsinteresses ist es erforderlich, Entwicklungs- und Verarbeitungsprozesse auch jenseits subjektiver Deutungen möglichst präzise erfassen zu können, weshalb dem Projekt in methodischer Hinsicht ein qualitatives Design zugrunde liegt, das auf die Rekonstruktion biographischer und interaktiver Prozessstrukturen abzielt, die mithilfe narrativer Interviews (vgl. Schütze 1977, Hermanns 1991) erhoben werden. Die Auswertung der Interviews erfolgt zum einen mit der Narrationsanalyse im Anschluss an Fritz Schütze (Schütze 1983, Fischer-Rosenthal/Rosenthal 1997), mit der die Interviewtexte in ihrer gesamten Länge betrachtet und übergreifende Ereignisketten bzw. Erzählstrukturen herausgearbeitet werden können. Zum anderen werden ausgewählte Textpassagen mit dem Verfahren der Sequenzanalyse in Anlehnung an die objektive Hermeneutik (Oevermann u.a. 1979, Wernet 2000) analysiert, wodurch ein präziser Zugriff auf die Differenz zwischen dem subjektiv vermeinten Sinn und der latenten objektiven Sinnstruktur möglich wird. Aufgrund der unterschiedlichen Schwerpunkte verspricht die Triangulation der beiden Methoden fruchtbare Ergebnisse. Vgl. auch King 2009. Der Stadtteil gilt als sog. Brennpunkt, der für seinen hohen Anteil an (türkischen) Migranten bekannt ist.


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