audimax ING. 4/2018 - Karrieremagazin für Ingenieure

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ROHSTOFFGEWINNUNG

SOLIDE NISCHE: IN GAS- UND ÖLGEWINNUNG, ERNEUERBAREN ENERGIEN UND BEIM RÜCKBAU IST INGENIEUR-KNOW-HOW VON BOHRTECHNIK BIS ENERGIEEINSPEISUNG GEFRAGT Text: Katja Edelmann

ALS 2010 DER ISLÄNDISCHE VULKAN EYJAFJALLAJÖKULL AUSBRACH, BEFAND SICH PETRA SEITINGER GERADE AUF DER ERDÖLBOHRPLATTFORM EINES NORWEGISCHEN OPERATORS IN DER NORDSEE. Dort schrieb die Petroleum-Ingenieurin ihr Diplom über Abnutzungserscheinungen der Verrohung. »Wir waren 40 Leute auf der Bohrinsel. Der Großteil saß nach Erreichen der Bohrlochendtiefe wegen der Flugeinschränkungen fest. Wir wurden dann mit dem Hubschrauber wieder ans Festland gebracht«, schildert die heute 30-Jährige ganz gelassen. Nach der fünfjährigen Studienzeit an der Montanuniversität Leoben in Österreich, Vertiefung Bohrtechnik, mit vielen verschiedenen Praktika entschied sich Seitinger für die Laufbahn beim internationalen Öl- und Gaskonzern Exxon Mobil in Hannover. »Mir gefällt die Arbeitsatmosphäre, das Miteinander. Es wird viel Wert auf die Personen-, Umwelt- und Anlagensicherheit gelegt«, sagt Seitinger zufrieden. Sie hat in den letzten sieben Jahren in vier verschiedenen Bereichen des Unternehmens gearbeitet: zwei Jahre in der Untertagetechnik, drei Jahre in der Ölförderung, weitere anderthalb Jahre in Houston in einem beratenden Team von Spezialingenieuren und bei einem Projekt in Norwegen. Aktuell ist sie Produktionsingenieurin für 100 Gasbohrungen in Niedersachsen. »In meinem Projektteam gewährleisten wir die standardgemäße Trocknung des Nassgases, um die Integrität des Pipeline-Netzes zu erreichen«, beschreibt Seitinger einen Teil ihres Tagesgeschäfts. Die Bohrungen müssen eine gewisse Förderrate erzielen und stetig erhöhen. Das Spannendste an ihrem Job ist das Unsichtbare: »Auf den ›Gesundheitszustand‹ der Bohrung lassen über Tage die Förderrate und der Kopfdruck schließen. Fallen beide ab, müssen wir herausfinden, wo das Problem liegt. Wir werten Flüssigkeitsproben aus, überprüfen die Hydraulikverhältnisse im Förderstrang oder fahren mit Werkzeugen in die Bohrung ein, um festzustellen, ob es Salz- oder Sandakkumulationen gibt.« Allein in Niedersachsen unterhält das Unternehmen circa 700 Öl- und 230 Gasbohrungen. Im Konzern spricht Seitinger viel Englisch, was der Wienerin durch Auslandsstationen während der Kindheit und vom kompletten Studium bekannt ist.

IN DEUTSCHLAND EINE NISCHE, TECHNOLOGISCH GESEHEN EIN WELTMARKT Mit einer relativ kleinen Erdöl- und Erdgasgewinnungsrate ist die Rohstoffgewinnung in Deutschland eine Nische. Aber: »Wir leben von der Innovation und der Technologie, die wir für den Bereich konstruieren. Der Arbeitsmarkt sieht gut aus«, sagt Lars Funk, Leiter des Bereichs Beruf und Gesellschaft beim Verein Deutscher Ingenieure (VDI). In der Rohstoffgewinnung gibt es aktuell 2.000 offene Ingenieurstellen – von insgesamt 74.000 –, Tendenz steigend. In Bayern und Baden-Württemberg gibt es die meisten offenen Stellen. Erneuerbare Energien wie Wind und Solarenergie sind in die Zahlen nicht mit eingerechnet. Als Rohstoff definiert der Verband, was aus dem Boden kommt. Dazu zählt auch Biogas. Funk empfiehlt an der Rohstoffindustrie interessierten Studierenden, sich in der Ausbildung breit aufzustellen und dann erst zu spezialisieren. »Es ist nie gewiss, was auf dem Energiemarkt passiert. Studierende fahren gut damit, zum Beispiel Maschinenbau im Bachelor zu studieren und danach einen Master in Rohstoffgewinnung, Ressourceneffizienz oder Werkstofftechnik anzuschließen«, sagt Funk. Trend auf dem Markt ist das Thema Ressourceneffizienz: Wie vermeide ich Abfälle, wie verbrauche ich weniger Wertstoffe, wie kann ich Ressourcen aus bestehenden Geräten

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wiedergewinnen. »Diese Fragen werden in Deutschland an Bedeutung gewinnen. Rohstoffe sind endlich und aus technologischen Gesichtspunkten brauchen wir immer mehr.«

»MEINE AUFGABE: MIT HILFE VON TECHNIK NACHWACHSENDE ORGANISCHE ROHSTOFFE IN ENERGIE VERWANDELN.« MEHMET ÖNAL, Ingenieur bei Bioconstruct

DER BEDARF AN ENERGIE STEIGT, NEUE LÖSUNGEN WERDEN BENÖTIGT Mehmet Önal weiß darauf eine Antwort. Seit 16 Jahren ist er beim Biogasanlagenhersteller Bioconstruct tätig. Er sieht seine Aufgabe darin, mit Hilfe von Technik nachwachsende, organische Rohstoffe in Energie zu verwandeln. »Das sollte unser aller Aufgabe sein. Deutschland ist Nummer eins in erneuerbaren Energien. In anderen Ländern ist der Bedarf viel höher, zum Beispiel in der Türkei mit vielen Höfen von 20.000 Vieheinheiten. Dort werden die tierischen Abfälle als Problem gesehen. Wir sehen sie als Rohstoffe«, sagt der 41-Jährige. Als frisch gebackener Bauingenieur, Vertiefung Baubetrieb, begann er 2001 als Projektmanager beim damaligen Start-up. Der fast gleichaltrige Firmengründer meldet sich auf Önals Anzeige, die er nach dem Diplom in der Zeitung annoncierte. »Junger Student sucht Unternehmen. Wir hatten beide wenig Erfahrung mit Personalgesprächen und sind schnell zusammengekommen. Wir haben zu dritt auf dem Dachboden angefangen und die Biogasanlage vom Nachbarhof zu Ende gebaut und in Betrieb genommen, nachdem der Anlagenerrichter insolvent gegangen ist«, erinnert sich Önal. Zu den Kunden zählen heute Investoren, Energiekonzerne und Landwirte aus fast allen europäischen Ländern und der Türkei. 90 Mitarbeiter beschäftigen sich mit der Produktion von Biogasanlagen, von der kundenspezifischen Planung, Inbetriebnahme und Wartung. Önal verantwortet seit 2008 den operativen Part mit einem Großteil der angestellten Ingenieure und Techniker. »Mein Bereich beginnt nach dem Verkauf der Anlagen. Wir erstellen Genehmigungen und Zeichnungen, kümmern uns um Service und Umweltaspekte«, sagt Önal, mittlerweile mehr Manager als Ingenieur. »Das ist der Werdegang, wenn die Firma größer wird. Ich vermisse die Ingenieurleistungen, die ich während des Studiums praktiziert habe. Wann immer ich es mir erlauben kann, komme ich darauf zurück. Ich bin im stetigen Austausch mit den Kollegen und kontrolliere auch mal statische Berechnungen oder ein Bodengutachten«, so Önal. Er ist stolz darauf, dass Bioconstruct ›konservativ gewachsen‹ ist: ein kleines Team, das sich den ständigen Änderungen der Einspeisevergütung und -regelungen anpassen kann. Flexibilität, Praxiserfahrungen und unternehmerisches Denken verlangt Önal auch von jungen Ingenieuren, die bei Bioconstruct einsteigen wollen.


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