ÜBEN BLEIBT DAS KERNGESCHÄFT
haben, um möglichst viele am Überarbeitungsprozess teilhaben
in welchem Studienmodell ihnen dies ermöglicht wird, eher
zu lassen und trotzdem ein übersichtliches Gremium zur
zweitrangig. Was am Bachelor als sehr vorteilhaft empfunden
Steuerung des Prozesses zu bleiben.
wird, ist der Wahlbereich und damit die Möglichkeit, das Studium seinen individuellen Bedürfnissen anzupassen.
Herr Schmidt, wie haben Sie in Ihrer Zeit als Dekan im Jahr 2010 die Umstellung auf das Bologna-System erlebt?
Sind denn die Absolventen durch Bologna und dessen knapp bemessene Studienzeit wirklich früher auf dem Arbeitsmarkt?
Prof. Christoph Schmidt Ich empfand Bologna damals als große Chance, ein Studium wirklich transparent abzubilden. In
Prof. Christopher Brandt Das bezweifel ich: Die Tendenz, nach
den Konzeptionsgesprächen nahm die Frage einen großen Raum
einem Bachelor einen Master draufzusatteln, ist mittlerweile sehr
ein, welche Fächer verpflichtend sein sollen und welche Wahl-
ausgeprägt. Ich habe zumindest den subjektiven Eindruck, dass
möglichkeiten es gibt. Mein Bestreben war es, den Wert des
Studierende mit Bologna im Schnitt sogar noch länger studieren
Arbeitens am Instrument in der Gewichtung der Module hoch
als zu Diplomzeiten.
anzusetzen. Aus meiner Sicht sind die Studieninhalte noch zu sehr gestreut und lassen wenig Zeit für das handwerkliche Kern-
Ist es allgemeiner Konsens, dass die Beschäftigung mit dem
geschäft, also das Üben. Gegen manches habe ich mich damals
Instrument, also dem Hauptfach, der Nukleus eines künstlerischen
zur Wehr gesetzt: Als ein Praktikum in einer sozialen Einrichtung
Studiums bleibt?
für Musikstudierende verpflichtend verankert werden sollte, hab ich dies strikt abgelehnt. Insgesamt lässt sich aber nach sieben
Prof. Christopher Brandt Innerhalb des Fachbereiches auf jeden
Jahren Bologna bei uns eine sehr positive Bilanz ziehen.
Fall. Leider wird es außerhalb dessen jedoch von vielen immer
Anatol Riemer Die Umstellung brachte mit sich, dass erstmals
noch despektierlich betrachtet, dass sich unsere Studierenden
Studieninhalte verbindlich formuliert wurden, die bereits in den
viele Stunden am Tag selbstständig am Instrument weiterbilden
alten Studiengängen geläufig Praxis waren, ohne dass sie explizit
müssen. Dabei ist dies ein ganz kreativer Prozess der Selbsterfor-
in der Studienordnung standen – zum Beispiel 30 Minuten Kor-
schung und Selbstreflexion, den man nicht unterschätzen sollte.
repetitionsunterricht für Studierende. Derlei Festschreibung ging
Prof. Christoph Schmidt In meiner Generation war es noch
natürlich nicht ohne Diskussion um die Finanzierbarkeit vonstatten.
selbstverständlich, in die Beschäftigung mit dem Instrument das
Die Befürchtung, die Kosten pro Studierenden könnten im Zuge
Maximum an Zeit zu investieren und andere Fächer ggf. wegzu-
der Umstellung steigen, hat sich glücklicherweise überhaupt nicht
lassen. Das geht heute – gerade angesichts von Bologna – nicht
bewahrheitet. Ein langes Grundsatzringen gab es zudem um die
mehr. Ich selbst habe im vierten Semester meines Studiums eine
Frage, ob man das oben erwähnte Y-Modell mit der Profilwahl im
Stelle bekommen und war dann weg von der Hochschule, habe
fünften Semester einführt oder nicht. Insgesamt habe ich den
mein Examen Jahre später nachgeholt, um überhaupt etwas in der
Umstellungsprozess als eine wahnsinnig spannende und arbeits-
Hand zu haben, andere haben ganz darauf verzichtet. Das ist heut-
intensive Zeit erlebt, die auch sehr viel Spaß gemacht hat.
zutage ganz unüblich: Alle beenden ihr Studium mit einem Examen.
Bedeutete Bologna für die Studiengänge einen qualitativen Quantensprung?
Wann werden die Ergebnisse der Studiengangüberarbeitung studentische Realität werden?
Prof. Christoph Schmidt Einen Quantensprung auf keinen Fall. Aber Bologna ist ja auch ein Prozess – ein solcher, in dem man
Anatol Riemer Realistischerweise gehe ich von einer
angefangen hat, den „workload“ transparent abzubilden, das
Einführung zum Wintersemester 2018/19 aus – und wenn wir
ist sicher ein positiver Effekt.
es eher schaffen: umso besser! bjh
Prof. Christopher Brandt Es ist klar, dass künstlerische Studierende in der Regel vor allem bestrebt sind, einen Platz in der Klasse ihres Wunschlehrers zu bekommen. Für sie ist die Frage, 29