Frankfurt inTakt - Sommersemester 2015

Page 1

Frankfurt in Takt Magazin der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main

Schwerpunktthema

QUALITÄT Beurteilen &Benoten

in der künstlerischen Ausbildung

15. Jahrgang, Nr. 1 Sommersemester 2015 www.hfmdk-frankfurt.de


www.facebook.com/FrankfurterSparkasse Eugen Hahn | Musiker und Jazzkeller-Betreiber | Kunde seit 1986

Mein Leben, meine Vibes, meine Frankfurter Sparkasse „Worauf’s beim Jazz ankommt? Dass man genau zuhört und aufeinander eingeht. Talente, die auch meinen Berater auszeichnen.“ Die Gewerbekundenbetreuung der Frankfurter Sparkasse. Wir haben ein Ohr für Ihr Business.


Szene aus der Hochschul-Inszenierung „Gianni Schicchi“

Inhalt

2 Editorial

40 Kriterienbasierte Beurteilung

von Thomas Rietschel

4 Die Kunst ist es, an schlechten

von Prof. Dr. Maria Spychiger 46 Qualitätsmanagement –

Tagen gut zu sein

ein Gradmesser der Erfüllung

von Prof. Catherine Vickers

von Brigitte Binder, Cédrine Lussac

10 Wir wollen voneinander lernen Interview mit den Professoren Ingo

und Sina-Mareen Retolaza 50 Qualität und das Salatblatt im Burger

Diehl und Ernst August Klötzke 14 Die Herausforderung des fachlichen Urteils

Interview mit Brigitte Binder 52 Der neue Hochschulrat 53 Back to the roots

von Prof. Marion Tiedtke

18 Experte, Allrounder und guter Vermittler

Prof. Lorenz Nordmeyer im Portrait 54 He who can does

von Prof. Henriette Meyer-Ravenstein 22 Das einzig Objektivierbare

von Prof. Christopher Brandt 56 Exzellente Kunst braucht

ist die Subjektivität

exzellente Förderer

Interview mit den Professoren

Lucas Fels, Michael Sanderling und

58 Portraitserie „Verschlungene

Michael Schneider

Lebenswege unserer Alumni“:

30 Vom Suchen und Finden der Note von Maurice Lenhard 32 Aus der Seele statt aus der Kehle Interview mit Prof. Thomas Heyer 36 Draußen ahnt keiner, was drinnen ist

von Dr. Laila Nissen

39 Zahlen und Fakten

von Beate Eichenberg

Jan Schumacher 59 Impressum 60 Erfolge unserer Studierenden


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

Editorial

U

Natürlich hat die Öffentlichkeit das Recht, von den Hoch-

den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Instrument der

schulen des Landes gewisse Leistungen zu erwarten. Deshalb

Selbstverständigung unserer Hochschule entwickelt. Zweimal

schließt das Land Hessen auch mit uns Zielvereinbarungen,

im Jahr diskutieren wir hier öffentlich komplexe Themen, die

in denen wir uns u.a. über Studiengänge und Studierenden-

nser Hochschulmagazin „Frankfurt in Takt“ hat sich in

für uns von zentraler Bedeutung sind.

zahlen, aber auch über unsere Entwicklungsziele verständigen. Die Entwicklung dieser Ziele liegt jedoch weitgehend in

Die Benotung künstlerischer Leistungen ist solch ein Thema –

unserer Hand, dies ist im Hochschulgesetz so geregelt. In

und zwar ein besonders schwieriges: Eine Note suggeriert

unserem Leitbild haben wir zentrale Entwicklungsziele der

Objektivität. Aber lässt sich etwas so Persönliches und damit

HfMDK und damit auch die Kriterien formuliert, an denen wir

Subjektives wie künstlerische Leistung objektiv beurteilen?

gemessen werden wollen. Einige davon seien genannt: Uns ist

Trotzdem werden an unserer Hochschule täglich künstlerische

die Bildung unserer Studierenden genauso wichtig wie deren

Leistungen bewertet und benotet. Wie unser Heft zeigt, geschieht

Ausbildung; wir haben deutlich gemacht, dass Innovation,

das keineswegs willkürlich, sondern auf der Grundlage von

Experiment und Interdisziplinarität bei uns eine große Rolle

Kriterien. Ich danke allen Autorinnen und Autoren sowie den

spielen; die Neudeutung des kulturellen Erbes und die Ausei-

Interviewpartnern für ihre Bereitschaft, sich auf dieses heikle

nandersetzung mit den zeitgenössischen Künsten haben bei

Terrain zu wagen, ihre Kriterien offen zu legen, auch ihre

uns einen hohen Stellenwert; unsere Hochschule will nicht nur

Zweifel zu benennen – und sich damit angreifbar zu machen.

professionelle, sondern auch gesellschaftlich verantwortliche Persönlichkeiten ausbilden, und die Teilhabe aller Menschen

Um Kriterien geht es auch, wenn unsere Hochschule in ihrer

an den Künsten ist uns ein wichtiges Anliegen.

Arbeit von Außenstehenden bewertet wird. Oft werden sehr explizite Ansprüche an uns heran getragen, an deren Erfüllung

Wenn wir also als Hochschule von außen beurteilt werden,

oder Nicht-Erfüllung wir dann gemessen werden. Beispiele

dann wollen wir nicht in ein Ranking oder Kategoriensystem

gefällig? Manche Klassikfreunde erwarten, dass wir möglichst

gepresst werden, das nach Kriterien wertet, die uns nicht

viele internationale Stars ausbilden, die Jazzfans wünschen sich

entsprechen. Vielmehr möchten wir an den Kriterien gemessen

eine ganze Jazzabteilung, die Eltern wünschen sich musikalisch

werden, die wir nach reiflicher Überlegung selbst formuliert

qualifizierte Erzieherinnen in Kindergärten, die Orchester möchten

und offen gelegt haben.

in den Probespielen noch perfekter einstudierte Orchesterstellen hören, andere erwarten, dass unsere Studierenden die

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre

Kreativwirtschaft beflügeln. Ihr

Thomas Rietschel Präsident der HfMDK Frankfurt am Main

2


Schauspielszene mit Nicola Schubert

3


„Die Kunst ist es, an schlechten Tagen gut zu sein“

Beurteilen, Bewerten und Benoten in der künstlerisch-instrumentalen Ausbildung

1) Der legendäre österreichische Skifahrer Hermann Meier im Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 4. Februar 2015

4


„ D i e K u n s t i s t e s , a n s c h l e c h t e n Ta g e n g u t z u s e i n “

Von Catherine Vickers, Professorin für Klavier

B

enotung und Pädagogik haben nichts miteinander zu tun.

Keine Note könnte so differenziert sein, kein Kriterienkatalog

Über Pädagogik kann viel gesagt werden, ohne über Benotung

so zuverlässig oder umfangreich, dass eine „Person“ je benotet

zu sprechen. Über Benotung zu reden, ohne Pädagogik zu

werden könnte. Und wer glaubt, auf diesem Gottesthron Platz

reflektieren, geht jedoch nicht. Noten können Pädagogik nicht

nehmen zu können, um eine derartige Beurteilung zu leisten?

ersetzen, im Idealfall vielleicht Pädagogik Noten.

Genau hier liegt ein Hauptmissverständnis in der Benotung einer

künstlerischen Prüfungsleistung. Auch hier liegt gegenüber

Welche Besonderheiten der künstlerisch-instrumentalen

einer/m Studierenden die große Verantwortung der Pädagogik,

Ausbildung machen eine Notengebung so diffizil? Und warum

und ebenso liegen hier existenzielle Erfahrungen für Studierende.

meine ich – auch nach 34 Jahren als Professorin mit Erfahrungen in unterschiedlichsten internationalen Benotungssystemen sowohl in Hochschulen wie auch bei Wettbewerben –, dass junge Menschen beim Abschluss ihres künstlerisch-instrumentalen Studiums Benotungen zugemutet werden können? Die Aufforderung, ausführlich zu diesem Thema zu schreiben, ist für mich Anlass, einige Gedanken zu Bedingungen der Noten- gebung zu reflektieren und Wünsche – vielleicht Utopien – für die Zukunft zu entwerfen. Was wird beurteilt, wie wird das Beurteilte bewertet, und wie äußert sich die Bewertung in einer Note? Meine Überlegungen gelten nur Abschlussnoten im instrumentalen Hauptfach. Noten einer Zwischenprüfung können auch zuweilen, ungeachtet meines Anfangssatzes, pädagogisch begründet werden; eine Kommission will z. B. einen Kandidat/ eine Kandidatin zu einem „Weiter so“ ermutigen, will einen Lehrer unterstützen und den Studierenden durch eine „Warnung“ aufwecken, will „Flausen im Kopf“ entgegen wirken, will gute bisherige Erfolge würdigen, will Energien freisetzen, usw. Die Gründe für die eventuelle Wirksamkeit solcher Notengebung sind vielfältig – da muss die Pädagogik übernehmen! Die Note der Abschlussprüfung hat ein anderes Gewicht. Die Institution hat die Studierenden über mehrere Semester betreut,

Fangen wir bei den Studierenden an:  Konnten sie während ihres Studiums mit Hilfe der ihnen gebotenen Pädagogik einige emotionale Knäuel entwirren und entwickeln?  Lernten sie die tiefe Liebe zur Materie Musik als etwas, vom eigenen instrumentalen und geistigen Potenzial Getrenntes, zu begreifen?  Merken sie, dass ihre Liebe zur Musik mit ihren Fähigkeiten am Instrument zunimmt und weder hier noch da eine Ende in Sicht ist?  Bereitet es noch Schwierigkeiten, das ehemalige „Hobby“ als Studium zu begreifen?  Empfinden sie Hinweise als schwierige „Aufgaben“ oder als Wege zur Befreiung, zur Entfaltung?  Haben sie im Laufe des Studiums ein Gefühl für Stehenbleiben, für sprunghafte Entwicklung, für Kontinuität erfahren?  Was haben sie über die Bedingungen dieser diversen Zustände beobachten können?  Haben sie gelernt, was Arbeit bedeutet?  Produziert ihre Neugier in Bezug auf ihr Fach genügend Energie?

mit ihren Zensuren bewerben sie sich, im Bestfall kann die

In den Antworten auf obige und auf weitere solcher Fragen

Benotung den Prozess der Selbsterkenntnis fördern und helfen,

gibt es so viele Abstufungen wie Studierende. Dadurch wird

die eigene Nische, den eigenen Platz zu suchen. Im schlimmsten

das „Gelernte“ natürlich beeinflusst.

Fall ist der Studierende keineswegs auf das Notenergebnis der Abschlussprüfung vorbereitet und sucht Gründe außerhalb der eigenen Leistung für die gute oder schlechte Note.

5


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

Die eigene Bühne finden Mein Hauptargument für eine Notengebung ist meine Über- zeugung, dass der Fokus auf das Erreichte für die Notengebung unabdingbar ist. Denn welchem Zweck soll eine Abschluss- prüfung dienen, außer das Gelernte und Erreichte zu präsentieren und somit nachzuweisen, dass man aller Voraussicht nach geeignet ist, den gewählten Beruf auszuüben? In einer künstlerisch-instrumentalen Ausbildung ist „Bühne“ mit „gewähltem Beruf“ gleichzusetzen. Es gibt so viele Bühnen wie Menschen.

Reden mit Respekt

Studierende können und müssen ihre eigenen zukünftigen Bühnen finden und/oder bauen. Auf welcher Bühne der Beruf

Wie kann sich ein Kreis von Fachkräften über das Erreichte

ausgeübt werden wird, kann nicht Gegenstand einer Benotung

in Rahmen einer vorhandenen Begabung verständigen? Die

sein. Die große Schwierigkeit hierbei: Je höher ein Berg erklom-

Zauberformel heißt: Reden mit großem gegenseitigen Respekt.

men wird, desto langsamer werden die Schritte. Je besser die

Dieses Reden beginnt bei den Eignungsprüfungen. Intensive

Vorbildung war, je größer eine Begabung, desto komplexer

und aufmerksame Beobachtungen sollten hier gesammelt

und subtiler die Fortschritte, desto tiefer die Einstürze, desto

und festgehalten werden. Das ist die erste Basis für das Er-,

komplizierter die Beurteilung. Besondere Mühe, die für das

vielleicht sogar für das Verkennen einer Begabung und für

Erreichen eines eher niedrigen Niveaus aufgewendet wurde,

die Beurteilung einer Entwicklung. Darüber hinaus ist eine

kann nicht mit einer besseren Note belohnt werden. Das gehört

Kommission, zusätzlich zu sporadischen Vorspielen, auf die

zu einer Grundschulpädagogik und nicht zur Abschlussprüfung

Mitteilungen der Erfahrungen des Hauptfachlehrers angewiesen.

einer künstlerischen Berufsausbildung. Eine Kommission

Sollte dieser Erfahrungsaustausch zu selten vorkommen und

muss davon ausgehen, dass jede/r Kandidat/in während des

zu dürftig sein, sind Probleme einer Notengebung schon

Studiums ihre/seine äußerste Arbeitskraft eingesetzt hat.

programmiert.

Offenheit für die Perspektiven anderer Es ist eine große Bereicherung für eine Hochschule wie die HfMDK Frankfurt, wenn die einzelnen Repräsentanten eines Fachs mannigfaltige künstlerische Färbungen und Fähigkeiten aufweisen. Unterschiedliche Arten von Begabungen werden eher aufgespürt. Dadurch entstehen zwangsläufig diverse Gewichtungen im Unterricht. Zuweilen, doch nicht immer, werden diese Gewichtungen hörbar durch das Prisma der Indi- vidualität der Studierenden. Ein fruchtbarer Erfahrungsaustausch entsteht, wenn Pädagogen die Vorzüge und Schwächen der Studierenden verbalisieren, von gegenseitigen Ansätzen zur Lösung konkreter Probleme profitieren und Offenheit für die Perspektiven anderer zeigen können. Von den Zeiten, die Cherubini schon beklagte, als die schwarzen Samtvorhänge zugezogen wurden, um Kontrapunktunterricht zu erteilen, müssen wir uns endgültig verabschieden. Die Zukunft und das Wohl der Studierenden müssen Vorrang haben. 6


„ D i e K u n s t i s t e s , a n s c h l e c h t e n Ta g e n g u t z u s e i n “

Freiheit schafft Raum für unerwartete Entwicklungen Meistens herrscht in der beurteilenden Kommission ein

Vermutlich kann mich kein weiteres Beurteilungs- oder

Einverständnis bezüglich klarer Kriterien, die zur Ausübung einer

Benotungsgespräch mehr überraschen oder erschüttern. Ich

künstlerischen Tätigkeit am Instrument notwendig sind: Dazu

habe das Glück erlebt, die ernsthaftesten, mit viel Wissen

zählen klangliche Differenzierungen, viele Anschlags-/Strich-/

und Weisheit angereicherten Gespräche über Leistungen von

Ansatzmöglichkeiten, rhythmische Stabilität, Flexibilität, Konzen-

Wettbewerbs-Kandidaten und/oder Studierenden mitzuführen.

trationsfähigkeit, formales Verständnis, Zuverlässigkeit bzw.

Alle Abstufungen bis zum entsetzlichsten Gegenteil konnte

instrumentale und musikalische Souveränität, Fantasie im Ver-

ich auch erfahren. Wir machen sicherlich alle zuweilen allzu

knüpfen, eine rasche Emotionalität, emotionale Reife, Projektions-

menschliche, unprofessionelle, unwürdige und vor allem der

Kapazitäten, Wille zur Gestaltung, hervorragende Ohren,

Sache keineswegs dienliche Äußerungen. Aber die Bereitschaft,

Sensibilität, Belastbarkeit, Nervenstärke, große dynamische

zu vernünftigen und wohlwollenden Notenergebnissen zu

Bandbreite, geschichtliches Bewusstsein in Bezug auf Musik

gelangen, sollte nie verloren gehen.

und das eigene Fach, wache Sinne usw. Ein stetiger, lähmender, unendlicher Diskussionszwang um die Frage „Was soll gelehrt/ gelernt werden?“ muss vermieden werden. Der persönliche Lebensweg (Was diente mir am meisten?), Zeitgeist (Wie kann man Kunstmusik in die Gesellschaft nachhaltiger hinein tragen? Geht die Etüde noch schneller?), Markterscheinungen (Schon wieder eine übererotisierte Abbildung einer jungen Künstlerin?) und gesellschaftliche Entwicklungen (Bekommt München einen neuen Konzertsaal?) sind Faktoren, die immer wieder ein Nach- denken in den Ausbildungsinstituten erfordern. Doch die Freiheit der Lehre ist ein hohes Gut, die es zu verteidigen gilt! Diese Freiheit lässt Raum für unerwartete Entwicklung, für die För- derung außergewöhnlicher Studierender. Ein Konsens darüber, was im Einzelunterricht gelehrt werden muss, ist unnötig – gemeinsame Studienordnungen und Prüfungsbedingungen reichen dafür vollkommen aus. Wer die Diskussion im Januar 2015 in „Die Zeit“ verfolgte (Schönheit muss man lernen von Ulrich Greiner und Allgemeinbildung ist überschätzt von Yascha Mounk), erahnt das Spektrum der möglichen Positionen bei der Suche nach einem Konsens über Inhalte in der Bildung – bei uns ebenso in der künstlerisch-instrumentalen Ausbildung. Aber gehört es nicht zur Verantwortung der Notengebung, dass Kollegen sich auf das Intensivste um persönliche Aufklärung auch hier bemühen und sich bereit zeigen, die eigenen Überzeugungen zu vertreten und voneinander zu lernen?

7


8


„ D i e K u n s t i s t e s , a n s c h l e c h t e n Ta g e n g u t z u s e i n “

Professionelle Distanz zu den Studierenden Für die Pädagogik sowie für Notenerteilung ist eine Fähigkeit

Wie kommen Studierende dazu, auch an schlechten

besonders nötig: Abstand zu den Studierenden einnehmen zu

Tagen gut zu sein?

können. Hier liegt womöglich der größten Fallstrick des Einzel- unterrichts, der gleichwohl unverzichtbar bleibt. Die zuverlässig-

 Sie brauchen einen gesunden Egoismus für ihr Studium.

ste Methode, um den Raum der Studierenden nicht zu verletzen,

 Sie sollen lernen, obsessiv zu arbeiten, denn nie wieder im

ist: die fachliche Überlegenheit durch kontinuierliche Anstren-

Leben werden sie solch eine Zeit für sich haben. 90 Minuten

gung und Fortbildung zu erhalten und auszuweiten. Dabei dürfen

Einzelbetreuung wöchentlich bedeuten eine Obligation.

wir Yehudi Menuhin nie vergessen, der immer wieder darauf

Unabhängig davon, ob eine Aufgabe sie reizt, ärgert oder

aufmerksam machte, dass das Unterrichten die Arbeit mit jungen

langweilt – so viel wie möglich für das „Ich“ herauszuholen,

Menschen sei, die einen eines Tages überflügeln können.

ist Pflicht und dient der „Selbstfindung“.

Freie Entfaltung ist oberstes Gebot

 Sich außerdem bewusst zu sein, dass viele Menschen, denen sie auf der Straße in Deutschland begegnen – Dozenten inklusive – ihr Studium über Steuern finanzieren,

Es ist zeitaufwendig, denn die Zahl der Studierenden ist

bringt ein Gefühl der Verantwortung gegenüber sich,

hoch: Doch wünschte ich mir in der künstlerisch-instrumentalen

der Kunst, der Umgebung, der Gesellschaft hervor. Das

Ausbildung mögliche Lehrerkonferenzen, worin Vertreter der

kann auch Energie erzeugen!

Musikwissenschaft, Musiktheorie und weiterer Studienfächer mitwirken. In manchen instrumentalen Fachgruppen gibt es

Dass wir „fertige“ junge Künstler entlassen die alle Bestnoten

schon regen Austausch, in vielen anderen Ausbildungsbereichen

erzielen, kann nicht unsere Erwartung sein. An schlechten Tagen

die breiter basierten Lehrerkonferenzen. Dieser Austausch könnte

gut zu sein, ist eine Lebensanforderung an uns alle. Ohne zu

eine Art Entwicklungsgraphik für jeden Studierenden ermög-

wissen, was man tut, ist das unmöglich. Ohne dieses Wissen

lichen, ihre/seine Stärke- und Schwächephasen deutlicher

unzählige Male bis zur „Bewusst-Losigkeit“ trainiert zu haben, geht

vor Augen führen.

es auch nicht. Es ist ein Rettungsanker, wenn man sich konzen-

Keineswegs, um einer noch weiteren „Verschulung“ der

trieren kann und darf auf das, was man gelernt und erreicht hat.

Ausbildung Vorschub zu leisten, sondern im Gegenteil: Die

„Tiefstapler und Aufschneider“ war Titel eines Artikels in

Erfahrungen der Lehrenden anderer Fächer kann die Persönlich-

der Süddeutschen Zeitung im Januar 2015. Die psychologische

keit der Studierenden klarer erscheinen lassen. Dieses Wissen

Forschungsliteratur belegt anhand von Studien: „Die meisten

müsste dann in die Pädagogik aller Fächer einfließen können.

Menschen liegen weit daneben, wenn sie ihre eigenen Fähigkeiten

Die freie Entfaltung der Studierenden ist das oberste Gebot.

einschätzen sollen. Sie halten sich für besser, als sie tatsächlich

Die Konferenzen fänden nicht statt, um das Gesprochene

sind; oder sie trauen sich weniger zu, als sie tatsächlich können.“

eins zu eins an die Studierenden weiterzureichen. Sie wären wichtig für die Lehre!

Ein unverrückbares, festes Bild von der Umgebung sowie von den eigenen Fähigkeiten und der eigenen Ausstrahlung macht die notwendig differenzierte Wahrnehmung unmöglich. Keine künstlerische Entwicklung erfolgt linear, Entwicklungskurven sind individuell. Die Benotung des Entwicklungsstands in der gewählten Disziplin eines Einzelnen ist ein Punkt auf einer Graphik, die noch viel Bewegung zeigen wird. Reifen, Entdecken, Geschehenlassen – nicht die Abschlussprüfung ist Höhepunkt des künstlerisch-instrumentalen Lebens!

9


Für den Abend des 6. Mai ab 18 Uhr sind alle Lehrenden der HfMDK zu einem offenen Austausch im Raum A 205 eingeladen. Die Kollegen können fachbereichsübergreifend dazu ins Gespräch kommen, wie Lehrende an der HfMDK Studienprozesse bewerten und wie sie Qualität in jeweils ihrem Bereich definieren. Das nachfolgende Interview führen wir mit den beiden Initiatoren dieser Veranstaltung: Ernst August Klötzke, Professor für Musiktheorie und Vize-Präsident der HfMDK, und Prof. Ingo Diehl, Leiter des Studiengangs „Contemporary Dance Education Master“ (MA CoDE) und seit Sommersemester 2015 neuer Dekan des Fachbereiches 3, Darstellende Künste.

Prof. Ingo Diehl

„Wir wollen voneinander lernen“ Lehrende sind am 6. Mai zu einem offenen Austausch über Kriterien des Benotens und der Qualität eingeladen

Was genau haben Sie am 6. Mai vor, und wie kam

Beschreiben Sie, inwiefern Sie das Beurteilen und

die Idee zustande?

Benoten vor Probleme stellt.

Prof. Ingo Diehl Wir

Ernst August Klötzke Jeder

möchten alle Interessierten zu einem kollegi-

Lehrende befindet sich strukturbedingt

alen Austausch über die Frage einladen, nach welchen Kriterien

in der schwierigen Situation, etwas zu beurteilen. Manche

wir benoten und wie wir damit gleichzeitig Qualität in unseren

haben es leichter – dazu zähle ich mich als Theorieprofessor,

verschiedenen Bereichen definieren. Ziel ist es, einen Dialog

weil ich beschriebenes Papier als Bewertungsgrundlage vor mir

über unterschiedliche Vorgehensweisen zu initiieren. Wir gehen

habe, an dem ich Kriterien abarbeiten kann. Wie schwer ist es

davon aus, dass wir darüber besser verstehen, was in den anderen

hingegen fair zu bewerten, wenn ein Tänzer tanzt, ein Sänger

Bereichen passiert. Jeder, der Lust hat, kann bei diesem infor-

singt oder ein Musiker ein Musikstück spielt? Wer sie beurteilen

mellen Treffen beschreiben, wie er bewertet und beurteilt. Wir

soll, hat nur die Linearität der Zeit, also der Aufführungsdauer,

wollen dabei nicht etwa gegenseitig kontrollieren, sondern

während ich beim Korrigieren der Klausuren auch mal zurück-

voneinander lernen. Bei der letzten Lehrendenvollversammlung

springen oder eine Pause einlegen kann.

haben wir gemeinsam festgestellt, dass wir unter den Fach- bereichen doch so wenig von diesen Prozessen wissen. Den Fragen von Urteil und Qualität einmal Raum zu geben, weil wir die Zeit dazu im Semesteralltag nicht haben, soll im Sinne einer offenen Hochschule ein Geschenk an alle sein. Vielleicht bringt dieses Treffen ja neue Ideen.

10


Ingo Diehl Die

Frage, die sich mir stellt, ist: Wie klar kann ich das,

was ich sehe, beschreiben? Zum Beurteilen gehört der ständige Versuch zu beschreiben, was ich sehe, und dafür Kriterien zu entwickeln. Gleichzeitig ist das Entwickeln von Kriterien immer eine Form des Überprüfens der eigenen Arbeit und Werte im besten Sinne. Dadurch, dass wir mit unterschiedlichen Menschen arbeiten, aber ein Beurteilungs-System darauf legen, ist man immer wieder gefordert, die Frage, was Qualität denn sei,

Prof. Ernst August Klötzke

zu hinterfragen. Ernst August Klötzke Ich

bin mir gar nicht sicher, ob wir ein System

anlegen: Die Musiker haben in der Tat ihre eigene Systema- tik, die etwas mit Rezeptionstraditionen zu tun haben mag. Vielleicht beim Tanz aber viel mehr mit dem, was im Moment da ist? Fragst du dich in einer Tanzprüfung auch, wie sich das Gezeigte in den Gesamtkomplex der Stilistik des Tanzes der letzten 200 Jahre einreihen lässt?

Wie lässt sich solch ein Weg dokumentieren? Ingo Diehl Ich

schaue schon, ob es Referenzen gibt – woraus

es entwickelt ist, wie es mit den eigenen Entwicklungen des

Ernst August Klötzke Wir

arbeiten im Theorieunterricht mit Mappen,

Studierenden zusammengeht und wie weit der Studierende

in denen die Studierenden dokumentieren, was sie getan

auch eine Distanz zu seiner Darstellung entwickeln kann. Ist

haben. Ich habe es schon oft genug erlebt, dass jemand, den

das Gezeigte relevant für die Entwicklungen, die gerade in der

ich im Unterricht richtig gut fand, am Prüfungstag versagt hat.

Sparte passieren? Mit diesen Kriterien arbeitet man schon,

Was mache ich dann? Wenn ich eine Mappe habe, die das

muss sie aber gegebenenfalls wieder umwerfen, denn trotz

Niveau und die Entwicklung des Studierenden dokumentiert,

aller berechtigten Kriterien sind jeder Lernprozess und jeder

lässt sich belegen, dass die Prüfungsleistung aufgrund einer

Studierende unterschiedlich.

eher punktuellen Problematik so ist, wie sie ist.

Ernst August Klötzke Ja,

Aber die Klausur wird ja dadurch nicht besser.

und jeder kommt von woanders her. Es

gibt den Kandidaten, den wir aufgenommen haben, obwohl dessen Leistungen anfangs grenzwertig waren. Wenn er nach

Ernst August Klötzke Nein,

vier Semestern auf dem gleichen Stand ist wie jemand, den

und zum Glück haben wir in der Theorie gewisse Bewertungs-

aber ich kann die Klausur kommentieren –

wir guten Gewissens aufgenommen haben, ist doch dessen

spielräume. Ich rede über Fälle, in denen ich von jemandem eine

Weg ein viel weiterer. Ich möchte also in der Beurteilung nicht

1 erwartet habe und die Klausur eine 4+ wurde und ich glaube,

nur den Moment hineinnehmen, sondern auch fragen, welchen

dass diese Zensur die Kompetenz des Studierenden nicht

Weg er oder sie gegangen ist.

adäquat abbildet.

11


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

Als wie zentral erleben Sie Prüfungen in der Wahrnehmung der Studierenden? Ernst August Klötzke Die

Studierenden erfragen schon im ersten

Semester die Inhalte der Prüfung, die nach dem vierten Semester stattfindet – sie sind sehr fixiert darauf, was ich schade finde, weil ich sie nicht zu einer Prüfung führen, sondern mit ihnen einen inhaltlich spannenden Weg gehen möchte. In dem Moment, in dem der Begriff der Prüfung ins

Ist das nicht unfair, wenn doch das geschriebene Wort

Ingo Diehl

in der Klausur zählt?

Spiel kommt, kommen leider auch Ängste und Schwierigkeiten an die Oberfläche, sozusagen der gesamte Bildungskontext der

Ingo Diehl

Ich glaube die Vorgehensweise ist durchaus fair, weil

es um die Person und ihren Lernprozess geht. Wichtig ist zu

Studierenden. Damit kommt auch das, was in der Vergangenheit bei ihnen schiefgelaufen ist, im Moment der Prüfung aufs

hinterfragen, ob jemand gelernt hat, Prozesse weiterzuentwickeln

Tablett. Wenn diese Hemmnisse vor die Inhalte rücken, haben

und für sich Instrumente entwickelt hat, wie er an schwierigen

wir ein Riesenproblem. Vor diesem Hintergrund müssen wir

Punkten entsprechende Lösungen finden kann.

überlegen, wie wir gute Strategien entwickeln können, so dass wir für uns in der Bewertung eine Klarheit finden, worum es

Inwiefern kann es wichtig sein, wie ein Studierender seine Prüfungsleistung selbst einschätzt?

Ingo Diehl

Wir wenden in unserem Studiengang ein Format an,

das ich in einer fortschrittlichen Tanzausbildung in Finnland kennen gelernt habe und für sehr interessant halte: Dort ist es selbstverständlich, dass Studierende sich selbst bewerten,

da jetzt eigentlich geht. Ernst August Klötzke Vor

ein paar Wochen habe ich in der Mathe-

arbeit meiner Tochter eine Kommentierung des Lehrers entdeckt, wo er schrieb: „folgerichtig falsch“ oder „folgerichtig richtig“. Dieser Gedanke gefiel mir – dass man nicht pauschal sagt, etwas sei richtig oder falsch. Ich glaube, dass genau dieser Ansatz im Tanz dem

d. h. ein Drittel der Note ist die Selbstbeurteilung, die mit der

Ingo Diehl

Bewertung der Lehrenden in ein Verhältnis gesetzt wird. Der

Verständnis von Zeitgenossenschaft entspricht, denn wir gehen

Studierende muss auch Kriterien entwickeln, warum er sich in

mehr denn je mit hybriden Formen um. Wir können einer

dieser Weise beurteilt – das ist bei unserer Lehrprobenevalua-

Komplexität nicht mehr durch ein grundsätzliches „Richtig“

tion ebenfalls ein Prüfungsanteil. Die Frage, wie weit sich

oder „Falsch“ begegnen. Ich will die Studierenden vielmehr

jemand selbst einschätzen kann, ist wesentlich: Am Ende ist

stimulieren, neue Kombinationen zu entwickeln und spielerisch

also weniger die Lehrprobe entscheidend, sondern vielmehr

damit umzugehen. Damit kommt man übrigens zu einer Ver-

die Nachreflexion darüber. Wenn dem Studierenden klar ist,

mittlung, die auf Augenhöhe stattfinden kann.

wo Schwierigkeiten entstanden sind und mit welchem methodischen Werkzeug man sie vielleicht lösen kann, dann ist diese

Was wäre das hybride Moment in der Tonsatzklausur?

Erkenntnis der Lernweg, um den es geht. In den Aufnahme- prüfungen beziehe ich außerdem die Studierenden des dritten

Ernst August Klötzke Wenn

unsere Studierenden einen Choralsatz

Semesters in beratender Funktion mit ein. Es ist mir wichtig,

schreiben müssen, liegt der Reiz im Umgang mit Regelverstößen,

deren Einschätzung zu hören, außerdem geben sie in der

die sie – wenn sie sie begehen – begründen und kommentieren

Aufnahmeprüfung selber Training. Das sind für die Drittseme-

sollen. Wenn ein solcher im Sinne der damaligen Zeit argumen-

ster wiederum oft Schlüsselmomente, weil ihnen dabei klar

tiert ist und ich den Kommentar dazu lese, weiß ich, dass er mit

wird, welchen Weg sie selbst bereits in anderthalb Jahren

Absicht und damit bewusst begangen wurde. Bleibt er unkom-

Studium gegangen sind.

mentiert, werte ich ihn als Fehler.

12


Beispiel interdisziplinären Miteinanders: Tänzer und Komponisten improvisierten im Wintersemester innerhalb eines gemeinsamen Workshops.

Ingo Diehl

Das ist eben das Stimulieren der Genauigkeit in der

Beobachtung. In dem Moment, in dem Studierende das, was sie tun, bewusst formulieren und reflektieren können, haben sie das eigentlich Höchste erreicht, was möglich ist: souverän zu agieren. Ernst August Klötzke Und

genau das wollen wir doch. Wir wollen

keine Ableger, sondern dass Leute hier herausgehen, die sich mit dem, was sie an Ideen und Repertoire mitbekommen, den eigenen Kopf machen. Ich würde es nicht für wünschenswert halten, wenn meine Absolventen in zehn Jahren noch genauso arbeiteten, wie sie es bei mir gelernt haben. Ingo Diehl

Eben – sie müssen selbst neue Lösungen finden und

uns überflügeln, und ich muss mir die Frage stellen, inwieweit ich diese Autonomieentwicklung unterstütze oder aushalte.

Bei allem Autonomiebestreben bedarf es dennoch am Anfang funktionierender Vorbilder, oder?

Ingo Diehl

Ich habe mich dazu entschlossen, im MA CoDE,

in dem es im Schwerpunkt um Vermittlung geht, keine eigene Praxis zu lehren. Damit würde ich als ein „Role Model“ den Rahmen der Möglichkeiten zu eng vorgeben. Ich muss mit meiner Individualität, damit also auch meinen geschmacklichen Ausrichtungen und künstlerischen Präferenzen, zurücktreten und die Studierenden maximal darin unterstützen, ihren eigenen Weg zu gehen.

Also ist der Bewertungsspielraum doch um einiges größer, als man vordergründig meinen könnte? Ernst August Klötzke Es

gibt natürlich unverrückbare Parameter,

an denen niemand vorbeikommt. Wenn beispielsweise jemand beim Spielen einer Mozart-Sonate permanent danebengreift, ist es höllisch schwer, dem noch etwas Positives abzugewinnen. Aber bei alledem, wo es darum geht, dass ein Mensch ein Ausdrucksbedürfnis formuliert, mag ich nicht mit Bewertungen im Sinne von Tabellen drangehen. Ingo Diehl

In dem Moment, in dem ich meinen Studierenden

Inwiefern muss man als Lehrender in einer Aufnahmeprüfung ein Visionär sein, um jemanden beurteilen zu können in dem, was er werden und entwickeln kann?

Ingo Diehl

Je breiter man die Kriterien gesetzt hat, also je

mehr man in verschiedenen Feldern versucht, eine Klarheit zu finden, was die Person mitbringt, desto eher ist es am Ende die Mischung all dessen, nach was man auswählt. Es geht nicht darum, eine Person zu beurteilen – das steht mir nicht zu. Aber wir müssen Entscheidungen treffen. Wir dürfen maximal acht Studierende aufnehmen – und wenn da zehn gute sind, muss ich zweien eine Absage erteilen. Bei der Frage nach der Weisheit der Entscheidungen ist es wichtig, dass man ein konstruktives Team von Leuten hat, die die Entscheidungen mittragen und gleichzeitig ein genaues Bild von den Arbeitsprozessen und Zielsetzungen im Studiengang haben. Ab dem Moment, wo eine Person aufgenommen worden ist, gibt es für mich keinen Zweifel mehr an der getroffenen Wahl – dann habe ich mich fest dazu entschieden, die nächsten zwei Jahre ganz intensiv mit dieser Person zu arbeiten – komme, was wolle. Ernst August Klötzke Es

gibt Studien darüber, die zeigen, dass

die Erfahrungen, die ein Mensch gemacht hat, wenn er sich lange mit Menschen beschäftigt hat, oft viel richtiger sind

bewerte, geht es in seiner Anschauung oft auch um die Bewer-

als vermeintlich objektive Kriterien, die man anlegt. Wenn ich

tung unseres Verhältnisses zueinander. Ich muss also ganz klar

in der Einschätzung von Persönlichkeiten mit langjährigen

und transparent sein, wie ich damit umgehe, weil ich sonst

Erfahrungswerten intelligent umgehe, ist solch ein Urteil für

den gesamten Prozess, den wir durchlaufen haben, gefährde.

mich mehr als nur ein Bauchgefühl. bjh

13


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

Die

Herausforderung des fachlichen Urteils Pro Jahrgang bewerben sich 600 junge Menschen zum Schauspielstudium an der HfMDK

Von Prof. Marion Tiedtke, Direktorin des Ausbildungsbereichs Schauspiel

I

mmer wieder wird den Künsten nachgesagt, dass es in ihnen

doch nur um Geschmack gehe: ob etwas gefällt oder nicht gefällt, sei doch nicht verifizierbar. Vor mehr als 200 Jahren hat schon Immanuel Kant untersucht, inwiefern Geschmacksurteile in der Kunst doch eine Objektivität besitzen könnten und darüber eine Kritik der Urteilskraft verfasst. Wie aber fällen wir im Schauspiel unsere Urteile? Spätestens wenn man an einer Hochschule der Künste arbeitet, muss man objektive Kriterien entwickeln, die trans- parent und diskursfähig sind, wenn es gilt, Aufnahmeprüfungen, Zwischenprüfungen und Abschlussprüfungen gemeinsam in einem Kollegium abzunehmen.

14


Die Herausforderung des kollegialen Urteils

Mehr als nur Geschmacksurteil Im Schauspiel scheint die Sachlage besonders schwer, da sich

Wir richten dafür jedes Jahr drei bis vier parallel laufende

jährlich 600 BewerberInnen für die Aufnahmeprüfung anmelden.

Kommissionen ein, die vormittags prüfen, um am Nachmittag

Auch wenn sich nur knapp 400 der BewerberInnen dem kom-

schließlich gemeinsam mit allen Dozenten auf die Aspiranten

plexen zehntägigen Aufnahmeverfahren tatsächlich stellen, bleibt

zu schauen und die Besten anschließend für eine Endrunde

immer noch die durchaus berechtigte Frage, wie man so viele

einzuladen, in der sie zwei Tage lang beobachtete Unterrichte

Menschen in zehn Tagen auf ihr Talent hin prüfen könne.

und Aufgabenstellungen der Ausbildung wahrnehmen müssen. Diese Tage sind sehr, sehr lang, aber sie bringen ein Lehrerkollegium in eine hervorragende inhaltliche Auseinandersetzung. Hier wird immer wieder neu um die Frage gerungen, was einen guten angehenden Schauspieler auszeichne. Wenn es um die endgültige Aufnahme ins Studium geht, ist jeder Prüfer aufgefordert, ein genau begründetes Statement zu jedem Endrundenteilnehmer abzugeben. Dabei reicht es nicht aus, nach seinem Geschmack zu urteilen. Schon in den ersten Vorrunden der Aufnahmeprüfungen haben wir eine Art gemeinsamen Blick, der auf fachlichen Kriterien beruht: Bühnenwirkung, Phantasie und Wandlungsfähigkeit. Ob diese Fähigkeiten alle erlernbar sind oder aber als mitzubringendes Talent eben gerade nicht vermittelbar, ist immer wieder eine Frage, die unbeantwortet bleibt. Klar ist jedenfalls, dass sich in einem ersten Vorspiel von 15 Minuten schon abzeichnet, ob jemand mit seiner eigenen Persönlichkeit auf die Welt blickt und Rollen spielt, die auf seiner Phantasie und Erfahrung beruhen, und ob er bzw. sie sich zudem noch in den verschiedensten Rollen wandlungsfähig zeigt. Klischees, eingeübte Posen oder Betonungen sind sofort erkennbar und uninteressant. In der dritten Runde prüfen wir in Gesprächsrunden, Gruppenimprovisationen und Duoszenen die soziale Kompetenz, das gesellschaftliche Interesse und die persönliche Auffassungs-

Links Marina Schmitz und Josia Krug in „Nora“,

gabe. Hier fallen auch BewerberInnen durch, die an anderen

einer Ibsen-Regiearbeit von Mark Reisig in den

Schulen einen Studienplatz bekommen und sich später im

Landungsbrücken Frankfurt im Februar 2015 Mitte Elias Eilinghoff und Lucas Federhen in Szenen aus „Baumeister Solness“, einer Ibsen-Regiearbeit von Bastian Sistig in den Landungsbrücken Frankfurt im Februar 2015.

Berufsleben sehr wohl behaupten. Uns ist klar, dass wir in diesen zwei Tagen Übungen und Herausforderungen stellen, die oftmals von der Tagesform und dem Lampenfieber negativ beeinflusst werden. Daher machen wir jedem/jeder TeilnehmerIn der letzten Runde Mut, sich an anderen Schulen zu bewerben, und geben noch ein konstruktives Feedback für die weiteren Vorspiele.

15


Szene aus „Scherben aus einem anderen Leben“ unter der Leitung von Prof. Werner Wölbern, Robert Will als Lopachim in „Der Kirschgarten“ von Anton Tschechow.

16


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e w e r t e n , b e u r t e i l e n , b e n o t e n

Ausgiebige Zwischenprüfung In der Zwischenprüfung steht die nächste Auseinandersetzung

Henning Kallweit und Charlotte Sophia

objektiver Art an, wenn es heißt, nochmals zu entscheiden, ob

Alten in „Die Frau vom Meer“, einer IbsenRegiearbeit von Meike Hedderich in den

jemand für die Abschlussprüfung in zweieinhalb Jahren tauglich

Landungsbrücken Frankfurt im Februar 2015.

ist und fähig sein wird, auf dem harten Arbeitsmarkt zu bestehen. Die Prüfung wird in jedem der vier Ausbildungsbereiche abgelegt: Physiodrama, Theorie, Sprechen und Rollenvorspiel. Die Studie- renden müssen jetzt zeigen, dass sie den Sprach-Denkvorgang gelernt haben, handwerkliche Grundlagen des szenischen Spiels beherrschen, Impulse vom Partner aufnehmen, eigenständig ein

Am Ende aber, wenn der Abschluss gemacht ist, beweist der

Rollenbild aus einem Drama theoretisch und praktisch entwickeln

berufliche Weg der Studierenden nicht zwingend, dass derjeni-

und die Leitlinien des körperlichen Ausdrucks so handhaben,

ge, der in der Hochschule immer der erfolgreichere war, auch

dass sie eine eigene Physicaltheater-Szene entwickeln können.

im richtigen Leben den Erfolg für sich verbuchen kann. Vielmehr

Danach kommt das Lehrerkollegium zusammen, und die Fragen

zeigt sich im harten Kampf um die wenigen freien Stellen im

sind wieder einmal klar zu stellen, deren Antwort das Bestehen

deutschen Stadt- und Staatstheater, wie wichtig es ist, sich von

oder Nichtbestehen einer Prüfung begründet: Ist jemand im

Niederlagen und Rückschlägen nicht kleinkriegen zu lassen und

körperlichen Ausdruck voll beweglich oder festgehalten von

stets die Initiative zu suchen, statt der persönlichen Kränkung

eingefahrenen Haltungs- und Bewegungsmustern? Wie steht

oder Befindlichkeit zu großen Raum zu geben. In kaum einem

es mit dem Sprechen: dem Stimmsitz, der Atemführung, der

anderen Beruf wie dem des Schauspielers wird immer wieder

Artikulation, Phonetik, Modulation und Belastbarkeit der Stim-

abverlangt, sich ganz auszuliefern, sich den kritischen Blicken

me? Wie kann sich jemand aus dem Text eine Rolle schlüssig

von außen auszusetzen, ohne sich selber beurteilen zu können.

selber erarbeiten und eine eigene Phantasie dazu entwickeln?

Der Schauspieler ist dem Geschmacksurteil des Zuschauers

Wie spielt jemand auf der Szene mit seinem Partner: Nimmt

ebenso ausgeliefert wie dem Fachurteil seiner Kollegenschaft,

er dessen Impulse auf und reagiert wirklich auf ihn? Macht er

die weiß, was einen guten Schauspieler ausmacht.

szenische Angebote für die Rollenarbeit? Kann er in der Wieder- holung des erprobten Spiels neue Impulse entdecken und

Kreativer Widerstand

kritische Hinweise aufnehmen und umsetzen? Kann er trotz der Reproduktion des Erprobten die Situation unmittelbar durch

Wer diese schwierige Grundsituation in der Arbeit jedoch als

minimale Änderungen seines Spiels erleben? Ist jemand neugie-

kreativen Widerstand und damit als persönliche Herausforderung

rig und bereit, in unermüdlicher Suche stets Neues in seiner

nutzt, der sollte darauf vertrauen, dass ihm die Ausbildung soviel

Figur zu entdecken? Wer sich ständig beim Spiel kontrolliert,

Fachkompetenz, Disziplin, Willenskraft, Gestaltungsmöglichkeiten

das Erprobte als eigene Sicherheit nie verlässt oder sich vor-

mitgegeben hat, dass er den harten Weg des Schauspielers

nimmt, was und wer er auf der Bühne sein will, hat schon ver-

gehen oder in den Abwegen als Sänger, Theaterpädagoge, Agent,

loren. Das Schauspiel lebt davon, dass sich der Schauspieler

Dozent, Sprecher, Coach, Regisseur u. a. sein Geld verdienen

als ganze Person in den Spielvorgang versenkt, ganz im JETZT

kann – oder gar ein neues Berufsfeld kreiert aus der Kraft seiner

spielt – ebenso selbstvergessen wie ein Kind, woran uns ja das

künstlerischen Persönlichkeit, die das Studium in ihm frei-

Spiel in der Benennung unseres Faches immer wieder erinnert.

legen wollte.

17


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

Experte, Allrounder und guter Vermittler

Qualitätsanforderungen auf mehreren Ebenen machen das Auswahlverfahren für eine Professur-Besetzung aufwändig und langwierig

Von Henriette Meyer-Ravenstein, Professorin für Gesang

Q

ualität und die inhaltliche Ausrichtung einer Hoch-

schule hängen zu einem hohen Anteil an den Lehrenden. Jede Professur wirkt stark in die Hochschule hinein und weit darüber hinaus. Sie sendet inhaltliche Signale und zieht Studierende an. Sie wirkt mit an der innenpolitischen Entwicklung einer Hochschule und setzt neue Impulse für die Zukunft. Und so sind die Auswahlverfahren zur Besetzung einer freien Stelle ein lang- wieriger, aufwändiger und überaus sorgfältiger Prozess, der bereits weit im Vorfeld der eigentlichen Ausschreibung beginnt.

Die Vorüberlegungen

Der Ausschreibungstext

Hochschulleitung und Fachbereich stellen sorgfältige Über-

Dem ersten Schritt des Beschlusses zu einer neuen Professur

legungen an, welche Inhalte im bestehenden Spektrum der

folgen die konkreten Überlegungen, was für Aufgabengebiete

Lehre fortgesetzt werden sollen oder auch neu hinzukommen

der/die StelleninhaberIn ausfüllen soll und was er/sie dafür

müssen, um aktuelle Strömungen mit aufnehmen zu können.

unbedingt an Fähigkeiten mitbringen muss. Denn die Bewer-

Das Berufungsverfahren für eine neu geschaffene Professur

tung eines späteren Bewerbers kann ja nur stattfinden in Relation

im Fach Jugendchorleitung ist ein Beispiel für eine solche

zu dieser im Voraus festgelegten Ausrichtung. Bewertet wird

Reaktion auf aktuelle Entwicklungen in der Chorlandschaft und

im Berufungsverfahren also weniger die absolute künstlerische

in der Ausbildung von Lehramtsstudierenden. Über den Stellen-

Qualität eines Bewerbers als seine Qualität im Hinblick auf be-

inhaber und die Förderung der Stiftungsprofessur berichten

stimmte vorgegebene Kriterien. Je genauer ein Ausschreibungs-

wir in einer späteren Ausgabe der „Frankfurt in Takt.“

text definiert, was gesucht wird, desto enger wird der Kreis derer, die für die Besetzung in Frage kommen. Das Erstellen eines

Neben traditionellen, eher klassisch ausgerichteten Kinder-

Ausschreibungstextes ist deshalb eine ständige Gratwanderung

chören hat sich innerhalb der Schulen, aber auch im Umfeld

zwischen zu großer Allgemeinheit und zu starker Einengung. Das

der Kirchen oder in privater Trägerschaft eine Vielzahl von

erste zieht eine Flut von Bewerbern nach sich, von denen viele

Chören entwickelt, die unbekümmert und mit viel Spaß zwischen

letztlich nicht geeignet sind. Das Zweite birgt die Gefahr, dass es

den unterschiedlichsten Stilrichtungen hin und her springen.

eigentlich kaum jemanden gibt, der alle Anforderungen erfüllt:

Diese Entwicklung aufzunehmen und darüber hinaus durch

Gesucht ist die „Eier legende Wollmilchsau“ – ein geflügeltes

profunde Ausbildung von Lehramtsstudierenden und Chorlei-

Wort beim Ringen um Ausschreibungstexte.

tern zu professionalisieren, ist das Anliegen der HfMDK, die sich ja auch im Rahmen des Projekts „Primacanta“ stark für

In unserem Fall sollte nun also eine künstlerische Persönlich-

das Singen von Kindern und Jugendlichen eingesetzt hat. Die

keit gesucht werden, die mühelos zwischen klassischen und

HfMDK ist die erste Hochschule Deutschlands, die explizit für

populären Stilistiken hin und her springen kann, die viel von

das Fach Jugendchorleitung eine Professur schafft. 18


E x p e r t e , A l l r o u n d e r u n d g u t e r Ve r m i t t l e r

Der HfMDK-Jazz- & Popchor unter Leitung von Fabian Sennholz.

Stimme und Stimmbildung versteht, Menschen zum Singen begeistern und dabei mitreißend Klavier spielen kann, pädagogisch erfahren und darüber hinaus noch in der Chorlandschaft bestens vernetzt ist. Dazu beredt genug, das Thema Jugendchorleitung auch international zu vertreten. Ein hohes Ziel!

Die Kommission Hand in Hand ging dieser Prozess mit der Auswahl einer

richtig gewesen wäre. Natürlich gibt es immer einige Bewer-

kompetenten Kommission. Es war dem Fachbereich 2 wichtig,

ber, die ganz klar alle Kriterien der Ausschreibung in hohem

über die weitgehend klassisch geprägte Hochschule hinaus-

Maße erfüllen, und einige, die das ganz klar nicht tun.

zublicken und gerade solche Chorleiter mit in die Kommission zu holen, die durch Lehrtätigkeit oder Jurymitgliedschaft bei

Es bewerben sich aber auch viele hervorragende Künstler mit

Chorwettbewerben umfangreiche Erfahrung mit Jugendchören

hoher Qualifikation, die auf die eine oder andere Weise nur

und stilistischer Breite auch jenseits der Klassik hatten. So war

knapp nicht in das gewünschte Profil passen. Solche Bewerber

die Kommission dann letztlich mit zwei ProfessorInnen aus

dann nicht berücksichtigen zu können, ist oft nicht leicht,

Hannover und Detmold besetzt, dem Ensembleleitungsprofes-

besonders wenn man viel Achtung vor ihrer künstlerischen

sor des Fachbereichs 2, einer Musikpädagogin, einer Sängerin,

Leistung hat.

einem Korrepetitor der Gesangsabteilung, einem Lehrenden für schulpraktisches Klavierspiel und zwei Studierenden mit

So konnten wir in unserem Fall etliche wunderbare Chorleiter

Gesangs- und Chorleitungsambitionen. Als auswärtige Gutachter

nicht einladen, da sie ein deutlich zu klassisch geprägtes Profil

wurden ein hochkarätiger Chorleiter aus Schweden, einem Land

haben und zum Beispiel als neue Leiter unseres HfMDK-Pop-

mit blühender Chorlandschaft, und ein renommierter Jazz-

&Jazz-Chores nicht am richtigen Platz gewesen wären. Und wir

chorleiter aus Deutschland hinzugezogen. Die Kommission

mussten feststellen, dass unsere Vorstellungen so neuartig

selbst bildete also in ihrer Zusammensetzung das Bemühen

waren, dass ihnen nur ein kleiner Bewerberkreis entsprach. Den

ab, mit hoher Kompetenz und aus den verschiedensten Blick-

gewünschten selbstverständlichen Zugang zu Klassik wie auch

winkeln auf die Bewerber schauen und sie auf ihre Eignung

Populärer Musik, der die traditionelle Polarisierung zwischen E-

für die Stelle beurteilen zu können. Die erste Vorauswahl nach

und U-Musik aufhebt, gibt es noch nicht lange. Da ist eine neue

Eingang der Bewerbungen ist besonders schwer: Ständig geht

Generation am Heranwachsen, bunt und spannend, aber in

die Befürchtung mit, jemanden zu übersehen, der genau

den meisten Fällen noch zu jung zum Lehren.

19


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

Bisher war die Chorleiterausbildung an der HfMDK vor allem klassisch geprägt – hier Chorleitungsprofessor Winfried Toll im Unterricht mit einem Kirchenmusikstudenten. Mit der zukünftigen Professur für Jugendchorleitung wird die Hochschule Neuland betreten.

Die Entscheidungsfindung zur Liste Ein besonderer Glücksfall liegt vor, wenn ein Bewerber in allen Kategorien hervorragend ist. Kommissionsdiskussionen zu solchen Bewerbern sind äußerst angenehm und finden meistens in breitem Konsens statt. Menschlich ist aber, dass besondere Qualität auf einer Seite auch kleinere Schwächen auf einer anderen mit sich bringen kann. Hier gilt es abzuwägen, ob und wie schwer das im Sinne der Anforderungen an den Stelleninhaber ins Gewicht fällt.

Das Anhörungsverfahren soll die Ausschreibungskriterien

Die Kommissionssitzungen nach den Anhörungen sind daher

praktisch prüfbar machen. Die Kandidaten müssen in mehreren

äußerst komplex. Jedes Kommissionsmitglied bekommt Zeit,

Runden mit verschiedenen Aufgabenstellungen ihre Qualifi-

sich detailliert zu äußern und Vorzüge und Nachteile der

kation unter Beweis stellen. Der sichere und gesunde Umgang

Bewerber aus seinem spezifischen Blickwinkel zu beleuchten.

mit der Stimme auch in der Popularmusik war uns besonders

Hier wie auch schon bei der Vorauswahl werden die verschie-

wichtig. Daher war der erste Prüfungsteil eine Stimmbildungs-

denen Sichtweisen der Studierenden, der Pädagogen, der

einheit mit einer Kleingruppe von Studierenden.

Fachprofessoren und Lehrbeauftragten diskutiert, Argumente gegeneinander abgewogen und in die endgültige Entscheidung

Eine Chorprobe mit einem von außen hinzugeholten Jugendchor,

einbezogen. Die eigentliche Abstimmung zur Liste ist dann

in der ein klassisches und ein nichtklassisches Stück erarbeitet

oft nur noch ein formaler Akt.

wurden, zeigte die Fähigkeit zum Umgang mit Jugendlichen und gleichzeitig zwei verschiedene Stilrichtungen. Die künstlerische

Die Stellungnahmen der auswärtigen Gutachter können

Arbeit mit Studierenden sowie die pädagogische Fähigkeit

ganz am Ende des Prozesses noch einmal zusätzliche Klarheit

und die Kenntnis des Jazz- und Pop-Bereiches wurden in einer

schaffen, wie die Reihung der Liste aussehen soll. Unsere

Chorprobe und einer angeleiteten Probe eines Studierenden

Gutachter waren bei den Anhörungen sogar persönlich

mit dem Hochschul-Popchor geprüft. Am Ende gab es noch

anwesend, was nicht selbstverständlich ist und ihren schrift-

einen Vortrag zum Thema „Jugendchorleitung heute“ mit

lichen Zusammenfassungen entsprechend Gewicht verlieh.

anschließender Diskussion.

Als Ergebnis dieses langen, komplexen Prozesses hat man im Idealfall eine Liste mit drei Kandidaten, die alle die zu beset-

Geprüft und bewertet wurde also hier wie auch in jedem

zende Stelle gut ausfüllen könnten. Kommen weniger als drei

anderen Berufungsverfahren ein breites Spektrum an Fähig-

Bewerber ernsthaft in Frage, vielleicht gar nur einer oder gar

keiten, sowohl fachlich wie pädagogisch. Organisatorisch ist

keiner, kann man nacheinladen. Und wenn man richtig Pech

das ein riesiger Aufwand. Drei Jugendchöre, der HfMDK

hat und zum Beispiel der/die Auserwählte die Stelle doch

Pop- &Jazz-Chor, Kleingruppen von Studierenden, Lehrpro-

nicht antritt, muss neu ausgeschrieben werden. Dann geht

ben-Probanden, Räume, nicht zuletzt alle Kommissionsmit-

alles von vorne los. Das schmerzt, aber Abstriche in unseren

glieder: Das alles musste zu ganz bestimmten Zeiten zur

Qualitätsanforderungen machen zu müssen, wäre eine

Verfügung stehen. Aber eine Alternative zu solchem Aufwand

schlechte Alternative.

gibt es nicht, wenn man wirklich wissen will, wem man eine solche Stelle für die nächsten 20 Jahre anvertraut.

20

Am Ende braucht man also auch eine Portion Glück.


Szene aus „Desire :: Death :: Dreaming“ nach „Krankheit der Jugend“ von Ferdinand Bruckner in einer Spielfassung von Marion Tiedtke und Bernhard Mikeska mit dem dritten Schauspieljahrgang der HfMDK. Foto: Hansjörg Rindsberg

Musikhaus Werner Cleve Große Auswahl an Noten und Musikbüchern Reichhaltiges Sortiment an Blockflöten Musikinstrumente und Zubehör Auf Wunsch Versand

Walter-Kolb-Straße 14 (Ecke Schulstraße) 60594 Frankfurt am Main Telefon 069 612298 Telefax 069 627405 E-Mail musikhaus-cleve@gmx.de www.musikhaus-cleve.de

21


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

K

ein Mitglied einer künstlerischen Prüfungskommission

dürfte sich je der Illusion hingegeben haben, die Moment- aufnahme einer instrumentalen Spielleistung völlig objektiv bewerten zu können. Zugleich ist es konstitutives Selbstverständ-

nis einer Jury, sich um Objektivität, also das Unmögliche, zu bemühen: sich in den Aufnahmeprüfungen für die „richtigen“ Kandidaten zu entscheiden, mit denen eine mehrjährige Zusammenarbeit lohnenswert erscheint, und genau diese in Abschlussprüfungen so zu bewerten, dass eine Zensur ein faires Abbild des Geleisteten ist. Drei Professoren, die sich getroffen haben, um gemeinsam über Bewertungsmaßstäbe und qualitative Standards bei der Beurteilung anderer nachzudenken, merken dabei schnell, dass derlei Fragen untrennbar mit der kritischen Reflexion des eigenen pädagogischen Selbstverständnisses verbunden sind, anders gesagt: mit der Ehrlichkeit

Prof. Lucas Fels

gegenüber dem Anspruch an sich selbst. Darüber denken im nachfolgenden Interview folgende Instrumentalprofessoren nach: Flötist und Dirigent Michael Schneider, Leiter des Studiengangs Historische Interpretationspraxis, Michael Sanderling, Professor für Violoncello an der HfMDK und zugleich Chef- dirigent der Dresdner Philharmonie, und Cellist Lucas Fels, Inhaber der Stiftungsprofessur „Interpretatorische Praxis und Vermittlung neuer Musik“ und Cellist des Arditti String Quartet London.

Prof. Michael Sanderling

Das einzig Objektivierbare ist die Subjektivität Prof. Michael Schneider

22

Die Professoren Michael Schneider, Michael Sanderling und Lucas Fels im Interview auf der Suche nach objektiven Bewertungskriterien und eigenen Qualitätsstandards


Das einzig Objektivierbare ist die Subjektivität

Wie eindeutig lassen sich künstlerische Leistungen in Spielprüfungen qualitativ messen?

Michael Sanderling

In einem künstlerischen Beruf ist die Messbar-

keitsquote glücklicherweise erfreulich gering. Allerdings macht diese Tatsache für uns in der Hochschule eine Bewertung eben schwer. Jeder, der sich diesem Thema professionell widmen Vielleicht ist es gerade dann schwierig, wenn man den

möchte, erkennt bald, dass die Objektivität hinter der Subjek-

Lucas Fels

tivität zurückstehen wird. Natürlich kann der richtige Ton zur

Studierenden lang kennt, ihn dann am Ende seines Studiums zu

richtigen Zeit mit vorgegebener Dynamik eine Rolle spielen, aber

beurteilen. Man beurteilt bestimmt auch vor dem Hintergrund

schon letzteres unterliegt einer subjektiven Deutung – der eine

des Weges, den man mit ihm gegangen ist, und nicht nur vom

empfindet Piano als etwas Leiseres als der andere. Derlei Para-

reinen Momenterleben der Prüfung aus. Zwei Faktoren der Beur-

meter sind ja im Übrigen nur Grundlage für das, was wir uns

teilung finde ich wesentlich: Das eine ist das Verhältnis von

erhoffen, nämlich eine gewisse Magie, die durch den Interpreten

Interpretation zur geschriebenen Partitur. Jemand kann möglicher-

entstehen soll. Und deren Entfaltung ist wiederum sowohl vom

weise das Stück wirkungsvoll „verkaufen“, aber es hat möglicher-

Ausführenden als auch vom Rezipienten abhängig. Eigentlich

weise mit dem Original nicht viel zu tun. Zum anderen interessiert

wäre es praktisch, wenn man per Video sowohl die Aufnahme-

mich, wie sich der Musiker jenseits der Noten, die er vor sich

als auch die Abschlussprüfung eines Studierenden festhalten

hat, mit diesem Stück beschäftigen und ihm damit gerecht werden

und beide Ergebnisse miteinander vergleichen könnte. Dann

kann. In dieser Hinsicht finde ich manchmal die Messlatte der

wäre für mich eine wirkliche Messbarkeit gegeben: Welche

Beurteilung zu niedrig angesetzt. Beethoven im Kontext seiner

Entwicklung hat bei diesem Studierenden stattgefunden? Das

Zeit, aber auch im Kontext der Rezeption zwischen damals

wäre jedenfalls eher bewertbar als das absolute momentane

und heute zu verstehen und daraufhin bewusst zu interpretieren,

Erlebnis.

ist sicher ein Merkmal von Qualität.

Michael Schneider

Es ist eben immer eine Mischung aus harten

Michael Sanderling

Da stellt sich genau die Frage, wer diese Mess-

und weichen Faktoren, die den Gesamteindruck entstehen lässt.

latte wo ansetzt. Da muss jeder ehrlich mit sich selbst sein, und

Meine Erfahrung aus über 35 Jahren Hochschularbeit sagt,

wir als Lehrer müssen wiederum uns daran messen lassen:

dass ich eigentlich nichts weiß: Das, was ich in einer Aufnahme- Inwieweit leben wir es vor, uns zu bemühen, innerhalb des vor- prüfung gehört habe, kann sich unvorhersehbar in beide Rich-

gegebenen Textes die für uns wahrhaftigen Überzeugungen

tungen entwickeln. Die erfolgversprechendsten Aufnahmeprü-

zu suchen und zu finden? Aber wir alle wissen, dass uns der

fungen führen manchmal in einen enttäuschenden Studien-

Musikmarkt etwas ganz anderes vorlebt. Ich erinnere mich an

abschluss und umgekehrt. Da befinden sich junge Menschen

eine Solistin, mit der ich als Dirigent Tschaikowskys Violin-

in einer lebensentscheidenden persönlichen Entwicklungsphase,

konzert musiziert habe: Darin war kein Takt wahr – es stand so

in der alles Mögliche passieren kann.

gut wie nichts von dem in der Partitur, was sie gespielt hat. Aber es gab Applaus vom Publikum inklusive meiner Orchestermusiker, wie ich ihn selten erlebt habe. Ich fürchte, dass auf dem Musikmarkt heute vieles gern hingenommen wird, wenn eine instrumentale Präsenz gezeigt wird, die man für exorbitant hält, die aber in Wirklichkeit gar nicht im Vordergrund zu stehen hat. Leider geht es aber vielerorts – auch in Instrumentalklassen an Hochschulen – immer noch um die Zurschau-Stellung instrumentalen Vermögens.

23


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

24


Das einzig Objektivierbare ist die Subjektivität

Worum geht es also vorrangig in der Instrumentalausbildung jenseits rein technischer Beherrschung?

Michael Schneider

Das ist eine Frage unserer Prämissen. Ist es

unsere Prämisse, dass wir eine dem Werk gerecht werdende Haltung vermitteln, indem wir sie aus den Augen ihrer Zeit sehen? In der Alten Musik beobachte ich ebenfalls die gerade beschriebene Entwicklung: Es greift ein Starkult Platz, in dem viel Willkür herrscht und die oben genannte Prämisse völlig Aus der Sicht der Ausbildung zum Orchester-

über Bord geworfen wird – Hauptsache, es verkauft sich gut.

Michael Sanderling

Im Moment verkauft sich auf dem kommerziellen Markt

musiker stellt sich für mich neben der Gefahr der Marktanpassung

überhaupt nicht mehr die Ehrlichkeit dem Werk gegenüber.

auch das Problem der Individualisierung im Musikbetrieb, die aber genau bei Probespielen für Orchesterstellen nicht

Wirkt das zurück in die Hochschule?

Michael Schneider

Wir versuchen in unserer Abteilung für Histori-

erwünscht ist.

Lucas Fels

Was will das Orchester denn für Persönlichkeiten haben?

sche Interpretationspraxis, den Anspruch unserer Verpflichtung In Dresden hatten wir über mehrere Jahre keine

gegenüber den musikalischen Werken nach wie vor so hoch

Michael Sanderling

wie möglich zu halten, zum Beispiel durch theoretische Fächer

neue Geige bekommen. Daraufhin habe ich dort das Probespiel-

mit wissenschaftlichem Forschungsansatz. Unsere Studierenden

prozedere umgedreht, und prompt hatten wir zwei neue Geiger.

bekommen ihr Examen jedenfalls nur, wenn sie diese auch musiktheoretische Annäherung im Studium durchlaufen haben.

Lucas Fels

Ich behaupte, dass es in der professionell ausgeübten

Was haben Sie umgedreht?

Michael Sanderling

Wir haben in der ersten Runde eben nicht mit

Musik kaum noch einen Bereich gibt, der nicht kommerzialisiert

den Solopartien von Mozart- und Tschaikowsky-Violinkonzerten

ist – auch in der Neuen Musik –, abgesehen vielleicht von eini-

angefangen. Im Orchester interessiert uns doch vielmehr, was

gen „Inseln“ wie zum Beispiel die „Internationalen Ferienkurse“

der Kandidat an musikalischer Intelligenz, stilistischer Vielfalt

in Darmstadt. Ich habe den Eindruck, dass der Druck, mit der

und Kommunikationsfähigkeit mitbringt. So bestand unsere

Musik Geld verdienen zu müssen, leider auch schon an den

erste Probespielrunde aus Orchesterstellen und einem Kammer-

Hochschulen spürbar ist. Wir sollten den Anspruch, Musik als

musikwerk vom Blatt. Die Individualisierung brauche ich, aber

Kunstform ernst zu nehmen, nicht aufweichen. Wie jemand

die will von den Kollegen, die letztlich über den Neuen entschei-

dann damit Geld verdient, ist letztendlich, überspitzt gesagt,

den, niemand hören – das Orchester will keinen bunten Vogel

seine Sache. Ich stelle außerdem die provokante Frage: Wozu

haben, sondern jemanden, der in die Gruppe hineinpasst. Des-

brauchen wir überhaupt Abschlussprüfungen? Zumindest bei

halb finde ich, dass wir an der Hochschule nie die Erwartungen

angehenden Orchestermusikern finden die eigentlichen Prüfun-

und die Realität jenseits der Hochschulmauern außer Acht

gen ganz woanders statt – nicht an der Hochschule, sondern

lassen dürfen. Ich glaube, dass die Messbarkeit an der Hoch-

bei Probespielen oder Wettbewerben.

schule völlig uninteressant ist – die wird erst in der Berührung mit der Realität „draußen“ interessant.

Lucas Fels

Umso mehr ist es unsere Aufgabe an der Hochschule,

sich für die Authentizität des Werkes einzusetzen …

25


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

Also ist allzu große interpretatorische Entschlossenheit nicht immer die beste Voraussetzung für gelingendes Musizieren?

Michael Sanderling

… jedenfalls nicht alle Scharlatanerie zuzulassen,

Lucas Fels

Die, die oft zu wissen glauben, wie ein Stück geht,

darin sehe ich meine Aufgabe. Der Diskrepanz zwischen dem,

haben sich oft gar keine Fragen dazu gestellt. Man kann aber

was wir als authentisch erkennen, und dem, was der Markt will,

meines Erachtens keine Beethoven-Sonate „richtig“ spielen,

zulässt oder gar erfordert, kann man in keiner Prüfungsbewertung

ohne sich dazu Fragen nach dem Kontext, in dem Beethoven

vollends gerecht werden. Deshalb bin ich von einer absoluten

komponiert hat, zu stellen.

Bewertung weggekommen und hin zu einer relativen: Was hat … oder zumindest gestellt zu bekommen.

der Studierende mit sich selbst erreicht?

Michael Sanderling

Herr Schneider, Sie sprachen eben von den Überraschungen,

Lucas Fels

nicht zu wissen, wie sich der eine oder andere nach bestandener

um schärfen. Musiker, die die Hochschule mit einem weiten

Aufnahmeprüfung entwickelt. Warum nicht angesichts über

Horizont verlassen und wissen, wie man mit einem Haydn oder

35-jähriger Prüfungserfahrung?

Cage wirklich umgeht, sind die Leute, die auf dem im Moment

Die Fähigkeit, diese Fragen zu stellen, muss ein Studi-

rasant wachsenden „Markt“ der freischaffenden Musiker Michael Schneider: Ich

versuche bei Aufnahmeprüfungen überhaupt

dauerhaft eine Chance haben.

nicht zu hören, wie jemand ein Stück spielt, was er für einen Geschmack hat und wie er die Triller ausführt. Ich versuche nur,

Herr Sanderling, was sind für Sie Kriterien, einen Cellisten

Voraussetzungen zu erkennen: beispielsweise ob ich es mit einer

in Ihre Klasse aufzunehmen?

Persönlichkeit zu tun habe, die entwicklungsfähig ist; ob die Ich stelle mir mehr denn je vor allem eine

Technik eine Basis bietet, auf der man mit ihm weiterarbeiten

Michael Sanderling

kann. Häufig ist aber zu beobachten, dass Leute, die früh Erfolge

Frage: Können wir dem Kandidaten, der sich um einen Studien-

hatten, beispielsweise bei „Jugend musiziert“, zu uns kommen,

platz bewirbt, das überhaupt anbieten, was er braucht, um

fabelhaft spielen, aber an der Hochschule nur noch ihre Erfolge

sich weiterzuentwickeln? Ich habe schon mehrfach tolle

wiederholen wollen. Sie bringen entsprechend wenig Entwick-

Musiker nicht angenommen, weil sie das schon hatten, was

lungspotenzial mit und drohen abzustürzen, wenn es wirklich

wir ihnen an Handwerkszeug anbieten können und weil zu-

darum geht, Musik zu machen und nicht nur Preise abzuräumen.

mindest ich das, was er noch braucht, nicht bieten kann.

Im Studium muss es aber auch darum gehen, wieder vier

Umgekehrt gab es welche, deren Spiel noch kein absoluter

Schritte zurückzutreten und sich die Musik noch einmal genau

Hörgenuss war, bei denen ich aber genau wusste, wie ich

anzuschauen und sich zu fragen, wofür sie denn wirklich steht

ihnen würden helfen können. Dies alles beweist ja nur: Es

und was ihre Substanz ausmacht.

gibt keine absoluten Bewertungsmaßstäbe.

Auf der anderen Seite stellen sich Kandidaten vor, die tech- nisch längst nicht so weit sind, aber bereit sind, unsere Angebote an der Hochschule wirklich auszuschöpfen. Die stilistische Breite, die wir an der HfMDK anbieten, ist meines Erachtens ein Quali- tätsmerkmal unserer Hochschule und in dieser Form einmalig, der Austausch untereinander wiederum eine große Chance für unsere Studierenden. Wer diese Chancen wahrnimmt, hat auch später eine Chance, sich auf dem Markt zu behaupten.

26


Das einzig Objektivierbare ist die Subjektivit채t

27


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

Lucas Fels

War das nicht mal anders? In meiner Studienzeit

orientierte man sich noch ganz pragmatisch an definierten Vor- bildern. Da gab es große Pädagogen, deren Fingersätze hatte man zu übernehmen.

Michael Sanderling

Sich an Vorbildern zu orientieren, muss aber

Auch Ablehnungen können eindeutig ausfallen?

noch nicht heißen, dass man einem Stück und sich selbst nicht Wir erleben ab und an, dass sich Leute bei uns in

gerecht wird. Es kann auch Phasen der eigenen Verengungen

Michael Schneider

geben, aus denen man später wieder herausfindet mit der

Aufnahmeprüfungen vorstellen, die eigentlich gar keine Musiker

Erkenntnis, was man nicht mehr möchte.

sind – die vielleicht in der Lage sind, ein Instrument zu spielen, aber gar keine musikalische Mitteilsamkeit erkennen lassen. Und

Wie kontrovers kann eine Diskussion in Prüfungs-

da sind wir uns schon schnell einig …

kommissionen verlaufen? Lucas Fels Michael Schneider

… jetzt wird´s gefährlich: Was heißt „kein Musiker“?

In Fachkommissionen für Aufnahmeprüfungen Mir ist es wichtig zu erkennen, ob da jemand

beispielsweise erlebe ich eigentlich nie Dissens. Das kann bei

Michael Schneider

der Zulassung zum Konzertexamen schon mal etwas anders

auf der Bühne ist – meinetwegen mit begrenzten Mitteln und

sein, wenn Persönlichkeiten aus verschiedenen instrumentalen

Informationen –, der als Musiker etwas sagen will und muss

Bereichen aufeinandertreffen. Bei den jüngsten KE-Aufnahme-

und für die Musik brennt.

prüfungen jedoch haben wir über alle Kandidaten gesprochen, und es gab nur einstimmige Ergebnisse.

Michael Sanderling

Unsere quantitativen Aufnahmekapazitäten sind

mittlerweile aber so begrenzt, dass wir in diesen Grenzbereich

Diese Eindeutigkeit spricht ja doch dafür, dass es durchaus

gar nicht kommen, wo man über solche Dinge diskutieren muss,

einen Katalog von objektivierbaren Kriterien gibt, oder?

ob es nur ein Instrumentalist ist oder auch ein Musiker. Bei 50 Aufnahmeprüfungskandidaten hast du auf jeden Fall fünf dabei,

Michael Sanderling

Diese Einmütigkeit hängt vielleicht damit zusam-

die über derlei Zweifel erhaben sind.

men, dass sich solch eine Fachjury sucht und findet. Man bildet ja über Jahre ein Kollegium, und da schart man – bewusst oder

Ich sehe meine Aufgabe übrigens nicht nur darin, Leuten zu

unbewusst – Leute um sich herum, die gleichgesinnt sind. Und

helfen, den Musikerberuf ausüben zu können, sondern unter

darin haben wir uns übrigens schon auf gewisse Gepflogenheiten

Umständen auch zu helfen zu erkennen, dass sie damit nicht

geeinigt: uns zum Beispiel abgewöhnt, in Aufnahme- und Ab-

glücklich werden, und ihnen vom Musikerberuf abzuraten.

schlussprüfungen über Bach-Interpretationen zu diskutieren – da hat jeder Lehrende seine Wünsche, und kein Studierender

Eine letzte Frage an den dienstältesten Professor in der Runde:

erfüllt sie.

Was lässt sich rund um Prüfungen unumstritten objektivieren?

Michael Schneider

Ich glaube: Das einzig Objektivierbare ist die

Subjektivität! Eine Kategorie für die Jury bei allen wichtigen Wettbewerben ist doch gerade die Einschätzung der „Künstlerischen Persönlichkeit“, und zwar als Kategorie, die entscheidend in die Wertung einfließt. Diese ist letztlich aber nicht objektivierbar, während sie aber genau das ausmacht, was letztlich zählt. bjh

28


„Unser Projekt ist es wert unterstützt zu werden, weil die beteiligten Studenten sich nicht anmaßen, bereits alles zu wissen und trotzdem versuchen gesellschaftlich relevantes Theater zu machen.“

Gesellschaft der Freunde und Förderer der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main

Aus dem Förderantrag von Bastian Sistig (Regie) und Sophie Fleckenstein (Theaterund Orchestermanagement) für „Baumeister Solness darf nicht sterben“, aufgeführt in den Landungsbrücken Frankfurt im Februar 2015

Um die Freiheit der Kunst, Großzügigkeit, Intuition und Leidenschaft mit allen Mitteln zu fördern. Seien Sie dabei!

Mehr Informationen zum Fördern und zur Mitgliedschaft finden Sie hier: www.hfmdk-freunde.de

Spendenkonto: Deutsche Bank Frankfurt IBAN: DE68500700240806507000 BIC: DEUTDEDBFRA

29


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

Von Maurice Lenhard,

Gleichzeitig fürchten wir vor allem anderen die Beurteilung

Gesangsstudierender an der HfMDK

durch Außenstehende. Das, was wir in unserem Kunstschaffen tun, ist ein so bedeutender Teil von uns, dass es im Innersten treffen kann, wenn schlecht darüber gesprochen wird. Jetzt

A

ufnahmeprüfung in brütender Frühsommerhitze. „Klang

sind wir aber im Studium zwingend einem System ausgesetzt, das auf Benotung nach einer ausgesprochen unflexiblen Art

schön durch die Tür!“, heißt es da von anderen Prüflingen.

aufgebaut ist. Sind Musik, Tanz, Theater und bildende Kunst in

Ohje – was soll das denn heißen? War es so schlecht, dass

den Rahmen einer akademischen Notenfindung zu bringen?

Konkurrenten zum Glückwunsch geneigt sind? Bis jetzt fanden

Einer der größten Reize von Musik und Kunst im Allgemeinen

mich doch alle immer ganz toll zu Hause. Welche Punktzahl

ist wohl auch gleichzeitig die größte Schwierigkeit bei der

wird die Professorenriege für meine Darbietung geben? Wie

Frage der Bewertbarkeit: Kaum etwas anderes ist so wenig

vielen gefällt überhaupt, was ich da mache und auch noch gerne

greifbar, so schwer zu definieren. Was genau ergreift mich an

mache? Ehe wir uns recht versehen, sind wir mittendrin in

einer Arie? Was fasziniert mich an der Tanzdarbietung? Wieso

einer kopfgeborenen Credit-Maschinerie, die uns noch oft

bekomme ich das Gefühl, dass diese Geige mir etwas erzählt,

auf und ab schleudern wird.

wo doch ihr Wortschatz im gebräuchlichen Sinne recht gering ist? Wo sind also Parameter anzusetzen, die sich konkret nach

Bewerten – Beurteilen – Benoten. Wie gehen wir in unserem Metier mit diesen Schlagwörtern um?

einer Qualität bewerten lassen? Gibt es klare Ansatzpunkte, wie wir sie zum Beispiel in den Naturwissenschaften finden?

vom suchen und Künstler im Allgemeinen und jene, die noch studieren

Intonation, inhaltlich korrekte Wiedergabe des Notentextes,

im Besonderen, befinden sich meiner Meinung nach in einem

im Gesang vielleicht noch die Aussprache – das sind meiner

tückischen Dilemma. Auf der einen Seite sind wir in höchstem

Meinung nach Maßstäbe, deren Richtigkeit auch eine Maschine

Maß auf eine Außenbewertung angewiesen und lechzen nach

bewerten könnte. Aber macht das eine künstlerische Dar-

ihr. In Form von Applaus, Anerkennung und – scheinbar un-

bietung bereits aus? Wohl kaum.

künstlerisch und banal, aber im Alltag meist an erster Stelle – auch in Form einer Arbeitsmöglichkeit. Kunst, die niemand

Wir müssen also weiter suchen, und damit beginnt schon

hören oder sehen will, wird ihren Schöpfer auf Dauer kaum

der Anfang vom Ende. Technische Fertigkeit? In diesem Fall

glücklich machen können.

wage ich es nur von meiner eigenen Profession, dem Gesang, zu sprechen. Aber an diesem Punkt gehen die Meinungen schon oft in verwirrend extremem Maß auseinander. Was ein Dozent für die vollkommene Technik hält, ist für den anderen allenfalls rudimentär ausgebildet. Man mag unweigerlich an den Arzt denken, der entsetzt fragt, welcher Stümper denn diese Behandlung durchgeführt habe. Hier scheinen wir also auch nicht die optimale Grundlage für eine subjektive Bewertung gefunden zu haben. Interpretation? Im Grunde erübrigt sich dazu jede Überlegung. Sollte ihr nicht eigener Geist und Persönlichkeit immanent sein, um sich von einer bloßen Wiedergabe zu unterscheiden? Wie bewerte ich nun Geist und Persönlichkeit?

30


Vo m S u c h e n u n d F i n d e n d e r N o t e

Vielleicht den Ansatz über das Zauberwort der „Werktreue“? Wenn ich aber annehme, dass ein Werk erst vollendet ist, wenn es gespielt wird, also mit jeder Aufführung eine neue Vollendung findet, so führt sich dieser Begriff auch schon wieder ganz alleine ad absurdum. Die Luft auf dem Weg zur Notenfindung wird immer dünner. Letzte Halteversuche hangeln sich an Begriffen wie Ausdruck, Präsenz und Vielseitigkeit

Ich denke, dass das unreflektierte Vertrauen auf Noten

entlang. Wahrscheinlich wären für alle Garderobe, Frisur

einerseits, aber auch das übermäßige Sich-zu-Herzen-Nehmen

und Make-Up leichter zu bewerten.

einer Note die eigene Laufbahn massiv stören können. Der Star einer Hochschule muss außerhalb dieses Dunstkreises noch

Es zeichnet sich also ab, dass eine Bewertung von künstle-

lange keinen Erfolg haben. Jemand, auf den im Fachbereich

rischem Schaffen auf Basis von greifbaren und objektiv

keiner etwas gibt, macht sich nach dem Studium plötzlich

bewertbaren Parametern ein Ding der Unmöglichkeit zu sein

einen Namen. „Oh – Sie hatten ja nur eine 2,3 in Modul 14.“

scheint. Welche Hoffnung bleibt uns dann auf eine sinnvoll

Erwartet wirklich irgendjemand Vergleichbares in einem Vor-

repräsentative Einschätzung? Die Meinung eines unabhängigen

singen, in einem Probespiel, einem Vorsprechen oder einer

Expertenteams? Experten, ja. Unabhängig? Sicher nicht.

Tanzaudition zu hören?

d finden der note Meiner Ansicht nach bildet sich über die lange Zeit des sehr

Die wahre Benotung erfolgt erst nach dem Studium, aber

intensiven Individualunterrichts eine gewisse Schnittmenge

wird dann nicht mehr in eine Zahl zwischen 1 und 6 gepresst.

zwischen Student und Dozent, was zur Folge hat, dass sich der

Persönlich heißt das für mich: Zensuren scheinen in unseren

Dozent, neben dem Anteil seiner Arbeit, auch ein stückweit

Studiensystemen nach wie vor erforderlich zu sein, obwohl es

selbst bewerten muss. Damit nicht genug. Auf der anderen

den Dozenten und Studenten weder Spaß macht noch einen

Seite steht das Wissen, dass man auch Studierende anderer

wirklichen Sinn und Zweck erfüllt, weil sie nie eine umfassende

Klassen bewerten muss, dessen Lehrende dann wiederum

Rückmeldung über Talent sein können. Was tun also? Für mich

die eigenen Schäfchen mit einer Güteklasse versehen. Eine

gilt: annehmen, aber dann schnell vergessen. Kunst wird

ziemliche Spirale, die im Endeffekt eigentlich nur schwer

von Menschen gemacht, die durch ihre Individualität und ihren

Subjektivität und Ehrlichkeit zur Folge haben kann, denn letzt-

kreativen Geist Neues schaffen. Kunst und Person werden

lich gehören die Benotenden auch zum Schlag der Künstler

mitunter deckungsgleich – wer könnte schon einen Menschen

mit dem Wunsch nach einer mindestens guten Rückmeldung

nach seiner Qualität bewerten? Kunst darf sich nicht dem

von außen. Wenn dann noch hinzu kommt, dass persönliche

allgemeinen Produktions- und Vergleichbarkeitswahnsinn an-

Unstimmigkeiten zweier Künstler, und nichts anderes sind trotz

schließen. Lassen wir uns also auch vom Bewerten, Beurteilen

des vermeintlichen Statusunterschieds Student und Dozent,

und Benoten eines Studiums weder beunruhigen noch all zu

einen Einfluss auf eine Zensur hat (à la: das kann der ruhig

sehr beflügeln. Um den eigenen Wert wissen, auf das Urteil

mal in seiner Note spüren), stehen wir endgültig mit rauchen-

von Vertrauensmenschen bauen und die ganz eigene, persön-

dem Kopf vor einer x,y.

liche Note finden und nie verlieren – darauf kommt es an und wird es auch noch lange nach dem Studium ankommen.

31


S

eit 2009 lädt die Gesangsabteilung der HfMDK zum

„Infotag Gesang“ jene ein, die über eine Aufnahmeprüfung für diesen Studiengang nachdenken. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die alljährliche Veranstaltung ein Gewinn für beide Seiten ist: Angehende Künstler bekommen ein realistisches Feedback schon vor der Aufnahmeprüfung, und das Niveau der Gesangsabteilung hat sich noch einmal gesteigert, seitdem Bewerber mit gezielterem Wissen und Können der Jury vorsingen. Gesangsprofessor Thomas Heyer berichtet über seine positiven Erfahrungen.

Aus der Seele statt aus der Kehle Vom „Infotag Gesang“ profitieren Interessenten ebenso wie Lehrende und Studierende der Gesangsabteilung

Bei der Beurteilung eines Sängers sollten Prof. Ursula Targler-Sell

schon bei der Aufnahmeprüfung folgende

beim Schnupperunterricht im

Kriterien mit gleicher Gewichtung erfüllt sein:

Rahmen des Infotags Gesang.

eine schöne und unverwechselbare Stimme, musikalische Intelligenz und künstlerische Lebendigkeit. Im Laufe des Studiums müssen sich darüber hinaus noch beweisen: Fleiß, eine ausgeprägte soziale Kompetenz (dazu gehört auch die Fähigkeit mit hierarchischen Strukturen gut umzugehen und mails zeitnah zu beantworten), eine stabile Gesundheit und eine sehr (!) belastbare Psyche. All dies vorausgesetzt kann mit dem nötigen Quäntchen Glück dann eine schöne Karriere entstehen. Aber das Wichtigste ist das, was sich nicht in Worte fassen lässt: die Aura, das gewisse „Etwas“. Gesangsprofessorin Hedwig Fassbender

32


Natürlich ist auch mein allerwichtigstes Kriterium eine Stimme, die für den Sängerberuf auszubilden sich lohnt. Was ich darüber hinaus persönlich für unerlässlich erachte, ist künstlerische Neugier und der Wille, sich auszuprobieren und zum intelligenten Instrument zu machen. Ich möchte dem Sänger das Handwerkszeug, das er für seinen individuellen Ausdruck benötigt, als geballte Wissensladung in den Rucksack stecken – nach dem Motto:

Herr Heyer, Sie sind Initiator und Organisator des

„Wissen ist nicht automatisch Macht,

Infotags Gesang. Wie entstand er?

sondern nur, wenn Wissen auch Machen (Umsetzen) heißt!“

Prof. Thomas Heyer Als

ich 2008 die Professur an der Hochschule

Gesangsprofessorin Ursula Targler-Sell

antrat, hatte ich den Eindruck, dass die „Wände“ der Hochschule noch durchlässiger sein müssten, nämlich, um schon vor Studienbeginn über die Anforderungen eines Gesangsstudiums aufzuklären, eben bevor sich Sänger bei uns der Eignungs- prüfung stellen. Diese Idee hat sich als nützlich für beide Seiten erwiesen.

Inwiefern beide Seiten?

Die da wäre?

Prof. Thomas Heyer Die

Prof. Thomas Heyer Die

Anzahl der Bewerber zum Gesangsstudium

Begabung, den für ihn passenden Lehrer zu

an unserer Hochschule ist gestiegen. Wesentlich aber ist, dass

finden. Gerade, weil die vier Gesangsprofessoren an der HfMDK

sich viele von ihnen durch den Besuch beim Infotag Gesang

so unterschiedlich, aber jeder für sich effizient arbeiten, ist es

gezielter und damit besser auf die Prüfung vorbereiten konnten.

wichtig, für sich den „richtigen“ zu entdecken.

Viele kommen mit einer großen Begabung, aber einem für ihre Stimme gerade nicht optimalen Repertoire, um ihre Stärken zu

Was läuft beim Infotag Gesang genau ab?

zeigen. In dieser Hinsicht können wir ihnen hilfreiche Tipps geben. Überdies können wir Kandidaten auch klar sagen, dass

Prof. Thomas Heyer Die

Kandidaten singen vormittags den Lehrenden

es zum Gesangsstudium nicht oder noch nicht reicht. Für uns

einzeln vor und bekommen ein Feedback. Nachmittags haben

Professoren ist der Infotag eine Gelegenheit, uns mit unserer

sie Gelegenheit, offene Unterrichte aller Professoren zu besuchen,

jeweils sehr unterschiedlichen Art des Unterrichtens zu prä-

dort zuzuschauen und sich selbst unterrichten zu lassen. Davon

sentieren und uns damit selbst auf den Prüfstand zu stellen.

profitieren übrigens auch unsere Studierenden: Sie schauen

Und der Interessent kann seine neben dem Singen wichtigste

dabei gern in die offenen Unterrichte auch der „anderen“ hin-

Begabung fördern.

ein. Wichtig ist natürlich auch der Austausch der Interessenten mit den Studierenden. Dafür haben wir einen Infostand einge- richtet, wo direkt alle Fragen mit unseren Studierenden geklärt werden können.

33


Gesangsprofessor Thomas Heyer beim Unterricht interessierter Kandidaten während des Info- tags Gesang.

Wenn Sie betonen, wie unterschiedlich die methodischen Ansätze in der Gesangsabteilung sind, könnten die Meinungen der Jury bei den Aufnahme- und Abschlussprüfungen entsprechend weit auseinandergehen, oder? Prof. Thomas Heyer Wir

haben vor einiger Zeit eine Tischvorlage

gemeinsam erarbeitet, in der wir uns auf objektiv bewertbare Grundparameter geeinigt haben – dazu zählen unter anderem musikalische Ausdrucksformen wie Legato oder die Beherrschung des Messa di voce. Aber sicher bleibt es eine Herausforderung, Kandidaten „objektiv“ zu bewerten – das ist übrigens umso schwieriger bei einer Abschlussprüfung, wenn den Stu- dierenden ein individueller Ruf in der Abteilung vorauseilt.

Angesichts eines sich seit Jahren rasant vollziehenden strukturellen Wandels in der gesamten Opern-, Konzert- und Kulturszene, – Schließungen von Opernhäusern, Auflösungen von Orchestern, Reduzierungen von Opernensembles zugunsten von StagioneGast-Besetzungen, andererseits deutliche Zunahme von Ensemble-Neugründungen sowohl im rein vokalen als auch im vokalinstrumentalen Bereich – erscheint es mir notwendiger denn je, unter den sehr erfreulichen und zahlreichen Bewerbern/ innen für ein Gesangsstudium an unserer Hochschule nicht nur potenzielle Opernstimmen zu suchen, sondern auch die besonderen Begabungen zu entdecken und zu fördern, deren individuelles Stimmtimbre, Musikalität und erkennbarer Ausdruckswille für die Bereiche von Lied und Oratorium, Alter wie Neuer Musik, eine berufliche Perspektive vermuten lassen." Gesangsprofessor Berthold Possemeyer

34


Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Voraussetzungen

Können Sie auf dem Hochschul-„Markt“ einen spezifischen

für ein Gesangsstudium?

Ruf der HfMDK-Gesangsabteilung heraushören?

Prof. Thomas Heyer Zuvorderst

drei Dinge: die Stimme, die Stimme

Prof. Thomas Heyer Am

ehesten den, dass es als besonders schwie-

und dann die Stimme. Musikalität ist natürlich Voraussetzung –

rig empfunden wird, bei uns als Gesangsstudierender aufge-

sie zu zeigen allerdings bei schlechter Stimmkoordination sehr

nommen zu werden, weil wir die Messlatte recht hoch legen –

schwierig. Am überzeugendsten singen die, die es gern tun, die,

entsprechend gut sind auch die Abschlussergebnisse. Und was

die mit der Seele und nicht mit der Kehle singen. Sendungsbe-

auch für Frankfurt steht: Sänger, die bei uns aufgenommen

wusstsein und starke Emotionalität sind unabdingbar. Zudem

werden, haben dafür das Placet des gesamten Jury-Teams und

spielt das äußere Erscheinungsbild immer mehr eine Rolle für

nicht nur das des späteren Hauptfachlehrers. Bei aller Unter-

eine spätere Vermittlung an Opernhäuser.

schiedlichkeit sind Prüfungsentscheidungen bei uns absolute Teamsache. bjh

35


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

„DrauSSen ahnt keiner, was drinnen ist“ Ehrenamtliches Engagement an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main Von Dr. Laila Nissen

E

jedes inhaltliche Unterstützungsangebot geprüft werden:

die Empfehlung von Dr. Wolf Schröder-Hilgendorff an alle,

Ideal ist es für alle Beteiligten, wenn das, was die Engagierten

die sich ein eigenes Bild von der Hochschule für Musik und Dar-

mitbringen, einen Bedarf der Hochschule trifft, der im regulären

stellende Kunst Frankfurt am Main (HfMDK) machen möchten.

Hochschulbetrieb nicht gedeckt werden kann.

infach mal reingehen, und man spürt es sofort.“ So lautet

Die Begeisterung für Musik und die Freude an der Förderung junger Menschen sind es, die den Rechtsanwalt, Steuerberater und Notar a. D. dazu bewogen haben, vor acht Jahren der Gesell-

„Wir geben den dürstenden oder hungrigen Studierenden auch schon mal einen aus …“

schaft der Freunde und Förderer der Hochschule (GFF) beizutreten. Im Laufe der Zeit hat Wolf Schröder-Hilgendorff, der sich immer

Ein gutes Beispiel dafür ist auch Willy Egli: Wer sich bei den

wieder mit Stipendien und Spendenaktionen für die Studierenden

vielen Veranstaltungen in der Hochschule am Getränkeangebot

engagiert, gemerkt, dass auch seine juristische Expertise hilfreich

erfreut, kann Willy Egli in seinem Element erleben. An vielen

ist. So berät er heute andere Mitglieder in der Gesellschaft der

Abenden ist er vor Ort und kümmert sich mit seinen ehrenamt-

Freunde und Förderer pro bono, zum Beispiel wenn es um die

lichen Kollegen vom Catering-Team in Zusammenarbeit mit

Abfassung eines Testaments geht, mit dem die Hochschule

Studierenden darum, dass niemand auf dem Trockenen sitzen

bedacht werden soll. Auch Studierenden der HfMDK bietet er

muss. Bereits seit 2007 engagiert sich Willy Egli für die HfMDK.

seine ehrenamtliche Beratung in steuerlichen Fragen an.

Nach kurzer Zeit übernahm er die Verantwortung für das Catering-Team und koordiniert seither in Abstimmung mit dem

„Das Interesse daran, nicht nur finanziell zu unterstützen,

Künstlerischen Betriebsbüro (KBB) dessen Service-Einsätze.

sondern auch mit Wissen, Fähigkeiten und Tatkraft den Alltag

„Am Ende meines Berufslebens als Flugbegleiter und Purser bei

an der HfMDK aktiv mitzugestalten, freut uns sehr“, sagt

der Lufthansa war für mich klar, dass ich nicht zu Hause sitzen

Thomas Rietschel, Präsident der Hochschule. Natürlich muss

wollte. Denn Freizeit ohne Ende bekommt mir einfach nicht.“

36


„Draußen ahnt keiner, was drinnen ist“

Dr. Wolf Schröder-Hilgendorff Der Rechtsanwalt, Steuerberater und Notar a. D. ist seit 2007 Mitglied in der GFF. Engagement bedeutet für mich Freude und Befriedigung. Ich erinnere mich besonders gerne an meinen 70. Geburtstag, den Studierende der HfMDK musikalisch wunderbar gestaltet haben. Ich wünsche der HfMDK ausreichende Finanzierung, ein neues Domizil und Weiterentwicklung in der Qualität Schritt für Schritt.

Dr. Monika Völker Seit 2010 ist sie ehrenamtlich in der Bibliothek der HfMDK aktiv. Engagement bedeutet für mich Kontinuität und Interesse für die Sache. Ich wünsche der Hochschule, dass sie ihre Qualität erhalten und weiterentwickeln kann.

Hansjörg Rindsberg Seit 2014 ist er Mitglied der GFF und als Fotograf vor und hinter den Kulissen aktiv. Draußen ahnt keiner, was drinnen ist! Daher wünsche ich der Hochschule eine stärkere Präsenz und Wahrnehmung nach außen. Mit vollem Stolz auf das, was hier passiert.

37


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

Willy Egli Seit 2007 ist er ehrenamtlich für die HfMDK im Catering aktiv. Seit 2011 ist er Mitglied der GFF. Engagement bedeutet für mich: Ich biete einen guten Job an, versuche den Team-Gedanken optimal zu leben und freue mich, wenn bei aller Arbeit auch mal gelacht wird! Ich wünsche der HfMDK den Kulturcampus in Bockenheim und alle Kraft, Ausdauer und Fortune, die es dafür braucht. Und wie überall kann natürlich auch in der HfMDK die Kommunikation noch verbessert werden.

Willy Egli fand Unterstützung bei der Frankfurter Freiwilligenagentur „Büroaktiv“, die ihn an die HfMDK und Daniela Kabs vom Künstlerischen Betriebsbüro verwies. Ihn freuen der Umgang mit jüngeren Menschen und die gelebte Vielfalt an der Hochschule.

„Als etwas ganz Besonderes erlebe ich die Dynamik unter Studierenden und Professoren und das tolle Veranstaltungsangebot. Wir haben ein mehrheitlich wunderbares Publikum – ich empfehle, in die Konzerte zu kommen, Freund und Förderer zu werden und einfach zu genieSSen!“ (Willy Egli) Auch hinter den Kulissen des Lehr- und Lernalltags gibt es

nicht nur der Schauspiel-Abteilung ein Begriff: Dort, aber auch

so manch fleißigen Hochschul-Helfer: Einmal pro Woche trifft

für alle anderen Studierenden, bietet der pensionierte Kunst-

man Dr. Monika Völker in der Bibliothek an. „Die HfMDK kenne

lehrer professionelle Foto-Aufnahmen bei Proben und Auffüh-

ich bereits seit 1986 – ich war im Hessischen Ministerium für

rungen an. Gute Fotos sind für alle Studierenden wichtig, denn

Wissenschaft und Kunst für die Hochschule zuständig.“ Nach

sie sind unverzichtbarer Bestandteil für Bewerbungen. Eigentlich

ihrer Pensionierung im Jahr 2010 wollte die Ministerialrätin a. D.

war es aber die Musik, die Hansjörg Rindsberg zur Hochschule

ein Ehrenamt mit Bezug zu ihrem Berufsleben übernehmen.

brachte: Als er im Sommer 2014 einer Meisterklasse von Pro-

Seitdem hilft sie bei der Sichtung der zahlreichen Noten, CDs

fessor Helmut Deutsch zuhörte, war er so begeistert, dass er

und Bücher, die regelmäßig der Bibliothek geschenkt werden.

unverzüglich Mitglied der GFF wurde. „Es kam mir seltsam vor,

Es ist vor allem die Qualität des Bildungsangebots, die sie an

die Hochschule nur zu meiner Unterhaltung zu nutzen. Daher

der Hochschule begeistert und die sie mit ihrem Engagement

fragte ich, ob es Bedarf an Fotografie gibt.“

unterstützen will. Und den gibt es! Die Hochschule in ihrer Betriebsamkeit zu

„Ich wünsche der Hochschule, dass sie ihre Qualität erhalten und weiterentwickeln kann.“ (Dr. Monika Völker)

erleben, die spürbare Lebendigkeit und Energie sind es, die viele Ehrenamtliche in ihrer Arbeit für die HfMDK beflügeln. Mit ihrem Engagement verdeutlichen sie, dass die Hochschule nicht nur ein

Das hohe Niveau der HfMDK hat auch Hansjörg Rindsberg

Ort der Lehre und des Lernens ist, sondern darüber hinaus offen

von Anfang an überzeugt. Seine Qualitäten sind mittlerweile

für den Austausch mit einer aktiven Bürgergesellschaft.

38


Z a h l e n u n d F a k t e n z u m W i n t e r s e m e s t e r 2 014 / 2 015

Anzahl … … der Studienbewerber: 2410 … der neu zu vergebenden Studienplätze: 163 … der absolvierten Aufnahmeprüfungen: 1440 … der Bewerber auf 8 Studienplätze Schauspiel: 420 … der Bewerber auf 7 Studienplätze Gesang: 344 … der hauptamtlich Lehrenden: 87 … der Lehrbeauftragten: 352 … der Absolventen: 126

Zahlen und Fakten zum Wintersemester 2014/2015

… der Nationalitäten in der Studentenschaft: 54 Anteil des Einzelunterrichts: ca. 80 % Abbrecherquote: wird nicht ermittelt, da keine Verlaufsstatistik geführt wird – die Studienerfolgs- quote liegt durchschnittlich bei ca. 80 %.

Grundversorgung

39


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

Kriterienbasierte Beurteilung Von Prof. Dr. Maria Spychiger

W

enn Lehrende über viele Jahre im Beruf sind, ihn

ausüben und sich dazu regelmäßig weiterbilden, werden sie zu Experten des Unterrichtens und damit auch des Beurteilens. Die Zeit, die dazu notwendig ist, variiert mit Person und Fach- gebiet, aber im Großen und Ganzen gilt die sogenannte Zehn- jahresregel, die man in der Expertiseforschung gefunden hat: Nach 10 Jahren der andauernden beruflichen Tätigkeit hat man ein professionelles Format oder das Expertentum auf diesem spezifischen Gebiet erreicht. Dies gilt auch für den Teilbereich der Leistungsbewertung:

Sehr wahrscheinlich wundert sich jetzt mancher Leser über

Die ständige Übung und die gesammelte Erfahrung machen

diese positiv(istisch)e Stellungnahme – macht man doch

Lehrende zu kompetenten Beurteilerinnen und Beurteilern.

als Lehrende die Erfahrung, dass man sich etwa bei der Leis-

Vergleicht man etwa Lehrerurteile mit anderen Verfahren der

tungsbeurteilung in Aufnahme- und manchmal auch noch

Leistungsbeurteilung, insbesondere mit standardisierten Tests,

in Abschlussprüfungen nicht einig ist. Sogar ganz erfahrene

so erweist sich die Einschätzung oder das Urteil der erfahrenen

Beurteilerinnen und Beurteiler diskutieren manchmal sehr

Lehrperson als vergleichsweise sehr reliabel, also verlässlich

kontrovers über das, was sie eben in einer Prüfung gesehen

und messgenau. So werden Expertenurteile auch in empirischen

und gehört haben. Man liest auch von Studien, die zeigen,

Studien als Maß ernst genommen und verwendet (dies meist

dass Lehrende über die Qualität schriftlicher Arbeiten, stu-

in Kombination mit weiteren Tests und Untersuchungsdaten).

dentischer Klausuren, von Examensarbeiten oder von Schüleraufsätzen bisweilen sehr unterschiedlicher Meinung sind und sie auch sehr unterschiedlich benoten. Ja, das stimmt, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass Lehrerurteile durchschnittlich doch sehr viel genauer sind als die Urteile von ungeübten Beurteilern.

40


Der Bereich der Beurteilung ist nie ganz ruhig und nie fertig, er muss auch nach Jahren und Jahrzehnten der Berufserfahrung ständig angepasst und verbessert werden – das ist der Punkt dieses Beitrags, und dabei will er das Vorgehen der kriterienbasierten Beurteilung als solche Verbesserung vorstellen und beliebt machen. Aber vorher seien noch ein paar Bemerkungen zum Gegenstand des Beurteilens erlaubt, vorerst:

Es geht dabei um „die Wurst“ Beurteilung ist ein Dauerthema in Lehrberufen und generell im Bildungswesen. Es ist nicht verwunderlich, kristallisieren sich doch in diesem Thema wichtigste berufsrelevante Anliegen und Verantwortungen: Man entscheidet etwa im Falle von Aufnahmeund Eignungsprüfungen, wer Studienplätze bekommt, später wer ein gutes Diplom und damit gute Chancen auf dem Stellenmarkt erhält und damit Aussicht auf eine gute gesellschaftliche Position und alle Vorteile für die persönliche Befindlichkeit hat, die damit einhergehen. Oder es geht um erste Preise in Wett- bewerben oder Auswahlverfahren für begehrte Stipendien. Hier also setzt die Redewendung mit der Wurst an. Mit der Beurteilung bewegt man sich im Bereich der Entscheidungen darüber, wer was bekommt, gegebenenfalls ist man Mitglied einer Berufungskommission, es geht um eine begehrte Stelle einer Hochschulprofessur, dann ist man dabei beim Verteilen Das „Collegium Musicum“ mit Lehramtsstudent Johannes Müller-Hornbach am Dirigierpult.

sogar eines Filetstücks. Aber auch im alltäglicheren Beurteilen – bei Hausarbeiten, Referaten, Seminarleistungen aller Art, im künstlerischen Bereich bei Vorspielen, Klassenabenden, Ensembleauftritten u. ä. – hat man als Beurteilende einen großen Einfluss. Man ist psychologisch unmittelbar im befindlichkeitswirksamen Bereich, mittelfristig demjenigen von Selbstvertrauen und Selbstkonzeptaufbau der Studierenden, im negativen Fall von Stress oder Angstentwicklung, Motivationsverlust etc. In der Rolle des Beurteilers oder der Beurteilerin ist und fühlt man sich wichtig.

41


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

Drei Phasen der Lehr-Lernprozesse nach Jerôme Bruner Theoretischer, näher am inhaltlichen Prozess und also weniger (fleisch-)metaphorisch ausgedrückt ist die Beurteilung der Punkt, auf den Vermittlungs- und Lehrtätigkeit zusteuert, sie hat ihr Zuhause in der letzten Phase von Lehr-Lernprozessen. Der Erziehungswissenschaftler Jerôme Bruner teilt in seinem Meilensteinwerk des 20. Jahrhunderts, „The Process of Education“, den Lehr-Lern-Prozess in drei Phasen ein (Bruner, 1960, S. 48f.): (2)

(1) In der ersten Phase geht es aus Sicht des Lernenden um neue

Darauf folgt die Phase des Übens, Aneignens und Transfor-

Erfahrung, Entdecken, Kennenlernen und erste Aneignung.

mierens. Hier sollen beim Durcharbeiten und Üben noch Fehler

Aus Sicht der Lehrperson ist es eine Problemstellung, eine Auf-

erlaubt sein, Lernende wie auch Lehrende können aus ihnen

gabe, die Einführung eines neuen Inhalts, z. B. ein Werk oder

noch lernen und den Gegenstand von vielen Seiten kennen

eine Spieltechnik, die Suche nach einer neuen Interpretation.

lernen. Beurteilung darf diesen längeren Prozess der Aneignung

Man schafft Anknüpfungspunkte zu bisherigem Wissen und

nicht behindern oder zu früh zu einem Abschluss bringen, son-

Können, nähert sich mit den Studierenden etwas Neuem an, be-

dern muss pädagogisch-didaktisch eingesetzt sein. Sie soll sich

gleitet sie dabei. Um Leistungsbeurteilung und Überprüfung

nur auf einen Zwischenstand des Lernprozesses beziehen, oder

geht es hier noch gar nicht.

man wartet damit überhaupt noch. Wichtig ist das Erreichen von Sicherheit auf dem neuen Stand des Wissens und Könnens, bevor nämlich die dritte Phase eintritt: (3) Die Phase der Evaluation. Sie ist der letzte Teil des LehrLernprozesses, die Performanz- oder Prüfphase oder eben auf Seiten der Lehrenden die Zeit der Bewertung. Hier zeigt sich, wieviel nach dem Durcharbeiten wirklich vorhanden ist, wel- ches Leistungsniveau erreicht wurde, welche Note es gibt – jetzt „zählt es“, die Leistung wird eingestuft. Evaluation kann auch vom Lernenden selbst ausgehen, er oder sie kann in die Performanzphase gehen, sich dem Ernstfall stellen – nach einem Kletterkurs den Berg tatsächlich erklimmen, den Solopart auf dem Instrument im Konzert und nicht nur in der Orchester- probe spielen, den Fluss wirklich überqueren. So ist es vielleicht die vornehmste Aufgabe des Lehrens, die Lernenden bis in diese Phase der Bewährung und des Nutzens des Lernens zu bringen und darin noch die pädagogische Ver- antwortung der guten und gerechten Beurteilung zu erfüllen.

Szene aus „The Beggar‘s Opera“ mit Lehramtsstudierenden der Gesangsklasse von Prof. Henriette Meyer-Ravenstein 42


Kriterienbasierte Beurteilung

Fördern und Selegieren, zwei aneinander gebundene Seiten der Lehre und des Lehrberufs Doch wie edel ist sie wirklich, die Aufgabe der Beurteilung? Aus pädagogischer Sicht ist die andere große Aufgabe im Lehrberuf, die des Förderns, spontan empfunden die schönere, wichtigere, ethisch höher stehende. Hier gibt man jedem und jeder die ihm oder ihr eigene Chance, sucht nach der individualisierten Vorgehensweise, besten Lernmöglichkeit, unterstützt das Erreichen von Lernzielen, erleichtert und begleitet Lernprozesse. Das soziale Ziel ist dabei, gesellschaftlich gegebenen Ungerechtigkeiten entgegenzuhalten, schmerzliche Ungleichheiten zu nivellieren, Unterschiede in der Herkunft auszugleichen.

Aber es ist nicht zu leugnen, dass die Selektionsaufgabe im

Der oder die Lehrende hat zu diesem Zweck ein didaktisches

Unterschied zur Förderaufgabe das eigentliche Refugium der

Repertoire, er oder sie weiß um das Initiieren von integrierenden

Kontrolle und der Macht von Lehrenden ist. Selektion ist mit

Prozessen, um das Fordern, wo dies nötig und fördernd ist, um

Bewertung untrennbar verbunden, und sie ist in hohem Maße

Lehrmittel, Methoden, Sozialformen und Hilfen aller Art.

deswegen so brisant und zu jeder Zeit immer wieder Gegenstand der Auseinandersetzung.

Verantwortliche Pädagoginnen und Pädagogen werden wissen, dass dies nicht ihre einzige Aufgabe ist, und nicht der

Kriterienbasierte Beurteilung – ein Beispiel an der HfMDK

einzige Grund für ihre – oft von Steuergeldern aufgebrachte – Bezahlung. Vielmehr ist der Deal mit der Institution und dem

Wenn ich als Dozentin regelmäßig die Aufgabe habe, Haus-

dahinter stehenden Staatswesen der, dass sie der Gesellschaft

arbeiten von Studierenden anzuleiten, zu begleiten und zu

Jahr für Jahr die richtigen Leute für die richtigen Positionen

beurteilen, dann verwende ich dazu viele vorgegebene Mittel,

bereitstellen und die unrichtigen davon fernhalten sollen. Dieser

für Letzteres allem voran eine numerische Noten- oder Punkte-

Prozess ist derjenige der Selektion, der Bestenauslese etc.,

skala. Die Qualität meines Urteils verbessert sich, wenn sicht-

der sich vor allem an politisch-ökonomischen Rahmenbedin-

bar gemacht werden kann, was hinter diesen Zahlen steht –

gungen orientiert.

was die Kriterien sind, die dazu geführt haben. Es lernt dann auch der oder die Studierende eine ganze Menge anhand

Die beiden Aspekte wurden von Oester, Fiechter & Kappus

dieser Kriterien, und mir selbst helfen sie, keine vorschnellen

(2008) als „die doppelte Funktion des Bildungssystems“

Gewichtungen eines gegebenen Eindrucks vorzunehmen. Die

herausgearbeitet. Selektionsprozesse resultieren sichtbar in

Kriterien ermöglichen auch die Vergleichbarkeit zwischen den

Abschlüssen, Bildungstiteln und im Effekt in der sozialen

Leistungen unter den Studierenden, und sie sollen dem

Stellung in einer gesellschaftlich gegebenen Hierarchie. Das

Kandidaten oder der Kandidatin helfen in seiner oder ihrer

Fördern dagegen steht seinem Wesen nach im allgemeinbil-

Selbsteinschätzung.

denden Bereich im Dienste der Integration. Entsprechende

Bemühungen des Lehrens und Lernens orientieren sich an erziehungswissenschaftlichen Grundlagen des Lebensvollzugs und haben die Gemeinschaftsbildung im Sinn, und im Effekt die soziale Nivellierung. Beide Aufträge des Bildungssystems bzw. Tätigkeiten von Lehrenden sollten in einem „Dritten Raum“ miteinander in Beziehung gebracht werden, das betonen die Autorinnen, und nicht als konkurrierende Bildungsauffassungen einzeln verfolgt werden (a.a.O., S. 52f).

43


Der Kandidat / die Kandidatin (K) zeigt

Das Beispiel der kriterienbasierten Beurteilung in der Gruppen-

die folgenden Kompetenzen (im Ausmaß

leitungsprüfung ist so zu verstehen, dass diese Kriterien und die

1–4 für jedes Kriterium):

dazugehörige Skalierung die Note nicht ersetzen, sondern der

(1) Pädagogischer Bezug und Leistungserwartung

Benotung vorgelagert sind. Die Kriterien dienen als Diskussions-

Zwischen der Gruppe und K entsteht eine Dynamik:

grundlage für die definitive Einschätzung durch die dreiköpfige

Die Gruppe bringt sich ein, K nimmt seine/ihre Füh- rungsrolle wahr und vermittelt eine positive Leistungserwartung, auf welche die Gruppe produktiv reagiert.

 trifft gar nicht zu  trifft eher nicht zu 

trifft eher zu

 trifft voll zu

ggf. Bemerkungen: ……………………………………… (2) Flexibilität

Prüfungskommission dieser Teilprüfung. Die Diskussion der Fachpersonen ist ein wichtiger Standard für die Qualität von Beurteilung. Auch die Auswahl der besten wissenschaftlichen Hausarbeit für die Vergabe des Exzellenzpreises im Fachbereich 2 erfolgt in dieser Art auf der Grundlage ausformulierter Kriterien und im Diskurs einer Kommission.

Kriterienbasierte Rückmeldung an die Studierenden

K stellt sich auf die Zusammensetzung und die Merkmale einzelner Gruppenmitglieder sowie ggf. auf Überraschungen pädagogisch-didaktisch beweglich ein und kann bei Bedarf von ihrem/ seinem aktuellen Plan abweichen.

Es gibt weitere Beispiele für die Beurteilungspflichten von Lehrenden an der HfMDK, etwa Hausarbeiten – hier kann man auch kriterienbasiert zu einer Benotung kommen oder aber die Note auf der Grundlage der Erfahrung setzen, die im übrigen

(3) Körpersprache Der körpersprachliche Ausdruck – Gestik, Mimik, Blickkontakt, Bewegung im Raum, ggf. Berührungen – ist angemessen und befördert die Kommunikation mit der Gruppe und den Lernprozess.

aber natürlich auch Kriterien folgt, allerdings mehr impliziten als ausformulierten. Damit die Beurteilung in den fortgesetzten Lernprozess des oder der Studierenden einfließen kann, ist entscheidend, dass er oder sie eine Rückmeldung auf die er- brachte Leistung erhält. In beiden Fällen ist dies möglich, bei

(4) Enthusiasmus K versteht es, die Gruppe für die gemeinsame Arbeit zu begeistern. Sie vermittelt auf natürliche

der kriterienbasierten Rückmeldung jedoch unter vorgegebener Anlage, welche die Differenziertheit der Rückmeldung sichert.

Art Freude am Musizieren.

Verantwortungsbewusste Institutionen befassen sich mit der (5) Didaktische Überlegungen K ist inhaltlich und/oder didaktisch reflexiv, sie/er sagt etwas zum Lerngegenstand (dem aus-

Thematik. So hat, recht zufällig herausgegriffen (weil im Netz präsent), das Geschwister-Scholl-Gymnasium (2014) ein fast

gewählten Ensemblestück), und/oder zum Lern-

50 Seiten starkes Leistungskonzept unter dem Titel „Leistung

ziel, zu ihrer/seiner Rolle, zum Vorgehen o. ä.

ermöglichen, rückmelden, messen und bewerten“ erstellt,

(6) Musikalisches Ergebnis Aus K's Arbeit mit der Gruppe resultiert

welches viele konkrete Hinweise und Handreichungen für Lehrkräfte enthält. Dabei verarbeitet die Schrift einschlägige

ein musikalisch ansprechendes Ergebnis (die

Fachliteratur (stellvertretend sei Andreas Helmke als einfluss-

Beurteilung berücksichtigt die Möglichkeiten

reicher Forscher und Autor genannt) und setzt sich mit dem

des Ensembles).

theoretischen und wissenschaftlichen Stand der Entwicklung der Leistungsbewertung auseinander.

Beispiel einer kriterienbasierten Beurteilung an der HfMDK im Rahmen der Eignungsprüfung für die Lehramtsstudiengänge (Teilprüfung Gruppenleitung)

44


Kriterienbasierte Beurteilung

Welche Rolle soll nun das Gefühl noch spielen, die Intuition,

Heute haben wir stattdessen enorm aufwendige Auswahlver-

welche doch unzweifelhaft Bestandteil der eingangs beschrie-

fahren, die zu allem manchmal von den Zweit- und Drittplat-

benen Expertise ist und auf welche der erfahrene Beurteiler,

zierten auch noch angefochten werden. Trotzdem sprechen

die anerkannte Expertin sich so oft verlässt? Nein, es ist nicht

diese Entwicklungen nicht gegen ausformulierte Kriterien.

die Meinung, dass sie keinen Platz und keine Funktion mehr

Gerade sie ermöglichen es, ähnlich wie im Beispiel der

innehat im kriteriengeleiteten Beurteilungsprozess. Sie soll

kriterienbasierten Beurteilung für die Gruppenleitungsprüfung,

lediglich nicht Mythos sein, sondern eine Stimme, die man

die Situation argumentativ nachzuzeichnen und transparent zu

einbringt, aber auch diskursiv einholt und ggf. zu relativieren

machen. Kriterienbasierte Beurteilung muss dem Prinzip

bereit ist.

„Daumen hoch, Daumen runter“ und Punkteverteilen nach Gefühl überlegen sein. Sie macht auch meistens mehr Arbeit,

Intersubjektive Nachvollziehbarkeit

wenn ihre Ziele – Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Gerechtigkeit, Partizipationsmöglichkeiten – erreicht werden sollen.

Damit ist auch noch der letzte, aber höchst wichtige Punkt für

Außerdem muss man sich in Prüfungskommissionen über die

die Professionalisierung der Beurteilung genannt: Man soll

Rangliste trotzdem einigen. Wenn mehrere professionelle

seine Urteile zur Diskussion stellen, man soll sie, wenn immer

Beurteiler ausformulierte Kriterien diskursiv durcharbeiten,

möglich, nicht allein fällen.

kann der Prozess ruhiger und nachvollziehbarer verlaufen. Die Bewertung wird präziser. Man möchte gerne sagen „objek-

Kriterien sind dafür da, sie beizuziehen, wenn unterschiedliche

tiver“, aber dies wäre ein zu großes oder sogar irreführendes

(Selbst-)Einschätzungen vorliegen, die zu unterschiedlichen

Wort. Der Anspruch auf intersubjektive Nachvollziehbarkeit

Bewertungen führen. Man kann dann die Kriterien durchgehen

jedoch soll und darf als Maßstab für die kriterienbasierte

und seine Urteile daran inhaltlich begründen. Wenn dann das

Beurteilung angelegt werden.

Gefühl immer noch etwas anderes sagt, kann man es auf seine weiteren Inhalte befragen und ggf. merken, dass sie für den

Zitierte und weiterführende Literatur:

Gegenstand nicht relevant sind. Oder aber man kann darauf

Bruner, Jerôme (1960). The Process of Education.

kommen, dass im Kriterienkatalog etwas nicht stimmt und

Cambridge, Mass.: Harvard University Press. Geschwister-Scholl-Gymnasium (2014). Leistung ermöglichen, rück-

dieser angepasst, erweitert, ergänzt oder vielleicht etwas aus

melden, messen und bewerten. Das Leistungskonzept des Geschwister-

ihm entfernt werden muss.

Scholl-Gymnasiums. http://gsg.intercoaster.de/icoaster/files/ leistungskonzept_endfassung.pdf (abgerufen am 27. Februar 2015).

Früher war es anders und wohl nicht immer nur schlechter. So konnten etwa Präsidenten an einer Hochschule wie der

Helmke, Andreas (2007). Unterrichtsqualität. Erfassen, Bewerten, Verbessern. Seelze: Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung (6. Auflage, 1. Aufl. 2003), in der Fortsetzung: Helmke, Andreas (2009).

unseren weitgehend selbst über die Besetzung von Stellen ent-

Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation

scheiden, auch der Professuren. So hatten sie es wesentlich

und Verbesserung des Unterrichts. Seelze: Kallmeyer in Verbindung

einfacher als heute, wo die Auswahl nach streng festgelegten

mit Klett. 2014 bereits wieder in der 5. Auflage. Oester, Kathrin; Fiechter, Ursula & Kappus, Elke-Nicole (2008).

Verfahrensschritten erfolgt. Eine Gesangsprofessorin wurde

Schulen in transnationalen Lebenswelten. Integrations- und Segregations-

etwa so gefunden – das Beispiel ist nicht erfunden –, dass der

prozesse am Beispiel von Bern West. Zürich: Seismo-Verlag.

Präsident zu einer Opernpremiere ging, da eine Sopranistin hörte, die fantastisch sang und bei der er weitere Eigenschaften sah, die auf die Professur passten. Er ging nach der Aufführung zur Garderobe, stellte sich vor, gratulierte ihr zu der glänzenden Leistung und fragte sie, ob sie in den nächsten Tagen einmal Zeit hätte für ein Gespräch mit ihm. Ein solches fand statt, und die Stelle war nach zwei Wochen besetzt, und gut besetzt.

45


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

Qualitätsmanagement – ein Gradmesser der Erfüllung Brigitte Binder ist Referentin für Qualitäts- management, Studium und Lehre.

Von Brigitte Binder, Cédrine Lussac und Sina-Mareen Retolaza

D

Erfüllungsgrad der Anforderungen aus. Diese Anforderungen

Ausbildung zu tun hat, überrascht auf den ersten Blick nicht.

müssen ganz genau definiert werden. Und zwar: Welche

Aber wie ist dieser Zusammenhang tatsächlich zu verstehen?

konkreten Ziele werden verfolgt? Welche Zielgruppe wird

Von welcher „Qualität“ ist hier die Rede? Was genau haben

angesprochen? In welchem Kontext befinde ich mich? Anhand

„Benotung“ und „Beurteilung“ mit Qualitätsmanagement zu

welcher konkreten Kriterien erkenne ich, ob meine Inhalte und

tun? Das wollen wir in diesem Beitrag genauer anschauen.

die sie abbildenden Prozesse den gestellten Anforderungen

ass Qualitätsmanagement etwas mit Qualität in der

entsprechen oder ob ich etwas ändern muss? Und anhand Betrachten wir zunächst folgende Frage: Was bedeutet „Qualität

welcher konkreten Kriterien erkenne ich, ob meine Zielgruppe

in der Ausbildung“? Eine Antwort darauf ist genauso einfach wie

zufrieden ist oder ich etwas ändern muss?

nichtssagend: Es kommt darauf an! Eine „Qualität in der Ausbildung“ „an sich“ gibt es nicht. Qualität bedeutet per Definition

Wer aber definiert diese (Qualitäts-)Ziele bzw. -kriterien?

nichts anderes als der Grad, in dem eine Dienstleistung oder ein

Nie das Qualitätsmanagement (QM), sondern immer die jewei-

Produkt die an sie gestellten Anforderungen (die zuvor spezifisch

ligen Experten eines Bereichs (z. B. Lehrende für Benotungen,

definiert wurden!) erfüllt. Ein Beispiel: Ein „guter Lernerfolg“ kann

Hochschulleitung für Entwicklungsziele). Das Qualitätsmanage-

sich sowohl auf eine gute Leistung als auch auf einen großen

ment kann aber durchaus den Prozess der Zielfindung oder die

Entwicklungsschritt beziehen und wird nicht unbedingt von einem

Ausformulierung der Ziele unterstützen (z. B. durch Methoden

Studierenden und von seinem Lehrenden gleich verstanden bzw.

wie Befragungen oder Umfeldanalysen).

definiert. Qualität sagt demnach lediglich etwas über den

46


Qualitätsmanagement – ein Gradmesser der Erfüllung

Was genau steht dann im Fokus des Qualitätsmanagements? Wichtig ist hier die Differenzierung der Ebenen, auf denen sich die „Qualität (der Ausbildung)“ bezieht: die Ebene der Inhalte (z. B. Kunst, Pädagogik und Wissenschaft), der Prozesse (z. B. Lehren und Lernen), der Organisation (z .B. der HfMDK) und schließlich des Qualitätsmanagementsystems. Diese Ebenen lassen sich gut in Anlehnung an die AEC-Broschüre zum Qualitätsmanagement in Musikhochschulen darstellen:

Inhalte (Kunst, Pädagogik und Wissenschaft) Prozesse (Lernen und Lehren) Die HfMDK Qualitätssicherung/-management Sina-Mareen Retolaza ist Bologna-Referentin.

Darstellung in Anlehnung an das AEC-Modell mit Ebenen, auf denen Qualitätsziele formuliert werden können (Quelle: Siehe Vgl. Bisschop Boele, E., 2007: Handbuch Interne Qualitätssicherung in der höheren Musikausbildung. AEC Publikation, Utrecht, S. 13.)

Der Bereich Inhalte bezieht sich auf alle künstlerischen, päda-

Wie sind dann die Aspekte „Beurteilen“ und „Benoten“ im

gogischen und wissenschaftlichen Leistungen bzw. fachlichen

Kontext „Qualität der Ausbildung“ unter der Perspektive des

Entwicklungen in der Ausbildung. Dieser Bereich (Qualitäts-

Qualitätsmanagements einzuordnen? Wie lässt sich diese

kriterien wie Beurteilungen – also auch Benotungen) liegt in

Qualität messen? Wie interpretieren? Was bringen überhaupt

den Händen der Fachbereiche und ist kein Gegenstand des QM.

Qualitätsmessungen? Wie eingangs erläutert, bezieht sich die

Erst ab der Ebene der Prozesse kommt das QM „ins Spiel“,

Qualität der Ausbildung immer auf zuvor von Experten defi-

indem es z. B. überprüft, ob diese Kriterien überhaupt definiert

nierte Ziele bzw. Kriterien. Sind die Anforderungen alle erfüllt,

wurden (z. B. für die Benotung einer Abschlussprüfung) und

ist die Qualität „zufriedenstellend“ (aber nicht zwingend „gut“);

transparent sind für alle betroffene Akteure (Hauptfachlehrer,

sind die Anforderungen nicht erfüllt, ist die Qualität „nicht

Studierende, Kommissionen). Deshalb bezieht sich eine durch

zufriedenstellend“ (aber nicht zwingend „schlecht“). Die Messung

das QM durchgeführte Evaluation nie auf die fachlichen Fort-

der Qualität spiegelt der Grad der Erfüllung der Anforderungen.

schritte eines Studierenden in einer Veranstaltung (auch nicht

Die Bewertung dieser Messung ergibt sich aus der Fragestellung

auf das Vorhandensein eines fachlichen Fortschrittes), sondern

und dem Kontext. Im Gegensatz zum alltäglichen Sprachge-

untersucht lediglich Aspekte des Prozesses „Lehren“ oder

brauch sind „gut“ oder „schlecht“ keine Maßeinheiten für

„Lernen“, z. B. ob die Lernbedürfnisse des Studierenden ab-

das Qualitätsmanagement.

gedeckt sind oder ob bestimmte Rahmenbedingungen (z. B. Einhalten eines bestimmten Verfahrens) gegeben sind.

47


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

Das QM übernimmt nicht nur das Messen, sondern sorgt dafür, dass diese Messungen analysiert werden und entsprechende Folgemaßnahmen (= Konsequenzen) nach sich ziehen. Diese Vor- gehensweise entspricht dem Kernelement des QM, dem „PDCA- Zyklus“ (auch Qualitätskreislauf genannt). Die Abkürzung PDCA steht für „Plan – Do – Check – Act“, also Planen, Umsetzen, Überprüfen/Beurteilen und Handeln. Hier wird auch deutlich (siehe Grafik), dass Bewertungen und Beurteilungen („Check“)

Planen / klare Ziele

nicht in einem „luftleeren“ Raum stattfinden, sondern immer

Steuerung durch

kontextbezogen und auf definierte Ziele und Kriterien („Plan“)

 Organisationsziele

angewiesen sind:

 Qualifikationsziele  Entwicklungsplanung

Durchführen / Handeln

 Zielvereinbarungen

Umsetzung durch

 Strukturen

 zielführende Prozesse

 Ordnungen, Konzepte

 klare und transparente Zuständigkeiten

 Rahmenbedingungen

PLAN

ACT

DO

CHECK

Handeln / Ändern / Verstetigen

Überprüfen

Konsequenzen ziehen durch

Ergebnisreflexion durch

 Dokumentation

 Datenerhebung

 Änderungssteuerung

 Berichtswesen  Verfahren interne QS

In diesem Kontext übernimmt das QM-Team folgende konkrete Aufgaben:  Aufnehmen von Impulsen aus hochschulpolitischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Einbringen in die Hochschule (z. B. Akkreditierungsrat, KMK, HRK)  Unterstützung bei notwendigen Umstrukturierungen (z. B. Studiengangreformen) durch QM-Instrumente (z. B. Befragungen, Analysen)  Anbieten von Plattformen für Kommunikation und Austausch (z. B. Workshops)

48


Qualitätsmanagement – ein Gradmesser der Erfüllung

 Einhaltung und Umsetzung von Rahmenvorgaben (z. B. ländergemeinsamen Strukturvorgaben)  Durchführung von Maßnahmen der externen Qualitätssicherung (z. B. Akkreditierungsverfahren, Audits)  Konzeption und Durchführung von Lehrveranstaltungsevaluationen  Aussprechen von Empfehlungen zu formalen Kriterien oder Standards (z. B. einheitlichen Notensystemen)  Austausch zu Prüfungsverfahren mit anderen Hochschulen des Netzwerks Musikhochschulen (z. B. gegenseitige Hospitationen)  Schaffung von Räumen für Feedback und Selbstreflexion (z. B. gemeinsames Lernlabor für Studierende und Lehrende)  Schaffung guter Rahmenbedingungen für Studierende, Lehrende, Mitarbeiter (z. B. geklärte und verbindliche Prozesse und Zuständigkeiten)  Sicherstellen der Transparenz der Bewertungskriterien (z. B. durch Befragungen)  Durchführung von Benchlearning (z. B. Bench-

Cédrine Lussac ist Projektmanagerin für

Fazit

Lehrentwicklung und Lehrevaluation.

markingclub Berufungsverfahren)  Unterstützung bei der Entwicklung innovativer Lehrund Lernformen (z. B. Mentoring)  Entwicklung adäquater Angebote für Lehr- und Lernprozesse (z. B. hochschuldidaktische Maßnahmen)  Unterstützung bei der Definition von Zielen und

Das Qualitätsmanagement ist ein Unterstützungsinstrument zur Steuerung der Hochschule. Es ist keine inhaltliche (Kontroll-) Instanz. Es definiert weder selbst die Ziele und Kriterien, nach denen sich die Hochschule ausrichtet, noch entscheidet es über die Konsequenzen aus den erzielten Ergebnissen. Das Qualitäts-

Kriterien (z. B. durch Überprüfen im Hinblick auf

management ist also weder „Beurteiler“ noch „Benoter“. Es

Konsistenz, Klarheit, Messbarkeit)

liefert aber den Entscheidern (z. B. in Fachbereichen oder Hoch- schulleitung) die spezifischen Daten zu, die diese zur Entscheidungsfindung benötigen. Überdies hilft das Qualitätsmanagement bei der zielgruppenorientierten Interpretation = Bewertung und Beurteilung der Daten. Das Qualitätsmanagement sorgt somit dafür, dass der Qualitätsregelkreis („PDCA-Zyklus“) auf verschiedenen Ebenen der Hochschule durchgeführt wird, und fordert aktiv Folgemaßnahmen (Konsequenzen) bei den Entscheidern ein. Dies ist die Hauptaufgabe eines Qualitätsmanagementsystems, dessen erfolgreiche Umsetzung in allen Verfahren der externen Quali- tätssicherung von den Gutachtern geprüft wird. Hier gibt es für unsere Hochschule noch viel zu tun: Die nächsten Schritte werden in der nächsten QM-Aufgabenplanung (Wintersemester 2015/2016) durch die Gremien beschlossen.

49


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

Bedarf es nicht eines Mindestmaßes an Einblick in die Inhalte, um über den Umgang mit ihnen zu reden? Brigitte Binder Auch

das nicht. Damit würden sich Qualitäts-

manager zu Experten auf einer Metaebene aufspielen. Stattdessen gehen wir zu den Experten und fragen sie nach den Kriterien ihrer Beurteilung und ihres Handelns. So hat auch ein Studierender einen Anspruch auf eine individuelle Bewertung, die ihm nicht wie von einem Roboter ausgewürfelt entgegen geschleudert wird – natürlich gibt es Unterschiede und Ermessensspielräume. Qualitätsmanagement fordert dabei jedoch Transparenz, Klar-

Qualität und das Salatblatt im Burger

Brigitte Binder verrät, was die Mission Qualitätsmanagement an einer Hochschule so spannend, aber auch schwierig macht

heit, Verbindlichkeit, Nachprüfbarkeit und die Fähigkeit zum nachvollziehbaren Feedback. Übrigens wird der Begriff der Qualität oft mit unterschiedlichem Verständnis verwendet. Geben Sie ein Beispiel, wie unterschiedlich Qualität verstanden werden kann. Brigitte Binder Wonach

lässt sich beurteilen, ob der Burger an

der Tankstelle von „guter Qualität“ ist? Der Verkäufer überlegt

D

sich sein Geschäftsmodell und denkt seine Dienstleistung vom

ist kein Geheimnis. Umso wichtiger ist es den „QMlern“, mit

und der Preis sollen günstig sein, der Burger sollte vielleicht

Missverständnissen und Vorurteilen aufzuräumen. Dabei kann

auch ein Salatblatt beinhalten, damit er lecker und gesund aus-

der Fast Food-Burger von der Tankstelle als gutes Beispiel dafür

sieht. Derlei Aspekte bedeuten aber nicht zwangsläufig, dass

herhalten, was Qualitätsmanagement eigentlich ist, vor allem

der Burger einen hohen Nährwert hat oder gut schmeckt. Dies

aber nicht ist. Brigitte Binder, seit April 2013 als QM-Beauftragte

wären Kriterien, die man zuvor erst als „Soll“ aufstellen und

an der Hochschule tätig, wagt sich an einem Erklärungsversuch.

sich dabei genau überlegen müsste, woran exakt man den Nähr-

ass Qualitätsmanagement mitunter ein Imageproblem hat,

Kunden her: Der Verkauf muss schnell gehen, die Herstellung

wert oder den guten Geschmack festmacht. Für unser Beispiel Frau Binder, direkt gefragt: Was ist Qualitätsmanagement

an der Tankstelle kann das bedeuten, dass der Burger unter

entgegen landläufigen Vorurteilen bitteschön eben nicht?

QM-Aspekten durchaus vom Tankstellenbesitzer als „sehr gut“ beurteilt wird, weil er nämlich alle Kriterien, die zuvor defi-

Brigitte Binder Einfach

gesagt: Auf der Ebene der Inhalte selbst,

niert wurden, in vollem Umfang erfüllt.

also am Beispiel der Hochschule im Bereich der Lehr-/Lernin- halte und der Kunst, haben Qualitätsmanager nichts verloren.

Also geht es in QM-Fragen schlichtweg um den

Wenn sie es doch tun, sind sie meines Erachtens anmaßend,

effizienten Einsatz von Ressourcen?

vermessen und arbeiten unter falschen Prämissen. Leider gibt es QMler, die meinen, sie könnten auch auf dieser Ebene agieren.

Brigitte Binder Oft

Das ist ein Kardinalfehler im Selbstverständnis von QM. Die

von Ressourcen als Zielkriterium definiert wurde - aber nicht

QMler produzieren nämlich keineswegs selber Qualität. Wenn

nur. Im QM geht es darum, die Ziele, die man sich setzt, auch

man überhaupt von qualitätsfördernden Entwicklungen sprechen

zu erreichen, dabei zu lernen und zu reflektieren, in dieser Hin-

kann, dann ist das ein Verdienst von allen Menschen, die in

sicht „besser“ zu werden – vorausgesetzt es sind dazu messbare

diesen Prozessketten arbeiten.

Kriterien vorhanden.

50

schon – wenn eben zuvor ein effizienter Einsatz


Qualität und das Salatblatt im Burger

Wie weit hat sich das Qualitätsmanagement an

glied in der Deutschen Gesellschaft für Qualität. Inner-

unserer Hochschule durch die Bereiche von Verwaltung

halb der Hochschule haben wir uns eng mit der Entwicklungs-

und Lehre vorgearbeitet?

planung verzahnt, um mit ihr einen Gleichklang herzustellen. Ich habe begonnen, viele Einzelaktivitäten in ein QM-System

Brigitte Binder Zunächst

einmal liegt unser Fokus auf dem

einzubinden. Mit der AG Studiengangentwicklung haben wir

Bereich Studium und Lehre. Wir haben noch viel vor uns und

ein gutes Dreivierteljahr zusammengesessen und überlegt,

noch nicht alle in der Hochschule erreicht. Aber die größte

wie wir den Prozess der Studiengangentwicklung abbilden

Herausforderung, nämlich eine Bewusstseinsbildung in Gang

bzw. fachbereichsinterne Steuerungsinstrumente für ihn

zu setzen, ist in einigen Bereichen der Hochschule schon sehr

schaffen können.

spürbar. Ich bin durchaus, als ich im April 2013 an die Hochschule kam, misstrauisch beäugt worden, ob ich der verlängerte

Was ist die Herausforderung für einen Qualitäts-

Arm der Hochschulleitung wäre oder der „Kontrolletti“, der den

manager an einer Kunsthochschule?

Leuten sagt, was sie zu tun und zu lassen haben. Da war viel Aufklärungsarbeit zu leisten, denn QM hat durchaus ein Image-

Brigitte Binder Mir

problem. Aber wir wollen niemanden kontrollieren; stattdessen

Transfer leisten muss bzw. darf: Ich muss quasi verschiedene

gefällt es hier besonders, weil ich ständig einen

geht es um ein gemeinsames Lernen auf der organisationalen

„Sprachen“ sprechen und vorhandene Standards und Normen

Ebene. Wenn ich nur eine Kontrollperspektive einnähme, würde

auf den Hochschulkontext übertragen. Und dabei kann auch ich

ich mein Gegenüber zur Unmündigkeit degradieren. In Wirklich-

kreativ sein. Schön ist es auch, ein Feld zu beackern, wo es

keit sind wir Qualitätsmanager glücklich, wenn das QM als

noch keine festgefahrenen Wege gibt. Und: Egal, mit wem man

formale Instanz irgendwann überflüssig wäre.

hier am Haus zu tun hat – die Zusammenarbeit empfinde ich hier als besonders offen, zumal die Wege kurz sind – auch zur

Haben Sie einen „Schlachtplan“, wann sie mit QM

Hochschulleitung.

im Haus wie weit sein möchten? Was macht das Arbeiten für Sie hier schwerer Brigitte Binder Absolut.

Als meine Kolleginnen Sina-Mareen

als woanders?

Retolaza, Cédrine Lussac und ich anfangs merkten, dass wir hier Pionierarbeit zu leisten hätten, haben wir einen Marschplan

Brigitte Binder Die

Organisationswissenschaftler Cohen und

erstellt, besser gesagt: eine „Wanderkarte“. Wir haben ganz

March haben Hochschulen einmal als „organisierte Anarchie“

formell ein QM-Konzept mit einer konkreten Aufgabenplanung

bezeichnet. Der Begriff gefällt mir, weil er meiner Erfahrung

geschrieben, in dem steht, wie wir vorgehen wollen, welches

entspricht. Der Begriff der Freiheit von Forschung und Lehre

Verständnis wir von unserer Arbeit haben und wofür wir nicht

wird an Hochschulen oft auch auf den Verwaltungsbereich

zu haben sind. Damit haben wir die Hochschulinstanzen wie

übertragen, was nicht gesetzeskonform ist. Unternehmensfüh-

den Hochschulrat, den Senat und das Präsidium durchlaufen.

rung an einer Hochschule ist damit per se komplex, zudem deshalb, weil Hochschulen aufgrund ihrer Gremienstruktur

Was konnten Sie denn schon umsetzen?

demokratisch geprägt sind. Bis gewisse Entscheidungsprozesse durchlaufen sind, dauert es manchmal quälend lang. Die relativ

Brigitte Binder Sina-Mareen

Retolaza konnte schon ganz viel

hohe Ämterfluktuation bringt zudem oft eine hohe Wissensero-

auf Studiengangs-Ebene erreichen, nämlich gemeinsam mit

sion mit sich. Das Schöne an einer Kunsthochschule ist

den Experten im Fachbereich die einzelnen Studiengänge auf

andererseits: Hier ist es bunt, und die Möglichkeiten, sich

die neuen Bologna-Anforderungen umstellen. Cédrine Lussac

einzubringen, sind vielfältig. Damit ist auch kein Tag schlichte

konnte den Lehrenden einiges an Angeboten an Workshops und

Routine, und das ist für mich gut so: Ich muss mich gestaltend

Seminaren unterbreiten. Wir drei haben uns zudem jeweils stark

„austoben“ können. Das kann ich hier wunderbar. bjh

vernetzt: Ich bin beispielsweise für unsere Hochschule Mit-

51


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

An der konstituierenden Sitzung des neuen Hochschulrates nahmen Teil (von links nach rechts): Johann-Dietrich Wörner, Anja Mick-Rademacher als Referentin des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, Marijke Hoogenboom, Thomas Rietschel, Melanie Wald-Fuhrmann, Traudl Herrhausen, Vize-Präsident Ernst August Klötzke, Kanzlerin Angelika Gartner und Vize-Präsident Christopher Brandt. Es fehlen Stephan Pauly und Sebastian Weigle.

Der neue Hochschulrat D

Präsident Thomas Rietschel freut sich auf die Zusammenarbeit

zu seiner konstituierenden Sitzung zusammengekommen und

und lobt die gute Arbeit des Hochschulrats: „Seit fast neun

hat Prof. Dr.-Ing. Johann-Dietrich Wörner (Vorstandsvorsitzender

Jahren ist der Hochschulrat in verschiedenen Besetzungen ein

des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und ehe-

wichtiger Begleiter für die Hochschule. Er ist ein verlässlicher

maliger Präsident der TU Darmstadt) zu seinem Vorsitzenden

Partner der Hochschulleitung, der wesentliche Hinweise und

gewählt. Prof. Wörner hatte bereits den Vorsitz im alten Hoch-

Anregungen gibt und dessen Sachverstand hoch geschätzt

schulrat inne, dessen Amtszeit im Februar endete und dem auch

wird.“ Thomas Rietschel dankt den ausgeschiedenen Hochschul-

Dr. Stephan Pauly (Intendant und Geschäftsführer Alte Oper

ratsmitgliedern für die geleistete Arbeit und hofft, dass sie der

Frankfurt) angehörte und weiter angehört. Zusammen mit den

HfMDK weiterhin verbunden sein werden.

er neue Hochschulrat der HfMDK ist am 11. März 2015

neuen Mitgliedern Traudl Herrhausen (ehemalige Abgeordnete des Hessischen Landtags), Prof. Marijke Hoogenboom (Pro-

Hochschulratsmitglieder

fessorin für Art Practice und Artistic Development an der

Februar 2011 – Februar 2015:

Amsterdam School of the Arts), Dr. Melanie Wald-Fuhrmann

Dr. h.c. Beate Heraeus

(Geschäftsführende Direktorin des Max-Planck-Instituts für

Michael Hermann

empirische Ästhetik Frankfurt am Main) und Sebastian Weigle

Nele Hertling

(Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt) bilden sie jenes

Dr. Stephan Pauly

Gremium, das die Hochschulleitung in wichtigen strategischen

Prof. Dr. Dr. h.c. Bernhard Scheuble,

Fragen berät und das bei der in diesem Jahr anstehenden Wahl

Dr. Peter Hanser-Strecker

einer Präsidentin /eines Präsidenten eine wesentliche Rolle

Prof. Gerd-Theo Umberg,

spielen wird.

Prof. Rolf Windmoeller Prof. Dr.-Ing. Johann-Dietrich Wörner (Vorsitzender des Hochschulrats) Lothar Zagrosek

52


Back to the roots

An der Weimarer Hochschule leitete er Opernproduktionen und arbeitete zudem als Assistent beim Frankfurter Mutare-Musiktheater-Ensemble sowie als musikalischer Leiter der Jungen Marburger Philharmonie. 1999 wurde er Preisträger beim ersten Deutschen Hochschulwettbewerb in der Kategorie Dirigieren. Der Kontakt zur Schulmusik ließ ihn aber auch in Weimar nicht los: Er übernahm dort die Leitung des Collegium Musicum Weimar, eines von Schulmusikstudierenden gegründeten Orchesters. Als er 2001 an der Hochschule für Musik und Theater Hannover als Assistent von Prof. Eiji Oue eingestellt wurde, übernahm er auch hier Aufgaben in der Dirigierausbildung der Schulmusikund Kirchenmusikstudierenden. 2006 wurde er an die Hochschule für Musik und Theater Hamburg als Professor für Orches-

Back to the roots

Lorenz Nordmeyer ist seit 2012 Professor für Ensembleleitung an der HfMDK

L

orenz Nordmeyer weiß , wovon er spricht, wenn er ange-

terleitung berufen. Dort gründete er ein Schulmusikorchester, das über die Jahre zu einem großem Klangkörper anwuchs. Mit symphonischen Konzertprogrammen, Education-Projekten und dem Initiieren einer Hochschulpartnerschaft in Valparaíso (Chile) machte das Orchester über die Grenzen der Hochschule hinaus auf sich aufmerksam. Seit 2012 zurück an der HfMDK Frankfurt am Main, ist Lorenz

hende Musiklehrer im Orchesterleitungsunterricht auf die

Nordmeyer wieder dort, wo seine Karriere begonnen hatte: in der

Proben mit dem Collegium Musicum vorbereitet: Vor genau

Schulmusikabteilung. Dort hat sein Engagement bereits künstle-

diesem hatte der gebürtige Bremer vor über einem Jahrzehnt

rische Spuren hinterlassen: Im vergangenen Wintersemester

selbst gestanden und als Schulmusikstudent seine ersten

bereitete er mit dem Collegium Musicum ein Konzert vor, das er

Erfahrungen als Orchesterdirigent gesammelt. Seit 2012 ist

und Studierende des Prüfungssemesters präsentierten. Lorenz

er an der Hochschule Professor für Ensembleleitung.

Nordmeyer verstand es als „Kick off“ eines Ehrgeizes aller, das Collegium durch intensive Probenphasen zu einem Ensemble zu

Sein Studium der Schulmusik legte die Basis für die Leiden-

formen, in dem künstlerische Horizonte mehr sind als nur das

schaft der Vermittlung und Hinführung zur Musik: „Mich reizte

Hinarbeiten auf Orchesterleitungsprüfungen. Die Fluktuation der

es vom ersten Moment an, einer Gruppe von Musizierenden

Besetzung und der engmaschige Lehrplan sind zwar limitierende

eine Intensität nahezubringen, die sie von sich selbst so noch gar

Faktoren, aber in Anbetracht des „bewundernswerten Engage-

nicht kannte.“ Mit dem Collegium Musicum, dem „Schulmusik-

ments“ der Schulmusikstudierenden ist sich Nordmeyer sicher,

orchester“, das den Prüfungskandidaten des Lehramtsstudien-

„dass es sich um einen möglicherweise langen, aber in jedem

gangs schon damals zur Verfügung stand, entdeckte Lorenz

Fall lohnenden Weg“ handelt. Er sieht große Chancen in fächer-

Nordmeyer seine Freude am Dirigieren, und es sollte eine Initial-

übergreifenden Projekten: „Die Ensembleleitungsfächer sind

zündung für seinen weiteren Lebensweg werden.

ideale Felder für Kooperationen. Die hat es mit den Kollegen der Szenischen Darstellung, des Schulpraktischen Musizierens, der

Dem Schulmusikstudium schloss er ein Dirigierstudium an

Musiktheorie und der Komposition bereits gegeben.“ Lorenz

der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar bei Prof. Nicolás

Nordmeyer merkt immer wieder, wie interdisziplinäres Miteinan-

Pasquet an. Währenddessen dirigierte er die philharmonischen

der neue kreative Energien freisetzt. Außerdem genießt er dabei

Orchester in Jena, Neubrandenburg, Marienbad und Pécs.

„die wirklich wunderbare Kollegialität an der Hochschule“. bjh

53


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

„He who can does“ Über die Beurteilung von Instrumentalunterricht

Von Christopher Brandt, Professor für Gitarre, Ausbildungsdirektor des Ausbildungsbereichs Instrumentalund Gesangspädagogik (IGP), Vizepräsident der HfMDK

Nun wäre es sicherlich interessant, Wettbewerbe für die gelungenste Unterrichtseinheit, den souveränsten Gruppen- unterricht oder den besten Kommilitonen-Tonsatzerklärer durch- zuführen; oder diejenigen Studierenden finanziell oder durch cp-Prämien zu unterstützen, die die meisten Preisträger bei „Jugend Musiziert“ platzieren; oder mal aufzuführen, wer es nach einem enervierenden Bewerbungsverfahren so in ein Beamtenverhältnis an einem respektierten Gymnasium oder wenigstens auf eine Stelle an einer renommierten Musikschule schafft. Es gibt aber diese Selbstauskünfte nicht, oder solche

E

ine der interessantesten Selbstauskünfte der Frankfurter

pädagogischen Erfolge werden nicht dokumentiert. Nach meiner Ansicht kann es dafür drei mögliche Gründe geben:

Hochschule für Musik und Darstellende Kunst ist die Rubrik „Erfolge unserer Studierenden“, wie man sie auch in dieser Ausgabe der „FiT“ findet: Kammermusikensembles, Solistinnen und Solisten werden mit ihren Wettbewerbserfolgen aufgeführt, Absolventen der Künstlerischen Instrumentalausbildung mit

1.) Es gibt keine pädagogischen Erfolge an der HfMDK. 2.) Sie sind für das Selbstverständnis unserer Hochschule irrelevant.

erfolgreich durchlaufenen Probespielen für größere und kleinere,

3.) Es gibt keine Kriterien zu ihrer

befristete und unbefristete Orchesterstellen; Sängerinnen werden

Bewertung und Beurteilung.

mit den Rollenfächern erwähnt, mit denen sie sich an den Opernhäusern und auf den Festivals profilieren, Schauspieler und

Bis vor kurzem war die Fähigkeit, gelungenen Instrumentalunter-

Regisseure mit ihren Arbeiten an Staatstheatern und in der freien

richt zu erteilen, die einzige Kernkompetenz angehender Musiker,

Szene. Natürlich sind nicht nur die aufgeführten Studierenden

die in den Eignungsprüfungen nicht abgefragt wurde, nicht

stolz auf diese Erfolge, sondern auch ihre Lehrer: Jeder künstle-

einmal im guten alten Diplomstudiengang Instrumental- und

rische Erfolg, der durch die Ausbildung an der HfMDK ermög-

Gesangspädagogik (weshalb sich dort Studierende aus allen

licht wird, ist auch ein pädagogischer, legt er doch Zeugnis ab

möglichen Gründen tummelten, nur in der Regel nicht aus päda-

von der hohen Qualität der Lehre an unserem Haus.

gogischem Interesse). Mit dem im letzten Jahr eingeführten Masterstudiengang IP müssen Bewerberinnen und Bewerber nun

Interessant ist allerdings, dass die HfMDK nicht nur dem künst-

erstmals in der Eignungsprüfung eine Lehrprobe absolvieren,

lerischen, sondern auch dem pädagogischen (und wissenschaft-

durch die sich die Prüfungskommission einen Eindruck über die

lichen) Nachwuchs verpflichtet ist, so dass sich die Frage auf-

pädagogische Eignung erhofft. In einer etwa 20-minütigen

drängt: Wo sind die pädagogischen Erfolge unserer Studierenden?

Unterrichtseinheit erteilt der Bewerber Instrumentalunterricht im

Nicht nur die Lehramtsausbildung im zugehörigen Fachbereich,

von ihm bereits im Bachelor- oder Lehramtsstudium absolvierten

sondern auch die Künstlerische Ausbildung beschäftigen sich mit

instrumentalen Hauptfach (in der Regel an ein Kind oder an einen

pädagogischen Fragestellungen, und das nicht nur aus berufsper-

Jugendlichen), anschließend kann er oder sie den Unterricht in

spektivischen Überlegungen (denn wo sollen all die Pianisten und

einem gemeinsamen Gespräch reflektieren und sich kritisch oder

Gitarristen ihre umjubelten Recitals geben, die ihnen künstlerischen

auch lobend zur eigenen Unterrichtseinheit äußern.

Ruhm und ein von materiellen Sorgen befreites Leben ermöglichen?), sondern in der festen Überzeugung, dass pädagogische Souveränität zu einer gefestigten und professionalisierten Künst- lerpersönlichkeit dazugehört (den banalen Umstand, dass die hauptamtlich in der Lehre tätigen Personen an unserem Haus in erster Linie und per Definition Lehrer sind, mal beiseitegelassen).

54

Kristin von der Goltz, Professorin für Barock-Violoncello, im Unterricht mit Larissa Nagel.


„He who can does“

Nun ist gelungener Instrumentalunterricht ein komplexes Zusammenspiel aus künstlerischen, pädagogischen, psychologischen, physiologischen und planerischen Anteilen, die sich hier gar nicht im einzelnen aufführen lassen. Es seien nur ein paar simple Punkte erwähnt, die bei der Beurteilung immer eine Rolle spielen (und so leicht zu merken sind, dass man sie getrost und spaßeshalber gelegentlich auf seine eigene Unterrichtspraxis anwenden kann):  Künstlerische Kompetenz: Entgegen der charmanten, George

 Soziale und kommunikative Kompetenz: Schaffe ich eine

Bernard Shaw zugeschriebenen Sentenz „He who can does.

angenehme Unterrichtsatmosphäre? Distanziere ich mich durch

He who cannot, teaches“ legen wir größten Wert auf die instru-

zu großen Abstand oder bedränge ich durch unangemessene

mentalen Fertigkeiten der Bewerber, die den hohen Ansprüchen

körperliche Nähe? Halte ich ab und zu Blickkontakt? Weiß ich

unseres Hauses genügen müssen. Vor allem sollte man aber

den Namen des Schülers, und spreche ich ihn gelegentlich

sein Instrument im Unterricht auch benutzen. Inspiration ent-

auch so an? Beherrsche ich eine angstfreie Kommunikation,

steht durch die Vorbildfunktion professionellen und mitreißenden

auch und vor allem, wenn ich verbessere oder kritisiere? Sind

künstlerischen Instrumentalspiels oder durch das Entstehen

mein Sprachniveau und meine Diktion dem Alter des

schöner gemeinsamer Musiziersituationen, nicht dadurch, dass man seine Schüler zutextet.  Planung: Ein warm-up kann so inspirierend sein, dass man

Schülers angemessen?  Musikantische Professionalität: Auch abseits des Hauptinstruments sollten die musikalischen Leistungen adäquat sein:

nach 30 Minuten immer noch denselben Ton aushält, in der

Ist meine Intonation stabil, wenn ich etwas vor- und mitsinge?

Regel sollte man jedoch den Zeitverlauf wie die Vielfalt an

Klatsche ich einen Rhythmus unfallfrei vor? Bin ich in der Lage,

Unterrichtsfeldern im Blick haben.

am Instrument, am Klavier eine geschmackvolle Begleitung

 Methodik: Führe ich den Schüler an kurzer Leine durch

zu einem Kinderlied oder einer kleinen Melodie ad hoc zu

den Unterricht, indem ich alle 30 Sekunden sage, was er als

gestalten? Kann ich über die formale und harmonische Struk-

nächstes tun soll? Oder verfüge ich über ein methodisches

tur eines Stückes Auskunft geben und sie vermitteln?

Repertoire, das die Initiative des Schülers fördert, ihn oder sie eigenständig Entdeckungen machen und Ideen entwickeln

Es kommt natürlich genauso selten vor, dass sich in einer

lässt, einen echten Diskurs über das Stück ermöglicht?

kurzen Unterrichtssequenz das gesamte pädagogische Repertoire

 Ziele: Ein Großteil des instrumentalen Lernens findet nicht

eines Lehrenden entfaltet, wie sich der gesamte künstlerische

im Unterricht, sondern zu Hause statt, beim Üben (übrigens

Horizont eines Musikers in einem 15-minütigem künstlerischen

auch ein zentrales wie unbewältigtes Thema unserer Arbeit).

Vortrag offenbart – beides lässt sich beurteilen, beides lässt aber

Ist explizit ausformuliert, was zu tun ist? Gibt es klare

auch Raum für Subjektivität, für persönliche Vorlieben, auch für

Ansagen, konkrete Aufgabenstellungen?

Ungerechtigkeiten und Fehlurteile. Worauf ich aber hinaus will: Pädagogische Befähigung ist nicht angeboren, sie wird auch nicht nur jenen zuteil, die für eine „richtige“ Künstlerlaufbahn nicht gut genug sind; sie kann genauso durch Begabung begünstigt werden wie die künstlerische Neigung – vor allem kann und muss sie erlernt und geübt werden wie jedes andere Instrument, das uns zur Verwirklichung unserer Vision einer durch Kunst und Kultur bereicherten Gesellschaft gegeben ist.

55


F r a n k f u r t i n T a k t 15 /1 – B e u r t e i l e n u n d B e n o t e n

Exzellente Kunst braucht exzellente Förderer Stiftungen sind unverzichtbare Akteure im deutschen Gemeinwesen. Das ist auch in Frankfurt zu spüren – die Stadt steht im Top 50-Ranking der Städte mit der größten Stiftungsdichte auf Platz 2. Auch die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main profitiert vom Gestaltungswillen und fördernden Engagement vieler Stiftungen. Von Beate Eichenberg

Q

uizfrage: Was haben „Streichertechniken“, „Igor Strawinsky

und die Folgen“, „RE-Verb*“, der „9. Musik Monat Mai!“, „Kinder machen interkulturelles Musiktheater“, Joseph Haydns „L’isola disabitata“ und das „Starter-Stipendium“ gemeinsam? „Streichertechniken“ ist ein Workshop, den der Cellist Lucas Fels

Vom 1. bis 31. Mai heißt es wieder: MUSIK LIVE für Frankfurter

im Rahmen seiner Stiftungsprofessur „Interpretatorische Praxis

Kinder zum Hören und Mitmachen. Im 9. Musik Monat Mai!, den

und Vermittlung neuer Musik“ im kommenden Sommersemester

Frankfurter Musiktagen für Schulen, engagieren sich seit 2006

anbietet. Im Vorlesungsverzeichnis liest sich das so: „Neue“ Spiel-

Lehrende und Studierende der HfMDK. Und von Anfang an

techniken und „neue“ Notationsformen sind zwar längst Alltag

haben sich der Initiative der Hochschule weitere Künstler ange-

eines Musikers, dennoch stößt „noch nie Gesehenes“ auf Unver-

schlossen, sodass heute alle Frankfurter Musikinstitutionen von

ständnis, vor allem bei gleichzeitiger Konfrontation mit einer

der hr Bigband über die Alte Oper bis zum Dr. Hoch´schen Konser-

neuen, unerwarteten Nutzung des Instruments. Im Workshop für

vatorium mitmachen. Ermöglicht wird der beliebte Aktionsmonat,

Streicher (andere Instrumentalisten und Komponisten sind dabei

der mit einem Musikwettbewerb der Frankfurter Schulen ab-

willkommen!) soll die Entdeckerfreude geweckt werden, das

schließt, von der Stiftung der Frankfurter Sparkasse und der

eigene Instrument anders kennen und spielen zu lernen und sich

Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen.

in unterschiedliche Notationsformen einzulesen. Solo- und Kammermusik verschiedener Stilrichtungen, Spieltechniken und

Deutschland ist mehr denn je ein Einwanderungsland. Darauf

Notationsformen werden ausprobiert und einstudiert“. Klingt das

reagiert auch die HfMDK und so soll der interkulturelle Musik-

nicht überaus spannend? Seit 2013 finanzieren die Dr. Marschner

unterricht zukünftig ein Studienschwerpunkt sein. Die con

Stiftung, die Aventis Foundation und die Ernst Max von Grunelius-

moto foundation investiert mit „Kinder machen interkulturelles

Stiftung diese erste Stiftungsprofessur der Hochschule.

Musiktheater“ (Arbeitstitel) in die Qualifizierung zukünftiger

56


Exzellente Kunst braucht exzellente Förderer

Links Von der erfreulichen Entwicklung des von der HfMDK initiierten Vermittlungs- projekts „Musik Monat Mai“ überzeugte sich im vergangenen Jahr auch Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann. Rechts Musizierende Schüler auf der Bühne beim Wettbewerb von „Musik Monat Mai“.

Musiklehrerinnen und -lehrer für Kinder im Grundschulalter.

Tanz-Performances, Installationen, Filmvorführungen, Lesungen,

Dazu erarbeiten die Studierenden in den praktischen Unterrichts-

interaktiven Aktionen und Uraufführungen. Die Devise lautet:

einheiten an den Grundschulen mit Musikern und Komponisten

Strawinsky und seine Folgen hören, sehen und erleben! Die Dr.

nichtdeutscher Herkunft musikalische und fächerübergreifende

Marschner Stiftung ist Förderpartner der Neuen Musik Nacht.

Projekte. Die jungen Nachwuchslehrer werden so befähigt, die kulturelle Heterogenität der Grundschulen künstlerisch in den

Ein Starter-Stipendium erhalten die begabtesten Bewerber und

Unterricht einzubeziehen. Damit fördern sie die sprachlich-kul-

Bewerberinnen der Aufnahmeprüfungen; ausgewählt werden

turelle Teilhabe und Integration von Schülerinnen und Schülern

pro Jahr zehn Bachelor-Studierende aller Fachbereiche. Sie

aus zugewanderten Familien.

erhalten zwölf Monate lang, jeweils von Oktober bis September des Folgejahres, monatlich 200 Euro. Die Starter-Stipendien

Am Jahresende zeigen die fortgeschrittenen Schauspiel-Stu-

sind wirkungsvolles und motivierendes Instrument der Studieren-

dierenden die Eigenproduktion RE-Verb*. Unter der Leitung von

denförderung und ein Alleinstellungsmerkmal der Hochschule,

Professor Yurgen Schoora arbeiten die Studierenden erstmals

die sich bestmöglich im Wettbewerb um die begabtesten

mit der Methode des Physiodrama, wo es darum geht, den

Studierenden platzieren will. Neben privaten Förderern und

Schauspieler über seinen Körper die Sprache und somit die zu

Unternehmen sind es vor allem Stiftungen, die einen wesent-

spielende Figur entwickeln zu lassen. Im Verlauf der Probenar-

lichen Beitrag zu diesem Stipendienprogramm leisten. Die Albert

beit folgt das szenische Spiel auf physischer und sprachlicher

und Barbara von Metzler-Stiftung, die Carls Stiftung, die DZ

Ebene, Rollen und Texte werden gefunden. Weltweit ist das

BANK Stiftung, die Dr. Bodo Sponholz-Stiftung, die Union

Interesse für körperpoetische Arbeit und das Physiodrama groß;

Investment Stiftung und die von Schad´sche Stiftung finanzie-

in Deutschland ist die Methode jedoch noch kaum durchge-

ren ein oder mehrere Jahresstipendien.

setzt. Es gibt also gute Gründe für die Aventis Foundation, diese Produktion in ihrer „eXperimente“-Reihe zu fördern. RE-Verb*

In die dritte Runde geht die von der Deutsche Bank Stiftung

soll sechs Mal in Frankfurt aufgeführt werden.

geförderte erfolgreiche Kooperation der Hochschule mit dem Rheingau Musik Festival. Joseph Haydns „L’isola disabitata“

Igor Strawinskys Werk und Wirken – die aufrüttelnden Kompo-

bildet in diesem Jahr den Höhepunkt der am 6. September im

sitionen der Pariser Zeit und sein Schaffen im amerikanischen

Kloster Eberbach stattfindenden Wandelkonzerte mit Orchester,

Exil, aber auch seine Orientierungspunkte in der Musikgeschich-

Solisten und Ensembles der Instrumental- und Gesangsabteilung.

te und die Auswirkungen seiner Werke bis heute – stehen am 30. April im Zentrum der Neuen Musik Nacht des Instituts für

All diese Projekte veranschaulichen beispielhaft: Exzellente

zeitgenössische Musik. Studierende und Lehrende aller Fach-

Kunst braucht exzellente Förderer. Und so sind für die Hoch-

bereiche und die Mitglieder des Masterstudiengangs „Internatio-

schule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main

nale Ensemble Modern Akademie“ beteiligen sich an dem inter-

die in und um Frankfurt herum beheimateten Stiftungen zu

disziplinären Festival mit Konzerten, szenischen Aufführungen,

unersetzlichen Partnern geworden. 57


SERIE:

VERSCHLUNGENE LEBENSWEGE UNSERER ALUMNI № 4

Vom „Bim Bam“ zur Dirigierprofessur

Chorleitungsabsolvent Jan Schumacher engagiert sich als Motor der europäischen Chorbewegung und lehrt in vielen Ländern

J

an Schumacher war elf Jahre alt, als ihn ein Konzert

mit Mozart-Werken wie der Blitz mitten ins Musikerherz traf. Sechs Wochen vorher war er noch pünktlich zu seiner "Bim Bam"-Premiere als Knabenchor-Sopran in Mahlers Dritter aufgewacht, während ihm der „Rest“ der Sinfonie doch eher wie ein sehr „langes Lied“ vorkam. Lang war auch seine Zeit bei den Limburger Domsingknaben – zehn Jahre prägten ihn die bis zu 100 Auftritte jährlich musikalisch bis ins Mark. Sich als Chorsänger in allen Stilen zu bewegen, war für ihn schon als Jugendlicher so selbstverständlich wie für einen Fisch das Schwimmen im Wasser. „Diese Zeit ist unbezahlbar, weil sich vieles dabei automatisiert.“ Umso dankbarer ist Jan Schumacher heute, dass er mit seinem Frankfurter Chorleitungsprofessor Wolfgang Schäfer einem Pädagogen, Künstler und heutigen Freund begegnete, der ihm ein neues Bewusstsein für das nahebrachte, was für den Domsingknaben seit Jahren fraglos als gegeben erschien: wie Musik „funktioniert“ und wie man sie im Sinne eines individuellen Anspruchs an sein eigenes

Als Jan Schumacher sein Aufbaustudium in Chorleitung an der

Künstlertum definiert. Wolfgang Schäfer? Das war übrigens

HfMDK im Jahr 2005 begann, hatte er schon ein Schulmusik-

der, der dem Zivildienstleistenden Jan Schumacher auf dessen

studium an der Mainzer Hochschule in der Tasche – und damit

direkte Nachfrage signalisiert hatte, dass der damals 19-Jährige

jene breite Basis an fundiertem musikalischen Handwerkzeug,

für ein Dirigierstudium bei ihm noch nicht so weit sei. Und auch

mit dem sich viele Absolventen fragen, ob sie in den Schuldienst

der damalige Frankfurter Gesangsprofessor Martin Gründler

gehen oder einen musikalischen Schwerpunkt weiter ausbauen

hatte ihm zu gleicher Zeit von einem Gesangsstudium abgeraten.

und zu ihrem Beruf machen sollten. Jan Schumacher erging es

Schulmusik? „Ja, machen Sie das erstmal.“ Für Jan Schumacher

in dieser Hinsicht nicht viel anders: Er hatte schon ein halbes Jahr

schmerzhaft, aber heilsam: „Für diese Ehrlichkeit damals bin

als Vertretungslehrer gearbeitet und sich für ein Referendariat

ich beiden heute noch dankbar. Diese Offenheit möchte ich

angemeldet, als sein guter Ruf als Chorleiter in Freiburg ange-

heute gern so manchem Lehrenden ans Herz legen, damit sie

kommen war – seinen ersten Chor hatte er schon mit 16 Jahren

jungen Menschen falsche Illusionen rauben und verhindern,

übernommen – und die dortige Musikhochschule ihn für einen

dass Musikhochschulen und Akademien sehenden Auges

Lehrauftrag anfragte. Zur gleichen Zeit hatte Jan Schumacher

Arbeitslose produzieren.“

übrigens schon sein Händchen als Herausgeber von Chorbüchern

Foto: 58Julia Werthmüller


unter Beweis gestellt. Im Puzzle seiner sich anbahnenden Karriere als Dirigent und Chorpädagoge war die HfMDK ein markantes Teilchen: „Ich habe mich an der Frankfurter Hochschule sehr wohl gefühlt. Sie bildete in meiner Wahrnehmung das Bild der Stadt ab, in der sie sich befindet: groß und weiträumig gedacht und doch familiär.“ Natürlich war sie auch der Ort, wo sich der „Netzwerker“ Jan Schumacher weiter vernetzte, seine Fühler in neue Richtungen ausstreckte. Bei Wolfgang Schäfer, mittlerweile emeritierter Chorleitungsprofessor, eignete sich Schumacher ebenso eine hervorragende Technik an wie einen unverkrampften Ehrgeiz für maßgeschneiderte pädagogische Vermittlung, egal, auf welchem Stand sich ein Lernender gerade befindet. Wie vielgestaltig die Persönlichkeit eines Chorleiters sein kann, hatte Jan Schumacher zudem über mehrere Jahre als Sänger des Landesjugendchores Rheinland-Pfalz erfahren können. Als 2006 die „European Choral Association – Europa Cantat“, der Dachverband der Chorverbände aus vielen Ländern Europas, ihr Chorfestival in Mainz veranstaltete, mischte Jan Schumacher bereits als Jugendvertreter in der deutschen Musikkommission mit und machte sich einen Namen als innovativ denkender Protagonist der internationalen Chorbewegung. 2009 wurde er Vorstandsmitglied und ist seit 2012 Vizepräsident von „Europa Cantat“, in dessen internationaler Musikkommission er überdies der Chef ist. Spätestens seitdem ist der Dirigent und Dirigierdozent Schumacher international gefragt: Doch ein Mozart-Requiem in Venezuela reizt ihn unter Umständen genauso wie ein Männerchor-Workshop im Schwabenland – wichtig für ihn ist: „Musik muss immer berühren.“ Vielleicht arbeitet er gerade unter dieser Prämisse vor allem gern mit hochengagierten Laien, von denen er nicht weniger enthusiastisch berichtet wie von seinen Gastdirigaten beim Rundfunkchor Berlin und beim Chamber Choir of Europe. Hauptberuflich ist der heute 35-Jährige seit 2013 Professor für Chorleitung an der katholischen Hochschule für Kirchenmusik in Rottenburg, als dessen Prorektor er zur Zeit auch die Geschicke der kircheneigenen Ausbildungsstätte zu lenken hilft. Dem RheinMain-Gebiet hält er die Treue, in dem er den Chor der Technischen Universität Darmstadt leitet. Und aus seinen musikalischen Wurzeln hat er ein international anerkanntes musikalisches Gewächs aufgepäppelt: Als Dirigent der „Camerata Musica Limburg“ musiziert er mit handverlesenen ehemaligen Limburger Domsingknaben Männerchorliteratur auf höchstem Niveau. bjh

IMPRESSUM Frankfurt in Takt – Magazin der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main Eschersheimer Landstraße 29–39 60322 Frankfurt am Main www.hfmdk-frankfurt.de Herausgeber Thomas Rietschel, Präsident der HfMDK Redaktionsbeirat Dr. Sylvia Dennerle, Prof. Hedwig Fassbender, Björn Hadem, Dr. Laila Nissen, Anatol Riemer, Thomas Rietschel, Prof. Eike Wernhard Redaktion Björn Hadem (bjh) bhadem@arcor.de Autoren Brigitte Binder, Prof. Christopher Brandt, Beate Eichenberg, Albrecht Eitz, Prof. Hedwig Fassbender, Björn Hadem (bjh), Maurice Lenhard, Cédrine Lussac, Prof. Henriette Meyer-Ravenstein, Dr. Laila Nissen, Prof. Berthold Possemeyer, Sina-Mareen Retolaza, Thomas Rietschel, Prof. Dr. Maria Spychiger, Prof. Ursula Targler-Sell, Prof. Marion Tiedtke, Prof. Catherine Vickers Fotos Björn Hadem (39), Hansjörg Rindsberg (2), Julia Werthmüller (1) Titelfoto Moritz Weigert bei der Anspielprobe im Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt mit dem Hochschulorchester der HfMDK Layout Opak Werbeagentur GmbH, Münchener Str. 45, 60329 Frankfurt am Main Anzeigen Björn Hadem (es gilt die Preisliste 2011) Erscheinungsweise jeweils zu Beginn des Semesters Druck Brandenburgische Universitäts-Druckerei und Verlagsgesellschaft Potsdam mbH Drittmittelkonto Account for Private funds IBAN: DE71 5005 0201 0200 1380 90 SWIFT-BIC: HELADEF1822

59


Erfolge unserer Studierenden – eine Auswahl Christoph Schiestl, Trompete

Isabelle Müller, Harfe (Klasse Prof.

Beim 23. Wettbewerb des Deutschen

(Klasse Prof. Klaus Schuhwerk), hat

Françoise Friedrich), hat einen ersten Preis

Musikinstrumentenfonds von der Deutschen

das Probespiel für die Solotrompete

beim VDH-Wettbewerb gewonnen.

Stiftung Musikleben an junge Spitzenmusi-

bei den Baden-Badener Philharmo- nikern gewonnen.

ker erhielten auch zwei HfMDK-Studierende Das Aris Quartett mit Anna Katharina

jeweils ein kostbares Instrument: Michael

Wildermuth (Violine), Noémi Zipperling

Polyzoides (Klasse Bonian Tian) erspielte

Theodore Browne, Tenor (Klasse

(Violine), Caspar Vinzens (Viola) und

sich ein historisches Violoncello von Joseph

Prof. Thomas Heyer), gewann den ersten

Lukas Sieber (Violoncello) hat in München

Guadagnini, ca. 1780–1800, eine treuhän-

Preis beim internationalen Musikwett-

den 1. Preis beim August Everding-Wettbe-

derische Eingabe aus Familienbesitz.

bewerb Köln. Dazu gewann er zusätzlich

werb gewonnen, der in 2014 für das Fach

den Publikumspreis und den Preis der

„Streichquartett“ ausgeschrieben war.

Elena Graf (aus der Kammermusikklasse

Freunde Junger Musiker.

von Prof. Michael Sanderling) spielt bereits Raphaël Languillat, Komposition

seit 2005 ein Instrument aus dem Fonds,

Martin Gierden, Trompete (Klasse Prof.

(Klassen Prof. Gerhard Müller-Hornbach

derzeit eine Violine von Giambattista Rogeri,

Klaus Schuhwerk), hat das Probespiel

und Prof. Orm Finnendahl), hat im Dezem-

Brescia, aus dem Besitz der Bundesrepu-

für die Solotrompete am Staatstheater

ber 2014 den Prix Saint-Christophe du

blik, deren Leihfrist sie nun erfolgreich

Schwerin gewonnen.

Jeune compositeur in Paris gewonnen.

verlängern konnte.

Julis Himmler, Violoncello (Klasse

Esther Dierkes ist ab September Mitglied

Il-Hoon Choung (Klasse Prof. Berthold

Prof. Michael Sanderling), hat ein Festen-

des Stuttgarter Opernstudios, Sovia Pavone

Possemeyer) hat ein Engagement am

gagement als Cellist des Brussel Philhar-

wird Mitglied im Opernstudio Basel. Marian

Staatstheater Oldenburg bekommen.

monic bekommen.

Müller geht als Ensemblemitglied ans Lan-

destheater Flensburg. Alle drei sind Studierende der Klasse Prof. Hedwig Fassbender. 60


The Revolutionary New

THE PASSION. THE PIANOS.

THE REVOLUTION.

Vor fast einem halben Jahrhundert haben wir mit dem ersten Flügel der C-Serie Geschichte geschrieben. Jetzt ist es Zeit für eine neue Revolution. 19 Jahre lang haben unsere besten Klavierbauer ihr Wissen vereint, um gemeinsam mit Spitzenpianisten aus aller Welt einen einzigartigen Konzertflügel zu erschaffen, den CFX. Zum 125. Jubiläum unseres Unternehmens entstand mit dieser Expertise eine neue Serie atemberaubender Pianos. Yamaha präsentiert die CXSerie. Die Exzellenz des CFX für Ihr Zuhause.

facebook.com/YamahaPianoGermany

Mit ihrem innovativen Resonanzboden und seiner perfekten Wölbung hat die CX-Serie die besten Eigenschaften ihres legendären Vorbilds geerbt. Die erstklassigen Saiten sowie der auserlesene Filz der Hämmer stammen aus deutscher Produktion. Entdecken Sie die Verbindung von Tradition und Innovation. Die Vereinigung von brillantem Klang und erstklassigem Spielgefühl. Leidenschaftlich. Inspirierend. Exzellent. Die Revolution beginnt bei ihrem Yamaha-Klavierhändler oder auf yamaha.de.

Follow us on Twitter/YamahaPianosEU


ZUSAMMEN GEHT MEHR. Ein erfolgreiches Team braucht wie jedes Orchester mehr als nur hervorragende Solisten: Teamgeist. Bei uns in der Genossenschaftlichen FinanzGruppe gibt jeder sein Bestes, damit im Zusammenspiel aller das Beste entsteht: Erfolg. Für uns, unsere Partnerbanken vor Ort und ganz besonders für unsere Kunden. » www.dzbank.de


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.