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Formationstanzen

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Der Rollator

Der Rollator

FORM ATIONS TANZEN [Persönlicher Saisonrückblick]

Bronze bei der Weltmeisterschaft, Deutscher Meister, ungeschlagener Bundesligasieger – so lautet die Bilanz der vergangenen Saison der A-Standardformation des TSC Göttingen im ASC Göttingen von 1846 e. V. Die Mannschaft hat damit gleich mehrfach Geschichte geschrieben und eine beeindruckende Saison aufs Parkett gelegt. Hinter diesen glänzenden Ergebnissen steckt eine Menge harter Arbeit, Schweiß und auch die eine oder andere Träne. Teamsprecherin Sarah Günther gibt im Folgenden einen ganz persönlichen Einblick in eine ganz besondere Saison.

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„This is 10 % luck, 20 % skill, 15 % concentrated power of will, 5 % pleasure, 50 % pain and a 100 % reason to remember our name!” (Fort Minor – Remember the name). Ich finde, dieser Songausschnitt beschreibt unsere letzte Saison sehr gut. Die vergangene Saison war geprägt von tollen Ereignissen, harter Arbeit und unglaublichem Erfolg. Alles begann am 26. Juni 2019 mit der offiziellen Nominierung für die Weltmeisterschaft 2019 in Moskau. Der Sommer verging durch das Training sehr schnell und schon saßen wir im Flugzeug nach Moskau, begleitet von einer Gruppe unserer treuesten Fans. Kaum waren wir angekommen, ging es für uns zur Halle, wo wir noch am selben Tag Stellprobe hatten. Das ist quasi eine Generalprobe für jedes Team, um sich die Fläche anzuschauen und ein Gefühl für alles zu bekommen. Wir tanzen nach einem kurzen Flächencheck immer zwei Durchgänge. Der erste davon lief jedoch nicht so gut. Wir waren alle beeindruckt von der riesigen Halle und der Atmosphäre. Eine ermutigende, wenn auch sehr deutliche, Ansprache unserer Trainer bewirkte, dass der zweite Durchgang schon etwas besser war, jedoch fuhren wir alle mit einem etwas mulmigen Gefühl zurück ins Hotel. Am Tag des Wettkampfes rissen wir uns alle nochmal zusammen und arbeiteten als Team, sodass wir in der Vorrunde eine gute Leistung zeigten und uns für das Finale qualifizierten. Der Finaldurchgang mit unserer Choreo „Postmodern Jukebox“ hat unglaublichen Spaß gemacht und war voller Energie. Nachdem wir unsere Wertung bekommen hatten - zu dem Zeitpunkt

Platz zwei hinter der ersten Mannschaft, die getanzt hatte – warteten wir hinter der Fläche. Nach uns tanzte noch einen Mannschaft aus den Niederlanden, der Titelverteidiger aus Russland und ein zweites deutsches Team aus Braunschweig, welches unser größter Konkurrent in diesem Wettkampf war und den es zu schlagen galt. Ich weiß noch, wie nervös und angespannt wir alle gewartet haben. Als die letzte Mannschaft tanzte, waren drei von uns an der Fläche, um zu sehen ob die Wertung von uns für eine Medaille reichen sollte und tatsächlich! Ich erinnere mich noch genau daran, wie die drei freudestrahlend auf uns zu gerannt kamen. Mit 34,79 Punkten lagen wir vor Braunschweig (34,71 Punkte) und holten uns die Bronze Medaille (auf Platz 1 und 2 landeten die zwei russischen Mannschaften). Das war zwar das Ziel, wovon keiner richtig zu träumen gewagt hatte, aber wir hatten es geschafft. Dies wurde anschließend in der Hotellobby mit Pizza und Sekt ordentlich gefeiert.

Nach der WM stand auch schon ein nächster großer Schritt bzw. eine große Entscheidung vor uns. Treten wir bei der DM mit unserer fertig austrainierten Choreo „Postmodern Jukebox“ an oder studieren wir eine neue Choreographie

ein? Dies bedeutete ein großes Risiko, denn normalerweise dauert es ein gutes halbes Jahr bis eine neue Choreo so entwickelt ist, dass man sie zeigen kann und dann nochmal 1- 2 Jahre, bis sie fertig austrainiert ist. Dieses Jahr ging es nämlich nicht nur darum unter die ersten vier Plätze der DM zu kommen, sondern wir wollten die Goldmedaille. Das Team war, was diese Entscheidung angeht, sehr gespalten. Zum Glück sind wir für solche Entscheidungen nicht zuständig, sondern unsere Trainer, auf deren Können und Einschätzungen wir vertrauen. Eine Woche nach der WM ging es für uns ins nächste Trainingslager und bevor es losging, lüftete Markus das Geheimnis. Es würde eine neue Choreographie geben. Jetzt hieß es nicht mehr „Postmodern Jukebox“ sondern „Happy Together“ und das binnen eineinhalb Monaten. Das hieß für uns noch mehr Training, Training, Training. Wir fuhren alle zwei Wochen ins Trainingslager und auch an den Trainingstagen in Göttingen wurde bis zu neun Stunden pro Tag trainiert. Das Training fand in dieser Zeit unter strengster Geheimhaltung, bis zur Präsentation zwei Wochen vor der DM, statt. Markus hatte uns vor der Saison prophezeit, dass es die härteste Saison werden würde, die wir bis jetzt erlebt hatten. So war es dann auch. In diesen eineinhalb Monaten ging jeder von uns an seine Grenzen und darüber hinaus und so manches Mal war man kurz vorm Aufgeben. Das Besondere an unserem Team ist jedoch, dass wenn jemand nicht mehr kann, alle füreinander da sind und einen wiederaufbauen und dir zeigen, wofür sich das alles lohnt und wie schön dieses Hobby ist. Dann war es endlich soweit: der Tag der deutschen Meisterschaft war gekommen. An vieles vom dem Tag kann ich mich, um ehrlich zu sein, gar nicht mehr richtig erinnern. Es ging alles Schlag auf Schlag. Stellprobe, schminken, frisieren, Vorrunde, Zwischenrunde und dann Finale. Wir starteten als zweite Mannschaft hinter dem ATeam des 1. TC Ludwigsburg, die neben Braunschweig und Nürnberg einer unserer größten Konkurrenten ist. Der Finaldurchgang war einer der schönsten, den ich bis jetzt tanzen durfte. Die Verbundenheit im Team und der Spaß am Tanzen waren einfach wunderbar. Anschließend ging es für uns in die sogenannte Kiss& Cry Area, wo wir auf unser Ergebnis warteten. Dieses war überragend: 33,15 Punkte von 40 haben wir erreicht. Damit lagen wir vor dem A- Team aus Ludwigsburg und durften an der Fläche stehen bleiben. Damit begann die schlimmste Wartezeit. Nach uns tanzten noch Nürnberg und Braunschweig. Die Nürnberger lagen mit ihrer Punktzahl hinter uns, sodass es von der Wertung für Braunschweig abhing, ob wir den Titel holen oder nicht. Wir alle standen zitternd vor Aufregung, dicht gedrängt und Händchen haltend in der Kiss& Cry Area und warteten auf das Ergebnis, was sich wie Stunden anfühlte. Als es dann endlich soweit war, sind wir alle komplett ausgerastet. Wir haben vor Freude geschrien, geweint, gelacht und lagen uns in den Armen. Deutscher Meister 2019! Das harte Training und die vielen Entbehrungen hatten sich gelohnt, denn wir hatten das geschafft, wo am Anfang der Saison noch keiner so richtig dran glauben wollte (wenn wir mal ehrlich sind). Das war der emotionalste Moment der ganzen Saison. Unbeschreiblich! Am Abend waren wir jedoch so müde, dass wir das Feiern zwei Tage nach hinten verschoben und erstmal ordentlich ausgeschlafen haben.

Tatsächlich kam nach der DM eine Pause, die längste die wir hatten: immerhin zwei Wochen. Nach dieser Pause hatten wir alle allerdings schon wieder Hummeln im Hintern und waren wieder hochmotiviert in die eigentliche Turniersaison zu starten (das hieß übrigens wieder mal: Trainingslager). Am 11.01.2020 starteten wir in Ludwigsburg. Als es dann zur offenen Wertung kam, waren wir wieder sehr angespannt. Vor einem Jahr standen wir genau an derselben Stelle und haben nur Platz 3. Wir waren zum ersten Mal in der Position unsere Platzierung zu verteidigen und uns zu beweisen. Auch ging es darum, uns für die WM 2020 zu qualifizieren, da dies mit dem Gewinn der DM noch nicht gegeben war. Zum Glück ging alles gut. Wir konnten die Wertungsrichter wieder überzeugen und gewannen das Turnier. Darauf folgte das Turnier in Nienburg und dann unser Heimturnier, welches für mich und das ganze Team immer ein absolutes Highlight ist was vor allem dem tollen Publikum geschuldet ist- vielen Dank an dieser Stelle für eure Unterstützung! Nicht nur das Publikum war von uns begeistert, sondern auch wieder die Wertungsrichter und erneut gewannen wir das Turnier, diesmal sogar mit allen Einsen. Ich erinnere mich noch gut an einen Satz von unserer Trainerin Ariane Schießler. Nach der Saison 2018/ 2019 sagte sie zu uns: „Bleibt noch ein Jahr so als Team zusammen, dann kann euch keiner mehr aufhalten!“ und genau das haben wir erreicht. Das Turnier in Braunschweig sowie in Nürnberg konnten wir für uns entscheiden und uns somit für die WM 2020 in Braunschweig qualifizieren.

Dritter Platz bei der WM in Moskau, zum ersten Mal in der Geschichte des Göttinger Tanzsportteams Deutscher Meister und zum zweiten Mal Sieger der ersten Bundesliga. Diese Saison war so voller Highlights, dass man sie gar nicht alle Aufzählen kann, aber an die man sich gerne erinnert und auf die man unglaublich stolz ist. Ich bin stolz und glücklich Teil dieses tollen Teams zu sein und mit euch das schönste Hobby der Welt auszuüben zu dürfen. Danke an euch, für diese wunderschöne, erfolgreiche Saison und natürlich an unsere Trainer, die es immer wieder geschafft haben uns zu motivieren, an unsere Sponsoren (vor allem die Sparkasse Göttingen und den ASC) und natürlich an unsere Fans, ohne die das alles nicht möglich gewesen wäre!

AUF EIN WORT MIT MARKUS ZIMMER MANN [Göttingen immer auf dem Schirm haben]

„Das war schon eine Hammersaison und in Sachen Trainingssteuerung mit der Weltmeisterschaft im vergangenen Sommer nicht einfach. Das Team hat aber perfekt mitgezogen, war allerdings auf der Zielgeraden wirklich kaputt. Deshalb war die Zwangspause durch Corona jetzt gar nicht so schlecht. Unser letztes Turnier haben wir am 8. März vor dem Covid-19 Lockdown gerade noch geschafft“, erinnert sich der Cheftrainer der Göttinger A-Standardformation, Markus Zimmermann. Doch nun sei es langsam an der Zeit, wieder zu trainieren und Lust hätte Zimmermann auch wieder darauf. Derzeit trainiert jede Tän

zerin und jeder Tänzer für sich. Es gab vom Trainerteam Markus Zimmermann, Peter Hahne, Ariane Schießler und Marc Bieler sowie Fitnesscoach Lukas Meyer einen Trainingsplan, um Kondition sowie die tänzerische Basis zu erhalten und die binnenkörperliche Bewegung zu stärken. „Das ist die zentrale Spannung, die aus der Körpermitte kommende Bewegungssteuerung“, erklärt Zimmermann.

Nicht nur das ungewohnt isolierte Training ist ein Wehrmutstropfen für das Tanzsportteam Göttingen. Auch die für September geplante Europameisterschaft, die in der Göttinger Sparkassen-Arena stattfinden sollte, musste abgesagt werden. Die Hoffnungen liegen nun im Jahr 2021. Wenn dann die Veranstaltung in der Leinestadt stattfinden könnte, hat Zimmermann ein klares Ziel vor Augen: „Vor den eigenen Zuschauern wollen wir mindestens Platz Drei wieder erreichen.“ Die Russen seien die Favoriten und man wisse ja nie, was aus Braunschweig komme. Und sein langfristiges Ziel? „Ich möchte das Formationstanzen hier so etablieren, dass man Göttingen immer auf dem Schirm haben muss und noch weitere Events nach Göttingen holen.“ Entsprechend viel Wert legt Zimmermann auf die Nachwuchsarbeit, die sich nicht immer einfach gestaltet. „Denn mit dem Formations-Leistungstanzen beginnt man erst mit 15 oder 16 Jahren, drei Jahre später ist die Ausbildung abgeschlossen. Unser Team hat immer ein Durchschnittsalter von 21 bis 22 Jahren. Es gibt eine gesunde Fluktuation und deshalb planen immer wir immer auch nur für ein Jahr“, erläutert Zimmermann die Herausforderungen. Doch die Erfolgsgeschichte der vergangenen Jahre bestätigt das Konzept des Tanzsportteam Göttingen und man darf sicher gespannt sein, wie diese Geschichte fortgeschrieben wird.

Texte: Sarah Günther, Frank Beckenbach, Linda Volkmann

FOLKLORE MEETS WRESTLING [Interview mit Simone Münz]

Wrestling und Folklore ist eine der ungewöhnlichsten Kombinationen im Sport, die man sich vorstellen kann. ASClerin Simone Münz vereint genau dies in ihrer Freizeit und lebt damit zu 100 Prozent den ASC-Grundsatz “Vielfalt ist Trumpf”. Die 36-Jährige arbeitet an der Universität Göttingen im Fachbereich Informatik und ist dort in Marketing, Gleichstellungsprojekte sowie diverse organisatorischen Themen involviert. Zudem gründete sie im vergangenen Jahr mit Freunden ein Start-Up. Im folgenden Interview verrät sie, dass Folklore und Wrestling mehr Parallelen haben, als man zunächst vermuten mag, räumt mit Klischees auf und beschreibt, was für sie die Faszination beider Sportarten ausmacht.

ASC: Simone, seit wann bist du Mitglied im ASC und wie bist du zum ASC gekommen?

Simone: Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, es ist schon so lange her. Ich glaube, seit 2009 oder 2010 bin ich in der Folkloretanzgruppe. Aufmerksam bin ich über eine Anzeige des Unisports geworden, weil ich vorher schon ganz viel mit Tanz gemacht habe. Ballett, HipHop, Bauchtanz, Tango, Salsa, mehr oder weniger die ganze Bandbreite, nur keine Folkloretänze und das ist ja irgendwie die Basis von allem. Man hört immer sowas wie Schuhplattler und Polka, ich konnte mir aber gar nichts so richtig darunter vorstellen. Also wollte ich das mal ausprobieren und so kam ich dann zum ASC.

ASC: Und es hat Dir direkt gefallen und Du bist dabei geblieben?

Simone: Sagen wir mal so, ich fand es sehr interessant. Mir hat gefallen, dass man keinen festen Tanzpartner braucht. Das Tanzen in einer Gruppe und ständige Wechseln des Tanzpartners war ein neues Erlebnis. In anderen Tanzarten hast Du immer einen festen Partner oder tanzt alleine. Was mich ein bisschen abgeschreckt hat, war die Musikqualität und auch die Didaktik des damaligen Tanzleiters. Von daher war ich zunächst ein bisschen zwiegespalten. Ich fand das Thema interessant, dachte mir aber, man kann noch viel mehr rausholen. Deswegen bin ich auch dabei geblieben und mittlerweile haben wir uns stark verbessert. Wir haben an der Musikqualität gearbeitet und es gibt neue Übungsleiter, zu denen auch ich zähle.

ASC: Genau, hier beim ASC kennen wir Dich aus unserer Folkloretanzgruppe. Vor einiger Zeit warst Du dann aber auch bei den Wrestlingshows und sogar im Training zu sehen. Das ist ja doch ein starker Kontrast. Wie bist Du vom Folklore zum Wrestling gekommen?

Simone: Ich fand Wrestling als Kind schon total cool, habe es im Fernsehen geschaut, war voll der Fan, kannte alle Wrestler und alle Moves. Dann war ich zwei, drei Mal zu Gast bei den ASCShows und konnte auch immer mehr Freunde und Freundinnen begeistern, mitzukommen. Es lohnt sich wirklich und ist sehr unterhaltsam. Die Stimmung ist super bei den Shows und die Leute können auch wirklich sportlich was. Beim Zuschauen habe ich dann Lust bekommen, das selbst auszuprobieren. Ich habe mir zwei Freundinnen geschnappt und wir haben einfach mal mittrainiert. Es hat mir direkt gefallen, weil es so anders war im Vergleich zu dem, was ich bisher gemacht hatte - insbesondere die akrobatische Komponente, Rollen, Kopfstand und Fallübungen. Es hat mich einfach fasziniert, mal was ganz anderes zu lernen. Und deswegen bin ich dabei geblieben. ASC: Wie lange bist Du beim Wrestling jetzt schon dabei?

Simone: Ich glaube, ich habe 2018 angefangen, habe aber seit letztem Jahr tatsächlich eine Trainingspause eingelegt, weil es zeitlich sehr schwierig für mich ist, das Training, das am Sonntag fast einen halben Tag einnimmt, zu integrieren. Ich bin gerade dabei, meine Doktorarbeit abzuschließen. Aber ich möchte dieses Jahr wieder aktiv ins Training einsteigen, wenn ich meine Doktorarbeit abgeschlossen habe und ich unterstütze nach wie vor bei den Shows und verkaufe da Merchandising.

ASC: Wenn Du beide Sportarten betrachtest, die scheinbar erstmal überhaupt nichts miteinander zu tun haben: Gibt es trotzdem eine Kompetenz aus dem Folkloretanz, die Dir beim Wrestling hilft oder andersherum?

Simone: Was bei beiden auf jeden Fall identisch ist, ist, dass man sich Bewegungsabläufe merken können muss. Es ist nur anders geartet. Beim Wrestling machst du sehr viel mit dem Oberkörper. Beim Folkloretanz ist der Oberkörper eher statisch und du machst mehr mit den Beinen. Aber bei beiden Sportarten ist Körperbeherrschung und -spannung eine elementare Komponente. Dazu kommt das Verständnis für den Partner. Auch wenn es beim Wrestling brutal aussieht, im Prinzip macht man das zusammen. Wenn der andere nicht mitspielt, wird die Show nichts. Und auch darum geht es in beiden Sportarten: um das Unterhalten der Menschen. Beim Folklore üben wir ja auch für Aufführungen. Es gibt also durchaus Parallelen in den erforderlichen Kompetenzen, wenngleich sie sehr unterschiedlich ausgeführt warden. Hört sich vielleicht komisch an, ist aber tatsächlich so.

ASC: Bist Du die einzige, die diese beiden Sportarten kombiniert? Oder hast du vielleicht mittlerweile jemanden vom Folklore für

Wrestling begeistern können oder einen Wrestler zum Folkloretanz gebracht?

Simone: Nein, tatsächlich nicht. Die Kombination gibt es, glaube ich, nur einmal. Ich weiß, dass wir beim Folkloretanz noch jemanden

haben, der Karate macht und die Westler machen sehr oft noch andere Kampfsportarten. Meistens bleibt man ja doch eher in seiner Disziplin, auch beim Tanzen. Eine so konträre Kombination, kenne ich tatsächlich sonst bei niemandem. Wahrscheinlich werde ich deswegen auch nie wirklich gut werden – vor allem nicht im Wrestling. Ich glaube, du wirst nur gut in einer Sportart, wenn du wirklich dein ganzes Potenzial in diese eine Sportart investierst. Mich interessieren einfach so viele Sachen, dass ich

mich nicht auf eins beschränken möchte. Deswegen werde ich wohl nie Nummer Eins in Deutschland werden. Aber darum geht es mir gar nicht. Ich mache die Dinge, weil sie mir Spaß machen.

ASC: Noch einmal ganz kurz und knackig auf den Punkt: Was macht für dich die Faszination dieser beiden Sportarten jeweils aus?

Simone: Beim Folkloretanz gefällt mir einfach die Mischung aus alleine, in der Gruppe und mit wechselndem Partner tanzen. Beim Wrestling fasziniert mich das Akrobatische und, dass ich immer wieder meine Angst überwinden muss, um Neues zu lernen. Auf das dritte Ringseil zu steigen und runter zu springen, ist wirklich herausfordernd. Und auch nach hinten fallen, sich nicht wirklich abfangen, muss man erst einmal lernen.

ASC: Vorurteile sind sicherlich für jede Sportart in gewisser Weise ein Thema, aber es gibt Sportarten, die dennoch leider prädestinierter dafür sind. Dazu gehören wohl auch Folklore und Wrestling. Wie erlebst du das? Insbesondere wenn du mit Menschen sprichst, die dich nicht so gut kennen oder die mit dem Sport nichts zu tun haben. Welchen Vorurteilen begegnet du?

Simone: Ich kann sagen, dass die meisten Leute mit beiden Sportarten nichts anfangen können. Mit Glück kennen sie beim Wrestling noch den Undertaker oder ein, zwei andere Größen aus der Vergangenheit, aber dann hört es mehr oder weniger schon auf. Und beim Folkloretanz stellen sie sich Schuhplatteln vor. Beide Sportarten sind für die meisten Menschen Welten, die einfach so abseits des Mainstreams sind, dass keiner wirklich etwas damit anfangen kann. Wobei ich sagen muss, dass beim Wrestling noch mehr Verwunderung auftaucht, wenn ich erzähle, dass ich das mache. Die meisten sind erstens überrascht, dass man das in Deutschland ausüben kann und dann auch noch, dass Frauen diesen Sport ausüben. Außerdem muss ich für beide Sportarten oft erklären, was genau dahinter steckt. Viele Leute haben einfach kein Verständnis oder falsche Vorstellungen. Dann sage ich immer: “Kommt doch mal vorbei, probiert es aus, guckt es euch an”. Das ist, glaube ich, für viele das Einzige, was wirklich hilft - das mal selbst zu erleben.

ASC: Ja, das stimmt. Die Leidenschaft der Sportler im aktiven Training oder den Shows zu erleben, ist einmalig und die Authentizität, mit der sie für ihren Sport leben, kann wirklich begeistern.

Simone: Auf jeden Fall. Leider haben wir beim Folkloretanz auch noch das Problem, dass viele Gruppen, insbesondere in Deutschland, veraltet sind. Das muss man einfach wirklich sagen. Das Alter von 60 plus ist keine Seltenheit. Wir sind eine recht junge Gruppe, da viele Studierende dabei sind. Aber dennoch auch viele ältere Menschen und das sehen die Leute von außen natürlich. Und mit diesem angestaubten Image kämpfen wir. Deswegen haben wir in der letzten Zeit viel investiert, um uns moderner zu präsentieren. Wir suchen modernere Musik aus, haben zum Beispiel eine Tanzfolge zur Musik von Mary Poppins entwickelt. Wir veruchen, einen Umbruch zu schaffen, der die Tradition mit der Moderne kombiniert. Ein Pluspunkt ist, dass die Volkstanzszene in Deutschland tatsächlich UnescoWeltkulturerbe ist. Das hilft natürlich, das Ganze ein bisschen zu promoten. Beim Wrestling ist es wiederum schwierig, das harte und intensive Training, das hinter den Shows steckt, zu erklären. Die Leute sehen einfach die Show und sind sich häufig nicht darüber bewusst, wie viel körperliche, harte Arbeit damit verbunden ist. Das soll natürlich auch so sein. Die Kämpferinnen und Kämpfer, die in den Ring steigen, beherrschen den Sport einfach richtig gut und wollen eine mitreißende Show bieten. Aber das ist eben nur ein kleiner Teil dieses Sports.

ASC: Hast Du selbst auch schon bei einer Show im Ring gestanden?

Simone: Nein, ich bin einfach noch zu schlecht. Dafür muss man ein gewisses Mindestniveau an Showfähigkeit aufweisen.

ASC: Aber es ist dein Ziel, irgendwann mal in den Ring zu steigen?

Simone: Tatsächlich bin ich mir nicht so ganz sicher, grundsätzlich würde ich es machen. Aber mein primäres Ziel ist, einfach wirklich Spaß an der Sache zu haben. Für viele ist der Ring die Motivation und das Ziel. Ich sehe für mich eher die persönliche Herausforderung darin, das zu lernen, was ich bisher nicht kann und mich immer wieder zu überwinden.

ASC: Wieviele Wrestlerinnen gibt es beim ASC?

Simone: Ganz aktuell war, glaube ich, im aktiven Training keine Frau dabei. Wir haben immer mal Trainingsgäste, aber es gibt keine Frau, die fest bei uns dabei ist. Von daher, wenn jetzt Frauen neugierig geworden sind, immer gerne. WIr trainieren übrigens in gemischten Gruppen. Es gibt keine Geschlechtertrennung beim Training.

ASC: Schwenken wir nochmal zum Folklore. Du hast ganz am Anfang angedeutet, dass Du dort auch als Übungsleiterin fungierst. Wie kam es dazu? Seit wann machst du das?

Simone: Ich bin schon lange in der Organisation unserer Folkloretanzgruppe tätig. Seit bestimmt fünf Jahre organisiere ich Veranstaltungen, bei denen wir auftreten können, und ich kümmere mich zusammen mit

meinem Mann um technische Dinge wie Musik und Videos, die man zum Beispiel auf unserer YouTube- oder Facebook-Seite sehen kann. Im letzten Jahr habe ich auch immer mal unsere damalige Tanzleiterin vertreten. Als sie Ende des Jahres dann komplett aufhörte, habe ich gemeinsam mit einer anderen Folkloretänzerin die Leitung der Gruppe übernommen und seitdem gestalten wir das Training zusammen. Ich habe zwar keine Ausbildung, aber die gibt es auch gar nicht. Es gibt nur ein paar Tanzseminare, bei denen du dich fortbilden kannst. Aber aufgrund meiner langjährigen Erfahrung im Folkloretanzen und den Kenntnissen aus diversen anderen Tanzarten, glaube ich, kann ich das didaktisch ganz gut vermitteln.

ASC: Wir befinden uns aktuell in der verrückten Corona-Zeit. Was vermisst Du mehr, Wrestling oder Folklore?

Simone: Das ist echt schwierig. Ich würde sagen, ich vermisse vor allem, überhaupt Sport mit anderen zu machen. Ich nutze gerade viel die ASC Live-Sportangebote zu Hause und habe da auch schon wieder ganz viel Neues entdeckt, das ich total super finde, aber die Gemeinschaft dabei fehlt natürlich sehr. Wenn Du mich fragst, was mir mehr am Herzen liegt, würde ich tatsächlich sagen Folklore, weil ich da einfach schon viel mehr investiert habe und auch mehr Verantwortung trage. Außerdem fällt mir das viel leichter. Wenn ich tanze, kann ich meinen Kopf ausschalten und muss gar nicht mehr darüber nachdenken, was ich tue. Wrestling ist sehr viel mehr Aufwand für mich, das zu lernen und zu erfahren. Aber der Kampfsport ist auch großartig. Beides ist auf seine Art schön, würde ich sagen und entsprechend vermisse ich auch beides.

ASC: Du hast gesagt, dass du aktuell die Online-Angebote nutzt. Also achtest Du schon darauf, dass du Dich im Rahmen der Möglichkeiten weiter bewegst und fit hältst?

Simone: Genau. Ich versuche es auf jeden Fall. Wie gesagt, ich finde die ASC-Kurse ziemlich cool, weil ich viel Neues entdecke, was ich gerne mache. Neben Wrestling und Folklore mache ich auch noch regelmäßig Yoga beim ASC. Außerdem versuche ich jetzt öfter auch mal joggen zu gehen. Dennoch ist mir bewusst, dass ich, insbesondere beim Wrestling, viel nachholen muss, wenn ich wieder einsteige. Aber so ist es. Manche Sachen lassen sich zu Hause eben nicht so gut trainieren. Folklore ist da schon einfacher als Wrestling.

ASC: Gibt es eine Sportart, die du unbedingt noch einmal ausprobieren möchtest?

Simone: Es gibt so viele Sportarten, die ich unbedingt ausprobieren möchte. Surfen zum Beispiel. Eigentlich wäre ich jetzt gerade im Urlaub auf Hawaii, um genau das zu probieren. Sumo-Ringen finde ich auch cool. Ansonsten habe ich aber auch schon viel gemacht. Ich war schon im Schwimmverein, habe Volleyball gespielt und voltigiert.

ASC: Der ASC Göttingen ist für mich...

Simone: Eine Heimat für meine Sportarten und eine ziemlich coole Organisation. Ich finde, man kann hier sehr viel verwirklichen. Vielleicht könnte man sagen, der ASC Göttingen ist für mich ein Ort, wo ich meine Ideen verwirklichen kann.

ASC: Sportvereine sind wichtig, weil...

Simone: Das ist natürlich ein heikles Thema, denn man hat ja noch die Fitness-Studios, die die Leute stark anziehen. Aber in Sportvereine schafft man noch gemeinschaftlich Dinge. Man hat ein Zugehörigkeitsgefühl und kann sich einbringen, wenn man das möchte. Das finde ich wichtig und schön. Viele Menschen engagieren sich ja leider nicht mehr, aber davon lebt ein Verein und ich finde ehrenamtliches Engagement auch wichtig für die Gesellschaft. Und Sportvereine schaffen einfach dieses Gemeinschaftserlebnis, das unglaublich wertvoll ist.

ASC: Zum Abschluss darfst Du uns noch Deinen ganz individuellen Sport-Tipp Nummer 1 verraten.

Simone: Mein Sport-Tipp Nummer 1: probiert ruhig mal neue Sachen aus! Neue körperliche Erfahrungen sind großartig, können auch in der ursprünglichen Disziplin hilfreich sein und bringen Abwechslung in die eigenen Aktivitäten. Vielleicht findet ihr weitere Sportarten, die euch auch Spaß machen

ASC: Gibt es sonst noch etwas, was Du loswerden möchtest?

Simone: Ich will auf jeden Fall noch loswerden, dass sowohl beim Folklore als auch beim Wrestling die Leute supercool sind. Und wer Lust hat, kann gerne mal zum Training kommen. Wir freuen uns alle, wenn neue Leute Interesse an unserem Sport haben. Man braucht auch keine Angst davor haben, sich zu blamieren oder ähnliches. Wir haben alle irgendwie angefangen, und jeder weiß, wie das war. Und beim Wrestling hat die Sicherheit oberste Priorität, so dass man auch keine Angst vor Verletzungen haben muss. Also, wenn ihr Lust oder Interesse habt, kommt gerne vorbei.

ASC: Vielen Dank für deine Zeit und interessanten Antworten. Und wer weiß, vielleicht sehen wir dich doch irgendwann mal im Wrestling-Ring und wenn nicht, bei der nächsten Folkloreaufführung.

Simone: Letzteres definitiv.

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