Lese probe


MARC NUSSBAUMER
MARC NUSSBAUMER
Ein Fall für Paulus
Marc Nussbaumer nimmt die Leser auf eine kurzweilige Weise in die Situation im Galaterbrief hinein. Dabei schafft er es, die paulinischen Texte für heute höchst aktuell werden zu lassen. Damals wie heute gilt: »Das ABC der Guten Nachricht ist schlicht und weltbewegend zugleich.« Sie darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Eine wichtige und lohnenswerte Lektüre, die durch Videoclips und Reflexionsfragen noch einen originellen Mehrwert erhält.
Michael Girgis Rektor IGW
Dieses Buch bietet einen erfrischenden und anschaulichen Zugang zum Galaterbrief, der neugierig macht auf mehr. So zum Beispiel die treffenden und manchmal auch überraschenden Stichworte als Kapitelüberschriften, die zum Weiterdenken anregen. Oder die filmischen Vertiefungen oder Erweiterungen, die alle meine Sinne angesprochen haben.
Brigitte Moser
Pfarrerin und Distriktvorsteherin der EMK Schweiz
Es ist die Crux eines jeden biblischen Textes: Auf der einen Seite liegen die wertvollen Einsichten des Galaterbriefes, die das Potenzial enthalten, unser Leben von Zwängen zu befreien; auf der anderen Seite des garstigen Grabens – annähernd 2 000 Jahre tief – befindet sich der moderne Mensch, dem sowohl die Auseinandersetzungen der Gemeinden in Galatien als auch die Denk- und Sprechweise des Paulus unverständlich ist.
Marc Nussbaumer gelingt es eindrücklich, die komplexen theologischen Gedanken des Galaterbriefes zu bündeln und in die Lebenswirklichkeit heutiger Menschen hinein zu übersetzen. Das Buch ist ein sowohl leidenschaftliches wie auch verständliches Plädoyer, durch den vertrauensvollen Glauben christliche Freiheit einzuüben – eine Freiheit, die dient und gleichwohl unabhängig bleibt von Forderungen – seien diese religiöser oder säkularer Natur.
Markus Giger
Pfarrer, Theologischer Leiter streetchurch, Reformierte Kirche
Klar und anschaulich zeigt Marc Nussbaumer in diesem Buch Schritte zu einem vertrauenden Glauben, der sich an Jesus Christus orientiert. Vertrauender Glauben ermöglicht ein neues und befreites Leben, das nicht selbstbezogen ist. Gleichzeitig wurde mir Paulus zum Vorbild, wie er sich mit seiner ganzen Kraft und viel Emotionen für Menschen einsetzt, die diesen Glauben gefunden haben, und sie ermutigt, ihren eigenen Weg zu gehen und sich nicht mit anderen zu vergleichen.
Christina
Bachmann-Roth Präsidentin der Partei Die Mitte Frauen Schweiz, Unternehmerin, Betriebsökonomin
Wo immer ihr heute lebt auf der Welt, danke euch allen, die ihr bewusst und unbewusst zu diesem Buch- und Videoprojekt beigetragen habt! Danke, dass ihr euch mit euren Glaubenserfahrungen engagiert – mutig und skeptisch, fröhlich und traurig, suchend und fragend, enttäuscht und begeistert, innerhalb und außerhalb christlicher Kreise.
Besonders danke ich Annarös, mit der ich nun schon 40 Jahre gemeinsam unterwegs bin. Du hast mich stets in entscheidenden Momenten für den nächsten nötigen Schritt ermutigt. Auch unsere Kinder, mit ihren Familien und Freunden, meine Geschwister und weitere Menschen in meiner Verwandtschaft haben mir für dieses Projekt wichtige Impulse gegeben. Herzlichen Dank auch euch! Ihr habt mich mit euren Lebenserfahrungen und mit dem, was euch am Herzen liegt, immer wieder für die wirklich wichtigen Themen als Christ und für glaubwürdige Formen von Kirche sensibilisiert.
Dieses Buch ist auch als E-Book erhältlich:
ISBN 978-3-943362-77-0
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar
Bibelstellen werden zitiert aus:
Gute Nachricht Bibel 2000, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung
© Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
Lektorat und Korrektorat: Claudia Nickel, Siegen Umschlaggestaltung: spoon design, Olaf Johannson Umschlagabbildung: Sensay/Shutterstock.com Erstellung Videoclips: Marc Nussbaumer Satz und Herstellung: Edition Wortschatz, Sauerbruchstraße 16, D-27478 Cuxhaven © 2022 Marc Nussbaumer
ISBN 978-3-943362-76-3, Bestell-Nummer 588 976
Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Autors www.edition-wortschatz.de
Marc Nussbaumer
Dieses Gespräch vor 25 Jahren habe ich nicht mehr vergessen. Es war auf dem Campingplatz an der Westküste Frankreichs. Nachdem wir unser Familienzelt aufgestellt hatten, war Zeit, um mit dem Nachbarn auf dem Platz neben uns ein erstes Gespräch zu führen. Small Talk auf dem Campingplatz eben. Woher kommen Sie? Schon öfters hier gewesen? Weitere Reisepläne? Wetteraussichten? usw.
Als er mich nach meiner beruflichen Tätigkeit fragte, sagte ich ihm, dass ich als Pfarrer tätig sei. Er gehe schon lange nicht mehr in eine Kirche für einen Gottesdienst, meinte er, aber er gehe sehr gerne in Kirchenkonzerte, vor allem, wenn die großen christlichen Oratorien aufgeführt werden. Das erfülle ihn mit Ehrfurcht und bewege ihn, sowohl von der musikalischen als auch von der inhaltlichen Seite her. Er habe schon immer viel
gelesen über alle großen Weltreligionen. Dabei sei ihm deutlich geworden, dass es im christlichen Glauben zwei Themen gehe, die er in allen anderen Weltreligionen so nicht gefunden habe. Ich war neugierig und gespannt, was er als die zwei Themen nennen würde. Was ihm exklusiv im christlichen Glauben zentral aufgefallen sei, waren die Person Jesus Christus und das Konzept der Gnade, wie er es nannte. Wenn er in einen Gottesdienst gehe, dann erwarte er deshalb, dass es um diese zwei Themen gehe, fügte er noch an. Für alle anderen Themen müsse er nicht in die Kirche gehen, die könne er gut außerhalb der Kirche finden, meist eh kompetenter thematisiert als in den Kirchen.
Paulus hätte seine helle Freude gehabt, wäre er bei diesem Gespräch dabei gewesen. Darum ging es ihm ja, wenn er Menschen außerhalb der jüdischen Glaubensprägung aufsuchte: Dass sie Jesus Christus und Gnade entdecken konnten. Dass sie davon aber nur so hören, wie man oft Nachrichten hört, das war Paulus zu wenig. Sie sollten schon davon erfasst und verwandelt werden, so wie er es selbst erlebt hatte. Was ihm widerfahren war, war kein Vergleich mehr zum religiösen Leben vorher.
Die Person Jesus Christus und das Konzept der Gnade – auch für Paulus bekamen diese zwei Themen zentrale Bedeutung. Wer im Neuen Testament den Spuren von Paulus folgt, wird diesen beiden Themen überall begegnen. Ein drittes kommt für ihn noch dazu. Aber davon später.
Durch Jesus Christus hatte Paulus eine neue Wirklichkeit für sein Leben und seinen Glauben erfahren. Bisher prägten religiöse Regeln, göttliche Gebote und Verbote seinen Glauben. Es war oft ein eher gnadenloses Leben. Gnade, mit ihren vielen Facetten und Aspekten, eröffnete einen ganz neuen Weg. Dieser ganz andere Glaube konnte darum nicht einfach die Privatsache von Paulus bleiben. Diesen Glauben musste und wollte Paulus auch anderen Menschen ermöglichen.
Paulus war der erste christliche Theologe, der die Botschaft von Jesus Christus zu nichtjüdischen Völkern brachte. Bevor er eine Erscheinung von Christus hatte, die bei ihm eine radikale Umkehr auslöste, verfolgte er die Christen aufs Schärfste, war er doch von einem an Regeln und Gesetz orientiertem Glauben überzeugt.
Das Wort Evangelium kommt vom griechischen
Wort euangelion und bedeutet »Gute Nachricht«.
Jener Nachbar auf dem Campingplatz hatte einen guten Teil von dem, was den Kern des Evangeliums ausmacht, gefunden. Leider wird in Kirchen dieser Kern immer wieder durch andere Themen verdeckt, verschüttet und sogar verdrängt. Kein Wunder, wenden sich Menschen ab von Kirchen und Gottesdiensten, wenn sie dort nicht den Kern des Evangeliums erkennen und erleben können.
Schon in der ersten Generation der Christen drohte die Gefahr, dass der Kern der Guten Nachricht durch andere Themen verdrängt wurde, ja noch schlimmer, dass er gar durch etwas Anderes ersetzt zu werden drohte. Das konnte Paulus nicht nur aus der Ferne beobachten und gelassen zur Kenntnis nehmen. Allenfalls nur den Kopf darüber schütteln und sich abwenden war zu wenig. Das musste für Paulus ein Fall werden, der seine ganze Aufmerksamkeit verlangte. Zuviel stand auf dem Spiel.
Ich wundere mich über euch!
Galaterbrief 1,6
Paulus wurde überrascht von dem, was er aus der Region Galatien zu hören bekam. Unter den Christen waren dort heftige Auseinandersetzungen aufgekommen. Am liebsten hätte sich Paulus sofort selbst aufgemacht nach Galatien, in die Region, die heute im Zentrum der Türkei liegt. Da ihm das nicht möglich war, schrieb er zunächst einen Brief, den Galaterbrief. Er kommt darin gleich nach den einleitenden Worten zur Sache:
Ich wundere mich über euch! Gott hat euch durch die Gute Nachricht dazu berufen, dass ihr unter der Gnade steht, die Christus gebracht hat. Und nun kehrt ihr ihm so schnell den Rücken und wendet euch einer anderen Guten Nachricht zu!
Es gibt in Wirklichkeit gar keine andere …
(Galater 1,6–7)
Hier klingen sie wieder an, die beiden Themen, die damals im Gespräch auf dem Campingplatz im Mittelpunkt standen: das Konzept der Gnade und die Person Jesus Christus.
Die Christen in Galatien hätten Christus den Rücken gekehrt. So formuliert Paulus die dramatische Lage, die ihn zum Handeln bewegt hatte. Sie haben sich einer anderen Guten Nachricht zugewendet, schreibt Paulus, um gleich zu betonen, dass es in Wirklichkeit gar keine andere Gute Nachricht gibt. Er präzisiert:
… es gibt nur gewisse Leute, die unter euch Verwirrung stiften. (Galater 1,7)
Es gibt nicht verschiedene Gute Nachrichten. Es gibt nur die eine Gute Nachricht. Alles andere sind Leute, die Verwirrung stiften. Darum gilt es, die Verwirrung zu durchschauen, nicht die
vermeintlich verschiedenen Guten Nachrichten besser zu verstehen und zu respektieren.
Was ist denn die eine Gute Nachricht, für die sich Paulus so engagiert einsetzt? Schon im einleitenden Gruß seines Briefes an die Galater beginnt er die Gute Nachricht zu formulieren:
Gnade und Frieden sei mit euch, von Gott unserem Vater, und von Jesus Christus, dem Herrn, der sein Leben für unsere Sünden hingegeben hat. Das tat er, um uns aus der gegenwärtigen Welt zu befreien, die vom Bösen beherrscht wird.
So war es der Wille unseres Gottes und Vaters –ihm gehört die Herrlichkeit für alle Ewigkeit! Amen. (Galater 1,3–5)
Die Gute Nachricht beginnt für Paulus mit dem Wunsch nach Gnade und Frieden. Das soll die Menschen als Erstes erreichen. Bis heute werden die gleichen Worte in der Kirche gesagt, oft in der Einleitung in einen Gottesdienst. Vielen Ohren sind diese Worte darum bis heute vertraut. Vielleicht weil sie so oft gehört werden, lassen sie viele noch nicht aufhorchen.
Bei der nächsten Aussage jedoch horchen die Ersten auf, weil sie Einwände haben gegen das,
was er hier schreibt. Er formuliert einigen zu plakativ und zu radikal. Da können sie nicht zustimmen. Ist die gegenwärtige Welt wirklich vom Bösen beherrscht? Es gibt doch auch viel Schönes und Gutes in der Welt. Es wird zwar täglich von viel Bösem, das in der Welt geschieht, berichtet, aber ist deshalb die Welt gleich vom Bösen beherrscht?
Der springende Punkt ist hier nicht nur die Frage, wie dominant das Böse in der Welt ist, sondern auch die Frage: Warum aus der bösen Welt befreien? Warum nicht die Welt vom Bösen befreien? Warum verhindert Gott Böses nicht? Oder noch anders formuliert: Wie kann man in einer Welt, in der immer wieder so viel Böses geschieht und Macht hat, noch an einen allmächtigen und allgütigen Gott glauben? Es ist diese Frage, die die Leute bedrängt und sie gegenüber der anscheinend Guten Nachricht skeptisch werden lässt.
Paulus hat gute Gründe, warum er nicht sagt, dass Jesus Christus die gegenwärtige Welt vom Bösen befreit, sondern dass Jesus Christus die Menschen aus der gegenwärtigen Welt befreit.
Paulus weiß: Wer für alles Leid und alles Böse in der Welt die Verantwortung einfach auf Gott schiebt, der offensichtlich nicht so eingreift, wie
manche es erwarten, findet keine befriedigende Antwort. Wenn Gott alleine verantwortlich wäre, dann wären wir Menschen ohne Verantwortung und nur noch Marionetten, die von Gott oder irgendwelchen Mächten gelenkt würden. Aber so ist Gott nicht, und so ist der Mensch nicht.
Darum wird beim Auftauchen dieser Fragen meist darauf hingewiesen, dass der Mensch einen freien Willen besitzt. Der Mensch kann Entscheidungen treffen und dadurch für das, was er tut oder nicht tut, Verantwortung übernehmen. Dabei zeigt sich, dass der Mensch in seinen Entscheidungen die Tendenz hat, auf sich selbst bezogen zu urteilen und zu handeln. Das führt immer wieder zu Leid und Not für andere und manchmal auch zu
Not für sich selbst. Ganze Gesellschaften werden so von Selbstbezogenheit erfasst und gestaltet. Habgier, Ungerechtigkeit, ja ganze Kriege werden dadurch ausgelöst oder gar gerechtfertigt.
Für alles Leid und alles Böse in der Welt die Verantwortung auf den freien Willen des Menschen zu schieben, ist unbefriedigend. So frei, wie viele Menschen gerne sein möchten, sind sie nicht. Menschen sind immer wieder gefangen in Zwängen, in Süchten, in Beziehun-
gen, in Nöten, in Prägungen. Wir sehen, wie Menschen eingegrenzt und ausgegrenzt werden, immer wieder, überall.
Neue Fragen tauchen auf: Gibt es Möglichkeiten, da herauszukommen? Kann oder muss man sich selbst befreien? Was, wenn man es nicht schafft? Kann man befreit werden?
Paulus scheint davon etwas zu wissen, sonst würde er nicht schon in seinen einleitenden Worten davon schreiben. Er reiht sich damit in die Reihe der Menschen ein, die in der Bibel von ihren Erfahrungen mit Gott und den Menschen berichten.
Die biblischen Berichte erzählen von Gotteserfahrungen inmitten dieser ambivalenten Welt. Sie beschreiben, wie Menschen Gott als jemanden erlebten, der sich der Welt und den Menschen zuwendet, ja sogar als jemanden, der Ungerechtigkeit an sich geschehen lässt, Böses auf sich nimmt, Menschen vergibt und sie befreit aus zerstörenden Beziehungen. In der ganzen Bibel wird berichtet, wie Gott Menschen aus Krankheit, aus Not und aus Ausgrenzung herausgeführt hat. Gott wird beschrieben und erlebt als ein Gott, der sich auf die Welt einlässt, der die Menschen aufsucht. Er steuert das Geschehen nicht von
außerhalb und zieht die Fäden. Er taucht inmitten des Geschehens auf und lässt darin Gottes Welt aufleuchten. Diese zuwendende Art, in der Gott erfahren wird, wird als »befreiende Gnade« erlebt.
Gleich zu Beginn seines Briefes an die Christen in Galatien streicht Paulus dies heraus, wenn er in seinen einleitenden Zeilen deutlich macht, dass Jesus Christus in diese Welt kam, um uns Menschen aus der Welt, die gegenwärtig vom Bösen beherrscht wird, zu befreien. Bemerkenswert ist dabei, dass Paulus gerade dies in Bezug zu Jesus Christus besonders hervorhebt. Sich für unsere Sünden hinzugeben, war für Jesus noch nicht das Ziel, sondern nur die Maßnahme, um ein anderes Ziel zu erreichen! Zu oft wurde und wird Sündenvergebung als das Ziel dargestellt. Das Ziel ist nicht Vergebung, sondern Befreiung!
Auf dem Weg zu dieser Befreiung braucht es Sündenvergebung, sonst bleiben wir in den Folgen von Sünden gefangen, sei es in den eigenen oder in den Sünden, die anderen angelastet werden müssen. Wo Sünden zuerst in ihrer Schwere und in ihrem Schmerz anerkannt werden, dann aber nicht mehr nachgetragen oder mitgetragen werden, da werden Sünden vergeben. So verlieren sie ihre Macht, Leben zu zerstören.
Darum geht es also: Dass Menschen aus den Nöten, Ausgrenzungen, Zwängen und zerstörerischen Prägungen befreit werden, in die sie in dieser Welt hineingeraten. Dazu hat Gott sich in Jesus auf die irdische Wirklichkeit eingelassen, hat Sünde auf sich genommen, damit ihre zerstörerische Kraft nicht weiterwirken kann.
Aber nur weil Gott sich so zugewandt verhält, entsteht noch nicht, sozusagen von allein, eine heile Welt. Das erkennt man leicht, wenn man sich ein wenig umhört und umsieht.
Dass diese Zuwendung Gottes in Christus von außen auf die Menschen zukommt, ist ein Teil des Geschehens. Wie Menschen auf diese Zuwendung reagieren, ist ein weiterer Teil. Paulus drückt es in Vers 6 so aus:
Gott hat euch durch die Gute Nachricht berufen, dass ihr unter der Gnade steht, die Christus gebracht hat. (Galater 1,6)
»Unter der Gnade stehen«, beschreibt Paulus als eine Berufung. Man kann offensichtlich auch unter etwas anderem stehen oder unter jemand anderem stehen. Man kann beispielsweise unter Leistungsdruck stehen oder unter einem Minder-
wertigkeitsgefühl, oder unter einer Person, die einen ausnützt, unterdrückt oder gar missbraucht. Berufen zu sein, »unter der Gnade zu stehen«, ist eine Aufforderung, sein Leben bewusst unter der Zuwendung Gottes zu gestalten.
Wer berufen wird zu etwas, dem wird eine Ehre zuteil. Man bekommt eine besondere Möglichkeit, seine Gaben und Fähigkeiten zu entfalten und deshalb erfüllt leben zu können.
Wer eine Berufung annimmt, kann sich in noch größerem Maße als bisher einbringen und mitwirken. Genau dieses Bild verwendet Paulus hier. Man mag bei einer Berufung respektvoll zögern. Aber wenn andere einem diese Aufgabe zutrauen, wer möchte dann nicht auf diese Berufung antworten und sich darauf einlassen?
Wenn Menschen sich auf die Lebensmöglichkeit, unter der Zuwendung Gottes zu leben, einlassen, entsteht eine neue Wirklichkeit. Die Haltung, die diese Wirklichkeit prägt, nennt Paulus »vertrauenden Glauben« (Galater 5,6).
Die Befreiung durch Christus und die Berufung, unter der Gnade zu stehen, sind der eine Teil des Geschehens, um den es Paulus geht. Der vertrauende Glaube, der diese Berufung annimmt und sich Christus zuwendet, ist der andere Teil.
Wo vertrauender Glaube gegenüber Gottes Zuwendung und gegenüber der Berufung »unter der Gnade zu leben« gewagt wird, da beginnt etwas ganz Neues. Eine Verwandlung setzt ein. Es geht nicht um einen Glauben, der bestimmte Dinge für wahr hält, damit es der richtige Glaube ist. Nicht durch richtigen Glauben, sondern durch vertrauenden Glauben entsteht etwas Neues.
Es wächst eine Beziehung, durch die Menschen befreit werden von dem, was sie in dieser Welt gefangen hält. Sie werden auch dazu befreit, in dieser Welt anders leben zu können als vorher. Ihr vertrauender Glaube wirkt sich in ihrem Verhalten aus. Und das allein zählt. Später in seinem Brief an die Galater wird Paulus das festhalten:
Es zählt allein der vertrauende Glaube, der sich in tätiger Liebe auswirkt. (Galater 5,6)
Paulus wundert sich darüber, dass die Christen in Galatien sich so schnell von anderen Leuten verwirren lassen. Das hätte er nicht erwartet. Darum hält er gleich im Einstieg seines Briefes an die Galater wesentliche Punkte fest:
Die gegenwärtige Welt wird vom Bösen beherrscht. Das zeigt sich daran, dass Menschen nicht frei sind, das Gute tun zu können.
Die Gute Nachricht für die Menschen zeigt sich in drei Aspekten:
A – CHRISTUS befreit gefangene und selbstbezogene Menschen
B – Berufen unter der G N a DE zu stehen
C – Allein vertrauender GL a UBE wirkt und zählt
Wer dieses »ABC « des christlichen Glaubens erfasst, der wird nicht so bleiben, wie er oder sie jetzt ist. Diese Verwandlung ist es, die alles ausmacht. Was für eine verheißungsvolle Perspektive. Wer möchte diese Möglichkeit nicht ergreifen? Verwundert muss Paulus feststellen, dass Leute daran sind, diesen neuen befreienden Weg zu verlassen. Wie kann es sein, dass die Christen in Galatien sich auf diesem neuen Weg so schnell und so leicht verwirren lassen? Was für Leute stecken hinter dieser Verwirrung?
Man glaubt es kaum, aber es geschieht immer wieder, dass Menschen diese neue Lebensmöglichkeit an sich vorbeiziehen lassen oder gar selbst aus der Hand geben. Leider beobachten wir das häufiger als uns lieb ist, gerade auch in christ-
lichen Gemeinschaften und Kirchen. Menschen, die offen sind für Spiritualität und für Glaubenserfahrungen, sind offensichtlich auch anfällig dafür, dass andere Menschen sie verwirren. Dann kommt die Gute Nachricht an ihnen und durch sie nicht mehr zur Wirkung.
Zu erkennen, dass Menschen mit einer anscheinend anderen Guten Nachricht Verwirrung stiften, ist ein erster wichtiger Schritt. Dabei geht es aber nicht darum, dass man die Menschen, die diese Verwirrung stiften, attackiert, bekämpft oder gar eliminiert. Damit würde man gerade die Gute Nachricht, die man verteidigen will, nicht mehr verkörpern. Dennoch sind die Worte, die Paulus im Blick auf die Verwirrung stiftenden Menschen braucht, keineswegs zimperlich:
Es gibt nur gewisse Leute, die unter euch Verwirrung stiften. Sie wollen die Gute Nachricht von Christus in ihr Gegenteil verkehren. aber nicht einmal ich selbst oder ein Engel vom Himmel darf euch eine Gute Nachricht bringen, die der widerspricht, die ich euch gebracht habe. Wer es tut, soll verflucht sein, dem Gericht Gottes übergeben! Ich habe es euch schon früher eingeschärft und wiederhole es jetzt: Wer euch eine andere
Gute Nachricht bringt als die, die ihr angenommen habt, soll verflucht sein, dem Gericht Gottes übergeben! (Galater 1,7–9)
Verflucht sein sollen sie. Das ist ein sehr vernichtendes Urteil. Da wird ein strikter Trennungsstrich gezogen. Aber obwohl dieses Urteil gefällt wird, führt das nicht dazu, dass an diesen Leuten selbst zerstörerisch gehandelt wird. Sie sollen dem Gericht Gottes übergeben werden. Sie sollen an die Instanz übergeben werden, die Menschen gerecht beurteilen und behandeln wird: Gott selbst.
Damit wird auch den Menschen, die auf der richtigen Seite glauben, eine Grenze gesetzt. Sie sollen nicht selbst an den anderen ein Urteil vollstrecken. Der Fokus soll sich nicht auf die Gegner verschieben. Paulus bleibt sich selbst gegenüber kritisch und stellt klar:
Will ich jetzt wieder Menschen beschwatzen –oder gar Gott selbst? Oder rede ich etwa Menschen nach dem Mund? Ich gehöre Christus und diene ihm – wie kann ich da noch den Beifall der Menschen suchen! (Galater 1,10)
Der Fokus bleibt auf Christus. Ihm will Paulus dienen. Er sucht nicht den Beifall der Menschen, er sucht nicht die Oberhand über Gegner. Er bleibt in der Verbindung mit Christus. In dieser Beziehung mit Christus lebt er. Aus dieser Beziehung mit Christus lebt er. Von ihm her und auf ihn hin orientiert er sich. Das bewahrt vor beidem, vor dem Fokus auf die Gegner und vor dem Fokus auf Beifall suchende Anerkennung.
Weil Paulus nicht auf die Gegner und nicht auf die eigene Anerkennung zielt, kann er sich mutig und klar mit den Inhalten auseinandersetzen, durch die Verwirrung gestiftet wird. Wie diese Verwirrung entsteht, wie sie oft sanft und leise Menschen verunsichert und wie man ihr nicht auf den Leim geht, das will Paulus im Galaterbrief eindrücklich aufzeigen. Dabei scheut er sich auch nicht, Konflikte auszulösen, denn es geht um viel. Er engagiert sich mit seiner ganzen Kraft. Es geht darum, dass die Gute Nachricht nicht geopfert wird, sondern geschützt und wiederentdeckt wird. Es geht darum, weiterhin mutig zu glauben, gerade in Zeiten, in denen man durch verwirrende Stimmen verunsichert wird.
V I d E ocl IP
zu diesem Kapitel
Durch die Links zu kurzen Videoclips, die jedem Kapitel am Schluss beigefügt sind, bekommt dieses kleine Büchlein eine zusätzliche Dimension.
In den zwei- bis dreiminütigen Videoclips werden mit Hilfe von dynamischen Strichzeichnungen jeweils die wichtigsten Anliegen nochmals bildlich dargestellt. So wird jedes Kapitel nochmals auf besondere Art und Weise zusammengefasst.
Wer die Videoclips nach dem Lesen des Kapitels anschaut, dem dienen sie als Rückblick und Zusammenfassung. Sie regen dazu an, dem Thema des Kapitels weiter auf der Spur zu bleiben.
Wer die Videoclips vor dem Lesen des Kapitels anschaut, dem dienen sie als Einstieg und machen neugierig, genauer nachzulesen.
Wer mit anderen zusammen entdecken will, wie Paulus sich leidenschaftlich für die Gute Nachricht einsetzt, kann die Videoclips auch gut als Einstieg mit einer Gruppe anschauen.
Jeder Videoclip endet mit zwei Fragen, die auf den Kern des Kapitels zielen. Sie regen dazu an, sich mit anderen über eigene Erfahrungen auszutauschen.
Mutig glauben in undurchsichtigen Zeiten wird so nicht nur ein Fall für Paulus bleiben, sondern wird auch ein Fall für Leute von heute. Auf diese Spur führt auch der Link auf der Buchrückseite.
Marc Nussbaumer, geb. 1957, absolvierte an der Universität Zürich zunächst ein Studium zum Sekundarlehrer. Nach fünf Jahren beruflicher Tätigkeit führte ihn sein Weg in den pastoralen Dienst: durch theologische Ausbildungen am Mennonite Bible College in Winnipeg, Kanada, am Theologischen Seminar der Evangelisch-methodistischen Kirche (EMK ) in Reutlingen, Deutschland, und durch ein Praktikum in der Reba Place Church in Evanston, Chicago, USA . Seit 1990 ist er Pfarrer der EMK in der Schweiz,
zuerst zehn Jahre in Basel, davon vier Jahre teilzeitlich als Schulungsleiter der EMK Schweiz.
2000/2001 verbrachte er mit seiner Familie ein Sabbat- und Weiterbildungsjahr in der United Methodist Church in Arizona, USA , wo er verschiedene Gemeindegründungsprojekte kennenlernte.
Von 2001 bis 2018 war Nussbaumer mit einem Kollegen als Pfarrteam in der Region Lenzburg in der Schweiz tätig. Mit vier kleinen EMK -Gemeinden wurde eine Neuausrichtung gestaltet, die zur 3x3emk-Gemeinde geführt hat (www.3x3emk.ch).
Heute ist die 3x3-Gemeinde eine Regio-Gemeinde mit Projekten in verschiedenen Ortschaften. Die vier bisherigen Kapellen wurden verkauft, sodass ein neues Gebäude in Hunzenschwil, Kanton Aargau, erworben und umgebaut werden konnte. Es dient heute als Ausgangspunkt für den Dienst als Gemeinde in der Region und darüber hinaus.
Nach der Ausbildung zum SLI -Coach 2012/2013 wirkte Marc Nussbaumer in vielen verschiedenen Coachingprojekten in der Schweiz und in Deutschland. Er leitet zur Zeit auch SLI Europa (www.spiritual-leadership.org).
Marc Nussbaumer ist seit 40 Jahren mit Annarös verheiratet. Sie haben drei erwachsene Kinder und drei Enkelkinder. Seine Freizeit gestaltet er gerne als Hochsee-Skipper auf Segelyachten, fährt Ski und besucht Freunde und Verwandte, wo immer sie in der Welt leben und wirken, vor allem in Europa, Nordamerika und Afrika.
Es gibt den mutigen Glauben, der nicht selbstbezogen und nicht scheinheilig ist. Leuchttürme wie Martin Luther King, Mutter Teresa, Mahatma Gandhi, Dietrich Bonhoeffer, Nelson Mandela, Desmond Tutu und viele weitere Frauen und Männer weisen darauf hin. Auch Paulus, der erste christliche Missionar, gehört zu ihnen. In seinem Brief an die Galater leuchtet deutlich auf, wie er für diesen mutigen Glauben einsteht.
Wer von scheinheiligem oder nur auf sich selbst bezogenem Glauben enttäuscht wurde und zurecht nichts davon hält, findet mit Paulus einen Seelenverwandten, der nicht aufgibt.
Wer unsicher geworden ist durch all die Stimmen, die einem verwirren, findet bei Paulus einen Leuchtturm, der einem den Weg zu einem tragfähigen und gesellschaftlich relevanten Glauben und Leben weist.
»Die Gute Nachricht« wird heute von vielen vermisst. Das ist ein Fall für Paulus. Er kennt sie. Er hat sie am eigenen Leib erlebt. Wer mit Paulus danach sucht, wird sie finden, auch heute.
Marc Nussbaumer, geb. 1957, studierte in der Schweiz, in Kanada, in den USA und in Deutschland. Der Pfarrer und Coach ist seit 40 Jahren mit Annarös verheiratet. Sie haben drei Kinder und drei Enkelkinder. In seiner Freizeit ist er Hochsee-Skipper, fährt Ski und reist gerne zu Freunden und Verwandten in aller Welt.