Kapitel 1 Hannah Lapp bedeckte die frisch eingesammelten Eier in ihrem Korb mit der Hand, warf einen schnellen Blick hinter sich und lief eilig den Schotterweg hinauf. Das Licht des frühen Morgens fiel durch die breiten Blätter der großen Eichen, während sie ihren Hoffnungen … und ihren Ängsten entgegenlief. Eine Mischung aus Gerüchen – feuchter Morgennebel, saftige Sommererde, reifes Gartengemüse und duftender Jasmin – lag in der Luft. Hannah liebte die verschiedenen Gerüche der Natur. Als sie weit genug weg war, um von ihrem Vater nicht gesehen zu werden, wenn sie die Kuppe des Hügels überquerte, drehte sie sich um und ließ den Anblick auf sich wirken. Das graue, steinerne Bauernhaus ihrer Familie ragte zwischen den weiten Feldern in die Höhe. Vor siebzehn Jahren war sie in diesem Haus auf die Welt gekommen. Sie schloss die Augen. Ihr amisches Erbe war mehrere hundert Jahre alt, aber ihr Herz sehnte sich danach, genauso modern zu sein wie Computer und das Internet. Die Freiheit lockte sie, aber gleichzeitig ließ die enge Bindung zu ihrer Familie sie nicht los. An manchen Tagen beschlich sie der Wunsch, aus den engen Schranken ihrer Familie auszubrechen. Da draußen gab es ein faszinierendes Leben – ein Leben, in dem man sich frei bewegen konnte. Sie warf noch einmal einen langen Blick auf ihr Zuhause, bevor sie weitermarschierte. Am Ende ihres Weges, der nur anderthalb Kilometer lang war, wartete Paul auf sie. Sie lief schnell weiter und lauschte auf das Morgengezwitscher der Vögel und zählte die Zaunpfähle am Wegrand. Als sie die höchste Stelle der Anhöhe erreicht hatte, hörte sie eine Baritonstimme eine unbekannte Melodie singen. Der Gesang kam aus dem Stall. Sie lief zum Viehgatter am hinteren Ende der Weide, die von dem schmalen Schotterweg gesäumt wurde. Hinter dem Stall
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