Dossier ADOLF SÜDKNECHT 130416 Folge 12 Anno 1933

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Dossier 04/2013 – Adolf Südknecht – THE IMPROVISED HISTROY SHOW Und nun verkapselt sich Kaisers konstruktives Märchen immer tiefer in die seltsamen, schwierigen Abstraktionen eines platonischen Freund-Feind-, HaßLiebe-Gegensatzes. Olim versteckt sich aus Angst vor dem wütenden Severin im höchsten Dachwinkel des Schlosses. Severin hält sich, um zur Besinnung zu kommen, im tiefsten Kellergeschoß selbst gefesselt. Eine ewige Situation, gespiegelt von einer abseitigen, eigenwilligen szenischen Antithese. Jeder argwöhnt Schlimmes von dem anderen; aber die Angst und das Mißverstehen sind der größte Feind. Ein Dritter, die Dame des Schlosses, ist die Nutznießerin dieser […] Feindschaft. Sie hat den Schlüssel zu den beiden Verliesen […]. Das arme Mädchen Fennimore, direkt dem Märchen entsprungen, bringt die Lösung; sie

Der Silbersee. Uraufführung im Alten Theater Auszug: Neue Leipziger Zeitung

19. Feb 1933, S. 2

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er Arbeitslose Severin hat bei einer Lebensmittelplünderung in der Stadt eine – Ananasfrucht „erbeutet“. Auf der Flucht in das armselige Versteck in der Elendskolonie am Silbersee wird Severin vom Landjäger Olim angeschossen und bleibt mit zertrümmerten Oberschenkel liegen. Diese Ananas beunruhigt den Landjäger Olim; er wittert in ihr, als wäre er der Dichter Georg Kaiser, einen tiefen Symbolsinn. […] Wie, ein hungriger Arbeitsloser stiehlt nicht Brot und Fleisch – sondern eine seltene Frucht, Sinnbild des Überflusses? […] „Wenn ich Geld hätte, würde ich den Angeschossenen gesund pflegen, er sollte für immer mein Bruder sein.“ […] Und weil wir im Märchen sind, weitab von der wirklichen Welt, […] geht der Traum sofort in Erfüllung […]: Haupttreffer in der Lotterie. Der reiche Olim […] nimmt den in jedem Sinn Verwundeten auf sein prächtiges Schloß und füttert ihn gesund. […] Olim ahnt nicht, daß er in Severin die Rache hochfüttert. Und Severin ahnt nicht, daß Olim, sein Freund und Beschützer, der gleiche Mann ist, der ihn über den Haufen schoß. […]

Versöhnung gibt es nur, wenn beide Gegner sich beugen schließt die in ihrem Wahn gefangenen Menschen auf. Olim und Severin stehen voreinander, und beide sagen: „Vergib!“. Um dieses doppelte „Vergib!“ zum Tönen zu bringen, hat der Symboliker Georg Kaiser sein Wintermärchen geschrieben. Versöhnung gibt es nur, wenn beide Gegner sich beugen.

[…] Und da zeigt sich: Die Konstruktion will sich nicht mit Blut füllen; silberne Wortblasen steigen auf uns nieder; […] es geht zwar um Menschliches […] und doch bleibt alles Menschliche fremd und fern wie hinter gläsernen Gardinen. Das ist Georg Kaisers Dichtergesetz, dem der Fünfundfünzigjährige nun nicht mehr entrinnen wird. Dieser nach Georg Hauptmann größte deutsche Dramatiker ist […] der strikte Gegensatz zu Hauptmann; dem wird unter seiner Hand jede Figur zum anschaulichen Menschen; dem anderen; Georg Kaiser wird jeder Mensch zur Abstraktion, zur Idee. […] Ein solcher Dichter hat es nicht leicht. Georg Kaiser ist heute […] von großartiger Aktualität. […] Das Alte Theater hat […] die schwere Aufgabe sinnvoll gelöst. Wieder war das Städtische Schauspiel der Treffpunkt der Theaterinteressenten aus Berlin und dem Reich; die Atmosphäre geladen von Gedankenspannung. Alexander Golling, die stärkste Leistung des Abends, war der verkörperte Groll, das Nicht-Vergessen-Können. Am intensivsten wirkte der Ausbruch des Hasses („Es wird nicht vergeben!“) […]. […] Trotz der ermüdenden Deutungen, die der Dichter im Schlussbild gibt, war der Beifall überaus herzlich. Und wie ein Lebenstrost hallt es nach: „Wer weiter muß, den trägt der Silbersee.“ Hans Natonek

Nationalsozialistischer Wahlterror an der Leipziger Universität. Polizei säubert den Augustusplatz Auszug: Neue Leipziger Zeitung 21. Feb 1933, S. 4

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ie am Dienstag stattfindenden AstaWahlen an der Universität Leipzig hatten am Montag vormittag ein für die gesamte Studentenschaft äußerst beschämendes Vorspiel. Die nationalsozialistischen Studenten hatten für 10 Uhr eine Kundgebung auf dem Universitätshof geplant, in der Hoffnung, durch eine mit Uniformen und Fahnen aufgezogene Kundgebung eventuell noch Wähler auf ihre Seite ziehen zu können. Der Rektor der Universität hatte jedoch die Gefährlichkeit eines derartigen einseitigen Vorhabens erkannt und es kurzerhand untersagt. […] Da die in Uniformen und mit Fahnen anrückenden nationalsozialistischen Studentengruppen in der Universitätsstraße und in der Grimmaischen Straße vor den geschlossenen Toren wieder umkehren mußten, […] sammelte sich dort rasch eine Menge Publikum. […] Zunächst nahmen die Studenten die Wahlpropagandazettel der verschiedenen Parteirichtungen ruhig entgegen. Das friedliche Bild änderte sich aber gewaltig, als gegen ½11 Uhr uniformierte nationalsozialistische Studierende sich mehr und mehr in den Türen, auf den Stufen und auf dem Bürgersteig vor dem Universitätsgebäude breit machten.

In der 10-Uhr-Pause fand sich in der Wandelhalle der Universität eine große Anzahl uniformierter Nationalsozialisten ein. Es wurde eine Ansprache gehalten und anschließend das Horst-Wessel-Lied gesungen. Die Kastellane versuchten vergeblich, das Eindringen uniformierter Nationalsozialisten zu verhindern. Doch der Rektor machte […] keinerlei Anstalten, für die Durchführung seines Verbotes zu sorgen. Es dauerte nicht lange, so kam es weiter zu Belästigungen und Anrempelungen vor dem Universitätsgebäude. Das Publikum sah sich zunächst das Hin und Her mit an, ohne sich einzumischen. Als dann aber einem Zettelverteiler der sozialistischen Studentenschaft die Flugblätter entrissen wurden und etwa 20 Nationalsozialisten mit Koppelund Schulterriemen über den Mann herfielen, brach ein Sturm der Entrüstung gegen die Braunhemden los. Der geschlagene Student wurde von Passanten, die den Nationalsozialisten entgegentraten, in Schutz genommen. Pfiffe und Rufe nach der Polizei wurden laut. Auf ein Signal hin sammelten sich die Nationalsozialisten in zwei Gliedern vor dem Universitätseingang. Ein Überfallkommando erschien. Der Augustusplatz wurde geräumt

und die Nationalsozialisten, die sich den Anschein gaben, als müßten sie das Universitätsgebäude schützen, wurden zur Freigabe der Fahrbahn und des Bürgersteigs aufgefordert. Ein nationalsozialistischer Student, der beim Angriff auf den republikanischen Zettelverteiler als Hauptschläger erkannt und zur Anzeige gebracht worden war, wurde mit zur Wache genommen. […] Gegen 12 Uhr war Ruhe und Ordnung wieder hergestellt. Kurz nach 12 Uhr hatten sich unter dem Schutz uniformierter Parteigenossen nationalsozialistische Zettelverteiler am Eingang zur „Mensa“ […] in der Ritterstraße postiert, um dort Propaganda zu machen. Auch hier begannen die Nationalsozialisten, die Zettelverteiler der anderen politischen Parteien […] außer Gefecht zu setzen. Vor der „Mensa“ hatten sich wiederum große Mengen Zuschauer eingefunden, die ihren Unwillen über das Vorgehen der Nationalsozialisten laut zum Ausdruck brachten. Ein großes Polizeiaufgebot machte sich notwendig, um die Straßen freizubekommen und den Studierenden den Gang zum Mittagstisch zu ermöglichen NLZ


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