Erker 05 2011

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gemeinde pfitsch

Gläsernes Tal Seit auf den Wiesen im Hochtal von Pfitsch fünf Gewächshäuser stehen dürfen, ist es mit dem Frieden vorbei. Einheimische und Touristen wettern über „die optische Verschandelung der Natur“. Vor einem Jahr war die Geschichte keine Schlagzeile wert. Ein Pfitscher Bauer stellte ein Gesuch an seine Gemeinde, in St. Jakob ein Gewächshaus zum Himbeeranbau zu errichten. Die Baukommission stimmte zu, auch der Landschaftsschutz hatte nichts einzuwenden, der Bürgermeister stellte die Konzession aus, wollte man doch Alternativen zur Landwirtschaft unterstützen. Dann aber begann die Geschichte seltsame Blüten zu treiben. Der Bauer suchte erneut an, diesmal, auf dem Gewächshaus eine Photovoltaikanlage anzubringen. Häppchenweise folgte ein zweites Gesuch, ein drittes, ein viertes, ein fünftes, ein sechstes und ein siebtes. In der Baukommission und im Gemeinderat läuteten die Alarmglocken: bei diesen Projekten gehe es vermutlich nur darum, profitablen Strom zu verkaufen. Zu spät. Das erste Ansuchen war bereits genehmigt, dasselbe Recht musste auch für die anderen Antragsteller gelten. Bürgermeister Johann Frei sagt später: „Wir waren mit der Situation einfach überfordert.“ Noch oft haben Gemeinderäte über diese Geschichte diskutiert, schoben sich am Ratstisch den schwarzen Peter zu. Ein Rekurs der Bürgerliste, die vergebenen Konzessionen zurückzuziehen, wies das Verwaltungsgericht zurück. Heute gibt es nicht mehr viel zu diskutieren. Die Gewächshäuser stehen: vier in St. Jakob, eines in 16

Die Bewohner im Hochtal müssen sich nun damit abfinden, dass in ihrem Heimatdorf zwischen Bauernhäusern und Wiesen Glasbauten mit fußballfeldgroßen Photovoltaikdächern stehen. „Daran gewöhnen werden wir uns nie“, meint eine Pfitscherin resigniert, „dafür stechen sie zu sehr ins Auge.“ Dieselbe Reaktion will sie auch bei anderen beobachtet haben. Oft habe sie Autos langsamer durch das Dorf fahren oder anhalten sehen, „weil die Insassen wohl nicht verstehen, was das sein soll“. Auch Tagestouristen finden das neue Dorfbild seltsam. „Des schaug brutal aus“, sagt eine junge Sterzingerin nach einer Bergtour in St. Jakob. Und ein Stammgast aus San Benedetto del Tronto meint: „Purtroppo il mio angolo di paradiso tranquillo é svanito con questi pannelli perché non mi danno la tranquillità di trascorrere le vacanze in pace e nella natura.“ Außer den Betreibern und einiger „Befangener“ seien wohl alle Pfitscher gegen die Gewächshäuser, glaubt ein Pfitscher. „Riesengewächshäuser, ausgerechnet in Pfitsch, wo im Winter minus 25 Grad herrschen und drei Monate im Jahr keine Sonne scheint.“

möglich ist. Dies hätten ihnen auch Obstbauexperten bestätigt. Philipp Volgger aus St. Jakob ist einer der Gewächshausbauern. Anfang Mai will er in seinem 8.000 m 2 großen Gewächshaus 500 Himbeerstauden pflanzen, verschiedene Sorten, darunter Tulameen, eine aromatische Sorte mit großen Beeren – ein Test. Die Sorten, die am besten gedeihen, werden dann ab Herbst angebaut. Dass die Gewächshäuser taleinund auswärts so scharf kritisiert werden, kann Volgger nicht nachvollziehen. „Seltsam, dass wir uns nach der Atomkatastrophe in Japan noch immer für den Einsatz erneuerbarer Energien rechtfertigen sollen. Erneuerbare Energien ja, aber nur nicht bei uns oder beim Nachbarn.“ Einen Seitenhieb an Kritiker will er sich dabei nicht verkneifen: „An radioaktiver Verstrahlung kann man sterben, durch das Ansehen von Gewächshäusern, so hoffe ich, nicht“. Volgger sagt, er habe sehr wohl positive Rückmeldungen für sein Gewächshaus erhalten, vor allem von Touristen, die es „schön“ und „zukunftsweisend“ gefunden hätten, oder von einigen Einheimischen, welche es als „Alternative zur herkömmlichen Landwirtschaft“ sahen und sagten, „endlich werde hier etwas gemacht“.

Die Gewächsbauern sind überzeugt, dass ein Himbeeranbau auf 1.500 Metern Meereshöhe

Weil hier seine Heimat sei, sein Hof hier stehe und er Alternativen zur herkömmlichen Landwirt-

Platz. Insgesamt wären es sieben, hätten zwei Antragsteller nicht auf ihr Gewächshaus verzichtet.

schaft gesucht habe, habe er mit dem Bau eines Gewächshauses begonnen. Trotzdem werden im Tal viele die Vermutung nicht los, es gehe dabei nur um profitablen Strom. Die Photovoltaikanlagen auf den Dächern wären jetzt auch bereit zur Stromproduktion – hätte das Stromnetz auch die Kapazität, die insgesamt 1,5 Megawatt aufzunehmen. Das Netz in Pfitsch und Wiesen ist beinahe überlastet. Das liegt nicht allein an den Gewächshäusern. In den vergangenen Jahren haben sich mehrere Stromproduzenten, u. a. Wasserkraftwerksbetreiber – 2009 waren es in Pfitsch drei, 2010 zwei – an das Netz angeschlossen, manche haben es demnächst vor. „Wer erneuerbare Energien produziert, hat das Recht, seinen Strom ins Netz einzuspeisen“, erklärt Luis Amort, Direktor des Stromverteilungs- und Wartungsunternehmens SELNET, einer Tochtergesellschaft der SEL AG. Der Engpass sei nur bedingt vorhersehbar gewesen. „Fragen Antragsteller in der Gemeinde um Konzessionen an, vergessen sie oft, auch beim Stromverteiler nachzufragen, ob er überhaupt die Kapazität hat, ihre erneuerbaren Energien weiterzutransportieren.“ Diese Kapazität wird nun knapp. Es braucht größere Transformatoren und neue Stromleitungen. Von einer Potenzierung des Stromnetzes ist schon seit über einem Jahr die Rede. Bis sie erker mai 11


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