archithese 5.03 - Farbe / La couleur

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strengen Regeln und Prinzipien der Minimal Art. Für ihre

eine Ornamentierung des Fussbodens verzichtet werden. Der

Werke benutzten sie alltägliche Materialien wie Textilien,

Künstler spielt bewusst mit den architektonischen Elemen-

Blei, Latex, Glas, Schaumstoff sowie vergängliche Stoffe.

ten, indem er beispielsweise die Heizstäbe wie Imitate von

Auch die Ursprünge des architektonischen Umgangs mit

Neonröhren in die Wandpaneele integrierte.

Raum und Zeit in Keith Sonniers Werken lassen sich bereits

Der 1000 Meter lange Gang des «Lichtwegs» bietet einem

in den Werken der Sechzigerjahre finden. Er suchte für seine

keine Möglichkeit, das Kunstwerk von einem einzigen Stand-

Skulpturen nach einer neuen Beziehung zu Boden und Wand

ort aus zu betrachten. Die Dynamik der an sich statischen

und setzte sich mit dem umgebenden architektonischen

Lichtinstallation wird erst durch die Bewegung des Reisen-

Raum auseinander. Sonniers Ziel war eine ganzheitliche

den erzeugt. Die Fernwirkung des Kunstwerkes scheint da-

Wahrnehmung von Kunst, die sowohl auf visueller, akus-

bei grösser als die Nahwirkung, da die in der Ferne verdich-

tischer als auch haptischer Erfahrung basierte. Der Prozess

teten Farbfelder sich beim Nähern in einzelne Lichtquellen

eines Kunstwerks war wichtiger geworden als eine finale

auflösen. Der Gang ist in fünf rote Lichtzonen unterteilt, die

Form. «Ich glaube, das war das Bemerkenswerteste an den

sich mit vier blauen Lichtzonen abwechseln. In den einzelnen

Künstlern meiner Generation, die damals mit den Medien ar-

Zonen beleuchten die durchlaufenden farbigen Neonröhren

beiteten, sie forschten.»1

jeweils die Seite des Ganges, an der auch das Rollband läuft.

Der Betrachter war nicht länger Konsument, sondern

Diese Position wechselt immer zwischen den verschiedenen

wurde Partizipient. Die Ausstellungsbesucher wurden ge-

Farbzonen von rechts nach links. Dadurch wird der ansonsten

filmt, im Nebenraum projiziert, die Installation «Air to Air»

sehr langgezogene, strenge Raum in einzelne Segmente ge-

bestand in einer offenen Telefonleitung, welche die Leo

gliedert. Während die roten Zonen den Passagier auf seiner

Castelli Gallerie in New York mit der ACE Galerie in Los An-

Reise begleiten, wird der Gang in den blauen Zonen durch

geles verband. Auch die Serie «BA-O-BA », die sich durch

Aufenthalts- bzw. Eingangsbereiche unterbrochen und vom

Keith Sonniers Werk zieht, beruht auf dem Konzept der inter-

Tageslicht erhellt. Dies findet auch in der Lichtinstallation

aktiven Licht- und Raumerfahrung, wie schon der kreolische

Ausdruck, indem in den roten Zonen die zusätzlich installier-

Begriff «Baden im Mondlicht» veranschaulicht. Sonnier

ten farbigen Lichtquellen, Spiegel und Gläser lebendiger ge-

wählte den Begriff als Tribut an seine Heimat in Lousiana, wo

staltet sind als in den blauen Zonen.

er in einer Cajun-Gemeinschaft mit französischen, englischen und afrikanisch-kreolischen Wurzeln aufwuchs.

Insgesamt ist die Lichtinstallation so stark in das Gesamtgeschehen des Flughafens miteinbezogen, dass man sie auf

Seit 1968 beschäftigt sich Sonnier mit Neon. Als in Ame-

den ersten Blick nicht als Kunstwerk wahrnimmt. In den meis-

rika weitverbreiteter Werbeträger war Neon Symbol eines

ten Bereichen scheint sie von ihrer Intensität her den Raum

Lebensgefühls geworden: «Es war überhaupt die stärkste re-

eher zu begleiten als zu bestimmen. Am stärksten kann sich

ligiöse Erfahrung in Louisiana: Spät nachts vom Tanzen zu

die Wirkung der Lichtinstallation an den beiden roten Rand-

kommen, über dieses flache Land zu fahren und plötzlich Wel-

bereichen entfalten, wo die äusseren Einflüsse am gerings-

len von Licht zu sehen, die sich im dichten Nebel auf und ab

ten sind.

bewegen.»2

1 Die Lichtinstallation «BA-O-BA » in der Neuen Nationalgalerie Berlin im Winter 2003/03 beschränkte sich auf die Primärfarben Rot, Gelb und Blau. Keith Sonnier interpretiert das von Mies van der Rohe erbaute Gebäude mit einem reduzierten, streng gegliederten Lichtgitter. Bei Dämmerung entsteht der Dialog zwischen der nüchternen Stahlarchitektur und den leuchtenden Neonfarben. Die an den Fenstern angebrachten Neonröhren spiegeln sich in diesen wider und erleuchten den Innenraum von aussen her. (Foto: Christian Gahl)

Während nach Sonniers Auffassung Kunst im öffentlichen Raum auch die Aufgabe hat, diesen lesbarer zu machen, ver-

Lichtweg

steht er seine Arbeiten im öffentlichen Raum dennoch nie als

Um eine weitere Dimension der Interaktion von Betrachter

primär funktionelles Leitsystem.

und Kunstobjekt zu erreichen, installiert Sonnier Kunstobjekte auch ausserhalb von Museen. Durch ihre Position im öf-

Verbindung RotBlauGelb

fentlichen Raum werden diese Arbeiten Teile des alltäglichen

Keith Sonniers leuchtender unterirdischer Gang der Münch-

Lebens. Sie sind einem breiten Publikum zugänglich und ha-

ner Rück vereinnahmt durch seine ästhetische Farbigkeit, die

ben eine längere Lebensdauer als Museumswerke. Viele von

erst beim Entlangschreiten des Ganges eine subtile, viel-

Sonniers Arbeiten in der Öffentlichkeit nehmen Bezug auf

schichtige Wirkung entfaltet. Der Gang ist niedrig und breit,

Verkehrssysteme und Bewegungen im Raum.

wodurch die horizontalen Elemente Decke und Boden betont

Keith Sonniers grösste Lichtinstallation dieser Art ist der

werden. Die in die modulierte Decke integrierten Neonröh-

«Lichtweg» im weissen Flughafen München (Busso von

ren schaffen durch ihre parallele Aneinanderreihung einen

Busse) von 1989 – 92. Der Installation liegt der Gedanke zu-

intensiven Farbhimmel. Abwechselnd taucht man in rote,

grunde, dass der Flughafen oft der erste und letzte Ort ist,

blaue, gelbe Farbräume ein, die sich an den Übergän-

den man von einer Stadt sieht, und dass unter dieser Prä-

gen zu neuen Farben mischen. Vor allem der Übergang von

misse ein dauerhafter Eindruck umso wichtiger erscheint.

kalten zu warmen Farben erzeugt eine hohe Spannung. Die

Dort, wo die Menschen auf dem Weg sind, entweder gerade

Lichtquellen schaffen Farbe als räumliche Volumina. «Für

ankommen oder bald abreisen, begleitet der «Lichtweg» das

mich war Licht stets eine Möglichkeit, volumetrische Räu-

Personen-Transport-System unterhalb der Ankunfts- und Ab-

me innerhalb eines schon bestehenden Raumes zu schaf-

flugbereiche im Terminal 1. Keith Sonnier wurde von Anfang

fen.»3

an in den entwurfsplanerischen Prozess miteinbezogen. Im

Der geschliffene und mehrfach lackierte Industrieboden

Bereich des «Lichtwegs» konnte auf Werbeflächen sowie auf

öffnet den Raum optisch nach unten hin und reflektiert

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