archithese 2.06 - Hotel-Strategien / Stratégies hôtelières

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Hotel-Strategien – Stratégies hôtelières

archithese

2.2006

Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur

Glossar zum Thema Hotel

Revue thématique d’architecture

Hotel Puerta América, Madrid Interiors von Matteo Thun und Graftlab Steven Holl: Hotel Loisium Hotels von Herzog & de Meuron und Norman Foster Praktisch, preiswert, hip: Cheap Hotels Historische Hotels in der Schweiz Berlin – viele Zimmer, wenig Highlights Hotels und die Ökonomie der Hygiene Hotels und Urbanismus in Dubai Herzog & de Meuron Walker Art Center, Minneapolis smarch Welle von Bern Jens Studer Mehrfamilienhaus, Uerikon Märkli Kühnis Wohnhaus Bäckeranlage, Zürich

Hotel-Strategien Stratégies hôtelières

www.schindler.ch Leserdienst 115

März/April archithese 2.2006

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EDITORIAL

Hotel-Strategien Es ist nicht allzu lange her, da war die Übernachtung in einem Hotel eher eine unverzichtbare Notwendigkeit auf Reisen denn ein Wert an sich. Beruflich oder privat unterwegs, hatte man die Wahl zwischen lieblos eingerichteten Pensionen oder standardisierten Kettenhotels. Mit dem von Andrée Putman eingerichteten

Morgans an der Madison Avenue öffnete 1984 das erste Design-Hotel seine Pforten, und die Hotellerie wandelte sich. Lange Zeit setzten die von Philippe Starck für Ian Schrager ausgestatteten Hotels Massstäbe, inzwischen haben sich die zunächst als Nischenkonzept gestarteten Design-Hotels popularisiert und diversifiziert. Cutting-Edge-Designer wie die einstige Starck-Schülerin Matali Crasset oder der hippe Karim Rashid realisieren ihre eigenen Hotelprojekte, und im Hotel Puerta

América in Madrid wurden unter der Oberleitung von Jean Nouvel 19 prominente Designer und Architekten zusammengebracht. Zunächst mag das wie der absolute Overkill an Gestaltung anmuten, doch wer das Puerta América besucht hat, wird konzedieren, dass es immer noch möglich ist, der Gestaltung eines Hotelzimmers neue Reize zu entlocken. Und dass die Stadt Madrid vor der Haustür eigentlich gar nicht mehr nötig ist. Gut gestaltete Hotels können heute durchaus zum eigentlichen Ziel der Reise avancieren. Davon zeugt nicht zuletzt eine Flut von Veröffentlichungen, die inzwischen selbst jede Bahnhofsbuchhandlung in der Provinz feil bietet: «Hip Hotels» und «Spa Resorts» auf allen Kontinenten. Aber natürlich ist der schöne Schein der Oberfläche nicht alles. Die Diversifizierung des Angebotes ist auch Resultat veränderter Strategien, sich auf einem zunehmend globalen Markt zu positionieren. In einem Glossar, das sich mit dem Thema Hotellerie befasst, soll auf einige der heutigen Tendenzen hingewiesen werden. Einen Zukunftsmarkt stellen zweifellos Budget-Hotels dar, die sich in einem von der Logik des Billigfliegers bestimmten Reisemarkt positionieren. Zwei Fallstudien zum Stand der Hotellerie in Berlin und Dubai runden das Spektrum ab.

Redaktion

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archithese 2.2006

Karim Rashid: Hotel Semiramis, Athen 2004



Ein Glossar zum Thema Hotel

VON ARCHITEKTUR BIS ZIMMERPREIS

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archithese 2.2006


Texte: Klaus Leuschel, Hubertus Adam

getragen wurde. Verstanden als Dienstleistung, die ein brie-

fing abarbeitet, steht diese Verkürzung im Widerspruch zu Architektur

der in Europa verankerten Definition «zwischen Kunst und

Definiert, was im Unterschied zum Bauen jene klassischen

Wirtschaft». Matadorin der Designkompetenz ist die Franzö-

Ansprüche erfüllt, die in der Antike zur Stellung der Archi-

sin Andrée Putman, die mit zahlreichen Hotels Massstäbe

tektur als Mutter der Künste geführt hat. Folglich ist es auch

gesetzt hat ( Morgans NYC, 1984; Le Lac, Kawaguchiko-cho

legitim, bei profanen Kästen der k Hotelketten nicht von Ar-

1988; Wasserturm, Köln, 1990; Pershing Hall Paris, 2001). Ihr

chitektur zu sprechen. Mit diesem Anspruch ist ferner ver-

Landsmann Philippe Starck trieb das Design nachfolgend

bunden, dass Architektur keine beliebige Hülle ist, sondern

spielerisch eklektizistisch auf eine vorläufige Spitze und

zwischen Raum und dessen Begrenzung ein Dialog besteht.

schuf für die Hotels von Ian Schrager stilbildende Interieurs

Hingegen lassen Betreiber von k Kettenhotels Hotels häufig

(insgesamt sieben Hotels, vom Royalton, 1988, NYC , bis zum

von Architekten entwerfen, denen kein Mitspracherecht am

Sanderson, 2000, London). Seit 2005 besteht ein Vertrag zwi-

Interieur zugestanden wird. Das wird stattdessen bei einem

schen Starck und dem in Genf domizilierten Mischkonzern

Büro für Interior Design in Auftrag gegeben, das die jeweili-

F6, um weltweit Hotels zu lancieren, «designed by Starck»

gen Präferenzen effizient umsetzt. Ein Beispiel dafür ist die

und unter dem Etikett Starck. Auch wenn Starck mit YOO-Re-

Hyatt-Gruppe – was insofern erstaunt, als dahinter die Eigner

sidenzen bereits im Bereich der

der Pritzker-Familie stehen, die sich mit dem gleichnamigen

darf bezweifelt werden, ob es sich hier um mehr als eine

Preis die Auszeichnung von Architektur auf dem Niveau des

Grille von F6-CEO Prinz Faisal Al Saud handelt.

k Parahotellerie aktiv ist,

Nobelpreises auf ihre Fahnen geschrieben hat. Zunehmend ins Blickfeld rücken Aufgaben wie die Reno-

Design-Hotel

vierung oder Umnutzung vorhandener Bausubstanz: Als he-

Aus der Marktnische Design-Hotel ist inzwischen ein Trend

rausragendes Beispiel gilt bis heute der Kölner Wasserturm,

geworden. Während Andrée Putman und Philippe Starck mit

bei dem Andrée Putman 1990 mit ihrem Design bewies, wie

ihren ersten Hotels für Ian Schrager Neuland betraten, hat

spannend Qualitäten aus dem Gegensatz zwischen histo-

sich das Angebot inzwischen deutlich diversifiziert. Zu den

risch und modern sein können. Das Great Eastern Hotel in

Gestaltern einer neuen Generation zählen Ron Arad, die eins-

London steht für die erfolgreiche Wiederbelebung eines his-

tige Starck-Schülerin Matali Crasset, Karim Rashid oder Graft.

torischen Hotels.

Einen bisherigen Höhepunkt hat der Trend Design-Hotel mit

archithese

ter der Oberleitung von Jean Nouvel waren 16 weitere Archi-

hat auch in der Vergangenheit verschiedentlich das Thema

tekten und Designer beteiligt.

dem Hotel Puerta América in Madrid erhalten ( k S. 24); un-

Hotel behandelt; besonders hinzuweisen ist auf Heft 3.1999 (Hotelbau) und Heft 3.2005 (Bauen in den Bergen).

Fantasy-Hotel k S. 15

Boutique-Hotel k Design-Hotel, k S. 24, S. 30

Ferien-Hotel Der Dachbegriff für das Hotel in zumeist ländlicher Umge-

Budget-Hotel k S. 17, S. 20

bung, das der Unterscheidung gegenüber dem eher städtischen k Business-Hotel dient; unterteilt gemäss Standard in

Business-Hotel

k Sternekategorien.

Der Dachbegriff für Hotels im Stadtraum, welcher der Unterscheidung gegenüber

k Budget-, k Tourist-Hotel oder dem

Hotelsterben

eher ländlichen k Ferien-Hotel dient; unterteilt gemäss Aus-

Als Orte für eine temporäre Behausung spiegeln Hotels die

baustandard in k Sternekategorien.

jeweilige Lebenswirklichkeit der Zeit. Das unterwirft sie im starken Masse dem Wechsel der Moden. Die repräsentativen

Design

Grandhotels der Jahrhunderwende wurden schon in den

Form und Funktion, Poesie und Zeichenhaftigkeit machen

Zwanzigerjahren in Frage gestellt, als ein informellerer und

das Spannungsfeld im Design aus. In der Hotellerie gilt De-

sportlicherer Lebensstil sich durchzusetzen begann. Das ei-

sign meist als Synonym für Lifestyle und Zeitgeist. Infolge-

gentliche Hotelsterben setzte jedoch erst nach dem Zweiten

dessen wird der Designbegriff vom Hotel-Management be-

Weltkrieg ein. Ein verändertes Reiseverhalten in der zuneh-

nutzt, um kommunikativ vorgebliche Aufgeschlossenheit und

mend mobilen Gesellschaft war einer der Gründe. Doch auch

Jugendlichkeit durch eine entsprechende Bildsprache zu be-

die Ansprüche an den Komfort hatten sich gewandelt: Die

haupten. Folglich findet er inflationär Verwendung und ka-

grosse Lobby wurde verzichtbar, dafür setzte sich das Zim-

schiert häufig konzeptionelle Mängel.

mer mit Bad und Toilette durch – eine Anforderung, die sich

Hotel-Design bezeichnet zunächst die bewusste Ausgestaltung der Architektur. Wenn damit auch beliebige Interi-

in der Baustruktur vieler historischer Hotels nicht realisieren liess.

eurs bezeichnet werden, ist das die Folge eines Designver-

Lugano beispielsweise erlebte das grosse Hotelsterben in

ständnisses, das vom US-Marketing in die Hotellerie hinein-

den Siebziger- und Achtzigerjahren, aktuell ist im starken

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Hotel Puerta América in Madrid Das nunmehr seit zwei Jahrzehnten erfolgreiche Konzept des Design-Hotels hat mit dem Hotel Puerta América eine neue Dimension erhalten. Unter Leitung von Jean Nouvel arbeiteten 18 weitere Architekten und Designer an der Ausstattung. Der Aufwand hat sich gelohnt: Faszinierend ist die Vielfalt von möglichen Lösungen für die Ausstattung eines Zimmers oder Flurs.

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zunehmendes Interesse an Architektur und Design, das seit der Postmoderne weltweit zu verzeichnen und mit dem Starphänomen gekoppelt ist: Bekannt sind einem breiten Publikum vor allem die big names der Gestaltungswelt. Firmen wie Alessi, die verschiedentlich die internationale Designprominenz zu gemeinsamen Projekten zusammengeführt haben, aber auch die Architekturkollektion von VitraCEO Rolf Fehlbaum oder das Museum in Groningen, an dem Michele de Lucchi, Alessandro Mendini, Philippe Starck und Coop Himmelb(l)au gemeinsam arbeiteten, mögen das Vorbild für das Grand Hotel Salone gewesen sein. Die spanische Unternehmensgruppe Silken, die 1995 mit drei Hotels begann und zehn Jahre später 26 Häuser vorweisen kann, hat nun die Idee des Design-Hotels mit dem Puerta

ALLES DESIGN

América in Madrid in eine neue Dimension überführt. 75 Millionen wurden in das Gebäude investiert, das sich im Osten der Innenstadt an der viel befahrenen Avenida de América befindet. Das Gebäude mit seinen 14 Stockwerken besteht aus zwei in einem stumpfen Winkel von 150 Grad aufeinander stossenden Flügeln – mit den vier Lifts, welche in der Mitte der Fassade auf- und abfahren, gelangt man auf die ein-

1 Fassade des Hotels von Jean Nouvel (Fotos: Hotel Puerta América/ Hubertus Adam) 2 Spa im Dachgeschoss von Jean Nouvel 3 Rezeptionsbereich von John Pawson 4 Bar Marmo von Marc Newson

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archithese 2.2006

Text: Ahmed Sarbutu

zelnen Stockwerke. Dort zweigen von dem kreisrunden Emp-

Grand Hotel Salone – Il design alberghiero hiess eine Sonder-

fangsbereich jeweils zwei Korridore mit insgesamt 28 Zim-

ausstellung auf der Fiera Milano im Rahmen des Salone Inter-

mern ab; dazu kommen pro Geschoss zwei Juniorsuiten an

nazionale del Mobile 2002. Unter der Oberleitung des New

den Gebäudestirnen.

Yorker Designers Adam D. Tihany, der in den letzten Jahren

Die Struktur des Hotels stammt ursprünglich von SGA

vor allem durch Restaurantgestaltungen international be-

Estudio, wurde dann aber von Jean Nouvel überarbeitet. Der

kannt geworden ist, entwarfen zehn prominente Architekten

Fassade verpasste er ein Schuppenkleid aus gelben, orangen

und Designer jeweils ein Hotelzimmer – Tihany selbst war für

und roten Sonnenstoren, auf welche die Verse von Paul Elu-

die verschiedenen öffentlichen Bereiche verantwortlich, also

ards Gedicht Liberté in verschiedenen Sprachen aufgedruckt

Restaurant, Lounge, Lobby, Wine Bar. Als Vorgabe erhielten

sind. Überdies war Nouvel für das Dachgeschoss mit Spa-Be-

die Gestalter jeweils den Namen einer Weltmetropole zuge-

reich, Bar-Restaurant und Sonnenterrassen verantwortlich –

wiesen, auf deren Atmosphäre sie mit ihrem Interior Design

sowie für die zwölf Suiten in der Ebene darunter. Mit der Ein-

reagieren sollten. So setzten sich Ricardo und Victor Lego-

beziehung von Fotografien knüpft der Franzose an The Hotel

retta mit Berlin, Matteo Thun mit Hongkong, Vico Magistretti

in Luzern an; der eigentliche Reiz der Räume besteht aber in

mit London, Ron Arad mit Mexico City, Gaetano Pesce mit

Schiebepaneelen, welche es erlauben, die Suite in verschie-

Moskau, Toyo Ito mit New York, Richard Meier mit Paris,

dene Kompartimente zu unterteilen. Der Badbereich lässt

Arata Isozaki mit Rom, Jean Nouvel mit Tokio und Zaha

sich somit wahlweise schliessen oder in das Raumkontinuum

Hadid mit Sydney auseinander.

integrieren.

Die Veranstalter der Mailänder Möbelmesse hatten damit

Die bizarr gewundene Lampe Vortexx, die ihre Farben

einen Trend gleichsam potenziert, der 1984 mit dem von An-

wechselt, empfängt zusammen mit aus den Wänden heraus-

drée Putman für Ian Schrager eingerichteten Hotel Morgans

schiessenden Wänden die Besucher im Entrée des Geschos-

in New York begonnen hatte: den Trend des Boutique- oder

ses von Zaha Hadid. Die skulpturale Konzeption setzt sich

Design-Hotels. Schragers weitere Hotels, für die seit dem

überzeugend in den zum Teil weissen, zum Teil schwarzen

Royalton (1988) in New York Philippe Starck verantwortlich

Zimmern fort, wo Boden, Wände, Decken und Möbel nahtlos

war, bewiesen, dass ein opulentes, intelligent und ironisch

ineinander übergehen. Ebenso bilden Waschbecken und Bade-

entworfenes Interieur durchaus nicht nur ein Nischenpub-

wanne eine grottenartige Einheit. Möglich war die konse-

likum der Kunst- und Designszene ansprach. Begünstigt

quente Gestaltung dank dem neuen Material LG Hi-Macs,

wurde der Trend des Design-Hotels zweifelsohne durch ein

einem acrylgebundenen Mineralwerkstoff, der fugenfreie


Verarbeitung in jeglicher Form erlaubt. Verwendet wurde es auch von einigen anderen Beteiligten: so von Kathryn Findlay, die ein organisch-futuristisches Interieur realisierte, oder von Ron Arad, der seine Zimmer durch eine Kombination kreisförmiger und elliptischer Räume gliederte. Ein irritierendes Ambiente aus spiegelnden Splittern hat Studio Plasma inszeniert, distinguierter und zurückhaltender zeigen sich

2

die Zimmer von David Chipperfield, deren Geometrie auf den Raster der Terrakottafliesen des Bodens abgestimmt ist, oder von Norman Foster, der auf Ledermobiliar setzte und die Duschkabine als linsenförmiges gläsernes Volumen ausbildete. Man kann das Konzept des Puerta América vorschnell als zeitgenössischen Manierismus abtun. Gewiss gibt es manche Zimmer – die von Victorio & Lucchino oder von Javier Mariscal und Fernando Salas –, die zum Kitsch tendieren, doch insgesamt überzeugt das Hotel. Hier wurden keineswegs Standardzimmer modisch aufgepeppt, hier durften Architekten und Designer tatsächlich experimentieren und sonst als unumstösslich geltende Gewohnheiten in Frage stellen. So ist das Puerta América ein Befreiungsschlag gegen die Macht

3

der Konvention und ein Plädoyer für mehr Mut im Bereich der Hotellerie. Wählen sollte man die Räume nicht zuletzt nach der Betätigung, der man sich in den nächsten Stunden hinzugeben gewillt ist. Wer beispielsweise am Laptop arbeiten will, ist mit dem Raum von Kathryn Findlay, der nach Aussagen der Architektin als gebauter Orgasmus zu verstehen ist, eher schlecht bedient, fände aber mit dem überlangen Tisch bei David Chipperfield beste Bedingungen. Dass verschiedene Handschriften durchaus harmonisch zusammenfinden können, beweist das Erdgeschoss: Die stabartige Holzstruktur der Rezeption stammt von John Pawson, das Restaurant Lágrimas Negras von Christian Liaigre, die durch einen Screen aus Aluminiumstäben und eine Bar aus einem Block Carrara-Marmor akzentuierte Bar von Marc Newson. Der Wille zur Gestaltung bricht sich selbst in der Tiefgarage (Teresa Sapey) Bahn – oder im Garten (Bourne and Bell), in dem überdies eine sichelförmige Plastik von Oscar Niemeyer steht. Autor: Ahmed Sarbutu ist Architekturkritiker und lebt abwechselnd in Berlin, Hongkong, London, New York und Zürich.

4

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Text: Ulrich Brinkmann

HOTEL Q!, BERLIN

Nein, Lokalkolorit anzurühren sei nicht ihr Ziel gewesen beim Entwurf des Hotel Q !, räumt Wolfram Putz vom Architekturbüro Graftlab ein. Das im Herzen des alten West-Berlin, in der Knesebeckstrasse zwischen Kurfürstendamm und Savignyplatz günstig gelegene Haus sollte auf eine gewisse Art «grösser» sein als Berlin. Oder, anders gesagt, so gross, wie sich seine von Berlin und Los Angeles aus arbeitenden Architekten die Stadt oft imaginieren: kosmopolitisch, weltgewandt und ein bisschen kalifornisch. Dem Gast dürfte zu allererst eine andere Eigenschaft des 2004 eröffneten Design-Hotels auffallen: Das Hotel Q ! ist, gestalterisch gesehen, bilingual. Darin ist es anderen Berliner Hotels verwandt. Doch während anderswo das Äussere architektonische Ambition verrät, das Innere aber weniger geschmackvoll ausstaffiert wurde, ist es hier genau umgekehrt: Von aussen gibt sich das Hotel zurückhaltend bis zur Biederkeit, versprüht weder Geist noch Esprit – und entfaltet im Inneren eine retrofuturistische, hollywoodesk anmutende Kombination aus schwingenden Formen, kräftigen Farben, 2

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archithese 2.2006

klaren Flächen und reduzierten Materialien. Die Ursache: Für


5

3

6

4

Aussen und Innen zeichnen wie bei den meisten Hotelpro-

verschmolzen wurden. Am auffälligsten ist dies in jenen Zim-

jekten unterschiedlich inspirierte Planer verantwortlich.

mern und Studios, bei denen Bett und Badewanne quasi ein

Zwar hatten Graftlab Vorschläge erarbeitet, nachdem sie mit

Ganzes bilden, geschieden allein vom Wechsel des Materials

dem Interior Design beauftragt worden waren, doch das

– und auch den hätten die Architekten umgangen, hätte

begrenzte Budget und der knappe Realisierungszeitraum

ihnen ein Tischler Gewährleistung geboten für ganz in Holz

verhinderten eine Umplanung, was umso bedauerlicher ist,

gekleidete Badewannen.

als das Haus nicht nur in einer Strassenflucht steht, sondern auch in der Blickachse der Mommsenstrasse.

1 Lobby und Bar (Fotos: Graftlab) 2 Erdgeschoss 1:400 3+4 Entwurfskizzen 5 Hotelzimmer 6 Spa

Jedes Detail erforderte eine Abwägung von Chancen und Risiken. Dabei war auch Graftlab klar, dass das Interieur

Was das Q ! von den anderen in Berlin als «Design-Hotel»

eines Hotels als vorübergehender Wohnort eine andere

firmierenden Häusern abhebt, ist die Entscheidung, das

«Schussfestigkeit» braucht als ein privates Wohnhaus. Doch

Haus nicht einfach mit Designermöbeln und dazu passender

auch dem Gast wird etwas abverlangt: sich seiner Alltags-

Kunst einzurichten, sondern eine Stufe früher anzusetzen,

rituale bewusst zu werden und mit Raum und Gewohnheiten

bei den Räumen und ihren Übergängen selbst; im Sinne einer

für die begrenzte Zeit des Aufenthalts zu experimentieren.

Idee von Signature oder Autorschaft, wie sie bei einem Hotel

Die fürsorgliche Crew des Hotels lässt ihn dabei nicht im

unlängst wieder in Madrid, beim Hotel Puerta América,

Stich. Jeder Ankömmling wird auf sein Zimmer begleitet, und

umgesetzt worden ist. Die Räume wirken denn auch grösser

die wichtigsten Funktionen werden erklärt. Die Zimmer mit

als sie sind: indem sie sich nach aussen oder oben öffnen,

«offener» Badewanne werden übrigens stärker nachgefragt

mit weissen Vorhängen flexibel geteilt werden können und

als die konventionell eingerichteten, berichtet die PR-Beauf-

indem kleinteilige, den schweifenden Blick fangende Details

tragte Sonja Müller. Solange die grossen Ketten so wenig Ver-

so weit wie möglich vermieden wurden – so weitgehend,

trauen in die Experimentierlaune eines Reisenden setzen,

dass mitunter ganze Elemente der Einrichtung miteinander

müssen Hotels wie das Q ! um ihre Nische nicht bangen.

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Das Hotel und die Ökonomie der Hygiene Die Hyper-Modernität der Tourismusindustrie scheint auszuziehen, um das Erbe der Moderne und des industriellen Nomaden zu attackieren und mit den eigenen Waffen zu schlagen: Hygiene. Das Ornament hat sich gewandelt. Es wird aus rationalen Gründen eingesetzt und für ökonomische Absichten instrumentalisiert.

ORNAMENT UND HYGIENE Text: Dirk Hebel und Deane Simpson

lesen werden? Wenn dem so ist, widerspricht dieser Hygie-

Orlando, Florida, ist eine metropolitane Stadtlandschaft, ent-

nebegriff grundlegend dem der aufkommenden Moderne und

wickelt als Gefüge von Hotels, oder besser: eine Stadtland-

hebt das All Star Resort in den Rang eines architektonischen

schaft aus Resorts, abhängig von einigen der grössten Ver-

Modells für das 21. Jahrhundert.

gnügungsparks der Welt. Im Jahr 2005 meldete Orlando den

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts war die Aufgabe,

Bestand von 109 784 Hotelzimmern. Disneyworld liess 1965

den menschlichen Körper zu behausen, nicht mehr aus-

verlauten, dass es die treibende Kraft war bei der Vervierfa-

schliesslich diejenige von Architekten, sondern zunehmend

chung der Bevölkerung in der Region von 39 000 Einwohnern

auch die von Spezialisten wie Ingenieuren, Technikern und

1960 auf 1,645 Millionen Einwohnern im Jahr 2000. In den

auch Medizinern. Diese Entwicklung prägte neben einer theo-

letzten Jahrzehnten hat Orlando gemeinsam mit Las Vegas

retischen Auseinandersetzung auch das ästhetische Auftre-

um die zweifelhafte Ehre gebuhlt, den weltweit grössten

ten von Architektur. Die enge Zusammenarbeit von Architek-

Bestand an Hotelbetten anzubieten.

ten und Medizinern führte zu einem Verständnis der Architektur als Mediator von Ideen, Konzepten und Theorien eines

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archithese 2.2006

Hygienediskurs und Architektur

neuen Hygienebegriffs. Als Beispiel hierfür könnte die Ent-

Disneys All Star Resort in Orlando wurde vom in Miami an-

deckung des Tuberkuloseerregers durch Robert Koch stehen

sässigen Architekturbüro Arquitectonica in Zusammenarbeit

– und ihre Auswirkungen auf Sauberkeit im räumlichen und

mit HKS entworfen. 1999 fertig gestellt, umfasst der aus drei

auch ästhetischen Bereich. Architektur selbst wurde als Hei-

eigenständigen Dörfern bestehende Komplex insgesamt 5760

lungsmaschine begriffen und vermarktet als Bereitstellerin

Themenzimmer.

von frischer Luft, heilender Sonne, abwaschbaren Materia-

In Resort triumphiert das Ornament des zeitgemässen Kit-

lien und, daraus resultierend, weissen Wänden. Sauberkeit

sches 1. Dieses erheischt die Aufmerksamkeit der Besucher

und Gesundheit wurden als Verbündete einer architektoni-

und Betrachter. Doch bemerkenswert ist es auch im Kontext

schen Heilung erachtet. Aber dies bedeutete nur eine Mo-

einer Ökonomie der Hygiene. Spätestens seit Adolf Loos gilt

mentaufnahme einer langen Entwicklung. Jede Epoche und

das Ornament als Sinnbild des Dis-Funktionalen, Irrationalen

jede soziologische Gemeinschaft in ihr hat Architektur als

und Überflüssigen schlechthin, weshalb es von den «Moder-

Abbild vom eigenen Verständnis des Körpers verstanden.

nen» auch aus der Architektur oder zumindest deren Rheto-

Diese Körperbilder wandeln sich sehr rasch. Die immer

rik verbannt wurde. Könnte es sein, dass das All Star Resort

neuen Erkenntnisse in der medizinischen Forschung bleiben

uns den fundamentalen Irrtum dieser Dialektik von Funktio-

Architekten nicht verborgen. Doch lösen sie ältere Verständ-

nalität und Ornament vor Augen führt? Kann das Ornament

nisse nicht ab, sondern erweitern, vervielfältigen und über-

hier als Strategie logistischer und ökonomischer Effizienz ge-

lagern diese. Erste Verschiebungen nach der klassischen


XS A Tagesdecke Bett B Teppichboden Raum C Tapete D Teppichboden Bad E Lampenschirm F Duschvorhang

12

11 A

B

10

A

2

B

9

8

1 3

C

7

D C E

5

D F

6 4

E

F

XS

S

Moderne zeigten sich bereits in den Sechzigerjahren, als zum

Zimmer beziehen, indem wir unsere eigenen, mobilen Acces-

Beispiel der französische Philosoph George Canguilhem die

soires in die eigentümlich vertraute, hoffentlich wohlrie-

engstirnige und eingeschränkte Sicht seiner Zeit auf den

chende Umgebung unseres neuen Zuhauses einbringen.

menschlichen Körper kritisierte, die den perfekten und ge-

Diese Umgebung erwarten wir scheinbar unberührt und vor

sunden Körper als Normalität ansah. Canguilhem definiert

allem eines: sauber. Die gefaltete Spitze unseres Toiletten-

den Zustand des gesunden Organismus neu. So schreibt er:

papiers, in Position gehalten durch einen kleinen runden Auf-

«Der gesunde Mensch flieht nicht vor Problemen, die manch-

kleber, die perfekt arrangierte Reihe der Körperpflegelotio-

mal durch plötzliche Unterbrüche seiner Angewohnheiten

nen, die immer weissen Badetücher und das perfekt be- und

hervorgerufen werden, auch solche physiologischer Natur.

gezogene Bett sind Sinnbilder dieser Sauberkeitsökonomie.

Er evaluiert Gesundheit durch seine Kapazität organische

Doch gerade wenn wir beginnen, uns zuhause zu fühlen, in-

Krisen zu überwinden, um eine neue Ordnung herzustel-

dem wir Unordnung in diese perfekte Welt bringen durch

len.»2

leere Mini-Bar-Flaschen und Zahnpastaspuren im Wasch-

Das Bild einer ästhetischen Hygiene, welches Architekten

becken, werden wir durch das freundliche aber bestimmte

für lange Zeit zu bauen versuchten (wie sollte man sonst ein

Wort Roomservice am Morgen aus unserer Illusion gerissen,

Vokabular erklären, welches Terminologien wie «sauberes

da die tägliche Säuberungsroutine wieder ihren Lauf neh-

Detail» hervorbringt?), hat sich gewandelt in ein inneres Ver-

men muss. Dieser oberflächlichen Betrachtung liegt jedoch

ständnis des hygienischen Entwerfens. Hygiene ist Teil einer

eine inhärente Struktur zu Grunde, die all diese Abläufe so ef-

wirtschaftlichen wie auch politischen Agenda. Beispiele sol-

fizient wie möglich (oder besser: so profitabel wie möglich)

cher Säuberungen findet man viele und in allen Massstäben,

ablaufen lässt. Der Verdacht drängt sich auf, dass, wer auch

zum Beispiel Richard Meiers MACBA in Barcelona, das einen

immer unsere temporäre Behausung entworfen hat, nicht

ganzen Stadtteil säubern sollte, oder das Planwerk Berlin,

mehr die Intention hatte, ein zweites Zuhause zu schaffen. Im

das eine sechzigjährige Geschichte des «Anderen» wegzu-

Vordergrund stand eher die Frage, wie schnell man es reini-

wischen versucht.

gen kann.

S Aus: Motels by Geoffrey Baker and Bruno Funaro, New York 1 Platzieren des Service-Wagens in der Raummitte 2 Abziehen der Leintücher vom Bett und Ensorgung in vorgesehenem Wäschesack auf Wagen 3 Beziehen des Bettes mit frischen Leintüchern 4 Säubern der Badamaturen 5 Gebrauchte Handtücher in den dafür vorgesehenen Leinensack legen und Bereitlegen frischer Handtücher; Kontrollieren aller Hygieneprodukte und Auffüllen der benötigten Utensilien 6 Feuchtes Reinigen des Badezimmerbodens 7 Abstauben des Schlafraums und der Möbel. Für Zeiteinsparung zwei Staubtücher, eines in jeder Hand, halten 8 Leeren des Papierkorbes und Kontrolle der Schreibtischutensilien 9 Schrank und Schubladen ausräumen und reinigen. Deklarieren aller vergessenen Gegenstände 10 Staubsaugen des gesamten Bodens 11 Kontrollieren aller Beleuchtungen. Danach ausschalten 12 Herausfahren des Service-Wagens, Verschliessen der Tür, Reinigen des Zugangsbereiches

Doch gerade der Bereich des Tourismus und speziell die Hotellerie als Bereitsteller von temporären Wohn- und Schlaf-

XS : Das neue hygienische Ornament –

einheiten bietet einen Einblick in die ökonomische Rolle der

der Disney-Staub

Hygiene. An der Oberfläche betrachtet, hat die Hotellerie ein

Zurück im All Star Resort. Die Oberflächen des Raumes ope-

Säuberungsprozedere entwickelt, das uns allen bestens be-

rieren auf eine verblüffende Weise mit dem Begriff der Hy-

kannt ist: Normalerweise dürfen wir aus hygienischen Grün-

giene. Alle Flächen – die Böden, die Wände, die Bettbezüge,

den der Zimmersäuberung erst am frühen Nachmittag unser

das Mobiliar, die Vorhänge – sind von einem figurativen,

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1

und Einkaufspaläste, die zur nationalökonomischen Selbstdarstellung beitragen. Dass das gesamte territoriale Gebiet sich einer stadtplanerischen Umorganisation zu fügen hat, zeugt von der eigenwilligen Ambition des Unternehmens. Was sich in synchronisiertem Einklang mit den Medien als lockeres, improvisiertes Ereignis darbietet, erfordert eine generalstabsmässig ausgereifte Koordination: Der Rasen muss bestellt, die Pressekampagne vorbereitet, die Prominenz geladen, die Kameras müssen installiert und die notwendigen Sicherheitsmassnahmen getroffen werden. In schwindelerregender Höhe von 212 Metern über dem Meeresspiegel spielen sich Roger Federer und Andre Agassi Bälle zu – auf einem Tennisplatz, der sich bei genauerer Betrachtung als zu klein erweist. Denn faktisch steht nicht das eigentliche Spiel im Vordergrund – das mit einer Million US-Dollars dotierte Dubai

Duty Free Men’s Open, wofür die Spieler werben –, sondern die geopolitische Positionierung der Vereinigten Arabischen Emirate auf der internationalen Wirtschaftsplattform. Die Hubschrauberplattform ihrerseits, auf welcher das Marketing-Event inszeniert wird, dient dem Vorhaben als Bühne. Dass wir es hier mit einer mise en scène von Bildern zu tun haben, die im Dienste eines übergeordneten Plans stehen, macht die Symbolik der architektonischen Kulisse deutlich. Wir befinden uns auf dem Helikopterlandeplatz des Burj al

DUBAI INCORPORATED

Arab, dem Flaggschiff der Luxushotels der Golfemirate und Wahrzeichen des Scheichtums Dubai. Auf den Nummernschildern der Autos abgebildet, erlangt das Hotel den Status einer Ikone, die den Modernisierungsbestrebungen des

Zur politischen Ökonomie des Territoriums Petrodollars haben in

Staats Ausdruck verleiht. Modernisierung ist politisches Pro-

den Vereinigten Amerikanischen Emiraten eine Wirtschaftsstruktur

gramm. Zum einen zeichnet sie sich durch eine Ausweitung

entstehen lassen, welche die der westlichen Welt in den Schatten stellt. Als Drehscheibe zwischen Europa und Asien sucht sich Dubai

der wirtschaftlichen Ressourcen des Landes aus. Zum anderen ist sie an bestimmte Themen gekoppelt, die – im Sinne einfach erfassbarer Bilder – zur Förderung nationaler Iden-

für die Zeit nach dem Öl neu zu positionieren. Sonne, Wasser und

tität beitragen. So steht das Burj al Arab für Dubais Aufbruch

Palmen sind ausreichend vorhanden – mit dem Hotel Burj al Arab und

in eine verheissungsvolle Zukunft. Allen Anforderungen ei-

den künstlichen Palmen-Inseln entsteht eine neue Liaison zwischen

nes Vorzeigestücks entsprechend, ist des Hotels architekto-

Ökonomie und Tourismus.

nische Hülle als Signet konzipiert, das in seiner Zeichenhaftigkeit – Anschuldigungen eines Grössenwahns zum Trotz –

«Imperialismus ist angewandte Planimetrie.» Peter Sloterdijk,

2005 1

in Werbebroschüren mit den Pyramiden von Gize, der Freiheitsstatue in New York und dem Opernhaus in Sydney verglichen wird.3

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archithese 2 2.2006 .2006

Text: Marc Angélil

Tausendundeine Nacht

Souverän ist, wem es gelingt, Politik und Ökonomie unter

Vom Britischen Generalplanerteam WS Atkins projektiert,

seine Befehlsgewalt zu bringen und diese – als unmittelbares

steht das Hotel auf einer eigens erstellten Insel, einige hun-

Zeugnis seiner Autorität – in dauerhaften Zeichen zu veran-

dert Meter von der Küste entfernt.4 Bezeichnend ist, dass

kern.2 Ganz nach den Regeln des «Globalisierungsspiels»

sich das Inselthema als Leitmotiv nicht nur dieser Anlage,

setzt der Emiratstaat Dubai an der Südküste des Arabischen

sondern des Städtebaus im Allgemeinen durchgesetzt hat.

Golfes – im Bewusstsein, dass die eigenen Erdölreserven zur

Auf der Insel ein Turm, der «Turm von Arabien», von wo das

Neige gehen – auf die Erschliessung neuer Märkte, insbe-

Gebiet überblickt werden kann, aus sicherer Distanz zur nä-

sondere auf den Luxus als Industriezweig und Symbol der

heren Umgebung. Allein der Sachverhalt, dass es sich hier um

Neuausrichtung der Nation. Dubais merkantiler Appetit spie-

einen Turm auf einer Insel handelt, macht deutlich, wie ein

gelt sich in zahllosen Projekten wider, denn es geht darum,

Ort geschaffen wird, der sich mit allen vertrauten Regeln der

diesen Hoheitsehrgeiz in baulicher Form nachhaltig geltend

Baukunst vom eigentlichen Ort absondert. Ziel des Unterfan-

zu machen. Mit einer gepfefferten Prise Gigantismus entste-

gens ist es, einen Raum absoluter Makellosigkeit zu schaffen,

hen Sieben-Sterne-Hotels, Wohnsiedlungen für Begüterte

«einen anderen wirklichen Raum», entsprechend Michel


Foucaults Definition des Begriffs Heterotopie, «der so vollkommen, so sorgfältig, so wohlgeordnet ist wie der unsrige missraten und wirr ist».5 Während sich daraus ein Bekenntnis zur Kompensation ableitet, wird mit allen Mitteln dafür gesorgt, dass die Illusion, in einer perfekten Welt zu leben, möglichst real erfahren wird. Je authentischer sich die Illusion als Wirklichkeit darzustellen vermag, desto virtuoser die Inszenierung, desto bedeutender die Rolle der Schwelle, die es zu überschreiten gilt, um von einer Welt in die andere zu gelangen. Schon von weitem erscheint der Turm in gebieterischer Würde am Horizont; ein Monument, das alle Merkmale einer fortschrittlich erscheinenden Hightech-Architektur in sich vereint: die aussen liegende Tragstruktur, die mit Teflon belegte Textilhaut, die Zurschaustellung spezifischer Accessoires wie helipad,

skyview restaurant und pinnacle mast. Um den Bezug zur einheimischen Kultur nicht ganz zu ignorieren, nimmt die Gebäudesilhouette formale Elemente traditioneller arabischer Segelschiffe auf. Die Zufahrt führt über ein landseitiges Pförtnerhaus, dessen Sicherheitsschranken in Krisenlagen in regelrechte Panzersperren verwandelt werden können. Ob einem der Einlass gewährt wird oder nicht, entscheidet der Türhüter, die Instanz par excellence, die Grenzziehungen umso greifbarer macht. Sobald der Besucher die Brücke betritt, die zur Insel führt, wird ihm wohl der Eindruck nicht entgehen, dass er gewissermassen vor dem Gesetz steht – ein nicht ganz abwegiges Empfinden, da das Hotel, wie die lokale Presse nahezu täglich berichtet, der Scheichfamilie als Residenz für Staats-

rischem Stil gehaltene skylobby im 18. oder der imperiale

empfänge dient. Vor diesem Hintergrund mag das am Ende

Bankettsaal im 27. Geschoss erreicht werden. Um die öffent-

der Achse sich in majestätischer Pracht präsentierende Hotel

lichen Räume herum sind knapp über 200 private, zweige-

umso ehrfürchtiger erscheinen. Abends verwandelt sich des-

schossige Suiten angeordnet – man achte darauf, dass in die-

sen Fassade in ein berauschendes, gleichwohl zurückhalten-

sem Kontext der Terminus «Hotelzimmer» vermieden wird.

des Lichtspiel, das manche son et lumière-Veranstaltung in

Der Ausstattung, oder was gemeinhin als Innendekoration

den Schatten stellt.

bezeichnet wird, scheint in diesen Apartments – mit ihren

Feuer und Wasser sind die Themen, die den Besucher im

reich beschmückten Foyers, Treppen, Salons, Gemächern

Bereich der Vorfahrt auf das Bevorstehende einstimmen.

und Bädern – keine Grenzen gesetzt worden zu sein; ein

Links und rechts der porte cochère stehen erdgasgespeiste

Überschwang an Kostbarkeiten, den allein die königlichen

Flammenwerfer, die den Schauplatz im phosphoreszierenden

Suiten auf der 25. Etage zu übertreffen vermögen.

Dunstlicht leuchten lassen. In der Mitte befindet sich eine

Offenbar ist Reichtum kein Garant für Geschmack. Wenn-

Fontäne – die erste in einer Reihe von Wasserspielen, die den

gleich die vorgelegte Förmlichkeit überdehnt und der Ausbau

Gast auf seinem Weg durch das Hotel begleiten. Wasser ist

überladen scheinen, sind diese dennoch echt. Wohin der

Synonym für Reichtum. Bedenkt man, dass die limitierten

Blick gerichtet wird, trifft das Auge auf Materialien und Ver-

Grundwasservorkommen der Urbanisierung der Region

arbeitungstechniken, die der lokalen Handwerkertradition

schon immer enge Grenzen setzten, so ist die zur Schau ge-

entstammen. Was auf Wänden und Stützen erstrahlt, ist un-

stellte Wasserfülle nichts anderes als ein Hinweis darauf,

bestreitbar Gold. Die Möbel wurden in den besten Schreiner-

dass genau dieser Mangel überwunden werden kann.6

werkstätten und die Vorhänge von den anerkanntesten We-

Während das Hotel in seinem Äusseren modern erscheint,

bern gefertigt. Die Teppiche sind in ihren Ausmassen, ihrer

wird im Inneren auf die Tradition gesetzt. Kaum tritt der Be-

Farbenpracht und ornamentalen Kalligrafie darauf ausgelegt,

sucher ein, wird seine Aufmerksamkeit auf Details gelenkt,

Exklusivität um jeden Preis zu erringen. Wohlverstanden ist

seien es jene der Etikette, woran sich sein Verhalten zu rich-

der Teppich im Orient ein Abbild des Gartens, der wiederum

ten hat, oder jene der Inneneinrichtung, die zur gediegenen

ein Abbild der Welt ist; diese symbolisiert in ihrer repräsen-

Atmosphäre beiträgt. Was folgt, ist eine atemberaubende

tierten Form umfassende Vollkommenheit.7

Raumsequenz: Von der Eingangshalle führt der Weg über

Das Interieur entfaltet sich als einstudierte Raumfolge, die

eine aufsteigende Kaskade zum piano nobile, das sich in ei-

den Gast in eine andere Welt zu führen hat; in eine Mär-

nem kolossalen Atrium fortsetzt, bis schliesslich die in mau-

chenwelt womöglich, die derjenigen der Erzählungen von

1 Marketing-Event, Dubai Duty Free Men’s Open, Roger Federer und Andre Agassi, 22. Februar 2005 2 Hotelinsel, Burj al Arab, Dubai

57


ARCHITEKTUR AKTUELL

Str채nge und Kurven

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archithese 2.2006


1 Gesamtansicht (Fotos: Dominique Uldry) 2 Bahnhofserweiterung West im Gleisfeld

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SMARCH :

ist unlängst das neue gläserne Empfangsgebäude

ERWEITERUNG HAUPTBAHNHOF BERN

von Atelier 5 entstanden, doch am Problem des

Der Hauptbahnhof Bern, in der Stadt bislang

durch einen oft überfüllten Tunnel erschlossenen

unsichtbar, hat mit dem als «Welle von Bern»

Bahnhofs, der unsichtbar zwischen Stadtkern und

bekannten Westportal einen neuen visuellen

Grosser Schanze eingezwängt ist, änderte die

Auftritt erhalten. Die Erweiterung gehorcht

neue lichte Halle letztlich nichts.

der Logik der Infrastruktur, ist aber zugleich

«Bahn 2000» hiess das in den Neunzigerjahren

zu einem markanten städtischen Zeichen

lancierte Konzept der SBB, den nationalen Bahn-

geworden, das die Struktur der Stadt fokus-

verkehr grundsätzlich zu modernisieren. Dabei

siert.

ging es unter anderem um die beschleunigte Verbindung zwischen den grossen Städten, aber

Mit dem Zug in der Schweizerischen Bundes-

auch um eine Steigerung der Transportkapazitä-

hauptstadt Bern anzukommen, ist eines der unbe-

ten. Neben der Frequenzerhöhung des Taktes

friedigendsten Erlebnisse, das die SBB zu bieten

setzte man dabei auf verlängerte Zugtraktionen.

hat: Durch eine grossflächige, zwischen 1957 und

Eine Verlängerung der Bahnsteige im Berner

1974 entstandene Überbauung stellt sich der

Hauptbahnhof war die lokale Folge des Konzepts,

Hauptbahnhof als eine U-Bahn-Station dar, in der

und wo mehr Passagiere ein-, aus- oder umstei-

sämtliche städtische Orientierung versagt, auch

gen, müssen auch die nötigen Wegverbindungen

wenn die jetzt durch ausgedehnte Shoppingbe-

geschaffen werden. Ähnlich wie in Basel verschob

reiche kommerziell verwertete Station grossspurig

sich mit dem Halt der 420 Meter langen Züge und

zur «RailCity» erhoben wurde. Das labyrinthische

der Perronverlängerung der Schwerpunkt des

Geflecht der Tunnel, Schächte und Gänge führt an

Passagieraufkommens Richtung Westen. Neben

verschiedenen unvorhersehbaren Stellen an die

dem im Nordosten der Bahnsteige gelegenen Per-

Oberfläche – doch die Nutzer werden eher an die

sonentunnel bestanden auf der Westseite lediglich

Oberfläche gespült, als dass sie wirklich in Bern

enge Aufgänge zur Postpassarelle, welche die

ankommen.

das Gleisfeld überbrückende Schanzenstrasse

In der vergangenen Zeit hat man verschiedentlich versucht, die Situation zu verbessern. So

flankiert, die wichtigste Verbindung zwischen Länggassquartier und Innenstadt.

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