No-stop Architektur: Transformation von Karstadt an der Frankfurter Zeil
No-stop Architektur
Karstadt an der Zeil, Frankfurt
Sommersemester 2024 Seminar –Dinosaurier+
Verfasser/Verfasserin
Chi Hsin Wang
No-stop Architektur - Kaufhaus, Stadt
1.0 Analyse Bestand
1.1 Soziokultureller und Städtebaulicher Kontext
1.2 Fassade, Materialien und Ausdruck
1.3 Typologie, Funktion und Erschließung
1.4 Konstruktion, Raumgefüge, Proportion und Lichtführung
2.0 Transformation
2.1 Planungsphasen (kurz-, mittel- und langfristig)
2.2 Nutzungsszenarien / Umbaustrategien
Literaturverzeichnis
Quellen & Abbildungsnachweis
Analyse
Karstadt an der Zeil
Böll Architekten, 2011, Frankfurt am Main
Abb. 01 karstadt an der Zeil nach der Fassadenerneuerung (Böll Architekten, o.D., o.S.).
Soziokultureller Kontext
Das Kaufhaus Karstadt nahe der Frankfurter Konstablerwache war anscheinend noch vor wenigen Jahren auf dem Weg zu einem der besten Einkaufstempel in Deutschland gewessen, sodass es in einem Atemzug mit dem KaDeWe in Berlin genannt wurde. Trotzdem wurde das Haus mit seinen noch 450 Beschäftigten 2020 dauerhaft geschlossen.
Seit mehr als 100 Jahren das KarstadtGelände an der Zeil ist der Standort eines Kaufhauses. Grand Bazar hieß das erste Warenhaus, das dort im Jahr 1903 eröffnete. 1914, vor dem Ausbruch des ersten Weltkriegs, wurde der Name in Kaufhaus Hansa umbenannt. Im Zweiten Weltkrieg war das Gebäude zerstört geworden, allerdings entstand danach wieder ein Verkaufs-Gebäude, das 1952 der Hertie-Konzern schluckte.
1994 wurde Hertie vom Karstadt-Konzern übernommen. In den Standort Frankfurt investierte der Konzern bis 2014 rund fünfzehn Millionen Euro, um die Fassade zu erneueren und um das Haus an der Zeil innen umzugestalten. In dieser Zeit wurde Karstadt Frankfurt noch als „Flaggschiff“ des Unternehmens gesehen.1
Doch wurden die Beschäftigten 2014 vom Aufsichtsratsvorsitzende Stephan Fandel mit
vgl. Claus-Jürgen Göpfert: Vom Flaggschiff zur Schließung: Die Geschichte von Karstadt und Kaufhof auf der Zeil, in: Frankfurter Rundschau, 2020, https://www.fr.de/frankfurt/ flaggschiff-schliessungdiegeschichte-karstadt-kaufhofzeil-13826584.html (Zugriff: 03.09.2024).
Abb. 02
Lage- und Flächennutzungsplan M 1:3000 (eigene Darstellung).
der Einschätzung alarmiert, von 83 Häusern bundesweit seien nur noch zwanzig profitabel. Endlich wurde Karstadt an der Zeil im Jahr 2014 für immer geschlossen. Mit der Schließung verbindet man die Frage, die bereits in den 90er Jahren von Fachleuten gestellt wurde, ob das Prinzip des Kaufhauses, nämlich die verschiedensten Waren unter einem Dach anzubieten, noch zukunftsfähig sei 2
Städtebaulicher Kontext
Die Zeil, die eine der bekanntesten und Einkaufsstraßen in Deutschland gilt, ist eine Straße in der nördlichen Innenstadt von Frankfurt am Main. Um Besucher anzulocken, sieht das Kaufhaus Karstadt wie andere Nachbargebäude auf die Zeil und bot ihnen Einkaufsmöglichkeiten. Konkret heißt das, dass in der Fassade der zur Zeil zeigenden äußeren Seite ein repräsentativer Fensterband ausgestattet ist.
Aber im Vergleich zu anderen ist sein Baukörper verschlossen, gigantisch und massiv, sodass das Gebäude sowohl eine Kompaktheit als auch eine Einfachheit aufweist. Trotz dieser verschlossenen Fassadengestaltung wird die Grenze zwischen Innen und Außen durch das eingegrabenen Sockelgeschoss mit einer Überdachung verwischt.
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vgl. Göpfert, 2020, https:// www.fr.de/frankfurt/flaggschiffschliessungdie-geschichtekarstadt-kaufhof-zeil-13826584. html (Zugriff: 03.09.2024).
Dieser Raum im Sockelgeschoss, der im Gegensatz zu mittlerer Fassade und der Attikazone den Bezug zu den Menschen direkt herstellt, bildet eine Räumlichkeit der Stoa der griechischen Architektur und wirkt einladend. Somit entsteht eine Pufferzone unter der Überdachung, die den Besuchern im Sommer bessere Aufenthaltsqualität bieten kann.
Hauptfassade nach der Fassadenerneuerung (Böll Architekten,
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Hauptfassade vor der Fassadenerneuerung (Böll Architekten, o.D., o.S.).
Abb.
Abb. 04
o.D., o.S.).
Fassaden und Materialien
Durch den Umbau erhielt das Kaufhaus Karstadt 2011 eine neue Fassade.3 Nach der Sanierung des Gebäudes ist die Fassade, die durch das integrierte Fensterband aus Sonnenschutz-Isolierglas auffällt, nun zweifarbig gestreift. Auch das Sockelgeschoss mit der Überdachung wirkt nach der Fassadenerneuerung gläsern transparent und ist deswegen zum Publikum offen.
Die Hauptfassade mit einer Fassadenlänge von ca. 60m befindet sich an der Zeil, die Nebenfassade zieht sich über ca. 120 m in eine quer verlaufende Gasse. Der Betreiber war der Meinung, dass durch zahlreiche Vorbauten und Erker in der Fassade eine unruhige Landschaft erfolgte, also entsprach die Fassade aus den 80er Jahren nicht mehr den Vorstellung des Betreibers.
Folglich war der neue Fassadenkonzept die Beruhigung der Fassadenfläche durch den Rückbau der Vorbauten und Erker. Anstelle
der Vorbauten im Bestand wurden angepasste Fassadenpaneele eingesetzt, damit die Fassadefläche wieder geschlossen werden kann. Die vorhandenen Metallpaneele der Obergeschosse in der Hauptfassade wurde in den Farbtönen Schwarz und Weiß gestaltet: ein horizontal verlaufendes Streifenmuster abwechselnd in schwarz und weiß kennzeichnet die einzelnen Streifen. Die restliche Nebenfassade entlang der Gasse hingegen wurde im Bestand belassen und gereinigt.
Ausdruck
Die vormals unruhige Fassade wurde auf ein der Größe und Modernität des Hauses entsprechendes einzelnes Fensterband reduziert. Dadurch, dass sich dieser langgezogene, raumhoch verglaste Erker um die Ecke des Gebäudes nur bis ca. 7m in die Gasse zieht, unterscheidet sich die Hauptfassade von der Nebenfassade, somit ist eine Hierarchie zu sehen.4
Ecke (Brillux GmbH & Co. KG, o.D., o.S.).
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Zugänge und Erschließungen (eigene Darstellung).
Abb.
Eine klare Hierarchie ist in den Grundrissen zu erkennen: nicht aktiv genutzte Räume wurden entweder entlang der Schäfergasse oder am Parkhaus angeordnet, um möglichst mehr Flächen für Aufenthaltsräume zu erwerben, weil sie auf einer höheren Hierarchie-Ebene liegen. Also ist die Hierarchiestruktur vom Erlebnis der städtischen Räume abhängig und hat wesentlichen Einfluss auf Grundrisse.
In dieser Hierarchiestruktur wurden Hauptzugänge an der Zeil platziert, auf die die meinsten Besucher laufen. Entlang der Schäfergasse dagegen wurden vorzugweise Neben- und Privatzugänge platziert. Die Hauptfassade liegt deswegen an der Zeil.
Für ein mehrgeschossiges Gebäude wird keineswegs auf vertikale Erschließungen verzichtet. Hinsichtlich der Funktionalität wurden die vertikale Haupterschließungen mittig angeordnet, damit sie nicht weit entfernt von den Zugängen sind. Die Nebenerschließungen wurden auf der Seite der Schäfergasse konzentriert.
1.4 Konstruktion, Raumgefüge, Proportion und Lichtführung
Konstruktion, Raumgefüge und Proportion
Unter dem Begriff dienende Räume versteht man die Räume in einem Gebäude, die aktiv genutzt werden. Im Vergleich dazu sind bedienende Räume die, die dem Zweck dienen.
Aufgrund des Bedarfs an flexibelen Nutungen sind offene Grundrisse für Kaufhäuser erforderlich. Um diesen Bedarf zu erfüllen, waren Wände durch die Skelettbauweise von ihrer tragenden Aufgabe befreit geworden, somit wurden Decken überwiegend von Trägern und Stützen statt von tragenden Wänden gehalten. Deshalb charakterisiert das Kaufhaus mit mehreren Stützen in den offenen Grundrisse, die möglichst mehr Flächen für dienende Räume ermöglichen können.
Ohne bedienende Räume wie zum Beispiel Treppenhäuser und Aufzüge ist das Kaufhaus nicht funktionsfähig, also wurde ein kleiner Teil der Fläche von ihr belegt. Diese bedienende Räume wurden übereinander gestapelt, nur so
können sie ein vertikaler Erschließungskern bilden, der sowohl für verkehrliche und technische Erschließung als auch für eine Aussteifung sorgt.
Lichtführung
Außer durch mehrere Stützen fallen die Grundrisse des Kaufhauses auch durch viele Kammern auf, die als Ausstellungsschrank genutzt wurden und deswegen an der Außenwände entlang liegen. Von Außen sehen die Ausstellungsschränke wie Fenster aus, trotzdem kann man eigentlich nicht von Innen nach Außen blicken. Aufgrund dieser FakeFenster ist das Kaufhaus so dicht verschlossen, dass dessen Beleuchtung nur durch künstliche Lichtquelle erfolgen kann. Diese Lichtquelle wurden gleichmäßig an den großflächigen Decken platziert, um flexibele Nutzungen in den offenen Grundrissen zu gewährleisten, ohne dass irrendwo nur mangelhaft beleuchtet werden kann.
Abb. 11
Lichtführung (Böll Architekten, o.D., o.S.).
Transformation
No-stop
Architektur
Abb. 12
Isometrie EG im Bestand (eigene Darstellung).
Abb. 13
Isometrie EG in der kurzfristigen Phase (eigene Darstellung).
Nach dem Analyse des Leerstands in Frankfurt ist auffällig, dass Büroflächen nach der Corona-Zeit durch das Homeoffice weniger neu vermittet worden sind, weil Unternehmen zunehmend kleine Flächen suchen. In der Zukunft werden Arbeiten in den seltensten Fällen aus den Homeoffice erfolgen, trotzdem können Büroflächen sparsam geplant werden.
Angesichts dieser Situation lässt sich die Transformation des Kaufhauses Karstadt auf Frankfurter Zeil eine Chance sehen, dass die Auflösung seines großen Baukörpers thematisiert werden kann, um das aktuelle Bedürfnis nach kleinen Flächen zu erfüllen.
Genauso wie andere Kaufhäuser charakterisiert sich das zu umbauende Kaufhaus einerseits durch seinen Innenraum mit mehrerer Stützen, die großzügige Halle zwecks flexibele Flächennutzungen während der Nutzungsphase ermöglichen und andererseits durch Fake-Fenster in der Fassade, nämlich Ausstellungsschränke.
Abb. 14
Inszenierte Innenlandschaft in No-stop City (Archizoom, 1971, S.66.).
Abb. 16
Grundriss einer homogenen Wohnstruktur (Archizoom, 1970, S.69.).
Abb. 15
Inszenierte Innenlandschaft in No-stop City (Archizoom, 1971, S.67.).
Abb. 17
Isometrie EG in der mittelfristigen Phase (eigene Darstellung).
Abb. 18
Isometrie EG in der langfristigen Phase (eigene Darstellung).
The No-stop City is an instrument of emancipation. ... The City frees us with its blankness, its featurelessness, allowing us to be anyone anywhere.5
Mit den Charakteren verbindet man das nicht realisiertes Projekts von Archizoom No-stop City, dessen Fotografien einen endlosen und eher eintönigen Raum zeigen, in dem Menschen als Camper leben. Menschliche Grundbedürfnisse werden durch Zelte, Geräte sowie Motorräder erfüllt. No-stop City befreit Menschen durch eine Merkmalslosigkeit, auf diese Weise kann irgendwer irgendwo sein.6
Der Transformationsonzept, der aus No-stop City entwickelt wird, basiert auf zwei Charakteren des Kaufhauses, somit werden zwei Systeme in Bezug auf Wände gegründet: bewegliche Innenwände und aufgelöste Außenwände. Mithilfe der beweglichen Innenwände ist die Raumgröße entsprechend der Nutzungen zu regulieren, also kann die Großflächen der Halle zur mehreren kleinflächen transformiert werden. Dank der aufgelöste Außenwände entstehen die Räume, bei denen eine Seite für den Blick nach Innen geöffnet wird, somit wirken sie wie Ausstellungsschränke in der Größe eines für den Menschen nutzbaren Raumes. Der Entwurf versucht, durch diese zwei Maßnahmen auf dem Thema „Auflösung des Baukörpers” zu reargieren.
05 Architectuul: No Stop City, in: Architectuul, o.D., https:// architectuul.com/architecture/nostop-city (Zugriff: 03.09.2024).
06 vgl. ebd.
Abb. 19 inszenierte Innenlandschaft nach dem Umbau (eigene Darstellung)
Grundriss EG in der kurzfristigen Phase (eigene Darstellung)
Abb. 21
Grundriss EG in der mittelfristigen Phase (eigene Darstellung)
Abb. 20
Abb. 22
Grundriss EG in der langfristigen Phase mit dem Katalog der Interventionen (eigene Darstellung)
Isometrie Katalog der Interventionen (eigene Darstellung)
Abb. 23
Claus-Jürgen Göpfert: Vom Flaggschiff zur Schließung: Die Geschichte von Karstadt und Kaufhof auf der Zeil, in: Frankfurter Rundschau, 2020, https://www.fr.de/frankfurt/ flaggschiff-schliessungdiegeschichte-karstadt-kaufhofzeil-13826584.html (Zugriff: 03.09.2024).