Wilhelm Busch
WB
Heinrich Christian Wilhelm Busch
(* 14. April 1832 in Wiedensahl; † 9. Januar 1908 in Mechtshausen) war einer der einflussreichsten humoristischen Dichter und Zeichner Deutschlands.
Seine ersten Bildergeschichten erschienen ab 1859. Schon seit den 1870er Jahren in ganz Deutschland berühmt, galt er bei seinem Tod dank seiner äußerst volkstümlichen Bildergeschichten als Klassiker des deutschen Humors. Als Pionier des Comics schuf er u. a. Max und Moritz, Fipps, der Affe, die Knopp-Trilogie und weitere, bis heute populäre Werke. Oft griff er darin satirisch die Eigenschaften bestimmter Typen oder Gesellschaftsgruppen auf, etwa die Selbstzufriedenheit und Doppelmoral des Spießbürgers oder die Frömmelei von Geistlichen und Laien. Viele seiner Zweizeiler sind im Deutschen zu festen Redewendungen geworden.
Seine vom Stil Heinrich Heines und der Philosophie Arthur Schopenhauers beeinflusste Lyrik und Prosadichtung stießen beim Publikum, das mit seinem Namen komische Bildergeschichten verband, auf Unverständnis. Dass seine künst lerischen Hoffnungen enttäuscht wurden und er übersteigerte Erwartungen an sich selbst zurücknehmen musste, sublimierte er mit Humor. Dies spiegelt sich sowohl in seinen Bildergeschichten als auch in seinem literarischen Werk wider.
Inhaltsverzeichnis
01 Kurzgeschichten 013 02 Gedichtsammlung 033 03 Aphorismen und Reime 083 Impressum 115
Mir ist alles einerlei. Mit Verlaub, ich bin so frei.
K
01 Kurzgeschichten
Der vergeßliche Stadtschreiber
Es war ein kalter regnerischer Abend, als der Stadtschreiber Dröge aus dem Wirtshause trat, seinen Regenschirm aufspannte und, da seine Wohnung ganz am Ende der Stadt lag, mit eiligen Schritten sich auf den Heimweg machte. Schon hatte er den größten Teil des Weges zurückgelegt, da – plötzlich – überkam ihn jenes sonderbare unbehagliche Gefühl, welches den Menschen zu befallen pflegt, wenn er glaubt, etwas vergessen zu haben. Ja, es fehlte ihm etwas, er mußte etwas vergessen haben und wußte doch nicht was. Dass er aber etwas vergessen hatte, das wusste er ganz genau, denn als er ins Wirtshaus gegangen, hatte er etwas unter dem Arme getragen. – Unser Stadtschreiber entschließt sich kurz; er geht wieder zurück, das Vermisste zu suchen. In der Nähe des Wirtshauses hört der Regen auf, und der Stadtschreiber klappt infolgedessen seinen Regenschirm zu. Nicht lange, so verspürt er einen gewissen Gegenstand unter seinem Arme, der es ihm auf einmal klarmacht, daß er eigentlich nichts vergessen als dies: dass es bei seiner Einkehr ins Wirtshaus nicht geregnet und er also zu der Zeit denselben Gegenstand unter dem Arme getragen hatte, den er jetzt darunter trug, nämlich – den zugeklappten Regenschirm.
Kurzgeschichten 015
harte Winter
Der
Es war einmal ein unvernünftig kalter Winter, da gingen zwei gute Kameraden miteinander auf das Eis zum Schlittschuhlaufen. Nun waren aber hin und wieder Löcher in das Eis geschlagen, der Fische wegen und als die beiden Schlittschuhläufer nun in vollem Zuge waren, sintemalen der Wind auch heftig blies, versah’s der eine, rutschte in ein Loch und traf so gewaltsam mit dem Halse vor die scharfe Eiskante, daß der Kopf auf das Eis dahinglitschte und der Rumpf ins Wasser fiel. Der andere, schnell entschlossen, wollte seinen Kameraden nicht im Stich lassen, zog ihn heraus, holte den Kopf und setzte ihn wieder gehörig auf, und weil es eine so barbarische Kälte in dem Winter war, so fror der Kopf auch gleich wieder fest. Da freute sich der, dem das geschah, daß die Sache noch so günstig für ihn abgelaufen war.
Seine Kleider waren aber alle ganz naß geworden, darum ging er mit seinem Kameraden in ein Wirtshaus, setzte sich neben den warmen Ofen, seine Kleider zu trocknen, und ließ sich von dem Wirte einen Bittern geben. »Prosit, Kamerad!« sprach er und trank dem andern zu. »Auf den Schrecken können wir wohl einen nehmen.«
Kurzgeschichten 017
Nun hatte er sich durch das kalte Bad aber doch einen starken Schnupfen geholt, daß ihm die Nase lief. Da er sie nun zwischen die Finger klemmte, sich zu schnäuzen, behielt er seinen Kopf in der Hand, denn der war in der warmen Stube wieder losgetaut.
Das war nun freilich für den armen Menschen recht fatal, und er meinte schon, daß er nun in der Welt nichts Rechtes mehr beginnen könnte, aber er wußte doch Rat zu schaffen, ging hin zu einem Bauherrn und ließ sich anstellen als Dielenträger, und das war eine gar schöne passende Arbeit für ihn, weil ihm dabei der Kopf niemals im Wege saß wie vielen andern Leuten, die auch Bretter tragen müssen.
Täuschung
Die
Es steht die Bäuerin abends in der Stube am Backtrog, hat die Ärmel aufgeschlagen und macht das Brot an. Sie tut die Säure hinein und knetet, daß es quitscht und quatscht – und wie sie endlich meint, es wäre genug, streift sie die Hände ab, rückt den Backtrog an den Ofen, der noch hübsch warm ist, daß der Teig über Nacht aufgeht, nimmt ein Tischtuch und deckt es darüber, daß keine Fliegen hineinfallen. Drauf schaut sie noch in der Stube herum, räumt dies auf und jenes – der Bauer ist noch nicht zu Haus, wer weiß, wann der wieder kommt! – geht nachher in die Kammer, betet ihr Nachtgebet, legt das Gewand ab, putzt das Licht aus, flackt sich ins Bett und schläft. Während der Weil sitzt der Bauer im oberen Wirtshaus mit ein paar Kameraden, und im Disputieren trinkt er eine Maß nach der andern, bis ihm endlich ganz dumm im Kopfe wird und alles sich mit ihm herumdreht. Die andern Kameraden trinken nach und nach aus und gehen nach Haus, bis unser Bauer noch ganz allein dasitzt und alleweil fortsauft.
Kurzgeschichten 021
»Jetzt meinet ich aber schon«, sagt die Nanny, die schon seit vier Jahren Kellnerin beim obern Wirt ist, »jetzt meinet ich schon«, sagt sie, »wär’s Zeit, Bauer, wenn du heimgingst, du kannst ja nimmer aus den Augen‚ raus schauen vor lauter Rausch.« »No, no!« sagt der Bauer.
»Ich geh’ schon, nur Zeit lassen, er kommt schon. –Geh, schenk noch amal ein a Maß, Nanny!«
– »Heut nimmer, geh du nur heim zu deinem Weib, andere Leut möchten auch in ihr Bett – es wird so elfe, bis ich all die Krügeln noch geputzt hab’, geh du nur auch heim! Hast’s gehört?«
– »No, no! Ich geh’ schon!« Und richtig steht er auf, wackelt hinum und herum, bis er endlich die Türe findet, und taumelt das Dorf hinunter, seinem Hof zu.
Wie er ins Haus kommt, stößt er da an und dort, rumpelt an den Tisch, wirft die Stühle um, zieht sich aus, soweit es geht, und endlich legt er sich nieder. »Heut hat die Bäuerin amal gut aufbettet, heut liegt sich’s amal schön weich«, brummt er so vor sich hin, schlaft ein und schnarcht wie eine Sägmühle die ganze Nacht fort, und geradeso macht’s die Bäuerin auch.
Wie es aber nur ein bisschen grau wird in der Früh, wacht die auf und schaut hinum nach dem Bauern seinem Bett. »Ja, wo ist denn der Bauer? Was wär’ denn das? Gar nit heimgehn? Die ganze Nacht saufen, no wart nur, Lump, dir will ich kommen!« Mit einem Satz ist sie aus dem Bett, schlieft in den Unterrock, bindet das Kopftüchel um und hat nichts
anderes im Sinn, als einen Besen zu nehmen, zum oberen Wirt zu laufen und dem Bauer heimzuleuchten.
Wie sie in die Stube heraustritt, kriegt sie schier die Maulsperre vor lauter Schreck:
– »Ja, um Gottes willen, was wär’ denn jetzt das? Ja, Bauer, was hast denn du getan?« – Liegt der Bauer gestreckter Längs in der Bäuerin ihrem Backtrog, die Haare, das Gesicht, die Hände und die Füße um und um alles verpippt und verpappt, mitten im Brotteig!
Kurzgeschichten 023
Warnung
Zur
Unter den Bildern der großen deutschen Kunst-Ausstellung in München machte eine Landschaft, worauf die Sonne mit täuschender Natürlichkeit gemalt war, großes Aufsehen. Eine junge Dame, welche längere Zeit entzückt davor stand, bemerkte nachher zu ihrem nicht geringen Schrecken, daß sie Sommersprossen bekommen hatte.
Kurzgeschichten 025
dem Rathausener
Aus
Tagblatt
Rathausen, den 7. Oktober Soeben kommt das Gerücht einer ebenso beklagenswerten als ruchlosen Tat zu unsern Ohren, einer Tat, die sich nur aus der tiefen moralischen Verderbnis unserer modernen gesellschaftlichen Zustände erklären läßt. Der Tatbestand ist folgender: Ein junger Maler aus hiesiger Stadt lockt durch Schmeicheleien ein junges schönes, aber noch sehr schüchternes weibliches Modell in sein Atelier. Da sie ihm nicht zu Willen ist, ermordet er sie. Alles Schreien der Unglücklichen wird überhört, da das Atelier des Malers im Hintergebäude über drei Stiegen liegt.
Bei einbrechender Nacht schleppt der Mörder den Leichnam der Ermordeten in den Hof, um ihn dort eigenhändig in den Sand zu scharren. Unmittelbar darauf begibt sich derselbe in eine nahe gelegene Brauerei und trinkt wie gewöhnlich seine sechs Glas Bier, ohne daß eine besondere Aufregung an ihm bemerklich gewesen wäre. Es steht zu erwarten, daß es der anerkannten Umsichtigkeit unserer hochlöblichen Polizei sehr bald gelingen werde, die näheren Umstände und tieferliegenden Motive dieser Tat ans Licht zu ziehen.
Kurzgeschichten 027
Nachschrift
Wie wir aus glaubwürdiger Quelle vernehmen, so soll eine würdige alte Dame unserer Stadt bei diesem Vorfalle sehr nahe und schmerzlich beteiligt sein. – Der Täter ist bereits eingezogen und wird jetzt möglicherweise schon sitzen.
Rathausen, den 8. Oktober
Dem von uns unter dem gestrigen Datum berichteten und bereits in weiteren Kreisen vielfach besprochenen Vorfalle scheint zu unserm Bedauern lediglich ein mutwillig verbreitetes Gerücht zugrunde zu liegen und ist dasselbe dahin zu berichtigen, daß allerdings ein junger Maler ein junges weibliches Modell ermordet hat und daß allerdings eine alte würdige Dame von diesem Vorfalle nahe berührt ist; daß aber dieser Maler ein Tiermaler und das Modell die Lieblingskatze einer alten Dame ist, in deren Hause derselbe Maler vor kurzem ein Atelier bezogen hatte. Daß er demzufolge eingezogen, ist gewiß, und daß er jetzt schon sitzt, nämlich im Bierhause, wird niemandem, der ihn näher kennt, unmöglich scheinen.
Eine Nachtgeschichte
Vor einiger Zeit kehrte spätabends im Goldenen Löwen zu Kassel ein elegant, aber nachlässig gekleideter Fremder ein, der augenscheinlich eine längere Fußtour gemacht hatte. Aus seinen schmerzlichen Zügen sprach eine stille Verzweiflung, ein heimlicher Kummer mußte seine Seele belasten. Er aß nur äußerst wenig und ließ sich bald sein Schlafzimmer anweisen. Es mochte wohl eine Viertelstunde später und nahezu Mitternacht sein, als der Kellner an Nr. 6, dem Zimmer des Fremden, vorüberkam. Ein lautes, herzzerreißendes Ächzen und Stöhnen drang daraus hervor. Dem erschrockenen Kellner erstarrte das Blut in den Adern. Irgend etwas Entsetzliches mußte da vorgehen. Schleunige Hilfe tat Not, der Kellner stürzt zur Polizei. Unterdessen hat die Regierungsrätin v. Z., welche in Nr. 7 schläft, dieselbe schreckliche Entdeckung gemacht und bereits das ganze Wirtshaus in Alarm gebracht, als der Kellner mit der Polizei zurückkommt. Man dringt nun sofort in das Zimmer des Fremden.
Aber leider kam die Hilfe zu spät, denn derselbe hatte bereits in Ermanglung eines anderen Instrumentes mit eigener Hand unter Schmerzen und Wehklagen seine – engen Stiefel ausgezogen.
Kurzgeschichten 031
G
Gedichtsammlung
02
ilemma
Das glaube mir – so sagte er –Die Welt ist mir zuwider, Und wenn die Grübelei nicht wär’, So schöß ich mich darnieder.
Was aber wird nach diesem Knall Sich späterhin begeben?
Warum ist mir mein Todesfall
So eklig wie mein Leben?
D
Gedichtsammlung 035
Mir wäre doch, potzsapperlot, Der ganze Spaß verdorben, Wenn man am Ende gar nicht tot, Nachdem, daß man gestorben.
ankelmut
Was bin ich alter Bösewicht So wankelig von Sinne.
Ein leeres Glas gefällt mir nicht, Ich will, daß was darinne.
Das ist mir so ein dürr Geklirr, He, Kellnerin, erscheine!
Laß dieses öde Trinkgeschirr Befeuchtet sein von Weine!
Nun will mir aber dieses auch
Nur kurze Zeit gefallen, Hinunter muß es durch den Schlauch
Zur dunklen Tiefe wallen. So schwank’ ich ohne Unterlaß Hinwieder zwischen beiden.
Ein volles Glas, ein leeres Glas Mag ich nicht lange leiden.
Ich bin gerade so als wie Der Erzbischof von Köllen, Er leert sein Gläschen wuppheidi Und läßt es wieder völlen.
W
umma summarum
Sag, wie war’ es, alter Schragen, Wenn du mal die Brille putztest, Um ein wenig nachzuschlagen, Wie du deine Zeit benutztest.
Oft wohl hätten dich so gerne Weiche Arme warm gebettet, Doch du standest kühl von ferne, Unbewegt, wie angekettet.
Oft wohl kam’s, daß du die schöne Zeit vergrimmtest und vergrolltest, Nur weil diese oder jene Nicht gewollt, so wie du wolltest.
Demnach hast du dich vergebens Meistenteils herumgetrieben; Denn die Summe unsres Lebens Sind die Stunden, wo wir lieben.
Gedichtsammlung 037S
Tag ist grau. Die Wolken ziehn.
saust die alte Mühle.
feuchte Grün
an meine Gefühle.
Idiosynkrasie Der
Es
Ich schlendre durch das
Und denke
Die Sache ist mir nicht genehm. Ich ärgre mich fast darüber. Der Müller ist gut; trotz alledem Ist mir die Müllerin lieber.
Der Esel
Es stand vor eines Hauses Tor Ein Esel mit gespitztem Ohr,
Der käute sich sein Bündel Heu Gedankenvoll und still entzwei.
Nun kommen da und bleiben stehn
Der naseweisen Buben zween, Die auch sogleich, indem sie lachen, Verhaßte Redensarten machen, Womit man denn bezwecken wollte, Daß sich der Esel ärgern sollte.
Doch dieser hocherfahrne Greis
Beschrieb nur einen halben Kreis, Verhielt sich stumm und zeigte itzt
Die Seite, wo der Wedel sitzt.
Sie war ein Blümlein
Sie war ein Blümlein hübsch und fein, Hell aufgeblüht im Sonnenschein. Er war ein junger Schmetterling, Der selig an der Blume hing.
Oft kam ein Bienlein mit Gebrumm
Und nascht und säuselt da herum. Oft kroch ein Käfer kribbelkrab
Am hübschen Blümlein auf und ab.
Ach Gott, wie das dem Schmetterling
So schmerzlich durch die Seele ging.
Doch was am meisten ihn entsetzt, Das Allerschlimmste kam zuletzt.
Ein alter Esel fraß die ganze
Von ihm so heißgeliebte Pflanze.
Gedichtsammlung 041
Will das Glück nach seinem Sinn Dir was Gutes schenken, Sage Dank und nimm es hin Ohne viel Bedenken. Jede Gabe sei begrüßt. Doch vor allen Dingen: Das worum du dich bemühst, Möge dir gelingen.
Unglücklicher Zufall
Ich ging wohl hundert Male
Die Straße ein und aus, Ich stand bei Sturm und Regen Vor meiner Liebsten Haus.
Bei Sturm und kaltem Regen
Stand ich vergeblich dort,
Denn die gestrenge Mutter, Die ließ sie ja nicht fort.
Ich selber hab’ dem Regen, Ich hab’ dem Sturm getrutzt, Nur meine neuen Stiefel, Die sind ganz abgenutzt.
Und heute, da ich lässig An meinem Fenster steh’, Trifft sich’s, daß ich mein Liebchen Vorübergehen seh’.
Sie nickt und winkt verstohlen, Sie sieht mich zärtlich an, Und ich, ich kann’s nicht sagen, Daß ich nicht kommen kann.
Ich kann’s ihr ja nicht sagen, Dem wunderholden Kind,
Daß meine einz’gen Stiefel Heut grad beim Schuster sind.
Gedichtsammlung 045
Chor der Kahlköpfe
Wir armen Kahlköpfe sind gar nicht so dumm. Wir haben kein Haar mehr und wissen warum. Viel garstige Stunden im wandelnden Jahr, Die warfen uns borstige Kletten ins Haar.
Wir zupften und rupften mit Weh und mit Ach, Wir zogen die Kletten, die Locke kam nach. Ja, garstige Stunden, die rupften uns sehr, Doch nahmen die guten uns leider noch mehr.
Die heimlichen, süßen, die rosenbekränzt, Bacchantisch den schäumenden Becher kredenzt.
Die haben, hingaukelnd ums trunkene Haupt, Uns schmeichelnd und schelmisch die Locken geraubt.
Verweht sind die Rosen; der Winter will nahn, Wir müssen schon wieder‚ ne Pelzkappen han. Wir faßten vor Ärger uns gerne beim Schopf
Und finden kein einziges Härchen am Kopf.
R
otkehlchen auf dem Zweige hupft wipp, wipp! –Hat sich ein Beerlein abgezupft –knipp, knipp! –Läßt sich zum klaren Bach hernieder. Tunkt’s Schnäblein ein und hebt es wieder. stipp, stipp, nipp, nipp! –Und schwingt sich wieder in den Flieder. Es singt und piepst ganz allerliebst. zipp, zipp, zipp, zipp, trili! –
Sich seine Abendmelodie. Steckt’s Köpfchen dann ins Federkleid Und schlummert bis zur Morgenzeit.
Gedichtsammlung 049
Es sitzt ein Vogel auf dem Leim, Er flattert sehr und kann nicht heim. Ein schwarzer Kater schleicht herzu, Die Krallen scharf, die Augen gluh. Am Baum hinauf und immer höher Kommt er dem armen Vogel näher.
Gedichtsammlung 051 Der Vogel denkt: Weil das so ist Und weil mich doch der Kater frißt, So will ich keine Zeit verlieren, Will noch ein wenig quinquilieren Und lustig pfeifen wie zuvor. Der Vogel, scheint mir, hat Humor.
Individualität
Es ist mal so, daß ich so bin.
Weiß selber nicht warum. Hier ist die Schenke. Ich bin drin
Und denke mir: Dideldum!
Daß das so ist, das tut mir leid. Mein Individuum
Hat aber mal die Eigenheit, Drum denk’ ich mir: Dideldum!
Und schaut die Jungfer Kellnerin Sich auch nach mir nicht um, Ich weiß ja doch, wie schön ich bin, Und denke mir: Dideldum!
Und säße einer da abseits, Mit Knurren und Gebrumm
Und meint, ich wäre nicht gescheit, So denk’ ich mir: Dideldum!
Doch kommt mir wer daher und spricht, Ich wäre gar nicht frumm
Und hätte keine Tugend nicht, Das nehm’ ich krumm. – Dideldum!
erzeihlich
V
Er ist ein Dichter, also eitel. Und bitte, nehmt es ihm nicht krumm. Zieht er aus seinem Lügenbeutel So allerlei Brimborium. Juwelen, Gold und stolze Namen, Ein hohes Schloß, im Mondenschein Und schöne, höchstverliebte Damen, Dies alles nennt der Dichter sein.
Indessen ist ein enges Stübchen Sein ungeheizter Aufenthalt. Er hat kein Geld, er hat kein Liebchen, Und seine Füße werden kalt.
Gedichtsammlung 055
iedern eines Lumpen
Als ich ein kleiner Bube war, War ich ein kleiner Lump; Zigarren raucht’ ich heimlich schon, Trank auch schon Bier auf Pump.
Zur Hose hing das Hemd heraus, Die Stiefel lief ich krumm, Und statt zur Schule hinzugehn, Strich ich im Wald herum.
Wie hab’ ich`s doch seit jener Zeit
So herrlich weit gebracht! –
Die Zeit hat aus dem kleinen Lump, nen großen Lump gemacht.
2
Der Mond und all die Sterne, Die scheinen in der Nacht, Hinwiederum die Sonne
Bei Tag am Himmel lacht.
Mit Sonne, Mond und Sternen
Bin ich schon lang vertraut!
Sie scheinen durch den Ärmel
Mir auf die bloße Haut.
L
1
Und was ich längst vermutet, Das wird am Ende wahr: Ich krieg’ am Ellenbogen Noch Sommersprossen gar.
Ich hatt’ einmal zehn Gulden! –
Da dacht’ ich hin und her, Was mit den schönen Gulden
Nun wohl zu machen wär’.
Ich dacht’ an meine Schulden, Ich dacht’ ans Liebchen mein, Ich dacht’ auch ans Studieren,
Das fiel zuletzt mir ein.
Zum Lesen und Studieren, Da muß man Bücher han, Und jeder Manichäer Ist auch ein Grobian.
Und obendrein das Liebchen, Das Liebchen fromm und gut, Das quälte mich schon lange Um einen neuen Hut.
Was sollt’ ich Ärmster machen?
Ich wußt’ nicht aus noch ein. –
Gedichtsammlung 057
3
Im Wirtshaus an der Brücken, Da schenkt man guten Wein.
Im Wirtshaus an der Brücken
Saß ich den ganzen Tag, Ich saß wohl bis zum Abend Und sann dem Dinge nach.
Im Wirtshaus an der Brücken, Da wird der Dümmste klug.
Des Nachts um halber zwölfe, Da war ich klug genug.
Des Nachts um halber zwölfe Hub ich mich von der Bank
Und zahlte meine Zeche Mit zehen Gulden blank.
Ich zahlte meine Zeche, Da war mein Beutel leer. –
Ich hatt’ einmal zehn Gulden, Die hab’ ich jetzt nicht mehr.
4
Im Karneval, da hab’ ich mich Recht wohlfeil amüsiert, Denn von Natur war ich ja schon Fürtrefflich kostümiert.
Bei Maskeraden könnt’ ich so, Passieren frank und frei. Man meinte am Entree, daß ich Charaktermaske sei.
Recht unverschämt war ich dazu Noch gegen jedermann
Und hab’ aus manchem fremden Glas, Manch tiefen Zug getan.
Darüber freuten sich die Leut
Und haben recht gelacht,
Daß ich den echten Lumpen so Natürlich nachgemacht.
Nur einem groben Kupferschmied, Dem macht’ es kein Pläsier, Daß ich aus seinem Glase trank –Er warf mich vor die Tür. 5
Von einer alten Tante Ward ich recht schön bedacht:
Sie hat fünfhundert Gulden Beim Sterben mir vermacht.
Die gute alte Tante! –
Fürwahr, ich wünschte sehr,
Gedichtsammlung 059
Ich hätt’ noch mehr der Tanten Und – hätt’ sie bald nicht mehr!
Ich bin einmal hinausspaziert, Hinaus wohl vor die Stadt.
Da kam es, daß ein Mädchen mir Mein Herz gestohlen hat.
Ihr Aug war blau, ihr Mund war rot, Blondlockig war ihr Haar. –Mir tat’s in tiefster Seele weh, Daß solch ein Lump ich war.
7
Seit ich das liebe Mädchen sah,
War ich wie umgewandt, Es hätte mich mein bester Freund Wahrhaftig nicht gekannt.
Ich trug, fürwahr, Glacéhandschuh, Glanzstiefel, Chapeau claque, Vom feinsten Schnitt war das Gilet
Und magnifik der Frack.
6
Vom Fuße war ich bis zum Kopf Ein Stutzer comme il faut, Ich war, was mancher andre ist. Ein Lump, inkognito.
Was tat ich ihr zuliebe nicht!
8Zum erstenmal im Leben Hab’ ich mich neulich ihr zulieb Auf einen Ball begeben.
Sie sah wie eine Blume aus
In ihrer Krinolinen, Ich bin als schwarzer Käfer mir In meinem Frack erschienen.
Für einen Käfer – welche Lust, An einer Blume baumeln!
Für mich – welch Glück, an ihrer Brust
Im Tanz dahinzutaumeln!
Doch ach! Mein schönes Käferglück, Das war von kurzer Dauer. Ein kläglich schnödes Mißgeschick
Lag heimlich auf der Lauer.
Gedichtsammlung 061
Denn weiß der Teufel, wie’s geschah, Es war so glatt im Saale –Ich rutschte – und so lag ich da Rumbums! Mit einem Male.
An ihrem seidenen Gewand Dacht’ ich mich noch zu halten –Ritsch, ratsch! Da hielt ich in der Hand. Ein halbes Dutzend Falten.
Sie floh entsetzt. – Ich armer Tropf, Ich meint’, ich müßt’ versinken, Ich kratzte mir beschämt den Kopf Und tat beiseite hinken.
9
Den ganzen noblen Plunder soll,
Den soll der Teufel holen! Ein Leutnant von der Garde hat Mein Liebchen mir gestohlen.
Du neuer Hut, du neuer Frack, Ihr müßt ins Pfandhaus wandern. Ich selber sitz’ im Wirtshaus nun
Von einem Tag zum andern.
Gedichtsammlung 065 Die Selbstkritik hat viel für sich. Gesetzt den Fall, ich tadle mich: So hab ich erstens den Gewinn, Daß ich so hübsch bescheiden bin. Zum zweiten denken sich die Leut, Der Mann ist lauter Redlichkeit. Auch schnapp ich drittens diesen Bissen – Vorweg den andern Kritiküssen. Und viertens hoff ich außerdem Auf Widerspruch, der mir genehm. So kommt es denn zuletzt heraus, Daß ich ein ganz famoses Haus.
Das Brot
Ich selber war ein Weizenkorn. Mit vielen, die mir anverwandt, lag ich im lauen Ackerland. Bedrückt von einem Erdenkloß, macht’ ich mich mutig strebend los.
Gleich kam ein alter Has gehupft und hat mich an der Nas gezupft, und als es Winter ward, verfror, was peinlich ist, mein linkes Ohr, und als ich reif mit meiner Sippe, o weh, da hat mit seiner Hippe der Hans uns rundweg abgesäbelt und zum Ersticken festgeknebelt und auf die Tenne fortgeschafft, wo ihrer vier mit voller Kraft
im regelrechten Flegeltakte uns klopften, daß die Scharte knackte! Ein Esel trug uns in die Mühle.
Ich sage dir, das sind Gefühle, wenn man, zerrieben und gedrillt zum allerfeinsten Staubgebild’, sich kaum besinnt und fast vergißt, ob Sonntag oder Montag ist.
Und schließlich schob der Bäckermeister, nachdem wir erst als zäher Kleister in seinem Troge baß gehudelt, vermengt, geknebelt und vernudelt, uns in des Ofens höchste Glut.
Jetzt sind wir Brot. Ist das nicht gut?
Frischauf, du hast genug, mein Lieber, greif zu und schneide nicht zu knapp und streiche tüchtig Butter drüber und gib den andern auch was ab!
Gedichtsammlung 067
kann warten
E r
Gott ja, was gibt es doch für Narren! Ein Bauer schneidet sich nen Knarren Vom trocknen Brot und kaut und kaut. Dabei hat er hinaufgeschaut Nach einer Wurst, die still und heiter Im Rauche schwebt, dicht bei der Leiter. Er denkt mit heimlichem Vergnügen:
Gedichtsammlung 069
Wenn ick man woll, ick könn’ di kriegen!
Früher, da ich unerfahren Und bescheidner war als heute, Hatten meine höchste Achtung Andre Leute. Später traf ich auf der Weide Außer mir noch mehr Kälber, Und nun schätz ich, sozusagen, Erst mich selber.
Gedichtsammlung 071
Das Lied von der roten Nase
Meine schöne rote Nase Kommt mir gar nicht übel für, Und daß ihr darüber spottet, Freunde, das verbitt’ ich mir.
Diese Nase ist mein eigen, Ist in manchem Sturm erprobt, Und wenn andre sie nicht loben, Sei sie von mir selbst gelobt.
Ja, ich trage sie mit Stolze
Auf dem Meer und auf dem Land, Denn ich hab’, ihr könnt mir’s glauben, Manchen Gulden dran gewandt.
Treulich hat sie mich begleitet, Bald zum Schnaps und bald zum Wein, Darum glänzt sie auch so prächtig Wie ein roter Edelstein. –
Und wenn erst die Stürme sausen Durch das Land zur Winterszeit, Dann erst steht sie recht im Glanze Und in voller Herrlichkeit.
Dann will sie mir oft erscheinen, Wenn ich sie im Spiegel schau’, Wie die schönste Purpurrose, Frisch benetzt vom Morgentau.
Eine Rose, die symbolisch Meinem ahnungsvollen Geist
Nach den rauhen Winterstürmen Frühlings Wiederkehr verheißt.
Eine Rose, nicht wie andre, Die, von rascher Glut erregt, Bald verblühen und verblassen, Wenn man sie zum Ofen trägt.
Nein! Sie ist die Wunderrose, Die gepriesen oft im Lied! »Jene Rose ohne Dornen, Die zu allen Zeiten blüht.«
Gedichtsammlung 073
etaphern der Liebe
Welche Augen! Welche Miene! Seit ich dich zuerst gesehen, Engel in der Krinoline, Ist’s um meine Ruh’ geschehen.
Ach! In fieberhafter Regung Lauf ich Tag und Nacht spazieren, Und ich fühl’ es, vor Bewegung Fang’ ich an zu transpirieren.
2
Und derweil ich eben schwitze, Hast du kalt mich angeschaut; Von den Stiefeln bis zur Mütze Spür’ ich eine Gänsehaut.
Wahrlich! Das ist sehr bedenklich, Wie ein jeder leicht ermißt, Wenn man so schon etwas kränklich
Und in Nankinghosen ist.
M
1
Würde deiner Augen Sonne
Einmal nur mich freundlich grüßen, Ach! Vor lauter Lust und Wonne Schmölz’ ich hin zu deinen Füßen.
Aber ach! Aus deinen Blicken
Wird ein Strahl herniederwettern, Mich zerdrücken und zerknicken Und zu Knochenmehl zerschmettern.
Gedichtsammlung 075 3
M
Liebchen mir gestohlen.
Du neuer Hut, du
Frack,
müßt ins Pfandhaus wandern.
sitz’
Wirtshaus
ein
neuer
Ihr
Ich selber
im
nun Von einem Tag zum andern. Ich sitz’ und trinke aus Verdruß Und Ärger manchen Humpen. Die Lieb, die mich solid gemacht, Die macht mich nun zum Lumpen.
Und wem das Lied gefallen hat, Der lasse sich nicht lumpen;
Der mög dem Lumpen, der es sang, Zum Dank – n Gulden pumpen.
Gedichtsammlung 077
iebesglut
Sie liebt mich nicht. Nun brennt mein Herz Ganz lichterloh vor Liebesschmerz, Vor Liebesschmerz ganz lichterloh Als wie gedörrtes Haferstroh.
Und von dem Feuer steigt der Rauch Mir unaufhaltsam in das Aug, Daß ich vor Schmerz und vor Verdruß Viel tausend Tränen weinen muß.
Ach Gott! Nicht lang ertrag’ ich’s mehr! –
Reicht mir doch Feuerkübel her. Die füll’ ich bald mit Tränen an, Daß ich das Feuer löschen kann.
2
Seitdem du mich so stolz verschmäht,
Härmt’ ich mich ab von früh bis spät, So daß mein Herz bei Nacht und Tag
Als wie auf heißen Kohlen lag.
L
1
Und war es dir nicht heiß genug, Das Herz, das ich im Busen trug, So nimm es denn zu dieser Frist, Wenn dir’s gebacken lieber ist.
Gedichtsammlung 079
Es saßen einstens beieinand, zwei Knaben, Fritz und Ferdinand.
Da sprach der Fritz: »Nun gib mal acht, was ich geträumt vergangne Nacht.
Ich stieg in einen schönen Wagen, der war mit Gold beschlagen. Zwei Englein spannten sich davor, die zogen mich zum Himmelstor.
Gleich kamst du auch und wolltest mit und sprängest auf den Kutschentritt, jedoch ein Teufel schwarz und groß, der nahm dich hinten bei der Hos’ und hat dich in die Höll’ getragen.
Es war sehr lustig, muß ich sagen.«
So hübsch nun dieses Traumgesicht, dem Ferdinand gefiel es nicht.
Schlapp! schlug er Fritzen an das Ohr, daß er die Zippelmütz’ verlor.
Der Fritz, der dies verdrießlich fand, haut wiederum den Ferdinand; und jetzt entsteht ein Handgemenge, sehr schmerzlich und von großer Länge. –
So geht durch wesenlose Träume gar oft die Freundschaft aus dem Leime.
Gedichtsammlung 081
AR
03 Aphorismen und Reime
Wenn ich und meine Kuh tot sind, dann kann Maitag kommen, wann er will.
Juli trocken und heiß, Klebt dem Bauern die Hose am Steiß.
Bei Regenwetter fliegen die Schwalben niedrig.
Die Bäume fahren im Frühling aus der Haut. Dezemberwind macht die Nasen rot, die es nicht schon sind.
Wenn es Silvester schneit, Ist Neujahr nicht weit.
Aphorismen und Reime 085
Dauerhaftem schlechtem Wetter Mußt du mit Geduld begegnen, Mach es wie die Schöppenstedter:
Regnet es, so laß es regnen. Zu Weihnachten getanzt im Schnee,
Zu Ostern Frost im Zeh.
Aphorismen und Reime 087
Dummheit, die man bei den anderen sieht, Wirkt meist erhebend aufs Gemüt.
Dummheit ist auch eine natürliche Begabung.
Alte Dummheiten treten uns früher oder später doch immer wieder auf die Hacken.
Wenn andere klüger sind als wir, Das macht uns selten nur Pläsier, Doch die Gewißheit, daß sie dümmer, Erfreut fast immer.
Warum er immer so vergnügt?
Weil er die anderen für dümmer hält als sich selbst.
Tröste Gott, wenn der Mensch auf sich selber zu sprechen kommt!
Dem warmen, alles umfassenden
Mitgefühl wird nichts lächerlich, dem eisigen, hochgesetzten Intellekt mag am Ende nichts ernsthaft erscheinen.
Ungeduld hat häufig Schuld.
Klatschen heißt anderer Leute Sünde beichten.
Er hat den Hals zu voll, um danke zu sagen.
Schwäche ist mißtrauisch.
Der eine trägt Holz, der andere wärmt sich dran.
Lehrling: Auch alles soll ich getan haben. Wenn nun die Meisterin, n Kind kriegt, dann soll ich das wohl auch getan haben.
Denn eine Störung seiner Freuden Sucht jeder möglichst zu vermeiden.
Mußte erst mit dem Kopf gegen die Bäume rennen, ehe er merkte, daß er auf dem Holzweg war.
Ich hörte mal, daß man Verdruß –Womöglich streng vermeiden muß.
Aphorismen und Reime 089
Knabendrohung: Sperrst du mich in den Keller, fang’ ich Mäuse und setze sie an den Speck. Jung ein Gimpel, alt ein Simpel.
Er hatte ihr nichts zu verzeihen, denn er hatte sie nicht beleidigt.
So dich jemand auf die linke Backe schlägt, so reiße ihm das rechte Auge aus und wirf es von dir.
Wenigstens Selbstironie sollte der Sünder haben – also jedermann.
Die Reue wegen Unterlassung einer bösen Tat ist, fürcht’ ich, nur zu häufig.
Höflichkeit: Der Affe der Herzensgüte.
»Bitte, treten Sie näher!« sagte der Teufel.
Was man besonders gerne tut, Ist selten ganz besonders gut.
Die Frage ist oft eine Mutter der Lüge.
Wer dir sagt, er hätte noch nie gelogen, dem traue nicht, mein Sohn.
Der Beste muß mitunter lügen. Zuweilen tut er’s mit Vergnügen. Ach, mitunter muß man lügen, und mitunter lügt man gern!
Tugend wohnt im Dachstübchen, Laster in der Beletage (Ober und Unterkörper).
Erwischtes Laster verzeiht, nicht erwischte Dummheit.
Zur Tugend, wie man zu sagen pflegt, Ist eigentlich keiner recht aufgelegt.
Aphorismen und Reime 091
E ine Schwäre peinigt mich.
Wo denn sitzt sie?
wo ich.
Mitunter sitzt die ganze (größte) Seele
In eines Zahnes dunkler (kleiner) Höhle.
Ein weher Zahn
schlechter Schlafkumpan.
Da
-
Ein Zahn, ein hohler, macht mitunter Sogar die faulsten Leute munter.
Ein hohler Zahn ist ein Asket,
Aphorismen und Reime 093
Der allen Lüsten widersteht. Sie hat viel zu tun mit ihren Schmerzen.
Viel besser als ein guter Wille Wirkt manchmal eine gute Pille.
Gesunder Magen bleibt unbeachtet, viel Arbeit, wenig Dank.
Aphorismen und Reime 095
Wie stark leidet einer? Verschiedene Dicke der Haut. Ausdruck nicht zu prüfen auf seine Richtigkeit.
Schuster:
Kein Hühnerauge sticht und brennt, Was ihn nicht seinen Vater nennt.
Kalte Füße sind lästig, besonders die eigenen.
Doktor aus dem Fenster:
Aphorismen und Reime 097
»Noch kein Ostwind, noch immer keine Lungenentzündung?«
Die Welt ist groß ...
Die Welt ist groß, weil der Kopf so klein.
Punkt – nullte Dimension.
Materie – Hartnäckigkeit der kleinsten Lebewesen.
Wer kann behaupten, daß die Naturgesetze ewig sind. Wir kennen nur das eine Ende davon.
Auf dem Gebiet des Verstandes muß man sich den Gesetzen des Landes fügen.
Auch das kleinste Ding hat seine Wurzel in der Unendlichkeit, ist also nicht völlig zu ergründen.
Die Geschichte mit einem Floh kann so interessant sein wie die Geschichte Griechenlands.
Herr meines Lebens! An der Welt sitzt noch lange kein Ende!
Man spürt die Welt in allen Gliedern.
Wer sagt, die ganze Welt sei schlecht, Der hat wohl nur so ziemlich recht.
Die Welt, obgleich sie wunderlich, Ist gut genug für dich und mich!
Ist darum schlecht die Welt, Weil sie dir nicht gefällt?
Kein Festland ist die Welt. Wir müssen uns nun mal drücken und drängen lassen zwischen den eigenwilligen Dingen dieser Welt, weil wir auch eines sind.
Gar sehr verzwickt ist diese Welt, Mich wundert’s, daß sie wem gefällt.
Die Nationalität ist ein Ding, was keiner bei lebendigem Leibe los wird, er mag kratzen, soviel er will.
Im Land Italien lebt man froh, Hoch hüpft das Herz und hoch der Floh.
Aphorismen und Reime 099
Solange Herz und Auge offen, Um sich am Schönen zu erfreun, So lange, darf man freudig hoffen, Wird auch die Welt vorhanden sein.
E in Onkel, der Gutes mitbringt, Ist besser als eine Tante, die bloß Klavier spielt.
Das Lachen ist ein alter Brauch, Beelzebub, der tut es auch.
Lacher gibt’s vom Trottel bis zum Teufel.
Lachen: Ausdruck der gekitzelten Eitelkeit.
Lachen: Ausdruck relativer Behaglichkeit.
Aphorismen und Reime 103
Der gute Unterhalter braucht nichts Gescheutes zu sagen, sondern muß was Dummes anhören können.
Lachen, Bedauern, Verachten sind nach der Wurzel zu intime Verwandte, gemeinsam erzeugt von dem wohltuenden Gefühl der Überlegenheit.
Zuweilen lacht man über sich selber, sofern man sich mal bei einer mäßigen Dummheit erwischt, indem man sich nun sogar noch gescheiter vorkommt, als man ist.
Aphorismen und Reime 105
Es ist halt schön, Wenn wir die Freunde kommen sehn.
Schön ist es ferner, wenn sie bleiben Und sich mit uns die Zeit vertreiben. Doch wenn sie schließlich wieder gehn, Ist’s auch recht schön.
Mit den Besuchsplänen ist’s wie mit den Schiffahrtsplänen:
Wind und Wetter vorbehalten.
tichworte
Dürre Zweige, kurz gebrochen, Etwas dünner oder dicker,
Um Kaffee dabei zu kochen, Diese Zweige heißen Spricker.
Zur Kirche wandelt Küster Nüssel,
In der Hand den großen Schlüssel: Daß er, so wie bisher, auch heute Im Turm die Abendglocke läute.
Salomo: Sohn der Ehebrecherin Bathseba. Baut den Göttern seiner ausländischen Weiber Altäre.
Rhetorische Seilwinder.
Inschrift am Salzfaß: Oh, oh! Wat hört dar to!
Junge kommt zu langsam mit der Schnapsflasche.
Vater: »Wart, der Knüppel kommt dir schon entgegen.«
S
In der Fülle des Nichts. Bauch – Futterschlauch.
Behandelt wie das Kaninchen im Affenhause.
Heinrich, Heinrich, werde munter, Denn sonst kömmste einen‚ runter.
Er trug einen dunklen Vollbart und einen hellen Handkoffer.
Vizehirn: besorgt die laufenden Geschäfte, auch wenn der Herr nicht daheim ist.
Es schwant mir was, mir ist so wohl, Gibt’s heute mittag Sauerkohl?
Er ist ganz Ruhe, vom Nachtmützenzipfel bis in die Schuhe.
Sobald einer auf eigenem Lande ist, kann ihm der Wehrwolf nichts tun. Wenn ich mit Denken in mich gehe Und meinen Seelenraum besehe etc.
Aphorismen und Reime 109
Opportunist = Jenachdemer.
Wem ein Floh ins Ohr gesetzt wird, der muß stochern.
Vexiergeschenk: Wenig Gehalt, viel Papier.
Eine Freude im Stübchen, zehn warten draußen.
Das ist wie Regen ins Wasser.
»Auch das noch!«, sagte der Bettler, da fiel ihm das Brot durch die Kiepe. Lustige Verzweiflung.
Gleichgültig nimmt der Kleiderstock Entgegen Hut und Überrock.
Hoffetod: stirbt nicht oder ist schon gestorben.
Zaunigel – Bild des bewaffneten Friedens.
Lebenslauf: Reise. Woher? Wohin? Bellende Hunde im Dorf, die kleinen tun das Beißen. Einkehr und Abschied. Wie die Blinden: Auf Wiedersehen! Heimat und Ruhe.
Wirt (zu einem späten Gast): Es schläft schon einer im Saal. Der Gast zieht sich leise aus; der andere war ein vom Blitz erschlagener Schneidergeselle.
»Beizu trifft man am besten«, sagte Taps, da hat er sich den Finger abgehackt.
Der Zug ist eben abgelassen –Ich stehe da und kann‘s nicht fassen.
Das ist es eben!
Man denkt nicht nur, man will auch leben.
Im Eifer der Ernte. Konditorwahrheit.
Hinter der Kost ist schlecht naschen.
Es ist ein Brauch von alters her, Wer Sorgen hat, hat auch Likör. Doch wer zufrieden und vergnügt, Sieht auch zu, daß er welchen kriegt.
Zu einem Wurstpaket:
Es blüht die Wurst nur kurze Zeit, Die Freundschaft blüht in Ewigkeit.
Aphorismen und Reime 111
„Ente gut, alles gut!“
Impressum
1. Auflage: Augsburg, Juni 2022
Druck: Digitaldruck Copy Shop, Inh. Bernd Kerler, Augsburg
Gesetzt und gebunden von Anna Wagner
Projekt der Hochschule Augsburg
Typografie 4, KD 4 im Sommersemester 2022
Neue Haas Grotesk und Breitkopf Fraktur
Originaltexte aus projekt-gutenberg.org
Biografie aus wilhelm-busch.de