Sportzeit Sommer 2009

Page 7

sportZEIT Sommer 09

mit dem trekkingrad über die Alpen

eine transalp auf der historischen römerstrasse via claudia augusta uns zudem einem speziellen Radreiseveranstalter an. Denn eine Alpenüberquerung ohne gewichtiges Gepäck am Rad macht erst richtig frei von allen Alltagsmühen und lässt einen die Höhepunkte noch mehr genießen. So sausen unsere Räder unbelastet dem Gardasee entgegen. Wohl wissend, der nächste Anstieg kommt bestimmt. „Transalp Trekking Via Claudia“ nennt der Reiseveranstalter Alps Biketours in München die angebotene AlpenTour. Die Idee dazu, erklärt uns Anke, wurde ursprünglich auf dem Sattel ihres Mountainbikes geboren. Seit mehr als zehn Jahren führt Anke als Tourguide Mountainbiker von Bayern an den Gardasee, überwiegend auf versteckten Wald- und Forstwegen inmitten der Natur.

Von Mittenwald an den Gardasee Eine Alpenüberquerung mit dem Trekkingbike ist als Erlebnis kaum zu toppen. Wir haben das Abenteuer angepackt und erlebten das Radfahren in seiner dritten Dimension. Die Via Claudia Augusta von Augsburg nach Venedig ist bei einer Länge von rund 900 Kilometern der Klassiker unter den Alpenüberquerungen. Höchster Punkt ist dabei der

Feltre durchs Brenta-Tal weitgehend fertig. Etwas abweichend von dieser klassischen Route führte die von uns beschriebene Tour von Mittenwald an den Gardasee. Dieses Gefühl wird keiner von uns jemals vergessen. Vor drei Tagen waren wir mit unseren Trekkingrädern in Mittenwald aufgebrochen, heute erklimmen wir bereits den Alpenhauptkamm. Die Stimmung ist überwältigend.

Eine Alpenüberquerung mit dem Trekkingbike ist als Erlebnis kaum zu toppen. 1455 Meter hoch gelegene Reschenpass. Die Strecke ist als Fernradweg komplett ausgeschildert und führt in großen Teilen auf Radwegen oder kleinen Nebenstraßen beinahe völlig ohne Verkehr. Einzig die Überquerung des Fernpasses in Deutschland und die Durchquerung des Finstermünztales unterhalb von Nauders zwingt Radfahrer auf einen Hauptverkehrsweg. Beide Steigungen lassen sich jedoch bequem mit dem Postbus überbrücken. In den Sommermonaten wird für Radfahrer ein eigener Anhänger mitgeführt. Auch in Italien ist der Radweg von Trient nach 12

„Von nun an geht es nur noch bergab, Italien wir kommen“, ruft Anke begeistert. Wie im Rausch überqueren wir den Reschenpass und lassen das gigantische Panorama auf uns wirken. Vor uns liegt der türkisfarbene Reschensee mit seinem versunkenen Dorf und dem als Mahnmal aus dem Wasser ragenden Kirchturm. Dahinter baut sich die mit ewigem Eis bedeckte Gipfelgruppe des Ortler-Massivs auf. 14 Dreitausender thronen von hier aus mächtig über dem Südtiroler Vinschgau, das

sich nicht nur als größter Apfelgarten der Welt einen Namen machte. Schon vor knapp 2000 Jahren legte hier das mächtige Römische Reich die wichtigste Handelsstraße über die Alpen an, die „Via Claudia Augusta“. Damals wie heute gilt die Verbindung von Venedig nach Augsburg über den Reschenpass als leichteste Variante, die Bergwelt zu bezwingen. Auch für Radfahrer des 21. Jahrhunderts ist die historische Strecke die einfachste und gleichzeitig die kulturträchtigste Route über die Alpen. Denn dort, wo Jahrhunderte lang wichtige Handelsgüter transportiert wurden, entwickelten sich reiche Dörfer, mächtige Schutzburgen, verwinkelte Klöster und prächtige Städte. Zu allem Überfluss kam in den letzten zehn Jahren noch eines dazu. Die Via Claudia Augusta wurde von Augsburg nach Venedig nicht nur als Fernradweg ausgeschildert, sondern Stück für Stück zum beinahe komplett verkehrsfreien Radweg ausgebaut. Fast ohne lästigen Verkehr und Abgasgestank lassen sich darauf die Alpen bezwingen. Um die Bergwelt und unser Rad noch intensiver genießen zu können, vertrauten wir

ten, treten. Doch die Mühe lohnt. Minute für Minute schraubt sich unser Rad höher in den Himmel. Der Dunst und die Schwüle des Tales bleiben unter uns. Südtirol in seiner vollen Schönheit hüllt uns ein. Wir staunen über üppige Bauerngärten, radeln an einem uralten Schloss vorbei und beobachten den Winzer, wie er liebevoll Rebstock für Rebstock unter die Lupe nimmt. Wir sind so fasziniert, dass

Das sportliche Konzept wurde jetzt auf Trekkingbiker übertragen. So folgt die Strecke nicht einfach dem ausgeschilderten Radweg, sondern steuert viele selbstgesuchte Geheimtipps an. Wer einmal den Etschradweg von Meran bis Verona abgestrampelt hat, versteht die Idee, die hinter einer geführten Alpenüberquerung steht. Der Radweg folgt monoton dem regulierten Flusslauf, vorbei an Millionen von in Reih und Glied kultivierten Apfelbäumen. Echte Highlights sind dabei eher selten zu entdecken. Nur wer Abstecher wagt, erfährt das ursprüngliche Südtirol.

wir kaum bemerken, dass die Straße längst einer Höhenlinie folgt und unsere Räder direkt ins Paradies rollen.

Mit blumigen Worten hatte man uns vorab die Tour schmackhaft gemacht, jetzt ächzen wir eher ein wenig über unsere „sportliche“ Idee. Von wegen, ab dem Reschenpass geht es nur noch bergab. Ich zähle die Schweißtropfen, die klatschend auf das Oberrohr meines Rades fallen schon lange nicht mehr. Exakt 260 Höhenmeter scheucht uns Anke ein steiles Asphaltsträßchen südlich des mondänen Kurortes Meran bergauf. Leicht sehnsüchtig erinnern wir uns an den cremigen Cappuccino unter Palmen, den wir noch vor einer Stunde an der Etschpromenade genossen haben. Jetzt dagegen heißt es treten, tre-

Das Paradies hat hier oben sogar einen Namen. Es nennt sich Buschenschank und ist ein Bauernhof wie aus dem Bilderbuch. Neugierige Enten inspizieren interessiert den schwarzen Gummi unserer Reifen, eine Katze schnurrt gemütlich eingerollt in einem sonnenverwöhnten Eck und der Hund wartet mit treuen Augen auf die saftige Schwarte, die Bäuerin Anna mit einem uralten, aber extrem scharfen Messer sorgsam für uns vom selbstgeräucherten Südtiroler Speck abschneidet. Keiner von uns kann dem Angebot zu einem Glas selbstgemachten Holunderblütensaft widerstehen. So haben wir uns Urlaub vorgestellt.

Doch der Tag ist noch lange nicht zu Ende. Pfeilschnell sausen unsere Räder wieder hinab ins Tal. Wir wollen noch nach Girlan, ins historische Herz des Südtiroler Weinanbaus. So grüßen wir Ötzi in seinem Bozener Museum nur von der Ferne und wagen uns dafür an den Abendberg. Vor der Kulisse der weißen Dolomitengipfel fällt das nicht schwer. Anke hat als Belohnung für uns zudem eine Weinprobe beim Winzer organisiert. So erfahren wir, dass der Südtiroler Wein zeitgleich mit dem Bau des Etschradweges einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht hat und heute mit den meisten Auszeichnungen Italiens aufwarten kann. Wir halten uns trotzdem zurück, denn auch morgen erwartet uns ein aktiver Tag. „Schreckbichl“ nennt sich eine bekannte Südtiroler Weinlage und wir wissen jetzt warum. Auch diesen „Bichl“, sprich Berg, müssen wir bezwingen. Doch der „Schreck“ steckt uns nicht lange in den Gliedern. Wie Diamanten haben die Gletscher der Urzeit die Montiggler Seen zurückgelassen. Ihr klares, blaugrünes Wasser ist herrlich erfrischend. Genauso wie die Abfahrt durch den dichten, schattigen Wald. So steuern wir quasi durchs Hintertürchen Südtirols

13


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.