Bergeerleben - AVS-Magazin Dezember 2019

Page 79

Simon am höchsten Punkt des Geshot Peak (r.), im ­Hintergrund der Nanga Parbat Foto: Simon Messner

Das Team beim Rückmarsch vor dem im ­Nebel versteckten Geshot Peak: Robert, Günther, Reinhold, Anna und Simon (v. l. n. r.). Tags zuvor stand Simon auf dessen höchstem Punkt Foto: Robert Neumeyer

Der Nanga Parbat von Norden gesehen; in der oberen Mitte des Bildes das ­sogenannte „Silberplateau“, über das ­Hermann Buhl 1953 erstmals und im ­Alleingang den Gipfel erreichte Foto: Robert Neumeyer

wurde uns sofort klar, dass ein Weiter­ weg für eine Viererseilschaft zu gefähr­ lich war. Also brachen wir ab und stie­ gen ins Basislager ab. Im Alleingang Es war die richtige Entscheidung ge­ wesen, keine Frage. Aber mir persön­ lich ließ dieser Berg keine Ruhe mehr. Sollte ich vielleicht alleine einen Ver­ such wagen? Immerhin wäre ich im Allein­gang schneller und würde die Schneedecke nicht so sehr belasten, redete ich mir ein. Es müsste nur ein wenig abkühlen. Gedacht, getan. Zwei Tage später stieg ich erneut zu unse­ rem ABC auf, schlief dort und verließ um 3.30 Uhr nachts das Zelt. Es war eine sternenklare, aber immer noch sehr warme Nacht: „Ich gehe einfach so weit, wie ich mich sicher fühle. ­Umdrehen kann ich jederzeit“, war nun mein Leitspruch. Obwohl ich teilweise

tief im Schnee einbrach und jeden Schritt spuren musste, erreichte ich bereits bei Tagesanbruch den Sattel. Hier ließ ich eine kleine Trinkflasche, meine Matte, den Schlafsack und einen Biwak­sack zurück. Notfalls würde ich hier eine Nacht problemlos ausharren können. Das gab mir Zuversicht. Also stieg ich weiter und weiter, bis ich schließlich um 9.30 Uhr am Gipfel stand. Mein Puls hämmerte rasend dumpf in meinem Hinterkopf. Die letz­ ten Meter hinauf zum stark überwech­ teten Gipfel musste ich mich buch­ stäblich „hinaufprügeln“. Für diese Höhe war ich nicht genügend akklima­ tisiert, das wusste ich. Also machte ich schnell ein Foto, ließ den Blick rundum in die Ferne schweifen und atmete kurz durch, dann begann ich sofort den mühevollen Abstieg. Wie viel ich beim Aufstieg tatsächlich riskiert hat­ te, wurde mir nun erst bewusst. Die Hänge, die ich gequert hatte und nun erneut queren musste, standen unter Hochspannung. Dazu kam die Wärme der Sonne, die mich nun teilweise bis zur Hüfte in den Schnee einsinken ließ. Bei jedem Schritt fürchtete ich einen Lawinen­abgang, jedes Knacken ließ mich zusammenzucken. Ein bisschen fühlte ich mich so, als würde ich ver­ folgt. Als ich einige Zeit später den Sattel erreichte, erwog ich zu warten, bis es Nacht ­würde. Der Abstieg wäre bei tieferen Temperaturen weniger gefähr­lich. Doch mittlerweile waren ringsum Wolken aufgezogen, es sah nach einem Wetter­umschwung und

Schnee aus. Also stieg ich weiter ab und erreichte gegen Mittag den Wandfuß. Nun erst, als würde jemand den Stromstecker ziehen, knickten meine Beine unter mir weg und ich ließ mich in den Schnee fallen. Es konnte mir nichts mehr passieren. Karakorum oder „schwarzes Geröll“ Die Reise war für mich noch nicht vor­ bei. Während das Filmteam Anfang Juli die Heimreise antrat, fuhr ich wei­ ter nach Skardu. Dort würde ich meine zwei Innsbrucker Kletterpartner Martin Sieberer und Philipp Brugger treffen. Unser gemeinsames Ziel war die Erst­ besteigung des Black Tooth und, wenn möglich, der Weiterweg auf den Gipfel des Muztagh Tower – in meinen Augen ein ungemein schöner Berg! Die Erst­ besteigung des Muztagh Tower – in der Balti-Sprache „Eisturm“ – war ei­ ner britischen Expedition im Juli 1956 gelungen. Gleichzeitig versuchte sich damals eine französische Expedition an der Süd-Ostseite. Auch sie erreich­ ten den Gipfel. Allerdings nur, um dort erkennen zu müssen, dass der Berg bereits fünf Tage zuvor bestiegen wor­ den war. Medial war es damals ein Hype, eine Art Wettstreit, der aber auch eine gewisse Tragik in sich birgt, denn in meinen Augen gibt es im ­Gebirge weder Sieger noch Verlierer. Man kann scheitern, das schon, aber nicht verlieren. 56 Jahre später gelang einer russischen Expedition eine be­ eindruckende Linie durch die Nord-­ Ost­seite des Berges in 17 Tagen. Bergeerleben 06/19

79


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.