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Naturverträgliche Anreise in die Berge
Über nachhaltige Mobilität und neue Freiheiten
Bergsport und Naturschutz – das ist es, was viele mit dem Österreichischen Alpenverein verbinden. Zweifellos ein anspruchsvoller Balanceakt, umgeben von verhärteten Fronten und starken Meinungen.
Simon Bergmann
Dass die individuelle Anreise in die Natur (egal, ob zu Bergen, Seen oder anderen Sehenswürdigkeiten der Natur) einerseits mit Freiheit, andererseits aber auch mit Problemen verbunden ist, ist längst kein Geheimnis mehr. Der anthropogene Klimawandel ist seit Jahrzehnten bekannt und der Gletscherbericht 2021 zeigte uns Bergsportler*innen aufs Neue mit dramatischer Deutlichkeit die Auswirkungen auf die Bergwelt, die wir so gerne besuchen und schützen möchten.
Gewohnheitstier Mensch
Im Bergauf 2-2021 berichtet Benjamin Stern in der Serie „Respekt am Berg“ über die CO2-Emissionen des Individualverkehrs und über die möglichen Einsparungen bei der öffentlichen Anreise. Sicherlich ist das private Autofahren nicht die einzige Quelle klimaschädlicher Verschmutzungen, aber dennoch beachtlich und spätestens beim Anblick der Skitouren- und Wanderparkplätze offenbart sich ein weiteres Problem: In vielen Regionen der Alpen ist die Infrastruktur unseren Mobilitätanforderungen nicht gewachsen. Der Platz ist begrenzt, am Berg wie im Tal. Sommer wie Winter schieben sich die Autos in die Berge und reihen sich dicht an dicht. Die Blechlawine ist wahrscheinlich die einzige Lawinenart, die immer Saison hat. Eine Gefahr, für die es keinen Lawinenlagebericht gibt, obwohl sie so berechenbar ist.
Aber warum fahren wir so gerne mit dem Auto in die Berge, ob-

á Die Schweiz und die Eisenbahn: Nach der Abfahrtsvariante Guspis geht es von Hospental natürlich mit dem Zug zurück nach Andermatt. Fotos: W. Warmuth
ä Öffi mal anders: Mountainbikerunde am Gardasee mit dem Linienschiff.

wohl uns die damit verbundenen Probleme bekannt sind? Wagen wir eine sehr verkürzte soziologische Betrachtung: Weil wir es über Jahrzehnte so gelernt haben, der Mensch sich an Gewohnheiten klammert und es einfach bequem ist. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit kamen neue Möglichkeiten der Mobilität und neue Anforderungen an die persönliche Reisefreiheit.
Die Möglichkeit, mit dem Pkw frei entscheiden zu können, wurde durch die Auflösung der innereuropäischen Grenzkontrollen begünstigt, und so betrachten wir es längst als selbstverständlich, wann immer wir es wünschen in den Urlaub oder zumindest ins Wochenende zu fahren – mit dem Auto selbstverständlich. Homo sapiens sind freilich nicht schon immer Auto gefahren, Mobilität ist ein erlerntes Verhalten. Wir fahren Auto, weil es bequem ist und weil wir gelernt haben, dass es viele Vorteile bringt. Mit dem Auto verbinden wir ein Gefühl der Freiheit.
Dschungel an Informationen
Was passiert aber, wenn sich die soziale und natürliche Umwelt des Homo sapiens ändert? Als vernunftbegabtes Wesen passt der Mensch seine Handlungsweisen an die sich ändernden Bedingungen an und entwickelt neue Techniken. Die Vorstellungen von Mobilität, wie wir sie lange gelernt haben und all ihre Vorzüge zu schätzen wussten, sind veraltet und nicht mehr zeitgemäß. Es ist an der Zeit, eine neue Mobilität zu lernen und Neues auszuprobieren. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen, bringt sicherlich nicht immer nur Vorteile, aber es birgt zweifelsohne neue Möglichkeiten. Dies soll kein Plädoyer dafür sein, ausschließlich nur noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen, sondern situativ zu entscheiden. Manche Ausgangspunkte lassen sich besser mit den Öffis erreichen als andere und abhängig davon kann die Anreise geplant werden.
Sich für die umweltfreundlichere Anreise auszusprechen, muss aber nicht heißen, komplett auf das Auto zu verzichten. Es muss nicht immer eine Entscheidung dafür oder dagegen sein, nicht umsonst spricht man von der goldenen Mitte. Mal mit dem Auto, mal mit Bus und Bahn, oder sogar mal mit dem Fahrrad, immer angepasst an das Tourenziel, so trägt man schon einen kleinen Teil zur Entlastung der Umwelt und der Infrastruktur bei.
Um nachhaltiger in die Berge anzureisen, gibt es zahlreiche Angebote, von Bus und Bahn über Ruftaxis bis zu Fahrgemeinschaften und Car-Sharing-Modellen. Oft – aber natürlich nicht immer – besteht das Hauptproblem nicht darin, dass es keine Angebote gibt, sondern dass es einen kaum zu durchdringenden Dschungel aus Informationen gibt.
Flexibilität mit Öffis
Peter Backé betont in seinem Artikel „Ganz ohne Auto“ (Bergauf 02.2021), dass die Möglichkeiten der öffentlichen Anreise auch von neuen Herausforderungen begleitet werden. Bei der öffentlichen Anreise ist meist die Erreichbarkeit des Ausgangspunktes entscheidend und von da ergeben sich mögliche Tourenziele. Das Thema nachhaltige und umweltfreundliche Anreise wurde auf alpenvereinaktiv.com in der Vergangenheit nicht konsequent verfolgt, aber auch wir als Team lernen dazu.
Die Anreise ist wesentlicher Bestandteil einer guten Touren-



planung und aus diesem Grund gibt es nun auf alpenvereinaktiv.com eine übersichtliche Seite mit vielen Informationen zum Thema klimafreundliche Anreise, geordnet nach den Regionen der Ostalpen. Diese sind unter dem Reiter Zusatzinfos zu finden. Um gezielt nach Tourenvorschlägen zu suchen, gibt es hier eine Vielzahl von Listen mit attraktiven Tourenzielen, von einfachen Wanderungen bis zu anspruchsvollen Hochtouren, die allesamt gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind. Außerdem gibt es in der Tourensuche die Möglichkeit, den Filter „Mit Bahn und Bus erreichbar“ zu setzen.
Viele der Touren, die häufig mit dem Pkw angesteuert werden, sind auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar, aber es gibt natürlich auch Touren, die nur schlecht oder gar nicht an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden sind. Viel zu selten wird der Blick auf die Touren gelenkt, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln viel besser durchführbar sind als mit dem privaten Auto. Überschreitungs- und Durchquerungstouren, die nicht am Startpunkt enden, sind prädestiniert für alternative Anreiseformen wie Bus, Bahn oder Wandertaxi.
Aber auch außerplanmäßige Änderungen des Tourenverlaufs sind bei der Anreise ohne Auto viel leichter umzusetzen. Wenn man beim Aufstieg einer Skitour feststellt, dass der schöne Hang ins Nachbartal unverspurten Pulverspaß verspricht, während der übliche Abfahrtshang einer Buckelpiste ähnelt, hat man dank öffentlicher Verkehrsmittel Entscheidungsfreiheit. Eine einsame Abfahrt ins Tal bis zur nächsten Bushaltestelle ohne umständliches Zurückkommen zum Auto, gefolgt von einer staufreien Heimfahrt, bei der man noch dazu nicht selbst fahren muss, sondern gemütlich chauffiert wird. Das ist Freiheit.
Simon Bergmann studierte soziale und politische Theorie an der Universität Innsbruck. Er arbeitet im Team von alpenvereinaktiv.com des Österreichischen Alpenvereins und fantasiert gern über die soziologischen Aspekte des Bergsports.
Photo © Philipp Reiter
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Umfrage

Der Österreichische Alpenverein startet in Zusammenarbeit mit Umweltmanagement Austria und der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik eine Umfrage zur nachhaltigen Mobilität. Ziel der Umfrage ist es, das Mobilitätsverhalten von Alpenvereinsmitgliedern auf privaten Bergtouren sowie auf Vereinstouren zu analysieren, um Lösungen für die Herausforderungen einer umweltfreundlichen Anreise in die Berge zu finden. Link zur Umfrage: bit.ly/alpenverein21 Gewicht: 200 g Packmaß: 42 cm Länge: 110 - 130 cm verstellbar