6 minute read

Von rund auf flach

Die Erde ist zwar keine Scheibe: Dennoch kann sie, inklusive der Alpen, ganz flach auf Papier dargestellt werden. Die Kartographen des Österreichischen Alpenvereins sind Experten auf diesem Gebiet, Papier ist aber längst nicht mehr ihr einziges Medium.

von Evelin Stark

Sie kennen die Geländebeschaffenheit eines Gebietes auswendig, vermessen jeden Baumwipfel im Wald und zeichnen vor Ort eine Felsformation nach der anderen auf. So oder so ähnlich stellt man sich den Arbeitsalltag von Kartographen vor, oder? „Alte Karten wurden tatsächlich handgezeichnet. Die Kartographen waren richtige Künstler!“, sagt Werner Beer. Der Geograph mit Liebe zum Detail ist einer der Köpfe des Kartographie-Teams im Österreichischen Alpenverein. Zudem bringe nichts so viel geballte Information auf ein Blatt Papier wie eine Karte. Der Tiroler Vermesser und Kartograph Peter Anich etwa, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 300. Mal jährt, sei ein Pionier der Kartographie gewesen.

Die Alpenvereinskartographie bietet seit über 150 Jahren Hochgebirgskarten für ausgewählte Regionen an. Die ersten Kartenwerke des Alpenvereins basierten noch auf amtlichen Karten und wurden ab 1902 durch eigene topographische Geländearbeit ergänzt. Sukzessive wurde die Genauigkeit der Karten verbessert. Dies war der Beginn der klassischen Alpenvereinskartographie.

Seit Anichs berühmtem „Atlas Tyrolensis“ (~1770) hat sich also einiges getan, auch wenn damals wie heute gilt: „Ein Kartograph bildet ein Dreieck zwischen Kunst, Wissenschaft und Technik. Alle drei Aspekte spielen eine Rolle bei der Erstellung einer Karte“, so Martin Ladner, der Zweite im Team der Kartographen. Insgesamt besteht das Kartenteam im Österreichischen Alpenverein übrigens aus vier Personen: Johanna Heller und Johannes Köck machen das Quartett komplett. „Die Karten wurden früher ausschließlich für die relative Orientierung verwendet, weshalb aufnahmebedingte Lagefehler keine Rolle spielten“, so Ladner. Heute habe man die Möglichkeiten, jeden Gipfel, Hügel und Bach realitätsgetreu darzustellen.

Alles neu

Aktuell umfasst das Verlagsprogramm des Alpenvereins 56 topographische Hochgebirgskarten der Ostalpen mit Wegmarkierung, Skitouren oder als Kombination sowie 18 so genannte Expeditionskarten außereuropäischer Gebiete. „Wir sind gerade dabei, alle Alpenvereinskarten von Grund auf neu zu erstellen, und zwar digital“, so Beer. Die „alten“ Karten dienen dabei als Basis und Quelle für Orts- und Flurnamen.

Dank der engen Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (BEV) in Wien sei dies trotz der kleinen Größe des KartographieTeams im Alpenverein langsam, aber sicher, Karte für Karte, möglich. Das BEV stellt dem Alpenverein geographische Basisdaten bereit, welche durch eine Kooperation gemeinsam erarbeitet werden. Hierbei leistet der Alpenverein umfangreiche Geländearbeiten: „Wir sind 120 Tage im Jahr in den Kooperationsgebieten unterwegs“, betont Beer. Die gesammelten Daten können wiederum von Beer, Ladner und Co. als Grundlage für eine detaillierte und maßstabsgetreue Abbildung eines Gebietes verwendet werden.

Apropos Maßstab: „Ein kartographisches Modell ist maßstabgebunden. Unser Zielmaßstab ist mit 1:25.000 sehr groß, da wir Schriftenüberlagerungen vermeiden und alles möglichst detailgetreu darstellen wollen“, erklärt Ladner. Der Geograph ist übrigens seit der Erstellung der ersten digitalen Alpenvereinskarte 2016–2018 fester Bestandteil im Team der Kartographen im Alpenverein. Dass diese ausgerechnet außerhalb des ostalpinen Kerngebietes des Österreichischen Alpenvereins verortet ist – nämlich in Kenia –, begründet sich darin, dass sie im Zuge eines Forschungsprojektes in Kooperation mit der Universität Innsbruck entstanden ist. „Anders als bei den Alpenvereinskarten in den Ostalpen waren beim Mount Kenia keine Grunddaten vorhanden, es musste also alles von Grund auf neu gemacht werden“, erzählt Werner Beer. Der Mount Kenia sei außerdem aufgrund seiner Höhenlage, der vielfältigen Vegetation und der hohen Reliefenergie ein ideales Gebiet für die kartographische Forschung.

Durch die Nutzung von modernsten Satellitendaten konnte ein Geländemodell des Mount Kenia erstellt werden. Daraus wurden wiederum Höhenlinien, Schummerung, Felszeichnung und Auswertungen zur Hydrologie generiert. In Verbindung mit weiteren Daten und der Geländearbeit vor Ort – der Begehung und Aufnahme aller relevanten Routen rund um das Mount-Kenia-Massiv mittels hochgenauer GNSS-Geräte (Globales Navigationssatellitensystem) – konnte die Trekkingkarte für den Mount Kenia entstehen.

Wildspitze

Nun aber zurück in unsere Breitengrade, in die Berge Österreichs. Ausgehend von der in Kenia erprobten Technik steckt das inzwischen eingespielte Team Beer/ Ladner regelmäßig die Köpfe zusammen, um an der Zukunft der Kartographie im Alpenverein zu tüfteln. Deshalb sei man auch in ständigem Austausch mit dem BEV, das dem Team zwar die Basisdaten für die Karten liefert, im Gegenzug von den Alpenvereinskartographen aber wiederum Informationen zu Wegen etc. erhält. Eine fruchtbare Zusammenarbeit also.

Für uns liegt die Zukunft der Kartographie in der hybriden Welt.

„Die Karte im Papierformat wird natürlich weiter existieren, gleichzeitig können Karten aber viel mehr bieten als ‚nur‘ den richtigen Weg zu weisen.“ Wünschenswert wäre, ergänzt Ladner, wenn die Nutzerinnen und Nutzer der Alpenvereinskarten sich eine „mental map“ (Karte im Kopf) aneignen würden. Dabei geht es darum, sich räumlich noch besser orientieren zu können. Gerade was die Sicherheit im hochalpinen Raum betrifft, kann das Smartphone in einer brenzligen Situation mit seinem kleinen Bildschirm nämlich wenig Hilfe leisten. Mit der großen Karte im Kopf (noch besser: im Rucksack!) kann es gehen: „Wenn ich vor einer Gletscherspalte stehe, weiß ich, es gibt einen Weg drum herum, auch wenn mein Handy mir den nicht anzeigt.“

Die schrittweise Digitalisierung der Alpenvereinskarten – eine „analoge“ Begehung ausgewählter Routen mit GNSS-Geräten vor Ort bleibt dennoch nach wie vor nicht aus – heißt für das Kartographenteam also nicht Aufarbeiten, sondern Neudenken. Mit der Alpenvereinskarte „Ötztaler Alpen – Wildspitze“ (erschienen 2022) legen sie aktuell einen Meilenstein in der modernen Kartographie vor: Die vollständige Neuherstellung zeigt detailgetreu und präzise die Positionen der aktuellen Gletscherspalten in diesem Gebiet. Die Betonung liegt auf „aktuell“: Die Karte wird dank der regelmäßigen Datenlieferung des BEV ständig aktualisiert. In Zeiten des massiven Gletscherrückgangs (siehe Gletscherbericht im vorderen Teil des Magazins) kann diese Neuerung Leben retten.

Die Wildspitzkarten 2014

Die Wildspitzkarte 2022: Die neue Karte ist geometrisch exakt. Gletscherspalten werden auf Grundlage der BEV-Aufnahmen von 2021 exakt dargestellt und sind einfach aktualisierbar, so auch die automatisierte, grafisch homogenere Felszeichnung und Schuttdarstellung. Außerdem zeigt die neue Karte neue Inhalte wie Skitouren und bietet eine bessere Lesbarkeit der Namen.

Und wohin geht die Reise? „Unser langfristiges Ziel ist es, anhand von intelligenten Daten vernetzte Karten anzubieten, die weitaus mehr können als ein Gebiet topographisch darzustellen“, erklärt Beer. Das Bushaltestellensymbol etwa könne dann angeklickt werden, um aktuelle Abfahrtszeiten anzuzeigen, genauso wie Hütten zu Reserviermöglichkeiten und Wege zu alpenvereinaktiv-Touren weiterleiten können. Der Blick auf Naturschutzgebiete könne Informationen zu den aktuellen Aktivitäten im Naturschutz liefern und Flurnamen historische Abrisse. So könne man das gesamte wertvolle Wissen des Alpenvereins an einem Ort sammeln und jederzeit abrufbar machen.

„Diese zusatzlichen Informationen sprengen allerdings unsere vorhandenen Ressourcen, weshalb wir in Zukunft verstärkt versuchen mochten, die Alpenvereinscommunity einzubinden“, so Ladner. Konkret hieße dies zum Beispiel: Das BEV meldet eine Unklarheit in einem gewissen Gebiet, das in die Zuständigkeit des Alpenvereins fällt, zum Beispiel einen Wanderweg. Der oder die Wegezuständige in diesem Gebiet kann dann direkt Rückmeldung geben, ob es den Weg noch gibt oder nicht. Die vielen Ehrenamtlichen des Alpenvereins tragen so zum gesammelten Wissen und dessen Verortung bei. Ein Produkt, das nicht nur vernetzt, sondern auch verbindet. Auch wenn hier noch von Zukunftsmusik die Rede ist, klingt das schon vielversprechend. Von rund auf flach auf wow ist die Devise.

Evelin Stark ist Chefredakteurin des BergaufMagazins im Österreichischen Alpenverein.

This article is from: