Leben & Kampf von Andrea Wolf

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besetzten Häuser der Hamburger Hafenstraße brachten Gruppen und Organisationen aus ganz Westeuropa zusammen. Auf dem Kongreß antikapitalistischer und antiimperialistischer widerstand in westeuropa in Frankfurt/Main Anfang Februar 1986 sollten - entsprechend den Vorstellungen der revolutionären Front - Schritte für eine Organisierung der verschiedenen Teile des Widerstands in Westeuropa und darüber hinaus gemacht werden. Mit Vertretern von Befreiungsbewegungen auch aus anderen Kontinenten - wie z.B. der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans ERNK und der Volksbefreiungsfront Palästinas PFLP - sollten gemeinsame Perspektiven diskutiert werden. Diskussion, Organisierung und eine offensive Haltung gegen die imperialistischen Interessen stand im Vordergrund. Weltweit schienen sich die Entwicklungen zuzuspitzen. Das rassistische Apartheitsregime in Südafrika begann unter dem Druck der Bevölkerung und der internationalen Solidarität zu wanken, der palästinensische Befreiungskampf entwickelte sich zum allgemeinen Volksaufstand (Intifada) und setzte Israel zunehmend unter Druck, allgemein nahmen die Guerillabewegungen an Stärke zu, der kurdische Befreiungskampf gegen das NATO-Land Türkei setzte sich fest und gewann auch in der BRD durch die vielen organisierten Kurdinnen und Kurden an Bedeutung In dieser Phase allerdings kündigte Gorbatschow das Ende der bi polaren Welt und der damit verbundenen Reduzierung der Unterstützung der Staaten und Befreiungsbewegungen des Trikont an. Die imperialistischen Staaten unter Führung der USA machten mit der Bombardierung Libyens im Sommer 1986 ihre Haltung deutlich. Der Super-Gau des ukrainischen Atomkraftwerks in Tschernobyl ließ sich von den westlichen Kernkraftprofiteuren nicht antisozialistisch benutzen, sondern führte dazu, daß die Anti-AKW-Bewegung auch in der BRD wiedererstarkte. Die zweite Offensive von RAF/AD und den Kämpfenden Einheiten richtete sich gegen die Kernstücke der europäischen militärischen, ökonomischen und

politischen Formierung zum imperialistischen Zentrum. Diese Angriffe hatten durch die umfassendere Bestimmung ihrer Ziele einen stärkeren Bezug zu den verschiedenen Bewegungen als die vorangegangenen und wurden deshalb auch breiter diskutiert. Weite Teile der Linken waren von einer Aufbruchstimmung erfaßt und davon überzeugt, daß die Möglichkeit des Sieges existiert; zumindest rückte eine grundlegende Veränderung des weltweiten Kräfteverhältnisses für die Seite der Befreiung für viele in den Bereich des Möglichen. Entsprechend waren die staatlichen Reaktionen: 1986 wurden mehrere GenossInnen für die Angriffe der Kämpfenden Einheiten verantwortlich gemacht und mit Hilfe des §129a zu Jahren Isolationshaft verurteilt; Veranstaltungen, in denen es um Fragen des Internationalismus (z.B. Palästina), die Situation und Forderungen der revolutionären Gefangenen in Westeuropa und die Diskussion um militante Organisierung ging, wurden mit dem §129a kriminalisiert und die VeranstalterInnen teilweise zu Haft verurteilt; der §129a selbst wurde erweitert, weil die Angriffe auf die Infrastruktur der Kernkraftwerks-Betreiber massenhaften Charakter annahmen. Die Repression wurde sehr bestimmend und es gab überall darüber Diskussionen, wie politischer Raum zurückzuerobern sei. Ende 1986 war deutlich geworden, daß die antiimperialistische Front mit der Guerilla zwar militärisch entwickelt war, aber politisch schwach und als gesellschaftliche Perspektive nicht existierte, und es deshalb auch wenig Sinn machen würde, eine militärische Angriffslinie einfach fortzusetzen. Massenkämpfe wie die an der Startbahn und der WAA spitzten sich weiter zu, Diskussionen und Mobilisierungen zu Rassismus, Faschismus und - vor allem von Frauen - zu Sexismus/Patriarchat traten mehr in den Vordergrund. Militärisch entwickelten RZ (Revolutionäre Zellen) und Rote Zora Angriffe gegen rassistische/ sexistische Gesetzgebung und Abschiebung etc., weiter unterstützte die Rote Zora direkt Arbeiterinnenkämpfe im Trikont. Das Verständnis von Ausbeutung und Unterdrückung wurde vertieft, wenn auch die Vorstellungen von

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