KulturGut Würzburg 04

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KulturGut

Ausgabe

04

Januar 2011

Magazin für die Kulturregion Würzburg

Wie war ich, Schatz? Die laufende Kultursaison | Das erste Mal. Alles über Uraufführungen | Volles Verständnis garantiert: Was ist Hermeneutik?

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KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Musik | Bühne | Literatur | Kunst | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Editorial

Kommen Sie mit: Auf die Zehn! Tempora mutantur … schwupps, schon sind wir im neuen Jahrzehnt und in einem neuen Jahr für KulturGut. Zeit für eine kleine Rückschau. Ein Jahr KulturGut, das heißt: Ein Jahr mit einem außergewöhnlichen, faszinierenden Projekt. Schon in der Zeit der Entwicklung des Konzepts hatte es sich abgezeichnet, dass hier etwas Besonderes im Entstehen ist. Die Arbeit an KulturGut hat uns seitdem anhaltend begeistert und wir freuen uns darüber, dass wir so viel Resonanz erhalten haben. Die Gespräche und Diskussionen über die Inhalte, die Reflexion der Ergebnisse waren und sind inspirierend für alle Beteiligten und geben uns auch Impulse für die kommenden Ausgaben. KulturGut N°4 beschäftigt sich mit der laufenden Kultursaison – was unsere Redaktion beeindruckt hat, lesen Sie in Kurzrezensionen auf der Titelstrecke. Zudem vertiefen zahlreiche Beiträge im ganzen Heft die Frage: Was leisten beispielhafte Veranstaltungen für die Stadt, für das Klima und die Menschen in ihr - und umgekehrt?

Aber auch die Kritik als solche nimmt in dieser Ausgabe nicht unwesentlichen Raum: Was macht sie aus, wann wirkt sie fruchtbar, wann destruktiv und was macht sie so wichtig? Jeder hat sein Selbstverständnis, seinen eigenen Anspruch an das Arbeiten im Feuilleton. Unsere Mitarbeiter erzählen Ihnen, was sie beim Abfassen einer Rezension leitet. Wir wünschen Ihnen auch in diesem neuen Jahrzehnt eine anregende Lektüre und hoffen, Ihnen bleibende Eindrücke vermitteln zu können. Die KulturGut-Redaktion freut sich, Sie im nächsten Jahr bei der spannenden Reise durch die Kultur begleiten zu dürfen. Wenn Sie gerne weiter in den Diskurs mit uns eintreten möchten, dann laden wir Sie wie immer herzlich auf unsere Website www.kulturgut-wuerzburg.de ein. Wir freuen uns auf Ihre Anregungen und auf einen geistreichen Dialog: Bleiben Sie uns gewogen! Iris Wrede Chefredakteurin

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Inhalt

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Thema | Wie war ich, Schatz? Die Saison 2010

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Thema | Zum Selbstverständnis im Feuilleton

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Thema | Alles Verstehen… Das ist Hermeneutik

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Theater | Kilian redet rein: Grimms Uraufführung

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Theater | Schrebers Perlen im Wäscheschrank

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Theater | Termine

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Musik | Die unabhängige Rock-Tourneestadt

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Musik | Das macht den Pop so diskursfähig

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Musik | Der Soundtrack zum Endspiel

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Musik | Termine

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Kunst | Cool, stylisch und dekorativ: Alex Katz

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Kunst | Französisch-deutsche Freundschaftsgeschichten

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Kunst | 1950er Jahre: Verharren und Aufbruch

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Kunst | Termine

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Literatur | Der Ezechiel-Remix

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Literatur | Termine

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Film | Die machen das Programmkino Central

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Film | Das macht das Central zum Programmkino

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Stadt | Ganz gewöhnliche Geschichte: Überall Zwangsarbeiter

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Stadt | Das Gedenk-Gespräch ist eröffnet

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Stadt | Termine

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Wissenschaft | Neue Methoden zum leichteren Lernen

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Wissenschaft | Termine

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Interkultur | Termine

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Interkultur | Augustinerkloster baut offene Tore

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Handwerks-Highlights I Im November erschien das Brot des Monats in der Vollkornbäckerei unerwartet orange. Die Publikumserwartungen, die der Name Kürbisbrot weckte, wurden zugleich unterlaufen und übertrumpft: Statt Kürbiskernen enthält der Teig ein Fünftel Hokkaido-Mus, als Getreide wurde helles Dinkelmehl verwendet. Eine saftige Neuentwicklung!

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Wie war ich, Schatz? Die Herbst-Winter-Kulturkollektion 2010/11 im Rückblick Der Kulturherbst war bemerkenswert, stellt die KulturGut-Redaktion fest. Und komponiert ein Mosaik der Rezensionen. Um festzuhalten: Das ist uns aufgefallen, hier haben wir innegehalten, beeindruckt gelauscht, die Stirn gerunzelt, den Kopf geschüttelt, geklatscht bis die Handflächen brannten. Unsere Sammlung der außergewöhnlichen Kultur-Momente gibt im besten Fall Anleitung zum Hören und Sehen und macht Lust auf mehr: eine Einladung zur Meinungsbildung.

harmonischen Orchesters am Mainfranken Theater sich ebenfalls der Neuen Musik widmete. Das Premierenpublikum hat – wenn auch teilweise etwas verstört durch Michael Obsts kantige Komposition – gemerkt, dass da vorn auf der Bühne und im Orchestergraben Enormes geleistet wurde. Nimmt man bei einer Betrachtung des lokalen kulturellen Herbsts nur noch beispielsweise die Aufführung von Krzysztof Pendereckis „Seven Gates of Jerusalem“ im November hinzu, so hat sich Würzburg heuer als Neue-Musik-Stadt profiliert. Foto: Falk von Traubenberg

Vollgültiges Jugendorchester: Junge Philharmonie in der Musikhochschule Kantiger Saisonbeginn: „Die andere Seite“ am Mainfranken Theater Schwierige Gesangsrollen komponierte Michael Obst für seine jüngste Oper. Die Solisten des Mainfranken Theaters meisterten die Herausforderungen spektakulär. Wie die künstlerische und technische Leistung des ganzen Hauses kaum hoch genug gewürdigt werden kann. Bemerkenswert, dass ein Theater von mittlerer Größe überhaupt das Risiko eingeht, mit der Uraufführung einer zeitgenössischen Oper die Spielzeit zu eröffnen; eine solch herausragende Spielplanfunktion übernimmt sonst im Wechsel ein bewährtes Stück Musiktheater oder ein Schauspiel, das eine gewisse Publikumswirksamkeit garantiert. Mit einer modernen Oper einzusteigen ist schon ein echtes Wagnis, gesteigert noch dadurch, dass das erste Sinfoniekonzert des Phil-

Zwei Wochen nach der Ausschreibung hatte das Projektorchester Junge Philharmonie Würzburg nahezu all seine Partien vollständig besetzt. Diese immer noch relativ neue Einrichtung – im Herbst 2007 ins Leben gerufen – hat unter Nachwuchsmusikern inzwischen also einen sehr guten Ruf. Beim außerordentlich gut besuchten Konzert am 7. November im Großen Saal der Hochschule für Musik kamen die jungen Musiker eben diesem Ruf wieder einmal voll und ganz nach – nicht zuletzt mit ausgewogenen Stimmgruppen. Denn eben weil das Interesse an der Mitwirkung bei der Jungen Philharmonie bei allen Instrumentalisten so hoch ist, kann die Orchesterleitung meist unter einigen guten jungen Musikern auswählen und die einzelnen Stimmgruppen adäquat besetzen. Das Ergebnis ist dann eine originale, in sich stimmige Orchesterbesetzung, und in der ließ die Junge Philharmonie Würzburg unter Leitung von Hermann Freibott einen richtig guten Klang hören. Im Orchester sieht man dabei in jeder Projektphase neue Gesichter und auch junge Musikerinnen und Musiker, die schon früher mitge-

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Handwerks-Highlights II Die Konditormeisterin Katinka Bossert lernte eine Technik, mit der sie Marzipanfiguren so weit wie möglich aus einen Stück modellieren kann. Dadurch bekommen die Plastiken eine drollige Anmutung und verlieren nicht so schnell ein Ohr oder den Schnabel. Höhepunkt der arbeitsreichen Herbst-Winter-Saison war das Jubiläumsfest ihrer Confiserie am 9. Oktober: zehn Betriebsjahre in Würzburg, fünf im Falkenhaus-Laden.

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wirkt haben und quasi zur Stammbesetzung gehören. Diese fleißigen Spieler wirken auch in anderen Jugendorchestern mit, beispielsweise im Bezirksjugendorchester oder in der Jungen deutsch-französischen Philharmonie in Bayreuth und stellen so ihr Können unter Beweis. Das Programm der letzten Projektphase war dem Leistungsvermögen eines Jugendsinfonieorchesters entsprechend angemessen gewählt: Niels Wilhelm Gades unbekannte 8. Sinfonie, deren Musik stark an die seiner befreundeten Förderer und Gönner Schumann und Mendelssohn Bartholdy erinnert, Edvard Grieg – der als junger Komponist von Gade lernte – war mit der Konzert-Ouvertüre „Im Herbst“ präsent, und Carl Ph. E. Bachs Doppelkonzert für zwei Harfen gab Gelegenheit, zwei Landes- bzw. Bundespreisträger des Wettbewerbs „Jugend musiziert“ als Solisten zu genießen. e. B.

Ertrommelte Postmoderne: Prätzlich-Betz-Rumig-Trio im Le Clochard Sobald der Schlagzeuger Daniel Prätzlich ein und dieselbe Figur ein zweites Mal spielt, öffnet sich unter seinem Höckerchen der Höllenschlund und er muss hinab. So steht es sinngemäß wohl in seinem Vertrag mit den Anderen Mächten. Am 5. Dezember jedenfalls lud der Teufelstrommler zu einem Jazzfrühschoppen ins Le Clochard. Würde er in der kleinen Kneipe auf Bongos spielen? Nein, der Musikhochschulabsolvent mit dem kammerorchestralen Sound kann auch leise – aber musste natürlich weiterhin non-repetitiv musizieren. Diese extreme Lebendigkeit im Zentrum zwischen Dirk Rumig (Sopransaxophon, Bassklarinette) und Friedrich Betz (Kontrabass) verwandelte schon im ersten Set die Standardkompositionen – darunter zwei von Thelonius Monk und einen Charly Parker – in gegenwärtigsten zeitgenössischen Jazz. Die zweite Hälfte brachte dann auch einige Eigenkompositionen. Natürlich wirkte das Trio schon durch seine spartanische Instrumentierung hochmodern. Umso mehr, wenn man sich im Hintergrund zu Rumigs Reeds statt den hyperaktiven Drums ein normales Swing-Orchester vorstellte. Da sprang denn ins Ohr, wie individuell der Bläser mit den Melodien umging und – dieselbe Wegdenk-Probe mit dem Bassisten – Friedrich Betz ebenso. Wobei alle Drei zu einem sehr genießbaren, harmonischen Ganzen zusammenlegten. Das winzige Konzertchen zeigte: Postmoderne lebt weiter. Joachim Fildhaut

Intimes: Tanzbiennale zu Gast in Denckler-WGs Das eigene Zimmer zur Bühne machen. Im Zeitalter des Internets und der Webcams kein Problem. Und doch ist dann alles fern, weit, digital

distanziert. Intimität ist anders, etwa, wenn Tänzer durch das eigene Schlafzimmer tanzen, beobachtet von sechs bis sieben wildfremden Menschen, die nicht mal zwei Meter entfernt von dem Geschehen an der Wand lehnen oder auf Klappstühlen sitzen. Es klingt ein wenig gaga, und das war die Idee von Tanzspeicher-Prinzipal und Choreograph Thomas K. Kopp in der Tat auch. Vier Tänzer in vier WG-Zimmern tanzen in kleinstem Rahmen für Zuschauer, die im Viertelstundentakt von Zimmer zu Zimmer, von Akt zu Akt pilgern. Mit LED-Beleuchtung stilvoll in Szene gesetzt, die Tänzer in einer ungewöhnlich direkten Konfrontation mit den Zuschauern – und umgekehrt. „Intimität – in Kunst baden“ war die sechste Tanzbiennale überschrieben und das intime Tanzprojekt im oberen Dencklerblock treffenderweise mit „Privatsachen“. „Die Mieter haben uns in ihr Allerheiligstes gelassen“, sagt Kopp rückblickend. Und die Tänzer haben dafür alles gegeben. Vier Stunden, je Stunde jeder Akt vier Mal getanzt, Verspannungen inklusive. Ein extremes Projekt ohne Wiederholungsabsicht. Doch Kopp gehen die Ideen nicht aus. Die nächste Tanzbiennale kommt. Gut. Text & Foto: Daniel Staffen-Quandt

Ensembletheater: „Der Freigeist“ im Theater Ensemble Eric-Emmanuel Schmitt lässt seine Hauptfigur, den Enzyklopädisten Denis Diderot, jedes Thema relativistisch zerschnippeln, meist, um mit den Frauen zurechtzukommen. Und lässt also Tiefsinn diesmal beiseite. Das bekommt Norbert Bertheaus Inszenierung sehr gut! Michael Völkl, Renée Gahn und Sabrina Kohl spielen ihre ränkevollen Du- und Terzette auf gleicher Ebene, in stilsicherer komischer Überhöhung. Dem schließen sich in den kleineren Rollen Franziska Wirth, Tatjana Schnitzer und Markus Rakowsky mit erstaunlicher Sprechkultur und schönem Tempo ganz dicht an. 6. bis 8., 13., 15., 20. bis 22. Januar, 3. bis 5. Februar, je 20 Uhr

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Handwerks-Highlights III Wie ein begehbarer Malkasten, so bunt bestückt wirkt der Werkstattladen des Posamentiers Oskar Dorbath in der Karmelitenstraße. Als einer der letzten hat er gelernt, auf einfachen alten Maschinen Kordeln, Kabelumhüllungen und Quasten herzustellen. Vereine und Kirchen brauchen alles in Spezialanfertigung. Im Spätherbst webte Dorbath ein Muster für eine australische Kirche. Wenn’s dort passt, macht er für die Gemeinde down under ein gutes Dutzend Klingelzüge.

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Harmonischer Vierer: „Kunstszene Rhein-Ruhr“ in der Galerie Ilka Klose „Die größte Malerei, die ich seit langem vertrete“, preist Ilka Klose den Bernard Lokai. Die mächtigen Pinselstriche des Gerhard-RichterSchülers klotzen wie ganz nebenbei Räumlichkeit auf die Leinwand. Ausstellungskollegin Gerda Schlembach hingegen treibt ihren Skulpturen die dritte Dimension geradezu aus, macht sie zumindest vom Standpunkt des Betrachters abhängig. Auch die beiden andern Beiträger zur Sammelausstellung formieren ein Gegensatzpaar: Objektive Psychedelik der fleißigen Näherin Renate Neuser trifft auf eine subjektive Spielart der Rausch-Kunst, die der Balgenkamera-Fotograf Thomas Zika in das Hirn des Konsumenten verlegt. Niveau und dekorativer Sidekick schließen sich nicht aus. Die verschiedenen Elemente von Rhein und Ruhr fügen sich am Main zu einer in sich höchst stimmigen Schau.

Ich und die Macht: „Der zerbrochene Krug“ und „Amphitryon“ am Mainfranken Theater Lange Theaternächte fordern dem Zuschauer viel ab. Besser als vor vier Jahren das Ibsen-Double-Feature funktionierte am 23. Oktober 2010 der Kleist. Klar wie dessen Sprache wird die explosive Motivballung: Richter Adam wollte außerhalb seiner Amtsbefugnisse rumtricksen und ein schönes Mädchen für ein heißes Date gewinnen. Das ging grotesk daneben. Nach der Katastrophe besoff er sich dermaßen, dass sein Vergehen dem Vergessen anheimfiel: Filmriss. Das Chaos ist perfekt, als am Tag danach eine bescheuerte Klage eingereicht wird, die ihn an furchtbare Dinge erinnert, während ihm ein Revisor im Nacken sitzt und ständig auf der Prozessordnung herumpocht. Das spult sich in feinst rhythmisierter Sprache ab. Kurzlebige Modernismen der Entstehungszeit (1802-1808) wurden gestrichen, so dass die hervorragenden Schauspieler all ihr Talent darauf konzentrieren können, dem artifiziellen Text Bedeutung, Nuancen, Groove, kurz: Leben einzuhauchen. - Der zweite Kleist ist nur bedingt ein solcher. ‚Selbs Erfahrung. A Kleist Project’ träfe die Konstellationen in der Kammer genauer. Das junge Ensemble setzt die Mittel des Gegenwartstheaters (Video, Nacktheit u. dgl.) sehr sinnvoll ein, erzählt Geschichten von eigenen befremdlichen Ich-Erfahrungen und macht Bühnenexperimente, die eine große Präsenz der Spieler verlangen, sollen sie gut ausgehen. Und sie gehen gut aus. im Januar „Der zerbrochene Krug“ am 7., 9. und 21. je 19.30 Uhr, am 21. mit Einführung ab 19 Uhr, am 31. um 11 Uhr. „Amphitryon“ am 11. und 12. Januar. Kleist-Tage mit beiden Inszenierungen und einstündiger Pause am 23. und 30. Januar, 15 Uhr. „Treffpunkt Schauspiel“ über beide Inszenierungen am 10. Januar, 19 Uhr, Eintritt frei Foto: Falk von Traubenberg

bis 16. 1., Termin nach Vereinbarung, Telefon (0931) 7841630 Joachim Fildhaut

Antiker Kosmos mit modernen Einsprengseln: „Versöhnte Götter – Neue Zukunft“ im Martin von Wagner-Museum Den Mittelpunkt dieses Beitrags zum Themenjahr „Endspiel 2010“ bilden die Aussagen des griechischen Dichters Hesiod. Um 700 v. Chr. beklagt er den Niedergang der paradiesischen Zustände in ein Leben voller Mühsal. Dieser Vorgang vollzieht sich in fünf Menschenaltern: dem Goldenen, Silbernen, Ehernen, Heroischen und dem Eisernen. Doch was düster begann, muss nicht in Hoffnungslosigkeit enden. Als Dichter ist Hesiod pessimistisch, jedoch als Landmann sieht er eine bessere Welt herannahen, die im Einklang mit der Natur steht. Deren regenerative Kraft drückt sich in Dionysos und Demeter aus. – Texttafeln erzählen vom Streit der Götter, deren Opfer Prometheus, Hephaistos und Demeter sind, die aber schließlich mit den Göttern versöhnt in den Olymp aufgenommen werden. Mit der Aussöhnung unter den Göttern endet auch bei den Menschen die Zeit der Furcht. Attische Keramikgefäße aus dem 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. zeigen die bildliche Umsetzung der Mythen. Ihr Hineinwirken bis in unsere Gegenwart manifestiert sich eindrucksvoll in dem Bronzeguss „Das Opfer“ von Wieland Förster und den Bildern vom Untergang Würzburgs am 16. März 1945 von Peter Neckermann. Zudem verdeutlicht die Ausstellung die Übernahme heidnisch antiker Elemente, die im Christentum weiterlebten. Noch in der Spätantike galt Christus vielfach als neuer Dionysos, und die Bilder von der Arbeit im Weinberg zierten manche Grabanlage. Die Darstellung römischer Terrakotta-Figuren greift den Bezug zum friedlichen bäuerlichen Leben auf. verlängert bis 8. Januar

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Farben ziehen an: „2000 Jahre antikes Glas“ im Martin von Wagner-Museum

Lettern von gestern: Voco-Designfest an der Uni Sanderring

Die repräsentative Auswahl von 148 Objekten aus dem eigenen Bestand wurde erstmals in der Öffentlichkeit gezeigt: neben Lampen und Tafelgeschirr fast ausschließlich kleinteilige Exponate und Fragmente aus den Epochen vom ägyptischen Reich bis zur späten Römerzeit. Texttafeln informieren über die Entwicklung der antiken Glasherstellung bis zu den Anfängen der Glasbläserei. In der beeindruckenden Schau dominiert das bunte Glas, dessen Farbenreichtum auch nach zwei Jahrtausenden nichts von seiner Anziehungskraft verloren hat. Besonders deutlich ist dies in der hervorragenden Auswahl kleiner Fragmente aus Mosaikglas und den verzierten Parfümgefäßen zu sehen. Glasperlen in Kopfform zeigen detailliert ausgearbeitete Gesichter. In den bizarr wirkenden römischen Kohel-Röhrengefäßen konnten verschiedener Schminken nebeneinander aufbewahrt werden. Für Interessierte, die das Thema vertiefen möchten, liegt ein Katalog bereit.

Der Type Directors Club TDC versammelt weltweit Schriftgestalter und andere Kommunikationsdesigner. Einmal jährlich stellen sie beispielgebende Druckerzeugnisse in New York aus. Die TDC-Show 2010, die 56. ihrer Art, ging auf Reisen und war großer Blickfang beim Voco-Designfest, das am ersten Dezemberwochenende FH und Neue Uni mit Leben füllte. Ein ganzer Reisebus hatte sich allein aus Leipzig, der Stadt der Hochschule für Grafik und Buchkunst, als Hörer angemeldet. Denn vors Feiern hatte das Organisationsteam Fachvorträge von internationalem Zuschnitt gesetzt. Der hochkarätige Kongress gab sich obendrein bunt und für Würzburger Verhältnisse großzügig gedacht: Riesenregale aus Hunderten Weinkisten fassten die TDC-Show. Eine Ausstellung zukunftweisender Magazine konnte zudem ein Stockwerk höher auf Euro-Paletten durchblättert werden. Wenn man die Überfülle auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen wagen will: Verspieltheit und Lesbarkeit halten sich in Typographie und Mag-Layout derzeit die Waage. Unsere Kreativen begrenzen die illustrativen Elemente sichtlich auf ihre dienende Funktion. Und gern greift man zum Dekor auf Figuratives zurück, häufig in das Bildreservoir der Vergangenheit.

verlängert bis 8. Januar Susanne Hoffmann

Suhrkamps und anderer Kulturen: „Werkstattgespräche“ an der Uni

Es lebe die Lasur! „Vierfach“ im Spitäle Das Haus ist Ausgangspunkt von Jürgen Hochmuths plastischen Gestaltungen. In seinen letzten Phasen zog sich diese Grundfigur stark in sich zusammen, nachdem sie früher in modellierte kleine Landschaften hinein ausstrahlte. In der zweiten Woche der – im Wochenturnus wechselnden – VKU-Weihnachtsausstellung verblüffte der Bildhauer aus Rimpar mit Holz-Eisen-Konstellationen in ungewohnter Farbenpracht und regte zu Gedanken an, was eigentlich die Seele eines Hauses ausmache. | www.juergenhochmuth.de KulturGut 04 | Seite

Schriebe Norbert Gstrein seinen Roman „Die ganze Wahrheit“ noch einmal, würde er seine Erzählerfigur „vielleicht noch etwas unzuverlässiger erscheinen lassen“, gestand er beim Werkstattgespräch am 1. Dezember in der Unibibliothek. Dieser Erzähler, ein rausgeschmissener Verlagslektor, berichtet vom Tod seines Chefs bzw. von dem Buch, in welchem die Gemahlin des Verlegers dessen Dahinscheiden zu verherrlichen versucht bzw. von seinen, des Lektor-Erzählers, Versuchen, eine Publikation dieses Buchs der Frau vom Chef zu unterbinden. Schon vor der Lesung ausgewählter Passagen antizipierte Gstrein die Publikumsfrage nach dem autobiografischen Gehalt der „Ganzen Wahrheit“, in Wirklichkeit hätten seine beiden letzten Verlegerinnen ein Buch über den Tod ihrer jew. Gatten verfasst. Nach dem Vorlesen, das Gstrein nicht ganz so lebendig über die Lippen ging wie die freie Rede, legte der Ex-Suhrkamp-Autor freilich nach, das fiktive Buch in seinem Roman habe er sich „sehr nahe an Ulla Berkéwicz’ ‚Überlebnis’ ausgedacht“. Am selben Abend feierten die fünf Germanistik-Professoren, die bislang für die Organisation der Werkstattgespräche verantwortlich waren bzw. sind, das 25-Jahres-Jubiläum ihrer Lesungs-Diskussions-Reihe. Zur Eröffnung einer Info-Poster-Ausstellung kramte Günter Hess eloquent in den 15 Jahren seiner Zuständigkeit. Der schönste Fund: wie Martin Walser einmal das höchste Honorar, das je für ein Werkstattgespräch gezahlt wurde, in einen Würzburger Hotelpapierkorb schmiss. Klingt bekannt? Ist es auch. Die Würzburger Episode hat sich

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Diva zum Mitsummen: „Das Feuerwerk“ am Mainfranken Theater Die letzte Operette, die je komponiert wurde, hat das Mainfranken Theater einstudiert. Der Besuch einer Seniorenvorstellung hinterließ vor allem zwei Feststellungen: Bei Besuchern über 75 Jahren sind die Hits von Paul Burkhard noch sehr präsent, wenn man dem Mitsummen in den Rängen glaubt. Und mit Barbara Schöller hat das Ensemble eine Sängerin, die in jeder Situation als absolute Diva auftreten kann. e. B.

Zwischenlektüre: „Kleines Mainfränkisch-Quiz“ zwei Jahre nach dem Vorfall in Walsers „Tod eines Kritikers“ niedergeschlagen.

Nach Perlen tauchen: Literarischer Herbst in der Stadtbücherei Mariana Leky liest aus der „Herrenausstatterin“, vom Leidensweg durch diverse Zahnarztpraxen. Bald sind aus dem Publikum die ersten Lacher zu hören. Leky schreibt pointiert und arbeitet geschickt mit Wiederholungen. Das erzeugt unerwartete, häufig witzige Effekte und verleiht der schnell voranschreitenden Geschichte einen inneren Zusammenhalt. Auch als der Geist eines verstorbenen Altphilologen ins Spiel kommt, geht die Erzählung bruchlos weiter. Selbst ein berührend trauriger Monolog dieses Geistes fügt sich nahtlos ein. Leky hat schon einige Preise gewonnen, ihr Buch stand auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2010. Verglichen mit Autorinnen wie Doris Gercke oder Alissa Walser, die in den Wochen davor hier zu Gast waren, zählt sie jedoch eher zu den Newcomern. „Wir wollen unserem Publikum künftig neben den bekannten Autoren einige literarische Neuentdeckungen vorstellen“, erklärt Anja Flicker, die Leiterin der Stadtbücherei. „Dazu fahren wir auf Buchmessen, machen Termine mit Verlagen und lassen uns zahlreiche Neuerscheinungen vorstellen. Danach beschäftigen wir uns ausführlich mit der Auswahl der Autoren. Wir tauchen sozusagen nach den Perlen in der Masse der Neuerscheinungen.“ Schließlich soll sich das Publikum auch bei den unbekannten Namen voll und ganz darauf verlassen können, dass in der Stadtbücherei Qualität geboten wird. „Und möglicherweise“, so Flicker mit einem Lächeln, „steht ja der eine oder die andere von unseren Neuentdeckungen kurz vor dem entscheidenden Durchbruch.“ Christine Weisner

In einer gewagten, aber geschickten Mischung stellten Gunther Schunk und Hans-Dieter Wolf die Ergebnisse jahrelanger Dialekt-Feldforschungen gleichberechtigt mit weindimpfeligen Häckerstubenparolen zusammen zu „Meefränggisch für Debben & Subber-Exberden“. Das Quizbuch fragt nach Bezeichnungen für längst vergessene Bauernhöflichkeiten (Säustücht, Dausch, Hudel) ebenso wie nach der Dechiffrierung von SW, MSP etc. Bei den Multiple-Choice-Antwortmöglichkeiten wird gewitzelt, was das Zeug hält, aber es fallen auch echte Bröggle vom Tisch der Erkenntnis. Diese wüste Kombination macht das Ringbuch (Königshausen & Neumann, 138 Seiten, 7,80 Euro) zum idealen Medium, um immer mal wieder ein paar Minütchen drin zu blättern. Auf solides Papier gedruckt hält es das „Kleine Mainfränkisch-Quiz“ aus, wenn entflammte Silvanerfreunde es sich beim Schoppenpfetzen aus den Händen zu winden trachten, um einander gegenseitig die sechs „Goldenen Regeln der meefränggischen Glückseligkeit“ daraus zu rezitieren.

Horror vacui: Stadtratsbeschluss zum Unteren Markt „Das Nichts nichtet.“ Falls Martin Heidegger Recht hatte – und bisher spricht nichts dagegen –, sollten die Menschen dies gelegentlich bewusst beachten und dort, wo nichts ist, Nichts sein lassen, oder auch nur nichts. Eine Möglichkeit dazu verschafften uns jene paar Wochen im Herbst, in denen der Untere Markt keine Buden trug. Prompt wurde die Freifläche als störende Leere empfunden, und die Stadtverwaltung wollte für knapp 100.000 Euro mobile Blumentröge kaufen. Der Rat stimmte vorerst dagegen. So hat die mainfränkische Seele Gelegenheit, sich an eine gewisse Großzügigkeit in der Raumauffassung zu gewöhnen. Joachim Fildhaut

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Handwerks-Highlights IV Wachszieher Martin Schenk leitet den Familienbetrieb in der Rosengasse. Und steigt immer wieder mal persönlich in die Maschine, die Dochtschlaufen durch das Wachsbad zieht und die Kerzenkörper dicker und dicker werden lässt. Dabei klebt an den Lagern das Rohmaterial fest und muss abgestochen werden. Während hierzulande in den neuen Pfarreiengemeinschaften immer weniger Messen gelesen werden und der Lichterverbrauch demgemäß zurückgeht, erhielt Wachs Schenk einen besonderen Auftrag aus Nah-Ost: die Osterkerze für den Dom von Bagdad.

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Warum stehen hier diese Buchstaben? Bemerkungen zum Selbstverständnis im Feuilleton

Übersetzer sein für den Dämon der Kreativität – das ist es. Sollte man die Ressorts mit den traditionellen Todsünden verknüpfen, wäre die des Feuilletonisten die Eitelkeit. Behäbig mit dem Kopf schüttelnd sitzt er in der ersten (wäre er professionell, wäre es die sechste) Reihe, verlässt die Veranstaltung verfrüht und fabriziert dann eine ebenso zeilen-schindende wie vernichtende Kritik - über die falsche Band. Er hatte die Brille vergessen und konnte die Programm-Änderung nicht lesen. Wer nun meint, die Geschichte sei frei erfunden, der irrt. Diesen Kritiker gibt es und er erfreut sich bester Gesundheit. Seine Artverwandten werden nie aussterben. Im Gegenteil. In Zeiten schlechter Honorare fasst so mancher diese Einstellung als Gebot der Effizienz auf. Dass ihn die wirtschaftliche Not dazu treibt, macht es nicht besser. „Kritik bedeutet nicht, zu kritisieren“, sagte Patti Smith, die selbst Kritikerin war, bevor sie die Bühne betrat. „Kritik bedeutet, die Augen zu öffnen, Übersetzer zu sein für den Dämon der Kreativität.“ Übersetzen kann man allerdings nur, wenn man die Sprache beherrscht, fundiertes Wissen von der Materie besitzt, mit Herzblut dabei ist und keine Angst hat, Position zu beziehen. Wer nicht neugierig ist, wer bequem oder oberflächlich handelt, der hat nicht nur die Achtung vor der Kunst, er hat auch die Selbstachtung vor dem eigenen Beruf verloren, und sei der Text noch so unterhaltsam. Der andere Weg ist unbequem, auf ihm gehen Rezension und Werk eine intensive Verbindung ein, die für beide Seiten befruchtend ist – für den Hörer, Zuschauer, Leser ein echter Dienst. Natürlich ist die Wahrnehmung eine subjektive, aber verantwortungsvoll eingesetzt hat sie ihre volle Berechtigung. Dann erhebt die Kritik ihre Meinung nicht zum Glaubenssatz und lässt dem Kunstwerk Raum zur Entfaltung - selbst im Fall einer wenig positiven Rezension. Auch oder gerade weil wir von „Das könnte Sie auch interessieren“ und „Kunden kauften auch ...“ überschwemmt werden, fast alle Lebensäußerungen von „Like“oder „Dislike“-Buttons kommentiert sind, brauchen wir Tiefe in der Beobachtung und Kommentierung des Kulturgeschehens: Eine Kultur der Kritiker. Iris Wrede

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Der Geschmack wächst mit dem Wissen Welchen Sinn machen eigentlich Weinproben? Anstatt den Wein einfach zu trinken und zu genießen, führt man sich Informationen über Böden und Sorten, Jahrgänge und Lagen zu Gemüte. Warum? Vielleicht nicht nur, aber doch auch, um mit Hilfe des so vermehrten Wissens noch etwas mehr zu schmecken. Warum besucht man Themenführungen in der Stadt, die man tagtäglich durchquert? Eine der möglichen Antworten lautet: Man sieht nur, was man weiß. Ausgestattet mit neuen Informationen kann man auch in vertrauten Winkeln noch Neues entdecken. Man kann in die Welt eines Films, einer Romanhandlung, in ein Konzertstück eintauchen und sich voll und ganz darin versinken lassen. Das hat einiges für sich. Man kann sich aber auch auf ein Werk einlassen und sich zugleich an dem Kunstvollen, Gemachten und Durchdachten dieses Werks erfreuen. Man kann mit den Helden eines Films fühlen und zugleich – oder zwischendurch – die raffinierten Kamerafahrten und die gelungene Abfolge der Bilder genießen. Man kann sich in die fremde Welt eines Romans begeben und sich gleichzeitig von der klaren, eleganten Sprache des Autors begeistern lassen. Man kann ein Gemälde oder eine Theaterinszenierung sehen und dabei eine neue Dimension von Be-

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deutung entdecken und erfahren, wenn man sich zuvor Wissen über das Davor, Daneben oder auch Dagegen angeeignet hat. Es existiert also ein genussförderndes und den Geist herausforderndes Plus, welches mit der Zeit durch Praxis wächst. Gespräche und Geschriebenes über Kunst und Kultur können dieses Wachstum unterstützen. Christine Weisner

Seitdem gilt für mich: Schreibe so, dass die Lektüre deinem Leser ein Erlebnis ist, so wie es dir ein Erlebnis war, was du im Scheinwerferlicht gehört und gesehen hast. Joachim Fildhaut

Der Interpret setzt seine Kriterien

Die Schrift wiederholt das Erlebnis Lange formulierte ich Pressemeldungen zu Veranstaltungsankündigungen um. Dabei sollten die Leser nicht erfahren, wie sich die Künstler selbst sahen, sondern das Erwartbare solide einschätzen können. Meine lokalen Kurztexte trugen mir einen ähnlichen Job beim Reisemagazin „Globo“ ein – statt unterfranken- operierte ich weltweit. Als die „Globo“-Macher dann längere Festival-Vorstellungen in Auftrag gaben, kaufte ich Stadtpläne. Mit deren Hilfe suchte ich MehrsterneHotels in fußläufiger Entfernung zu den Bühnenhäusern der Weltstädte. Beim Schreiben vermied ich einfach nur Formulierungen wie „Hier in meiner Grombühler Dachwohnung sehe ich im Planquadrat F6 deutlich...“ Eines Tags rief mein Redakteur an und fasste seinen Eindruck von meinem eben gefaxten Manuskript zusammen: „Es gibt nur eine Erklärung dafür, dass du noch nie in Dublin gewesen bis, nämlich dass du doch schon in Dublin gewesen bist.“ War ich aber nicht. Stattdessen geriet ich ans Tageszeitungsfeuilleton. Nach bezaubernden Nächten mit avantgardistischem Krache sah ich mich in der Lage, einen Zwanzigzeiler zu verfassen, den ich auch nach einem dreiminütigen Blick in eine Pressemappe geschafft hätte, ohne die Band zu hören. Also musste ich meine Methode ändern. Dabei half es, dass die Kulturredaktion einer kleinen Würzburger Tageszeitung frisch besetzt war und ihr neuer Verwalter uns freien Mitarbeitern tatsächlich freie Hand ließ. Unser Themenvorschlagsrecht war nahezu allumfassend, und niemand musste bei jedem Anlass sämtliche Ausübenden mit Vor- und Zunamen in die Zeitung bringen, kurz: Wir konnten experimentieren.

Dukes drehte sich um, entsicherte seine Glock 17 Automatic und gab einen einzigen Schuss auf das schwarzlackierte Holz genau in der Mitte des Namensschilds Yamaha ab. Das Klavierspiel brach plötzlich in einem lauten und drängenden Finale ab. „Guter Schuss“, sagte Richardson. „Danke.“ „Aber Sie haben Ihren Beruf verfehlt. Mit der Treffsicherheit hätten Sie Kritiker werden sollen“.

Rezensionen schreiben ist nichts für zart Besaitete. Wer noch nie nach einer Rezension böse Briefe oder Mails bekommen hat, ist entweder mit dem unverschämten Glück gesegnet, nur ausgezeichneten Veranstaltungen beizuwohnen. Unwahrscheinlich. Oder er scheut den Konflikt. Ergebnis: Der, ich nenne ihn mal Unkritiker, schreibt selbst nach größten Qualen, dass Sänger/Musiker/Schauspieler immerhin „mit viel Herzblut dabei” waren. Viel wahrscheinlicher, schauen Sie mal in die Zeitung. So lebt es sich leicht. Der Unkritiker verscherzt es sich mit niemandem und kann nachts ruhig schlafen. Solange er ignoriert, dass die Rezension (wie er sein Werk wohl trotz allem nennt) den Leser in die Irre führt und den Beteiligten ein geschöntes Feedback gibt – wenn überhaupt. Das, nicht die paar Widerworte auf eine ehrliche Kritik, sollten ihm den Schlaf rauben. Das Gegenstück zum Unkritiker ist der ewige Nörgler. Nichts ist ihm gut genug, immer war irgendetwas fehlplatziert – und sei es die Sockenfarbe des Pianisten, obwohl die das Konzert sicher nicht beeinflusst hat. Zugegeben, Fehler sind eine Steilvorlage. Inmitten der subjektiven Eindrücke erscheinen sie als unanfechtbare Fakten: Falsch ist falsch. Punkt. Noch dazu lassen sie sich wunderbar ausschlachten. Da kann der Kritiker Pointen landen, das würzt die Besprechung, das ist witzig. Und ungerecht. Die Kritik, die sich an Misslungenem festbeißt, droht, das Gleichgewicht zu verlieren. Oft fallen Fehltritte besonders negativ auf, weil sie herausstechen. Aber aus was stechen sie denn heraus? War da vielleicht vieles gut? Das „gut” ist eine andere Hürde. Zu dumm, dass es keinen allgemeingültigen Maßstab dafür gibt. So ist das Schulorchester von Hintertupfingen nicht zwingend schlecht, bloß weil es nicht klingt wie die Berliner Philharmoniker. Bei ihnen fällt das „Herzblut” vielleicht etwas mehr ins Gewicht (entschuldigt aber nicht jede Plattheit). Der Maßstab ist das, was die Hintertupfinger im Idealfall leisten können. Die Rezension sagt, wie nah sie an den Idealfall rangekommen sind. Die Herausforderung einer Besprechung ist also, das richtige Maß zu finden. Sodass am Ende der Eindruck des Rezensenten steht – nicht bloß das Ergebnis einer Laune oder der Versuch, es allen recht zu machen. Daniela Moschberger

(Philip Kerr „Game Over“)

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Alles Verstehen… Der Inhaber des Lehrstuhls für Theoretische Philosophie stellt die Hermeneutik vor von Prof. Karl-Heinz Lembeck

+ Der Name „Hermeneutik“ wird auf das griechische hermeneuein zurückgeführt: „verkünden, erklären, auslegen, übersetzen“. Sinnzusammenhänge werden aus einem Äußerungskontext in einen anderen übertragen. Der fremde Sinnbestand soll in zugängliche Kategorien gebracht und somit erfassbar werden. KulturGut 04 | Seite

Terminologisch ist „Hermeneutik“ als philologisch-philosophische Disziplin erst im 17. Jahrhundert belegt. Der Theologe Johann C. Dannhauer (1603-1666) verwendet „Hermeneutik“ erstmals als Titel seiner auch „ars interpretandi“ genannten Auslegungskunst. Nunmehr kann Hermeneutik quasi unter „geschütztem“ Titel zur offiziel-

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len Hilfsdisziplin von Theologie, Philologie und Jurisprudenz werden, wobei sie diesen als methodische Kunst der Auslegung vor allem normativer Texte dient. Erst später entwickelt sich unter gleichem Namen eine philosophische Disziplin, die letzten Endes das Vermögen des Verstehens universalisiert und als Grundmodus menschlichen Seins auslegt. Es ist womöglich diese spezifisch philosophische Hermeneutik, die für das Selbstverständnis des heutigen Kulturinteressierten von größerer Bedeutung sein mag als die Beschäftigung mit technischen Deutungslehren. Auch die philosophische Hermeneutik betrifft das Verstehen von schriftlich fixierten Texten wie von mündlicher Rede. Sie beschäftigt sich jedoch ebenso mit dem Verstehen von geistiger Produktion nichtschriftlicher Art (also mit Kulturerzeugnissen jedweder Art) wie mit dem von Handlungen. Ihr Programm wird am Ende des 19. Jahrhunderts von dem Historiker und Philosophen Wilhelm Dilthey (1833-1911) vorbereitet und kulminiert schließlich im Werk Martin Heideggers. Im Folgenden soll Hermeneutik verstanden werden als allgemeine philosophische Reflexionen auf die Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen des (Sinn-)Verstehens. Natürlich gehen diese Reflexionen über das methodologische Problem der so genannten Geisteswissenschaften weit hinaus. Die Grundfrage einer so bestimmten philosophischen Hermeneutik lautet also: Wie ist Verstehen überhaupt möglich?

Kultur als Inbegriff unserer „Lebensäußerungen“ In seinem letzten großen Werk über den „Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften“ (1910) zeigt Dilthey, dass das geisteswissenschaftliche Verstehen nicht auf die Erfassung eines seelischen Inneren zielt, sondern dass es vielmehr aufzufassen ist als Versuch eines Rückgangs auf geistige Gebilde mit eigener Struktur und Gesetzmäßigkeit. Denn die Geisteswissenschaften sind für Dilthey insgesamt Wissenschaften eines wesensmäßig lebendigen Geistes, der gewiss auch im individuellen Denken und Fühlen anzutreffen ist, der sich besonders aber in all jenen Formen ausdrückt, die wir als Formen und Tatsachen unserer Kultur bezeichnen – und mit denen wir kulturell eben nur Umgang pflegen können, weil wir sie als Ausdruck von Lebenszusammenhängen, als Ausdruck auch unserer Geschichte verstehen. Die Lebensform dessen, was Dilthey „Geist“ nennt, ist die der „objektivierten Bedeutung“. Kultur ist sonach Inbegriff unserer „Lebensäußerungen“. Dilthey unterscheidet verschiedene Klassen solcher Äußerungen des Lebens: 1.) Begriffe, Urteile und größere Denkgebilde, 2.) Handlungen, 3.) Erlebnisausdrücke. Der Erlebnisausdruck meint die Objektivation oder Artikulation eines individuellen Erlebnisses, wobei Dilthey unter „Erlebnis“ in einem emphatischen Sinne die kleinste bedeutungsvoll strukturierte Einheit des bewussten Erlebens begreift. Der Ausdruck eines solchen Erlebnisses zeigt mehr an, „als jede Introspektion gewahren kann. Er hebt aus den Tiefen, die das Bewusstsein nicht erhellt.“ KulturGut 04 | Seite

Eine besondere Bedeutung kommt in den Geisteswissenschaften diesen Erlebnisausdrücken nun deshalb zu, weil sich mit ihnen ein Bereich des Geistigen eröffnet, dessen Deutung nicht vorschnell schon durch praktische Interessen dominiert wird. Er begegnet uns am augenscheinlichsten in den Werken der Kunst, mit denen, wie Dilthey sagt, „ein Geistiges sich loslöst von seinem Schöpfer“ und damit ein Gebiet eröffnet, „in dem die Täuschung endigt“. Denn in und mit dem gelungenen literarischen Werk etwa tritt uns beispielhaft ein vom jeweiligen Autor ablösbarer, in sich selbst ruhender geistiger Gehalt entgegen. Dieser will nichts mehr vom Autor, seiner Individualität oder dem psychischen Zusammenhang sagen, der seiner Hervorbringung zugrunde liegt. Hier eröffnet sich das Gebiet eines echten sinnorientierten, nunmehr explizit „hermeneutischen“ Verstehens. Bedeutsam für die spätere Hermeneutik-Debatte wird damit der auf Hegels Denken zurückgehende Begriff des „objektiven Geistes“, den Dilthey adaptiert. Unter diesem Begriff sind alle denkbaren Formen befasst, in denen sich die zwischen den Menschen bestehenden Gemeinsamkeiten in der Welt objektiviert haben. In diesem objektiven Geist – in unseren Kulturgütern und Werten, unseren Institutionen und Lebensnormen – ist die Vergangenheit dauernde, beständige Gegenwart für uns. Entscheidend für eine Hermeneutik ist hier der Gedanke, dass diese Welt des objektiven Geistes nicht nur das Woraufhin unseres Verstehens ist, sondern dass sie gleichsam die Bedingung der Möglichkeit dieses elementaren Verstehens auch selber erst schafft, weil sie zugleich das unverzichtbare Medium ist, in dem sich das Verständnis fremder Lebensäußerungen vollzieht. Bei Martin Heidegger (1889-1976) schließlich wird das Verstehen, das früher primär als Methode der Geisteswissenschaften begriffen wurde, endgültig als Wesenszug des Menschseins schlechthin aufgefasst. Heideggers Ansatz beruft sich auf die (angeblich schon in der griechischen Sprache angelegte) Unterscheidung von „Sein“ und „Seiendem“. Das Sein ist dasjenige, was allem möglichen, verschiedenen Seienden (sc. Dingen, Vorkommnissen, die eben ‚sind‘) zukommt. Dass wir also ebensowohl davon sprechen können, dass ein Stuhl sei, wie, dass eine Melodie sei, obgleich doch beides sehr verschiedene Vorkommnisse, sehr verschiedene „Seiende“ sind, liegt daran, dass sie beide bei aller Verschiedenheit doch je auf ihre Weise am „Sein“ teilhaben. Die Frage nach dem Sinn von Sein fragt demnach nach der Bedeutung jenes Wörtchens „Sein“, das wir aussagen, wenn wir sagen, dass ein Stuhl sei, aber auch eine Melodie. Um in der Frage nach dem Sein weiterzukommen, wählt Heidegger den Ansatz am „Dasein“, d. h. am Menschen. Die Begriffe Dasein und Mensch werden hier synonym gebraucht. Das Dasein ist vor allem anderen Seienden dadurch ausgezeichnet, dass es ihm – wie Heidegger formuliert – „in seinem Sein um dieses Sein selbst geht“. Es hat damit zu diesem Sein ein exklusives „Seinsverhältnis“, das wesentlich ein „Seinsverständnis“ ist. Seins- und Weltverständnis sind konstitutiv für menschliches Dasein. Denn zum Dasein gehört notwendig, dass es sich in einer Welt aufhält, so dass sein Seinsbezug sich darin äußert, sich auf seine Wirklichkeit und Welt zu verstehen. Dieses „Sich-verstehen-auf-Welt“ also ist der exklusive Seinsmodus des Menschen.

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Für Heidegger ist Verstehen demnach ein „Grundmodus des Seins des Daseins“. Verstehen bedeutet wesentlich „Seinkönnen“. Verstehen besitzt hier die Struktur des „Entwurfs“. Denn das Zusammenwirken von Welt-Verstehen und Selbst-Verstehen äußert sich stets in Entwürfen von Lebens-Möglichkeiten. Leben ist geradezu „sich auf die Welt verstehen“ und zugleich Entwerfen von Möglichkeiten seines Daseins. Deshalb ist der Mensch für Heidegger Dasein.

Wahrheit und Methode Hans-Georg Gadamers (1900-2002) Begründung einer „philosophischen Hermeneutik“ knüpft schließlich an diese Deutung Heideggers an. Der Anspruch seines Hauptwerks „Wahrheit und Methode“ (1960) „ist ein philosophischer: Nicht, was wir tun, nicht, was wir tun sollten, sondern was über unser Wollen und Tun hinaus mit uns geschieht, steht in Frage.“ Die philosophische Hermeneutik wird also auch hier in strikter Opposition zu der von Gadamer kritisierten „traditionellen“ Hermeneutik der historischen Geisteswissenschaften konzipiert, da diese ihr Augenmerk vorwiegend auf die methodische Überwindung der historischen Zufälligkeit des eigenen Standortes gelegt hatte, um die erstrebte „Objektivität“ historischer Erkenntnis zu erreichen. Demgegenüber insistiert Gadamer darauf, dass das Verstehen „nicht so sehr als eine Handlung der Subjektivität“ zu denken sei, sondern als „Einrücken in ein Überlieferungsgeschehen, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart beständig vermitteln“. Verstehen ist insofern weniger ein zielgerichtet vollzogener Akt als vielmehr ein „Geschehen“, das durch das Ineins und Zugleich von Welt und Mensch die historisch-soziale Wirklichkeit bestimmt. Wie schon bei Heidegger wird damit nicht zuletzt eine Art „Entmächtigungsthese“ vertreten, wonach solches Geschehen nicht selten als unverfügbares „Geschick“ das menschliche Sein dominiert. Es ist daher kein Wunder, wenn mancher philosophische „Traditionalist“ – wie Heidegger oder Gadamer vielleicht sagen würden – gegen solche Zumutung protestiert. Mit dem Beginn unseres Jahrhunderts, so kann man nach diesem Überblick also festhalten, sprengt die philosophische Hermeneutik ihr ursprünglich methodologisches Korsett und wird zu einer universalen Theorie des Verhältnisses des Menschen zu seiner Welt. Das ist kein Zufall, sondern wohl das Ergebnis zunehmend historisierender und anthropologisierender Tendenzen im philosophischen Nachdenken über das Verhältnis des Menschen zu seiner Welt – und insofern übrigens wieder eine Folge einzelwissenschaftlicher Entwicklungen. Aber die Hermeneutik ist dabei zugleich viel mehr als nur eine weitere Theorie über dieses Verhältnis; denn sie besagt ja gerade, dass eben dieses Verhältnis von Mensch und Welt, das sie verstehend bedenkt, selber schon hermeneutisch ist. Eine Hermeneutik, die dieses Hermeneutisch-Sein analysiert, beschäftigt sich also in gewisser Weise mit sich selbst; sie ist selber ein exklusiver Fall dessen, was sie untersucht. Hermeneutik in diesem philosophischen Sinne ist deshalb weder nur eine Disziplin der Philosophie noch gar bloß eine einzelwissenschaftliche Methode – sondern sie ist ihrem Selbstverständnis zufolge Titel für die Seinsweise, in der wir Menschen in dieser Welt leben und sind.

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Kilian redet rein Markus Grimms „Historisches Kabarett“ bezieht das Publikum intellektuell ein von Christine Weisner / Foto: Gleb Polovnykov

+ „Historisches Kabarett“ spielt er seit vorletztem Jahr. Trotzdem ist seine „Zeitreise Mainfranken-History“ am 28. und 29. Januar im Staatlichen Hofkeller eine kleine Premiere – erstmals in neuer, überarbeiteter Fassung in der Öffentlichkeit. Was hat sich geändert? „Die Zuspitzung hat ganz klar zugenommen. Der Informationsgehalt tritt etwas in den Hintergrund, dafür haben die Aussagen zur Gegenwart an Schärfe gewonnen“, erklärt Markus Grimm. Er hat die „Zeitreise“ geschrieben und verkörpert alle auftretenden Figuren. „Die Grundidee besteht darin, dass sich historische Figuren zur Gegenwart äußern. Sie sind informiert, denn sie haben die Entwicklung seit ihrem Tod vom Himmel oder einem ähnlichen Ort aus beobachtet. Jetzt verspüren sie den Drang, sich zu äußern, weil ihnen bestimmte Sachen überhaupt nicht gefallen. Insbesondere verspüren sie ein zorniges Bedauern darüber, dass etwas verloren gegangen ist. Und sie begreifen nicht, warum es verloren gegangen ist.“ So äußert Balthasar Neumann sein Missfallen über die Stadtarchitektur im heutigen Würzburg und versucht das Thema auf eine grundsätzlichere Ebene zu heben: Was findet man schön und was findet man hässlich? Woran fehlt es? Neben Neumann treten auch der Heilige Kilian und Walther von der Vogelweide mit ihren Anliegen vors Publikum. Zum Plot gehört ein Geschichtsprofessor, der die Figuren herbeiholt und versucht, die eine oder andere Information für das Publikum besser begreiflich zu machen.

Von Franken in die Welt Auch Grimms „Zeitreise Deutschland“, die am 7. Mai im Würzburger Bockshorn Premiere hat, läuft unter der Bezeichnung „Historisches Kabarett“, um den Unterschied zum Theater deutlich zu machen, wo Charaktere in einer geschlossenen Welt agieren, während sich Kabarett-Figuren direkt ans Publikum wenden. Allerdings sieht Grimm auch hier Unterschiede: „Mein Historisches Kabarett ist nicht auf den Effekt hin gearbeitet, klassische kabarettistische Pointen kommen relativ selten vor. Der Humor entsteht mehr dadurch, dass man die Abfolge betrachtet.“ Wenn Grimm ein Programm entwickelt, ergibt sich die Auswahl der Figuren meist aus seiner zunächst noch vagen Vorstellung von eiKulturGut 04 | Seite

nem Thema. Auf die Recherche folgt das Schreiben: „Oft bekommen die Figuren genau dann richtig Kontur, wenn ich für sie die geeignete Sprechweise gefunden habe. Dann wird es interessant“, berichtet der Autor. „Bei Balthasar Neumann war es das Böhmische, das ihn regelrecht zum Leben erweckt hat. Danach tauchten Gedankengänge auf, die von der Figur selbst zu kommen schienen, beispielsweise die Überlegungen Neumanns zur verlorengegangenen Liebe zum Detail.“ Geschichte als Event liegt durchaus im Trend. Stadtführer treten als historische Gestalten auf und im Fernsehen werden beim sogenannten Reenactment geschichtliche Ereignisse nachinszeniert. Markus Grimm findet diese Entwicklung gut, solange erkennbar bleibt, dass das Dargestellte nicht mit der historischen Wahrheit gleichzusetzen ist. Er verwendet deshalb keine historischen Kostüme und setzt Requisiten nur sparsam ein. Auch lässt er seine Figuren ihre eigene Geschichte hinterfragen, und der Professor aus der Rahmenhandlung warnt das Publikum gelegentlich davor, alles zu glauben, was die andern Figuren auf der Bühne behaupten. Grimm beschreibt sein Konzept so: „Das, was meine Figuren sagen, hat die historische Person so vermutlich nicht gesagt. Allerdings lege ich ihr auch nichts gänzlich Fremdes in den Mund. Ich spitze vielmehr das, was die Figuren im positiven Sinn verkörpern, zu. Dabei geht es um die Frage, was ein bestimmter Gedanke heute bedeutet und bewirken kann.“ Botschaften möchte der promovierte Theologe mit seinen Bühnenstücken keine verbreiten. Ihm ist etwas anderes wichtig: Ein kurzer Augenblick der Irritation, auch wenn es sich nur um Sekundenbruchteile handelt. „Die Grenze zwischen Spiel und Realität löst sich auf und der Zuschauer fragt sich: ‚Bin ich da jetzt mit drinnen?’ Damit kommt etwas Authentisches ins Spiel, bei dem die Leute etwas über sich selbst erfahren können, so dass sie ein wenig anders herausgehen, als sie hereingegangen sind.“

INFO: 28. und 29. Januar, 20 Uhr Hofkeller unter der Residenz Vorverkauf: Rosenbachpalais, Falkenhaus | www.der-grimm.de; www.the-entertainmentcompany.com

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Perlen aus dem deutschen Wäscheschrank Uraufführung von Klaas Huizings „In Schrebers Garten“ am 19. Februar im Mainfranken Theater von Joachim Fildhaut

+ Kinder schreiten mit soldatisch geradem Kreuz durch abgezirkelte Gemüsebeete: Dies Bild hat was von einem deutschen Mythos, nämlich von dem des Arzts und Pädagogen Moritz Schreber. Klaas Huizing, Professor für evangelische Theologie an der Würzburger Uni, hob diese Figur literarisch ins Licht und setzte an die Stelle der gängigen Vorurteile über den Erz-Spießer das differenzierte Psychogramm zweier Personen. Ja, zwei, denn „In Schrebers Garten“ berichtet aus der Perspektive des Sohns Paul über den Vater und vor allem über die Wirkung, die dieser Herr auf das Kind hatte. Paul versuchte, den Ansprüchen des übermächtigen Vaters gerecht zu werden und sich denKulturGut 04 | Seite

noch Eigenständigkeit zu bewahren. Er wurde nicht Mediziner, wie der Vater es wünschte, sondern brachte es als Jurist bis zum Senatspräsidenten des sächsischen Oberlandesgerichts. Und wurde psychotisch, religiös größenwahnsinnig.

So funktioniert das Stück Therapiegespräche in der Nervenheilanstalt stecken den Rahmen des Stücks. Das spielt im Großen Haus des Mainfranken Theaters, dessen Ausdehnung man – bei aller kammerspielartigen Anlage des Dramas

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– wirklich nutzt. Denn die Bühne wird in Rechtecke unterteilt, eins davon ist der Besprechungsraum des Anstaltsleiters. Sobald dieser Dr. Weber aus seinem Quadrat zurücktritt, geht Paul Schreber auf eine benachbarte Spielfläche und in eine Rückblende hinein. Hier gibt es dann ein Wiedersehen mit etlichen Situationen, die den Lesern von Huizings erfolgreichem Roman „In Schrebers Garten“ bekannt sind. In der Erzählung regiert durchweg die Perspektive Paul Schrebers; die Dramatisierung des stellt hingegen gleichberechtigte Bühnenfiguren nebeneinander. Und übereinander, jedenfalls in der Würzburger Uraufführung. Auf riesigen Säulen sitzen nämlich zwei Musikerinnen. Sie tun das mit äußerst geraden Rücken, denn ihre Haltung bestimmen eben jene orthopädischen Streckvorrichtungen, die Moritz Schrebers Platz in der Geschichte der Schwarzen Pädagogik sichern. Die Pianistin und die Cellistin verkörpern eine Wahnvorstellung Paul Schrebers – eine junge Frau in der Anstalt zieht sich gern in seinen Wäscheschrank zurück, um dort zwischen ihren Schenkeln Perlen zu pressen. Über Pauls Ideenwelt ist die Nachwelt dank seiner Aufzeichnungen „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ informiert, in denen er darauf besteht, nicht irre zu sein. Aus der Rezeption dieser inneren Memoiren bezieht die Würzburger Inszenierung nun eine ihrer Fokussierungen. Die „Denkwürdigkeiten“ und ihr prominentester Leser Sigmund Freud bilden zusammen eine „spannende Ironie“, wie Dramaturg Kai Tuchmann sagt.

Denn ein knappes Jahrzehnt, nachdem Paul Schreber in seinem Bericht über sein Innenleben eine Diagnose mit psychiatrischen Begriffen von sich wies, benutzte der Psychoanalytiker eben diese Schrift, um damit paranoide Züge im religiösen Denken zu demonstrieren.

Vier mögliche Fokussierungen Freud sah latente Homosexualität zwischen Vater und Sohn Schreber am Werk. In „In Schrebers Garten“ träumt Paul von einer Geschlechtsumwandlung und schmückt seine Haare und seinen Vollbart mit Schleifchen. „Queer-Culture“ ist denn auch für Tuchmann einer der Diskurse, in denen Stück und Inszenierung stehen; ein weiterer ist die antipsychiatrische Bewegung, wie sie vor allem in den 1970er Jahren laut wurde. Die Privattheologien von Moritz und Paul Schreber sowie das Deutschtum spielen weitere durchlaufende, untergründige Rollen. Wie das auf der Bühne umgesetzt wird? Viele Details ergeben sich noch in den gerade beginnenden Proben mit Regisseur Bernhard Stengele. Im Vorfeld gastieren einige der Macher mit Matineen beispielsweise im Schwulen Museum Berlin. Nach der Uraufführung, ab Mai, wird das Ensemble „Schrebers Garten“ an das Staatstheater Saarbrücken versetzen, das das Werk mit dem Mainfranken Theater Würzburg koproduziert.

www.gut-fuer-mainfranken.de

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Theater |

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Die sieben Todsünden

1. Januar bis 27. März, 20 Uhr Kammer des Mainfranken Theaters Für die Nebenspielstätte, auf der keine allzu hohen Sprünge möglich sind, choreographierte Würzburgs Ballettchefin Anna Vita einen Bilderbogen der Leidenschaften, die die Menschen ernsthaft reinreiten können. Eine moralische Beurteilung hält die Künstlerin zurück. Sie lässt ihre Tänzer zur Musik des deutsch-russischen Komponisten Alfred Schnittke auf grotesken Wegen wiedererkennbare Psychen charakterisieren. | www.theaterwuerzburg.de Foto: Lioba Schöneck

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Das Oberuferer Dreikönigsspiel

9. Januar, 19 Uhr, Freie Waldorfschule Würzburg Die Waldorfschulen halten eine donauschwäbische Tradition wach. Die sehr volkstümlichen Reime wurden Mitte des 19. Jahrhunderts in Oberufer, heute ein Ortsteil von Bratislava, wiederentdeckt und aufgeschrieben. Mit dem Dreikönigs- oder Herodesspiel wenden sich die Würzburger Macher an Menschen ab zehn Jahren. Die Geschichte spielt mit mythischen Gestalten im Inneren des Menschen, der zwischen Gut und Böse steht, aber auch derber Humor fällt an. Am 6. Januar, 18 Uhr, gibt’s schon einen Auftritt bei der Christengemeinschaft in der Albert-Hoffa-Straße 7. | www.waldorfschule-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Termine |

Das Mädchen aus der Streichholzfabrik

ab 13. Januar, 20 Uhr, Kammer des Mainfranken Theaters Wie viel Recht auf Individualität hat ein Zündholz? Das Mädchen will aus der unerträglich stumpfen Enge seiner Familie ausbrechen und muss am Ende folgerichtig einem jeden, auch dem Vater ihres ungeborenen Kindes, Rattengift in den Schnaps mixen. Die Bühnenfassung übertrumpft Aki Kaurismäkis Film noch an Kargheit und Dauer. Fast ohne Text wird gespielt, da hängt sehr viel an den Körperbewegungen von Menschen, die jedoch wenig tun. Dass aktuelle Nachrichten live aus dem Fernseher laufen, ist ein großes Zugeständnis an das Unterhaltungsbedürfnis der Zuschauer. Aber auch extrem gedehnte Handlung kann Spannung erzeugen. | www.theaterwuerzburg.de Foto: Gabriela Knoch

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Blaubart

20. bis 22. Januar, 20 Uhr, Plastisches Theater Hobbit Die frischgebackenen Träger der städtischen Kulturmedaille des Jahrs 2010 bringen ihr Puppenspiel für Erwachsene in einer Wiederaufnahme erneut auf die eigene Kellerbühne in der Münzstraße, nachdem das Werk in Koproduktion mit der slowenischen Lutkarnica-Bühne bei einer Tournee – und bei einem Gegenbesuch der Slowenen in Unterfranken – weiter entwickelt wurde. Das phantasievolle Schattentheaterstück handelt von einer eigenständigen Schlüsselfrau, die sich nicht an die Anweisungen ihres Gatten hält. Pate bei der Entwicklung des Stoffs standen Volksmärchen, Balladen und eine französische

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Geschichtensammlung, die Charles Perraut kurz vor der Wende zum 18. Jahrhundert anlegte. | www.theater-hobbit.de ++++++++++++++++++++++++

Urban Priol

31. Januar, 19.30 Uhr, Mainfranken Theater Im Dezember bespielte der derzeit wohl populärste Politkabarettist Deutschlands bereits die Mainfrankensäle Veitshöchheim. Vielleicht entspannt das die Eintrittskarten-Marktlage und das Große Haus ist noch nicht ausverkauft, wenn Sie diese Zeile lesen. Priols Programmtitel „Wie im Film“ besagt nicht, dass die Spottdrossel von der Polit- auf die Kulturschiene gerutscht wäre. Er sehnt sich nur danach, dass am Ende seines Alptraums ein Bruce Willis erschiene, zum Telefonhörer griffe und mit fester Stimme bäte: „Geben Sie mir den Präsidenten!“ Vorverkauf im Falkenhaus am Markt, an der Theaterkasse oder | www.theaterwuerzburg.de Foto: Alexander Hess

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Zwischen frechem Volke

ab 12. Februar, Kammer des Mainfranken Theaters Der Inhalt lässt sich noch nicht erzählen: Die Regionalbühne setzt erstmals ein komplett improvisiertes Stück auf den festen Spielplan. Garant, dass das eigentlich klappen sollte, sind Nadine Antler, eine treibende Kraft der Würzburger Improtheatergruppe Kaktussen, und Jim Libby, ein Allrounder der darstellenden Künste aus Wien. | www.theaterwuerzburg.de


 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

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Ausziehen 2.0

Der Mann von La Mancha

26. Februar, 20 Uhr, tanzSpeicher Der Choreograph Thomas K. Kopp möchte mit seinem Tanzstück für drei Tänzerinnen und 5002 Kassenzettel im eigenen Haus (im Kulturspeicher) vor allem junge Leute ansprechen, oder jung gebliebene, die immer noch bedenkenlos privateste Angaben von sich im Internet veröffentlichen. Machen sich die Bürger selbst gläsern? Läuft ihre Computer-Interaktion darauf raus, dass sie sich nackt machen? Sind sie freiwillig oder ohnmächtig? Sind Datenspuren harmlos oder folgenschwer? Solche Stichworte lassen sich auch körpersprachlich ausdrücken, was die Choreographen- und Tanztheaterbühne in dieser Wiederaufnahme demonstriert. Eine Einführung gibt’s um 19.30 Uhr. | www.tanzspeicherwuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Hannes Ringlstetter

26. Februar, 20.15 Uhr, Bockshorn Ringsgwandl hieß mal ein großer Meister des Dilettantismus. Ringlstetter bringt eine kleinere Dosis Laienhaftigkeit in sein musikalisches Solokabarett ein, was auch eine Kunst ist, für die der richtige Grad gefunden werden will. Der Träger des Fränkischen Kabarettpreises 2010 pflegt den Kult seiner Herkunft aus der Oberpfalz, und es passt zu jenem erwähnten Schuss von Naivität in seinem Auftreten, dass er die Konstellation „Bauernbub / Verlockung des Weibes“ von mehreren Seiten her gern durchspielt. Dazu wechselt er vom Klavier an die Gitarre und es erfreut, wie viel Musikalität sich auch in einer kleinen Stimme austoben kann. | www.bockshorn.de

ab 10. März, 20 Uhr, Theater Chambinzky

Die erste Reaktion auf diese Theaterankündigung könnte lauten: Das schaffen die nie! Mit solch einem Brocken überheben die sich. – Aber die freie Theaterszene kann große Kräfte zusammenlegen; so stemmten die Privattheater sogar schon einen Klöpper wie Shaffers „Amadeus“. Die Inszenierung dieses Musicals übernimmt ein Mann der Musik, der Theaterpädagoge Johannes Friesenegger. Das perspektivenreiche Spiel um Don Quichote, den Ritter von der traurigen Gestalt, hält sich bis zum tief berührenden Ende an die Worte seines Urhebers Miguel de Cervantes: „Aber ganz gewiss ist das der allergrößte Wahnsinn: Das Leben so zu sehen, wie es ist, und nicht so, wie es sein sollte.“ | www.chambinzky.com ++++++++++++++++++++++++

Politikverdrossenheit in der Antike

17. März, 19.30 Uhr, Prälatensaal des Klosters Bronnbach „Wundersame Abhilfe des Komödiendichters Aristophanes“, so lockt der Untertitel von Prof. Ulrich Sinns Vortrag. Mit dem tourte der klassische Archäologe diesen Winter für den Universitätsbund, jetzt kommt also die versierte Schlussveranstaltung. In Aristophanes’ Komödie „Die Vögel“ träumen zwei Politikverdrossene von einem Idealreich, das unvermutet als Wolkenkuckucksheim wahr wird. Prof. Sinn geht dem Hintergrund in Athen vor 2424 Jahren nach. Das ist eine gute Hinführung zur Inszenierung im Mainfranken Theater, die Sinn als Dramaturg berät. Dort starten die „Vögel“ Mitte April. KulturGut 04 | Seite

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Wohin weht der Rock? Würzburg liegt strategisch günstig für aufstrebende Musiker. In kleinen Clubs spielen die Großen der Zukunft von Daniel Staffen-Quandt | Fotos: Jugendkulturhaus Cairo

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undenkbar. Nicht bloß, weil der große Konzertraum viel zu klein wäre für den heutigen Erfolg der Band. Nein, heute würden Beth & Co. sicher auch nicht mehr auf einem Sofa schlafen wollen. Ein Fünf-Sterne-Haus muss es schon sein. Das ist kein Neid, keine Missgunst. Es ist die nackte Realität. Und das ist auch gut so. Bands, die sich hochspielen bei ihren Fans, die Bodenhaftung haben, die eben auch mal während ihrer ersten Auslandstour auf Sofas nächtigen mussten, braucht die sonst so monotone Musikwelt. Gecastete Musiker verschwinden so schnell, wie ein Phoenix aus der Asche aufsteigt. Sie haben keine Fanbasis, sondern Konsumenten. Und die sind launisch; konsumorientiert eben. Gossip hat auch in zehn Jahren noch Fans. Egal ob es die Band dann überhaupt noch gibt.

Ohne Cairo keine Giganten Das Beispiel der US-Band rund um Beth Ditto ist nur eins von vielen. Und es sollte vor allem all jene verstummen lassen, die Popkultur nur in Hamburg, Köln, Berlin oder München verorten – in den so genannten Medienstädten. Klar, dort gibt es sie auch. Aber anders. Konsumorientiert(er). Erst wenn Musiker einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben, spielen sie da. Sonst kriegen sie die Hallen dort nicht voll. Und der Weg dorthin führt mit klassischem „Emporspielen“ durch kleine Clubs. So wie das Cairo, so wie das Immerhin – so wie einst das akw. In den drei Würzburger Clubs gab und gibt es Popkultur, weil sie genau deren Entwicklung fördern. Indem sie Bands eine Chance und eine Bühne geben, die bei professionellen Konzertveranstaltern (noch) keine Chance hätten. Kein Mensch würde heute Gossip kennen, wenn es nicht Clubs wie das Cairo geben würde. Das gleiche gilt auch und vor allem für deutsche Bands wie Sportfreunde Stiller, Wir sind Helden, Madsen oder… Cairo-Chef Steffen Deeg war damals selbst beim Gossip-Konzert, einem prototypischen Konzert für das Jugendkulturhaus am Fuß des Festungsbergs. Klein, aber extrem fein. Die Chance, eine Band so intim zu erleben, hat man nur, ehe der große Durchbruch kommt, wie bei Gossip im Jahr 2009. „Ich hab die drei dann noch mal vor kurzem in der Frankfurter Jahrhunderthalle gesehen“, sagt Deeg. Gut seien sie gewesen, ja. „Aber fasziniert hat mich das Großkonzert nach dem Mini-Event bei uns nicht.“

Indies können immer zurück + November 2005: Eine – pardon – äußerst pummelige junge Dame rackert sich auf der großen Bühne im Jugendkulturhaus Cairo ab. Im Zuschauerraum stehen plusminus 35 zahlende Gäste. Eigentlich ist so etwas ein Fiasko. Für die Band, für die Fans, für die Veranstalter. Denn gewöhnlicherweise kommt in einer solchen Szenerie keine Stimmung auf. Aber nicht, wenn Gossip auf der Bühne stehen und Frontfrau Beth Ditto alles gibt. Die Sängerin ist eine exzentrische Rampensau – heute wie damals. Wer das Konzertprogramm des Cairo oder anderer Veranstalter in Würzburg studiert, der sucht dort vergebens nach weltbekannten Zugpferden wie Gossip. Wer kennt schon Geheimrat Oldenburg? Oder Electric Moon? Oder Kings Of Pancakes? Kaum jemand. Nur: Gossip kannte im November 2005 in Deutschland auch fast niemand. Das Trio war damals ein Geheimtipp, ein Leckerbissen, der in kleinen europäischen Clubs spielte. Eine musikalische Perle, deren Schönheit nur wenige kannten. Die wuchtige Beth und ihre zwei Bandkollegen schliefen bei den Cairo-Konzertveranstaltern auf der Couch, sie wurden von ihnen bekocht und verhätschelt, so gut das eben ging. Gossip im Cairo wäre heute KulturGut 04 | Seite

Sind die Aufsteiger des letzten Jahrfünfts ein positiver Ausrutscher in der langen Konzertliste der kleinen Bühnen Würzburgs? Welchen Beitrag leisten die Stadt und ihre Bewohner zur Pop- und Rockkultur? Und gibt es so etwas hier am Main überhaupt? Ja. Im Fachjargon heißt das Do-it-Yourself, kurz DIY, also alles, was man selbst organisiert. „Davon lebt das Cairo. Wir haben kein eigenes Booking-Büro, das machen nur Ehrenamtliche“, erläutert Deeg. Früher, während seines Studiums, war er selbst aktiv mit dabei. DIY-Gruppen wollen Bands, die sie selbst gern hören, eine Plattform bieten. Sie organisieren Bühnen, die Künstler bekommen 70 bis 80 Prozent der Eintrittsgelder plus Kost und Logis. Reich wird man so jedenfalls nicht. Je nachdem, wie viele Zuhörer kommen, decken die Einnahmen gerade mal laufende Kosten wie Fahrt, Equipment-Verschleiß und, und, und. Trotzdem ist diese semiprofessionelle Art, ins Geschäft einzusteigen, bei Künstlern beliebt. Man lernt es dann nämlich von der Pieke auf. „Bands, die auf diese Weise wachsen und groß werden, das sind die, die bleiben“, sagt Steffen Deeg. Oder anders herum: „Von denen, die gerade oben sind, sind diejenigen, die sich hochgespielt haben, die,

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die bleiben.“ Gecastetes wird dank multimedialer Vermarktung in die Charts und in die riesigen Konzerthallen katapultiert – und verschwindet dann von allein wieder. Denn wenn dort der große Anfangserfolg plötzlich ausbleibt, können die Musiker nicht auf die kleinen StarterBühnen zurück. Das allerdings fällt auch vielen Stars der Indie-Szene nicht leicht, wenn sie es nicht freiwillig tun. Klar, es ist schick, wenn erfolgreiche Bands auch mal eine Clubtour machen und dabei vor nicht mal zehn Dutzend Leuten spielen. Wohnzimmeratmosphäre, Stars zum Anfassen und so. Aber wer keine Massen mehr anzieht und dann zurück in die kleinen Läden muss, hat es schwer. Jens Friebe ist so ein Beispiel. Der Glanz und der Lack sind irgendwie ab, wenn man sich beim Kürzertreten nicht neu erfindet. Würzburg jedenfalls liegt für DIY-Konzerte strategisch günstig. Tourt eine Band durch Deutschland oder gar Europa, kommt sie mindestens ein Mal an Würzburg vorbei, egal ob sie von Nord nach Süd oder von West nach Ost oder umgekehrt reist. Ein Zwischenstopp am Main ist somit kein Umweg, die Bands nehmen ihn gerne mit – zumal es gemessen an der Einwohnerzahl überdurchschnittlich viele Studenten in Würzburg gibt. „Alles potenzielle Konzertbesucher“, sagt Cairo-Chef Steffen Deeg.

Saal für 200 Leute gesucht Die Sportfreunde Stiller sind so groß geworden – und an ihrer Würzburger Konzertgeschichte kann man das DIY-Konzept gut ablesen. Ihren ersten Auftritt hatte die damalige Studenten-Combo noch im alten Immerhin, der nächste folgte im Cairo, dann im akw und schließlich in der s.Oliver-Arena und bei der MTV Campus Invasion am Hubland. Die Bands wachsen mit den Locations, insofern klafft seit der akw-Schließung ein empfindliches Loch in Würzburg: Für Gigs mit rund 200 Besuchern fehlt etwas. Klar, es gibt die Posthallen. Und deren Chef Jojo Schulz kennt die DIYSzene gut, schließlich ist er selbst in ihr groß geworden und hat früher in seiner Freizeit Konzerte organisiert. In den Posthallen ist sicher auch deshalb ab und zu Platz für Spartenprogramm, für Bands und Festivals, die (noch) nicht die großen Massen anziehen. Das Daueroder Regelprogramm kann so freilich nicht aussehen, wenn man einen Veranstaltungsraum wirtschaftlich betreiben muss. Es fehlt also doch ein akw-Nachfolger. Es gab schließlich auch schon Vorläufer – oder zumindest andere Orte, an denen Bands in Würzburg spielen konnten, bevor es Immerhin, Cairo und akw gab. Gut, die Beatles und auch die Rolling Stones haben nie den Weg nach Würzburg gefunden. Hartnäckig hält sich aber das Gerücht, dass 1983 Iron Maiden in Würzburg gespielt haben. Und auch die Punk-Großmeister von Bad Religion sollen mal hier gewesen sein, vor ihrem großen Durchbruch, versteht sich. Geheimtipp also.

Die Kehrseite der Downloads: Hohe Gagen Ob allerdings auch eine künftige Entdeckung vor ihrem großen Durchbruch in Würzburg zu sehen sein wird, hängt von vielen Faktoren ab. Nummer 1: Es braucht Spielorte wie das Immerhin oder Cairo. Orte, die co-finanziert werden, weil sie sich nicht wirtschaftlich tragen. Kultur kostet Geld. Die Hochkultur vor allem. Deshalb darf auch die so genannte Subkultur die Hand aufhalten, wenn sie sonst nicht überleben würde. In Würzburg gibt‘s für Clubs wie das Cairo immerhin eine kleine Lobby. Nummer 2 ist aber fast noch wichtiger: Die DIY-Kultur droht momentan ein wenig auszubluten. Und das liegt an den Veränderungen im KulturGut 04 | Seite

Musikgeschäft im Allgemeinen. Mit CD-Verkäufen und Downloads verdienen Musiker kaum bis kein Geld (mehr), sie sind auf Konzerte und Merchandising angewiesen. Im Klartext: Auch unbekannte Bands werden ziemlich schnell ziemlich teuer. So teuer, dass man ihre Gagenvorstellungen in kleinen Locations nicht mehr erfüllen kann. Eine Beteiligung an den Eintrittsgeldern reicht den Bands nämlich oft nicht mehr aus. Das wäre heute sicher auch bei Gossip so, selbst wenn sie noch immer so unbekannt wären wie im November 2005. Das hat nichts mit Überheblichkeit zu tun, für viele aufstrebende Musiker geht es da ums nackte Überleben. Das muss aber nicht nur Nachteile haben, findet Steffen Deeg. Noch kleinere, unbekanntere Projekte haben so die Chance auf einen Gig. Jede Menge Geheimtipps also.

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Einfach nur Musik Zu den Klängen gehört immer noch etwas anderes. Zum Beispiel Wörter von Jens Essmann

+ Die Nummer-Eins-Position am Tag vor Heiligabend hat in Großbritannien teil an der Weihnachtstradition, stimmt seit 1952 Radio- und später auch TV-Geräte auf die jeweiligen Festtrends ein. Im vergangenen Jahr gelang es einer Facebook-Initiative, den wuchtigen Rage Against the Machine-Song „Killing in the Name“ und damit auch dessen Refrain „Fuck you I won’t do what you tell me“ als am schnellsten verkaufte Download-Single aller Zeiten an die Christbaumspitze zu hieven. Auch dieses Jahr wurde im Internet über eine Nachricht diskutiert, die man über die Top-Position der Charts in die Welt senden möchte. Die neue Idee heißt „Cage Against the Machine“ und will eine Neuaufnahme von John Cages 1952 entstandenem Stück „4’33“ zur Weihnachtshymne des Jahres 2010 machen. „4’33“ besteht aus drei Sätzen, die von jedem Instrument und jeder Kombination aus Instrumenten gespielt werden können. In Cages Partitur liest man einzig diese Anweisung und einige Worte zur Premierenaufführung, deren Sätze jeweils mit dem Öffnen des Klavierdeckels begannen und mit dessen Schließen endeten. Mehr war nach Meinung der meisten Anwesenden nicht zu hören, mehr wurde, so die erste Enttäuschung, nicht gespielt. Aber natürlich gab es mehr zu hören und natürlich war dieses Mehr ein Teil der Performance: Rascheln und Tuscheln, Hüsteln und Fußtippeln drängten sich plötzlich in den Vordergrund der Aufmerksamkeit, nahmen den Konzertsaal ein. Dieser Abend, die Aufführung, der Jubel und die Empörung darüber sind seitdem Teil der modernen Erzählung davon, was Musik uns ist. Nun kann man sich die Aufregung des damaligen Publikums zu Herzen nehmen, man kann sich fragen, warum man nicht schlicht in der Überzeugung auf ein Konzert gehen kann, dort einfach nur Musik zu hören. Warum der verschnupfte Nachbar nicht nur stört, warum der Szenenapplaus nicht außerhalb der Darbietung stattfindet, warum man nicht selbst entscheiden kann, was nun nur Geräusch und was schon Musik ist. Einfach nur Musik. Jeder, der schon einmal am Frequenzrad eines Radios gedreht hat, weiß aber, dass die Trennung zwischen Geräusch und Musik, zwischen Vorder- und Hintergrund kein exklusives Phänomen der Konzertsäle ist. Dass vielmehr die nervigen Nebensitzer und das mühsam regulierte Störgeräusch im Sender einen Gutteil der Atmosphäre ausmachen, die einem die Musik erst als Erlebnis näherbringt. Auch KulturGut 04 | Seite

dieses oft verfluchte Gemisch aus Wollen und Verhindern ist Teil unserer Erzählungen davon, was Musik uns ist. Sei es nun in der Freude über die tolle Konzertatmosphäre oder sei es in der nostalgischen Erinnerung an das knackende Radio im Wohnzimmer der Eltern. Irgendwas knackt immer. Irgendwer fragt immer gerade dann nach einem Taschentuch, wenn das eigene Lieblingslied genossen werden will, rempelt mich an, wenn ich im Tanzen versinke, beschwert sich über den nachlässig hingedrehten Radiosender, fragt mich, ob ich ernsthaft eine Queen-CD im Regal stehen habe, will diskutieren, will wissen, ob mir nicht klar sei, dass ein von mir bejubelter Sänger sich für den Walfang starkmache. Irgendwas knackt immer, hallt nach im Raum, auch wenn die Musik schon lange vorbei ist. Und auch ich will wissen, was ich da gerade höre, frage die besser Informierten nach Neuerscheinungen, rempele im Überschwang der Nacht den Nächstbesten an, freue mich in -zig Blogeinträgen über einen lange gesuchten Song, der nur als übel verrauschter Handymitschnitt eines Konzerts auf Youtube zu haben ist. Irgendwas knackt immer. Einfach nur Musik zu hören scheint komplizierter als gedacht. Unsere Erfahrung von Musik hat anscheinend viel damit zu tun, dass wir sie als ein Medium wahrnehmen, das uns etwas vermitteln will und zu dem wir uns positionieren müssen. Das kann uns der Text von „Killing in the Name” genauso klarmachen wie die Zeitspanne, in der „4’33” aufgeführt wird. Das Schweigen der Instrumente ist keine Stille, ist noch ein Inhalt, den man sich nicht gefallen lassen muss, dem man sich stellt. Und sei es, indem man aufsteht und geht. Dass „über Musik zu sprechen“ sei wie „über Architektur zu tanzen“ ist nun passenderweise eins der Zitate, das durch so viele Münder gereicht wurde, bis man irgendwann nicht mehr sagen konnte, von wem es denn letztlich stammt.* Zu behaupten, dass Musik sich irgendwie selbst genügt, scheint also immer mal wieder Eindruck zu machen. Es stimmt aber einfach nicht. *kleines Stück Fachwissen, über das sich Ihr Nebensitzer auf dem nächsten Konzert sicher freuen wird: Das Zitat über Musik und Architektur stammt höchstwahrscheinlich vom amerikanischen Comedian Martin Mull. Der Autor Jens Essmann war drei Jahre lang Chefredakteur der popularkulturellen Fachzeitschrift „Deadmagazine“. Er promoviert an der Würzurger Universität im Fach Neuere deutsche Literaturgeschichte über „Utopische Körper“.

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Der Soundtrack zum Endspiel Neue Musik ist hörbarer geworden. Sie dominierte das Themenjahr zur Apokalypse. Domkapellmeister Martin Berger hat das „Endspiel 2010“ beobachtet Interview: Joachim Fildhaut / Foto: Daniel Peter

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Und das Urteil fällt fundiert aus? Sagen wir: Man urteilt heute auch in Kriterien, wie sie früher durchaus verpönt waren, beispielsweise „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“. Das hätte man sich früher in dieser Form nicht getraut. Veranstalter müssten also nicht immer auf die bewährten Repertoirestücke setzen, wenn sie einen Konzertabend kalkulieren? Ich glaube schon, dass Veranstalter mehr wagen könnten. Vor allem glaube ich aber, dass das Publikum es in hohem Maße goutiert, wenn die Mischung stimmt, so dass sich jeder darin wiederfinden kann. Wie kam’s, dass mehr als die Hälfte der „Endspiel“-Konzerte der Neuen Musik zuzurechnen waren? „Endspiel 2010“ war ein innovatives Projekt. In Würzburg war es ohne Beispiel, dass man unterschiedliche Kulturträger in ein Boot bekommt und versucht, Gemeinsamkeiten zu finden. Ein solch innovatives Konzept verdient einfach, dass es zunächst mit Kultur unserer Zeit gefüllt wird. Liegen auch in der Neuen Musik selbst Gründe, die sie für „Endspiel 2010“ prädestinierten? In unserer Zeit wird sehr viel epigonale Musik aufgeführt. Wenn wir da nicht gegensteuern, besteht die Gefahr, dass von unserer Zeit in Zukunft wenig übrigbleibt. Grundidee der „Würzburger Apokalypse. Endspiel 2010“ war, den biblischen Text der Offenbarung des Johannes in die Gegenwart wirken zu lassen. Dazu muss er auch durch Kunst wirken, die in unserer Zeit entsteht.

Penderecki probte seine Siebte Sinfonie mit Musikstudenten aus Krakau und Würzburg. Klangsinnliche Neue Musik fand ihr Publikum – der Dom war ausverkauft.

+ Welches Spektrum der Neuen Musik wurde bei „Endspiel 2010“ präsentiert? Wie verständlich waren die zeitgenössischen Kompositionen? Ein sehr breites, und das Publikum war grundsätzlich sehr offen für alles, was es dort erwartete. Das ist aus meiner Sicht ein großer Erfolg. Wir haben dies zum Beispiel am 16. März mit der Uraufführung von Hillers „Der Sohn des Zimmermanns“ erlebt, von der niemand im Publikum wusste, wie sie klingen wird: Der Dom war zweimal bis auf die letzten Bänke besetzt. Diese Beobachtung mache ich in den letzten Jahren verstärkt, dass die Leute grundsätzlich unvoreingenommener gegenüber vielen Formen von zeitgenössischer Musik sind. Sie haben die Angst verloren, urteilen hinterher aber auch sehr frei. KulturGut 04 | Seite

Ist die Neue Musik der Soundtrack zum Weltuntergang? Nein, denn die Offenbarung des Johannes hat ja ganz unterschiedliche Bilder und Facetten, die aber letztlich alle die Vollendung der Welt beschreiben. Der „Weltuntergang“ ist somit nur „Durchgangsstation“ zur Herrlichkeit Gottes. Gerade dieser Text steht traditionell in besonders enger Verbindung mit Kunst – bisher überwiegend mit Bildender Kunst. Aber dass sein Geist auch in der Musik erklingen kann, halte ich für sehr naheliegend. Das Ganze soll mehr sein als die Summe seiner Teile. Wenn die Teile die Einzelkonzerte sind, das Ganze das Musikprogramm von „Endspiel 2010“, was ist dann das Mehr? Ein „Mehr“ ist sicherlich, dass die vielen kulturell Engagierten, die sich hier verlinkt haben, ein deutliches Zeichen gesetzt haben. Dass Institutionen, die bisher kaum etwas miteinander zu tun hatten, sich unter einen Schirm stellen und versuchen, gemeinsam ein Thema des christlichen Glaubens ein Jahr lang über diese Stadt zu spannen – das ist sicherlich etwas ganz Besonderes.

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Gibt es ein solches Mehr auch aus innerkirchlicher Sicht? Von meiner Seite kann ich sagen, dass es ein sehr spannendes Projekt war: Man nimmt sich einen Teil der Bibel und versucht, ihn über viele Monate in Kunst und Kultur widerzuspiegeln, um dadurch eine neue Herangehensweise für die Menschen unserer Zeit zu schaffen. Das ist eine Herangehensweise meiner Kirche, die ich als Kirchenmusiker in hohem Maß begrüße. Sie schafft eine neue Basis für das, was Kirchenmusik über Jahrhunderte hinweg war. Nämlich? Innovativ, modern und fortschrittlich. Das ist unserer Kirchenmusik im 20. Jahrhundert im Wesentlichen verlorengegangen. Ich wünsche mir sehr, dass wir in der Kirche jetzt im neuen Jahrhundert einen neuen Weg gehen und uns sagen: Wir sind viel näher an der Gegenwartskultur und damit, hoffe ich, auch viel näher am Gegenwartsmenschen. Das wird durch Veranstaltungen wie „Endspiel 2010“ deutlich unterstrichen. Was ist für Musiker der Reiz einer Uraufführung? Das Werk stellt einen in der Genese vor große Rätsel, denn man hat ja kein anderes Klangbeispiel. Deshalb ist es ein besonderer Moment, wenn man das, was im Kopf eines Menschen entstanden ist, wirklich zum Klingen bringt. Die Erstinterpretation leistet einen prägenden Beitrag zu diesem Werk. In Zukunft wird es nur möglich sein, diese prägende Interpretation entweder zu verlassen oder zu bestätigen. Bedeutet das, Musikgeschichte mitzuschreiben? Nun, eine Uraufführung zu leiten heißt, einer neuen Idee eine Chance zu geben. Ob die Werke, die wir hier uraufgeführt haben, überleben werden, muss die nächste Generation entscheiden. Das darf uns als ausübende Künstler nicht hemmen – wir müssen nicht die Entscheidung fällen, ob das Stück Bestand hat. Wir müssen aber dafür sorgen, dass die Stücke eine realistische Chance haben Spielen Sie also in erster Linie für die Zukunft? Zunächst einmal müssen wir versuchen, die Stücke genau so klingen zu lassen, wie sie gedacht sind. Das ist eine hohe musikalische Herausforderung, der ich mich auch nach Kräften gerne stelle. Letztlich entscheidet dann aber eine musizierende und zuhörende Gesellschaft, ob ihr das Werk soviel gibt, dass sie es mit in die Zukunft nimmt. Weiß das Publikum die Marke ‚Uraufführung’ zu schätzen? Ich habe 2010 in Würzburg erlebt, dass es ein besonderer Anreiz war. Ich erlebe unser Publikum relativ unvoreingenommen, wobei man auch sagen muss, dass zeitgenössische Musik nicht mehr so kontrovers ist wie in den 1960er und 1970er Jahren. Viele sprechen von KulturGut 04 | Seite

Postromantik, es gibt viele Grenzgänger. Und: Viele Komponisten besinnen sich auf eine neue Klangsinnlichkeit. Die wird zwar auch kritisch hinterfragt, trotzdem ist diese „neue Klangsinnlichkeit“ für mich ein Kennzeichen von aktueller Musik des 21. Jahrhunderts – und unterscheidet sich damit deutlich von dem, was wir jahrzehntelang bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt erlebt haben. Spielt Provokation keine Rolle mehr? Das 20. Jahrhundert ist ja schon sehr viele Wege gegangen. Das stellt die heutigen Komponisten vor die Frage, ob sie den gleichen Weg noch einmal gehen sollen und Provokationen, die vor 40, 50 Jahren einfach nötig waren, unendlich fortsetzen wollen. Viele verneinen dies für sich oder schränken es zumindest ein. Das macht es für das Publikum heute ein gutes Stück leichter, zeitgenössische Musik in die jeweilige Hörgewohnheit einzugliedern.

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 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

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Musik |

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Christine und Dirk Höppner 8. Januar, 17 Uhr, Siebold-Museum

Ihrem Benefizkonzert für das Siebold-Museum geben Christine (Violine und Gesang) und Dirk Höppner (Piano) eine starke biographische Note. Eine Nichte des Philipp Franz von Siebold – dessen Wirken als Arzt, Japanforscher und Botaniker das Museum gewidmet ist – hieß Agathe und war eine Zeit lang mit dem Komponisten Johannes Brahms verlobt. Immerhin war das Verhältnis so intensiv, dass Brahms mit der Tonfolge a g a d h e arbeitete. Vier Lieder widmete er der Frau, die die Höppners interpretieren. Außerdem haben sie Werke von Hiroshi Aoshima und Takashi Yoshimatsu auf dem Programmzettel. Karten gibt es nur an der Abendkasse. | http://uploader.wuerzburg.de/siebold-museum ++++++++++++++++++++++++

Willy Astor

13. Januar, 20 Uhr, CCW „Sound of Islands” heißt die Show, in der der Wortdrechsler seiner Liebe zur Konzertgitarre freien Lauf lässt und musikalische Einflüsse aus aller Erdteile Länder aufpickt. Dabei liegt ihm nicht daran, mit seiner Assimilierungsfähigkeit zu brillieren. Er möchte das Publikum „auf eine Reise zu sich selbst“ bringen – „allerdings ohne den ganzen esoterischen Quatsch“. Drei (Multi-) Instrumentalisten ziehen mit, so dass auch Harfe, Akkordeon und eine Art geläuterter Steel Drum zu hören sind. | www.willyastor.de ++++++++++++++++++++++++

Projektorchester Würzburg 15. Januar, 19.30 Uhr, CCW

Christian Steinlein und Gründer Harald Reinhard als Gastdirigent leiten das junge sinfonische

Termine |

Blasorchester zum 15-Jahres-Jubiläum durch mitreißende und traumhafte Melodien aus Filmen wie „The Rock“, „Indiana Jones“, „Star Wars“ und „1941“. Daneben enthält das Repertoire Musicalpassagen aus „Elisabeth“ und „West Side Story“. Karten kosten zwischen 11 und 15 Euro in der Tourist Info im Falkenhaus. | www.projektorchester.de ++++++++++++++++++++++++

HeartLand

22. Januar, 20 Uhr, Spitäle Simone Papke (Gesang), Thomas Buffy (Violine) und Christine Eberherr (Harfe) unternehmen eine musikalische Reise durch Europa mit starkem Schwerpunkt in Irland. Besonders bei den Balladen, die das Trio gern sehr langsam einspielt, kommt süße Melancholie auf. Mit dem Tanzbein wippt das Publikum, wenn Percussions mitspielen. Das Konzert gilt als Erscheinungsdatum der ersten HeartLand-CD „Lean back”. | www.heartland-musik.de ++++++++++++++++++++++++

Flötentrios

23. Januar, 11 Uhr, Toscanasaal Barocke Trios und Arbeiten, die Joseph Haydn schrieb, nachdem er erkannt hatte, wie gut diese Art Kammermusik ankommt, bringen Annie Laflamme (Traversflöte), Dorothea SchönwieseGuschlbauer (Cello) und Richard Fuller (Piano) mit Unterstützung der in München ansässigen BSCWStiftung. Die fördert hierzulande auch die JeanPaul-Edition und die Siebold-Gesellschaft. Ohne Flöte stehen an diesem Sonntag auch Beethovens Zauberflöte-Variationen auf dem Programm. | www.bscw-stiftung.de KulturGut 04 | Seite

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Festwochenende Domsingknaben

6. Februar, 10 Uhr, Dom Zum 50. Gründungsjubiläum kommen Ehemalige schon am Samstag, 15 Uhr, zur Probe zusammen, bevor sie tags drauf ein Pontifikalamt mit Bischof Friedhelm Hofmann begleiten. Seit fünf Jahrzehnten haben die Sänger Nachfolger gefunden, die kostenlos eine fundierte Gesangsausbildung in der Dommusik erhalten. Zur Zeit sind’s 130 in drei Chören. Eine Tour wird sie heuer durch Nordfrankreich führen, 2010 waren sie in Südafrika. | www.wuerzburger-dommusik.de ++++++++++++++++++++++++

Freakshow in Concert 7. Februar, 20 Uhr, Cairo

Die kleine Vorschau auf das Artrock-Festival führt Tartar Lamb aus Brooklyn an: Eine klassisch gespielte Violine schafft immense Spannungsräume hin zu E-Gitarre und Elektronika. Jeremiah Cymerman schlägt den Bogen zu Neuer Musik mit seinen Dialogen zwischen Klarinette und Laptop. Als Rockband treten Kayo Dot auf, mit den Mitteln von Finster-Wave nach dem Canterbury-Sound suchend. Wem der Haupt-Act zu unentschlossen klingt, kann ja schon gehen. | www.artrock-festival.de ++++++++++++++++++++++++

Element of Crime 10. Februar, Posthalle

Wer noch etwas mit dem Begriff Erwachsenenmucke anfangen kann, ist hier richtig. Denn im großen Würzburger Angebot der sogenannten


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Musik |

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Jugendkultur gibt es nicht viele Konzerte, die auch älter gewordenen Jugendlichen besonders bzw. überhaupt gefallen. An diesem Abend singt – und trompetet hoffentlich – der Romanautor Sven Regener selbstkomponierte Lieder in deutscher Sprache. Er gefällt sich seit seinem Debüt „Basically Sad“ in einer Art dreckiger Romantik und hat eine wunderbar ausgewogene, klangfarblich reiche kleine Band im Rücken, die 2009 für den Deutschen Filmpreis in der Sparte Musik nominiert war. | www.element-of-crime.de ++++++++++++++++++++++++

Ein Neujahrshymnus

12. und 13. Februar, 20 bzw. 17 Uhr, Neubaukirche Der Monteverdichor gestaltet mit dem scheinbar verspäteten Jahreswechselgruß eine Uraufführung: Joseph Marx’ Hymnus entstand 1914 für Männerchor und Orgel. Die rekonstruierte Würzburger Fassung für gemischten Chor und Orchester basiert ausschließlich auf einer Tonspur von Filmmusik aus dem Jahr 1950. Daneben bringen Matthias Beckerts Sänger Marxens effektiv polyphonen „Herbstchor an Pan“. Der Monteverdichor ist der Hochschulchor der Julius-Maximilians-Universität und ein außergewöhnlich ambitioniertes Projekt, an dem außer Studierenden auch Alumni mitwirken. ++++++++++++++++++++++++

100 Jahre Tonkünstlerverband

ab 4. März, 19 Uhr, Spitäle Würzburg Der Tonkünstlerverband vertritt seit seiner Gründung durch Lotte Kliebert die Interessen von Berufsmusikern, Musiklehrern und -studenten, vorwiegend der so genannten ernsten Sparte. In Bayern hat Würzburg einen besonderen Rang, da

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hier überdurchschnittlich viele Jazzer dem Verband angeschlossen haben. Die Sektion Unterfranken hat sich auch als Konzertveranstalter einen guten Namen gemacht. Daran arbeiten die Mitglieder weiter, die die Ausstellung mit ihren Auftritten feierlich eröffnen. Im Spitäle sind sodann bis zum 27. März täglich außer montags Dokumente aus den letzten 100 Jahren regionaler Musikgeschichte zu sehen, Klanginstallationen zu hören – und das Publikum darf selbst musizieren. Täglich um 17.30 Uhr treten ein oder mehrere Interpreten und/oder Komponisten aufs Podium, um sich dort mit einem Kurzkonzert vorzustellen. | www.tkv-wuerzburg.de

Zsolt Gárdonyi

20. März, 19 Uhr, Herz-Jesu-Kirche Mariannhill Zsolt Gárdonyi kam 1980 als Professor für Musiktheorie an die Musikhochschule Würzburg. Im Jahr 2000 wurde er wegen seines kirchenmusikalischen Schaffens, das auf die traditionsreiche Personalunion „Komponist & Organist” verweist, Ehrendoktor der Reformierten Theologischen Universität in Debrecen (Ungarn). Am Vorabend seines 65. Geburtstages veranstaltet die Kirchenmusik Mariannhill zusammen mit dem Matthias-Grünewald-Gymnasium ein Konzert, das seinen Werken und denen seines Vaters gewidmet ist. Eintritt frei – Spenden erbeten. | www.kirchenmusik-mariannhill.de

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Gedenkkonzert

16. März, 19.30 Uhr, Neubaukirche Cappella St. Stephan unter Leitung von Dekanatskantor Christian Heidecker und Domorganist Stefan Schmidt. Zur Aufführung gelangen das Prélude in es-Moll aus Suite op.5 für Orgel von Maurice Duruflé und sein Requiem op.9 in der Fassung für Soli, Chor und Orgel mit den Solisten Barbara Werner (Mezzosopran) und Johannes Weinhuber (Bariton). ++++++++++++++++++++++++

András Adorján

16. März, 19.30 Uhr, Hochschule für Musik Hofstallstraße Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Flöte lehrt sein Instrument an der Münchner Musikhochschule. Er spielt Mozart, Beethoven, Schubert und Poulenc mit dem Pianisten Ian Brown. ++++++++++++++++++++++++

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Freakshow Artrock Festival 26. und 27. März, 13 bzw. 12 Uhr, Cairo

Progressiver Rock, das Pop-Markenzeichen der 1970er Jahre, bleibt zeitlos. Das beweist der AktivFan Charly Heidenreich ein ums andere Mal, wenn er heute, 30 Jahre später, seine Freakshow-Konzerte zusammenstellt. Das Festival bringt ausgesprochen frische und gegenwärtige Klänge, die dennoch hörbar in der Artrock-Bewegung wurzeln. So spielt das kleine Orchester Humble Grumble auf einem soliden Jazzrock-Fundament dampfende, treibende Melangen mit den überraschendsten Erinnerungseffekten. Die Benoit Martiny Band quetscht Nu-Garage-Geschrebbel aus ihrem Rock-Instrumentarium, von federndem Gebläse akzentuiert. Wenn das die Führung übernimmt, wird der Lärmblock plötzlich transparent. Etwas dezentere Verwandte von ihnen sind Brewed by Noon, die ihre Klangkaskaden um Spoken-Word-Performances herum ranken. Oozing Goo bringen zudem einen Tupfer Krautrock ein. | www.artrock-festival.de


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Cool, stylisch und dekorativ Alex Katz in Schwäbisch Hall von Liane Thau / Fotos: Würth, Julia Schambeck

+ Warst Du schon bei Alex Katz? Beim Würth! Fan-tas-tisch! Oder? Ich wollte ja sowieso noch einmal hin, bei der Vernissage verstellen die vielen Leute und die vielen Lobeshymnen die Bilder. Es ist ja nicht nur die Kunstsammlung Würth und die spektakulären Ausstellungen – die Freude beginnt schon mit dem malerisch im Kochertal gelegenen Schwäbisch Hall, das sich mit seinen Häusern aus vielen Epochen auf beiden Seiten des Flusses die Hänge hinaufzieht. Man blickt empor in die Richtung, wo die Kunsthalle Würth sein müsste, und es dauert eine Weile, bis man sie entdeckt – so selbstverständlich fügt sich der Bau aus Muschelkalk und Glas von Henning Larsen in die dicht gedrängte KulturGut 04 | Seite

Altstadt ein. Umgekehrt lässt die Fassade aus Stahl und Glas den Blick frei über die mittelalterliche Stadt schweifen, im Sommer ein genauso verzaubernder Ausblick wie jetzt, wo sie weiß verschneit ist. Im Inneren der Kunsthalle mit ihren verschiedenen Ebenen und der Folge aus Räumen und Durchblicken leuchtet es von allen Seiten in satten Farben: 170 mal Alex Katz, gemalt, gedruckt und ausgeschnitten, oft mehrere Meter groß, manchmal Mittelformat, selten die Größe eines Schulhefts. Schöne Menschen zeigt Katz, vor allem Frauen, schick angezogen, fast makellos, meist emotionslos, nahezu bewegungslos, platziert vor kaum gekennzeichnetem Hintergrund. Es sind

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Mitglieder der wohlhabenden amerikanischen Intellektuellen- und Künstlerschicht, eine Welt des Erfolgs, des Wohlstands und des schönen Scheins. Artifiziell in die Bildfläche gesetzt, perfekt komponiert, in kontrastreicher Farbigkeit erstrahlend, sollen sie nach dem Willen ihres Schöpfers nichts erzählen, nichts verraten und nichts sein als schöne Oberfläche. Es gehe ihm nur um die Physiognomie, sagt Katz, er brauche keine Psychologie. Rembrandt wolle in seinen Bildnissen zu schnell zu viel sagen, er selbst mache es besser: „Mir als Künstler geht es nicht um irgendeine Moral, nicht um Wahrheit, sondern um das Visuelle, die Oberfläche der Dinge. Wer etwas in meine Bilder hineinleKulturGut 04 | Seite

sen will, kann das tun. Mich interessiert nur das Erscheinungsbild.” Und an anderer Stelle: „Meine Bilder konkurrieren mit den Bildern der Werbung.” Tatsächlich benutzen sie deren Mittel: Verdeutlichung durch Stilisierung und Vereinfachung, starke Farben, große Formate. Dazu kommen filmische Instrumente wie Close-up, Montage und Repetition. Was auf den ersten Blick noch realistisch erscheint, ist eine Kunstwelt, in der Figurinen bei Freizeitaktivitäten gezeigt werden. Man geht durch diese Schau der Widersprüche aus leuchtenden Farben und kühler Ausstrahlung, aus Schönlinigkeit und mangelndem Tiefgang, man geht und schaut und staunt und bleibt merkwürdig unbe-

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wegt. Da stellen sich – endlich – die ersten Cutouts in den Weg, etwa lebensgroß, auch sie flach und kühl und zwangsläufig noch schablonenhafter als die Bilder. Aber auch witzig und humorvoll kommen sie daher, wenn bei „David und Rainer” Vorder- und Rückseite nicht übereinstimmen oder Katz’ allgegenwärtige Ehefrau Ada auf Stelzen steht und Hund Sunny daneben in der Luft schwebt. Schlimm sind die aufgespießten Köpfe, als Europäer kann man sich da grässlicher Assoziationen nicht erwehren. Ach, und die ausgeschnittenen Kühe, jede mit ihrem eigenen Grasstück – als Kinder hatten wir solche Häschen zum Aufstellen, nur viel kleiner. Schon 1959 soll das erste Cutout entstanden sein. Katz schnitt eine Figur aus einem missglückten Bild, zog sie auf Sperrholz auf und versah sie mit einem Sockel. Später schnitt er die Cutouts aus Aluminium und fasste sie beidseitig mit Öl oder Siebdruck farbig. Landschaftsbilder, manchmal annähernd 20 Quadratmeter groß, sind ein wesentlicher Teil seines Werks und dieser Ausstellung. Sie entstehen meist bei Sommeraufenthalten in seinem Haus in Maine. Auch diese Naturaspekte zeigen eine artifizielle Haltung: ob Seerosen („Homage to Monet”), ob Wiesen und Wälder, ob „Buttercups” oder Meerstücke: Sie werden zu flachen, ästhetischen Formen mit großer Fernwirkung, zu dekorativen Ornamenten und Mustern. Sie mögen gefallen – aber bringen sie Seele zum Klingen? Vielleicht müsste es gelingen, die Kompositionen auf ihre abstrakten Grundlagen zurückzuführen und nur diese zu sehen, sine ira et studio. Dazu aber sind sie dann doch zu realistisch. Katz reduziere alltägliche Motive auf das Wesentliche, heißt es – manchmal auch aufs Unwesentliche? Was Katz wirklich interessiert und was er souverän beherrscht, sind künstlerische Techniken. Vor allem mit Druckverfahren beschäftigt er sich intensiv seit 1965. Serien eines Motivs in unterschiedlichen grafischen Techniken wie „Brisk Day” oder die Gegenüberstellung von ÖlKulturGut 04 | Seite

malerei und Lithographie anhand eines Themas zeigen das deutlich. Erstaunlich ist, dass er hier nicht die Unterschiede betont, sondern die Ähnlichkeiten. Bewundernswert ist das Stehvermögen, das der 1927 geborene Alex Katz bewies, als er in den wilden Zeiten von abstraktem Expressionismus und Art Brut trotz anfänglicher Misserfolge seinen Weg kühler Gegenständlichkeit weiterverfolgte. Genau mit der gleichen aufrechten Haltung vertritt er heute seinen Stil, der für ihn gleichbedeutend mit dem Inhalt ist – cool, stylisch und dekorativ.

INFO: Die Ausstellung, die in Kooperation mit der Albertina in Wien entstand, kann bis 3. April in der Kunsthalle Würth besichtigt werden: Lange Straße 35, 74523 Schwäbisch Hall. Öffnungszeiten: Di.-So. 11-18 Uhr. Der Eintritt ist frei. Zur Ausstellung ist ein zweibändiger Katalog erschienen. | www.kunst.wuerth.com

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Malende Erbin: Sophie Dumont, 1964 geboren und Diplom-Kunstgeschichtlerin, bestritt seit 1996 mehrere Einzel- und Gruppenausstellungen; besonders erwähnenswert ihre Teilnahme 2006 an der Ausstellung „Junge Zeitgenössische Kunst“ in ihrer Geburtsstadt Paris.

Französisch-deutsche Freundschaftsgeschichten Yvonne Guégans künstlerische Erben richten den Blick in die Zukunft von Wolfgang O. Hugo KulturGut 04 | Seite

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+ Fast fünf Jahrzehnte begleitete die vielseitige Künstlerin Yvonne Guégan die Beziehungen zwischen Würzburg und Caen. Sogar fünf Jahre nach ihrem Tod brachte sie Künstler beider Städte zusammen: Im September 2010 wurden im Rathaus Bilder von ihr und vier KollegInnen ausgestellt. Damit soll eine neue Kooperation zwischen Künstlern vom Main und aus dem Calvados beginnen. Die Initiative ging von Guégans langjähriger Assistentin Jocelyne Mahler aus. Ein Gegenbesuch ist für November 2011 vorgesehen. Die Städtepartnerschaft entwickelte sich von Anfang an parallel zu den Kunstbeziehungen. Denn „entdeckt“ hatte Yvonne Guégan der Vater der Städtepartnerschaft Würzburg/Caen, Erich Oetheimer. Er begegnete der Künstlerin 1957 in der Galerie Cadomus in Caens Rue Froide. Es war der Beginn einer langen Freundschaft zwischen dem Deutschen und der französischen Künstlerin. Nach einem Gegenbesuch der DeutschFranzösischen Gesellschaft Würzburg konnten die beiden Oberbürgermeister, Jean-Marie Louvel und Dr. Helmuth Zimmerer, am 13. Mai 1962 die Partnerschaftsurkunde der beiden Städte unterzeichnen. Dabei war der Künstlerin eine deutsch-französische Verständigung nicht in die Wiege gelegt. Schon vor ihrer Geburt am 8. April 1915 fällt ihr Vater vor Verdun. In der Töpferei des Ortes Bavent entdeckt die Siebenjährige zunächst Ton und Keramik, im Wochenendhaus in Clinchamps an der Orne fördert der Maler Geo Lefèvre das Talent der Heranwachsenden. Mit zwölf erhält Yvonne den ersten Malkasten und eine Staffelei – begeistert von der Natur. Nach dem Abitur erhält sie einen der begehrten Studienplätze an der Ecole Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris. Ihr Atelier hat sie am Boulevard Saint-Michel. Während der Zeit der deutschen Besatzung von 1940 bis 1944 arbeitet sie als Laborantin in der Apotheke ihres Adoptivvaters in Caen. Ihre meisten Bilder verbrennen im Juni 1944 bei der Zerstörung der Stadt. Ein weiterer Schock trifft die junge Frau: Abbé Jean Daligault, ein Geistlicher, der als Autodidakt Bildhauer und Maler geworden war, wird von der Gestapo verhaftet. Der Widerstandskämpfer, Förderer der Familie Guégan, kommt im KZ Dachau um. Doch Yvonne Guégan hat die Chance, ein neues, anderes Deutschland zu entdecken: Sie lernt in Würzburg den Bildhauer Lothar Forster und den Maler Joachim Schlotterbeck kennen und schätzen. So entwickelt sich eine rege Beziehung zwischen Künstlern beider Städte. Bereits 1960 stellte Yvonne Guégan erstmals Arbeiten im Würzburger Falkenhaus aus. Zehn weitere Ausstellungen folgten, die letzte im Frühjahr 2003 zu der nachgeholten Feier des 40-jährigen Städtepartnerschaftsjubiläums. Zwar hatte das Alter einige Spuren an der kleinen, aber quirligen Mademoiselle – auf dieser Bezeichnung bestand sie bis zuletzt – hinterlassen, aber ihre lebendigen Augen zeugten vom geschulten Blick der Künstlerin. Yvonne Guégan starb am 14. März 2005, kurz vor ihrem 90.Geburtstag. Ihrem Wunsch entsprechend wurde ihre Asche an der Küste vor Caen ins Meer gestreut. Ihr Atelier aber blieb und sollte nach ihrem Wunsch und dem ihrer Mitarbeiterin Jocelyne Mahler erhalten bleiben. Mahler gründete mit Freunden einen Verein, der zudem jungen künstlerischen Nachwuchs fördern soll. Damit könnte sich der Kreis schließen – etwa mit besonderen Begegnungen zum Jubiläum der Städtepartnerschaft zwischen Würzburg und Caen im Jahre 2012.

INFO: Zimmer frei! Im Wohnhaus und Atelier von Yvonne Guégan sind Würzburger immer willkommen. Für KünstlerInnen, die dort arbeiten wollen, gibt es sogar Zimmer: Jocelyne Mahler, 22, rue Geo-Lefèvre, F-14000 Caen, Telefon (0033231) 745168 und (0033612) 192850, jocelyne.mahler@libertysurf.fr | www.y-guegan.com KulturGut 04 | Seite

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Verharren, Aufbruch, Suche nach Orientierung „Würzburg und die Kunst der 1950er Jahre“ – Ausstellung über eine spannende Zeit von Liane Thau

+ Die Fünfziger Jahre – das waren zerstörte Städte und Rock’n’Roll, Adenauer und das Wunder von Bern, Kalter Krieg und Sputnikschock, die ersten Italienurlaube und Petticoats auf Vespa. Das Lebensgefühl: es kann nur besser werden! Und die Kunst? Manche Würzburger Künstler der Nachkriegszeit waren rückwärtsgewandt und konservativ, viele aber suchten Anschluss an die Moderne und wagten über die Grenzen Unterfrankens und Deutschlands zu schauen – das zeigt die Ausstellung im Museum im Kulturspeicher mit dem Titel „Würzburg und die Kunst der 1950er Jahre – Figuration und Abstraktion”. Sie wurde von der stellvertretenden Museumsleiterin Dr. Carola Schneider kuratiert, die jedes Regal und jede Schublade im Depot durchsucht hat und fündig wurde!

Wo die Enge blieb Während in den Metropolen Europas monochrome Malerei, Informel und Neodada das Publikum schockierten, während Yves Klein den Himmel und nackte Frauen signierte, Fontana Leinwände aufschlitzte und Piero Manzoni Künstlerblut und Schlimmeres in Dosen verpackte, waren in Würzburg viele Künstler noch von der Kunstideologie der Nazidiktatur geprägt und befanden sich nach zwölf Jahren Isolation von der Moderne geistig und psychisch im 19. Jahrhundert, manche noch in der Zeit vor dem Impressionismus. Beispiele dafür sind die anachronistischen Landschaften des von Hitler auf die Liste der „Gottbegnadeten” gesetzten Hermann Gradl und der Maler Oskar Martin-Amorbach, dessen Selbstbildnis von 1953 den Herrenmenschen schlechthin zeigt und Gänsehaut verursacht. Das ängstliche Festhalten an Tradiertem war auch der Unsicherheit der materiellen Situation in einer scheinbar hoffnungslos zerstörten Stadt geschuldet. Viele Künstler hatten Kriegsdienst und Gefangenschaft mitgemacht und standen bei ihrer Heimkehr in jeder Hinsicht vor dem KulturGut 04 | Seite

Nichts. Zudem hatte die avantgardefeindliche Haltung von Heiner Dikreiter – der nicht nur Maler und Leiter der Städtischen Galerie, sondern auch Lehrer an der Würzburger Kunst- und Handwerkerschule war – die junge Generation der Künstler nachhaltig beeinflusst. Entsprechend war die Ankaufspolitik des als Mitläufer eingestuften und schon 1950 wieder im Amt des Galeriedirektors bestätigten Künstlers und Pädagogen auch nach dem Krieg.

Einige damals junge Wilde Auf der anderen Seite versuchten junge Künstler an die Errungenschaften der Klassischen Moderne aus den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts anzuschließen und sie weiterzuentwickeln. Allen voran ging der 1924 in Würzburg geborene Dieter Stein, der schon Ende der 1940er Jahre die Hinwendung zur Abstraktion vollzog. Auch der Marktheidenfelder Alfons Klühspies war einer der frühen Abstrakten, ebenso wie Hans Reichel und Hugo Barthel. Die große Ausstellung mit über 150 Werken von etwa 50 Künstlern zeigt ein breites Spektrum regionaler und überregionaler Kunst und ist für jeden Bürger von Würzburg und Umgebung eigentlich ein Muss! Denn die spannende und bewegende Zeit zwischen Verharren, Aufbruch und Neuanfang wird in den Gemälden und Plastiken deutlich und greifbar. Bei aller Rückwärtsgewandtheit zeigen sie doch vor allem Künstler auf der schwierigen Suche nach neuer Orientierung, lebbaren Werten und frischen Ausdrucksformen. Die Werke, die sich fast durchwegs auf gutem und sehr gutem Niveau bewegen, stammen überwiegend aus dem Bestand der Städtischen Sammlung und sind von Künstlern wie Curd Lessig, Emy Roeder, Gertraud Rostosky, Gunter Ullrich, Julius Bausenwein und vielen anderen. Auch international bekannte Künstler wie HAP Grieshaber und Georg Meistermann sind zu sehen.

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Überraschung am Bau Eine besonders interessante Abteilung richtete die Architekturhistorikerin Suse Schmuck ein. Sie gibt Einblick in die Kunst am Bau, die in Würzburg überraschend vielfältig war und das Bestreben zeigt, die nüchterne „Locharchitektur” (Schmuck) jener Zeit mit Glanz und Wärme zu erfüllen. Die schon 1928 eingeführte Regelung für Kunst am Bau wurde 1950 wieder aufgenommen und sah vor, dass ein bis zwei Prozent der Bausumme für Kunst ausgegeben wurden, eine Regelung, die auch der Unterstützung der Künstler dienen sollte. Längst war aber die Einheit von Kunst und Architektur, wie sie Walter Gropius noch postuliert hatte, auseinandergefallen, sodass Kunst am Bau in dieser Zeit selten über das Dekor hinauskam. Besonders interessant in diesem Zusammenhang ist die Fotodokumentation der Regierungsgebäude, der Mozartschule und des Bahnhofs, der eine besonders überraschende Geschichte erzählt. Und was sagt das kunstliebende Publikum zu dieser Schau? Es ist begeistert – begeistert, dass es wieder einmal eine Ausstellung gibt, die die eigene Region beleuchtet, die einen Aspekt aus der Geschichte der eigenen Lebenswelt zeigt, die vielfältig ist und anregend und die, obwohl sehr dicht gehängt, durch die Einteilung in sinnvolle Kapitel im Allgemeinen leicht rezipierbar ist. Warum nicht einige Auszüge aus den guten Texten des Katalogs den Kunstwerken auf Schrifttafeln zugeordnet wurden, ist dennoch schwer verständlich - gerade da, wo es sich um Künstler handelt, die schon im Dritten Reich Erfolg hatten und die Kunstideologie der Nazis bruchlos in die Bundesrepublik mitnahmen. „Man sieht nur, was man weiß”, gilt auch und gerade hier.

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INFO: Die Ausstellung ist bis zum 13. Februar zu besichtigen. Öffnungszeiten: Di. 13-18 Uhr, Mi., Fr.-So. 11-18 Uhr, Do. 11-19 Uhr. Führungen sonntags, 11.15 Uhr. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen: „Würzburg und die Kunst der 1950er Jahre – Figuration und Abstraktion”, 196 Seiten, 19,80 Euro.

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Stadtansichten

ab 1. Januar, Kunsthaus Michel Digitalcollagen erfordern ebensoviel Fingerspitzengefühl und Urteilskraft wie jede andere Technik, wenn das Ergebnis überzeugen soll. Die Stadtansichten der Würzburger Designerin Daniela Walter tun’s. Ob Fernheizkraftwerk, ob Domfassade – sie nimmt alte und neue Bauwerke und verfremdet sie, oft mit natur-verbundenen Motiven. So schuf sie das Abbild einer Stadt, die einige besonders schöne Bauten beherbergt und zugleich gerade in ihrer Mischung von kunsthistorischen Zeugnissen und zweckmäßigen Alltagsvorrichtungen lebendig ist. Nach einer Ausstellung von großen Drucken im Kunsthaus Michel sind zwölf Motive zu einem Kalender vereint worden. In der Galerie in der Semmelstraße und bei der Künstlerin – in der Sanderau – sind sie noch zu kaufen (24,90 Euro). | www.d-walter.com ++++++++++++++++++++++++

Waterloo

bis 5. Januar, IHK, Weiterbildungszentrum Mainaustraße Nur wenige Menschen auf Steffi Mayers Gemälden wirken eingefroren. Über den meisten liegt jedoch eine gewaltige Stille. Dass in ihnen etwas vorgeht, das der Betrachter ihrer Oberfläche nicht ansieht, diesen Eindruck machen fast alle. Nur: Wer ist in Wirklichkeit verletzter, als es scheint? Wer kann fieser werden? Kein einzelnes der 28 Ausstellungsstücke drängt diese Fragen von sich allein auf. Die abgebildeten Personen verbergen sie. Alle zusammen jedoch stellen diese Fragen geradezu schneidend, sofort beim Betreten des IHK-Erdgeschosses (vorher, im Windfang, hängt ein lächelnd schlummernder Akt, auf dem nur die heftigen Farbkontraste etwas von dem Unheil der Welt

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widerspiegeln; der gilt noch nicht richtig, dient nur der Einstimmung). Doch dann sind wir mittendrin. Das kann ein einzelnes Bild nicht leisten, so viel Energie kann nur ein eine Ausstellung ausstrahlen. Die Vergänglichkeit des Kinds, die Brutalität von Pflanzen, die unaufgeräumten Hinterhöfe: Niemand kann aus der Welt entkommen, in der extreme Kontraste herrschen. Greifen wir einen von ihnen heraus: Wo es Verlierer gibt, da gibt es auch Sieger. Eben das ruft uns er Ausstellungstitel in Erinnerung. | www.wuerzburg.ihk.de

Bestände erlesener Keramik aus dem alten Griechenland. Sie weiß auch über Bedeutungen und Hintergründe Bescheid. Was waren es also für Wesen, deren Name mitunter noch als Synonym für schwierige Zeitgenossinnen herhält: Gorgonen, Sirenen und die korrekt als Sphingen pluralisierten Sphinxe? Die kurzweiligen Antworten werden mit sehenswerten, zweieinhalb Jahrtausende alten Original-Keramik-Arbeiten aus dem alten Griechenland illustriert. | www.museum.uni-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

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Duette

ab 8. Januar, 19 Uhr, Spitäle Der Ruf an die Fachhochschule führte den Münchner Architekten Wolfgang Fischer 2001 nach Würzburg. Dass sich der Professor für Baukonstruktion neben dem Beruf schon früh ein Betätigungsfeld suchte, in dem nichts gerechnet und geplant wird, sondern alles ungehemmt dem Fluss der inneren und äußeren Bewegung folgen darf, zeigte schon seine erste Würzburger Einzelausstellung in der IHK 2009. Fischers großformatig farbgesättigte Bilder entstehen oft gleichzeitig, mit-, neben- oder gegeneinander. Einige dieser Paare im Duett (Duell?) zeigt die Ausstellung im Spitäle, die an diesem Abend eröffnet wird, bis 6. Februar. | www.atelier-fischer.com; vku-kunst.de ++++++++++++++++++++++++

Dämonische Frauenbilder der Antike 22. Januar, 15.30 Uhr, Martin von Wagner-Museum

Die Restauratorin der Antikensammlung, Dr. Irmgard Wehgartner, kennt nicht nur die riesigen KulturGut 04 | Seite

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Umfassungen

bis 28. Januar, Sparkasse Mainfranken, Beratungscenter Hofstraße Zunächst einmal kann einen das zeichnerische – oder malerische? – Material bestechen. Denn das stellt genau diese Frage: Haben wir es bei Wolfram Walter Arbeiten auf Papier mit Malerei oder mit Zeichnungen zu tun? Die starke Orientierung an der Linie lässt zu der Auffassung neigen, es handle sich bei den Werken wohl um Zeichnerei. Aber sind die geometrischen Bildelemente dazu nicht doch zu autonome Farbträger? Sehen wir es einmal so: Wenn eine runde Linie etwas umschließt, erhalten wir dann einen Kreis, eine Kugel oder eben doch etwas Drittes – nämlich eine stark umrandete Scheibe? Und sind das überhaupt Aquarelle? Nein, zumindest soviel ist sicher: Der 1958 in München geborene und in Vasbühl bei Schweinfurt ansässige Künstler verwendet sehr stark verdünnte Acrylfarbe. Außerdem Holz für die Skulpturen – oder Reliefs? –, die Kreise als dominierende Formenelemente verwenden, was sie zu Verwandten der zweidimensionalen Exponate macht. Worum immer es dem Künstler bei seinen Arbeiten auf Papier auch ging. | www.wolframwalter.com


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Wirrsale

4. bis 27. Februar, BBK-Galerie im Kulturspeicher KulturGut Nr. 1 porträtierte die in Höchberg ansässige Künstlerin Heide Siethoff in ihrer aktuellen Arbeitsphase, in der sie sich von ihrer früheren Orientierung an Schriftzeichen verabschiedet hat. Der Titel „Wirrsale“ bezieht sich auf die Komplexität und Undurchsichtigkeit des Lebens in seiner Vielschichtigkeit. Eben diese, die Vielschichtigkeit, schafft sie in ihren Ölbildern nach, indem sie eine stark verdünnte Lasurschicht nach der anderen auf die Leinwand setzt. Die Grenzen dieser Schichtarbeit sind meist rund – und diese in sich geschlossene Grundform bildet eine gute Voraussetzung, ihren Inhalt als ein Wesen für sich zu behandeln. Das tut Siethoff denn auch, indem sie dem, was unter ihrem Pinsel entsteht, ein Eigenleben zugesteht. Neben Gemälden stellt Heide Siethoff auch Zeichnungen aus. | www.bbk-unterfranken.de ++++++++++++++++++++++++

Konkrete Kunst

ab 13. Februar, Kulturspeicher Sie heißt „Konkrete Kunst in Europa nach 1945. Die Sammlung Peter C. Ruppert“ und eröffnete vor neun Jahren. Ihr Stifter spürte in dieser Zeit weiterhin neuen Tendenzen dieser belebenden Richtung gegenstandloser Kunst nach – unter anderem der Fotographie. In den vergangenen Wochen wurden die teilweise ausgesprochen witzigen Kunstwerke neu gehängt. Die Präsentation in anderem Glanze ist von diesem Sonntag an zu erleben. ++++++++++++++++++++++++

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Landleben gestern

13. März, 14.30 Uhr, Deutschordensmuseum, Bad Mergentheim Die Fotografin Erika Groth-Schmachtenberger (1906-1992) war fasziniert von den Erscheinungsformen des Landlebens. Und sie war während der NSZeit alles andere als unterbeschäftigt. Das macht ihre – vielfach in hohen Zeitschriftenauflagen publizierten – Ansichten zu hervorragenden Anschauungsobjekten über die Frage, welche Funktion die bäuerliche Lebenswelt in Groth-Schmachtenbergers Fotoarbeiten innehat. Das Deutschordensmuseum zeigt eine Auswahl aus dem 360.000 Aufnahmen umfassenden Fotoarchiv, das sie hinterließ. Die Kunsthistorikerin Heike Uibel führt an diesem Nachmittag zum letzten Mal durch die Ausstellung. | www.deutschordensmuseum.de ++++++++++++++++++++++++

Svenja Ritter

20. März bis 27. April, Kunstschiff Arte Noah Ihr Kunststudium in Saarbrücken schloss die Bildhauerin Svenja Ritter 2002 mit der Mixed-MediaInstallation „Kirchhofrosen“ ab. Der Titelbegriff ist die landläufige, poetisch-schaurige Umschreibung für die Verfärbungen, die nach dem Tod auf der Haut entstehen, und die Installation war ein moderner Beitrag zur mittelalterlichen Memento-Mori-Thematik. Egal, ob Installationen, Objekte, Bilder oder Fotos – genau hinsehen muss man bei Svenja Ritters Arbeiten immer. Denn bei der mittlerweile weit gereisten Künstlerin (2005 Co-Kuratorin des afghanischen Biennale-Pavillons in Venedig) ist nichts so, wie es auf den ersten Blick scheint. | www.kunstverein-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++ KulturGut 04 | Seite

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Drehscheibe III: Ungeheuerlich

bis 10. Juli, Museum im Kulturspeicher Im zwielichtigen Dämmerreich von Traum, Vision und Tod spielen die Graphiken des österreichischen Zeichners Alfred Kubin (1877-1959). Das gilt auch für seinen Roman „Die andere Seite“, den das Mainfranken Theater im vergangenen Herbst als Oper auf die Bühne brachte. Im Vorfeld der Uraufführung forschte das Museum im Kulturspeicher in den Beständen und wurde überraschend fündig – in der eigenen Sammlung, aber auch im privaten Nachlass des Würzburger Malers Josef Versl (1901-1993). Der war nämlich seit Ende der 1930er Jahre mit Kubin eng befreundet. Und so kann die Ausstellung nicht nur Drucke und Zeichnungen (u.a. den kompletten „RauhnachtZyklus“) zeigen, sondern auch Erstausgaben illustrierter Bücher und Briefe Kubins sowie die Zigarrenkiste, in der Malerfreund Versl die Schriften archiviert hatte. Thematisch und stilistisch korrespondierende Begleiter fand das Museum mit Arbeiten von Helmut Booz und Jutta Schmitt. Ersterer, längjähriger Prof. am FH-Bereich Design, ließ auch auf älteren Werken gern schon schwer identifizierbare, also unheimliche Wesen durch seine Bilder geistern. Während er Bilder für die Kubin-Begleitung zusammenstellte, geriet er ganz gegen seine ursprüngliche Absicht ans Illustrieren einiger Motive des Romans „Die andere Seite“. Jutta Schmitt zeigt großformatige Linolschnitte nach Kinderzeichnungen, die unter dem Eindruck von Kriegsnachrichten entstanden. Außerdem teilt sie mit Kubin eine Neigung zu ostasiatischen Geisteshaltungen. | www.kulturspeicher.de


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Ezechiel Die literarische Erstveröffentlichung: Exklusiver Maxi-Remix einiger Verkündigungen auf dem Würzburger Hauptfriedhof von Hans-Jürgen Beck / Foto: Petra Winkelhardt

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+ Neulich schlenderte ich gemächlich über den Würzburger Hauptfriedhof und sinnierte darüber, inwieweit – gemäß diverser Tageszeitungsartikel – die Toten infolge der Bodennässe tatsächlich eher verschimmeln denn verwesen. Da trat unversehens eine Gestalt hinter einem Grabstein hervor, allerdings nicht gräulich modernd, wie ich zunächst aufgeschreckt fürchtete, sondern eher hell erstrahlend. Vor mir stand ein Wesen, weiß gewandet, barfüßig, mit verklärtem Blick. Wenn auch die Haare eher als knallrot zerzaust denn als golden gelockt zu bezeichnen waren und das Gesicht eher einen männlich strengen denn einen damenhaft betörenden Ausdruck zeigte, stand zweifellos das vor mir, was man im landläufigen Glauben einen Engel nennen muss. „Nun denn, so lasset uns beginnen!“, dozierte er, schlug ein schweres Buch auf und las: „Ich, Ezechiel, wurde von Gott unserem Herrn gesandt, um über die Verdorbenheit der Welt zu klagen und davon zu künden, dass der Herr in seiner Güte das Strafgericht aussetzen werde, so ihr noch entsteigen wollet eurem Sündenpfuhl.“ Er sprach davon, dass das Volk der Auserwählten, zu dem er, Ezechiel, nun herniedergefahren sei, seinen Herrn, also Gott, durch den Morast der Missachtung gezogen habe. Zu diesem Volk zähle auch ich, weswegen er sich nun an mich halte. Mein Vater sei ein Amoriter gewesen, sprach er, meine Mutter eine Hetiterin. Bei meiner Geburt sei ich nicht gebadet und mit Salz abgerieben worden, auch habe man meine Nabelschnur nicht ordentlich abgeschnitten. Er beteuerte, dass ich, nachdem ich aufs Feld geworfen worden war, von Gott errettet wurde, dass dieser daraufhin meine Blöße bedeckte, mich mit Wasser badete, von meinem Blut reinigte und mit Öl salbte, zudem mit bunten Kleidern kleidete und mir Schuhe von feinstem Leder anzog. Ich erfuhr, dass ich mich von nun an ausschließlich auf meine Schönheit verließ, die Hurerei betrieb, mich jedem anbot, der vorüberging, und ihm zu Willen war. An jeder Straßenecke hätte ich KulturGut 04 | Seite

mein Hurenlager gebaut, meine Beine für alle, die vorübergingen, gespreizt. Ich wollte einwenden, dass bei mir geschlechtsbedingt das Beinespreizen für die Hurerei nun doch nicht so wahnsinnig viel bringe, wurde aber mit einer gebieterischen Handbewegung zurechtgewiesen. Dann musste ich mir anhören, dass ich es getrieben hätte mit den Ägyptern, mit den Assyrern und dem Krämerland Chaldäa. Ezechiel hielt plötzlich inne und runzelte die Stirn. „Oh, Verzeihung“, stotterte er, „ich habe mich getäuscht.“ Wir sollten ja eher errettet als gewisser schamloser Taten wegen erneut verdammt werden, meinte er. Hastig blätterte er im Buch. „Nun, hier haben wir es!“, frohlockte er. „Hört die Erlösung! Das Beste von allen Erstlingsopfern, all eure Abgaben, die ihr entrichten müsst, gehören den Priestern; auch das Beste von dem, was ihr backt, sollt ihr dem Priester geben, damit sein Segen über eure Häuser kommt.“ Sollte das etwa heißen, fragte ich mich, dass den Pfaffen gegeben werden solle, was nicht den Pfaffen, sondern dem Finanzamt gehört? Aber schon hub Ezechiel zum Großen Finale an. „Und so nimm diesen Packen des edlen Papieres mit den Geboten, die Gott, der Herr, euch in seiner unendlichen Güte zugeteilt hat, lies das Geschriebene und trage es in die Welt.“ Er streckte mir einige zusammengebündelte Zettel entgegen. „Es ist ein Gottesauftrag, eine große Aufgabe für dich!“ Zögerlich ergriff ich das Papierbündel. Aber bevor ich meinen Wissensdurst weiter stillen durfte, löste sich die Engelsgestalt, freundlich lächelnd, in Luft auf. Ich betrachtete die teils eingerissenen, teils braunfleckig übertönten Papiere mit einem handschriftlichen, aber dennoch gut leserlichen Text. Dann schlurfte ich nach Hause und legte mich auf meine Couch. Um mich nicht in wirren Gedanken zu verlieren, beschloss ich, trotz aller Undurchschaubarkeit des Erlebten zügig zur Tat zu schreiten. Und so stelle ich, als von IHM Auserkorener, hiermit diese Papiere auftragsgemäß einer hoffentlich interessierten Öffentlichkeit zur weitestgehenden Beachtung zur Verfügung. Also lauten die Worte des Herrn. „Du Volk der Auserwählten! Schenke mir dein Gehör, denn ich, Gott, der Herr, verkünde dir die Gebote, die ich erließ in meiner unendlichen Güte, auf dass der Mensch gewarnt sei, nicht zu vergessen der Moral, der Nächstenliebe, der Ehrfurcht und der Demut. Ich bin der Herr, dein einziger und wahrer Gott. Also sollst du keine fremden Götter und Herren neben mir haben. Und auch keine, die dein Tagwerk bestimmen oder die dein Geld nehmen, das du in ehrlicher Arbeit erwirtschaftest. Denn du bist frei und sollst daher tun, was immer du tun möchtest, so du nicht tust Böses wider deinen Nächsten. So du aber tust Böses wider deinen Nächsten, soll dieses Böse auf dich herniederfahren, sich über deinen Körper verbreiten, auf dass du übel riechen werdest bis ans Ende deiner Tage. Gedenke, dass du heiligst die freien Tage und sie nicht füllst mit unnützer Arbeit. So du aber folgest diesen widernatürlichen Äußerungen, die da lauten, dass jede noch so billige Arbeit besser sei denn gar keine, so du also hörest auf die Verlockungen des Teufels und seiner Gehilfen, sollst du hinabfahren in den Höllenschlund, in dem du deine Billiglohn- und Sklavenarbeit verrichten darfst bis ans Ende aller Tage! Du, Volk der Franken, einstmals so groß und über ganz Europa verbreitet, du sollst dein Frankentum nicht als gottgleiches Tun verehren. Du bist nicht besser als andere Völker, als die Sachsen, die Schwaben, die Hessen. Und auch nicht besser als irgendein anderes Volk der Erde, so zu nennen die Sadduzzäer, die Kalamaniter oder die Maccadamier. Und schon gar nicht edler als eines der zahllosen Völker, welche die Planeten des Alls bewohnen, so zu nennen die Golgonier, die Wemelsulken oder die Brödendölker. Schon gar nicht zu sprechen vom Volk des goldenen Olgenbrützels, der zuldigen Pardapseln oder der verlosterten Hirpnatzmumpeln. All diese Völker sind nicht schlechter als du. So du aber trotzdem nicht lässt von deinem erhabenen Gebaren, so

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soll dir dein heiliger Wein genommen und in alle Meere geschüttet werden. Und du musst für alle Zeit mit ‚Kalterer See‘ vorliebnehmen. Du sollst deinen Nachwuchs ehren, ihn aber nicht hemmungslos schreien lassen! Zudem halte ihn fern von all dem Tand: von Bildschirmspielen, die den Geist und das Gemüt zermürben: von Sprechgeräten, die, allzeit zum Empfang bereit, durch die Straßen getragen werden und Mitmenschen durch überlautes Sprechen belästigen: von Heißgetränken im Pappkarton, die nicht in Ruhe genossen, sondern unachtsam eingeschüttet werden. All dies sollst du nicht nur fernhalten von deinem Nachwuchs, sondern auch von dir selbst, denn sie sind Teufelszeug und fördern die Unachtsamkeit. Und alle die Unachtsamen werden ertränkt im Main. Oh Mensch, du sollst nicht rasen und deine Fahrzeuge unnütz verwenden. Bedenke, dass sie eine Gabe der Freude sind und in rechtem Maße genutzt werden sollen. So du sie aber einsetzt aus reinem Übermut und mit dem trügerischen Gefühl, Zeit zu gewinnen, so werde ich dein Fahrzeug an das nächste Hindernis lenken. Dein Schädel wird zerbersten und deine unnützen Hirnlappen werden über die Erde verstreut sein. Nicht alle Worte, die du in dir trägst, darfst du nach außen lassen und damit unnütz die Sprache beschädigen. Vor allem sollst du das Wort ‚Catering’ vermeiden. Denn es ist unrein. Rein dagegen ist das Wort ‚Speisenangebot’. Oder auch ‚Essensverpflegung’. Diese Worte sind rein, nicht aber das Wort ‚Catering’. Dieses Wort sollst du vergessen! Unrein ist auch der Ausspruch, dass du etwas aus ‚logistischen Gründen’ nicht mehr tun kannst. Denn du sollst nicht schwafeln, sondern die Dinge beim Namen nennen. So du über lange Zeit aber nicht vermeidest, um den sogenannten ‚heißen Brei’ zu reden, wirst du gestülpt werden in diesen Brei und jämmerlich darin ersticken. Und: Vermeide es, davon zu reden, dass etwas einen ‚Sinn macht’. Denn etwas ‚ergibt einen Sinn’ oder ‚ist sinnvoll’ – und nicht anders hast du zu reden. Meine nicht, alles ‚machen’ zu müssen, lass vieles sich ‚ergeben’ oder ‚sein’. Als letztes meiner Gebote darfst du nicht reden von der Demokratie, so du etwas anderes im Sinne hast. Wer also glaubt, dass die Demokratie gleichzusetzen sei mit einer Diktatur der Mehrheit, der hat nichts verstanden. Und so sich die, welche die Mehrheit sind, so aufführen, als hätten sie alleine das Sagen, sollen sie ergriffen und in Öl gesotten werden, auf dass die Mehrheit die Minderheit sei.“ Und also lauten die Worte, die Ezechiel mir überreicht hat im Namen des Herrn. Nachfragen und Beschwerden sind bitte nicht an mich zu richten, sondern gen Himmel.

INFO: Den Extended Mix von Ezechiels Verkündigungen enthält der Erzählungsband Hans-Jürgen Beck: Phantasien aus der Weltprovinz. Buchverlag Peter Hellmund, Würzburg 2010. Die nächsten Lesungen: 6. Januar, gemeinsam mit Jutta Rülander und Ulrike Schäfer zu Gast in Sandra Maus’ LiteraturLounge zum Thema „Abschied und Aufbruch“, Bronnbach-Künstlerkeller, 20 Uhr, Eintritt 16 Euro. 7. Januar, gemeinsam mit weiteren Mitgliedern des Würzburger Autorenkreises Kurzlesung bei der Eröffnung einer Ausstellung dieser Schriftstellerkooperative in der Schalterhalle der Sparkasse Mainfranken Würzburg, Hofstraße, 16 Uhr, Eintritt frei. 3. Februar, gemeinsam mit dem Harfenisten Ange Hauck im Theater am Neunerplatz, 20 Uhr. | www.beckbollwitte.de KulturGut 04 | Seite

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Abschied & Aufbruch

6. Januar, 20 Uhr, Bronnbach Künstlerkeller Seit 2007 gibt es die Literatur Lounge im Bronnbach Künstlerkeller, moderiert und gestaltet von der Würzburger Autorin und Maskenbildnerin Sandra Maus. Zum Dreikönigstag hat sie sich mit Hans-Jürgen Beck (siehe Seite 45 in dieser Ausgabe), Jutta Rülander und Ulrike Schäfer (siehe KulturGut 2010/2, Seite 52) schreibende Kollegen aus dem Würzburger Autorenkreis eingeladen, die eine Auswahl ihrer Geschichten und damit Fiktionales von spannend bis heiter und von ergreifend bis erotisch präsentieren. | www.kuenstlerkeller-bronnbach.de / Vorverkauf über www.eventim.de ++++++++++++++++++++++++

Poetry Slam

9. Januar, ca. 20 Uhr, Posthalle Die Posthalle hat sie wieder, und zwar an jedem ersten Sonntag im Monat. Nach umbaubedingter Tournee über Pleicher Hof und Cairo sind die ehemaligen AKW-Slammer um DJ Tobi und Slammaster Christian Ritter zurück am Bahnhof. Das garantiert, dass die Würzburger Kurzpoetenlesungen gern frequentierte weil bequeme Anlaufstelle für auswärtige Slammer bleiben. Aber auch der heimische Laie kann mitwirken und seine eigenen dichterischen Werke sechs Minuten lang über die Rampe schleudern. Das Publikum stimmt über die Qualität der Wortkunstwerke ab. Zur Beliebtheit trägt möglicherweise noch eine der Würzburger Sonderregeln bei: Jeder Zuschauer bringt dem Sieger ein kleines Präsent mit. Die milden Gaben werden während der Vorstellung eingesammelt und am Ende feierlich überreicht. | www.slamwuerzburg.wordpress.com

Termine |

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Romanze in Moll

Erzählen – Zuhören – Erfinden

12. Januar, 14 Uhr, Cinemaxx

18. und 19. Januar, 9 Uhr, St. Markushof, Veitshöchheim-Gadheim

Der literarische Kino-Tipp: An jedem zweiten Mittwoch im Monat lädt Walter Stock zum SeniorenFilm-Cafe der Volkshochschule ins Cinemaxx-Kino ein. Mit Kaffee, Kuchen und einem Filmklassiker, der durchaus auch neueren Datums sein kann. Mit dem UFA-Melodram „Romanze in Moll“ kehrt die Reihe zum Abschluss des Wintersemesters indessen ins Jahr 1943 zurück. Von einer Maupassant-Novelle ließ sich Helmut Käutner zu dem Gesellschaftsdrama inspirieren, das als einer der wenigen Filme der NS-Zeit derart deutlich für das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und die Autonomie der Privatsphäre eintritt. Und es gelang dem Regisseur, das Ensemble um Marianne Hoppe und Paul Dahlke zu schauspielerischen Höchstleistungen anzuspornen. | www.vhs-wuerzburg.info

Für die meisten Vorschulkinder sind Buchstaben höchst interessant. Sie wollen mit den kleinen Kringeln gern ihren Namen schreiben, möchten Wörter entziffern, Bilderbücher lesen oder spaßige Reime erfinden. Diese Lust am geschriebenen Wort ist die Grundlage für eine gute „Literacy-Erziehung”. Leiter(innen), Erzieher(innen) und Kinderpfleger(innen) an katholischen Kindertageseinrichtungen können bei einem Zweitageskurs Grundlagen und Methoden der spielerischen Sprachförderung kennen lernen. Veranstalter ist der Caritasverband der Diözese Würzburg, Referentin die Erzieherin und Diplomsozialpädagogin Helena Beuchert. Anmeldung: fleischmannb@caritas-wuerzburg.de

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25 Jahre Werkstattgespräche

Blog und Podcast

Mit Manfred Bieler starteten im November 1985 die „Werkstattgespräche“ in der Universitätsbibliothek. Walter Kempowski und Dieter Schäfer, damals Schriftführer des Universitätsbunds, hatten die Idee gehabt, und die Uni-Germanisten machten gerne mit. Über 50 hochkarätige Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur stellten bisher ihre Arbeitsweise und eine Auswahl ihres Werks vor und schließlich sich selbst der Diskussion. Mit einer Fotoausstellung feiert die UB das Jubiläum. | www.bibliothek.uni-wuerzburg.de

In ihrer „Lernwerkstatt“ bietet die Stadtbücherei die Möglichkeit zur lebenslangen Weiterbildung – derzeit noch kostenlos. Erarbeit wurde das Programm im Rahmen eines Modellprojekts der EU (PuLLS), Ort der Wissensvermittlung ist das multifunktionelle „Studio“ im Falkenhaus. Thema an diesem Donnerstag: Was hat es eigentlich auf sich mit Blogs und Podcasts? Vermittelt werden die Grundbegriffe, aber auch die ersten Schritte, das eigene Logbuch oder die private Hitparade weltweit ins Netz zu stellen. | www.stadtbuecherei-wuerzburg.de

bis 16. Januar, Uni-Bibliothekam Hubland

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20. Januar, 18 Uhr, Stadtbücherei im Falkenhaus


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Literatur |

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Würzburger Menschen 27. Januar, 19.30 Uhr, Mainfranken Theater

Am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus erinnert das Mainfranken Theater an eine junge Dichterin aus Würzburg. Von ihr geblieben sind einige Fotografien, gut 100 Briefe mit 87 Gedichten, wenige Veröffentlichungen und ihre Gestapo-Akte. Denn Marianne Rein, 1911 geboren, war Jüdin. Und wurde 1941 in der Nähe von Riga umgebracht. Margret Wolf und Paul Amrod vertonten Gedichte und Texte, die von Andrea Jörg, Anna-Katharina Berger, Anne Diemer und Christina Motsch vorgetragen werden. | www.theaterwuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Rottmanns Tracks

1. Februar, 20 Uhr, Tiepolo Keller In Dennis Schützes Musik-Talkshow „My Favourite Tracks“ dürfen Gäste aus der örtlichen Kulturszene ihre zehn allerliebsten Lieblingslieder vorspielen und erzählen, wie und warum es dazu kam. An diesem Dienstag ist es der Jurist Günter Huth, der als Autor schon 1970 mit einem Jugendbuch startete, seit 2003 aber vor allem als Verfasser der „Schoppenfetzer“-Krimireihe und literarischer Vater von Kommissar Rottmann in der Öffentlichkeit präsent ist. | www.myfavouritetracks.de ++++++++++++++++++++++++

O wie schwer ist das Schreiben… 11. Februar, 16.30 Uhr, Universitätsbibliothek

Die „Bibliothek für alle“ zeigt ihre Handschriftenabteilung und die mittelalterliche Welt des

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Schreibens. Die Bibliothekare Hans-Günter Schmidt und Kerstin Dößel demonstrieren theoretisch und praktisch, dass und warum das Schreiben einmal wirklich anstrengende Arbeit war – Materialien und Werkzeuge werden ebenso vorgestellt wie die Menschen, die sich ihrer bedienten. Treffpunkt ist die Informationstheke in der Eingangshalle. | www.bibliothek.uni-wuerzburg.de

Rahmen der Autorentheatertage im Juni 2011 mit einer szenischen Vorstellung der besten Arbeiten. | www.leonhard-frank-gesellschaft.de

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„Logosophie“ nennt der studierte Theologe, Philosoph und Anglist Jean Weselbach seine Sinnsuche mittels genauer Betrachtung. Denn natürlich zielt sein frappierendes Spiel mit der Sprache auf mehr als nur Vergnügen. Es sind die neuralgischen Punkte des heutigen Daseins, denen er seine Aufmerksamkeit schenkt, die gewohnten Denkbahnen und verhärteten Denkstrukturen. Die unterzieht der in Würzburg ansässige Aphoristiker dem, was er „Reflexionszonenmassage“ nennt. Seinen Ende 2010 erschienenen dritten Band mit Eu- und Ahaphorismen stellt er an diesem Abend vor. | www.jean-weselbach.de

Die Weinburger sind höfliche Leute

13. Februar, 18 Uhr, Kulturspeicher „Abgründe in der provinziellen Idylle“ nennt der Historiker und Stadtheimatpfleger Dr. Hans Steidle seine Lesung aus Jehuda Amichais großem Roman „Nicht von jetzt, nicht von hier“: Ein Jude erfährt in der frühen Nachkriegszeit die bedrohliche innere Haltung der Menschen in einer Stadt, die Amichai Würzburg nachempfunden hatte. Mit Kommentaren und Musik von Bernhard von der Goltz und Reiner Schwander.

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Euphorismen

18. März, 19 Uhr, Galerie Art & Weise, Sommerhausen

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Nacktes Leben

28. Februar (Einsendeschluss) Zum fünften Mal schreiben das Mainfranken Theater und die Leonhard-Frank-Gesellschaft 2011 den mit 4000 Euro dotierten Leonhard-Frank-Preis für Dramatiker aus. Vom Performance-Konzept bis zum ausgeschriebenen Stück ist jeder künstlerische Text willkommen. Diesjähriges Motto ist der auf den italienischen Philosophen Giorgio Agamben zurückgehende Begriff des „nackten Lebens“. Der bezeichnet ein völlig rechtloses Dasein, erzeugt durch den Ausnahmezustand in den Gefangenen- oder Flüchtlingslagern dieser Welt. Die Preisvergabe erfolgt im KulturGut 04 | Seite

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Afrika und zurück

ab 27. März, Knauf-Museum Iphofen Sein Lieblingsmotiv war der afrikanische Löwe. Als einer der wenigen seiner Zeit suchte der 1865 im schlesischen Oppeln geborene Maler, Autor und Illustrator Friedrich Wilhelm Kuhnert seine Modelle aber nicht im Zoo, sondern in der freien Wildbahn auf. Die meisten seiner Werke befinden sich heute in Privatbesitz, weite Verbreitung fanden sie dennoch, und zwar auf Sammelbildern und in populären Enzyklopädien. Mit einer Auswahl von Kuhnerts Illustrationen für „Brehms Tierleben“ beendet das Knauf-Museum die Winterpause. | www.knauf-museum.de


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Kino als Ehrenamt Wie das Programmkino Central funktioniert von Christine Weisner / Fotos: Gleb Polovnykov

+ Das Programmkino Central, das seinen provisorischen Sitz im ehemaligen Mozartgymnasium aufgeschlagen hat, ruht auf zwei Säulen: Die Genossenschaftsmitglieder sorgen mit ihren Einlagen für das nötige Geld. Die Ehrenamtlichen verrichten unentgeltlich die Arbeit. Ungefähr 90 halten derzeit das Central in Schwung. Manche treten nur gelegentlich in Aktion, etwa wenn zusätzliche Kräfte oder bestimmte Fähigkeiten gebraucht werden. Andere sind mehrmals pro Woche anzutreffen. Allen ist die Freude darüber anzumerken, gemeinsam und in Eigeninitiative etwas Sinnvolles aufzubauen. Claudia Gabel hat, wie viele andere, in der Umbauphase geholfen: Wände gestrichen, geputzt und Flyer ausgetragen, einfach weil ihr die Idee gefällt. Jetzt will sich die Lehrstuhlsekretärin wieder mehr ihrer Familie und anderen Interessen widmen. Mit dem Umbauergebnis ist sie sehr zufrieden. Sie findet, dass das Kino überraschend schön, von der Farbwahl geradezu edel geworden ist. Detlev Leist arbeitet als Sachbearbeiter bei einer Krankenkasse. Einmal im Monat verteilt er die Kino-Programme in Heidingsfeld. Dort hat er sich bereits einen Verteiler mit Gaststätten, Läden und Tankstellen aufgebaut, die die Flyer gerne auslegen. Ungefähr jede zweite Woche übernimmt er eine Schicht hinter der Theke. Gearbeitet wird immer zu zweit, wobei jeder ein Aufgabengebiet - Getränkeverkauf oder Kinokasse – übernimmt. Das funktioniert im Grunde wie im EinzelhanKulturGut 04 | Seite

del: aufbauen, Kasse zählen, Wechselgeld bereitlegen – und am Ende der rund fünfstündigen Schicht alles wieder einräumen und die Abrechung machen. Die Arbeit macht ihm auch deshalb Spaß, weil er das Gefühl hat, in Abläufe und Entscheidungen des Kinos mit eingebunden zu sein. Die vielen positiven Rückmeldungen von außen empfindet er als zusätzlichen Ansporn. Leists „persönliches i-Tüpfelchen“ war die Begegnung mit Marco Tullio Giordana, der in der Italienischen Filmwoche bei der Aufführung von „La meglio gioventù“ persönlich anwesend war. Leist hatte den Regisseur vom Flughafen abgeholt und ihn bei der geselligen Runde im Anschluss an den Film noch einmal getroffen. Die selbstständige Fotografin Aline Stephan geht sehr gern ins Kino. Sie hat in Weimar studiert und schloss sich nach ihrem Umzug spontan der Würzburger Kino-Initiative an. Aus Zeitmangel kann sie momentan nicht allzu oft hinter der Kasse stehen, was sie auch deshalb bedauert, weil sie bei ihrem Engagement viele Leute kennen lernt, die auf ihrer Wellenlänge liegen. Thomas Schulz ist im Vorstand der Kinogenossenschaft für den Bereich Technik zuständig. Er ist Lehrer von Beruf und arbeitet auch in der Lehrerausbildung, speziell im Bereich Medien. Auch im Central findet Ausbildung statt, denn die Bedienung des 35-mm-Filmprojektors stellt einige Anforderungen.

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Zentraljob Vorführer Die ersten vier, fünf Vorführer wurden von Peter Göbel, der diesen Beruf von der Pike auf gelernt hat und als Ehrenamtlicher mit dabei ist, in einem Crashkurs eingewiesen. Zurzeit läuft die Ausbildung von knapp 20 der 40 Männer und Frauen, die sich in die Interessentenliste eingetragen haben. Am Anfang standen zwei Einführungsveranstaltungen, dann ging es mit Kleingruppen im Vorführraum weiter, wo die praktischen Handgriffe geübt wurden. Anschließend begann die Mitarbeit im Vorstellungsbetrieb, wo immer ein ausgebildeter Vorführer mit einem der Neulinge zusammenarbeitet. Wenn diese Ausbildungsphase im Frühjahr abgeschlossen sein wird, startet der zweite Durchlauf. Schulz ist zufrieden: „Wenn wir so mindestens 15 Leute zusammenbekommen, die regelmäßig vorführen können, haben wir genug.“ Clemens Esser arbeitet sich gerade ins Filmvorführen ein. In der heißen Phase vor der Eröffnung hat er beim Renovieren geholfen und war fast jeden Abend im Kino zugange. Jetzt betätigt sich der Diplomingenieur rund zweimal pro Woche in der Vorführkabine, wo neben dem Bedienen des Projektors noch andere Arbeiten anfallen. Da müssen etwa die Teile jedes neuen Films zu einer einzigen großen Filmrolle zusammengekoppelt werden. Am Ende der Laufzeit werden die Filme dann wieder entkoppelt und versandfertig verpackt. Esser findet es sehr reizvoll, dass im Central Ältere und Jüngere zusammenarbeiKulturGut 04 | Seite

ten, so ist in der Vorführgruppe vom Studi bis zum Anfang-Sechziger alles vertreten. Er hat den Eindruck, dass er auch im Publikum mehr junge Gesichter sieht als früher im Corso. Hans-Christian Blech gehört zu der kleinen Gruppe von Ehrenamtlichen, die das Filmvorführen gleich zu Beginn gelernt haben. Wie viele andere Ehrenamtliche ist er zugleich Mitglied in der Kino-Genossenschaft. Der kaufmännische Angestellte ist Kinofan von frühester Jugend an. Er kann sich noch gut erinnern daran, was für ein Erlebnis es war, als er im vollbesetzten Passage-Kino in der Martinstraße zum ersten Mal „Ben Hur“ gesehen hat. Auch für die Technik hat sich Blech schon früh interessiert. Als Stammgast kam er mit den Filmvorführern der verschiedenen Kinos ins Gespräch und durfte ihnen öfters bei der Arbeit zusehen. Von der 35-mm-Projektion auf die große Kinoleinwand ist er einfach begeistert, und der Blick hinter die Kulissen reizt ihn nach wie vor. Momentan führt er zweimal pro Woche Filme vor. Die Arbeit in Zweierteams gefällt ihm gut. Dadurch können die Vorführer die Verantwortung für ihren gesamten Bereich übernehmen, indem sie beispielsweise die Einlasskontrolle durchführen und sich auch darum kümmern, dass der Kinosaal in Ordnung ist, was für Blech einfach dazugehört. Dass er bei der Arbeit von den Filmen wenig mitbekommt, stört ihn nicht: „Wenn ich einen Film anschauen will, kaufe ich eine Karte und setze mich ins Kino.“

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Szene aus Sophia Coppolas „Somewhere“. Der Streifen mit Elle Fanning und Stephen Dorff läuft im Januar im Würzburger Programmkino Central.

Was steht auf dem Programm? Wer das Central zum Programmkino macht von Christine Weisner / Foto: Tobis Film

+ Seit dem 4. November 2010 gibt es in Würzburg wieder ein Programmkino. Zu finden ist das „Central“ in der Hofstraße, in einem Trakt des ehemaligen Mozartgymnasiums. Die Kino-Genossenschaft hat die Aula entsprechend umgebaut, einen Kassen- und Thekenbereich eingerichtet und mit einigen gestalterischen Maßnahmen mehr Kinoflair geschaffen, als man es dem Schulgebäude aus den Fünfzigerjahren je zugetraut hätte. Der Spielbetrieb läuft seitdem erfolgreich an sieben Tagen in der Woche mit mindestens zwei Vorstellungen pro Tag. Für die Auswahl der Filme ist die Programmgruppe des Central verantwortlich, in der zurzeit etwa fünf Mitglieder aktiv sind, während sich weitere 15 bis 20 Personen im Verteiler befinden. Alle Aktiven verfügen über einschlägige Erfahrungen: Heidrun Podszus, Vorstandsvorsitzende der Genossenschaft und zuständig für den Bereich Programm, ist von Beruf FilmKulturGut 04 | Seite

verleiherin, Arnold Schatzler war im Corso als Programmmacher tätig, die übrigen Mitglieder kommen von der Würzburger Filminitiative. „Wie in den anderen Bereichen des Kinos erfolgt auch hier der Ausbau kontinuierlich“, beschreibt Podszus das Vorgehen. „Im nächsten Schritt wollen wir Gruppen für einzelne Themen einrichten. Momentan haben wir genügend Leute, wir sind aber dennoch offen für neue Interessenten.“ Angestrebt ist ein breites Angebot, das alle Publikumssegmente anspricht, mit einem Schwerpunkt auf unabhängigen Produktionen, Autorenfilmen und Filmkunst im weiteren Sinn. Dabei sieht Podszus einen grundsätzlichen Unterschied zwischen einem Filmfestival und einem fortlaufenden Kinoprogramm: Während ein Festival vom Eventcharakter, der Neuartigkeit der Filme und dem Gespräch über Filme lebt, arbeitet ein Kino kontinuierlicher. Es muss Tag für Tag sein

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Publikum finden und dazu Anlässe und Themen in sinnvoller Weise aufgreifen oder eigene Filmreihen konzipieren.

Messen informieren am besten

 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

Am Anfang der konkreten Programmarbeit steht der Startplan mit den aktuellen Neustarts. „Eine wichtige Rolle bei der Auswahl spielen Vorabinformationen, aber am besten ist es natürlich, wenn man den Film vorher gesehen hat“, stellt Podszus fest. Dabei können Festivals, Messen und Sichtungs-DVDs als Informationsquellen dienen. „Wir wollen vor allen Dingen erreichen, dass mehr von unseren Leuten auf Messen gehen. Denn dort laufen die Filme, die anschließend tatsächlich ins Kino kommen.“ Dabei handelt es sich meist um deutsche oder europäische Filme, während Filme aus anderen Kontinenten deutlich unterrepräsentiert sind, was Podszus sehr bedauert. „Man kann aber nur mit dem arbeiten, was da ist, und trotzdem versuchen, ein möglichst vielfältiges Programm zusammenzustellen.“ Eine Ausweitung des Programmspektrums erfolgte bereits im Dezember: Seitdem stehen an den Wochenendnachmittagen regelmäßig Kinderfilme auf dem Spielplan.

Das Kino wird Partner

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Film |

Termine im Central Programmkino|

| www.central-programmkino.de

Aus Anlass des 50. Todestages von Leonhard Frank im Jahr 2011 wird das Central in Zusammenarbeit mit der Leonhard-Frank-Gesellschaft mehrere Verfilmungen seiner Werke zeigen. Ob daraus eine kleine Würzburg-affine Nebenschiene entstehen kann, mit Filmen, die über ihren Regisseur oder einen anderen Filmschaffenden mit der Stadt verbunden sind, muss sich aber erst noch weisen. Dagegen ist die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Filmwochenende schon fest vereinbart. Bei dem Festival, das diesmal im Frühjahr stattfindet, wird das Central eine der Spielstätten sein. Zahlreiche Filmvorschläge kommen aus dem Publikum und dem Kreis der Ehrenamtlichen. Auf der Wunschliste stehen zum Beispiel Filme in Originalsprache mit Untertiteln. Da dabei jedoch Publikumseinbußen zu befürchten sind, möchte man sich langsam an das Thema herantasten. So stand im Dezember die englische Fassung von „The Kids are all right“ auf dem Spielplan der Spätvorstellung, während gleichzeitig die deutsche Fassung in anderen Kinos lief. Zudem wurde „Bal“, der bereits eine Woche lang erfolgreich im Central gespielt worden war, noch einmal in der türkischen Originalsprache gezeigt. Podszus schätzt den Rahmen des Möglichen so ein: „Wir bekommen zwar keine institutionellen Subventionen wie ein Kommunales Kino, müssen aber durch die Ehrenamtlichen auch keine Personalkosten erwirtschaften. Diese Struktur gibt uns einige Freiheiten. Dennoch gibt es gewisse Dinge, wie beispielsweise Retrospektiven, die heutzutage fast nur noch von vollsubventionierten Leuchttürmen wie dem Arsenal in Berlin oder dem Frankfurter Filmmuseum gestemmt werden können.“ Für die Programmvielfalt spielen Kooperationen eine wichtige Rolle. Durch sie können Filme in einen passenden Rahmen gestellt werden und ihr Publikum finden. Bestes Beispiel: die Italienischen Filmtage in der Eröffnungswoche, die vom Würzburger „Teatro in cerca“ veranstaltet wurden. Kooperationspartner waren die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und das SchwulLesbische Zentrum WuF. Schon offiziell ist die Kooperation mit dem Mozartfest. Podszus geht aber davon aus, dass bald weitere folgen werden: „Wir bauen Kontakte auf und sind bereits mit zahlreichen Organisationen und Institutionen im Gespräch. Wir verstehen uns da ganz als Partner.“

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Somewhere

Der kleine Nick

Carlos der Schakal

La Danse (OmU)

3.-5. Januar 4.-5. Januar

Kleine Wunder in Athen 6.-9. Januar

Ein Mann von Welt 6.-12. Januar

Sneak Preview 7. Januar

Paulas Geheimnis 8.-9. Januar

La Pivellina (OmU) 10.-12. Januar

Das Schreiben und das Schweigen 13.-16. Januar

Was will ich mehr

13.-14. & 16.-19. Januar

Geier-Wally

Stummfilm mit Musikbegleitung 15. Januar 53 | Würzburg

15. & 16. Januar 20.-26. Januar

Sneak Preview 21. Januar

Cats & Dogs – Die Rache der Kitty Kahlohr 22. & 23. Januar

Vergissmichnicht – L’âge de raison (OmU) 20.-26. Januar

Von Göttern und Menschen

27. Januar bis 2. Februar

Howl

27.-30. Januar

Sechse kommen durch die ganze Welt 29. & 30. Januar

Hochzeitspolka

31. Januar bis 2. Februar


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Überall Zwangsarbeiter Würzburg, zur NS-Zeit eine ganz gewöhnliche Stadt von Christine Weisner / Abbildung: Staatsarchiv Würzburg, Gestapoakte 21181

+ Eine Erzählung: „Nach dem Krieg, da waren doch in dem Lager hinter der PH die Ausländer.“ Ein Foto: „Russische Zwangsarbeiter in einem Lager am Main“, zu sehen 1995 in der Ausstellung „16. März 1945 re-Vision“. Eine andere Erzählung: „Nach dem Bombenangriff kamen die Franzosen und haben uns aus dem Keller ausgegraben und gerettet.“ Die Erzählungen bleiben ungenau. Und dem Foto mit der wohlgeordneten Essensausgabe unter schattigen Bäumen ist seine beschönigende Absicht deutlich anzumerken. Wenn man sich mit der Würzburger Lokalgeschichte beschäftigt, flackert das Thema „Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg“ immer wieder einmal kurz auf, um dann aber schnell wieder zu verschwinden. KulturGut 04 | Seite

Das zeigt sich bei der Erinnerung an den Bombenangriff auf Würzburg am 16. März 1945. Zwei Jahre nach diesem Ereignis erschien die „Würzburger Chronik des denkwürdigen Jahres 1945“, herausgegeben von Hans Oppelt im Auftrag des Würzburger Stadtrats. Darin findet sich unter anderem die bewegende Liste mit den Namen der 1337 Opfer, die bis zum Jahresende 1946 identifiziert werden konnten. Was allerdings nur bei dem kleineren Teil der Toten möglich gewesen war. Es handelt sich um jene alphabetische Liste, die auch im Gedenkraum im Grafeneckart mit weißer Schrift auf dunklem Grund abgebildet ist. Die Reihenfolge ist immer dieselbe: Name Vorname, gegebenenfalls Geburtsname oder militärischer Rang, Adresse, meist das Datum 16.3. oder das Datum von einem der kleineren Angriffe zuvor. Beim Buch-

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staben „C“ beginnt die Aufzählung mit „Caleo Alfonso, Fosdinovo (Italien)“, gefolgt von „Carni Jean, Frankreich“. Unter „T“ steht der Eintrag „Timoschewski Iwan, Würzburg-Zell, Bahnhof, 23.3.“.

KZ an der PH Weitere, ähnliche Beispiele ließen sich finden, neben Einträgen, die sich nicht eindeutig zuordnen lassen. In der Chronik von 1947 wird noch darauf hingewiesen, dass in der Liste der Toten auch die identifizierten Ausländer aufgeführt wurden. Später denkt bei der Erinnerung an den 16. März 1945 kaum noch jemand daran, dass unter den Getöteten auch eine ganze Anzahl von Menschen war, die sich unfreiwillig fernab ihrer Heimat in Würzburg aufgehalten hatten. Nahezu unbekannt ist das Lager in der Friesstraße, hinter der Pädagogischen Hochschule am Wittelsbacherplatz. Manchmal hört man von den Displaced Persons, den Ausländern, die hier nach dem Krieg auf die Rückkehr in ihre Heimat warteten, nichts jedoch von dem „Notgefängnis“, welches die Gestapo hier zuvor betrieben hatte. „Auch in Würzburg?! Zur Geschichte eines unbemerkten Außenlagers des KZ Flossenbürg“, lautet der Titel eines Aufsatzes, den Jörg Skriebeleit im Jahr 2004 im Mainfränkischen Jahrbuch veröffentlichte. Darin weist er nach, dass sich in der Friesstraße eine Zeitlang ein Außenlager des KZ Flossenbürg befand. Die Häftlinge hatte man nach Würzburg gebracht, weil man für den Ausbau der Nervenklinik in der Füchsleinstraße Arbeitskräfte benötigte. Das „Notgefängnis“ auf dem heutigen Gelände der Städtischen Berufschule beschreibt er als ein Transitlager für Gefangene, insbesondere für ausländische Zwangsarbeiter, die nach dem Willen der Gestapo in ein Konzentrationslager gebracht werden sollten. Die Häftlinge mussten hier auf ihren Abtransport warten. Das Lager war ein wirksames Machtinstrument in den Händen der Geheimpolizei. Aber bis heute erinnert in der Friesstraße nicht einmal eine Gedenktafel an die Menschen, die hier der Gestapo schutzlos ausgeliefert waren. Bei oberflächlicher Betrachtung kann man durchaus den Eindruck gewinnen, Würzburg sei während des gesamten Zweiten Weltkriegs eine Stadt gewesen, in der der Einsatz von Zwangs- und Fremdarbeitern nur eine unbedeutende Randerscheinung darstellte. Doch dieser Eindruck täuscht. Die Mainmetropole war in dieser Hinsicht eine deutsche Stadt wie jede andere.

Ein vertrauter Anblick Leo H. Hahn hat im Jahr 2005 mit seinem Buch „Kriegsgefangene und Fremdarbeiter in Würzburg“ die erste und bisher einzige ausführlichere Veröffentlichung zu diesem Thema vorgelegt. Er schätzt, dass im Durchschnitt 6000, zu Spitzenzeiten 9000 ausländische Arbeitskräfte in Würzburg eingesetzt waren. In seiner Untersuchung listet er die Lager auf, die insbesondere in der Nähe von Rüstungsbetrieben, etwa im Neuen Hafen, eingerichtet wurden. Hinzu kommen kleinere Lager und Unterkünfte in Kasernen, Turnhallen oder Gaststätten. In den langen Listen mit den Arbeitgebern finden sich Industrie- und Handwerksbetriebe aller Art, Geschäfte, Gärtnereien, Hotels, Arztpraxen, die Stadtverwaltung, weitere Behörden und Krankenhäuser. Viele der aufgeführten Namen sind heute noch ein Begriff, man kennt die Orte, die Firmen und Einrichtungen. Nicht zuletzt wegen dieser Vertrautheit wandelt sich bei der Lektüre das Bild radikal: Ausländische Arbeitskräfte waren keine Randerscheinung, sondern überall im alltäglichen Leben anzutreffen. KulturGut 04 | Seite

Die unfreiwilligen Einwohner der Stadt befanden sich in sehr unterschiedlichen Situationen, etwa als kriegsgefangene Soldaten und Zivilarbeiter. Entsprechend der NS-Rassenideologie spielte jedoch das Herkunftsland die entscheidende Rolle. So behandelte man Fremdarbeiter aus Westeuropa, die in Würzburg zahlreich eingesetzten Franzosen und Belgier, relativ gut. Viele von ihnen waren in kleinen Betrieben tätig und konnten sich in einem begrenzten Rahmen frei bewegen. Dagegen wurden viele Menschen aus Osteuropa, insbesondere aus Russland, in Lagern eingesperrt und gezwungen, unter so unmenschlichen Bedingungen zu leben und zu arbeiten, dass viele von ihnen dabei umkamen. Zwischen diesen beiden Extremen gab es zahlreiche Abstufungen. Beispielhaft für den Umgang mit den Russen ist eine Beobachtung, die Leo Hahn als Jugendlicher machte und in seinem Buch (S. 18) festhält: „Ebenfalls am Oberen Mainkai sah ich eine Gruppe russischer Frauen (mindestens 10), zum Teil barfuss beim Schneeräumen unter Bewachung.“ Organisiert und verwaltet wurde der Arbeitseinsatz der Zivilgefangenen durch das Arbeitsamt, während im Hintergrund die Gestapo die entsprechende Drohkulisse aufbaute und sofort einschritt, wenn jemand die Regeln nicht einhielt.

Initiativen In den Akten der Gestapo Würzburg befindet sich unter vielen anderen die Akte der polnischen Zwangsarbeiterin Zofia Malczyk. Das Würzburger Arbeitsamt wollte sie als landwirtschaftliche Arbeitskraft einsetzen. Sie versuchte mehrmals zu fliehen, wurde jedes Mal wieder aufgegriffen und von der Gestapo nach Würzburg gebracht. Nach einer Haftzeit überstellte die Gestapo die junge Frau an das Arbeitsamt, welches ihr erneut eine Stelle zuwies. Kurz vor Kriegsende wurde Zofia Malczyk nach einer neuerlichen Verhaftung von zwei Polizisten in Schweinfurt heimtückisch erschossen. An der Stelle, an der sie starb, steht heute ein Gedenkstein. Die „Initiative gegen das Vergessen – Zwangsarbeit in Schweinfurt“ hat ihn errichtet. Der Zusammenschluss engagierter Bürger beschäftigt sich seit 1999 mit dem Thema Zwangsarbeit. Seine Mitglieder haben einige konkrete Schicksale erforscht und veröffentlicht. Sie pflegen Kontakte zu ehemaligen Zwangsarbeitern und bieten eine regelmäßig gut besuchte Führung entlang der ehemaligen Lagerstandorte an. Anders als in Würzburg ist das Thema dort inzwischen in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Dennoch wäre es falsch zu behaupten, dass die NS-Zeit in Würzburg ausgeblendet wird. Es gibt fundierte Untersuchungen über das Schicksal der jüdischen Einwohner Würzburgs, dazu bekannte Erinnerungsorte und mit den Stolpersteinen noch einmal eine neue Form des Gedenkens. Am Paradeplatz wurde 2005 ein Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma enthüllt. Ein paar Straßen weiter hängt in der Spiegelstraße eine Gedenktafel, die den deportierten Juden und „allen Opfern des Nationalsozialismus“ gewidmet ist. Und auf der anderen Seite sähe es vermutlich in Schweinfurt beim Thema Zwangsarbeit ohne die „Initiative gegen das Vergessen“ ähnlich wie in Würzburg und in vielen anderen Städten aus. Nein, der Unterschied zwischen den beiden Städten zeigt etwas anderes auf: Auch bei der Wahrnehmung der Vergangenheit und der Frage des Gedenkens hängt vieles davon ab, wofür sich einzelne konsequent und beharrlich einsetzen.

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Das Stadtgespräch ist eröffnet Eine Zwischenbilanz des „Dialogs Würzburger Erinnerungskultur“ von Dr. Bettina Keß / Foto: Susanne Götz

+ Am Anfang standen Fragen: Welche Ereignisse sind im kollektiven Gedächtnis der Stadt Würzburg besonders präsent und wie werden sie präsent gehalten? Welche Anforderungen haben wir heute an die Rituale des öffentlichen Erinnerns? Haben die Veranstaltungen, mit denen wir der Zerstörung der Stadt am 16. März 1945 gedenken, die richtige Form, um die Geschehnisse im Stadtgedächtnis zu halten? Im Mai 2010 startete das Kulturreferat der Stadt das Projekt „Dialog Würzburger Erinnerungskultur“, das diese und andere Fragen aufgriff. Eine Gesprächsrunde mit Expertinnen und Experten aus Kulturverwaltung, Archiven und Museen, Universität und Kirchen, aber auch mit fachkundigen Angehörigen von Initiativen und engagierten Einzelpersonen benannte wichtige Themen, die anschließend in Einzelgesprächen konkreter gefasst wurden. Eine „Bürgerwerkstatt“ Ende Oktober bedeutete den ersten Schritt vom Gespräch unter Experten hin zu einem vielstimmigen „Stadtgespräch“. Rund 80 Teilnehmer diskutierten einen Tag lang bei Stadtexkursionen und Gesprächsrunden. Fachleute moderierten fünf Themeneinheiten, die von der kritischen Beschäftigung mit der historisch zwiespältigen Persönlichkeit Fürstbischof Julius Echters bis hin zu Einblicken in die Praxis aktueller (stadt-)historischer Forschung reichten. Gemeinsam gaben Laien und Profis dem Gesamtprojekt konkrete Aufgaben mit auf den Weg: Die Gruppe, die sich mit der Stadtbildentwicklung auseinandergesetzt hatte, regte eine Diskussionsplattform zu aktuellen denkmalpflegerischen Fragen an.

Hier geht’s weiter Im Museum im Kulturspeicher diskutierten die Teilnehmer intensiv mit den Wissenschaftlerinnen des Museums, Dr. Marlene Lauter und Dr. Carola Schneider, sowie dem NS-Kunst-Experten Prof. Christoph Zuschlag (Universität Koblenz-Landau) über den Umgang mit dem städtischen Kunstbesitz aus den 1930er und 1940er Jahren. Am Ende war man sich einig: Diese Bestände müssen sobald als möglich wisKulturGut 04 | Seite

senschaftlich-kritisch bearbeitet werden. Eine weitere Gruppe besuchte mit den Kulturwissenschaftlern Dr. Guido Fackler und Jörg Fuchs Mahn- und Denkmäler in der Stadt, darunter das so genannte Kriegerdenkmal im Husarenwäldchen. Sie formulierte nach kontroverser Diskussion den Auftrag, andere Formen des Erinnerns an die Toten beider Weltkriege und die Opfer des Nationalsozialismus zu finden. Der Blick zurück auf diese ersten, durch die Unterstützung der Sparkassenstiftung ermöglichten Projektmonate zeigt: Die Veranstaltungen aktivierten die Dialogpartner und zeigten Themen auf, die einer intensiveren Bearbeitung bedürfen. Aber wie geht es nun weiter? Inhaltlich werden die Beschäftigung mit der Zeit des Nationalsozialismus, mit Krieg und Zerstörung, und die Dokumentation von und Erinnerung an Schuld und Verantwortung weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Die konkret formulierten Wünsche und Appelle werden dabei als wichtige Anregungen dienen: „Die Stadt Würzburg muss und wird sich diesen Aufgaben stellen. Wir wollen aber auch den Blick auf die Vergangenheit unserer Stadt weiten, neue Formen der Erinnerung diskutieren und erproben und die Vermittlung unserer gesamten Stadtgeschichte in den Blick nehmen“, betont Kulturreferent Muchtar Al Ghusain. Einer der nächsten Schritte wird eine genaue Bestandsaufnahme der Denk- und Erinnerungsmale. Denn um neue Formen des Gedenkens zu finden, muss man zunächst wissen, wer an was und wie in unserer Stadt erinnert. Das legt den Grund für weitere Diskussionen, die auch nach dem Bedarf an weiteren Mahnmalen, etwa an einem Denkmal für alle Opfer des Nationalsozialismus, fragen. Das Gespräch über die eigene Stadtgeschichte und die Möglichkeit, dieses aktiv zu gestalten, wird in einer weiteren „Bürgerwerkstatt“ fortgeführt. Der „Dialog Würzburger Erinnerungskultur“ wird bei aller fachlichen Fundiertheit weiterhin darauf achten, für möglichst viele Menschen verständlich zu sein und diesen die Möglichkeit zu geben, sich in den Dialog einzumischen.

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 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

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Stadt |

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Eisbahndisco

7. Januar bis 4. März, 18 Uhr, Eisbahn Nigglweg Jeden ersten Freitag im Monat rechnet der Eisbahnwart mit großem Andrang. An die 600 Besucher kommen an Rekordtagen in den vier Stunden der Party, um auf den Kufen mitzufeiern. Quiz und heiße Getränke gehören zum Rahmen, Jugendzentrum-DJs wählen die Musik. Attraktiv macht es die Disco auch, dass sie billiger kommt: Der Eintritt kostet für Jugendliche bis 18 Jahre ermäßigte zwei Euro, Erwachsene zahlen vier. | www.stadtbau-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Raumerkundung

30. Januar, 11 Uhr, Jüdisches Gemeinde- und Kulturzentrum Shalom Europa Die katholische Akademikerseelsorge lädt im Wintersemester dazu ein, Räume und Klänge real wie spirituell zu erkunden. Auf dem Weg durch das jüdische Gemeinde- und Kulturzentrum Shalom Europa eröffnet sein Architekt Gerhard Grellmann Einblicke in die Komposition und Sprache des Bauwerks, Nico Lang setzt mit dem Violoncello musikalische Akzente. Anmeldung erbeten bis 24. Januar, Telefon (0931) 354530. | www.akademikerseelsorge-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

5. Würzburger Wirtschaftstage

21. bis 26. Februar, in den teilnehmenden Unternehmen Die Würzburger Wirtschaftswelt öffnet ihre Türen für die Allgemeinheit: Betriebsbesichtigungen, Präsentationen und Vorträge bestimmten viermal

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das Programm. Neu ist heuer der Berufsnavigator. Unter diesem Siegel stellen die Firmen ihre Praktikums- und Lehrstellen und die Berufsmöglichkeiten überhaupt vor. Für Studenten, Schüler, aber auch Arbeitssuchende allgemein. www.wuerzburgag.de ++++++++++++++++++++++++

Biosphärenreservat Rhön

bis 27. Februar, Botanischer Garten Die Rhön ist schön und deshalb eins der wichtigsten Naherholungsgebiete für die Würzburger. Und das darf auch so bleiben. Denn im April 1991 wurde die Natur- und Kulturregion zum länderübergreifenden Biosphärenreservat erhoben und von der UNESCO beauftragt, beispielhaft Wege zu finden, wie Natur und Mensch gemeinsam gut überleben können. Bilanz nach 20 Jahren zieht eine Ausstellung im Botanischen Garten, die auch zeigt, wie ein naturverträglicher Rhön-Tourismus aussehen kann. | www.bgw.uni-wuerzburg.de

Geschichtswerkstatt

13. bis 22. März, Oberes Rathausfoyer Die Sammler von historischen Würzburg-Fotos richten eine Ausstellung zum 16. März 1945 aus. Statt repräsentativer Ansichten gibt’s Einblicke in den Alltag. Zur Eröffnung am 13. Januar, 11 Uhr, spricht Oberbürgermeister Georg Rosenthal. Anschließend Zutritt Mo. bis Sa. 9 bis 17, So. 11 bis 17 Uhr. | www.geschichtswerkstatt-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Flohmarkt

19. März, 8 bis 16 Uhr, Mainwiesen Der Frühling kommt wieder und jeder kann gegen entsprechenden Obolus mitmachen: Zum ersten Open-Air-Floh- und Trödelmarkt des Jahres lädt das Alpha-Team Noll auf die Mainwiesen ein (Zufahrt Dreikronenstraße). Aufbau ist Freitag von 12 bis 20 Uhr, am Samstag ab 6 Uhr, eine Anmeldung nicht erforderlich. | www.alpha-team-noll.de

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Hausbaumusik

Red Purse

Talkmaster Dennis Schütze hat in seiner Reihe „My Favourite Tracks“ Matthias Braun zu Gast. Der Sprecher des engagierten Architektenkreises LP10 und Bau-Blogger erzählt, wie zehn Musikstücke zu seinen liebsten wurden. Dann werden sie aufgelegt und beantworten Fragen wie: Ist Architektur gefrorene Musik? Sind Songs aufgetaute Stadthallen? Der Ort wird in der Tagespresse bekanntgegeben und natürlich unter: | www.myfavouritetracks.de

Falls sich an diesem Tag auffällig viele rote Damenhandtaschen zeigen – das ist nicht der neueste Modetrend, sondern Protest gegen die Tatsache, dass auch in Deutschland die Gleichberechtigung der Geschlechter noch dort endet, wo sie weh tut: im Geldbeutel. Der bundesweite Aktionstag „Equal Pay Day“ markiert das Datum, bis zu dem Frauen über den Jahreswechsel hinaus arbeiten müssten, um auf das durchschnittliche Vorjahresgehalt ihrer männlichen Kollegen zu kommen. Aus den USA stammt die Idee, die seit 2007 auch in Deutschland umgesetzt wird. | www.equalpayday.de; www.bpw-wuerzburg.de

25. März, Innenstadt

1. März, 20 Uhr

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In English, please! Im Frauenland wird eine Lücke in der Lehrerbildung gestopft von Joachim Fildhaut / Fotos: Mike Meyer

+ Schüler sollen in ihrer Fremdsprache frei reden können. An Realschulen wird diese „aktive Sprachkompetenz“ bereits geprüft, die Gymnasien stehen kurz vor der Einführung entsprechender Tests. Aber sind die Lehrer darauf vorbereitet? Zur Zeit ziehen neue Methoden in den Englischunterricht ein. Vermittelt werden sie unter anderem am Würzburger Zentrum für Lehrerbildung, wohin Teilnehmer aus einem Einzugsbereich von Hessen bis Oberbayern zu „Active English Trainings“ anreisen. „Ich hätte mir einen solch motivierenden Unterricht KulturGut 04 | Seite

in meiner Schulzeit gewünscht“, sagt die Leiterin des Zentrums an der Universität Würzburg, Birgit Hoyer. Quirlig, locker und zweisprachig geht es in dem umgebauten Ladenlokal an der Zeppelinstraße zu. Ein gutes Dutzend Pädagogen – alle zwischen Mitte der Zwanziger und der Fünfziger – duzt sich nicht nur im Englischen, sondern bald auch auf Deutsch. Schon beim ice-breaking, dem Eisbrechen, zeigt sich, dass die Vorgehensweise dieses Seminartags auf mehr abzielt als auf Fremdsprachenfertigkeit. Tatsächlich ent-

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wickeln die Übungen die kommunikative Kompetenz überhaupt. Sie helfen zu lernen, auf Menschen zuzugehen und sich mit ihnen auszutauschen. KIK, „Kommunikation, Interaktion, Kreativität im Fremdsprachen-Unterricht“ nennt Projektleiterin Ingrid Ebert denn auch ihre Kursreihe. Zum Konzept gehört es dabei, dass examinierte Lehrer und Studierende gemeinsam lernen und auch voneinander profitieren. „Offen, neugierig sein, auf andere Menschen zugehen können“, darauf kommt es KulturGut 04 | Seite

bei den KIK-Übungen für die frühere Gymnasiallehrerin Ebert an. Und natürlich ist auch der aktive Gebrauch von Fremdsprachen grundlegend für das Verständnis mit Menschen aus anderen Ländern. Beides fließt zusammen, wenn die Seminargruppen sich in Paare aufteilen, wieder mit anderen zusammenkommen und gemeinsam ihre Erlebnisse besprechen. „Ich hatte viel zu wenig auf den anderen gehört“, bekennen mehrere Teilnehmer nach der Vorstellungsrunde. Denn diese Kennlern-Übung

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hatte einen zweiten Akt, bei dem jeder in die Rolle eines anderen schlüpfte und diesen dann in der Ich-Form vorstellte. „Spielerische Perspektivenwechsel“ sind für Ingrid Ebert wichtig, ebenso wie Methoden, die die Schüler auf kreative Weise zum Zuhören bringen.

GSiK: Vokabeln und Verständigungsfreude Eben diese Fähigkeiten gehören zu den entscheidenden Aspekten zwischenmenschlich-interkultureller Kompetenz. Fremdsprachentraining trifft hier direkt auf den wichtigen Bereich der Persönlichkeitsentwicklung. Daher wurde das KIK-Training in ein fakultätsübergreifendes Projekt der Uni aufgenommen, das Studierenden besseres Rüstzeug für trans-ethnische Begegnungen vermittelt: „Globale Systeme und interkulturelle Kompetenz“ (GSiK) heißt der bunte Katalog von Maßnahmen, die von Studienbeiträgen finanziert werden.

Großes Theater „Die didaktische Herausforderung im Bereich der interkulturellen Kompetenz ist es, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch Methoden parat zu haben, die Selbst- und Fremdwahrnehmung erfahrbar machen“, sagt GSiK-Geschäftsführer Dr. Jan-Christoph Marschelke. „In vielen GSiK-Lehrveranstaltungen integrieren wir daher innovative praktische Lehrmethoden, die das Abstrakte konkret werden lassen.“ KulturGut 04 | Seite

Eine ganz große KIK-Trainingsrunde entwirft eine Figur mit ziemlich kuriosen Eigenschaften, die dann von einer zweiten Arbeitsgruppe interviewt wird. Die Interviewer berichten daraufhin ihrer eigenen Gruppe im Nebenraum von jenem merkwürdigen Charakter, den die anderen ausgeheckt haben, und umgedreht. Schließlich treffen sich die Teilnehmer beider Gruppen paarweise und spielen eine Zufallsbegegnung ihrer Figuren in einem Pariser Straßencafé: echtes Theater! Fundiert ist ein Großteil dieses spielerisch erscheinenden Trainings in zwei Hauptquellen. Der pädagogische Ansatz, aus dem sich KIK direkt speist, wurde ab 1977 von dem französischen Linguisten und Pädagogen Bernard Dufeu und seiner Frau Marie unter dem Namen Psychodramaturgie Linguistique (PDL) begründet. Die Bezeichnung erinnert nicht zufällig an das „Psychodrama“, jene Methode in der Gruppentherapie, die der Wiener Psychiater und Soziologe Jakob-Levy Moreno entwickelte. Für die PDL wurde das Psychodrama seiner therapeutischen Elemente entkleidet; pädagogisch-didaktische Ziele wurden stattdessen implantiert. Ingrid Ebert ist eine der wenigen Trainer-Ausbilderinnen in der PDL, die von Dufeu ausgebildet wurden. Für ihre KIK-Seminarreihe, die sie eigens für Lehramtsstudierende und Lehrkräfte an öffentlichen Schulen konzipiert hat, adaptierte sie viele dieser Übungen und entwickelt ihr Übungsrepertoire ständig weiter. Im Laufe ihrer Lehrtätigkeit hat sie sich auf die Entwicklung von Aktivitäten für den Unterricht spezialisiert, die die Kommunikation, Kreativität und die Begegnung zwischen den Teilnehmern in den Vordergrund rücken. Ihre KIK-Fortbildungen sind deshalb sozusagen Unikate. Diese speisen sich natürlich auch stark aus der Persönlichkeit der Trainerin

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Julia Bolesch, Studentin für das Lehramt am Gymnasium Französisch, Spanisch: „Eine gute Möglichkeit, den eigenen Standpunkt in der Gruppe zu reflektieren: Wir lernen nicht nur von- und miteinander, sondern müssen auch in jeder Situation spontan agieren und reagieren. Diese Interaktion kann gesteuert und bewusst im Unterricht eingesetzt werden. Ich war beispielsweise erstaunt, wie schnell und effektiv man sich Redewendungen oder Grammatikstrukturen in der Fremdsprache merken kann, und das mit kleinen, scheinbar rein spielerischen Übungen. Außerdem ist mir deutlich geworden, dass Spontaneität und Kreativität eine Übungssache sind, die jeder trainieren kann.“

Franziska Hentschel, Studentin für das Lehramt Gymnasium Englisch, Erdkunde: „Durch die Teilnahme an KIK habe ich mein Methodenrepertoire erweitert und praktische Tipps für den Unterricht bekommen. Zum Beispiel kenne ich jetzt viele Übungen, mit denen man die Schüler im Fremdsprachenunterricht sehr schnell zum Kommunizieren anregen kann. Am meisten hat mich überrascht, wie vielfältig und effektiv diese Übungen sind.”

– und ihrer Assistentin, der Südafrikanerin Claudia Ahrens. Die Anglistik-, Romanistik- und Kunstpädagogikstudentin absolviert zwar erst ihr Grundstudium, sammelt jedoch schon seit einem Jahr als Co-Trainerin Praxiserfahrung. „An der Uni Würzburg studieren und gleichzeitig mit einer erfahrenen Pädagogin innovative Lehrmethoden kennen lernen, das ist für mich eine einmalige Chance“, so Ahrens.

Leichter lernen lernen Am Ende eines nachhaltig anregenden Seminartags sagt die Teilnehmerin Uschi Wagner, Lehrerin an einer Würzburger Hauptschule: „Ich hatte schon ähnliche Ideen, aber die haben nicht so gut funktioniert. Jetzt sehe ich, wo es im Übungsablauf gehakt hat.“ Ihre Kollegin Martina Dexler ist erleichtert: „Damit kann man sich gut in fremde Themen einarbeiten, kombiniert mit Wortschatzübungen.“ Über einen Effekt der Weiterbildung sind sich alle einig. An diesem Tag im Frauenland haben sie gelernt, wie sie ihren Schülern das Lernen leichter machen können.

LINKS: | www.gsik.de; www.zfl.uni-wuerzburg.de; www.active-english-training.de; www.mikemeyer-photography.de KulturGut 04 | Seite

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 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

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Wissenschaft |

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Global, aber gerecht

Imagination und Kreativität

Im Auftrag von Misereor und Münchner Rück-Stiftung entwickelten Klimawissenschaftler, Ökonomen, Ethiker und Entwicklungsexperten Strategien zur Bewältigung der Klima- als Armutskrise. Einen „Global Deal“ fordert das Bündnis aus Kirche, Wissenschaft und Finanzwelt und schlägt konkrete Schritte vor, wie Klimaschutz und Entwicklungshilfe effizient und gerecht verbunden werden können. Die Tagung der Katholischen Akademie Domschule stellt die Studienergebnisse vor und zur Diskussion. | www.domschule-wuerzburg.de

Dem als wissenschaftlich nicht wirklich fassbar geltenden Phänomen „Kreativität“ widmen die Philosophen ihre Residenz-Vorlesungen. Die heutige Referentin Simone Mahrenholz ist Professorin für Medien- und Kulturwissenschaften an der Berliner Technischen Kunsthochschule. 2008 habilitierte sie sich mit einer philosophischen Analyse der „Black Box“ des Denkens, in der sie darlegt, dass und wie in jede Form von Erkenntnis kreative Elemente eingehen. | www.philosophie.uni-wuerzburg.de

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Pflanzen der Liebe

Sonnenstrom aus Plastik

Pflanzliche Aphrodisiaka, umrankt von Ritualen und Mythen, kennen alle Kulturen der Erde. Christiane Löffler, Biologin und Kräutergärtnerin, führt in die Welt orientalischer Liebesräucherungen und anregender Spezereien. | www.bgw.uni-wuerzburg.de

Aktuelle Forschungsthemen stellt allgemein verständlich und mit Experimenten die „Physik am Samstag“ vor. Wie organische Solarzellen entstehen und welche Prozesse bei der organischen Photovoltaik ablaufen, erläutert Carsten Deibel. Was daran neu ist? Erst 2009 fanden die Würzburger Forscher heraus, wieso die Umwandlung von Licht in Strom durch leitfähiges Plastik überhaupt funktioniert. | www.physik.uni-wuerzburg.de

29. Januar, 9.30 Uhr, St. Burkardus-Haus

30. Januar, 16 Uhr, Botanischer Garten, Tropenschauhaus

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Wenn Angst krank macht

2. Februar, 19 Uhr, Greisinghäuser, Neubaustraße 12 Über die häufigsten Angst-Erkrankungen informiert Prof. Jürgen Deckert, Direktor der Uni-Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Und gibt Hinweise, wie man selbst den Ausbruch der Krankheit verhindern oder den Verlauf positiv beeinflussen kann. | www.nervenklinik.uk-wuerzburg.de

3. Februar, 20 Uhr, Residenz, Toscanasaal

5. Februar, 10.30 Uhr, Hubland, Max-Scheer-Hörsaal

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Patientenkongress der Krebshilfe

12. Februar, 10 Uhr, Vogel Convention Center Seit 2007 veranstaltet der Patientenbeirat der Deutschen Krebshilfe e.V. in wechselnden Großstädten den Patientenkongress, bei dem sich die Besucher KulturGut 04 | Seite

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kostenlos und unverbindlich über aktuelle Entwicklungen in der Krebstherapie informieren können. Vorträge in laienverständlicher Sprache, SelbsthilfeForum, Diskussionen und Gespräche bestimmen das Programm. Und auch das: Finanziert wird die Veranstaltung ausschließlich aus Mitteln des Vereins. | www.patientenkongress.net ++++++++++++++++++++++++

Europas wilde Wälder 13. Februar, 17.30 Uhr, Saalbau Luisengarten

Europa wäre Urwald, gäbe es den Menschen nicht. Nur noch als Inseln existieren unberührte Waldgebiete, in Russland, Polen, Finnland und sogar in Deutschland. Zweieinhalb Jahre war der Fotograf Markus Mauthe im Auftrag von Greenpeace unterwegs und fing die Artenvielfalt und Schönheit dieser Lebensräume mit seiner Kamera ein. | www.greenpeace.de/multivision ++++++++++++++++++++++++

31. Deutscher Kunsthistorikertag

23. bis 27. März, Universität Würzburg Der Verband Deutscher Kunsthistoriker greift die Themen seines Kongresses aus dem Stoff, den Würzburg bietet. Beiträge leisten vor allem Wissenschaftler von außerhalb. Über den Tellerrand hinaus zielen Fragen nach dem Erhalt des Erbes, nach bildungspolitischen Voraussetzungen und dem Spannungsfeld zwischen einer ortlos gewordenen Kunstwissenschaft und der lokalen Identität – immer ausgehend vom Beispiel Würzburg. | www.kunsthistoriker.org ++++++++++++++++++++++++


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Interkultur |

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Religion in USA und Deutschland

11. Januar, 9 Uhr, Neue Universität, HS 317 Die Fähigkeit, mit dem ganz alltäglichen Konfliktpotential umzugehen, das in der Begegnung von Angehörigen verschiedener Kulturen auftritt, will das seit Wintersemester 2008/2009 an der Juristischen Fakultät angesiedelte interdisziplinäre Projekt „Globale Systeme und interkulturelle Kompetenz“ (GSiK) vermitteln (siehe auch „In English, please“ in dieser Ausgabe, Seite 58 ff). Das geschieht im Januar unter anderem im Rahmen einer öffentlichen vierstündigen Tagung, die sich der Frage stellt, ob und wie die unterschiedlichen Religionssysteme in den USA und Deutschland die jeweiligen Mentalitäten prägen: „USA und Deutschland – Religion als Dimension interkultureller Unterschiede“. Veranstalter ist der Lehrstuhl für katholische Religionspädagogik (Prof. Hans-Georg Ziebertz), als Gastredner sprechen die amerikanische Soziologin und Kulturkritikerin Marcia Pally (Foto oben links) und der Berliner Theologe Rolf Schieder. | www.gsik.de ++++++++++++++++++++++++

Les funérailles du desert 14. Januar, 19.30 Uhr, Residenz, Toscanasaal

Ensemblemitglieder des Mainfranken Theaters kommen gerade aus Ouagadougou zurück. Dort begannen sie gemeinsam mit westafrikanischen Kollegen an einem zweisprachigen Stück zu arbeiten, das die Themen Klimawandel und Familie behandelt, und zwar einerseits in Deutschland und zum andern in Burkina Faso; von dort stammt

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auch das Würzburger Ensemblemitglied Issaka Zoungrana (Foto: Falk von Traubenberg). Regisseur Bernhard Stengele, Schauspieldirektor des Mainfranken Theaters, stellt das interkontinentale Projekt nach seinem ersten Realisierungs schritt vor. Ein bisschen wird auch schon gespielt. Fotos und Videos tragen zur Bewegung bei. | www.wanderlust-blog.de; www.afrikazentrum.uni-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Genießen im Dunkeln

ab 19. Januar, 19 Uhr, Reisers am Stein Immer wieder lässt sich die Würzburger Blindeninstitutsstiftung mit ihren Kooperationspartnern etwas einfallen, um Nichtblinden klar zu machen, dass blind sein mehr bedeutet, als nichts zu sehen. Wie sich Tast-, Geruchs- und Geschmackssinn in der Dunkelheit verändern, konnten die Gäste von Starkoch Bernhard Reiser 2003 erstmals ausprobieren. Zwischen dem 19. Januar und dem 26. Februar verwandelt sich das Restaurant am Stein von Mittwoch bis Samstag wieder in einen völlig lichtlosen Raum. Zu sehen gibt es beim Vier-GängeMenü für 50 Euro pro Person also nichts – dafür aber jede Menge andere sinnliche Erlebnisse. Außerdem kann die Kommunikation mit unsichtbaren und möglicherweise unbekannten Sitzpartnern am Tisch höchst interessant verlaufen. Die Unfallgefahr ist gering, denn die Servicekräfte tragen außer den Speisen Nachtsichtgeräte. | www.der-reiser.de ++++++++++++++++++++++++

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Gagaku-Konzert

12. Februar, 16 Uhr, Maritim-Hotel Vor 150 Jahren schlossen Japan und Preußen Verträge über eine künftige internationale Zusammenarbeit ab: Die Isolation des Inselstaats ließ sich nicht länger aufrechterhalten. Dieser Wandel wird heuer als deutsch-japanisches Freundschaftsjubiläum gefeiert. Teil des Fests ist eine Tournee von Gagaku-Musikern, Tänzern und Sängern des kaiserlichen Hofensembles, die mit ihrem Würzburg-Auftritt zum Abschluss kommt – eine ganz besondere Ehre für Würzburg also. Gagaku, die auch für japanische Ohren archaisch anmutende höfisch-rituelle Orchestermusik, war dort lange fast nur noch am Kaiserhof und zu ganz besonderen Anlässen zu hören und begleitet in Würzburg eine Bogaku-Tanzzeremonie. | www.creativetradition.de ++++++++++++++++++++++++

9. Würzburger Flamenco Festival

25. März bis 4. April, Mainfranken Theater und Zehntscheune Juliusspital Viel Geduld und Respekt vor dieser speziellen Form der Folklore sind für Mercedes Sebald Arguisuelas Voraussetzungen dafür, das Flamencotanzen selbst zu lernen. Aber einmal im Jahr gönnt sie sich, ihren Schülern und allen anderen Flamencobegeisterten die Gelegenheit, sich einfach nur mitreißen zu lassen von Bewegung, Musik und Leidenschaft. Alte und junge Meister aus Spanien und Deutschland zeigen bei diesem Festival ihr Können. Und beweisen, dass die andalusische und in sich selbst multikulturelle Folklore „Flamenco“ mittlerweile zu einer universalen Kunstform geworden ist, in der nicht mehr die Herkunft des einzelnen Künstlers, sondern die individuelle Art der Darbietung im Vordergrund steht. | www.wueflamencofestival.com


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Ein Kloster mit offenen Toren Die Würzburger Augustiner verstecken sich nicht hinter Mauern. Sie öffnen sich, wo immer es sich anbietet. Text & Fotos: Daniel Staffen-Quandt

+ Es gibt Klöster. Und es gibt Klöster. Solche und solche. Die einen nur mit hohen Mauern, die anderen mit hohen Mauern und offenen Toren. Das Augustinerkloster gehört zur zweiten Gruppe – auch wenn das zur Zeit nicht so einfach ist. Denn die Kirche am Dominikanerplatz wird umgebaut. Seit September ist sie gesperrt, und das bleibt bis zum ersten Advent im November 2011. Das Gotteshaus wird zum Raum der Stille mitten in der Innenstadt und bietet ein niederschwelliges Angebot für Trauernde. 2005 wurde Bruder Peter Reinl Prior der Würzburger Konvente. Seither hat sich im und am Kloster vieles verändert – das sichtbarste Zeichen ein Graffiti an der Klostermauer in der Dominikanergasse. Die Idee zum Kirchenumbau stammt allerdings nicht allein von dem 43Jährigen, sie ist in einer Pastoralgruppe des Klosters und an einem Runden Tisch gemeinsam mit Vertretern der evangelischen Kirche und Seelsorgern aus verschiedenen Bereichen entstanden. Auslöser war eine Selbstreflexion in der deutschen Augustinerprovinz allgemein sowie im Würzburger Kloster im Besonderen: „Warum braucht es unsere Präsenz hier in der Stadt noch?“, stellt Bruder Peter Reinl die zentrale Frage in den Raum. Die Augustiner sind ein Bettelorden – nicht kontemplativ, nicht introvertiert, sondern „mit aposKulturGut 04 | Seite

tolischer Tendenz hinein in die Stadt, ins Vor-Ort der Menschen“. Die Konvente übernehmen Aufgaben, „die die verfasste Kirche nicht übernehmen kann oder will“.

Jedem Menschen ein eigener Platz Die Würzburger Augustiner fragten sich also selbst, ob sie diesen Grundauftrag mit ihrer Arbeit noch erfüllen. „Wir versuchen den Menschen zu begegnen, die im kirchlich-pastoralen Raum vernachlässigt wurden und werden“, sagt er. Fündig wurden die Augustiner in einem schwierigen Bereich: bei der Arbeit mit Trauernden. Sie komme im pastoralen Alltag oft zu kurz, sagt der Prior. Es gebe schließlich nicht nur Hinterbliebene: auch Krankheit, Mobbing, Lebenskrisen führen zu Trauer. Genau dieser Gruppe wollen sich die Augustiner künftig verstärkt widmen. Sie wollen für all jene Anlaufstelle sein, die bislang durchs Netz der Beratungs- und Seelsorgeangebote christlicher Kirchen fallen. Daher schaffen sie in ihrer Kirche Räume, „wo Menschen für sich sein können, aber nicht alleine sind“. Ein Spagat – auch architektonisch in

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der einst gotischen und nun barocken Kirche. Man war sich schnell einig, dass die Kirchenbänke für diese Pläne weichen müssen. Seit 6. September wird das Konzept baulich in die Tat umgesetzt. Die Kirchenbänke haben in Stadtschwarzach eine neue Heimat gefunden. An ihrer Stelle stehen künftig Stühle, die das Hauptschiff flexibler nutzen lassen. Ein neuer Altar in der Kirchenmitte wird ellipsenförmig von Stuhlreihen umringt. „Wir wollen das gemeinsame Feiern bei der Eucharistie mehr zu einem Gemeinschaftserlebnis machen“, begründet Bruder Peter Reinl. Die wesentliche Umbauarbeit ist jedoch der Raum der Stille. Im Eingangsbereich werden zwei halbrunde Trockenmauern einen kleinen Raum abgrenzen, in dem zehn bis zwölf Menschen in einem Sitzkreis Platz finden. Alles möglichst schlicht, mit einer einzigen Figur neben Kerzen und Stühlen. Dort kann jeder für sich sein und trauern. Doch wer Seelsorge möchte, wird nicht alleingelassen. Die Menschen sollen kurzentschlossen die Tür öffnen und eine andere Welt betreten können, entweder in dem abgetrennten kleinen Bezirk oder in der Ruhe der Kirche. „Jeder kann sich einen Stuhl nehmen und da hinsetzen, wo ‚sein Platz’ in der Kirche ist“, betont Reindl. Das soll auch der Platz der Kirche sein: Nah bei den Menschen. KulturGut 04 | Seite

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Herausgeber und V.i.S.d.P.: MorgenWelt Würzburg GmbH Gerberstraße 7, 97070 Würzburg Telefon 09 31 32 999 0 und Kulturreferat der Stadt Würzburg Rückermainstraße 2 97070 Würzburg Redaktionsadresse MorgenWelt Würzburg GmbH: KulturGut Gerberstraße 7, 97070 Würzburg Telefon (09 31) 32 999 0 Internet: www.kulturgut-wuerzburg.de

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Druck: Schleunungdruck GmbH, Marktheidenfeld

Redaktionsbeirat: Anja Flicker, Muchtar Al Ghusain, Hans-Georg Mennig, Dr. Rotraud Ries, Hermann Schneider, Dr. Gunther Schunk, Prof. Ulrich Sinn

Sonstiges: Alle Veranstaltungsangaben ohne Gewähr. Veranstalter, die Fotos an den Verlag senden, haben eventuelle Honorarkosten zu tragen. Urheberrechte für Anzeigenentwürfe, Vorlagen, redaktionelle Beiträge sowie für die gesamte Gestaltung bleiben beim Herausgeber. Der Nachdruck von Fotos, Zeichnungen, Artikeln und Anzeigen, auch auszugsweise, bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Herausgebers. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte/Leserbriefe und Fotos kann keine Haftung übernommen werden. Bearbeitung und Abdruck behalten sich Verlag und Redaktion vor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Verlags und der Redaktion wieder.

Auflage: 10.000 Exemplare

Fotos: Titelfoto: froodmat /Quellle Photocase, Gleb Polovnykov, Falk von Traubenberg, Gabriela Knoch, Iris Wrede, Petra Winkelhardt, Mike Meyer, Daniel Peter, Bildarchiv der Stadt Würzburg, KulturGut Bildarchiv, Veranstalter Art Direktion Melanie Probst, MorgenWelt Würzburg GmbH Produktion & Distribution: MorgenWelt Würzburg GmbH, Gerberstraße 7, 97070 Würzburg

Dank: Wir danken ausdrücklich den Unterstützern und beteiligten Kulturinstitutionen und Kulturschaffenden, ohne die die Herausgabe dieses Mediums nicht möglich wäre.

Kostenlose Auslage in Kulturzentren, Kinos, Veranstaltungshäusern, städtischen Einrichtungen, Gastronomie und ausgewählten Ladengeschäften

KulturGut erscheint viermal jährlich in Würzburg.

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Tagen

hinter Klostermauern Historische Klostermauern, verbunden mit moderner Kunst, bieten am Stadtrand von Würzburg ein hochmodernes Tagungsflair. Das klösterliche Ambiente vermittelt Ruhe und Gelassenheit und ist für eine Auszeit für die Seele ebenso geeignet wie für Tagungen und Fortbildungen. Himmelspforten ist ein Haus der katholischen Kirche. Deshalb ist eine christliche Einstellung die Grundlage für unser Miteinander und den Umgang mit den Gästen.

Das Haus verfügt über 84 Zimmer jeweils mit Dusche und WC, Telefonund Internetanschluss. Die Gäste erhalten in Himmelspforten Vollverpflegung. Der Schwerpunkt liegt auf regionalen und saisonalen Gerichten.


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