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Improvisierte Wahrheit Conference of the Birds – die Band ohne feste Besetzung Von Christian Neubert / Fotos: Barbara Buttmann

+ In Erich Kästners Jugendbuchklassiker „Die Konferenz der Tiere“ lässt das Wohl der Kinder die Tiere zusammenkommen. Bei der Würzburg-basierten Jazz-Combo Conference of the Birds verhält es sich kaum anders: ihre Kinder sind die Musik. Der Name des Projekts geht auf den Jazzer Dave Holland zurück. „Ein schönes Bild“, meint Georg Kolb, der Mann hinter dem Bandgefüge. „Der Vergleich des freien Musizierens mit Vögeln, die in den Bäumen sitzen und kommunizieren, ist sehr treffend.“ Kolbs musikalische Tätigkeiten sind vielfältig: Nach seinem Studium von Cello, Gambe und E-Bass in Würzburg und München verdingte er sich als Studiomusiker, komponierte und produzierte Klanginstallationen und Filmmusik, war musikalischer Leiter der Pro7-Sendung Bullyparade, wirkte bei diversen Bands und CDs mit und war Dozent für E-Bass. Aktuell hat er einen Lehrauftrag für Filmmusik an der Macromedia Hochschule für Medien in München. Wenn er heute seine Konferenz für Auftritte einberuft, dann darf man keine feste Band hinter dem Namen erwarten. Die Besetzung variiert, denn Kolb braucht Wandel und Veränderung. Immerhin steht bei ihm das Experimentieren im Vordergrund, das Spiel mit unterschiedlichen Klangfarben und -bildern. „Nicht reproduzieren, sondern kreieren“ – so beschreibt er den Ansatz. Ein Credo, bei dem es eher um eine Attitüde geht als um akademisch geschulten Umgang mit Instrumenten. Entsprechend ist die Conference of the Birds ein Kollektiv aus Individuen. Es lebt von der Präsenz des Einzelnen. Das ist wichtig für Kolb, denn ohne starke Charaktere könne man auch kein starkes Ergebnis erwarten. So trifft man bei Auftritten der Combo – in Würzburg zuletzt auf dem Jazzfestival 2011 – auf so unterschiedliche Musiker wie Wolfgang Roth, der sein Instrument, das Saxophon, am Berklee studiert hat. Auf Gerwin Eisenhower, der auch den Drummer für das Trio ELF gibt und mit diesem elektronische Musik von Kraftwerk oder Aphex Twin akustisch umsetzt. Oder auf Jochen Volpert, der virtuos mit der Gitarre umzugehen weiß. Auch ein Cymbalon kommt bei der Conference of KulturGut 08 | Seite

the Birds zum Einsatz, ein Instrument, das landläufig gar nicht mit Jazz in Verbindung gebracht wird, aber in Kombination mit den anderen Instrumenten viele kreative Möglichkeiten bietet. Hier wird eine Eigenschaft der Jazz-Szene zum Prinzip erhoben. Die heißt: Jeder kennt jeden, jeder kann mit jedem spielen; weil viele Kompositionen Allgemeingut unter Musikern sind; und weil Jazzer Motive vom Blatt weg aufnehmen und variieren können. Und schließlich, weil die Auftrittsgelegenheiten es oft erfordern, schnell mal ein Projekt auf die Beine zu stellen. Was in einer Stadt funktioniert, das geht auch landesweit, jedenfalls bei den guten Beziehungen des harten Kerns von Conference of the Birds. Auch wenn das Bandgefüge mittlerweile feststeht, bleibt es stets für Gäste offen. Immerhin sind Austausch und Vernetzung unter Musikern eine wichtige Sache – für Kolb liegt darin der Auftrag des Jazz: „Er muss auf das aktuelle Geschehen in der Welt reagieren, er darf nicht statisch sein.“ Dabei betrachtet er die vom Jazz geforderten Improvisationsleistungen als sozialen Akt, der ein Ego erfordert, das sowohl die Führung übernehmen kann als auch erkennt, wann es sich unterzuordnen hat. So verfüge ein guter Jazz-Musiker über „seismographische Antennen“, die ihn spüren lassen, wonach die Musik gerade verlangt. Und: „Musik ist ein Medium, bei dem fünf oder mehr Menschen völlig verschiedene Sachen beitragen und dennoch alle Recht haben.“ Kolb ist sich sicher, dass Wahrheit entsteht, wenn Musik erklingt. Eine Wahrheit, „deren Aussage in der musikalischen Substanz liegt“ und die ganzheitlich erfasst werden kann, indem Harmonie, Rhythmik und Melodie gleichzeitig Intellekt, Körper und Emotionen ansprechen. „Improvisation impliziert übrigens immer ein Scheitern“, erklärt Kolb zum Schluss. Das soll aber nicht demotivieren. Es ist lediglich ein Moment beim Verlassen ausgetretener Jazz-Muster. „Wem das gelingt, der lässt Größe erkennen.“ So ist es im Jazz, so ist es im Leben.

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