KulturGut Würzburg 02

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KulturGut

Ausgabe

02 Juli 2010

Magazin für die Kulturregion Würzburg

Denkmal und Zerrinnerung! Der Dialog Erinnerungskultur beginnt! | Farbe bekennen: Blumen oder Blaukraut? | Hafensommer: Unbekannte Schöne

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Sternen 5.August Menü unter

Würzburg

Mainkai

Eine Tafel für 1000 Gäste - oder 350 Meter Genuss Am Donnerstag, dem 5. August 2010 wird am unter freiem Himmel: Sieben namhafte Würzburger Mainkai in Würzburg (Felix-Freudenberger-Platz) Gastronomen bündeln ihre Kreativität und ihre eine lange, festliche Tafel unter freiem Himmel gedeckt. Kochkunst und machen daraus ein noch nie da Ticketpreis 75 €. Beginn 18:30 Uhr. Ende ca. 22:30 Uhr gewesenes kulinarisches Erlebnis. Vorverkauf auf www.wir-franken.de

Mit „Schön-Wetter-Garantie“ Bei schlechtem Wetter wird die Veranstaltung um eine Woche verschoben. Sollte das Wetter auch da nicht passen, wird die Veranstaltung abgesagt und Sie bekommen Ihr Geld zurück. Empfohlene Parkhäuser: Wöhrl Plaza, Neubaustraße, Alte Mainbrücke, Kranengarage und Marktgarage. Bei Vorlage Ihres Parktickets erhalten Sie am Einlass 2 € erstattet. Wetterentscheidungen vier Tage vorher, Hinweise und Parkpläne auf: www.wir-franken.de

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ZU WÜRZBURG

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KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Musik | Bühne | Literatur | Kunst | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Editorial

ErINNER’ mich!

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

Erinnern bedeutet, in den Keller zu gehen – in den ganz persönlichen. Und aufzuräumen. Auch und gerade, wenn man zur Generation der „Freigesprochenen“ gehört. Freigesprochen sind wir. Die Enkel. „Wir“ bewegen uns selbstbewusst durch die Welt. Befreit von Vorwürfen, fähig alle Fragen zu stellen, privilegiert in einer zivilen Gesellschaft. Dennoch haben „wir“ einen Umzugskarton im Keller stehen. Mit dem Nachlass der Familie. Vielleicht war da ein Großvater, der aus Russland heimkam und nicht erzählen konnte. Nicht wollte, weil dieses undefinierte „es“ so schrecklich war. Die „wir mussten Gras fressen“ Geschichte. Und die, die er nicht erzählt hat. Dinge, die man lieber auf sich beruhen lässt, das, was viele „nicht gewusst haben“ wollen. Nun sind die Großeltern tot. Das Trauma, das Schweigen, den Schmerz haben sie ihren Kindern mitgegeben. Und auch den Enkeln, die nun manchmal an diese Kiste im Keller denken. Die mit den Schwarzweißfotografien. Den Briefen. Zeit, hinunter zu gehen und den vergilbten Deckel zu ­öffnen. Auch wenn die ganz persönliche ErINNERung wehtut. Was man dabei findet? Ein Stück der eigenen Identität. Ein Stück Identität ist es auch, was Erinnerungskultur für Würzburg in sich birgt – dieses Stück Identität – es will nach außen. KulturGut und seine Autoren haben etwas dazu beizutragen. Wir sind wie immer gespannt auf Ihre Anregungen und auf einen geistreichen Dialog. Ihr Feedback ist uns willkommen. Für die zahlreichen interessanten Reaktionen auf die vergangene Ausgabe möchten wir uns hiermit ausdrücklich bedanken – Sie haben uns erfreut und inspiriert. Iris Wrede Chefredakteurin

für die Konzipierung des neuen Kulturmagazins KulturGut hatten wir uns Zeit genommen. Die vielen positiven Stimmen zur ersten Ausgabe scheinen uns Recht zu geben und ermutigen uns. Wir wollen mit KulturGut dazu beitragen, neue Diskurse in unserer Stadt anzuregen und zu begleiten. Mit dieser zweiten Ausgabe wollen wir Sie einladen, beim „Dialog Erinnerungskultur“ mitzuwirken. Gewiss kein leichtes und schon gar kein bequemes Thema. Aber es ist unsere Auffassung, dass Würzburg trotz vielfältiger Aktivitäten noch eine Menge zu tun hat, um eine umfassende, sachliche und aufklärende Auseinandersetzung auch mit den schweren Phasen unserer Geschichte zu bewältigen. Dieser von uns gewünschte Dialog wird immer wieder auch Meinungen hervorbringen, die provozieren können. Wir denken aber, dass man dies aushalten muss, auch wenn es für uns unbequem ist oder wir anderer Auffassung sind. Genau dies ist z.B. bei dem Beitrag von Peter Roos der Fall, einem Autor, der seit vielen Jahren immer wieder sein „Lebensthema“ bearbeitet und den Finger tief in die Wunde legt. Anders als manche noch vor 20 Jahren sind wir heute der Auffassung, dass es keinen Grund gibt, Informationen zurückzuhalten – im Gegenteil. So ist es kein Geheimnis mehr, dass im Depot des Museum im Kulturspeicher auch zahlreiche Werke von Künstlern lagern, die eine allzu große Nähe zum Nationalsozialismus pflegten und sich auch nach 1945 nicht hinreichend davon distanzierten. Im Rahmen des vom Kulturreferat initiierten „Dialog Erinnerungskultur“ soll gerade die Aufarbeitung dieser Zeit einen wichtigen Teil ausmachen – KulturGut wird dazu eine Plattform bieten.

Muchtar Al Ghusain Kulturreferent der Stadt Würzburg

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KulturGut | Inhalt | Editorial | Titelthema | Musik | Bühne | Kunst | Film | Literatur | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Denkmal und Zerrinnerung – Der Dialog Erinnerungskultur beginnt!

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KulturGut | Inhalt | Editorial | Titelthema | Musik | Bühne | Kunst | Film | Literatur | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

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Editorial

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Inhalt

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Thema | Paul Pagel: Diese alten Geschichten

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Thema | Dr. Bettina Keß: Vergangenes gegenwärtig halten

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Thema | Burkhard Hose: Konsequenz und Kontext

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Thema | Dr. Eckart Dietzfelbinger: Verdrängen oder funktionalisieren

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Thema | Gunter Demnig: „Kinder, ihr habt da was nicht kapiert!“

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Thema | Peter Roos: Nest-Schmutz/Nest-Wärme/Nest-Putz

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Thema | Sonja Wagenbrenner: Sollen Touris gedenken?

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Theater | Calderons Welttheater

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Theater | Improtheater: Irgendwie planlos

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Theater | Termine

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Musik | Manu Katché - Neues vom Trommelfell

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Musik | Hafensommer: Unbekannte Schöne

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Musik | Termine

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Kunst | Farbwelten: Blumen oder Blaukraut

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Kunst | Termine

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Literatur | Arena: Dauerbrenner im Digitalfeuer

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Literatur | Ulrike Schäfer: Über Jonna

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Film | Versunkene Kinowelten

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Film | Termine

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Stadt | Kreativwirtschaft

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Stadt | Termine

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Wissenschaft | Was ist Ideolektik?

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Wissenschaft | Termine

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Interkultur | Spaß an der Verantwortung

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Eins noch | Häuser in der Schwebe

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Impressum KulturGut 02 | Seite

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Diese alten Geschichten …! Die ernsthafte wissenschaftliche Aufarbeitung der NS-Zeit in Würzburg begann erst Anfang der 1980er Jahre. Vieles wurde bisher erforscht, doch es gibt keinen Anlass, die Akten zu schließen Interview: Joachim Fildhaut / Illustration: Tilman Dominka

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+ KulturGut: 1983 haben 10.000 Besucher die Ausstellung „Würzburg im Dritten Reich“ gesehen. Waren Sie von dem Erfolg überrascht? Paul Pagel: Nicht wirklich. Es bestand spürbar ein Interesse. 50 Jahre nach Hitlers Machtantritt wollte vor allem die unmittelbare Nachkriegsgeneration – und wir zählten dazu – wissen, wie es dazu gekommen war und wie die NS-Herrschaft sich auf lokaler Ebene ausgewirkt hatte. Bei der Öffentlichkeitsarbeit, besonders auch bei den Begleitveranstaltungen, beispielsweise Podiumsdiskussionen, haben uns die Volkshochschule und die Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt. Alle Schulen wurden angeschrieben. Musste Eure Organisatorengruppe bei der Stadt viel Überzeugungsarbeit leisten? Überhaupt keine. Die Stadt war an dem Projekt interessiert, hat uns einen Ausstellungsraum im Stadtarchiv zur Verfügung gestellt und die Forschung im Archiv ermöglicht. Das und die Eröffnungsveranstaltung waren ihr Beitrag. Nicht zu vergessen die unschätzbare Arbeit durch den Fotografen der Stadtbildstelle Andreas Bestle. Alles andere war unser freiwilliges Engagement. Also habt Ihr offene Türen eingerannt? Das nun auch wieder nicht. Diese Ausstellung zum 50. Jahrestag des Beginns der NS-Herrschaft hat sich keiner direkt gewünscht. Sie war zunächst die Initiative von zwei Lehrern, ein in die Tat umgesetztes Anliegen, in diese allgemein „dunkle“ Zeit der deutschen Geschichte auf lokaler Ebene Licht zu bringen. Wie kam’s dazu? Mit Schülern des Mozart-Gymnasiums nahm ich am bundesweiten Geschichtswettbewerb der Körber-Stiftung Hamburg teil. Wir untersuchten die Veränderungen am Würzburger Stadttheater im Zeitraum 1928 bis 1934 und gewannen einen Preis. Davon erfuhr Christian Roedig am Siebold-Gymnasium, der seinerseits mit Schülern über die Veränderungen in Würzburg während der Nazizeit arbeitete. Sein Projekt trug schon den Titel „Würzburg im Dritten Reich“ und war eine gute Basis für alles Weitere. Er sprach mich an und so wurde die Idee zu einer Ausstellung geboren. Weil wir bewusst auch einen Zeitzeugen dabei haben wollten, kam der Kollege Kurt Scheidenberger mit ins Boot, der als 19-Jähriger in Stalingrad sein Augenlicht verloren hatte. Mit dem Kollegen Bruno Fries bildeten wir dann ein Quartett. Das gesamte Projekt erwuchs also aus dem schulischen Geschichtsunterricht.

In welcher Atmosphäre haben Sie damals gearbeitet? Bei unserer Arbeit die gesamten Sommerferien hindurch konnten wir etwas von der Libertas Bavariae spüren – im Hauptstaatsarchiv in München und im Würzburger Staatsarchiv. Alles, was wir bestellt haben, haben wir auch bekommen, konnten es auswerten und die Archivalien im Original in der Ausstellung präsentieren. Der Internationale Suchdienst Arolsen hingegen hat nur geblockt. Die Gestapo-Akten im Staatsarchiv in der Residenz waren gerade erst katalogisiert worden. Der Archivleiter Siegfried Wenisch hoffte, dass nach mir als einem der ersten Nutzer möglichst viele andere noch Zugang zu den Akten wollten: Dann konnten diese nicht mehr ignoriert werden. Auf welche Vorarbeiten konnten Sie zurückgreifen? Praktisch auf gar keine. Dieter Rockenmaiers „Das Dritte Reich und Würzburg“ erschien kurz nach unserer Publikation. In der Stadtchronik war die NS-Zeit noch nicht behandelt. Allerdings stand uns die Nazi-Chronik von 1933 bis 39 zur Verfügung, die die Partei selbst angelegt hatte. Das war mehr nur eine Bildersammlung fast ohne Textbeiträge, und wenn, dann mit propagandistischer Intention. Aber die Fotos waren eine wichtige Quelle für uns, ebenso wie die Würzburger Zeitungen der damaligen Zeit. Wie haben Sie Ihre Zeitzeugen gefunden? Wir haben eine Ausschreibung gemacht: Alle, die etwas zu dem Thema zu sagen hatten oder sich äußern wollten, wurden gebeten, sich auf der Frankenwarte einfinden. Neben Verfolgten und interessierten Zeitzeugen kam auch die Sekretärin des Gauleiters von Mainfranken, Dr. Otto Hellmuth, und schwärmte von der damaligen Zeit. Die haben wir ignoriert und gehen lassen, was ein Fehler war. Man sollte immer beide Seiten hören, auch die in die Zeit schuldhaft verstrickten Personen, also die Täter. Wie hat sich die Aufarbeitung der NS-Zeit in Würzburg danach entwickelt? Sie ist immer intensiver geworden und hat verschiedene Bevölkerungsschichten erreicht. Was erst nur von ein paar Lehrern initiiert wurde, das griffen auch städtische Institutionen auf: das Stadtarchiv selbst und das Stadttheater. Zum Beispiel wurden hier kontinuierlich Stücke zum Thema gespielt. Später kamen dank des Engagements von jüngeren Chefärzten auch die Mediziner hinzu. So hat die Psychiatrische Klinik Werneck in Kooperation mit der gleichnamigen Einrichtung in Würzburg das Schicksal der Euthanasie-Opfer erforscht

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und die Frauenklinik der Uni-Würzburg die Versuche von Zwangssterilisierungen und Zwillingsforschung an Sinti-Frauen öffentlich gemacht. Eine solche Bereitschaft gab es 1983 noch nicht. Heute ziehen auch andere universitäre Fächer nach. So untersucht derzeit die Musikhochschule – speziell das ehemalige Hermann-Zilcher-Konservatorium – die Hitlerzeit für ihre Institution. Hatten Sie Schwierigkeiten, einen Verlag für den Katalog zu finden? Königshausen & Neumann hat uns in Herstellung und Drucklegung sehr unterstützt. Die Verleger machten das Projekt auch zu ihrer Sache. In den Zeiten vor Desk-Top-Publishing war Fotosatz ja noch ein Spezialistenhandwerk. Dieser Katalog war eine der ersten Publikationen des jungen Verlags. Und Sie mussten sich keine Sorge um die wirtschaftliche Seite machen? Schon, weil der Verlag den Katalog damals noch nicht drucken konnte. Und wir selbst hatten auch kein Geld dafür. Aber wir konnten dem Drucker, Herrn Böhler, versichern, dass wir die Summe garantiert zusammenbekommen würden. Schließlich bestellte die Stadt 400 Exemplare für die Würzburger Schulen. Nach eineinhalb Wochen konnten wir die Rechnung begleichen. Die gesamte Auflage wurde verkauft, der Katalog ist heute vergriffen. Der wichtigste Erfolg von „Würzburg im Dritten Reich“? Wenn man die Ausstellungsbesucher beobachtete, so verweilten sie vor allem an der Tafel „Lebensspuren“, wo wir das Schicksal rassisch und politisch Verfolgter dokumentiert hatten, also von Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschaftern, jüdischen Bürgern, Geistlichen und Sinti. Es fehlten die Ernsten Bibelforscher, d. h. die Zeugen Jehovas, und die Homosexuellen. Über sie waren wir nicht an Material gekommen. Es war auf jeden Fall Interesse, gar Betroffenheit zu spüren. Und heute? Würzburg ist eine der Städte in Deutschland, in der die NS-Zeit wissenschaftlich und stetig aufgearbeitet wird. Unsere Arbeit war eine Pioniertat dafür. Über die Friedrich-Ebert-Stiftung wurden wir zur Vorstellung des Projekts nach Hamburg und Bremen eingeladen, und da sagten uns die Leute: So weit wir ihr sind wir nicht. In Würzburg sind wir Lehrer, überwiegend in städtischen Diensten, immer drangeblieben. Sehr wichtig und zeitlich auch in den 80er Jahren erschienen sind

die Publikationen von Roland Flade zu den Würzburger Juden und Reiner Strätz mit seinem zweibändigen Handbuch der Würzburger Juden. Letzteres Projekt wurde von der Stadt gefördert. Dies gilt auch für alle Publikationen des Stadtarchivs und des ihm angeschlossenen Jüdischen Dokumentationszentrums – zum Thema Drittes Reich besonders unter dem Aspekt des Würzburger Judentums in seiner Bedeutung für Würzburg über Jahrhunderte und in der Zeit der Verfolgung.

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Vergangenes gegenwärtig halten Öffentliche Erinnerungskultur von Dr. Bettina Keß / Illustration: Tilman Dominka


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Persönliches Erinnern Bittet man drei Personen, sich einen gemeinsam verbrachten Abend in Erinnerung zu rufen, wird man möglicherweise den Eindruck bekommen, sie hätten ihn an unterschiedlichen Orten und vor allem nicht miteinander verbracht. Jeder wird sich an etwas anderes erinnern. Denn die persönliche Erinnerung eines Menschen ist lückenhaft, sie blendet aus, schönt und verändert. Rufen wir uns ein Ereignis ins Gedächtnis, schaffen wir eine Erzählung, die sich mit jedem neuen Erinnern verändert. Sie ist Teil unserer Persönlichkeit und unserer Identität. Vergangenes gegenwärtig zu halten, ist ein menschliches Grundbedürfnis egal ob wir uns als Individuen erinnern oder als Gemeinschaft.

Öffentliches Erinnern Was passiert nun, wenn sich eine ganze Stadt oder eine andere Gemeinschaft an Ereignisse ihrer Vergangenheit erinnert, z. B. wenn sie die Stadtgründung feiert oder der Opfer des Nationalsozialismus gedenkt? Welche Möglichkeiten hat man, wenn man nicht auf das eigene Erinnerungsvermögen zurückgreifen kann und stattdessen ein abstraktes und diffuses „kollektives Gedächtnis“ bemühen muss? Was passiert, wenn wir uns nicht mehr selbst eines Ereignisses als Zeitzeugen erinnern, sondern von anderen oder von etwas anderem erinnert werden müssen? Das Interesse an der eigenen (Stadt-)Geschichte und das Bedürfnis, sich an bestimmte Ereignisse gemeinschaftlich zu erinnern ist nicht neu, scheint aber in den letzten Jahren deutlich stärker geworden zu sein: Trotz knapper finanzieller Mittel werden heute noch neue Gedenkstätten und Museen eröffnet. Die Bücherflut zu historischen Themen reißt nicht ab; unzählige Führungen und Vorträge vermitteln stadthistorische und heimatgeschichtliche Themen. Jubiläen und Gedenktage sind Anlass für umfangreiche Veranstaltungsreihen. Kollektiv zu gedenken – gerade auch an schmerz- oder schuldhafte Momente der eigenen Vergangenheit – gehört mittlerweile zum Selbstverständnis unserer Gesellschaft. Im Zusammenhang mit den Verbrechen im Nationalsozialismus ist es sogar eine Verpflichtung, sich zu erinnern und „nichts zu verschweigen“. Öffentliche „Erinnerungskultur“ mit ihren Gedenkstunden, Ausstellungen oder Publikationen kann in einer Stadt Gemeinsamkeit und Identitäten schaffen und helfen, mit Verletzungen und Schuld umzugehen. Sie kann aber auch zum Gegenstand kontroverser Diskussionen und schwerwiegender Konflikte werden: Prägnante Beispiele sind die andauernde Diskussion um die Verlegung von so genannten Stolpersteinen zum Gedenken an die jüdischen Opfer in München oder der KulturGut 02 | Seite

immer wiederkehrende Konflikt um den heutigen Umgang mit den Werken von im NS-Regime erfolgreichen unterfränkischen Künstlern wie Hermann Gradl, Oskar Martin-Armorbach oder auch Fried Heuler und Richard Rother.

An was und wie erinnern? Doch was wird durch öffentliches Erinnern gegenwärtig gehalten und auf welche Weise? In der Regel erinnern wir uns an als bedeutsam erachtete Ereignisse und Persönlichkeiten. Keine Stadt würde aber in der heutigen Zeit alljährlich mit öffentlichen Umzügen den Geburtstag Kaiser Wilhelms II. feiern. Daniel Sauer, ein in der NS-Zeit in Unterfranken als „Blutzeuge der Bewegung“ verehrter Nationalsozialist aus Prichsenstadt, ist heute zu Recht nur mehr im regionalhistorischen Kontext von Interesse. Öffentliches Erinnern wandelt sich. Unter dem Einfluss von gesellschaftlichen und politischen Veränderungen werden andere oder neue Themen und Formen des Erinnerns wichtig: Stand beispielsweise in den 1980er Jahren die Geschichte von Arbeiterinnen und Arbeitern im Zentrum des Interesses, so wollen heute viele unterschiedliche Projekte die Lebenswege und Leistungen der Migrantinnen und Migranten einer Region oder einer Stadt aufarbeiten und damit ihre Geschichte(n) in das Gedächtnis ihrer Orte „einschreiben“. Erst eine Entwicklung der letzten Jahre ist es beispielsweise, dass das öffentliche Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus alle Gruppen, darunter auch als sogenannte „Zigeuner“ und als Homosexuelle verfolgte Menschen, einbezieht. Die Formen, mit denen wir Vergangenes gegenwärtig halten oder Ereignissen und Personen gedenken, sind vielfältig. Sie folgen gewissen Ritualen und sind fast immer mit konkreten Orten, mit Relikten eines historischen Ereignisses sowie dem materiellen oder ideellen Nachlass einer Person verbunden. Konkrete und symbolische Orte spielen nicht nur in der privaten Erinnerung eines Menschen eine wichtige Rolle, sondern auch in der öffentlichen Gedenk- und Erinnerungskultur. Um an ein bestimmtes Ereignis zu erinnern, sucht man häufig einen damit verbundenen Ort auf: das Geburtshaus einer bedeutsamen Tochter der Stadt oder den Standort einer Baracke für die Zwangsarbeiter, die während des Zweiten Weltkrieges in Rüstungsbetrieben arbeiten mussten. Auch einzelne Objekte erfüllen das Bedürfnis nach „authentisch verankerter“ Erinnerungsmöglichkeit. In Museen und Ausstellungen halten auch sie mit der „Aura des Originals“ das Vergangene gegenwärtig. Sind keine Relikte des Vergangenen am originalen Ort erhalten oder ist ein Geschehen nicht mehr zu „verorten“,

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übernehmen symbolische Orte die Funktion des Originalschauplatzes. Denkmäler, Hinweistafeln, aber auch Ausstellungen und ganze Museen oder Gedenkstätten kennzeichnen sowohl authentische als auch symbolische Orte dauerhaft und machen das damit verbundene erinnerungswerte Ereignis „greifbarer“. Orte sollen helfen, sich zu erinnern: Man sucht das Grab eines Menschen auf; ist dieses unbekannt, nimmt diese Funktion ein Gedenkstein oder Mahnmal ein, wie im Falle von unzähligen „Kriegerdenkmälern“ für die Soldaten des Ersten Weltkrieges.

Veränderte Bedingungen Authentische Orte können aber auch verloren gehen, etwa wenn die letzten Ruinen des Zweiten Weltkrieges einem Einkaufszentrum oder die Grundmauer eines mittelalterlichen Klosters einem neuen UBahntunnel weichen. Schon bald wird es keine Überlebenden des Holocaust mehr geben, die den Nachfolgenden Generationen aus erster Hand von ihrem Leiden „Zeugnis geben“ können. Öffentliches Erinnern verändert sich dadurch zwangsläufig. Gedenkfeiern, Schweigeminuten, Kranzniederlegungen, Mahnwachen, Konzerte, Ansprachen, Vorträge, aber auch Zeitzeugenaussagen gehören nach wie vor fest zum Ritualrepertoire öffentlichen und kollektiven Erinnerns. Aber auch sie sind dem Wandel unterworfen, weil sie jüngeren Generationen nicht mehr verständlich sind oder deren Bedürfnissen nicht mehr entsprechen. Neue oder andere Formen öffentlichen Erinnerns zu finden und historisches Wissen zu vermitteln sind daher wichtige bildungsund kulturpolitische Aufgaben.

Dokumentieren, vermitteln, erinnern, diskutieren Wer sich erinnert oder andere an etwas erinnert, kreiert Realität. Privates, persönliches Erinnern ist emotional und manipulierbar. Öffentliche Erinnern ist zeitabhängig, zeitgeistabhängig, instrumentalisierbar und nie zweckfrei. Alle, die neue oder andere Formen, um Vergangenes gegenwärtig zu halten, finden möchten, aber auch alle, die sich herkömmlicher und bewährter Formen öffentlicher Erinnerungskultur bedienen, haben deshalb eine besondere Verantwortung. Verantwortungsvolle Erinnerungsarbeit benötigt vor allem eine seriöse faktische Basis: sorgfältige Forschungsarbeit, eine umfassende Dokumentation von historischem Wissen und eine permanente Überprüfung der gefunden Ergebnisse. Sie erfordert ständiges Verhandeln KulturGut 02 | Seite

und Überdenken von Inhalten und Formen und sie erfordert eine offene, demokratische und faire Diskussionskultur ohne Denktabus, aber mit klaren Spielregeln. Denn: Jede Beschäftigung mit Vergangenem ist Rekonstruktion, jede Erinnerung eine Konstruktion.

Info: Dr. Bettina Keß studierte Kunstgeschichte, Volkskun-

de, Geschichte, Romanistik und Kulturmanagement in Würzburg und Hagen. Sie ist Geschäftsführerin der Agentur Kulturplan für Ausstellungskonzeption und Kulturmanagement in Veitshöchheim. Sie wurde von der Stadt Würzburg als Leiterin des Projekts „Rahmenkonzeption Dialog Würzburger Erinnerungskultur“ berufen.

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Konsequenz und Kontext Engagement und Wissenschaft kultivieren die Erinnerungsarbeit von Burkhard Hose / Illustration: Tilman Dominka

+ Es ist zunächst einmal eine erfreuliche Beobachtung: In Würzburg bieten immer mehr Gruppierungen zu Gedenktagen wie dem 9. November oder dem 27. Januar, dem Tag der Auschwitz-Befreiung, Veranstaltungen an. Zeitzeugengespräche, Gedenkwege, Lesungen und Konzerte machen deutlich, dass das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Erinnerung in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppierungen Fuß gefasst hat. Gerade weil solch ein großes Interesse besteht, ist es an der Zeit, sich Gedanken zu machen, in welcher Form und in welcher Qualität solche Feiern ablaufen können. Und in welcher nicht. So sollten Erinnerungen nicht auf eine reine „Betroffenheitsschiene” verschoben werden. Wird nur die Gefühlsebene angesprochen, kann sich mit der Zeit eine Gleichgültigkeit breit machen, die sich gerade bei jungen Leuten in Äußerungen niederschlägt wie: „Es muss doch endlich mal Schluss mit diesen alten Geschichten sein.“ KulturGut 02 | Seite

Eine praktische Herausforderung… Einer solchen Reaktion – und auch der Abstumpfung durch eine „Inflation” von nebeneinander laufenden Gedenkveranstaltungen – kann aus meiner Sicht zweierlei vorbeugen: Erstens muss deutlich werden, dass Erinnerung auch Konsequenzen hat. Natürlich hat Erinnerung an sich schon den einen Sinn, der Opfer zu gedenken und ihnen mit unserer Erinnerung ihre Würde zurückzugeben. Darüber hinaus braucht Erinnerung aber auch eine Zukunftsausrichtung. Mit der zunehmenden zeitlichen Distanz zur NS-Zeit wächst gerade bei jungen Menschen die Frage: „Was geht uns das eigentlich noch an? Nicht einmal meine Eltern hatten mit der Ermordung der Juden zu tun.“ Dagegen ist klarzumachen: Geschichte ist keine abgeschlossene Zeitlinie, die nur theoretisch und rückblickend studiert wird. Vielmehr ist sie auch eine praktische Herausforderung, denn sie fordert und sie fördert bestimm-

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te Haltungen von heutigen Zeitgenossen. Die Geschichte ist zwar vergangen, aber die Verantwortung für die Gegenwart, die aus dieser Geschichte hervorgegangen ist, tragen wir heute. Diese Auswirkung von Erinnerungsarbeit müssen wir in Zukunft noch stärker bedenken. Zweitens muss zum Gelingen einer lebendigen Gedenkkultur eine angemessene Kontextualisierung gewährleistet sein. Es sollte immer erfahrbar werden, aus welcher Motivation heraus und mit welcher Zielrichtung eine bestimmte Gruppe ein bestimmtes Ereignis erinnert. Studierende brachten zum Beispiel den Wunsch auf, in der Hochschulgemeinde eine Veranstaltung zur Reichspogromnacht zu planen. Allerdings finden zu diesem Thema jährlich bereits mehrere Veranstaltungen in Würzburg statt, an denen die Interessierten teilnehmen können. Ich habe ihnen also vorgeschlagen, eine Veranstaltung zu organisieren, die auf die studentische Zielgruppe hin ausgerichtet ist und den Gegenwartsbezug der Erinnerung betont. So kam es zu einer Veranstaltung im Juni am Geschwister-Scholl-Platz, die sich dem studentischen Widerstand, der Rolle der Universität während der Nazi-Zeit und der Frage nach heutigem gesellschaftlichem Engagement von Studierenden widmet.

… und eine theoretische Es sollte dabei im konkreten Kontext der Hochschulgemeinden darum gehen, nicht nur an den studentischen Widerstand im Dritten Reich zu erinnern, sondern auch an die Notwendigkeit, sich heute einzumischen, das gesellschaftliche Leben heute als Studierende mitzugestalten. Ohne Kontext und Konsequenzen wird Erinnern zum reinen Ritual. Gerade als Priester weiß ich, dass Rituale immer Gefahr laufen, leer zu werden, sobald sie kontextlos und konsequenzenlos sind. Das kann auch Erinnerungsritualen drohen. Die Reaktion ist Abstumpfung. Wenn neue Wege gesucht werden, dann ist es wichtig, dass einerseits Historiker und andererseits Menschen zusammenkommen, die sich engagieren möchten, aber nicht unbedingt über das Fachwissen verfügen. Erinnerungsarbeit braucht einen kognitiven Zugang – zum Beispiel mit Vorträgen und Zeitzeugenberichten. Sie braucht aber auch einen emotionalen Zugang – Symbole, die andere Sinne als den Verstand ansprechen. Allerdings sollte dieser sinnlichere Zugang nicht nur reine Betroffenheit erzeugen, sondern eingebettet sein in gründliche historische Recherchen. Nun spielen bei der Kontextualisierung außer geschichtlichen Fakten auch Orte eine Rolle. Teilweise fehlen in Würzburg angemessene Plätze, an denen bestimmter Ereignisse gedacht werden kann. Oder es gibt kontextlose Denkmäler. Zum Beispiel steht am GeschwisterScholl-Platz eine Siebold-Büste. Es lässt sich sicher ermitteln, aus welchen Gründen sie dort gelandet ist, aber es wäre zu prüfen, inwieweit die Stelle genau hier wirklich die sinnvollste für diese Büste ist, um eines Tages im Einvernehmen mit der Siebold-Gesellschaft vielleicht einen geeigneteren Ort zu schaffen. Es wäre schön, in der Stadt im Dialog einige Orte zu bereinigen, so dass schlüssig wird: Warum wird genau an diesem Ort an jenes Ereignis gedacht? Aber wo ist der angemessene Ort, sich am 16. März zu versammeln? Soll man sich noch an solch martialischen Stätten wie Kriegerdenkmälern einfinden, um an Opfer zu denken? Auch Begriffe wie „Held“ und „Ehre“ müssen überdacht werden. Begriffe schaffen Bewusstsein, und gerade im Zusammenhang mit Erinnerungskultur sollte daher auf Begrifflichkeit sehr genau geachtet werden.

und Bürger ist. In der Erinnerung an die ermordeten jüdischen Mitbürger geht es um viele ganz einfache Leute, aber auch unabhängig von der Shoa wäre diese Perspektive zu fördern. Statt einer Geschichte aus der Perspektive der Herrschenden finde ich es gerade als Bibliker spannend, dahinter zu schauen: Wie haben normale Leute gelebt? An wen wollen wir uns neben den Fürstbischöfen erinnern? Bei der Beschäftigung mit biblischen Texten ist in den letzten Jahrzehnten der Forschungsbereich Sozialgeschichte in den Vordergrund gerückt. Auch dort geht es nicht mehr allein um die Fragen, wer zu einem Zeitpunkt das Land regiert hat und wer wann Hoher Priester war, sondern auch: Wie haben die Leute gelebt? Wovon? Womit haben sie gehandelt? Das hat Auswirkungen auf das Verständnis von biblischen Texten. Um Vollständigkeit zu erreichen, um Geschichte zu verstehen, braucht es diesen Blick auf das Alltagsleben. Das wirkliche Leben von Juden heute gehört ebenfalls zur Basis einer gelingenden Erinnerungskultur. Ich habe es schon immer für falsch gehalten, Juden auf eine Opferrolle zu begrenzen. Die Konzentration auf die Opferrolle war früher sicherlich gut gemeint, aber kann gerade in der Gegenwart eine nachträgliche Entwürdigung und Ausgrenzung von heute lebenden Juden zur Folge haben. In unserer Arbeit ist es wichtig zu betonen: Die jüdische Kultur ist keine überkommene Historie, sondern sie ist eine lebendige gegenwärtige Kultur. Juden arbeiten in dieser Stadt in ganz unterschiedlichen Bereichen, engagieren sich, versuchen ihr Leben zu organisieren. Zuwanderer aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion bringen ihre eigene Geschichte mit, und darin gibt es ihre eigene Verfolgungsgeschichte. Wir müssen sehen: Die Juden, mit denen wir heute zusammenleben, sind ein Teil unserer Gesellschaft und kein Volk aus der Vergangenheit. Wenn wir bei der Gedenkkultur nicht mit ihnen selbst sehr eng zusammenarbeiten, dann kann es soweit kommen, dass wir ihnen von außen eine Erinnerung überstülpen, die zu einer neuen Ausgrenzung beiträgt. Doch auch an diesem sensiblen Punkt zeichnet sich heute bereits ein Wandel ab.

Abgestumpft oder rein ästhetisch sensibel? Bei aller Freude an zunehmender Gedenkkultur wäre es fatal, wenn man sich in einer Stadt Konkurrenz um Erinnerung macht. Daher sind Vernetzung und Abstimmung wichtig, und Würzburg ist auf einem guten Weg, dahin zu kommen, dass einzelne Gruppen für bestimmte Daten zuständig sind. Eine solche Koordination darf nur eins nicht: neue Initiativen verhindern. Vernetzung und Aufgabenteilung beugen einer Inflation der Gedächtnisveranstaltungen vor – und damit einer Gefahr der Abstumpfung. Schließlich ist nach meiner Überzeugung darauf zu achten, dass Erinnerung nicht ästhetisiert und damit domestiziert wird – fatal wäre ein Gedenkkonzert zum 16. März als reiner Kunstgenuss. Erinnerung darf und muss auch stören, aufrütteln und irritieren. In dieser Richtung sollte die reiche Würzburger Kulturszene mutig weiter denken und agieren.

Geschichte von unten

Info: Der Hochschulpfarrer Burkhard Hose ist Vorstands-

mitglied der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Würzburg und – Stichwort Bibliker – Bundesvorsitzender der Diözesanleiter des Katholischen Bibelwerks.

In der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit versuchen wir seit je darauf zu achten, dass die Perspektive auf die Geschichte keine Perspektive der Herrschenden, sondern der Bürgerinnen KulturGut 02 | Seite

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Verdrängen oder funktionalisieren Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus lief in Deutschlands Osten und Westen verschieden. 20 Jahre nach der Vereinigung stellen sich immer noch neue Aufgaben von Dr. Eckart Dietzfelbinger / Illustration: Tilman Dominka

+ 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges besteht in Deutschland betreffend der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus eine ausgeprägte Erinnerungskultur als Teil des demokratischen Selbstverständnisses. Sie ist mit einer eigenen Geschichte verbunden. Die Sowjetunion als Siegermacht vollzog in der von ihr kontrollierten Zone und späteren DDR den Übergang vom Kapitalismus zum realen Staatssozialismus. Dieser Systemwechsel beseitigte zumindest im Nachhinein jene sozioökonomischen Verhältnisse, die damals nicht nur unter Kommunisten als entscheidende Voraussetzung für den Aufstieg der NS-Bewegung und die Errichtung des NS-Staates angeseKulturGut 02 | Seite

hen wurden. Für die öffentliche Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur galt von Beginn an der kommunistische Antifaschismus-Begriff als ideologisch verbindlich: Faschismus als äußerste Konsequenz des dem Imperialismus innewohnenden „Drangs nach Reaktion und Gewalt“. Das Militär spielt dabei eine zentrale Rolle.

Zum Gedenken verpflichtet Die gesellschaftliche Neuordnung gegen die Fundamente der bürgerlichen Gesellschaft und die Instrumentalisierung des Antifaschismus waren die Legitimation des Staates DDR. Dazu gehörten vor allem die

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in den späten 1950ern und Anfang der 1960er Jahre entstandenen „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten“ in den ehemaligen KZ Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen. Das öffentliche Gedenken erfolgte in stark ritualisierten Formen. Widerspruch oder gar Kritik wurde nicht geduldet; zu schnell galt man als Regimegegner, als illoyal, als Faschist, Opportunist und Agent des kapitalistischen Auslands. In dem vorherrschenden materialistischen Welt- und Geschichtsbild gab es keinen Ansatz, die kulturellen und politischen Voraussetzungen der Rassenideologie, die Rassenpolitik und die „Endlösung der Judenfrage“ als eine zentrale Zielsetzung des NS-Staates zu erkennen. Verdeckt wurden ferner zahlreiche personelle Kontinuitäten früherer Nationalsozialisten, deren Unterscheidung in „aktive“ und „nominelle Nazis“ vielen von ihnen aufgrund der funktionalen Erfordernisse der Güter- und Dienstleistungsversorgung im Wiederaufbau eine Anpassung an die neuen Verhältnisse und eine Fortsetzung ihrer Karrierewege in den Institutionen der DDR ermöglichte. In der Bundesrepublik war das Ausmaß noch wesentlich größer.

Die westdeutschen Phasen Hier lassen sich mit Bezug auf Staat und Gesellschaft nach Aleida Assmann drei Phasen des Erinnerns an die NS-Zeit unterscheiden. 1.) Kollektives Beschweigen: Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung versuchte in den ersten Nachkriegsjahren die täglichen Probleme wie die schwierige Versorgungslage zu lösen. Ein tieferes Nachdenken über Schuld und Verantwortung für die NS-Verbrechen oder die Attraktivität des Nationalsozialismus mit dem selbsternannten „Führer“ Adolf Hitler für viele Menschen gab es von ihrer Seite nicht. Trauer und Sorge galten vor allem den eigenen Toten, den deutschen Kriegsgefangenen, Vermissten und Vertriebenen. Ferner versuchte dieses selektive Gedenken mit der Zuschreibung von Gräueltaten an die Siegermächte, insbesondere die Sowjetunion, die NS-Verbrechen zu relativieren. Der Zeitgeist im einsetzenden Kalten Krieg zwischen West und Ost mit dem Antikommunismus beförderte diese Absicht. 2.) Das Fragen nach der Vergangenheit: Seit Mitte der 1960er Jahre begann sich in der Bundesrepublik das Verhältnis der Deutschen zur NS-Vergangenheit zu ändern. Mit dem Auschwitz-Prozess in Frankfurt (20. 12. 1963 bis 20. 8. 1965), der vierteiligen Verjährungsdebatte im Bundestag sowie dem Heranwachsen der zweiten Generation blieb die Auseinandersetzung darüber nicht mehr eine fast ausschließliche Angelegenheit offizieller Deklarationen und der Politik, sondern wurde allgemein zu einem Gegenstand aktiven Fragens, Forschens und Nachdenkens. Diese zweite Phase stand im Zeichen der familiären, juristischen und historischen Aufklärung. Die Studentenbewegung beförderte diesen Prozess. Dagegen blieb die Akzeptanz des „Dritten Reiches“ in weiten Teilen der westdeutschen Bevölkerung beträchtlich. Noch in den 1970er Jahren hielt die Mehrheit der vom Allensbacher Institut für Demoskopie befragten Deutschen die Zeit von 1933 bis 1939 für den besten und erfolgreichsten Abschnitt in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

zieht sich ein Umbruch der Erinnerungs- und Gedenklandschaft. Die Zeit des „kommunikativen Erinnerns“, d.h. der Möglichkeit, mit der Erfahrungsgeneration der NS-Zeit zu reden, geht zu Ende. Es findet ein „Wechsel vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis“ statt (Jan und Aleida Assmann). Nach dem Epochenbruch mit dem Untergang der Sowjetunion 1989 und dem Ende des Kalten Krieges hat sich die Lage zusätzlich kompliziert. Am 3. Oktober 1990 trat die DDR dem Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland bei. Die politische Elite bekannte sich 1996 – im Bewusstsein dieses Wechsels und der politischen Veränderungen – mit der Bestimmung des 27. Januar zum öffentlichen Gedenktag an die Befreiung des KZ- und Vernichtungslagers Auschwitz, mit dem Parlamentsbeschluss zur Errichtung des „Holocaust-Denkmals“ in Berlin 1999 sowie mit der Verabschiedung der Bundesgedenkstättenkonzeption im gleichen Jahr formell zum Erinnern an die NS-Opfer bzw. zum negativen Gedenken als einer nationalen Aufgabe. Sie lässt sich auch als „Nationalisierung negativen Gedenkens“ umschreiben.

So wird es weitergehen Die Erinnerungskultur in Deutschland bleibt schwerpunktmäßig auf den Nationalsozialismus gerichtet. Er ist der primäre, kontrastive Bezugspunkt und wird auch nicht durch die DDR-Vergangenheit relativiert. Erinnern und Auseinandersetzung darüber finden nicht mehr am Rande, sondern in der Mitte der Gesellschaft statt. Die seit 1989 erheblich erweiterte und dezentral strukturierte Gedenkstättenlandschaft in Deutschland mit mehr als 60 ganzjährig geöffneten Einrichtungen bietet dafür vielfältige Möglichkeiten. Das kollektive Gedächtnis wird immer stärker durchformt von den Instrumenten und Möglichkeiten der Medien. Erinnert wird, was medial präsent ist. Das Gedächtnis an den Nationalsozialismus wird internationalisiert. Vergleiche mit anderen Genoziden stehen der Erinnerungskultur in Deutschland nicht entgegen. Der Weg vom kommunikativen ins kulturelle Gedächtnis – Erinnern ohne die Generation der Zeitzeugen – im 21. Jahrhundert ist vorgeschrieben. Er erfordert zeitgemäße didaktische wie kommunikative Vermittlungsformen. Vergangenheit aber ist nicht zu bewältigen. Negatives Gedenken bzw. Erinnern an die Opfer der nationalsozialistischen Rassenpolitik eignet sich nicht zu irgendeiner Sinnstiftung, ob parteipolitisch, religiös oder national. Es ist in seinem Kern nichts anderes als willentliche und bedachte Selbstbeunruhigung, die in Verantwortung umschlagen soll, nicht zivilreligiöse Magie noch Schuldfaszination bzw. -verewigung.

Eine nationale Aufgabe wird festgeschrieben

Info: Dr. Eckart Dietzfelbinger studierte Geschichte,

Sozialkunde und Deutsch und promovierte in Politikwissenschaften. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Er veröffentlichte u.a. „Nürnberg – Ort der Massen. Das Reichsparteitagsgelände – Vorgeschichte und schwieriges Erbe“ (gemeinsam mit Gerhard Liedtke), Berlin 2004; „Antisemitismus in Franken im 20. Jahrhundert“, in: „Antijudaismus und Antisemitismus in Franken“, Franconica judaica Band 3, Ansbach 2008.

3.) „Vergangenheitsbewahrung“: Seit dem Ende der 1980er Jahre begann sich die Form des Vergangenheitsbezugs zum Nationalsozialismus in der Bundesrepublik erneut zu verändern. Die Zentralstellung des Holocaust/der Shoa, des Völkermords an den europäischen Juden und anderen Minderheiten im 20. Jahrhundert der Menschheitsverbrechen war zu diesem Zeitpunkt von der Geschichtsschreibung international anerkannt und ist inzwischen universalisiert. Ferner vollKulturGut 02 | Seite

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„ Kinder, ihr habt da etwas nicht kapiert!“ Die Stolpersteine von Gunter Demnig sind als weltgrößte dezentrale Skulptur ein radikaler Gegenentwurf zum zentralen Gedenken. Denn das ist ein „Abschieben in den Mahnbereich“, sagt der Künstler von Iris Wrede / Fotos: Tilman Dominka, Benita Stolz / Illustration: Tilman Dominka

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+ „Zentrale Gedenkstätten muss man nicht besuchen“, stellt Gunter Demnig fest und setzt im Gegenentwurf mit seinem Projekt „Stolpersteine“ bei der Beiläufigkeit, der Alltäglichkeit des Erlebens an. Wen die glänzenden Messingplatten im Boden zum Innehalten bringen, der lernt an Ort und Stelle etwas über die Realität des Grauens vor der eigenen Haustür. Circa 25.000 Stolpersteine für die Opfer der NS-Zeit hat Demnig inzwischen in Europa verlegt – eine soziale Skulptur, die immer wieder zu Widerständen und Diskussionen, zu Begegnungen und Aktionen führt. Ursprünglich mit dem Untertitel „Größenwahn“ als rein konzeptuelles Kunstwerk geplant und nicht zur Realisierung vorgesehen, ist die Aktion „Stolpersteine“ aktuell eines der konkreten Beispiele für Kunstprojekte im öffentlichen Raum, die im deutschen Pavillon der Expo 2010 in Shanghai gezeigt werden. KulturGut: Warum sollen sich die Menschen erinnern? Gunter Demnig: Es ist vor allem für Jugendliche sehr wichtig zu erfahren, wie so etwas im Land der Dichter und Denker passieren konnte. Das fragen die auch und sind selbst am Forschen. In Trier zum Beispiel haben Jugendliche von sich aus die Verbindungslinien von Trier nach außen gefunden zu den umliegenden Dörfern, zu den dortigen Familien und zu jetzt noch Lebenden in der ganzen Welt. Wie viele Steine sind inzwischen verlegt? Kennen Sie die aktuelle Zahl? Nach den letzten Wochen, die ich unterwegs war, sind es über 25.000. In den letzten drei Wochen habe ich in dreißig Orten bis hin nach Ostrava 277 Steine verlegt. Ich verlege dabei nicht alle Steine selbst. Es gibt Helfer, was ich mir auch wünsche. Zum Beispiel gibt es in Bielefeld eine Berufschulklasse für Pflasterer, die das Thema im Unterricht bearbeitet haben und dann losgehen und die Steine verlegen. Die meisten mache ich aber selbst, da die Paten das möchten. Könnte das Verlegen der Steine zur Routine werden? Nein. Das Verlegen ist zwar perfekt, die wollten mich schon als Pflasterer anstellen. Die Planung, die Herstellung, das Aussuchen des Ortes um den Stein zu verlegen, das alles gehört zusammen. Das Projekt ist ein Gesamtkunstwerk. Es ist eine soziale Skulptur geworden: Wenn man sich überlegt, was da zusammenkommt, Angehörige, Zeitzeugen, die plötzlich nach 60 Jahren den Mund auftun. Ju-

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gendliche, Kinder, die plötzlich Fragen stellen. Ich hatte neulich ein Erlebnis mit einer Fünfjährigen, die schon lesen konnte und den Text entziffert hat. Plötzlich sagte sie: „Aber Mami, das war doch noch ein Baby!“ Geboren 1941, deportiert und ermordet. Das hat sie voll begriffen. Mir standen die Haare zu Berge. Auch die Definition Stolpersteine stammt ja nicht von mir, sondern von einem Hauptschüler. Er wurde bei einer Veranstaltung interviewt und gefragt: „Stolpersteine, das ist doch gefährlich, da fällt man doch hin. Da sagte er: „Nein – man fällt nicht hin – man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen.“ Ich glaube schöner kann man das nicht sagen. Sind Sie zufrieden mit dem Verlauf Ihres Projektes? Was sagen Sie zu den Widerständen? Das gehört dazu. Es wäre schon fast komisch, wenn es keine Widerstände geben würde. Und der Widerstand kommt aus den unterschiedlichsten Ecken. Zum Beispiel, wenn Neonazis einer Kommune applaudieren, weil sie dort die Steine nicht haben wollen – das ist wunderbar, denn das setzt es in das richtige Licht. In München hat man sich gegen die Stolpersteine entschieden. Glauben Sie, dass es dort trotzdem irgendwann Stolpersteine geben wird? Ich denke, der Oberbürgermeister hat sich dort so in sein ‚Nein’ verrannt, dass er da nicht mehr rauskommt. Aber Frau Knobloch, die Präsidentin des Zentralrates hat inzwischen erkannt, dass sie mit ihrer Haltung sehr einsam dasteht. Haben Sie noch Zeit für andere Projekte? Ich habe so unterschiedliche Dinge in meinem Leben gemacht. Aber das ist jetzt irgendwie mein Lebenswerk. Es ist ja nicht aus dem holen Bauch entstanden. Es gab vorher Arbeiten, wenn ich die nicht gemacht hätte, gäbe es jetzt die Stolpersteine nicht. Es hat eines zum anderen geführt. Wenn ich mich nicht getraut hätte, die Spuren zu legen, hätte ich nicht die Roma-Sinti-Spur gemacht. Wenn ich die Bleirollen nicht gemacht hätte, hätte ich keine Schlagbuchstaben auf den Stolpersteinen gehabt. Wenn ich damals die Professur in Saarbrücken bekommen hätte, hätte ich sicherlich etwas ganz anderes gemacht. Morgen fliegen Sie zur Expo 2010 in Shanghai – was repräsentieren dort die Stolpersteine?

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Sie stehen als Beispiel, wie die Deutschen mit dem Thema Vernichtungspolitik 1933 bis 1945 umgehen. In Shanghai werden 16 Steine für allen Opfergruppen gezeigt. Sinti, politisch, christlich verfolgte, glaubensmäßig verfolgte, Euthanasieopfer, Schwule. Das ist ein wichtiger Kern meines Projektes, womit ich mich auch ganz bewusst von dem Projekt von Lea Rosh in Berlin absetze. Es ist Platz für alle Opfergruppen. In ganz Europa. Es fehlt noch ein bisschen was, aber acht Staaten sind es schon. Wie sollten die Gedenkstätten von heute aussehen? Müssen wir umdenken? Mein Projekt ist ein Gegenprojekt gegen zentrale Gedenkstätten. Zentrale Gedenkstätten muss man nicht besuchen. Aber über die Stolpersteine stolpert man. Vor seiner Haustür – oder beim Besuch einer anderen Stadt. Es ist dieser Effekt des Wiedererkennens, der mir wichtig ist – und nicht das Abschieben in irgendeinen Mahnbereich. Das Grauen ging ja von dort aus, wo die Menschen ihre Heimat hatten: Sie wurden von dort weggerissen, und Auschwitz war dann das Ende. Das ist ein ganz zentraler Punkt für mich. Auch der so genannte „Wohnungswechsel“ war ja eine soziale Runterstufung, verbunden mit Demütigung und Entrechtung. Die Menschen haben nicht freiwillig ihre Wohnungen verlassen, sondern sie hatten Berufsverbot – das hieß, die Miete konnte nicht mehr bezahlt werden, sie mussten in preiswertere Wohnungen umziehen. Was macht man mit den alten Monumenten, den Kriegsdenkmälern? Ich denke, sie sind immer noch sehr wichtig, vor allem, wenn Namen genannt werden. Zum Beispiel die Namen der Menschen, die ihr Leben für einen idiotischen Krieg lassen mussten. Nur – wenn ich mir dann zum Teil anhören muss, man könne ja die Stolpersteine neben diesen Denkmälern verlegen, weil das ja auch Opfer waren, dann kann ich nur sagen: Kinder, ihr habt da etwas missverstanden. Die Opfer, die ich meine, sind bewusst und willentlich geopfert, ermordet worden durch die Regierung. Nach allem, was ich weiß, nach all den Steinen die ich verlegt habe, kann mir inzwischen auch niemand mehr erzählen, „keiner hat etwas gesehen“ oder „keiner hat etwas gewusst.“ Wenn ich Zeugenaussagen höre wie hier in Köln „die werden wir nie wieder sehen“, sagt das, glaube ich, genug. In gewisser Weise war auch die Beobachtung durch die Bevölkerung da. Welche Gedenkstätte hat Sie persönlich beeindruckt? Mauthausen, denn es hat diese Faszination des von außen eigentlich Schönen. Und wenn du dann drin bist, merkst du die Brutalität, du siehst die Baracken und weißt, was da passiert ist. Auch Auschwitz ist beeindruckend. Aber Mauthausen hat mich am meisten getroffen. Dient Erinnerungskultur manchmal nur der Gewissensberuhigung? Nein, das sehe ich nicht. Ich bin Konzeptkünstler. Jeder einzelne Stein ist ein Mensch. Ein Individuum. Zusammen genommen sind diese Steine inzwischen ein Kunstdenkmal geworden. Ich glaube das größte, das es auf der Welt gibt. Für mich der Aspekt der sozialen Skulptur wichtig, bei der Menschen zusammenfinden. Mit Widersprüchen, das ist klar. Auch die überlebenden Zeitzeugen, solange es noch welche gibt und deren Angehörige, die Enkelgeneration, manchmal sogar die Urenkel, die nichts wussten, nicht informiert wurden. In Freiberg in Sachsen war die Familie aus Israel zur Stolperstein-Verlegung angereist. Als wir am Ende zusammen standen, sagten sie: „Wir wissen gar nicht, wie er ausgesehen hat, es ist alles vernichtet worden.“ Da verschwindet plötzlich einer im Haus, kommt wieder mit einem Klassenfoto und sagt: „Das ist er. Er war mein Schulfreund.“ Es die Situationen, in denen du weißt, warum du das alles machst.

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InfoS: Der Künstler Gunter Demnig (* 27. Oktober 1947

in Berlin) erinnert an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbstgewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir einlässt. Seit Projektbeginn 1996 wurden ca. 25.000 Stolpersteine in Deutschland und in mehreren Ländern Europas verlegt. | www.stolpersteine.com | www.stolpersteine-wuerzburg.de

25 JAHRE THEATER AM NEUNERPLATZ – KINDER-SOMMER-THEATER „KALAF DER TIGERFÜRST“AB 30. JULI 2010


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Nest-Schmutz/ Nest-Wärme/ Nest-Putz Gibt es hitlerbeschattete Bunker in der Städtischen Galerie Würzburg? Die Notwendigkeit einer Nest-Säuberung von Peter Roos / Fotos: Valentin Schwab / Illustration: Tilman Dominka

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Aufklären! Aufklärung kommt immer und nie zu spät. Würzburg ist ein Fall, ein überfälliger. Oder: 65 Jahre nach dem Kriegsende 1945. Die Enquete zur Nazi-Kunst der Grünen im Bundestag vor mehr als zwei Dezennien – spurlos am Main vorübergegangen. Klaus Staecks paradigmatischer Appell, sich endlich mit der NS-Kunst auseinanderzusetzen – verpasst. Alle anderen Aufrufe seither hörbar überhört.

mann) zu desinfizieren, ihn auszusitzen als Querulanten, der die geregelten Kreise und aseptischen Quadrate von konkreter Kunst+Poesie in ihrer rührenden Selbstgenügsamkeit stört, die so unpolitisch nicht sein muß wie präsentiert.

Antworten?

Wann eigentlich wurde die „Städtische Galerie“ ins Leben gerufen? Wer war ihr Gründer? Wer waren dessen Auftraggeber? Woher kam das Geld? Welche Etats aus welchen Budgets standen zur Verfügung? Was stand im ästhetischen Programm? Gab es einen Sammel-Auftrag? Waren politische Begehrlichkeiten festgeschrieben? Wer wurde ausgestellt, gesammelt? Vor allem: Wer nicht? Warum? Und: Welche politischen Verhältnisse herrschten damals, welche Staatsform bestimmte?

Jedenfalls: So war das vor 20, vor 10 Jahren bei Kulturspeichers: Der Frager hatte sich zu rechtfertigen! Nicht die Institution! Klassischer Fall von Beweislastumkehr zur Rettung des eigenen Bestands. Also frage ich jetzt noch einmal meine Fragen von vor 20 Jahren. Und ich frage noch einmal nach den Dunkel-Kammern der „Städtischen Galerie“, den „Depots“, die vielleicht „Braune Bunker“ sind oder „Bunker mit Braunem“. Weiß ich’s? Und ich sage den Verantwortlichen: Die Zeit der Beweislastumkehr ist vorbei. Über das eh historisch Offensichtliche, über politische Fakten-Selbstverständlichkeiten muß doch 2010 nicht auch noch gestritten werden! Oder? Unstatthaft war sie, diese Beweislastumkehr, schon immer, nicht erst schon 1990. Oder 89. Oder 88. 87. Oder. Damals wurde ich von der Institutionsleitung mit meinen NS-Fragen, mit meiner Hermann-Gradl-Neugierde abgeferkelt: “Da iss Nix!“ „Da kann Nix sein!“ „Haben Sie Nix Anderes zu tun?“ Dann: „Muß das sein?“ Und schließlich: „HUCH! Das gibt Probleme!“ Endlich: “Ich will keinen Ärger!“

Genügt das Jahr 1941? Genügt der Name Heiner Dikreiter? Genügt es zu wissen, daß die Gründung der „Städtischen Galerie“ im Auftrag der nationalsozialistischen Stadtregierung vonstatten ging? Dürfen Fragen gestellt werden? Details erfahrbar sein? Transparent? Öffentlich? Heute? Ohne den Interessierten als unbotmäßigen Frager zu diffamieren, ihn auszuputzen als „Nestbeschmutzer“, als „unbequeme Klette“ (Buhl-

Original-Dialog damals mit Galerieleiterin Frau Dr. Britta Buhlmann. Die Erfahrungen mit ihrer Nachfolgerin, Frau Dr. Marlene Lauter, in Sachen NS-Kunst und Kunst-im-NS und Geschichte-des-Hauses-im-NS waren nicht produktiver. Nicht zielführend. Ihr Interesse: Zero. Und, immer wieder: „Huch!“ „Huch!“ als kunstpolitisches Argument.

Die Rekord-Verspätung einer Bereinigung, die ranzig schon riecht, hält einsam und alleine Würzburgs „Städtische Galerie“, neudeutsch „Kulturspeicher“. Eine öffentliche Institution. Bürgersteuerfinanziert. Vereinderfreundealimentiert. Mit Sammlungen im Licht, mit Depots im Dunkeln. Mit beschattenen Gemälden an der Wand, mit verschatteter Geschichte – wo? Andernorts weiß man längst innerhalb der Institutionen-Geschichte, den Blick auf das eigene Haus zu wenden, mit Selbst-Historisierung die Eigen-Analyse zu betreiben. Fraglos. Das ist üblicher internationaler Standard des „state-of-the-Art“. Wenn schon nicht staatsbürgerliche Pflicht-Erfüllung, die sich von selbst versteht!

Fragen!

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Nahezu niedlich. Wenn NS und NS-Kunst und Kunst-im-NS niedlich wären.

textualisiert im Staub- und Schlag-Schatten der Keller der Galerie von 1945 bis 2010.

Hasenfüßig auch die Haltungen, hörbar für den, der in den FreundesKreis des Speichers der Kultur in Sachen NS-Kultur hineinhört, hineinfragt: „Wecken Sie keine schlafenden Hunde!“ „Rühren Sie ja nicht daran!“ „Ihr Buch Hitler Lieben gehört eh auf den Index! Vor allem das Kapitel 18 über die ‚Städtische Galerie’!“ „Ach Schande, man sollte die braune Kacke einfach verkoofen!“ Endlich: „Die arme Marlene!“ “Belasten Sie damit nicht unsere Frau Doktor Lauter!“ Freundeszirkel und Dunstkreis des Speichers der Kultur, der Speicher der Erinnerung ist.

Dieser Hermann Gradl beispielsweise. Jahrgang 1883. Gebrauchsgraphiker und Idyllenmaler, erklärter Lieblings-Landschafter von Adolf Hitler. Hitler, der acht Gradlbilder an der Jury vorbei ins münchner „Haus der Deutschen Kunst“ hängte; Hitler, der ihn 1939 zum Direktor der Akademie der Bildenden Künste der Stadt der Reichsparteitage Nürnberg machte; Hitler, der dem Hobbymaler eine eigene Landschaftsklasse mit Professorenwürde einrichtete gegen den Widerstand der Fach-Professoren; Hitler, der ihm höchstdotierte Staatsaufträge anvertraute – wie mit den 6 Monumentalmalereien deutscher Heimat für den Speisesaal der Neuen Reichskanzlei. Honorar der Dekoration: 120.000,00 Reichmark; Hitler, der für seine privaten Wände Braunauer und Bayreuther Sujets in Auftrag gab und für eine „Mainlandschaft“ RM 23.000,00 überweisen ließ; Hitler, der Glückwunsch-Telegramme schickte; Hitler, der ihn auf seine Führer-„Liste der Gottbegnadeten“ setzte und darüber hinaus auf die „Sonderliste“ der hoch privilegierten „Zwölf Unersetzlichen Künstler des NS“; Hitler, der ihm solvente Kunden wie Goebbels, Göhring, Ribbentrop, Speer, zuführte; Hitler. Dieser ominöse Hermann Gradl, großer Sohn der Stadt Marktheidenfeld, deren Ehrenbürger und Straßenpatron also hat 1963, ein Jahr vor seinem Tod, der Stadt Würzburg 300 Zeichnungen und 50 Gemälde vermacht, da er freundschaftlich, künstlerisch und politisch mit Heiner Dikreiter verbunden war.

Also, bis heute: Vermeiden. Verschweigen. Verharmlosen. Hinhalten. Ridikülisieren. Runterspielen. Jungfräuliche Unschuld gemimt auf der Insel der Seligen, verfolgte Unschuld am Hafen des Main-Strands. Mainstream? Nicht mehr! Diese Zeiten sind vorbei.

Suchen! Die Institution und ihre wohldotierten Leitungsgremien, sie haben sich endlich wegen Unbotmäßigkeit und Pflichtverletzung zu rechtfertigen. Nicht die Investigatoren haben sich zu rechtfertigen, die ob erfahrener Obstruktion penetrant werden, weil sie die Vernebelung durchdringen wollen. Denn: Uns Allen steht längst längst längst zu, zu wissen, was beispielweise an Werk und Wort des Hermann Gradl im Dunkeln gebunkert wird, und warum wir das Alles nicht sehen können, nicht sehen sollen, nicht sehen dürfen, nicht vorgeführt bekommen und erklärt. Aber. Nicht in einer hagiographischen Personale wie einst in Gradls Geburtsort Marktheidenfeld. Nein! Sondern: historisch, politisch, ästhetisch, kunsthistorisch aufgearbeitet, ausgestellt im Rezeptionszusammenhang von 1933 bis 1945, konKulturGut 02 | Seite

Fragen! Stimmt das Datum? Stimmen die Zahlen? Was, Frage, ist mit diesem Vorlaß passiert? Was nicht? Welchen Nachlaß bürdet der Vorlaß der Stadt auf? Wie, Frage, kommt Gradls unvollendete, unveröffentlichte Auto-Biographie, verfasst nach 1945, in Original-Handschrift und Schreibmaschinen-Transkription, unverhohlen nazistisch, explizit gegen die „entartete Kunst“ gerichtet, in die Städtische Sammlung? Briefe? Manuskripte?

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Wie die lebensgroße Messing-Büste, die sein politischer BildhauerKollege Alois Rauschhuber von ihm gefertigt hat, politisch passgenau mit passgenauer „Hitlerbürste“ zwischen Nase und Oberlippe? Handelt es sich, Frage, bei dieser ominösen Erbschaft um reine Gradliana? Oder fänden sich dabei womöglich Gemälde anderer Autorenschaft aus anderweitigem, eventuell jüdischem Besitz? Gemälde, die Gradl eventuell hätte arisiert haben können? Das Studium seiner Entnazifizierungsakte, unerlässlich, sollte hier aufschlussreich sein. Wurden in diesem einen speziellen Fall, und wurden überhaupt Provenienz-Forschungen, den Galerie-Bestand betreffend, getätigt, wie dies pflichtgemäß seit Jahren in seriösen Instituten so zu sein hat? ­Inklusive Mainfränkisches Museum, inklusive Martin-von-Wagner-Museum ? Gab es, Frage, Kontrakte zwischen Hitlers Hofmaler und Heiners Hofhaltung, was mit den Gradyllen zu geschehen habe? Existiert da nicht eine Kartei in der Bürokratie der Galerie, die einige Gradleien als verschwunden und oder verschenkt und oder vertauscht und oder getauscht und oder verkauft ausweist? War das statthaft? Frage. Fragen.

Verstehen! Jedenfalls. Hier wird Material gehortet, inkognito, verschwiegen, verschwiemelt und verschämt. Hier wird ein brauner Schatz verbunkert! An dessen Nazi-Partei-Nummer 7848329, an dessen Palette, an dessen Sujets, an dessen Rahmen und Formaten, an dessen Kirchen-Aus- und Partei-Ein-Tritten, an dessen Post-45er Rotarier-Mitgliedschaft, an dessen Post-45er KundenFreunden Radio-Grundig, sowieso Tempo-Taschentücher-AriseurQuelle-Millionär Schickedanz exemplarisch zu entfalten wäre: der komplette Kosmos von Kunst und Kommerz und Kommando der Macht und der Märkte. Und dabei noch Erklärungs-Modelle für die Welt des 19. und 20. Jahrhunderts. Und für unseren Lebenszusammenhang jetzt jetzt jetzt! Wir, die sogenannten Nachgeborenen des Glücks – was wir mit dem ganzen alten Nazi-Kram überhaupt zu tun hätten, falls wir, Frage, es überhaupt wissen wollten:

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Wie würden wir uns an Stelle von Hermann Gradl verhalten haben, wenn der Diktator Adolf persönlich an die Ateliertür klopft? Wenn die reichsmarkschwere Karriere startet? Wie, wenn durch diese Karriere der Kunst-Markt-Platz besetzt wird, der beispielsweise einem drei Jahre älteren genuinen Künstler zugestanden hätte, einem, geboren im nahen Aschaffenburg, Kirchner mit Namen, Ernst Ludwig, dem eine vergradlte Nazi-Laufbahn 1938 das „entartete“ Leben gekostet hat. Kirchner, einer von denen, die „grauenhafte moderne Kunst verzapften!“, wie Gradl gradlte, der selbst dagegen „mit aller Kraft“ und seinem „ganzen Können das von unserem Führer geschaffene, wundervolle dritte Reich u. insbesondere unsere fränkische Heimat im Bilde verherrlichen“ wollte, „um es dem deutschen Volke noch näher zu bringen!“ Selbstverständlich salutierend: “Mit dem Führer!“ Das Treffen mit jenem war ihm „der Höhepunkt meines Lebens!“ Unvorstellbar, daß dies Alles überhaupt noch ein Thema ist! Wovor drückt sich der Gradl-Nazi-Kunst-Besitzer namens Kulturspeicher? Wer soll da wovor geschützt werden? Wo beginnt, wo endet Bürgerpflicht und kunst-politischer Auftrag? Wann sind die Grenzen von Aufklärung erreicht? Verdunklungsgefahr? Welche Interessen, wessen Interessen werden in der Galerie vertreten? Warum werden Keller und Karkassen nicht geöffnet, warum wird nicht gelichtet, nicht gelüftet, nicht belüftet, nicht belichtet?

Wagen! Warum nicht und ganz selbstverständlich den Versuch einer generationellen Gesamt-Schau wagen! Eine Zusammen-Schau, eine NebenEinander-Stellung, eine Gegen-Über-Stellung, eine Synopse wagen von Leben, Atem, Biographie, von Geschichte, Politik, Kunst, von Musik, Literatur, Graphik. Eine Synopse mit Noten, Wörtern, Farben, mit Symbolen, Daten, Dokumenten. Eine Synopse, die an einzelnen Exponaten vorführt, wie einzelne Künstler sich wann, wie, wo, warum-darum verhalten haben, wofür entschieden, für wen Partei ergriffen? Eine Synopse, positioniert in Würzburg, mit hiesig-lokalem und fränkisch-regionalem Personal: * beginnend mit dem Tauberbischofsheimer Komponisten Richard Trunk, Jahrgang 1879, Parteigenosse, Präsident der NS-Tonkunstaka-

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demie München, führender Nazi-Chor-Komponist, erfolgreicher Schirach- und Johst-Vertoner; * kontrastiert mit Leben und Werk des Film-Chanson-Komponisten und Pianisten Norbert Glanzberg, Jahrgang 1910, Jude mit würzburger Lebenshintergrund, erfolgreicher Piaf-Vertoner – er mußte ins Exil; * konterkariert von Hermann Zilcher, Jahrgang 1881, Musiker und Pädagoge, Parteigenosse, Namensgeber des Würzburger Konservatoriums, Mozartfest-Gründer und als hoher Nazi-Kulturschaffender auf Hitlers „Gottbegnadetenliste“ geführt; * gegenübergestellt dem Lebenslauf des Schriftstellers Leonhard Frank, Jahrgang 1882, der wegen seiner politischen Einsichten, seiner literarischen Aussagen zweimal in die Emigration flüchten mußte; * ergänzt von der Vita des jüdischen Würzburger Arztes und Autors Max Mohr, Jahrgang 1891, einer der meistgespielten Stückeschreiber seiner Zeit, Emigration nach Shanghai; * illustriert vom exemplarisch-neusachlichen Oeuvre des Carl Grossberg, Jahrgang 1894, Wohnort Sommerhausen, dessen Projekt „Industrieplan“ von 1933 genau so zu befragen wäre wie sein 1934er Monumental-Auftrag für die Ausstellung „Deutsches Volk – Deutsche Arbeit“, wie die 1934er Kestner-Ausstellung in Hannover, wie die Essener Retrospektive bei Folkwangs 1935; * quergestellt die Agrarbebilderungen des Oskar Martin Amorbach aus Amorbach, Jahrgang 1897, 1939 zum Professor ernannt, 1943 mit der Leitung der Historienmalerei an der Akademie der Künste Berlin betreut, 1945 plötzlich zum Klerikalkünstler zu Würzburg mutiert; * parallelgeführt vom sogenannten „Gradlgrün“ des entnazifizierten bloßen „Mitläufers“ und Ex-PG Hermann G., der vor 45 anläßlich einer Personaldebatte in Hitlers Kunst-Akademie zu Nürnberg dekretierte: “Es scheint Ihrer Aufmerksamkeit entgangen zu sein, daß die von Ihnen vorgeschlagenen demokratischen Gebräuche im nationalsozialistischen Deutschland nicht mehr üblich sind!“ Pause. „Heil Hitler!“ * Krönend: Ernst Ludwig Kirchner, Jahrgang 1880, drei Jahre älter als Gradl, dafür 26 Jahre früher gestorben - ein radikales Leben für ein radikales Werk.

Würzburger Winzermännle? Mit dem Sympathie-Träger aller Frankenweinverkoster und Traubentropfenschlürfer, dem Weinstubenwändedekorateur, dem Logolieferanten aller Homburger und Weinfeste der Region, Speisekartenillustrator, dem Weindeckelverzierer und Bocksbeutelbemaler? Welche Stellwand, welchen Herrgottswinkel reservieren wir unserem allseits beliebten, deftig-kernigen, also diesem richtigen Richard Rother vom Jahrgang 1890? Direkt aus dem Spessart an die Rebenzeilen des Mains gekommen, wo er als der weinselige Kollaborateur und gemütliche Mitläufer den schöppelnden GauleiterGraphiker gibt. Der der vereinigten fränkischen Nazi-Prominenzen und großdeutschen Nazis mit Nazi-Runen ihre Nazi-Visitenkarten und Nazi-Exlibris und Nazi-Geburtsanzeigen und Nazi-Postkarten fabrizierte - 1945 konnte er plötzlich den Namen „Hitler“ nicht mehr buchstabieren und ließ wissen, wie Millionen andere absolut harmlose Mitläufer auch, er habe sich den offiziellen Partei-Aufträgen nicht verweigern können. Aber bis 1980 hat er ungebrochen seine völkelnden Holzschnitte gedruckt, nur eben nicht mehr „sei“ gereimt auf „Juden und Säu“. Die Nazi-Fraktur bleibt dieselbe. Prost!

Der Autor: Peter Roos

Jahrgang 1950. Lebt in Marktheidenfeld und Wien. Freier Schriftsteller und Kultur-Korrespondent der Hamburger Wochenzeitschrift „Die Zeit“. Sein Männerbriefroman „Du pinkelst ja im Sitzen“ spielt in Würzburg. Sein Buch „Hitler Lieben. Roman einer Krankheit“, in dem er das Leben der gestapogejagten Würzburger Musikstudentin Ilse Sonja Totzke der Künstlerkarriere des Nazi-Malers Hermann Gradl gegenüberstellt, ist in der Bibliothek der „Städtischen Galerie“ nicht vertreten. Abbildungen: Archiv Altes Rathaus Zimmern

Schöppeln? Und was veranstalten wir in unserer umfassenden AufklärungsSchau, unserer Lehr- und Lern-Synopse mit dem absolut politik-freien KulturGut 02 | Seite

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Sollen Touris gedenken? Und wie gehen die Würzburger mit „dunklen Zeiten“ um? Erfahrungen der Würzburger Gästeführer von Sonja Wagenbrenner / Illustration: Tilman Dominka

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+ Ein Ausflug in die Stadtgeschichte? Im Museum eher langweilig, finden zumindest viele Jüngere. Im barocken Prunk der Residenz schwelgen? Schon eher. Geschichte in Geschichten verpackt, von lebendigen Führern präsentiert? Warum nicht! So lässt sich die Motivationslage der meisten Würzburg-Besucher zusammenfassen. Den einsamen Weg in die stadtgeschichtliche Abteilung des Mainfränkischen Museums auf der Festung finden nur die wirklich Interessierten. Die anderen erfahren über die Geschichte meist nur das, was die Stadtführer ihnen vermitteln. Eine von ihnen ist Susanne Dreier. Sie ist sich sicher: „Grundsätzlich ist jedes Thema spannend, es kommt nur darauf an, wie es verpackt ist.“ Zwar ziehen Kunst und Kulinarik, Nostalgie und Kitsch, berühmte Persönlichkeiten oder Sex and Crime in der Regel mehr als die „harten Themen“, da sind sich die Kollegen einig. Aber auch die Nazi-Zeit, der Zweite Weltkrieg und seine Folgen stoßen auf Interesse. Deshalb gehen die Führer mit ihren Gruppen auch gern in den Rathaus-Gedenkraum zur Zerstörung Würzburgs am 16. März 1945 – eine wichtige und die einzige Ausstellung zum Thema direkt in der City. Das Modell und die Fotos der ausgebrannten Stadt, die Bombenexemplare und die Namen der Toten machen die Folgen der Zerstörung auf einen Blick begreifbar und das heutige Stadtbild verständlich. Hier werden die Gäste ernst und still. Vor allem Kinder und Schüler – egal, welches Vorwissen sie mitbringen. Lisa, 13 Jahre, Hauptschülerin aus Hardheim im Odenwald, sagt: „Mir wurde hier plötzlich bewusst, wie wichtig den Menschen damals ihre Heimat war. Unglaublich, was die Würzburger geleistet haben, um ihre Stadt wieder aufzubauen!“ Viele Besucher, ob jung oder alt, teilen diese Bewunderung, vor allem für die Leistung der „Trümmerfrauen“. Die Älteren erinnern sich hier oft an die Zerstörung ihrer eigenen Stadt. Von den Würzburgern, die an Themenführungen teilnehmen oder zufällig daneben stehen, kommen häufig sehr persönliche Kommentare wie: „Wir haben die Stadt vom Weinberg aus lichterloh brennen sehen“ oder „Ich bin als kleiner Junge über die zerstörte Domstraße gelaufen, und überall lagen die Leichen.“ Verständlich, dass auch 65 Jahre nach dem Angriff der britischen Bomber vor allem bei älteren Würzburgern noch Emotionen hochkommen, manchmal sogar Tränen. Gästeführerin Elisabeth Nickel hat dabei aber „oft das Gefühl, sie wollten nur hören, wie sehr die Stadt und der Einzelne gelitten haben. Und nicht, was letztlich zum Angriff geführt hat“ – nämlich das Regime der Nazis und die Kriegstreiberei eines Mannes namens Hitler. Antje Hansen empfiehlt in solchen Momenten immer sehr wachsam und auch mal spontan zu sein: „Vor allem mit Würzburger Zeitzeugen sollte man äußerst sensibel umgehen und sie einfach ein wenig erzählen lassen, auch wenn man im Zeitdruck ist.“ Nur selten werde der Ton aggressiv, so ihr KolleKulturGut 02 | Seite

ge Sebastian Karl, der auch schon mal Einwürfe gehört hat wie: „Das war ein Kriegsverbrechen, das war auch nicht besser als das, was die Deutschen gemacht haben.“ Dann könne man das nicht unkommentiert lassen, müsse Tatsachen zurechtrücken und versuchen aufzuklären. Rudi Held erzählte seinen Gästen einmal von Hunderten Wehrmachtssoldaten, die noch in den letzten Kriegstagen gefallen sind, als sie Würzburg im Häuserkampf verteidigen mussten. Da habe plötzlich ein alter Mann in der Tür gestanden und gerufen: „Das war eine vaterländische Tat!“

Generationen wechseln Tenor einer Rundfrage unter Würzburg Gästeführern: Die geschichtsbewussten Würzburger und die meisten Besucher von außerhalb zeigen sich eher aufgeschlossen, auch für die dunklen Seiten ihrer Geschichte. Das hängt aber auch von Generation und Bildungsgrad ab. Die jüngeren sind oft schlecht informiert, von den Älteren „lassen sich eh nur die auf unangenehme Fakten ein, die sich nicht dafür verantwortlich fühlen“, so beispielsweise Daniela Schüler. „Die eventuell persönlich verstrickte oder schuldig gewordene Generation stirbt ohnehin gerade aus.“ Auswärtige Gäste wissen oft wenig über die Geschehnisse in Würzburg um den Zweiten Weltkrieg herum. Viele sind überrascht zu hören, dass die Stadt so schwer getroffen wurde. Das Schicksal von Dresden und der Frauenkirche ist dagegen allen bekannt. Außerdem kommt schnell die Frage nach dem „Warum?“ – wo Würzburg doch gar nicht kriegswichtig gewesen sei. Die typischen, oft auch erregten Anmerkungen der Gäste: „Unnötig zu diesem späten Kriegszeitpunkt!“ oder „Ein Terroranschlag auf unschuldige Zivilisten!“ Erst nach ausführlichen Erläuterungen der Stadtführer werden viele kleinlaut. „Im Gedenkraum weise ich dann gerne auf das Nagelkreuz von Coventry hin“, sagt Angelika Serger. „Es erinnert an den Angriff der deutschen Luftwaffe auf die englische Stadt im Jahr 1940, bei dem fast 600 Menschen starben. Das Kreuz steht auch für eine weltweite Versöhnungsinitiative.“

Stimmen aus der Ferne Wer mit Gästen aus dem Ausland im Gedenkraum unterwegs ist, formuliert sicher besonders vorsichtig. Gerade vor Briten oder Besuchern aus anderen Staaten des früheren Bündnisses gegen Hitler. US-Amerikaner gingen mit dem Thema am Pragmatischsten um, registriert Sebastian Karl: „Sie sehen sich vor allem als Befreier vom Nazi-Regime und gehen davon aus, dass wir Deutsche das auch so sehen – eben als aufgearbeiteten und abgeschlossenen Teil der Geschichte, der sogar etwas Völkerverbindendes hat.“ Hans-Georg Bauner erlebt oft andere

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Reaktionen: „Bei Franzosen und Schweizern kommt im Gedenkraum mitunter der Verdacht auf, die Deutschen wollten ihre Kriegsschuld durch das Aufzeigen der Zerstörungen hierzulande relativieren.“ Auch Julius Goldmanns französische Gäste sind gelegentlich verstimmt, verstehen die Darstellung als Vorwurf: „Sie fühlen sich indirekt beschuldigt, denn für sie ist dort nur das Ausmaß der Zerstörung und des Leids aus Sicht der Deutschen zu sehen. Das Nagelkreuz von Coventry ist wegen seiner ungünstigen Position oben an der Decke für die meisten kaum sichtbar und seine Bedeutung wenig bekannt.“ Ist diese Dokumentation des Würzburger „Schicksalstags“ lückenhaft? Julius Goldmann meint ja. Wenn sich hier nicht die Gewichtung ändere, gerieten Vorgeschichte und Ursachen der Zerstörung allzu leicht in Vergessenheit: „Es wäre sinnvoll, wenn beispielsweise Bilddokumente zur Würzburger Bücherverbrennung oder zu den Deportationen ergänzt würden. Denn nur so ergibt sich ein einigermaßen chronologisches Bild dessen, was alles während der Nazizeit in Würzburg passiert ist.“ Auch andere Kollegen wünschen sich textliche Ergänzungen an Tafeln und im Infoblatt, mehr Vorher-Nachher-Fotos einzelner Gebäude, eine strukturiertere Anordnung der Ausstellungsstücke, modernere Grafiken oder ein ganz frei stehendes Modell. Ansonsten sei der Raum ideal, um das Thema – als eins von vielen – in einer zweistündigen Führung eindrücklich zu behandeln, meint Rudi Held. Mehr als ein paar Minuten Zeit bleibt dafür meist sowieso nicht: „Für uns ist es ganz wichtig, dass der Gedenkraum genau da bleibt, wo er ist: zentral gelegen, leicht zugänglich, fast immer geöffnet und die wichtigsten Fakten darin anschaulich dargestellt.“ Die Folgen des Kriegs seien außerdem an jeder Ecke Würzburgs sichtbar, so der langjährige Stadtführer: „Zum Beispiel an den fehlenden Holzfiguren in der Marienkapelle, am Aussehen des Doms... Davon abgesehen müssen wir als Führer das Unterhaltungsbedürfnis unserer Gäste befriedigen, darauf haben sie schließlich auch ein Recht.“

Image-Fragen Würzburg sympathisch präsentieren, aber auch kontroverse Themen ansprechen und bewusst machen, dass es früher wie heute keine einfachen Lösungen für komplizierte Sachverhalte gibt: Das wollen die meisten Stadtführer. Professionell vorgebracht und maßvoll dosiert kommt diese Mischung bei den Gästen auch gut an. Erinnerung braucht eben auch Kultur. Und ist immer sehr persönlich, sagt Daniela Schüler. Für sie gibt es beim Gedenken an den 16. März nichts Besseres als das Mahngeläut der Würzburger Kirchen jedes Jahr: „Während dieser 17 Minuten kann sich jeder seine ganz eigenen Gedanken machen zu den Gründen und Folgen des Angriffs. Eine irgendwie schweigende und sehr freie Form des Erinnerns, über die ich froh bin.“

Sollte aber eine neue Ausstellung zur Geschichte Würzburgs finanzierbar sein, in der City gelegen und ganzjährig geöffnet, dann würden das viele Kollegen begrüßen. Antje Hansen sieht „den Bedarf bestimmt. Gerade auch für Schulklassen aus Würzburg wäre eine ständige Präsentation wirklich sinnvoll.“ Aber nur, wenn sie wenig oder gar keinen Eintritt kostet, sonst ist die Schwelle zu hoch. Möglichst anschaulich und wissenschaftlich fundiert müsste solch ein Forum sein, so der Tenor, aber eben ohne „pädagogischen Zeigefinger“. Auf jeden Fall sollten dort auch andere wichtige Themen reflektiert werden: der Bauernkrieg, die Juden- und Hexenverfolgungen, die Rolle der Kirche, der Wiederaufbau und das Wirtschaftswunder oder Fragen der Stadtgestaltung. KulturGut 02 | Seite

Info: Die Autorin ist seit 2005 Vorsitzende des ­Würzburger

Gästeführer e. V. Der Verein bietet im Sommerhalbjahr die sonntäglichen „Stadtverführungen“ an und unterstützt mit Spendensammlungen zum Weltgästeführertag kulturelle Projekte in der Stadt. 2010 kommen die Spenden der Neugestaltung des ­Rathaus-Gedenkraumes zugute. | www.wuerzburger-gaestefuehrer.de

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Mensch, wie lebst du? „Das Große Welttheater“ macht den Kiliansplatz zum Freilichttheater von Michael Frank / Fotos: Gleb Polovnykov und Nico Manger

+ Ab Mitte Juli wird Schauspieldirektor Bernhard Stengele verstärkt hoffnungsvolle Blicke gen Himmel richten. Mit dem Wetter steht und fällt sein Vorhaben – öffnet der Himmel zu unpassender Zeit die Schleusen, müssen die Vorstellungen entfallen. Ein Risiko, das Freilichttheater mit sich bringt. Aber ein Risiko, das in Anbetracht des Stücks und des Spielorts gerne eingegangen wird: Mit dem Schauspielensemble des Mainfranken Theaters inszeniert Stengele ab 19. Juli Calderóns „Großes Welttheater“ auf dem Kiliansplatz zwischen Dom und Neumünster. Die Inszenierung ist Teil des Projekts „Endspiel. Würzburger Apokalypse 2010“ der Diözese Würzburg. Die Auswahl des Stücks und des Spielorts erscheinen in diesem Zusammenhang um so schlüssiger und erzeugen erwartungsvolle Spannung, nicht nur, weil Freilichtaufführungen immer eine besondere Herausforderung an alle Beteiligten bedeuten. Im Schweizerischen Einsiedeln bewies man ab 1924 über mehrere Jahrzehnte hinweg, dass Calderóns „Großes Welttheater“ gut als Freilichttheater inszeniert werden kann. Calderón, der von 1600 bis 1681 lebte, war Hofdramatiker des spanischen Königs, Priester und Soldat und gilt bis heute als Meister des spanischen Theaters. Geprägt vom 30-jährigen Krieg schreibt Calderón seine Stücke in voraufklärerischer Zeit, verleiht ihnen philosophische Tiefe. Für die deutschsprachigen Bühnen wird er im 19. Jahrhundert von den Romantikern wiederentdeckt, übersetzt und hoch geschätzt. So wagte sich auch Joseph von Eichendorff an eine Übersetzung des „Großen Welttheaters“. Die war eine Grundlage für Inszenierungen in Einsiedeln. Hier wurde das Stück als Sakraments- oder Mysterienspiel aufgeführt. Doch wie hält man es im Würzburg des Jahres 2010 mit dem „Großen Welttheater“? Wie hält man es mit dem Stück eines Autors, dessen Werk tief geprägt ist von den christlich-moralischen und philosophischen Einstellungen des 17. Jahrhunderts, geprägt von einer unerschütterlichen Amtskirchentreue? Bernhard Stengele ist überzeugt, dass das Stück in Würzburg ein großes Publikum erreichen und begeistern kann. Das Grundverständnis ist hier in katholisch geprägter Region vorhanden, unabhängig davon, inwieweit man noch gläubig ist und mit der Institution Kirche übereinstimmt. In ostdeutschen Bundesländern oder in Berlin müsste eine Inszenierung wohl völlig anders angegangen werden. Nach Stengele erwartet uns in Würzburg kein Sakraments-, sondern ein unterhaltsames Schauspiel. Wenn zwischen Dom und Neumünster Gott die Welt zur Bühne werden lässt und die Menschen das „Spiel vom Leben“ aufführen, werden sie zwar in Versen sprechen, aber nach einer neuen deutschen Übertragung von Gerd Kübel und Wolfgang Franke. Wenn der König als „Die Macht“, der Landmann als „Die Mühsal“, der Bettler als „Das Elend“ vor das Publikum treten, wird es darum gehen, was die einzelnen Figuren aus ihren Rollen, aus ihrem Leben, das ihnen Gott gegeben hat, in der kurzen Zeit bis zum Tode machen. Wie wird die Beurteilung über ihr irdisches Dasein ausfallen? Wie moralisch war ihr Handeln und wie kritisch sehen sie ihre eigenen Rollen in diesem Welttheater? Da sind Schauspieler durchaus auch unzufrieden mit den zugeteilten Rollen, Kritik am großen Regisseur klingt durch, KulturGut 02 | Seite

Sicher kein Kostümstück: Bernhard Stengele inszeniert Calderón.

die Allmacht und Unfehlbarkeit Gottes wird angezweifelt. Die modernen Botschaften sind klar: Mensch, denk nach! Wie lebst du? Wie handelst du? Welchem Stern folgst du in deinem Leben? Was ist Moral für dich? Gibt es moralische Vorbilder? Gerade in Zeiten wie heute, in denen Vertrauen in Kirche, Politik und Wirtschaft in einem so hohen Maße erschüttert und zerstört werden, sind Fragen nach der Moral von größter Bedeutung. Ganz gleich ob religiös oder atheistisch eingestellt. Das Stück birgt etliche grausame Momente und Gedanken, trotzdem wird es auch humorvoll. Das Publikum darf gespannt sein, wie dieses „Große Welttheater“ schließlich doch zu einem guten Ende geführt werden wird.

Info: Vorstellungen ab 19. Juli, Vorverkauf im ­Mainfranken

Theater und im Falkenhaus. Die Vorstellung entfällt bei Regen; Schlechtwetterentscheidung um 19 Uhr an der Abendkasse, Hotline (0931) 386 123 45.

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Irgendwie planlos Improvisationstheater ist Kunst, das sagen auch Theater-Experten – und Würzburg ist ein kleines Impro-Mekka von Daniel Staffen-Quandt

+ Stellen sich drei Menschen auf die Bühne und haben keine Ahnung, was gleich passiert. Das ist, kurzum, ideales Improvisationstheater. Kompromisslos und irgendwie ein wenig planlos. Für die Schauspieler – und auch für das Publikum. „Man muss im Moment sein, loslassen, leer sein“, sagt Nadine Antler, Mitglied der Kaktussen, der wohl bekanntesten und erfolgreichsten Impro-Gruppe der Stadt. Überhaupt: Die Würzburger Improtheater-Szene reicht mit ihrer Aktivität und Professionalität weit über die Größe und Bedeutung ihrer Heimatstadt hinaus.

„Unser Stil“ Für diese inzwischen überregionale Bedeutung der Szene sind vor allem die Kaktussen rund um Nadine Antler und Florian Toperngpong verantwortlich. Als die beiden vor ungefähr zehn, elf Jahren die Gruppe gründeten, war Improtheater in Deutschland noch relativ unbeKulturGut 02 | Seite

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kannt. „Ich hab’ in Erfurt an der FH studiert und hatte da eine sehr umtriebige Theaterpädagogik-Professorin“, erinnert sich Antler. Bei einer Werkschau zum Semesterende sah sie zum ersten Mal Improtheater live auf einer Bühne. Sie „wusste sofort: Das will ich auch machen.“ Kurze Zeit später organisierte Antler während eines Praktikums im Würzburger Jugendkulturhaus Cairo einen ImprovisationstheaterWorkshop. „Völlig uneigennützig“, sagt sie und lächelt verschmitzt: „Das war für uns der Startschuss.“ Die ersten drei Jahre über traf sich die Sozialpädagogin mit ihren Mitspielern mehr oder weniger zum Ausprobieren. „Jeder hatte so ein paar Bücher über Improtheater gelesen – und dann haben wir fast alles mal ausprobiert. Das war die Kokon-Phase, so haben wir unseren Stil gefunden.“ Wer beim Improvisieren gut sein will, muss auf verschiedenen Ebenen lernen. Zum einen das Handwerk. Neben dem Schauspielen wird von Improtheater-Akteuren aber auch noch Storytelling, Gesang und Reimen gefordert; schließlich spielen sie kein Stück nach, sie erschaffen es just erst in dem Moment, in dem sie auf der Bühne sind. Zum anderen ist es die Philosophie des Improvisationstheaters, sich auf einen Spielpartner einzulassen, ein gutes Team zu sein, sich nicht aus EgoGründen in den Vordergrund zu spielen, weil man der Tollste sein will. Alles, was Nadine Antler für das Spielen auf der Bühne lernt, kann sie auch im richtigen Leben gebrauchen. Leer sein, bei sich sein und loslassen können – fast wie im Zen-Buddhismus: „Man muss die Prinzipien zuerst einmal verstehen – und dann in den Bauch sacken lassen. Und das braucht Zeit.“

Kunst + Leben = Kleben Sei bereit, dich auf vollkommen neue Dinge einzulassen. „Das muss man verinnerlichen, das muss man leben“, sagt Antler. Das gilt nicht nur für das Spiel auf der Bühne, sondern für das ganze Leben. Wer immer nur Schnitzel, Pommes und Salat isst, anstatt auch mal den Inder um die Ecke zu besuchen, wird kein guter Improtheater-Akteur. Man muss das Leben spannend halten. Und das geht nur, wenn man ab und zu auch mal ins kalte Wasser springt. Dazu gehört das Scheitern. Nicht jedes improvisierte Spiel kann ein Glanzstück werden. Auch das ist Teil der Improtheater-Philosophie. Das Scheitern hat eine Daseinsberechtigung. Die Frage ist dabei: Wann wird diese Philosophie zur Kunst? „Kunst? Das ist nicht mein Hauptinteresse“, sagt Nadine Antler. Bei ihr klingt das nicht trotzig, nicht wertend. Es ist einfach so. „Für mich ist heißt die Frage eher: Wann liefert man nur noch das ab, was das Publikum erwartet?“ Das ist dann nicht etwa gut, sondern dann hat man das Ziel verfehlt. Der Erfinder des modernen Improvisationstheaters, der Engländer Keith Johnstone, hat es sinngemäß einmal so formuliert: Wenn man dem Publikum immer nur Lustiges präsentiert, weil es das will, ist das so, als würde man einem Kind immer nur Süßes geben. Die Gefahr beim Improtheater ist, dass es die Spieler übertreiben, dass alles zum Klamauk wird. Hauptsache lustig, damit das Publikum zufrieden ist. Ein Irrglaube, den Johnstone sicher nicht wollte, den er aber förderte. Denn bei seiner Form des Theatersports spielen zwei Impro-Gruppen gegeneinander. Das Publikum ist Richter. Nur wer unterhält, darf bleiben. Und Unterhaltung ist für die allermeisten Menschen vor allem: lustig. Dass auch andere Emotionen im Theater unterhalten können, das geht dabei oftmals unter.

kum“, sagt er. Tiefgang zu erreichen, das sei bei Improvisation ganz besonders schwer – aber nicht unmöglich, wenn es jemand gut beherrscht. Noch vor wenigen Jahren hatte Stengele große Vorbehalte in Sachen Improtheater, inzwischen aber ist er ein Fan dieser Theaterform. Er sieht „viele Berührungspunkte mit dem klassischen Theater, aber auch viele Unterschiede“. Einer der größten ist wohl, dass Improtheater nie langweilen darf. „Das ist im klassischen Theater anders. Da sitzt man in Schillers ‚Räuber’, auch wenn man es langweilig findet, weil das so Konvention ist.“ Durch seine sehr spontane Form habe Improtheater „fast etwas Spirituelles, es ist Kunst, die im Augenblick entsteht – das ist dann die größtmögliche Poesie, weil man als Zuschauer an dieser Entstehung unmittelbar teilnehmen kann“, sagt er. Diese Direktheit fasziniert auch Nadine Antler und ihre Kollegen. Während ein Schauspieler zumeist eine Rolle verkörpert, die ein anderer erschaffen hat, sagt der Impro-Spieler, was er denkt, was er fühlt, was er ist. „Das ist meine Botschaft, da ist nichts zwischen mir und dem Publikum“, sagt die Sozialpädagogin. Die Botschaft – und auch das gehört zum Improtheater – ist nie dieselbe, höchstens ähnlich. „Ich versuche immer ehrlich gegenüber dem Moment zu sein“, sagt Antler. Macht das der Spielpartner auch, entsteht eine Art öffentliche Diskussion.

Improvisation um vier Uhr morgens Trotzdem: Auch Improtheater ist nicht immer Improvisation, weil man nicht immer leer sein und loslassen kann. „Dann steht man auf der Bühne und spult auch mal ein Programm ab, ruft Rollen auf, verwendet Klischees und vorgefertigte Versatzstücke“, erklärt Antler. Beim Würzburger Stadtfest gibt es einen „Improtheater-Marathon“. Klingt komisch und ist es irgendwie auch: 48 Stunden am Stück soll improvisiert werden, miteinander, alleine, abwechselnd. Klingt irgendwie auch unglaublich anstrengend. Doch Nadine Antler freut sich riesig darauf. Das hat einen guten Grund. „Ich freue mich auf die Auftritte gegen vier Uhr morgens“, sagt sie und in der Stimme liegt kein bisschen Ironie. „Dann ist jedes Repertoire völlig aufgebraucht. Wenn man dann nicht mehr weiter weiß, muss man improvisieren, es geht gar nicht anders“, sagt sie. Zunächst würden die Auftritte „sicher sehr schlecht“, aber danach „wird es richtig gut“. Dann habe nämlich kein Spieler mehr Angst, dann spielt keiner mehr für sein Ego, niemand will mehr besser sein als andere, man geht Risiken ein. „Das ist Improtheater pur.“ Dass Antler und die Kaktussen das beherrschen, haben sie nicht nur in Würzburg gezeigt. Antler wurde als eine von vier deutschen Spielerinnen und Spielern zum internationalen Improtheater-Festival nach Berlin eingeladen – und die Kaktussen waren eine von zehn Gruppen, die bei der Deutschen Meisterschaft antreten durften. Darauf bilden sich Antler & Co. aber nichts ein. Bei ihrem nächsten Auftritt kämpfen sie wieder um die Gunst der Zuschauer. „Ich weiß es zu schätzen, wenn das Publikum auch mal null Punkte vergibt.“ Scheitern gehört schließlich dazu.

Info: D as Stadtfest Würzburg findet am 17. und

18. ­September auf zahlreichen Bühnen in der ­Altstadt statt. Improtheater-Workshops laufen im ­Jugendkulturhaus Cairo, z. B. ein Anfängerkurs vom 10. bis 12. September. Das 9. Improtheater-Festival dauert heuer vom 28. Oktober bis zum 1. November. | www.improtheaterfestival.de | www.cairo.wue.de

Zauber des Augenblix Darin sieht auch Bernhard Stengele, Schauspieldirektor am Mainfrankentheater, die größte Schwäche des Improtheaters. „Durch die ihm eigene Originalitätssucht wird es schnell zum Kabarett. Denn je witziger man als Spieler reagiert, desto mehr mag einen das PubliKulturGut 02 | Seite

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| Bühne |

| Termine  |

Baal, Was ihr wollt bis 4. September, ­Sommerbühne im Grünen „Jesus starb für uns, Baal lebte für uns“, fasst Regisseur Robert Bedard seine Sicht auf Berthold Brechts „Baal“ zusammen. „Sich selbst verschwendende Energie“ sieht er in der Bühnenfigur zuwerke. Da braucht er schon eine gute Hand, um das Laienensemble auf ein durchtragendes Energie-Level zu heben. Doch es kommt ihm nicht allein und nicht vor allem auf die Kunstfertigkeit an. Wie das Eingangszitat schon nahe legt, geht es ihm um eine moralische Dimension. Die sieht Bedard hinter der „kompromisslosen Destruktion von Wertvorstellungen“ gegeben. Baals Immoralität zwinge uns dazu, unsere Maßstäbe zu reflektieren und gegebenenfalls „andere aufzustellen, die unserem Leben gerechter werden“. Ab 11.8. demonstriert die große Sommerbühne hinter dem theater ensemble (das das Stammhaus der Truppe ist) ihre Shakespeare-Tauglichkeit mit der Komödie „Was ihr wollt“. Bei schlechtem Wetter wird drinnen gespielt. Mi. bis Sa., je 20 Uhr, Telefon (0931) 44545. Karten auch in der Tourist-Information im Falkenhaus | www.theater-ensemble.net ++++++++++++++++++++++++

Von Mäusen und Menschen 3., 16., 21. und 23. Juli, 19.30 Uhr, Mainfranken Theater Sprechtheater im Großen Haus. Manchmal schaffen es Figuren, uns zu berühren. Selten agieren Schauspieler so eindringlich, dass sie uns sogar rühren. Dahin brachte sie Gastregisseur Christoph Diem bei der Inszenierung des John-Steinbeck-Dramas.

Der Saarbrückener beobachtet die psychischen Deformationen seiner Mitmenschen offenbar sehr genau. Wie stellt sich allmählicher Kontrollverlust dar? Wie habitueller Jähzorn? Gibt es einen graduellen Übergang zum Down-Syndrom? Für die Bühnenarbeit dann die Frage: Wie nahe darf sich ein Schauspieler an die klinische Symptomatik heranspielen? Extrem verschiedene Typen sprangen dabei heraus, alle in gleich weitem Abstand voneinander, was auch heißt: alle einsam. Und die wichtigsten dazu verdammt, ihre Geheimnisse zu wahren. Die teilen sie dann doch miteinander, und das muss überraschenderweise gar nicht tragisch enden. Stattdessen kommt die Katastrophe aus einer anderen Richtung, aus der freilich schon lange Gefahr drohte. Obwohl sehr kühl künstlich kalkuliert, oder gerade deswegen – diese Geschichte geht zu Herzen. | www.theaterwuerzburg.de

sind. Dieses Element lässt sich auch in den modernsten Kunstaktionen zwischen Kassel und Venedig auf Anhieb identifizieren: Aha, Dada! „Eine Revue von Anfang bis Ende“ heißt der Abend denn auch im Untertitel. Vor rund eineinhalb Jahrzehnten zettelten die Theatermacher in der Rüdigerstraße schon einmal einen Abend mit klassischen Dadadarbietungen an und bewiesen, dass die Ausfälle gegen die wilhelminische Bürgerlichkeit auch dann, wenn Anna Blume so bekannt ist wie Mona Lisa, nichts von ihrer Aggressivität verloren und keinerlei Musealität angesetzt haben. Britta Schramm, seinerzeit eine der Hauptprotagonistinnen, übernahm diesmal die Regie über sechs Mitwirkende. Mi., Fr. bis So., 20 Uhr | www.werkstattbuehne.com

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Franken Wings

Siehe Dadada

21. Juli bis 14. August, 20.30 Uhr, Schützenhof

bis 24. Juli, ab 18. ­September, 20 Uhr, Werkstattbühne Dada war da: 1916, und dann ein paar Jahre lang. Aber: und immerdar! Ihre umwerfende Effizienz berechnet diese Kunstrevolution aus dem Verhältnis zwischen zeitlicher Kürze der Bewegung einerseits und andererseits dem ungebrochenen Fortrollen dieser Antikunst-Welle durch die Geistesgeschichte. Hugo Ball und Max Ernst (allein diese Namen!), Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck, Kurt Schwitters und ein paar weitere verwegene Gestalten demonstrierten erstmals eine Grundhaltung, die von ihrer Schärfe bis heute nichts verloren hat: absolute Negation, totale Verweigerung – mit Witz! Aufkündigen der Kategorie Sinn – in einem Sinnzusammenhang (dem der Künste), von dem wir Sinnstiftung gewohnt KulturGut 02 | Seite

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Das Freiluftensemble auf der beliebten Ausflugsstation hat sich dem selbstgestrickten Musical verschrieben, das seine Melodien bekannten Pop- und Schlager-Zugnummern entlehnt. Zweites Markenzeichen: Die meist auf zwei Jahre angelegten Eigenproduktionen bestehen auf Lokalbezug mit gequotelten Pointen; so haben sowohl die städtischen Besucher als auch die Landeier auf den Bierbänken was zu lachen, zu grinsen – mit leichten Bosheiten, Fremd- und Selbstverhohnepiepelungen setzen die Schützenhöfler das Publikum in Dauerheiterkeit. Und sich selbst ganz schön unter Druck: Diese Art Komödie funktioniert nur, wenn permanent mit voller Kraft nach vorne über die Rampe gespielt wird. Genau das haben sie aber auch gelernt. Das Kabarettistinnen-Duo Heike Mix und Birgit Süß schloss sich mit dem nicht-


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| Bühne |

| Termine  |  Bamberger Teil des TBC zusammen. Da geht was ab. Zum Verschnaufen gibt’s zwischendurch eine Ballade und/oder einen Chanson von Birgit Süß, der bei der Männerwelt freilich keine richtige Entspannung garantiert; in die aktuelle Produktion „Frankenwings“ wurde Juliette Grecos „Déshabillez moi“ integriert. Ansonsten checkt das Stück durch, was wäre, wenn Giebelstadt ein wirklicher Flughafen würde. Daneben winkt noch ein musikalisches und kabarettistisches Rahmenprogramm. 21. bis 24. und 27. bis 31. Juli, 3. bis 7. und 10. bis 14. August, Hotline 0160 6938590. Karten auch in der Tourist-Information im Falkenhaus ++++++++++++++++++++++++

Kalaf, der Tigerfürst 4. August bis 12. September, Theater am Neunerplatz Zum 25-Jahres-Jubiläum holt das Team Neunerplatz eine Komödie für Kinder aus dem Repertoire des Gründers Thomas Heinemann, und da lohnt sich das Hingehen und Hinsehen auch für Erwachsene ohne Alibikind. Kinder spielen für Kinder unter einer konsequenten Regie, die kein Chaos ausbrechen lässt, wo es nicht ausbrechen soll. In Frido Müllers Inszenierung erlebt auch der Literatur- und Opernkenner eine eigenwillige Melange aus Turandot-Motiven bei Gozzi, Schiller und Puccini. Der Look der Sommerbühne auf dem Vorplatz des Theaters kombiniert die phantasievolle Funktionalität von Neunerplatz-Bühnenbildern mit improvisiertem Charme. Mi. und Fr. bis So., 16 Uhr, Telefon (0931) 415443 | www.neunerplatz.de ++++++++++++++++++++++++

Mirandolina 31. Juli bis 4. September, Freilichtbühne Schloss Maßbach, Goldoni schrieb’s, Mozart Konkurrent Salieri machte eine Oper draus, Peter Turrini baute seine „Wirtin“ nach dem Stoff. Da will auch Rolf Heiermann nicht abseits stehen. Wenn Mirandolina, die schöne Leiterin eines Beherbergungsbetriebs, alle Männerherzen durcheinanderwirbelt und die Spannung keimen lässt, wer denn wohl gleiches mit ihrem tut, dann lässt der Regisseur der Profibühne am Grabfeld sich schon auch von der Commedia dell’Arte der Entstehungszeit dieses Stücks inspirieren. Vor allem verlegt er das turbulente Geschehen aber in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Deren Image ja eh eine Melange aus women’s lib und Geschmacksverirrung anrührt. Nach je einem Stück von Marivaux und Cooney folgt damit der dritte Sommerzeit-Heiterkeits-Hit des Fränkischen Theaters. Falls das Wetter Sorgen macht: Maßbach kann ein Dach ausfahren und die Fußbodenheizung anstellen. Do. bis So., 20 Uhr, 15., 22., 26. und 29. August auch 15 Uhr; Telefon (09735) 235. | www.fraenkisches-theater.de ++++++++++++++++++++++++

Der Trauschein, Es war die Lerche bis 5. September, 20 Uhr, Efeuhof des Rathauses Von den „ersten großen Würzburger EphraimKishon-Festspielen“ unken die Spötter. Tatsächlich stammen beide Stücke der zentralsten innenstädtischen Freilichtproduktion aus der Feder des israKulturGut 02 | Seite

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elischen Satirikers. Ansonsten gibt es aber wenig Grund, den vergnüglichen Abend schlechtzureden. Schon bei den Proben des „Trauscheins“ unter Regie von Brigitte Weber zeigte sich ein stimmiges Timing. Gespielt wird zunächst bis 23. Juli. Ab dem 5. August führt das theater-ensemble-Ensemble „Es war die Lerche“ auf. Für diese Inszenierung kehrt die Wahlberlinerin Angelika Hofstetter als Regisseurin gastweise nach Würzburg zurück. Von der Regisseurin, früher Schauspielerin am Mainfranken Theater, sind durchgreifende Ideen zu erwarten. | www.theater-ensemble.net ++++++++++++++++++++++++

Theaterfest 18. September, 11 Uhr, am und im Mainfranken Theater In der letzten Spielzeit war das Haus zu stark mit der Großproduktion „Orestie“ eingespannt und ließ das Theaterfest ausfallen. Jetzt gibt es wieder Kapazitäten für einen breitenpublikumswirksamen Saisonstart, bei dem sich die Werkstätten, Ensembles und einzelne erste Produktionen vorstellen. Vor allem die Musiker sind schon so weit, um Konzert- und Opernausschnitte beim Theaterfestkonzert ab 19 Uhr aufzuführen. Neben dem Generalmusikdirektor Jonathan Seers und Studienleiter Ulrich Pakusch steigt auch ein Neuer aufs Podium: Der frisch verpflichtete erste Kapellmeister Enrico Calesso macht sich dem Würzburger Publikum bekannt. Um halb elf in der Nacht geht’s abermals musikalisch um ein erstes Mal: „The First Cut Is the Deepest“ heißt das Songprogramm über den ersten richtig fiesen Liebeskummer, das Bernhard Stengele inszeniert – mit dem Pianisten Joachim Werner in der Kammer.


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Neues vom Trommelfell Manu Katché ist ein Headliner des Hafensommers. Aber: Was bedeutet es, ein Instrument zu lernen? Interview: Thomas Williams

+ Emmanuel, kurz Manu Katché erblickt 1957 im fränzösischen SaintMaur-des-Fossés das Licht der Welt, um selbige mit seiner Musik noch ein wenig zu erhellen. Seit rund 20 Jahren zählt er zu den renommiertesten und erfolgreichsten zeitgenössischen Schlagzeugern. Seine Karriere gleicht einem bunten Strauß aus Inspiration, Kreativität und Leidenschaft. Er selbst hat gerade einmal fünf Platten unter eigenem Namen veröffentlicht. Dennoch hat er als Trommler auf unzähligen Veröffentlichungen die Klangwelt auf ein neues Level gehoben. Sein Freundeskreis liest sich wie das Who Is Who der Pop-, Rock- und Jazzgeschichte: Peter Gabriel, Sting und Joni Mitchell, Dire Straits, Simple Minds, Tears for Fears, Jan Garbarek, Joe Satriani, Tracy Chapman, Joan Armatrading, Al di Meola, Jeff Beck… Oft wird sein Stil hilflos in eine Schublade gepresst: Rock, Pop, Weltmusik oder Jazz. Das sind Kategorien, in denen Kritiker denken. Katché selbst reitet auf einer Welle, die solche kategorisierenden Zwänge obsolet macht. Der gebürtige Franzose ist nicht nur Komponist, Sänger, Texter, Perkussionist und Musikproduzent. Darüber hinaus moderiert er eine der erfolgreichsten TV-Musikshows in Frankreich, „One Shot Not!“ Am 10. August wird er im Rahmen des Hafensommer-Festivals mit kongenialer Band auf der Hafenbühne zu sehen und zu hören sein. KulturGut: Ihr neues Werk „The Third Round“ wird von deutschen Musikfachzeitschriften sehr gerne als „die Verheiratung von Jazz und Pop“ bezeichnet. Wie schmeckt Ihnen das? Manu Katché: Gut, sehr gut. Ich liebe diese Umschreibung. Im Ernst? KulturGut 02 | Seite

Ja klar! Deutsche Journalisten wissen alles über Jazz. Nein, jetzt mal im Ernst. Kritiken klingen sehr oft konstruiert und haben selten Substanz. Auch wenn sie manchmal wohlwollend gemeint sind. Für mich entscheidend ist das Publikum, vor dem ich spiele, und da sehe ich die Bundesrepublik ganz vorne. Ich toure bereits eine Zeitlang durch Ihr Land. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Deutschen unerwartet offen sind. Zudem haben sie einen feinen Sinn für wirkliche Qualität. Wie erklären Sie sich das? Das mag daran liegen, dass sie seit jeher mit einer Vielzahl von ­Musikrichtungen tief verwurzelt sind. Das war für mich als Franzose bemerkenswert zu sehen. Besonders, wenn man die Geschichte der Bundesrepublik kennt. Ich jedenfalls kann mich über meine Plattenverkäufe und meine Konzertbesuche hierzulande nicht beklagen. Manche Rezensenten behaupten, Ihre neue Platte sei zu jazzy, um Popmusik zu sein. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich bei „The Third Round“ verstärkt mit Elektro-Bass und Fender Rhodes arbeite. Da bimmelt bei vielen Schreiberlingen automatisch die Jazz-Glocke. Ich habe keine Ahnung, warum das so ist. Vermutlich handelt es sich dabei um eine Art Zwangsstörung. Die Art, wie ich meine Stücke schreibe und strukturiere, ist eher poplastig als Jazz. Sind solche Kategorisierungen für Sie ein Problem oder stehen Sie dem ganz gelassen gegenüber? Kritiker müssen immer etwas erklären. Etwas in Form bringen. Auch wenn sie nicht die leiseste Ahnung haben, wie und was sie erklären sollen. Das Problem ist nur: Musik ist nicht erklärbar! Ich mache ein-

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fach mein Ding und fühle mich sehr gut damit, habe viel Freude an dem, was ich tue. Mein Spiel gibt mir etwas, egal was für ein Etikett daran haftet. Es geht darum, einen leidenschaftlichen Moment zu erleben. Wie experimentierfreudig darf ein Musiker sein? Schauen Sie sich die neuen Platten von Peter Gabriel oder von Sting an. Beide benutzten unterschiedliche Facetten verschiedenster Klangwelten. Sie unternehmen sogar Exkurse in diverse musikalische Epochen, um ihren Sound zu bereichern. Ein ernsthafter Künstler versucht sich auszudrücken, sich zu entfalten. Es geht darum, Neues zu finden. Da darf es keine Grenzen geben! Puristen fordern immer wieder, dass Jazz nicht trivialisiert werden darf. Das heißt im Grunde: ein Jazzer darf nicht poppen! Was sagen Sie dazu? Warum nicht? Ich halte diese Einstellung für nicht mehr zeitgemäß! Man trifft sie hier und da immer mal wieder an. Jazz ist eine Geisteshaltung, das ist richtig, doch was heißt das? Für mich bedeutet Jazz Freiheit, Neugierde und, wie gesagt, die Freude, Neues zu entdecken. Trivialität ist lediglich ein Aspekt von Jazz. Die meisten Kollegen, mit denen ich zusammen gespielt habe, bescheinigen mir, dass mein Spiel regelmäßig genau diese Geisteshaltung ausdrückt. Welche Kollegen? Besonders, wenn ich mit Rock-Musikern spiele. Da steckt allerdings kein Vorsatz dahinter. Seit meiner musikalischen Entdeckungsreise ist es mein Ziel, anders zu klingen. Musikalisch gesehen lebe ich in meiner eigenen Welt. Ich versuche nicht, jemand anderer zu sein. Es KulturGut 02 | Seite

macht mir außerordentlich viel Freude, mit unterschiedlichen Künstlern zu spielen, die oft die abenteuerlichsten Sound-Hintergründe haben. Genau das macht mich innerlich reich. Für mich ist Jazz die Musik von morgen. Mit all ihren Ausdrucksformen und ohne fesselnde Ketten. Was sagen Sie dazu, dass in Frankreich und Deutschland die Zahl der Jugendlichen, die ein Instrument lernen, stetig zurückgeht? Ich halte diese Entwicklung für besorgniserregend. Besonders in meiner Heimat Frankreich. Ich glaube die Situation in Deutschland ist nicht ganz so dramatisch. Hält dieser Trend jedoch an, wird sich das langfristig sehr negativ auf die kommenden Generationen der einzelnen Nationen auswirken. Was bedeutet es, ein Instrument zu erlernen? In erster Linie die Kultivierung der eigenen Seele! Die Persönlichkeit schleift sich fein. Auch wenn die jungen Leute keine professionelle Laufbahn verfolgen, formen sie als Mensch ihre Persönlichkeit. Das halte ich für absolut wesentlich. Seit der Finanzkrise können sich viele Familien, vor allem alleinerziehende Mütter und Väter, Musikstunden für ihre Kinder nicht mehr leisten. Aber es sind nicht nur finanzielle Gründe, die Jugendliche häufig davon abhalten, sich musisch auszubilden. Viele Eltern erkennen den positiven Nutzen, den ein Instrument auf den Zögling haben kann, nicht mehr. Ich versuche meine Schüler immer wieder zu motivieren, indem ich sage: „Wenn du neugierig bist und dich auf Musik einlässt, wirst du vielleicht nicht die Welt verändern. Aber sie wird dich verändern. Und deine Sicht auf die Welt, denn Musik ist Futter fürs Hirn.“

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Marianne Faithfull, Tony Allen und ein Mitglied der Ben J. Riepe Kompanie (im Uhrzeigersinn)

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Unbekannte Schöne Zum vierten Mal bringt der Würzburger Hafensommer ein abenteuerliches und unterhaltsames Programm aus Musik, Tanztheater, Kino und Clubbing. Stammgäste vertrauen auf Qualität, auch wenn sie die Künstler noch nicht kennen von Thomas Williams

+ Zugegeben, wenn man den Plakatanschlag des ungewöhnlichen Kultur-Happenings rastert, taucht im Oberstübchen zunächst die Frage auf: „Wie bitte? Wer spielt da? Kenn ich nicht!“ Zwei Drittel des Programms lesen sich wie ein klingonischer Vers. Das mutet erst mal seltsam an. Schnell wird klar: Es mangelt an den immer gleichen Mainstream-Formaten! Das ist nicht nur gut so, es ist gewollt. Die Wucht der Qualität, die hinter den Künstlernamen steckt, ist auf den zweiten Blick nicht nur mutig und verlockend, sondern gleichsam Schwindel erregend. Mag es zu Beginn des Würzburger Hafensommers im Jahre 2007 noch ein „Problem“ gewesen sein, so genannte No-Names zu präsentieren, hat sich der einstige Nachteil mittlerweile zum Vorteil gemausert.

Aufgeschlossene Gäste Neues zu entdecken gehört zum Hafensommererlebnis wie der Franke zu seinem gemütlichen „basst scho“. Der Spruch: „Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht“ hat sich in diesem Fall selbst verdaut. Dieser Perspektivwechsel ist der beste Beleg dafür, dass man in der Bischofsstadt am Main Großes geschaffen hat. Und das nach gerade einmal drei Jahren. Selbstredend bietet der Hafensommer auch in dieser Saison Grandezza. Wer kann schon von sich behaupten, eine musikalische Lesung mit Pop-Ikone und Schauspielerin Marianne Faithfull auf die Bühne zu zaubern oder Super-Drummer wie Manu Katché oder Tony Allen zu verpflichten? Nicht Viele!

Kleiner Vorgeschmack gefällig? Aber das ist nur der Rahm auf der Milch. Darunter finden sich unzählige Perlen wie zum Beispiel das Tanztheater der Ben J. Riepe Kompanie. Ben J. Riepe, der Tanz und Choreografie an der Essener Folkwang KulturGut 02 | Seite

Hochschule studierte, bei Neuer Tanz in Düsseldorf arbeitete und als Gasttänzer im Ensemble von Pina Bausch im Wuppertaler Tanztheater war, wurde 2008 von der Jury der Tanzplattform Deutschland zu einem der wichtigsten deutschen Choreografen gewählt. Außerdem dürfen sich Fatih Akin-Fans auf ein knackiges, filmisches Leckerli freuen. Im Rahmen des Hafensommers wird dessen RegieHighlight „Soul Kitchen“ zu sehen sein, das national wie international als Meisterwerk gefeiert wurde. Auch für genügend musikalisches Lokalkolorit wurde gesorgt: Die Würzburger Band Conference of the Birds wird unter dem unausgesprochenen Motto „United Jazz- and Rockensemble Würzburg“ an den Start gehen. Dass dabei auch vor stilistischen Tabu-Brüchen nicht zurückgeschreckt wird, ist schon durch die äußerst unterschiedlichen individuellen Biografien der einzelnen Musiker wie Georg Kolb, Peter Wirth, Jochen Volpert, Werner Goldbach, Dirk Rumig, Michael Buttmann und Carola Thieme absehbar.

Dem eigenen Profil vertrauen Der „Wahnsinn“ hat sich also wieder einmal gelohnt – der ungeheure Aufwand, der nötig ist, um einen Kultur-Marathon dieses Ausmaßes auf die Beine zu stellen. Der Würzburger Hafensommer sorgt mittlerweile in der ganzen Bundesrepublik positiv für Aufsehen. Verantwortlich dafür zeichnet eine Allianz aus dem Kulturreferent der Stadt Würzburg, Muchtar Al Ghusain, dem künstlerischen Leiter Jürgen Königer und den weiteren Organisatoren mit Johannes Engels, Ole Kruse und Matthias Strobel an der Spitze. Man gibt sich bisweilen noch kleinlaut. Auf die Frage, wo das Festival im internationalen Vergleich steht, antwortet Jürgen Königer: „Wir orientieren uns nicht unbedingt an der nationalen und internationa-

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Film & Club: Soul Kitchen

len Konkurrenz, ich beobachte jedoch mit Interesse neue Strömungen und aktuelle Ausformungen aller möglichen Szenerien. Auch vor der eigenen Haustür, in Deutschland gibt es an einige Orten Beachtenswertes, z. B. in Moers, Karlsruhe oder Lörrach.“ Eine eigene „sinnliche und inhaltlich bemerkenswerte Programmqualität“ nimmt Königer für sich in Anspruch. Damit habe man ein individuelles Image etabliert und stehe auf eigenen Füßen. Jürgen Königer weiß, wovon er spricht. Als freier Kulturmanager ist ihm kaum noch etwas fremd. Er kennt den Kampf, ein Programm zusammenzustellen, das beim kritischen Publikum bestehen muss. Er kennt die Kruc, frühzeitig mit Agenturen zu verhandeln, wenn man einen „dicken Fisch“ an Land ziehen möchte. Und er hat schon mehrfach miterlebt, dass bei der Planung eines Festivals erstens alles anders kommt, zweitens als man denkt. Sein eigenes früheres Engagement in der Musikbranche war ihm eine gute Schule.

verhalf er der städtischen Veranstaltung zu mehr Glanz. Dass er mit seiner Philosophie richtig liegt, belegt die Tatsache, dass das überregionale Interesse von Jahr zu Jahr stetig steigt.

Ambitionierte Stätte Durch sein sagenhaftes Ambiente setzt sich das Festival deutlich von Konkurrenzveranstaltungen ab. Die einmalige Lage der Bühne auf dem Wasser im Alten Hafen steuert viel zum Reiz bei. Die Nähe zu Institutionen wie dem Kulturspeicher mit seinen bedeutenden Museen und Galerien, dem Kunstverein mit seinem Ausstellungsschiff „Arte Noah“, dem tanzSpeicher, dem Theater Bockshorn und dem ­Cinemaxx macht aus diesem Ort eine moderne, ambitionierte vor allem spannende Kulturstätte.

Qualität als roter Faden Das Leben ist bunt und vielfältig. Diese Erkenntnis spiegelt seine Maxime. Bei der Gestaltung des Programms sollte es keine Beschränkungen geben. Offen soll es sein. Worldmusik, Indie, Jazz, Pop, egal. Hauptsache die Qualität stimmt. Königer möchte Künstler präsentieren, die höchst eigenständig sind – und die in Deutschland überraschen. Künstler, die ihre eigene Identität leben. Die ihre Zuhörer und Zuseher entführen und auf neue Fährten führen. Königer kann gar nicht anders. Ihm geht es um die inhaltliche Vermittlung von Kultur und nicht darum, irgendwelche abgehalfterten Stars zu präsentieren. Wie man so etwas macht, zeigte er bereits zu Beginn des Hafensommers im Jahr 2007. Seinerzeit lag der Themenschwerpunkt bei den lokalen Bands. Königer hört das nicht gerne, doch mit seiner Arbeit KulturGut 02 | Seite

Info: 23. Juli bis 15. August

Kartenvorverkauf Tourist Information Falkenhaus am Markt, Telefon (0931) 37-2398. Einlass an allen Veranstaltungstagen eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn. Kasse: Veitshöchheimer Straße zwischen Kulturspeicher und ehem. Hauptzollamt (heuer nur eine Kasse). | www.hafensommer-wuerzburg.de

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Sister Fa, Françoiz Breut und Fehlfarben (im Uhrzeigersinn)

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 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

| Musik |

| Termine  |

Der Fluss bis 30. September, täglich ab 11 Uhr, Hofgarten Für die Landesgartenschau 1990 kreierte der Würzburger Komponist Burkard Schmidl seine erste musikalisch-hortologische Installation. Jetzt kehrte der Klanggärtner anlässlich des UNESCO World Heritage Day wieder einmal im Hofgarten der Residenz ein. Seine 50-Minuten-Komposition „Der Fluss“, 2008 als Auftragsarbeit für die Landesgartenschau Bingen entstanden, will auf dem so genannten Musikplatz durchschritten werden: je nach Standort verändert sich das Klangerlebnis mit Naturaufnahmen eines Flusses von der Quelle bis zur Mündung. | www.klanggarten.de ++++++++++++++++++++++++

Und ich sah einen neuen Himmel 3. Juli, 21 Uhr, St. Johannis-Kirche Bachchor und Mitglieder des Bachorchesters bestreiten die Uraufführung des Werks von Christian Kabitz anlässlich der Präsentation der Thomas-Lange-Ausstellung „La Melodia Apocalyptica“. An der Orgel Wilhelm Schmidts, der derzeit an der Hochschule für Musik in Würzburg bei Prof. Christoph Bossert studiert. | www.endspiel2010.de ++++++++++++++++++++++++

Die Seligpreisungen 16. und 17. Juli, 20 Uhr, Neubaukirche Der Monteverdichor Würzburg singt César Franck und widmet seine Konzerte den in Würzburg beige-

setzten Geistlichen Engelmar Unzeitig und Georg Häfner, die sich dem nationalsozialistischen Regime widersetzten und im Konzentrationslager Dachau starben. Häfners vorgesehene Seligsprechung war Anlass für den Matthias Beckerts Chor, sich mit dem Oratorium Francks auseinanderzusetzen. Grundlage der 1879 beendete Komposition ist die biblische Bergpredigt mit ihrem „Selig sind...“ Sieben Solisten, Alexandra Steiner (Sopran), Barbara Bräckelmann (Mezzosopran), Sonja Koppelhuber (Alt), Robert Morvai (Tenor), Tobias Rathgeber (Tenor), Jens Hamann (Bariton) und Johannes Weinhuber (Bass) sowie die Mainphilharmonie beteiligen sich an dieser monumentalen Klanginszenierung. Der Monteverdichor gewann heuer den zweiten Preis beim Deutschen Chorwettbewerb. Vorverkauf: Deußer, Karmelitenstr. 34, Telefon (0931) 57526 ++++++++++++++++++++++++

Mark Knopfler 17. Juli, 20 Uhr, Festung Marienberg Den deutschen Auftakt seiner Europa-Tournee 2010 absolvierte der 60-jährige Brite sitzend, strikt den Anweisungen seines Arztes folgend: „Ich darf nicht stehen, nicht laufen, nicht rennen und auch nicht tanzen.“ Was der Ökonomie und Virtuosität seines Gitarrenspiels und der Freude des Frankfurter Auditoriums keinen Abbruch tat. Sein neues Album „Get Lucky“ präsentiert der Gitarrist, Sänger und Komponist, und selbstverständlich die größten Hits der 20-jährigen Dire-Straits-Ära. In Würzburg auf der Neutorwiese der Festung. | www.argo-konzerte.de ++++++++++++++++++++++++

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Stramu mit WJO 11. und 12. September, 12 bis 22 Uhr, ­Fußgängerzone Innenstadt Über 300 Künstler aus aller Welt bevölkern ein Wochenende lang zwanzig Plätze der Würzburger Innenstadt. Attraktion des siebten Straßenmusikfestivals ist das Würzburg Jazz Orchestra am Unteren Markt. Mehrmals am Sams- und Sonntag werden knapp zwanzig Profimusiker, die der gebürtige Stuttgarter Bandleader Markus Geiselhart aus dem süddeutschsprachigen Raum und Berlin um sich schart, ihre Formation auf der Bühne einnehmen und 40-minütige Kurzkonzerte geben. Sie lassen moderne Bigbandmusik in vielen Eigenarrangements aufs Exakteste an- und abschwellen – packende Soli, verblüffende Klangfarben! Anfang des Jahres alarmierte Geiselhart, ohne sichere finanzielle Zuschüsse könne sich das Ensemble nicht halten. Denn Anreise und Unterkunft der Gastsolisten kosten meist schon mehr als die erwartbaren Einnahmen. Dass das WJO es sich überhaupt leisten kann, seinen Hut am Markt aufzustellen, dazu verhilft ihm das Stramu, das eben für diese Spesen aufkommt. Zentraler Anlaufpunkt für das Festival ist der Untere Markt mit Infostand, Haupt-Acts und abendlicher Gala. Neu einbezogen wird die Bronnbacher Gasse mit ihren Hinterhöfen. Der Spielplan ist außerdem minutenaktuell im Internet abrufbar. So wird die ganze Stadt an diesem Wochenende erklingen, hier vom Schrummschrumm eines gestandenen Folkies, dort von Entertainern mit Comedy-Ambitionen. Nicht zu vergessen die viele, publikumswirksam zur Show ausgearbeitete Akrobatik. Die Favoriten des Veranstalterteams sind das Duo Swantje & Carlos Justiniano, Analogue Birds,


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 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

| Musik |

| Termine  |  GeeGee & Soluna, Mark Gillespie feat. Tom Drost und Hannah Pearl with Ruben Cortes. | www.stramu-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Preludio – Junge Profis am Klavier 25. und 30. Juli, 2. September, Sommerach, Bronnbach, Karlstadt Auf über 16 Konzerte im gesamten fränkischen Raum kann die von der Klavierabteilung der Musikhochschule Würzburg 2009 ins Leben gerufene Reihe bereits verweisen. Teilnehmer sind Studenten der Hochschule, die ihr Programm vor Wettbewerben oder Prüfungen einem Publikum außerhalb ihrer Ausbildungsanstalt präsentieren möchten. Die Räumlichkeiten sind unterschiedlich: Mal spielt man in intimer Salonatmosphäre vor 20, mal im großen Saal vor 200 Zuhörern. Mal steht ein Klavier zur Verfügung, mal ein Steinway- oder Bösendorfer-Flügel. So wie im richtigen Leben. Ji-Hyun Lee spielt am 25. Juli in der Villa Sommerach, Aya Ohtsuta am 30. Juli im Kloster Bronnbach und am 23. September im Historischen Rathaus Karlstadt. | www.hfm-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Okou & Françoiz Breut 6. August, 20 Uhr, Alter Hafen Aus dem wunderbaren Riesenprogramm des 4. Hafensommers greifen wir ein Beispiel, das uns besonders sympathisch vielversprechend wirkt: Der Abend „Le Pop français“ kombiniert zwei Interpreten, die eine kleine Gemeinsamkeit am Rande miteinander teilen: Was bei dem multinationalen Sextett Okou

mit Sitz in Berlin, Paris und Basel das selbstgebaute Drumset ist (bemeistert von Andrew Borger, der auch schon für Tom Waits trommelte), das ist für die Vertreterin des Neuesten Chansons ein gelegentlicher Zugriff auf Spielzeuginstrumente. So schräg die Arrangements beider Formationen aber auch daherkommen – einen Sinn für das Melancholische sollte der Zuhörer mitbringen. | www.hafensommer-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Sommerserenade 28. August, 19.30 Uhr Kreuzgang Kloster Bronnbach Die Violinistin Sinn Yang ist vielen Würzburgern aus der Zeit ihres hiesigen Studiums noch ein Begriff. Also freuen Sie sich mit ihr, dass die 1. Konzertmeisterin der Nürnberger Philharmoniker inzwischen den Violinistenpreis des Bunds der Deutschen Industrie für Werkvermittlung in Musik und Wort gewann. Ihr Klavierbegleiter an diesem Abend ist Marco Grisanti, der in Rom und Campobasso lebt und lehrt. Ihr Sonatenprogramm beginnt virtuos mit Giuseppe Tartinis „Trillo del diavolo“ und vollzieht dann einen Dreisprung durch die historischen Epochen: Beethoven (Nr. 3 Es-Dur), Franz Schubert (Fantasie in C-Dur) und Claude Debussy (g-moll). Bei schlechtem Wetter drinnen, vor allem bei gutem dürfte sich die Neuerung lohnen, dass der Caterer auch nach dem Konzert noch einmal auftischt. | www.kloster-bronnbach.de ++++++++++++++++++++++++

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Die andere Seite 25. September, 19.30 Uhr, Mainfranken Theater Der Komponist und Pianist Michael Obst schrieb für die klassischen Stummfilme „Dr. Mabuse“ und „Nosferatu“ neue Musiken. „Nachtstücke“, „Shadows of a Doubt“ und „Miroirs“ heißen Instrumentalwerke und ein Vokalstück von ihm. Man wird ihn nicht wirklich als heiteres Kerlchen in die Musikgeschichte eingehen lassen. Nun schuf er seine dritte Oper, und die lässt sich abermals auf finstere Sachen ein. Alfred Kubin, Stecher gespenstischer Graphiken, verfasste auch einen Roman, eben „Die andere Seite“. Ist’s Traum? Ist’s Wirklichkeit? Die Übergänge von der einen zur anderen Seite sind in dieser Fantasy-Story fließend. Apokalyptisch indes geht es allemal zu. Würzburg bekam die Uraufführungsrechte für das Neutöner-Musikdrama, dessen Komposition auch stark aleatorische Passagen aufweisen soll. Doch keine Angst – Michael Obst klingt für etwas aufgeschlossene Ohren nicht allzu anstrengend. Seine Connection nach Würzburg fand der Komponist über einen Kollegen: Der Würzburger Intendant Hermann Schneider leitete die Opernschule an der Musikhochschule Franz Liszt in Weimar, wo Obst Komposition lehrt. Hermann Schneider übernahm für Michael Obst auch die Umarbeitung des Romans in ein Libretto. Dass es auf der Bühne allzu bunt getrieben wird, ist zumindest optisch ausgeschlossen. Gastregisseur Stephan Suschke bringt – wie bisher immer in Würzburg – seinen Bühnenbildner Momme Röhrbein mit, und dessen Markenzeichen sind ziemlich schwarze Kulissen, hier und dort mit ein paar unlackierten Holzplatten versehen. Die musikalische Leitung hat Generalmusikdirektor Jonathan Seers. | www.theaterwuerzburg.de


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Blumen oder Blaukraut? Die Ausstellung „Farbwelten“ zeigt einen Abstraktionsprozess durch das 20. Jahrhundert: Der Gegenstand tritt zurück, die Farbe entwickelt ihr Eigenleben. Eine Dialogführung mit der stellvertretenden Leiterin des Museums im Kulturspeicher, Dr. Carola Schneider Interview und Fotos: Joachim Fildhaut

+ KulturGut: In Claude Monets „Das Parlament, Sonnenuntergang“ hat sich die Farbe schon fast verselbständigt. Welcher Schritt fehlte noch? Carola Schneider: Höchstens noch ein kleiner Schritt. Die Farbe dient hier zwar noch dazu, das Gebäude von Himmel und Wasser abzusetzen. Aber ich kann mir keine realistische Beleuchtung denken, in der die Architektur in solch einem satten Grün und leuchtenden Blau erscheint. Das sind freie Variationen über Farbe, anhand eines Motivs. Dabei heißt es, dass Impressionisten die Außenwelt anhand des Lichts erforscht haben. So heißt es wohl, aber nicht jeder Maler, der zu den Impressionisten gezählt wird, hat sich darauf beschränkt, spontan flüchtige Eindrücke einzufangen und flirrendes Licht wiederzugeben. Monet hat seine KulturGut 02 | Seite

Serie mit dem House of Parliament noch Jahre nach seinen LondonAufenthalten im Atelier in Giverny gemalt. Dabei setzte er viele Farbschichten übereinander – das ging nicht husch-husch! Johan Thorn Prikker hat bei seiner „Frau auf dem Feld“ 1891 schon ganz auf einen nachvollziehbaren Lichteinfall verzichtet. Oder könnte das Strahlen im Vordergrund symbolisch gemeint sein? Das glaube ich nicht. Der Symbolismus arbeitete doch viel stärker mit bedeutungsvollen Gesten und mythologischen Arrangements. Wobei ich von der Einteilung in -ismen generell nicht so viel halte. Speziell in dieser Ausstellung fallen viele Bilder aus der kunsthistorischen Ordnung. Ich habe versucht, das in der Hängung herauszuarbeiten. Auf jeden Fall geht es bei der „Frau auf dem Feld“ mehr um die Farbe als um den Gegenstand.

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Jean-Christophe Ammann hätte gesagt: Er war eine richtige Malsau! Wollte er hier wilder als Menzel sein? Das ist schon möglich, dass er solch ein Experiment angestrebt hat. Daneben hat er auch konventionellere Bilder gemalt, aber immer geht es ihm um die Wiedergabe eines subjektiven Eindrucks. Liebermann hat diese Szene von einer Wohnung im ersten Stock an dieser Straßenecke aus beobachtet und dort gemalt. Hat Liebermann sich nicht eher selten so in die Farben gestürzt? Zentrales Thema war die Farbe mehr im Expressionismus als im Impressionismus, wenigstens in Deutschland, wo die Impressionisten stärkere Bodenhaftung behielten. Hören Sie dagegen Kirchner: „Farben sind die Freuden des Lebens“, oder Nolde: „Farbe ist Kraft, Farbe ist Leben.“ Aber in unserer Ausstellung ist auch das Verhältnis von Raum und Farbe ein wichtiger Aspekt. Inwiefern? Nehmen wir zum Beispiel den „Holzfäller“. Da komponiert Ferdinand Hodler seine Figur in einen leeren weißen Raum hinein. Als ich die Bilder hängte, fiel mein Blick längs durch die beiden Säle auf Lucio Fontanas geschlitzte weiße Leinwand. Beide Werke hab ich dann genau in eine Achse gehängt, weil ich mir gesagt habe: Man muss die Gemeinsamkeit in der Kühnheit der Gesten und ihrer Dynamik darin herausstellen. Ihre radikalste Emanzipation verdankt die Farbe Yves Kleins monochromen blauen Bildern. War das eine Masche von ihm? Für ihn war es eher eine Lebensaufgabe. Mit 18 Jahren hat er den Himmel signiert – „Am Strand von Nizza liegend“ war sein erstes „unendliches und immaterielles Gemälde“. Erst zehn Jahre später hatte er es geschafft, mit einem Chemiker eine Farbsubstanz zu entwickeln, die zugleich strahlt und eine immaterielle Tiefenwirkung ausstrahlt. Das funktionierte nicht mit dem Bindemittel Öl, weil die Farbe dann geglänzt und die Pigmente zu stark gebunden hätte. Stattdessen hat seine Farbe, das patentierte International Klein Blue IKB, eine samtige, sandige Oberfläche. Kann der Betrachter deswegen in die Farbwelt eintauchen? Ja, hier öffnet die Farbe einen Raum. Oder, in Kleins Worten: Ein gewöhnliches Bild ist für mich mit einem Gefängnisfenster vergleichbar.

Sind das überhaupt Blumen oder ist das Blaukraut? Ich würde sagen: Blaukraut – so, wie das Blau schimmert. Aber egal, wir sehen hier sehr autonome Farbspiele. Die werden von einer ungewöhnlichen Komposition unterstützt, der Horizont liegt sehr hoch und die Figur ist angeschnitten.

Info: D ie Ausstellung „Farbwelten. Von Monet bis Yves

Klein. Werke der klassischen Moderne aus den Kunstmuseen Krefeld“ ist noch bis 1. August im Museum im Kulturspeicher zu sehen. Zur Vertiefung: John Gage: Kulturgeschichte der Farben. Von der Antike bis zur Gegenwart. Maier, Ravensburg 1994 Hans Gercke (Hg.): Blau. Farbe der Ferne. Verlag das Wunderhorn, Heidelberg 1990 Barbara Oettl: Weiß in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Schnell & Steiner, Regensburg 2008 John Berger, John Christie: I Send You this Cadmium Red. Birkhäuser, Basel 2000

Max Liebermanns „Judengasse in Amsterdam“… … zieht alle Blicke auf sich. Die Ausstellungsbesucher finden den Abstand und sehen die Turbulenz der Straßenszenen, können das lebhafte Markttreiben fast hören. Mit dieser Aufmerksamkeit hätten wir nie gerechnet. Die Zeitgenossen haben das sicher als Farbschmierereien beschimpft. KulturGut 02 | Seite

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| Kunst |

| Termine  |

Die Kunst, die aus der Mitte kam

Drehscheibe II: Nachtseiten der Natur

bis 18. Juli, BBK-Galerie im Kulturspeicher

bis 28. November, Museum im Kulturspeicher

Die Gemälde, Plastiken und Installationen dieser Gemeinschaftsausstellung des Berufsverbands Bildender Künstler Unterfrankens entstanden unter dem Eindruck der Unvollständigkeit allen künstlerischen Schaffens. Denn genau dieses Fehlen von Perfektion ist wichtig für Künstler. Sie benötigen diesen Antrieb, um immer wieder nach Neuem und Besserem auszuschauen. Die im Titel genannte Mitte spielt auf eine Form an, die etliche Ausstellende inspirierte: auf den Torso. Bei der Finissage (Abschlussveranstaltung) am 18. Juli können Kunstinteressierte ab 17 Uhr die beteiligten Künstler treffen. | www.bbk-unterfranken.de

Ausstellen oder nur bunkern? Der Kulturspeicher löst die Frage pragmatisch und holt für die Wechselausstellungs-Reihe Bilder aus dem Depot. Und konfrontiert sie mit aktuellen Interpretationen zum Thema. Diesmal geben stimmungsvolle Nachtlandschaften und nächtliche Szenerien des 19. und 20. Jahrhunderts die Vorlage. Sie stammen von Fritz Bamberger, Oswald Achenbach und Ferdinand Knab bis Birgit Jensen. Doris Conrads, Jürgen Hochmuth und Stefanie Pöllot wurden von der Kuratorin Dr. Carola Schneide, eingeladen, mit Zeichnungen, Fotografien, Filmen und Projektionen den Dialog mit den Museumsbeständen aufzunehmen. | www.kulturspeicher.de

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Meisterwerke der Portraitkunst bis 31. Oktober, Museum Georg Schäfer Zur Jubiläumsausstellung anlässlich des zehnjährigen Bestehens schenkt das Schweinfurter Museum Georg Schäfer sich und uns einen zutiefst menschlichen Griff in die Sammlung realistischer Bildnisse des 19. Jahrhunderts. Die besten Werke der Dauerausstellung sind ohnehin Porträts. In ihrem systematisch zusammengetragenen Umfeld können sie sich nun einen Sommer und Herbst lang noch besser behaupten. | www.museumgeorgschaefer.de ++++++++++++++++++++++++

Auf Zeit bis 2013, Museum am Dom Dom und Dommuseum Hildesheim sind seit Januar für gut vier Jahre geschlossen. Der kriegszerstörte und bis 1960 wieder aufgebaute Mariendom wird saniert und soll durch die Renovierung auch seiner ursprünglichen Architektur aus dem Jahr 815 wieder näher kommen. Gut für Würzburg, das siebzehn hochrangige Kunstwerke als Leihgabe erhielt. Darunter das Bernward-Kreuz aus Ringelheim, dessen fast lebensgroßer Korpus zu den ältesten der abendländischen Großplastik seit Ende der Antike zählt. Das Würzburger Museum ist dabei in ehrender Gesellschaft – andere Stücke wie das Taufbecken des Doms gingen an das Bode-Museum in Berlin, die in KulturGut 02 | Seite

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Würzburg (auch im Rahmen von Sonderführungen) gezeigten reisen 2013 weiter nach New York. | www.museum-am-dom.de ++++++++++++++++++++++++

Tage des offenen Ateliers 17. und 18. Juli, jeweils 12 bis 19 Uhr Kunst wird von Menschen gemacht und wächst nicht in Museen. Einmal im Jahr öffnen deshalb rund 50 Kunstschaffende aus Würzburg und der Region für ein Wochenende ihre Ateliers und lassen sich über die Schulter schauen. Was die meisten von ihnen, wie andere Menschen auch, sonst eigentlich gar nicht so gerne haben. Also eine seltene Gelegenheit, die Atmosphäre eines Maler- oder Bildhauerateliers zu erleben, mit den Künstlerinnen und Künstlern direkt in Kontakt zu treten und Einblick in die verschiedenen Schaffensprozesse zu gewinnen. Die in den vergangenen Jahren bereits rege genutzt wurde. Denn die Gemeinschaftsveranstaltung von städtischem Kulturfachbereich und Volkshochschule mit den Künstlervereinigungen BBK und VKU bietet nicht nur einen spannenden Querschnitt durch die Vielfalt an Kunst und Kunsthandwerk in Würzburg, sondern auch die Möglichkeit, das eine oder andere Kunststück zu erwerben. Ein vom Kulturfachbereich herausgegebenes Faltblatt weist den Weg. | www.wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Sicher ist sicher 24. Juli bis 7. November, Mainfränkisches Museum Die unangenehme Notwendigkeit, sein Eigentum vor Übergriffen zu sichern, hat schon früh und in fast


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| Kunst |

| Termine  |  allen Kulturen zur Entwicklung von mechanischen Schutzvorrichtungen geführt. Schlösser und Schlüssel von der Antike bis heute aus der Hanns Schell Collection in Graz zeigen, wie Menschen in Europa, Asien und Afrika die Problematik lösten. Ausprobieren ausdrücklich erlaubt! | www.mainfraenkisches-museum.de ++++++++++++++++++++++++

Bild der Pflanze 8. bis 29. August, Spitäle Die Botanisiertrommel ist sein Geschäft. Fasziniert von der Veränderung der Pflanzen im Prozess des Absterbens und Vergehens findet der gelernte Fotograf und ausübende Objektkünstler Horst Ziegler stets neue Momente ausdrucksvoller, fragiler Schönheit an der Schnittstelle von Werden und Vergehen. Und hielt sie diesmal in Fotografien fest. Vernissage am 7. August um 19 Uhr. | www.vku-kunst.de ++++++++++++++++++++++++

Die Dinger aus Holz, Stein und Metall 10. bis 13. August, Waldbüttelbrunn Die JuKu-Karawane bleibt mobil: Für ihren Ferienkinderkurs verlegen die Milchhof-Werker Harald Scherer und Georg Weidauer ihr Atelier wieder nach Waldbüttelbrunn in den Hof der Familie Heeg – mit viel Platz zum wilden Kreativsein unter fachmännischer Anleitung. | www.juku-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Offensichtlich Verborgen 9. September bis 21. ­November, Weg durch die Stadt Mit seinen Bildern und als Gestalter von Orgelprospekten ist der Autodidakt Jacques Gassmann in etlichen mainfränkischen Kirchen präsent und mittlerweile auch im Erbachshof bei Würzburg zuhause. Sein 1989/1991 entstandener Apokalypse-Zyklus, Anfang des Jahres bereits in der St. Stephanskirche zu sehen, schreitet in 32 großformatigen Gemälden das Buch der Offenbarung des Johannes ab. Jetzt werden die Bilder einzeln gezeigt, an ausgewählten sakralen und profanen Orten der Stadt, die ein ausgewiesener Weg verbindet. Kunst und öffentliches Leben sollen sich bei diesem Wechselspiel zwischen alten und modernen Kunstwerken mit apokalyptischer Thematik begegnen. | www.endspiel2010.de ++++++++++++++++++++++++

Fäden gezogen 9. September, 19.30 Uhr Neumünster Vor zwei Jahren begeisterte sich halb Würzburg für Fäden. Elke Maier ließ solche linearen Elemente während der Renovierungsarbeiten in der Kirche von der Kuppel herab. Nun ist das Neumünster mit alter und neuer Kunst überreichlich ausgestattet und hat anscheinend immer noch Platz für ein bisschen mehr. Daher kehrt die Künstlerin aus Millstatt am See zurück. Während sie 2008 die Senkrechte eroberte, arbeitet sie heuer waagerecht. Publikum ist ihr dabei willkommen. Gern geht die Mittvierzigerin auf Fragen ein. Übrigens arbeitet sie nicht nur in Kirchen, sondern macht auch Tierparks zu Orten ihrer Gestaltung.

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Ist eine Tierhaltung im Bereich der ­Binnenschifffahrt möglich? 19. September bis 7. N ­ ovember, Kunstschiff Arte Noah Inspirierend auf ausstellende Künstler scheint sich schon das bloße So-Sein der schwimmenden Galerie am Alten Hafen auszuwirken. Hier wohl nicht ohne praktischen Anlass: Gisbert Lange aquarelliert gerne Tiere im Maßstab 1:1, bevorzugt Nashörner, Elefanten und andere Großkaliber. Mit Frank Herzog verbindet ihn eine 40-jährige Künstlerfreundschaft. Und die Faszination durch das nicht unproblematische Beziehungsthema Mensch-Tier. Für die Ausstellung in Würzburg fügen die beiden vorhandene mit speziell für die Arte Noah entstandenen Arbeiten kurzzeitig zu einem Gesamtkunstwerk zusammen. | www.kunstverein-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Versöhnte ­Götter – neue Zukunft 26. September bis 21. November, Martin von Wagner-Museum Aus dem Altgriechischen stammt das Wort Katastrophe. Was schließen lässt, dass man schon damals genügend Anlässe sah, ein solches zu bilden. Tatsächlich kennt die antike Welt der Griechen und Römer in ihren Mythen viele Phasen, in denen das Ende des Menschengeschlechts drohte. Die Ausstellung in der Antikensammlung erläutert Ursachen und Auswege aus damaliger Perspektive. Vernissage am 26. September um 11 Uhr. | www.museum.uni-wuerzburg.de


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Dauerbrenner im Digitalfeuer Der Arena-Verlag sieht neue Medien nicht als Existenzbedrohung, sondern als Chance Text und Foto: Daniel Staffen-Quandt

+ Sitzt Papa abends auf der Bettkante, packt sein iPad aus und lädt flugs eine Gute-Nacht-Geschichte aus dem Internet, um es seinen Kleinen vorzulesen? Albrecht Oldenbourg schüttelt den Kopf. So weit wird die digitale Revolution nicht gehen, ist er überzeugt. Und er muss es wissen. Als Arena-Geschäftsführer leitet er einen der erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchverlage im deutschsprachigen Raum. Trotzdem spielt neue Technik auch für Arena eine immer wichtigere Rolle. „Ich hänge sehr an dem Medium Buch“, sagt Oldenbourg. Wie könnte er auch anders? Seit 2003 leitet er den kurz nach Kriegsende von Georg Popp gegründeten Verlag, zuvor war der Verlagskaufmann und Germanist bereits viele Jahre dort als Vertriebschef tätig. Trotz der Liebe zum Buchdruck – „Der war zu Gutenbergs Zeiten auch revolutionär“ – ist er offen für neue Medien, privat und als Verlagschef. „Man muss mit der Zeit gehen, da geht es nicht um meine persönlichen Vorlieben. Wir wollen Leser mit dem abholen, was sie auch im Alltag gewohnt sind zu nutzen.“ Und wenn das nicht das gedruckte Buch ist, sondern eine pdf-Datei oder Lesehäppchen fürs Handy, dann macht man sich diese Technik eben zunutze. Der Arena-Verlag arbeitet mit elektronischen Büchern, macht Marketing in Online-Netzen und twittert Nachrichten aus den Welten seiner Bücher. Doch das wird das klassische Buch dauerhaft nicht verschwinden lassen: „Das Auto hat das Fahrrad auch nicht verdrängt“, meint der Chef in der großen Villa an der Rottendorfer Straße. Denn beim Vorlesen von Gute-Nacht-Geschichten wirken Kindle KulturGut 02 | Seite

oder iPad deplatziert. „Da fehlt etwas, das Umblättern, das Geräusch von Papier, der Geruch, die ganze Haptik ginge mit dem völligen Umstieg auf elektronische Bücher verloren“, sagt Oldenbourg. Genau deshalb wird das auch „nie passieren“, ist er überzeugt: „Zumindest nicht beim Bilder- und Kinderbuch. Bei Sachliteratur ist das sicher etwas anderes.“ Den Nerv von Kindern und Jugendlichen zu treffen ist heute deutlich schwieriger als noch vor 20 oder 30 Jahren. Das liegt aber nicht daran, dass der Nachwuchs heute grundsätzlich lesefaul wäre. Es liegt vielmehr an der Qual der Wahl, was man mit der wenigen Freizeit macht, meint der Verlagschef: „Das Freizeitangebot ist seit der Gründung von Arena maximal gestiegen, die freie Zeit der Kinder und Jugendlichen aber eher gesunken.“ Deshalb müssen sich Verlage heute mehr anstrengen, um ihr Publikum zu finden. Man muss den richtigen Ton treffen, den richtigen Stoff finden. Dazu gehört immer mehr auch die Aufmachung eines Buches. Käufer wollen mit dem ersten Blick auf das Cover erkennen, ob ein Buch zu ihnen passt, ohne es überhaupt in die Hand nehmen und den Klappentext lesen zu müssen. Um eine solche Signalwirkung zu erreichen, muss man seine Kunden kennen.

Bestseller für immer Dafür betreibt Arena eine genaue Zielgruppenanalyse. „Wir wissen, wie Kinder und Jugendliche heute denken und was sie bewegt“, be-

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merkt Oldenbourg. Das klappt nur selten auf rein wissenschaftliche Weise, dazu gehört vor allen Dingen ein geschultes Beobachtungsvermögen der Mitarbeiter. Nur so lassen sich Bücher verlegen, die den Nerv des Nachwuchses treffen. Und zwar den Nerv von heute – und den in 50 Jahren. Dauerbrenner lassen sich nicht auf dem Reißbrett konstruieren. Schafft ein Buch diesen Sprung vom Best- zum Dauerseller, dann liegt das „an seinem Thema, am Tiefgang, am Anspruch und am Unterhaltungswert gleichermaßen“. Es gebe viele Bücher für Kinder und Jugendliche, die ihre Leser thematisch fesseln, „aber die Kunst ist, dabei Tiefgang zu erzeugen. Das kann nicht jeder Autor.“ Und das ist auch nicht berechenbar. „Sonst würden ja alle Verlage nur noch solche Bücher verlegen“, lacht Oldenbourg.

Trend zur Fantasy Immer wichtiger sind Trends auf dem Markt. Große Buchhandelsketten dekorieren fast wöchentlich um und wollen mit neuen Büchern neue Kunden in die Filialen locken. Das geht nur mit angesagten Themen, zur Zeit vor allem mit Fantasy. „Das Genre bedient sehr viele Emotionen“, erklärt Oldenbourg. Und es eignet sich für mehrbändige Romane. Denn, anders als gerne behauptet, ist Häppchen-Literatur beim Nachwuchs derzeit gar nicht so beliebt. Die Entwicklung zum Trend-Buch verändert Inhalt, Sprache und Stil. Auch, weil das Buch mit anderen Medien konkurriert. „Das erzählerische Moment ist kaum noch vorhanden, es dominieren kurze Sätze, harte Schnitte. So, wie man das aus dem Fernsehen oder Kino kennt.“ Jedenfalls im Jugendbuch. Bei den ganz Kleinen hat sich wenig verändert. „Der Kern der Geschichten ist nahezu der gleiche geblieben, nur die Bilder sind etwas bunter.“ Das liegt mit daran, dass diese Zielgruppe ihre Bücher noch nicht selbst einkauft – und viele Eltern beim Auswählen an ihre eigene Kindheit zurückdenken. Das hat für den Arena-Verlag, zumal in seiner Heimatstadt Würzburg, große Vorteile. „Viele Kunden fragen gezielt nach Büchern von Arena“, erzählt ein Abteilungsleiter einer Würzburger Buchhandlung. Es gebe aber auch viele, die glauben, dass der Verlag

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mit der einst zu ihm gehörenden Buchhandlung in der Domstraße geschlossen wurde.

Grace-College-VZ Das ist natürlich mitnichten so, auch wenn der Verlag inzwischen zur Westermann-Gruppe aus Braunschweig gehört. Unter dem sehr lebendigen Arena-Dach firmieren etliche andere Verlage, zum Beispiel Benziger aus Zürich, dessen Programm im Jahr 1987 in das von Arena integriert wurde. Im Jahr 2000 übernahm Arena den fast 200-jährigen Ensslin-Verlag, dessen Schwerpunkt auf Pferde- und Naturbüchern liegt. Während sich Pferdebücher nach wie vor ohne viel Marketing verkaufen, rührt Arena für manch anderes Projekt richtig die Werbetrommel. So etwa für das allerneueste Buch der gebürtigen Würzburgerin Krystyna Kuhn. „Das Tal“ ist ein vierbändiger Thriller für Jugendliche, der erste Band ist im Mai erschienen, die nächsten folgen im Abstand weniger Monate. Das erzeugt Verlagsbindung, ist aber auch harte Arbeit, genauer: ist virales Marketing – Mundpropaganda im Internet. Die funktioniert natürlich nur, wenn man im Internet auch selbst aktiv ist, also etwas bietet, über das sich Jugendliche austauschen können. Dazu wurde eigens eine Internetseite des imaginären Grace College erschaffen, wo „Das Tal“ spielt. Auf dieser Seite setzen College-Schüler Kurzmitteilungen ab – und berichten aktuell über das Geschehen in der Hochbegabten-Schule. Natürlich ist auch solch virales Marketing aufwändig – und nicht gerade billig. Aber es hat auch viele Vorteile. So können die Leser sich über das Buch austauschen, es bewerten. „An diesen unmittelbaren Reaktionen lässt sich für uns besser ablesen, ob ein Buch beim Publikum gut ankommt, als an Rezensionen oder gefilterten Rückmeldungen über den Buchhandel“, sagt Oldenbourg. So sieht er viel schneller, ob das Unternehmen mit dem Projekt richtig liegt. Der Arena-Verlag nutzt die neuen Medien mehr als Chance und fürchtet sie weniger als Konkurrenz. Denn, da ist sich Geschäftsführer sicher, auch in 60 Jahren werden Eltern noch mit gedruckten Büchern auf den Bettkanten ihrer Kinder sitzen.

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Über Jonna „Es war ein merkwürdiger Anblick, sie mit dem Kreuz.” von Ulrike Schäfer / Foto: Tilman Dominka

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+ Sie standen im Vorraum des Friedhofsgebäudes, die Regenschirme lehnten aufgespannt in der Ecke. Gegenüber war die Urne aufgebahrt, weiße Plastik-Lilien rankten darum, und Michael staunte, wie schön das aussah. Der Pfarrer trat ein, die Haare nass von der kurzen Strecke zwischen Kirche und Vorraum, und begrüßte sie mit gedämpfter Stimme, erst Mutter, dann Jonna, dann Michael. Er stellte sich neben die Urne, und dann begann die kleine Zeremonie. An das, was der Pfarrer sagte, konnte Michael sich später nicht mehr erinnern. Nur eines blieb ihm im Gedächtnis: sterbliche Überreste. Wie furchtbar Worte seien, wenn man den Glauben nicht habe. Michael hatte den Glauben nicht, nicht mehr zu diesem Zeitpunkt, und wirklich gab es ihm einen Stich, als der Pfarrer „sterbliche Überreste” sagte. Der Gedanke an Asche war weit weniger befremdlich. Als der Pfarrer zu Ende gesprochen hatte, bat er, jemand von ihnen möge das Kreuz tragen. Michael streckte die Hand danach aus, doch Jonna war schneller. Beinahe hastig ergriff sie es, und sie gingen hinaus auf den Friedhof, der Pfarrer voran, hinter ihm Jonna, dann Mutter und Michael, eine kleine, sehr kleine Prozession. Es war ein merkwürdiger Anblick, Jonna mit dem Kreuz. Sie hielt es vollkommen gerade, und es sah beinahe so aus, als schwebe es über dem Boden und Jonna klammere sich daran fest. Michael wunderte sich über diesen Gedanken, und als er Jonnas trockenes Haar sah, begriff er, dass es zu regnen aufgehört hatte und er völlig nutzlos den Schirm über Mutter und sich hielt. Am Grab las der Pfarrer den Psalm 23 in der Übersetzung von Martin Buber, den Vater für diesen Tag ausgesucht hatte. Jonna war dieser Wunsch neu gewesen, überhaupt die Tatsache, dass zu Vaters Lebzeiten darüber gesprochen worden war, und es hatte Streit gegeben. Jetzt stand sie ganz still und folgte den Worten des Pfarrers und hielt das Kreuz dabei sehr gerade und so weit vom Körper, dass Michael ihre Kraft bewunderte. Auch wenn ich gehen muss durch die Todschatten-Schlucht, fürchte ich nichts Böses. Die Blumensträuße und Kränze auf dem Grab waren noch frisch. Das Loch war bereits ausgehoben, daneben die aufgeworfene Erde. Ich kehre zurück zu deinem Haus für die Länge der Tage. Als der Pfarrer endete, trat ein Friedhofsbediensteter hinzu, der sich unbemerkt genähert hatte. Er trug eine Schildmütze wie ein Schaffner und hatte eine kleine Schaufel in der Hand. Vater hätte sich über den Aufzug amüsiert. Der Pfarrer fragte, ob sie sich entfernen wollten, bis die Urne beigesetzt sei. Sie sahen ihn überrascht an und verneinten dann. Der Mann ließ an einer Schnur die Urne ins Loch hinab und schaufelte es mit Erde zu.

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Nach der Beisetzung fuhren sie in die Heimstättenstraße. Sie aßen eine Kleinigkeit, tranken ein Glas Wein. Sie sprachen wenig. Später ging Michael mit Mutter die Briefe durch, die gekommen waren. Als er sich verabschieden wollte, fand er Jonna nicht gleich. Er suchte sie im Wohnzimmer, in der Küche, ging dann nach oben. Die Tür zu Vaters Arbeitszimmer war angelehnt. Jonna kauerte auf dem dicken Teppich und fuhr mit dem Finger das Muster entlang. Michael kannte die Form, die sie nachzeichnete, er kannte sie inwendig wie Jonna: die weinrote, an den Rändern unregelmäßig gezackte Raute. Er nannte leise ihren Namen. Sie blickte hoch, stand auf und umarmte ihn kurz und fest, auf Jonna-Art, sehr kurz und sehr fest. Als er die Treppe hinunterging, sah er, dass sie noch immer dort stand, in der Mitte des Raums, mit hängenden Armen. Sie blickte um sich, als sei ihr dieser Ort auf einmal fremd oder als müsse sie ihn sich einprägen für eine lange Zeit. Er verabschiedete sich von Mutter und trat hinaus auf die Straße. Die Luft war kühl, es war bereits dunkel. Die Straßenlaterne warf einen bleichen Lichtkegel auf den Gehweg. Bevor er um die Ecke bog, wandte er sich noch einmal um. Von hier aus konnte er noch das Fenster erkennen, hinter dem sich Jonna jetzt befand, den dicken Teppich unter ihren Füßen, allein.

Info: D ie Würzburger Autorin Ulrike Schäfer gewann

2010 den Würth-Literaturpreis. „Über Jonna“ ist ein Auszug aus einem längeren Text, an dem die Autorin derzeit arbeitet. | www.ulrike-schaefer.de

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Versunkene Kinowelten Stadt der Leinwände – Würzburg hatte eine bewegte Kinovergangenheit. Margit Maier schrieb die erste Monographie darüber von Christine Weisner

+ Bewegte Bilder in festen Häusern – das gibt es in Würzburg seit mehr als 100 Jahren. Wobei einige dieser Lichtspielhäuser, wenn auch unter wechselnden Namen und Besitzverhältnissen, für Jahrzehnte Bestand hatten. Sie sind auf historischen Fotos im Stadtbild präsent und tauchen noch einige Jahrzehnte lang in Alltagserinnerungen auf. Dennoch kommen Kinos, wie die Autorin gleich am Anfang zu Recht feststellt, bisher in Darstellungen zur Würzburger Geschichte als eigenständiges Thema nicht vor. Fast könnte man vermuten, dass manche Dinge erst dann ins allgemeine Bewusstsein dringen, wenn oder vielleicht sogar weil sie im Verschwinden begriffen sind.

Edison-Salon im Kalb Für ihr Buch hat Margit Maier zahlreiche Fakten zur Würzburger Kinogeschichte zusammengetragen. Dabei blickt sie immer wieder über den lokalen Tellerrand und ordnet das örtliche Geschehen in die allgemeine Entwicklung ein. Aufsehenerregende Abweichungen vom allgemeinen Trend treten dabei nicht auf. Dennoch fördert das Buch einige lokale Besonderheiten und auch die eine andere Anekdote zutage. Bemerkenswert früh, nämlich im Oktober 1896, flimmerten in Würzburg zum ersten Mal bewegte Bilder über eine Leinwand. Zu diesem

Zeitpunkt war seit der berühmten ersten kommerziellen Filmvorführung der Gebrüder Lumière in Paris noch kein Jahr vergangen. Feste Lichtspielhäuser gab es damals noch nicht. Der „Edison-Salon“ tourte durchs Land und gastierte in der Ebracher Gasse, im ehemaligen Domherrnhof „Zum Kalb“. 1906 eröffnete in der Martinspassage das erste ortsfeste Lichtspieltheater und läutete damit das Ende der Wanderkinos und Jahrmarktvorstellungen ein. „Bayer’s Kinematograph“, der mehrmals Namen und Besitzer wechselte, bestand ungewöhnlich lang. Zwar wurde am 16. März 1945 das Gebäude zerstört, jedoch konnten nach dem Wiederaufbau die Filmprojektoren 1949 hier wieder anlaufen. Das Kino hieß nun Passage-Lichtspiele und bestand bis 1977.

Konkurrenz zum Varieté „Bayer’s Kinematograph“ blieb in den Gründerjahren des Kinos nicht lange das einzige Haus am Platz. Hinzu kamen beispielsweise im Hotel Central die späteren Kammer-Lichtspiele (Ka-Li), in der Domstraße die vornehmen Luitpold-Lichtspiele (Lu-Li) und in der Augustinerstraße die Odeon-Lichtspiele, die sich ebenfalls in bewährter Weise zu OLi abkürzen ließen.

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Margit Maier geht aber über die Geschichte der Kinos und ihrer Programme hinaus. Sie berichtet von einem persönlichen Auftritt Charly Chaplins in der Mainmetropole. Und sie stellt den kurzlebigen Versuch vor, mit den „Würzburger Filmblättern“ 1928 eine „unabhängige filmkritische Wochenschrift“ zu etablieren, die das aktuelle Programm der örtlichen Kinos rezensierte. Auf eigentümliche Weise spiegelt sich in der Vorgeschichte des CCKino-Centers in der Eichhornstraße die Zeitgeschichte wider. Der gebürtige Würzburger Jude Jakob Strauß, der wie manch andere Kulturschaffende in der Weimarer Republik der Filmkunst ablehnend gegenüberstand, hatte im Central-Café (CC) ein renommiertes Varietétheater aufgebaut. Er wurde bereits 1933 von einem SA-Mob aus der Stadt vertrieben und überlebt die NS-Zeit im Exil in den USA. Nachdem seine Versuche gescheitert waren, das CC aus den Trümmern wiedererstehen zu lassen, verkaufte er das Grundstück ausgerechnet an einen Kinobetreiber, nämlich Ludwig Scheer, der hier das CC-Filmtheater errichten ließ. Die Nachkriegsjahrzehnte der Würzburger Kinogeschichte verliefen ebenso ereignisreich wie die Anfangsjahre. Margit Maier berichtet vom ersten Kino in der Turnhalle in der Annastraße, vom Bavariakino als erfolgreiches Premierenkino für deutsche Heimatfilme, von BlüteKulturGut 02 | Seite

zeiten und Krisenjahren und den Anfängen des Internationalen Filmwochenendes. Als das Buch in Druck ging, war die Schließung des Corso-Kinos schon angekündigt, aber noch nicht vollzogen. Das Ende des letzten traditionellen Kinos in der Innenstadt fand keinen Eingang mehr. Das letzte Kapitel, das die Entwicklung seit 1990 behandelt, macht jedoch ohnehin deutlich, wohin die Reise geht. In diesen Zeitraum fallen die Schließung des City-Studio, des Odeon und des Bavaria, so dass heute mit dem Cinemaxx am Alten Hafen lediglich ein Multiplex übrig geblieben ist. Ob es der Initiative für ein Programmkino gelingen wird, ein neues Kapitel der Würzburger Kinogeschichte aufzuschlagen?

INfo: Margit Maier: Das Geschäft mit den Träumen. Kinokultur in Würzburg. Mit einem Vorwort von Berthold Kremmler. 188 Seiten, zahlreiche Schwarzweiß-Abbildungen, 19,80 Euro. Verlag Königshausen & Neumann

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| Film |

| Termine  |

Coraline Dienstag, 13. Juli, HS 1, Naturwissenschaftlicher Hörsaalbau Hubland Der Trickfilm aus dem Jahr 2009 kombiniert die uralte Stop-Motion-Technik mit moderner Computerbearbeitung. Die Kindergeschichte „Coraline“ hat die fiese Phantasie von Märchen und den Ernst einer Erzählung für Erwachsene: Das Mädchen Coraline lernt in einer Art Parallelwelt eine bessere Mutter als ihre wirkliche kennen – aber der Traum entwickelt sich seiner eigenen Logik zufolge in einen Alptraum. Nächste Woche Dienstag macht der Uni-Filmclub mit der „Verblendung“ Schluss fürs Sommersemester. Für den Winter ist wieder ein breitgefächertes Programm im Max-Scheer-Hörsaal angedacht. Vormerken: immer wieder dienstags… ++++++++++++++++++++++++

Europa 19. Juli, 19.30 Uhr, ­Casablanca Ochsenfurt Das Ende kommt. In den Fluten des Rheins für den idealistischen Deutschamerikaner Leopold Kessler, der als Schlafwagenschaffner zum Wiederaufbau des kriegszerstörten alten Kontinents beitragen will. Und in den Machenschaften terroristischer Alt-Nazis hoffnungslos versinkt. Der Film, mit dem Lars von Trier 1991 seine „Europa-Trilogie“ (nach „The Element of Crime“ von 1984 und „Epidemic“ von 1987) beendete, beschließt auch die Filmreihe zu „Endspiel. Würzburger Apokalypse 2010“. 1990 wurde er nach allen Handwerksregeln der Filmregie gedreht, gekonnt wechselnd vom Schwarz-Weiß in den Farbfilm und zurück und in sei-

ner optischen Ausgefeiltheit allem widersprechend, was der dänische Regisseur in seinen späteren Dogmafilmen realisierte. Die Schauspieler Barbara Sukowa, Jean Marc Barr, Udo Kier und Eddie Constantine agieren in einem Alptraum von Europa, das seiner Vergangenheit nicht entfliehen kann. | www.endspiel2010.de ++++++++++++++++++++++++

Crashkurs Dokumentarfilm 23. und 24. Juli, Volkshochschule Was hier am Ende rauskommen soll, steht fest: ein Kurzfilm mit Impressionen, Motiven und Interviews von der Eröffnungsveranstaltung des Hafensommers 2010. Gedreht und geschnitten von den noch unbekannten zehn bis 25 Teilnehmern dieses Spezialkurses an der Sommer-vhs. Etwas Erfahrung im Umgang mit Video- oder Fotokamera sollten ambitionierte Interessenten mitbringen, dann geht’s am Freitag nach einer Einführung durch den Medienpädagogen und Filmemacher Daniel Stümpfig los mit Kamera und Tonaufnahmegerät. Geschnitten wird am Samstag. Eine öffentliche Vorführung ist fest angedacht, allerdings steht der Termin für sie noch nicht fest. | www.vhs-wuerzburg.info ++++++++++++++++++++++++

Soul Kitchen 29. Juli, 21.30 Uhr, Alter Hafen Der Regisseur Fatih Akin ging 2009 erstmals einen Film konsequent als Komödie an. Natürlich hatte er schon vorher mit Moritz Bleibtreu einen Erzkomödianten im Team gehabt, aber diesmal sollte der ernste, KulturGut 02 | Seite

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multiethnisch-soziale Hintergrund noch etwas weiter zurücktreten. Dafür kam es ihm eine Messerspitze mehr aufs Kulinarische an - kein Wunder in einem Film um den sagenhaften Aufstieg einer Kaschemme zum Szenerestaurant. Das ging natürlich nicht ohne gute Rezepte und Köche, und mit Joern Martens, einem gelernten Tonmeister, hatte er denn auch einen Kollegen zur Hand, der die Rezepte des Restaurants „Soul Kitchen“ verfasste. Der Mann war vorgesehen, um vor der Filmvorführung eine Schnabulier-Show zu moderieren, mit einem Überraschungsgast von der Leinwand. Leider musste dieser originelle und leckere Programmpunkt ausfallen. | www.hafensommer-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Slumdog Millionär 2. August, 21.30 Uhr, Alter Hafen Wird hier mit Gewalt Nervenkitzel getrieben? Ist das eine Ästhetisierung der Armut? Oder ist es gerade das Mini-Digitalequipment von Kameramann Anthony Dod Mantle („...you’re a sinner!“), das die Momentaufnahmen aus dem heutigen Indien so authentisch rüberbringt? T rotz seiner acht Oscars ist der Film aus der und über die Metropole Bombay immer noch höchst umstritten. Sicher ist nur, dass er auf die große Leinwand gehört. Und unstrittig ist es großes Kino, wie Regisseur Danny Boyle die Handlungsfäden miteinander verwob: zwei unterschiedliche Lebenswege von indischen Brüdern aus den Slums, große Liebe, brutal auseinander gerissen. Und zum Schluss ein bunter Bollywood-Tanz… | www.hafensommer-wuerzburg.de



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Eine effektive Branche Eine Bundesinitiative unterstützt den Wirtschaftsfaktor Kultur von Dr. Bettina Keß

+ Die Zahlen überraschen: Die Kreativen dieses Landes liegen in der Statistik mit ihrer Arbeitsleistung deutlich vor der Chemieindustrie und dem Energiesektor, direkt hinter dem Maschinenbau und der Autoindustrie. Etwa 63 Milliarden Euro trug 2008 die so genannte Kultur- und Kreativwirtschaft zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung bei, das sind immerhin 2,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Außerdem: Immer mehr Menschen sind in schöpferischen Arbeitsgebieten von Architektur bis Games-Programmierung tätig – und sie arbeiten in innovativen Formen. Seit 2007 will nun die Initiative Kultur- & Kreativwirtschaft im Auftrag der Bundesregierung die Wettbewerbsfähigkeit

dieses Wirtschaftsfelds fördern. So unterschiedliche Aktionen wie Forschungsgutachten, Branchengespräche, ein Wettbewerb für Modedesign-Studierende oder Initiativen zur Bekämpfung von Internet-Piraterie gehören dazu. Die Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten sind jedoch sehr unterschiedlich. Malende und musizierende Einpersonenunternehmen bewegen sich am Rand des Existenzminimums. Andere kreative Köpfe sind sozialversicherungspflichtige Angestellte oder gar CEOs von solide aufgestellten Firmen der Werbe- oder Verlagsbranche. Aber die Politik hat erkannt: Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist ein eigenstän-

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diges Wirtschaftsfeld, das mit seiner Innovativität und seinen flexiblen Arbeitsformen wie geschaffen ist, um – so ein PR-Text der Initiative – „eine Vorreiterrolle auf dem Weg in eine wissensbasierte Ökonomie in Deutschland“ zu übernehmen.

Termine rasend ausgebucht Seit dem letzten Jahr gibt es nun das „Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes“ in Eschborn, das ganz praktisch als Bindeglied zwischen Kulturschaffenden, Kreativunternehmen und den Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft fungieren soll. Insgesamt acht Regionalbüros werden künftig für die Arbeit vor Ort zuständig sein. Auch für Bayern gibt es einen solchen Stützpunkt mit Büros in München und Nürnberg, für den Jürgen Enninger seit März zuständig ist. Der Kulturwirt und Religionspädagoge ist Ansprechpartner für Ratsuchende aus ganz Bayern und wird künftig regelmäßig vor Ort Sprechtage abhalten. In seinem temporären Würzburger Büro, dem Würtzburg-Palais beim Congress-Centrum, berichtet er von den ersten Monaten seiner Tätigkeit. Geplant war zunächst, die Partner in Politik und Wirtschaft anzusprechen und zu aktivieren. Doch die Kreativen selbst hatten einen so starken Bedarf nach Beratungen, dass die bloße Ankündigung im Internet zu einem Anfrageboom führte: „Wir wurden überrollt.“ Auch in Würzburg waren die Beratungstermine innerhalb kürzester Zeit vergeben. Seit Anfang März hat Jürgen Enniger 85 solcher Termine hinter sich gebracht. Der Kulturprofi beantwortete Fragen zum Start in die Selbständigkeit, vermittelte potentielle Projektpartner und Expertinnen oder gab Tipps zur Akquise. Viele Ratsuchenden stammten aus der Musikbranche, in der Enninger selbst lange tätig war. Aber auch etliche freiberufliche bildende und darstellende Künstler ließen sich beraten. Groß sei vor allem in Franken, so Enninger, die Nachfrage im Bereich Design. Die Arbeit des Regionalberaters soll Menschen und Projekte zusammenbringen: „Ich lerne Bayern kennen. Ich arbeite gerne für die bayerische Kultur“, meint Jürgen Enninger und präzisiert sich: „Für die bayerischen Kulturen!“ Man spürt: Das ganze Projekt ist im Aufbau; die Ziele sind klar, doch wie und ob sie mit den vorhandenen Mitteln erreichbar sind, muss sich zeigen. Die bisherige Förderung einer von höchster politischer Ebene anerkannten „Zukunftsbranche Kultur- & Kreativwirtschaft“ wirkt angesichts der milliardenschweren Rettungspläne für andere Wirtschaftsbereiche sehr bescheiden. Aber ein Anfang ist gemacht. Und offenbar hat Umdenken begonnen: Selbst die Bundespolitik zweifelt nicht mehr daran, dass es gerade die Kulturmenschen sind, die mit Wenigem viel erreichen können. KulturGut 02 | Seite

Info: J ürgen Enninger, Kompetenzzentrum Kultur- & Kre-

ativwirtschaft des Bundes, Ansprechpartner Bayern. Telefon (0151) 26 46 72 88, E-Mail: enninger@rkw.de Tipps und Informationen über Existenzgründung, Geschäftsmodelle, Versicherungen etc. | www.kultur-kreativ-wirtschaft.de Das Forschungsgutachten über die wirtschaftliche Bedeutung der Kreativbranche | www.kulturgutwuerzburg.de

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| Stadt |

| Termine  |

Märchenführung bis 31. Juli, samstags 10.45 Uhr, Fürstenbau-Museum Kinder zwischen fünf und acht Jahren sind bei Claudia Jüngling gut aufgehoben. Die Museumspädagogin spielt mit ihnen das Spiel „Die Blume der Wünsche“. Dabei wird die Schaulust befriedigt, und etwas fürs Leben nehmen die Kleinen auch mit. Die Geschichte hat viel mit Tieren zu tun, die die Besucher auf Bildern suchen. Das sanfte Märchen macht keine Angst und legt den Kindern die Schwelle zum Kulturgut Museum niedriger. ++++++++++++++++++++++++

Auf den Spuren Petrinis 17. Juli, 15 Uhr, Volkshochschule Ob Stift Haug, Reuererkirche oder Juliusspital – kaum ein frühbarockes Gebäude gibt es in der Stadt, das nichts mit Antonio Petrini zu tun hat. Er brachte die italienische Architektur hierher und hatte am Ende seines Lebens die Grundlagen dafür gelegt, dass Würzburg das werden konnte, was es einmal war: ein Zentrum des europäischen Barock. Stadtheimatpfleger Hans Steidle würdigt auf seinem Gang von der Münzstraße bis Stift Haug den Baumeister, der auch ein grandioser Stadtplaner war. | www.vhs-wuerzburg.info ++++++++++++++++++++++++

Kann denn Jubeln Sünde sein? 20. Juli, 19.30 Uhr, Bockshorn Die Kooperationsveranstaltung zum Jahrestag des gescheiterten Hitler-Attentats 1944 bricht mit einem Tabu: Während die Nachkriegsgesellschaft Frauen

nicht als Mitverantwortliche für die NS-Verbrechen sah, wird gegenwärtig wieder deutlicher wahrgenommen, wie sehr das nationalsozialistische Regime auf Frauen angewiesen war. Deren Handlungsspielräume zwischen Mitläufertum und Täterschaft lotet der Vortrag von Marita Krauss von der Universität Augsburg aus, um 21 Uhr nehmen Gisela E. Marx und Dorrit Bauerecker in ihrer musikalisch-kabarettistischen Radiorevue Rollenmuster von Frauen im NS-System und daraus resultierende Folgen für die Gegenwart aufs Korn. | www.frankenwarte.de

Besuch der Weinparade am Markt kann das ausgleichen. Telefon (0931) 8041322 ++++++++++++++++++++++++

Laufen um den Schenkenturm 19. September, 13.30, Schenkenturm

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Ob zehn, fünf oder zwei Kilometer – der 20. Schenkenturmlauf bietet allen Walkern und Läufern auf der befestigten und überwiegend ebenen Strecke einen grandiosen Panorama-Blick auf Maintal und Festung. | www.laufgemeinschaft.wuerzburg.de

Ringparkfest

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7. und 8. August, Klein Nizza Seit 1995 spendiert die Stadt ihren Bürgern jährlich das Familiengartenfest in der grünen Lunge, damit die wieder bewusst genießen, was sie da Schönes haben: 27 Hektar Grün im Halbring um die Altstadt. Das geht ganz ohne großes Brimborium: eine kleine Bühne mit Konzerten (u.a. Dennis Schütze Trio und Hainz & Männchen), ein großes Kinderprogramm und einige wenige gastronomische Betriebe. Den Rest macht dann der Park, wenn man ihn lässt. ++++++++++++++++++++++++

Weinlagen rund um Würzburg 5. September, 14 Uhr, Treffpunkt Talavera-Schlösschen Anderes als Würzburg wird man nach 30 FahrradKilometern nicht gesehen haben – aber dies von den besten Weinlagen aus. Veronika Hofbauer vom ADFC Würzburg führt diese Halbtagestour mit Berg- und Talfahrten. Nicht die Weinkunde steht im ­Vordergrund, sondern der Blick. Der abschließende KulturGut 02 | Seite

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Wegmarke zur Aktion T4 23. September, 20 Uhr, Mainfranken Theater, Kammerspiele 1940 verlangte NS-Gauleiter Otto Hellmuth die sofortige Räumung der Heil- und Pflegeanstalt Werneck. Schnell wurden alle Patienten verlegt. Die Hälfte von ihnen zunächst nach Lohr, die andere Hälfte in die Tötungsanstalten der euphemistisch als „Euthanasie“ bezeichneten Ermordungsaktion von Geisteskranken und Behinderten. Etwa zwei Monate später waren alle Patienten tot, die in Anstalten außerhalb Mainfrankens verlegt worden waren – 381 Menschen. Unter ihnen auch Wilhelm Werner, dessen gezeichnete Alpträume bis Anfang Juni in Heidelberg ausgestellt waren. Einem engagierten Oberarzt und der Öffnung der DDR-Archive ist es zu verdanken, dass heute zumindest die Fakten dieses Kapitels der Wernecker Psychiatrie aufgearbeitet sind. Aus der Perspektive von Zeitzeugen beleuchtet Alexander Jansen die historische Wegmarke. | www.theaterwuerzburg.de


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Die Tonspur der Symptome Psychosomatik: Seit 25 Jahren besteht die Würzburger Gesellschaft für Idiolektik und Gesprächsführung von Gerriet Harms / Foto: Gleb Polovnykov

+ „Wo ist die Leiche versteckt?!“, schreit der Fernsehkommissar und leuchtet dem Tatverdächtigen mit einer Lampe ins Gesicht. Der stellt sich dumm: „Was meinen Sie mit ‚Leiche‘?“ Der Kommissar springt im Viereck. In seiner Haut möchte ich nicht stecken. Dann lieber in der des Pathologen, denn das sind für gewöhnlich die mit den lässigsten Sprüchen. Außerdem fühle ich mich auch in letzter Zeit nicht besonders. Irgendwie pumpert mein Herz manchmal so komisch und ich weiß nicht, warum. Ich gehe zum Arzt. Der untersucht mich, versichert mir, dass meine pH-Werte (pumperndes-HerzWerte) in Ordnung seien, rät mir, den Krimikonsum einzuschränken (pumper) und sagt mir zum Abschied, ich solle mir keine Sorgen machen (pumperpumper). Was will mein pumperndes Herz mir bloß sagen? Ich nehme mir ein Beispiel am Tatverdächtigen und stelle mich dumm: „Was meine ich eigentlich mit ‚pumpern‘“?

Wo die Sprache nicht ausreicht, müssen Bilder her Genauso könnte ich fragen, was meint eigentlich jemand, der sagt, sein Kopf fühle sich an wie in einen Schraubstock gespannt? Was meint jemand, der sagt, sein Magen spiele verrückt, weil er eine Kritik nicht habe schlucken können? – Das sind ja allesamt Bilder, Metaphern und Vergleiche, und unlogische noch dazu. Wie kommt es dazu? Aus dem gleichen Grund, aus dem Verliebte Gedichte schreiben: um ausdrücken zu können, was in ihnen vorgeht. Dazu benutzen sie Bilder, sprechen von Rosen und siebten Himmeln. Weil das, was man sehen kann, besser zu beschreiben ist als Gefühle. Wer krank ist, tut das genauso, setzt sein Unbehagen und seine Schmerzen in Bilder um. Dass aus der Sprache in einer Art Rückschluss die Krankheitsursache zu decodieren sei, dachte sich A. D. Jonas, Arzt und Psychotherapeut, als er sich mit psychosomatischen Krankheitsbildern beschäftigte.

Das Organ spricht durch den Mund Deshalb hörte er genau hin, was der Patient ihm sagte, Wort für Wort. Und benutzte selbst auch nur diejenigen Wörter und Begriffe, die der Patient ihm gab, ließ den Patienten das sagen, was er sagen wollte, nicht mehr und nicht weniger. So nutzte er die dem Patienten eigene Sprache, dessen Idiolekt, um Heilprozesse in Gang zu setzen. Der Arzt oder Therapeut bleibt also mit dem Patienten auf der anschaulichen, konkreten Ebene der Bildsprache und arbeitet damit weiter. Das ist für beide Seiten wesentlich leichter, als die Symptomatik abstrakt, in der Sprache des Arztes, zu besprechen. Dabei stellt sich der Arzt dumm wie ein gewisser Tatverdächtiger. Denn bei keinem Bild und keinem Begriff können wir davon ausgehen, schon zu wissen, worum es sich handelt. Wie der Dichter Jean Paul bemerkte: „Um KulturGut 02 | Seite

einen Menschen vollkommen zu verstehen, müßte man seine Doublette sein und noch dazu sein Leben gelebt haben. Die Sprache ist ein Gewölke, an dem jede Phantasie ein anderes Gebilde erblickt.“

Die Eigensprache des Menschen „Was ist denn eine Trillerpfeife?“, fragt der Arzt so beispielsweise eine Patientin, die an Tinnitus leidet und ihre Ohrgeräusche mit diesem Begriff beschrieben hat. Weil der Arzt eben nicht das Leben der Patientin gelebt hat, lässt er sich belehren und vermeidet es konsequent, eigene Deutungen einzubringen oder eigene Begrifflichkeiten, weil er nie weiß, was der andere damit verbindet. Das schafft Vertrauen. Und erhebt gleich mal den Richtigen zum Experten, nämlich den Patienten bzw. die Patientin. Diese erzählt ihm möglicherweise, dass sie früher Handball gespielt und der Schiedsrichter eine Trillerpfeife benutzt hat, um Regelverstöße zu ahnden. Eine Verbindung zwischen den Begriffen „Ohrgeräusch“, „Pfeife“ und

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„Regelverstoß“ zieht keinesfalls der Arzt, auch bietet er keine Lösung an, er strebt noch nicht mal nach einer. Verbindungen zu ziehen ist Sache der Patientin, und das auch nur, wenn es ihr in den Sinn kommt. Möglich, dass sich bei der Patientin schon während des Gesprächs eine Einsicht ergibt, was beispielsweise an einem Lächeln oder Rotwerden zu ersehen sein könnte. Auch diese Körpersignale sind Eigensprache und werden registriert, geben vielleicht Anlass für die nächste Frage. Knapp und immer konkret sind die Fragen gehalten. Sie führen weg von der Symptomatik und suchen immer das Unverfängliche. Insofern ist ein idiolektisches Gespräch kein „normales“, alltägliches Gespräch, in dem inhaltlich das eine aus dem anderen folgt, nach Gesetzen der Logik systematisiert und abstrahiert wird, um eine Lösung herbeizuführen. Es fühlt sich aber viel besser an als ein „normales“ Gespräch, wie ich im Selbsttest feststellen konnte. Weil man auf jede Frage antworten darf, so viel man will, und immer den Eindruck hat, das Gegenüber ist ehrlich und brennend interessiert an dem Gesagten und, wichtig, es nie bewertet oder kritisiert. Die Fragen sind wie Trittsteine, die das Gespräch weiterführen und aus dem Fluss genau dort auftauchen, wo man sie braucht. Das Ufer liegt irgendwo, man weiß, dass es da ist und dass man schon irgendwie hinkommen wird.

Und wo geht’s jetzt zur Heilung? Die Lösung des Problems, das ist unumstößliche Gewissheit des Idiolektikers, liegt im Patienten selbst. Nämlich in seiner ‚inneren Weisheit‘, die sich zusammensetzt aus ererbten Anlagen, Charaktereigenschaften und persönlichen Erfahrungen. Aufgrund dieser ‚inneren Weisheit‘ weiß eigentlich jeder Mensch, wie er gut für sich sorgt. Eigentlich – denn der Wille macht einem manchmal einen Strich durch die Rechnung. Um diesen zu umgehen, läuft das idiolektische Gespräch nicht auf der logischen, sondern auf der paralogischen Ebene ab. Und der Arzt wäre dumm, wenn er durch eigene Lösungsvorschläge dem Willen des Patienten noch einen zweiten, nämlich seinen eigenen, draufsetzen würde. Besonders deutlich wird das bei einem Menschen, der an einem Waschzwang leidet. Für ihn kann es ja durchaus logisch sein, sich die Hände zu waschen, weil man sich so, das wissen wir seit Robert Koch, vor Infektionen schützt. Dass 60 Mal am Tag vielleicht etwas viel ist, ist ihm auch klar, sonst hätte er sich nicht therapeutische Hilfe gesucht. Was aber würden, wenn der Wille ohnehin schon das Kommando übernommen hat, Ratschläge und Empfehlungen nützen? Wahrscheinlich den Zwang verstärken, weil der Wille dadurch nur noch mehr Nahrung erhält.

Befragte einem Zehn- bis Zwölfjährigen gegenüber. Das mag befremden, hat aber einen Sinn: Der Mensch, der krank ist und Schmerzen hat, reagiert emotional wie ein Kind und spricht auch wie ein solches, vor allem bei psychosomatischen Beschwerden, deren Ursache oft in der Kindheit liegt. Was heißt „pumpern“? Eine Leidensgenossin von mir, die auch durch ein „pH“ in ihrem Befinden beeinträchtigt wurde, zog im Gespräch mit A. D. Jonas den Vergleich zu Bauklötzen, die auf den Boden poltern, so, als ob Kinder damit herumwürfen. Was sie nicht dürfen, weswegen sie geschimpft werden. Am Ende kam die Patientin von selbst darauf, dass ihr Herz immer dann anfängt zu pumpern, wenn sie befürchtet, mit ihrem Verhalten negativ aufzufallen und zurückgewiesen zu werden. Sie reagierte wie ein Kind, das Angst hat, nicht geliebt zu werden. Sie konnte durch das idiolektische Gespräch Verständnis für die Äußerungen ihres Körpers gewinnen – und musste ihr pumperndes Herz nicht länger als beängstigend erleben. Ihre Angst vor Zurückweisung ist sie vielleicht noch nicht los geworden, aber sie muss nicht länger befürchten, auch noch ein Herzleiden zu haben. Auf diese Lösung ist die Patientin aus eigener Kraft gekommen – und das ist doch das Beste, was man für einen Menschen erreichen kann. Dafür sollte sich der Arzt gerne mal dumm stellen. Wenn er den Patienten zum Experten macht und auf Hypothesen verzichtet, sich in Tempo und Vokabular dem des Gegenübers anpasst und so dessen Vertrauen gewinnt, erhält er als Arzt viel mehr und viel schneller authentische Informationen. Der Patient wiederum kann sich verstanden und angenommen fühlen – und nicht zu irgendetwas gedrängt oder gezwungen. Denn wie reagiert ein Kind, dem man Befehle gibt? Im besten Fall tut es gar nichts. Oder es wirft mit Bauklötzen. Um noch mal auf den Krimi zurückzukommen: Am Ende hat sich herausgestellt, dass es gar keine Leiche gab. Aber der Hautausschlag des Kommissars soll sich merklich gebessert haben. Und was meine pHWerte angeht: Auflösung folgt. Im nächsten Quartal.

Info: Die Gesellschaft für Idiolektik und Gesprächsfüh-

rung (GIG) e.V. mit Sitz in Würzburg konnte im vergangen Mai auf der – traditionell in Würzburg stattfindenden – Jahrestagung ihr 25-jähriges Bestehen feiern. Ziel der Gesellschaft ist es, die Lehre von der Eigensprache (Idiolektik) zu verbreiten und ihre wissenschaftliche Weiterentwicklung zu fördern. Ausbildungsgruppen existieren in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Idiolektik kann außer im medizinisch-psychologischen Bereich in zahlreichen weiteren Bereichen eingesetzt werden, etwa in der Sozialarbeit, Pädagogik, Gesundheitsberatung, Seelsorge und Pflege. Literatur: Peter Winkler (Hg.): Eigensprache. Huttenscher Verlag 507, Würzburg 2010 GIG Geschäftsstelle: Huttenstraße 10, Würzburg | www.idiolektik.de

Die Sprache der Psychosomatik ist die Sprache des Kindes Leicht dahinfließend, im Plauderton gehalten und (scheinbar) ungeordnet wirkt das idiolektische Gespräch. Von einem Bild zum anderen führt es, von der Empfindung des Befragten etwa, er habe „Feuchtigkeit in der Lunge“, geht es zu „Moos auf der Mauer“ hinein in einen Hamsterkäfig und von da aus in einen italienischen Hinterhof. Das scheinbar naive Wörtlichnehmen des Fragenstellers wirkt, als sitze der KulturGut 02 | Seite

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 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

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| Termine  |

Pop-Kultur und ihre Dimensionen 6., 13. und 20. Juli, jeweils 18 Uhr, Neue Universität, Hörsaal 162 Pop ist überall – ob man eine Zeitschrift aufschlägt, den Fernseher einschaltet, in ein Modegeschäft geht oder das Radio aufdreht. Dem Phänomen widmet sich bereites seit April eine höchst interessante und abwechslungsreiche öffentliche Ringvorlesung an der Julius-MaximiliansUniversität Würzburg, organisiert vom Lehrstuhl für englische Literatur- und Kulturwissenschaft und finanziell gefördert vom Universitätsbund. Die Vorträge der letzten drei Referenten aus Mannheim, Würzburg und Potsdam im Juli befassen sich mit den Medien, die in der Popkultur eine Rolle spielen, und analysieren deren Inhalte und Form. Sie spüren auch den vielfältigen Diskursen nach, die die popkulturellen Werke durchziehen. So steht beim ersten Vortrag der Kampf gegen die Uhr in del Toros Film „Pans Labyrinth“ im Zentrum der Aufmerksamkeit. Meta-thematisch behandelt die Vorlesung in der Woche darauf die Gefährdung der Pop-Kultur im Zeitalter der „Piratenmoderne“. Den Abschluss bildet ein Motiv, das sich auch in das Würzburger ApokalypseJahr einfügen würde: die Eschatologie in den „Left Behind“-Bestseller-Romanen von Tim LaHaye. ++++++++++++++++++++++++

Fledermausführungen wechselnde Abendtermine bis 11. September, Neue Universität Zur European Bat Night am 9. September lädt der Naturwissenschaftliche Verein Würzburg zu einer fledermauskundlichen Exkursion in den Ringpark ein.

Wo sich die Nachtgestalten tagsüber in der Innenstadt verstecken, was auf ihrem Speiseplan steht und wie ihr Ultraschallruf eigentlich klingt – das alles kann man aber auch den ganzen Sommer über bei Abendspaziergängen im Ringpark erfahren. Denn die diplomierte Biologin und Naturpädagogin Caroline Holch will Menschen das vermitteln, was für sie Glück bedeutet: abenteuerliche und wissensreiche Naturerlebnisse. Seit 2007 bietet Caroline Holch mit fünf freiberuflichen Fachkolleginnen naturpädagogische Erlebniskurse für Menschen aller Altersgruppen an. Die Fledermausführungen im Ringpark finden allerdings nur bei schönem Wetter statt, denn – schon was gelernt: bei Regen fliegen auch diese Mäuse nicht. | www.nwv-wuerzburg.de | www.Caroline-Holch.de ++++++++++++++++++++++++

Planet Erde bis 22. September, Mineralogisches Museum am Hubland Verständliche Einblicke in die aktuelle geowissenschaftliche Forschung will die (von der SenckenbergGesellschaft in Frankfurt konzipierte) Wanderausstellung dem breiten Publikum vermitteln. Die populärwisschenschaftliche Schau stellt acht von der UNESCO geförderte Forschungsprojekte vor, an denen deutsche Wissenschaftler maßgeblich beteiligt sind. Es sind spannende Fragen, die sich die Forscher da aussuchten. Nämlich: Gab es die Sintflut tatsächlich? Wie alt sind die Alpen? Und wie kam es vor rund 440 Millionen Jahren zum zweitgrößten Artensterben in der Geschichte der Erde?

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Antworten auf diese – und viele andere – Fragen gibt die neue Sonderausstellung im Mineralogischen Museum der Universität Würzburg. Und vermittelt ganz nebenbei geowissenschaftliche Grundlagen – beispielsweise über das Erdinnere, das Klima im Lauf der Erdgeschichte und die Aufgaben eines Geowissenschaftlers. | www.mineralogisches-museum.uni-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Organische Photovoltaik 16. September, 10 Uhr, Maritim Hotel Eins der neueren Arbeitsgebiete der Würzburger Abteilung des bayerischen Zentrums für Angewandte Energieforschung ist die Erforschung und Entwicklung organischer Solarzellen und Elektronik. Organische Solarzellen, basierend auf konjugierten Polymeren und Molekülen, sind vielversprechende Kandidaten für eine preisgünstigere und effizientere Photovoltaik. Gegenüber herkömmlichen Halbleitern besitzen die organischen den Vorteil, dass sie vergleichsweise einfach hergestellt und zu großen und gleichzeitig flexiblen Bauelementen verarbeitet werden können. Kein völliger Zufall also, dass der erste Cluster-Kongress des Bayerischen Energie-Forums zur Organischen Photovoltaik in Würzburg stattfindet. Ziel des Kongresses mit internationaler Beteiligung ist die umfassende Darstellung des aktuellen Stands und der zukünftigen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben. Themenschwerpunkte sind neben den physikalischen Grundlagen die technologischen Anforderungen hinsichtlich verschiedener Basismaterialien, die Prozesstechnik und die anwendungsorientierte Umsetzung der Erkenntnisse, an denen die Forscher arbeiten. | www.bayern-innovativ.de


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Spaß an der Verantwortung Entwicklungshilfe fängt in der Heimat an. Unkonventionell mischt das Würzburger Fair Trade Festival Ende Juli drei Tage lang Musik, Markt und Informationen von Christine Weisner

lich zeichnet, ist stolz auf die Qualität der Gruppen und die Vielfalt der Stilrichtungen. Die Spanne reicht von Independent und Hip Hop über Mittelalter-Folk bis hin zu Singer-Songwriter-Musik. Damit soll dem Geschmack unterschiedlicher Besuchergruppen Rechnung getragen und zugleich eine runde Gesamtatmosphäre geschaffen werden.

Neue Allianzen

+ Das Fair-Handels-Fest hat sie wieder - die Bastion über dem Burkarder Tor. Das baumbestandene Gelände in reizvoller Lage zwischen Festungsberg und Main wird selten genutzt. Umso mehr freut sich Initiatorin Nandi Jain über diesen Veranstaltungsort, der schon 2008 zur angenehmen Atmosphäre beitrug. Die Organisatoren haben sich einiges vorgenommen. Das Festival soll zum Genießen einladen und zur Beschäftigung mit gewichtigen Themen wie der Globalisierung und der Frage, wie Produktion und Handel fair und nachhaltig eingerichtet werden können. Alles unter der Maxime, dass Spaß am Leben und verantwortliches Handeln keinen Widerspruch an sich darstellen. So soll ein Markt Gelegenheit geben, Produkte, die unter fairen Bedingungen erzeugt wurden, kennen zu lernen und mit den Anbietern ins Gespräch zu kommen. Dabei geht es nicht allein um Bananen und Kaffee. Das Sortiment umfasst auch Kleidung, Fußbälle und Wohnaccessoires. Unternehmer und Institutionen können sich zudem über Arbeitskleidung und Merchandising-Produkte informieren.

Gerechtigkeit fängt in Kleinrinderfeld an

Eine Besonderheit des Festivals sind die Kurzvorträge zwischen den Auftritten der Bands. Ausgewiesene Experten erläutern dabei wichtige Gesichtspunkte des Themas Fairer Handel. In diesem Bereich arbeitet das Festival eng mit der Akademie Frankenwarte zusammen, die zwei der Referenten stellt und die Moderation bei allen Vorträgen übernimmt. Insgesamt neun Kurzvorträge stehen in diesem Jahr auf dem Programm. So beschäftigt sich beispielsweise Christiane Schnura von der Kampagne „Saubere Kleidung“ mit Missständen in Zulieferbetrieben deutscher Discounter, während Dr. Rudolf Buntzel vom Evangelischen Entwicklungsdienst über die Auswirkungen der europäischen Agrarsubventionen informiert. Raimund Brichta, Wirtschaftsjournalist und Moderator der Telebörse auf n-tv, behandelt in seinen beiden Vorträgen die Frage, „warum das Geld für Krisen sorgt“. Für Brigitte Juchems, die Leiterin der Akademie Frankenwarte, liegt die inhaltliche Zusammenarbeit mit dem Festival nahe, da die Globalisierung zu den langjährigen Themenschwerpunkten ihrer Erwachsenenbildungsstätte gehört. Wobei es sie sehr reizt, beim Fair Trade Festival eine ganz andere Variante der Politischen Bildungsarbeit zu erproben. Sie war schon bei der ersten Ausgabe vor zwei Jahren dabei - und von der positiven Atmosphäre und dem großen Interesse des Publikums beeindruckt. Obwohl neu und unbekannt, lockte das Festival damals auf Anhieb ein großes, bunt gemischtes Publikum an. Treibende Kraft war und ist die Ärztin Nandi Jain, die die Idee zu diesem Festival hatte und es mit Energie und Überzeugungskraft auf den Weg brachte. Inzwischen haben Mitglieder von Attac Würzburg einen Verein für die Organisation der Veranstaltung gegründet. Vorbereitung und Planung erledigt ein kleiner Kreis. Zugleich ist das Festival gut vernetzt und erfährt viel Unterstützung von örtlichen Firmen und Organisationen. Die Schirmherrschaft übernahm Oberbürgermeister Georg Rosenthal. Der arbeitete selbst mehrere Jahre lang als Projektleiter in einem Wirtschaftsförderungsprojekt für Klein- und Mittelunternehmen in Indonesien.

Auch die Dinge für das leibliche Wohl wurden mit Bezug zum Thema ausgewählt: Kuchen und Bauernhofeis, Bier, Wein und Limonade, Gegrilltes und Vegetarisches sind biologisch und stammen allesamt von Erzeugern aus der Region. Auch hier geht es darum, zu zeigen, wie Genießen und bewusstes Konsumieren zusammengehen können. Zum Spaß am Leben, insbesondere bei einem Festival, gehört natürlich auch die Musik, mit den Headlinern Beat! Beat! Beat! und Rainer von Vielen. Benjamin Hahn, der für das Musikprogramm verantwortKulturGut 02 | Seite

Info: F air Trade Festival Würzburg, 30. Juli bis 1. August,

ganztags Burkarder Straße 46. Bastion zwischen Jugendherberge und Burkarder Schule. Aufgang durch das Holztreppenhaus. | www.attac-netzwerk.de/wuerzburg | www.fairtradefestival.blogspot.com

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Auf dem Sprung: das Siebold-Museum, noch nicht in der Residenz. Japans Generalkonsul Junichi Kosuge verleiht dem Gründer Wolfgang Klein-Langner den Orden der aufgehenden Sonne goldene und silberne Strahlen.

Eins noch Häuser in der Schwebe Text und Foto: Joachim Fildhaut

+ Künstler sind ein bewegtes Völkchen – von einem Auftritt zum nächsten oder immer auf der Jagd nach Proberaum oder Atelier. Komplementär dazu werden ganze Locations obdachlos. Hierum geht’s, um Kulturinitiativen ohne feste Adresse. Immerhin eins fand seine provisorische Bleibe: Das Winz-Konzertsälchen für freisinnige Lärmkunst, das Immerhin, fiel am Friedrich-Ebert-Ring zwar dem Abrissbagger zum Opfer. Aber im Posthallenkomplex räumte man den Freunden des ruppigen Rocks eine Ecke ein, um sich auszutoben. Dieser Tage, bei Erscheinen von KulturGut 02, soll’s losgehn. Nur ist die Posthalle selbst kein U-Musik-Platz für die Dauer. Ihr Besitzer wollte hier ja eigentlich eher ein Geschäftszentrum errichten und wurde nur durch ein Bürgerbegehren ausgebremst. Wenn dem Hauseigentümer eine bessere Nutzungsidee kommt, müssen die zwei Institutionen wohl auf Wanderschaft ziehen. Die heimatlose Konzerthalle und ihr kleiner Freund, der Musikclub, können bei ihren Abenteuern drei weitere Vaganten treffen. Wer gehört zu dem Trio, das durch den ideellen Kulturraum stromert? Das berühmteste Haus im Schwebezustand ist das Autonome Kulturzentrum. Der Einrichtung scheint zwar eher ein Träger als eine Heimstatt zu fehlen. Doch ein Rückweg in die Brauereibaulichkeiten ist auch sehr schwer, weil teuer: Ein neues AKW an alter Stelle müsste viel schärferen Sicherheits- und Hygienebedingungen gehorchen als sein Vorgänger, der sich eines so genannten Bestandschutzes erfreute. Einen Betreiber, aber keine Leinwand hat das projektierte Programmkino. Mit viel Sympathie, doch ohne die Ambition, selbst Lichtspielunternehmer zu werden, verfolgt die Stadt diese Anstrengung zur KulturGut 02 | Seite

Anhebung der Filmkultur und stellt in Aussicht: Falls an der Veitshöchheimer Straße die Franken- je zur Mehrzweckhalle wird, dann möge einer dieser Zwecke gern ein Kinobetrieb sein. Derweil dackelt neben diesen beiden Kultureinrichtungen eine dritte her. Denn gleich mehrere Autorenzusammenschlüsse möchten ein Literaturhaus. Und ach ja, jüngere Maler, so um die 35, 40 Jahre alt und noch nicht in Museen vertreten, rufen nach bezahlbaren Ateliers für den Nachwuchs. Ebenfalls viele sind die tanzwütigen Präsenioren, die als Midlife-Club regelmäßig Raumbedarf anmelden und durchaus zu Engagement bereit sind. Sicher wird es keinen Masterplan geben, der sämtliche Bedürfnisse in einem gemeinsamen Kulturparadies erfüllt. Dichterlesung und Bigbandprobe passen nicht Wand an Wand. Trotzdem wäre eine Immobilie wünschenswert, die möglichst viele Wünsche erfüllt und Synergieeffekte nutzt. Sollte die nicht allen Vorschriften für ein Veranstaltungsbauwerk gerecht werden, dann müssen die Pläne nicht gleich zerrissen werden. Maler, Drucker, Dichter, Chöre, Mimen treten einfach in einen gemeinsamen Club ein. So bilden die einen das Publikum für die anderen, und wer selber nichts aktiv beitragen kann, wird Fördermitglied. Dann sind die Veranstaltungen nicht öffentlich und brauchen weitaus weniger Notausgänge, Schanklizenzen, Klos und so. Beim Versuch, möglichst viele Interessenten planerisch unter einen Hut zu bringen, ist eins gewährleistet: Die Zielgruppe hat einen so hohen Anteil an Zugereisten, dass die lokale Faustregel über die Teamfähigkeit von Mainfranken hier nicht gilt: „Wenn du drei Häcker unter einen Hut bringen willst, musst du zwei von ihnen erschlagen.“

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Chefredaktion: Iris Wrede C. v. D.: Joachim Fildhaut Redaktionelle Mitarbeit: Thomas Williams, Johannes Engels, Michael Frank, Gerriet Harms, Gabriele Polster, Daniel Staffen-Quandt, Christine Weisner, Dr. Bettina Keß, Ulrike Schäfer, Sonja Wagenbrenner Gastbeiträge: Burkhard Hose, Dr. Eckart Dietzfelbinger, Peter Roos Redaktionsbeirat: Anja Flicker, Muchtar Al Ghusain, Hans-Georg Mennig, Dr. Rotraud Ries, Hermann Schneider, Dr. Gunther Schunk, Prof. Dr. Ulrich Sinn Fotos: Tilman Dominka, Gleb Polovnykov, K. Forster, Sonja Werner, Walter H. Pehle, Gabriela Knoch, Stadt Würzburg Bildarchiv, KulturGut Bildarchiv, Veranstalter, ARD-Filmredaktion

Druck: Schleunungdruck GmbH, Marktheidenfeld Sonstiges: Alle Veranstaltungsangaben ohne Gewähr. Veranstalter, die Fotos an den Verlag senden, haben eventuelle Honorarkosten zu tragen. Urheberrechte für Anzeigenentwürfe, Vorlagen, redaktionelle Beiträge sowie für die gesamte Gestaltung bleiben beim Herausgeber. Der Nachdruck von Fotos, Zeichnungen, Artikeln und Anzeigen, auch auszugsweise, bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des ­Herausgebers. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte/Leserbriefe und Fotos kann keine Haftung übernommen werden. Bearbeitung und Abdruck behalten sich Verlag und Redaktion vor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Verlags und der Redaktion wieder. Dank: Wir danken ausdrücklich den Unterstützern und beteiligten ­Kulturinstitutionen und ­Kulturschaffenden, ohne die die Herausgabe dieses Mediums nicht möglich wäre.

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03   ab Oktober 2010    |

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Ein groĂ&#x;es Frisches aus einem kleinen Dorf.


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