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OOH!–Aspekte

Beyond the Hype: Das Metaverse im Realitätscheck

Alex Turtschan, Director Digital Accelerator Mediaplus

Man kann im Jahr 2022 kaum ein MarketingEvent oder eine Konferenz besuchen, ohne mit dem Hype-Thema der Stunde konfrontiert zu werden: Dem Metaverse. Ein Thema, das durchaus polarisiert: Für die einen ist es die evolutionäre Weiterentwicklung digitaler Infrastruktur und dem Internet als Ganzem, die anderen sehen darin in erster Linie etwas ausgefeiltere Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) Dienste. Die Crypto- und Blockchain Community propagiert schon das Ende des heute bestehenden Wirtschaftssystems durch dezentrale, digitale Währungen und neue Zahlungssysteme im Metaverse. Kritiker wiederum sparen nicht an zynischen Kommentaren rund um ein nächstes „Second Life“, der Plattform also, die schon vor mehr als einer Dekade alles versprochen und wenig eingelöst hat, was heute unter Metaverse-Label einen zweiten Frühling erfahren könnte. Fakt ist wohl, dass die Ideen und Visionen rund um das Metaverse eine weitere bedeutende Entwicklungsstufe des Internets darstellen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger, und getrieben wie fast immer durch wirtschaftliche Interessen. Nach Web 2.0, Cloud und Mobile suchen zahlreiche Branchen und ganze Industriezweige nach neuen Geschäftsmodellen, Services und Wachstumschancen. Werden wir in zehn Jahren unser gesamtes Leben in virtuellen Umgebungen verbringen, um dort zu arbeiten, unsere sozialen Beziehungen zu pflegen, einzukaufen und uns unterhalten zu lassen? Wahrscheinlich nicht. Aber wir werden zahlreiche neue Möglichkeiten und neue Technologien zu Verfügung haben, um genau dies zu tun. Virtual Reality ermöglicht zahlreiche immersive Unterhaltungs-Formate, von Games über die virtuelle Teilnahme an Sport- oder Musikevents bis hin zu neuen Möglichkeiten, gemeinsam im digitalen Raum Zeit zu verbringen. Sei es, um zu arbeiten oder sich selbst und seine Persönlichkeit in Form von Avataren neu zu erfinden – losgelöst von den Zwängen der echten Welt. Bestes Beispiel Horizon Workroom: Das Business-Conferencing Tool von Meta verwandelt die biedere, zweidimensionale Langeweile eines Microsoft Teams-Calls zweifellos in eine unterhaltsame VR Experience. Dennoch: wie Keanu Reeves als „Neo“ in dem Kinofilm „Matrix“ bewegt man sich darin noch lange nicht. Die Millionen Nutzer, die Tag für Tag Zeit in Multiplayer-Spielen verbringen und diese immer stärker auch als Treffpunkte und Social Spaces nutzen, sind allerdings ein ernstzunehmender Indikator für eine Verschiebung sozialer Räume in die digitale Welt, vor allem in den jungen Generationen. Auch wenn Fortnite, Minecraft und Roblox auf den ersten Blick sehr gewöhnliche Games sind, so bringen sie bereits diverse Eigenschaften aus der Vision des Metaverse der Zukunft mit. Die Möglichkeit, mit Freunden und Bekannten nicht nur zu spielen, sondern Entertainment wie Konzerte immersiv und interaktiv inszeniert zu erleben? Avatare und Kostüme als Abbild der eigenen Persönlichkeit zu entwickeln? Fortnite ist geradezu ideal dafür. Eine Welt, die auf Nutzer-Interaktion reagiert und in der Phantasie, Kreativität und die Umsetzung eigener Ideen nahezu grenzenlos ist?

Minecraft liefert genau das. Und Roblox spielt stärker als viele andere Games die Trumpfkarte des User Generated Content Baukastens, auf dem die Spieler ihre Games und Experiences erstellen und gemeinsam erleben können. Gerade Roblox ist aus diesem Grund auch immer wieder gern gewählte Umgebung für die ersten Schritte von Marken zu einer „Metaverse“-Präsenz. Puma etwa hat hier ein OnlineSpiel gelauncht, in dem die Fans der Sportmarke ihren Avataren nach und nach Kleidungsstücke anziehen können. Diese müssen sich die Nutzer aber erst verdienen, und zwar indem sie Mini-Spiele bestreiten. Puma springt damit auf den Metaverse-Zug auf, den schon Wettbewerber wie Nike und Adidas bestiegen haben und auf dem Modehersteller wie Gucci, Ralph Lauren oder H&M längst mit eigenen Kollektionen mitfahren. Der Onlineshop herrenausstatter.de hat sogar die Betaversion eines virtuellen 3D-Kaufhauses am Start. Besucher können den Shop betreten, Bekleidung suchen und direkt, ohne das Metaverse zu verlassen, die ausgesuchte Ware kaufen und bezahlen. Als technische Plattform dient das hausintern entwickelte Transaktions- und Payment-System „QS-PAY“. Spielwiese, Image-Instrument oder echte Möglichkeit, Geld zu verdienen? Die meisten Unternehmen rechnen natürlich damit, dass eine wachsende Zahl an Usern im Metaverse künftig auch Geld ausgeben wird. Tatsächlich folgen selbst Fortnite & Co im Metaverse den sehr traditionellen Regeln der Platform-Economy. Die Kontrolle über die Titel liegt nahezu vollständig bei den Publishern, bezahlt werden Inhalte wie z.B. die individuelle Gestaltung von Charakteren und eingesetzten Waffen, Werkzeugen, am Ende mit klassischen Währungen, auch wenn diese wie zum Beispiel in Fortnite oder Roblox in eine eigene Plattform-Währung umgetauscht werden und den Usern die Inhalte dann trotzdem nicht gehören, sondern in Form einer Nutzungslizenz an das jeweilige Spiel gebunden sind. Das hat mit der Vision des dezentralen, partizipativen, demokratischen Metaverse aus der Crypto- und Token-Economy Bubble nur wenig gemein. Hier sieht man das Metaverse als radikalen Gegenentwurf zum heutigen Internet von heute. Das sei von einer Handvoll großer Tech-Konzerne und Zahlungsdienstleister kontrolliert und habe nur noch wenig mit dem dezentralen, freien und Communitygetriebenen Netz der 90er zu tun. Doch genau dieses Szenario droht auch dem Metaverse. Zu sehr ist die Entwicklung getrieben von den großen Konzernen und marktbeherrschenden Playern aus dem etablierten Web. Und zu deutlich ist die Cryptoszene durchsetzt von Akteuren auf der Suche nach dem schnellsten Weg zum Reichtum. Verlässliche Prognosen abzugeben, wohin sich das Metaverse bewegen wird, ist derzeit schwierig – stehen wir doch noch am Anfang einer Entwicklung, die das Netz und unser digitales Leben in den nächsten Jahrzehnten prägen werden. Auch beim Mobile Internet hat es fast 20 Jahre gedauert, bis die großen Versprechungen der Technologie dann auch wirklich eingelöst wurden. Unternehmen, die sich heute bereits mit dem Metaverse beschäftigen wollen, sollten sich deshalb nicht verleiten lassen, ihre Engagements aus der Technologie heraus zu denken. Etwas wird nicht automatisch ein guter Marketing-Case, nur weil man auf NFTs oder VR setzt, wenn man dabei die Konsumentenbedürfnisse aus dem Blick verliert. Man sollte das Metaverse zudem nicht als weiteren Kanal sehen, in dem man klassische digitale Werbung ausspielen kann. Vielmehr bieten gerade VR, AR und Realtime-3D Plattformen wie Games die Möglichkeit, die Konsumenten Dinge erleben zu lassen, die im echten Leben nicht oder nur schwer umsetzbar sind. In seinem Vortrag auf der SXSW 2022 verglich Nick de la Mare, Nordamerika-Chef von Fjord Trends, das Metaverse mit einem Baukasten, der es möglich macht, Menschen in Geschichten eintauchen zu lassen und für sie unerreichbare Erlebnisse nach Hause zu bringen. Vergleichbar mit den Parks und Weltausstellungen Ende des 19. Jahrhunderts, die den Menschen Natur und Reiseerlebnisse in die Städte brachten oder Disney World, das den Besuchern ermöglichte, die Geschichten und Charaktere, die sie bis dahin nur von der Kinoleinwand kannten, persönlich und immersiv zu erleben.

Ein Blick ins virtuelle 3D-Kaushaus des Online-Händlers herrenausstatter.de.

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