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Zeit für eine Geschichte

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Junge Adventisten

Junge Adventisten

Ein Burrito

Zeit für eine Geschichte

VON Dick Duerksen

„Gott hat seinen Engeln befohlen, dich zu beschützen, wohin du auch gehst.“ (Ps 91,11 GNB) P astor Luis war in eine Stadt gefahren, die ein paar Stunden von seinem Wohnort entfernt lag. Er hatte nicht vor, lange zu bleiben und wollte als erstes seinem Lieblings-Donutladen einen Besuch abstatten.

Er parkte unter einer Straßenlaterne und ging eine Gasse hinunter in Richtung Donuts; beim Gedanken an seine Lieblingsdonuts lief ihm schon das Wasser im Mund zusammen.

Die Gasse war dunkel, aber Pastor Luis gehört zu den Christen, für die es nicht ungewöhnlich ist, in dunklen Gassen neue Freunde kennenzulernen. Er hat nie das Gefühl, nicht sicher zu sein, denn er folgt der Führung des Heiligen Geistes.

Pastor Luis sagt: „Ich bete oft, dass Gott mich Menschen treffen lässt, die er für eine Begegnung vorbereitet hat. Wenn du mit Gott gehst, sind selbst dunkle Gassen nicht gefährlich. Du musst nur sicher sein, dass du Jesus folgst, anstatt ihm vorauszulaufen.”

Auf halbem Weg die Gasse hinunter sah Pastor Luis einen Obdachlosen, der sich an die Mauerreste eines verfallenen Gebäudes lehnte. Der Mann trug eine schlecht sitzende Jacke, die ihn kaum vor der Kälte schützte, und eine Kappe, die er sich zum Schutz vor dem Wind tief ins Gesicht gezogen hatte. Seine schmutzigen, abgetragenen Schuhe erfüllten ihren Zweck auch nicht mehr.

Der Mann war offensichtlich krank. Ein hässlicher Tumor wuchs aus seinem Bauch und hing heraus wie der Rumpf eines Babyelefanten. Es sah fürchterlich aus; Pastor Luis konnte nicht anders, er musste zu dem Mann gehen und ihn ansprechen. „Ist mit Ihnen alles in Ordnung?“ fragte Pastor Luis. „Ja, mir geht’s gut“, antwortete der Mann. „Nein, es geht Ihnen nicht gut. Sie sehen krank aus. Wie kann ich Ihnen helfen?“ „Es geht mir wirklich gut“, meinte der Mann, zog sich aber nicht zurück, sondern blieb am Gebäude gelehnt, als wollte er das Gespräch nicht abbrechen. „Aber Sie sind nicht gesund, stimmt‘s?“ „Nein. Nicht wirklich. Ich bin gestern aus dem Krankenhaus gekommen, aber es wird schon alles wieder gut. Danke, dass Sie gefragt haben.“ „Haben Sie Hunger? Kann ich Ihnen etwas zu essen bringen?“

Pastor Luis fühlte sich schuldig, weil es ihm nicht gelang, jemandem zu helfen, der offensichtlich etwas Freundlichkeit und Güte und vielleicht auch ein großes Sandwich gebrauchen konnte. „Nein. Ich will nicht Ihre Zeit stehlen. Sie wollten ja gerade irgendwo hin.“

„Nein“, antwortete Pastor Luis. „Ich bin es, der Sie belästigt, vielleicht stehle ich sogar Ihre Zeit.“ „Sie sind sehr freundlich“, sagte der Obdachlose. „Ich esse später etwas. Nett von Ihnen, dass Sie mit mir reden.“ „Okay, hey, da drüben sind ein paar Essensstände, gleich da oben an der Ecke“, probierte Pastor Luis es noch einmal. „Kommen Sie, gehen Sie mit mir zum Abendessen. Einer der Stände hat fantastisches mexikanisches Essen. Die Burritos sind dort besonders gut.“

Der Mann zögert noch kurz, dann willigte er ein und ging mit Pastor Luis zum Essensstand. Unterwegs unterhielten sich die beiden Männer noch ein wenig über den Gesundheitszustand des Obdachlosen und über seinen Krankenhausaufenthalt. Sie tauschten keine Namen aus. * * *

Schließlich traten sie aus der dunklen Gasse heraus und kamen zum Essensstand mit dem mexikanischen Essen. „Was hätten Sie gern?“ fragte Pastor Luis. „Suchen Sie sich etwas aus. Ich zahle.“

Wieder lehnte der Mann ab und sagte, dass er im Augenblick wirklich nichts brauche. Aber Pastor Luis blieb hartnäckig. „Kommen Sie“, redete er ihm zu. „Bestellen Sie etwas, auf das Sie heute Abend Appetit haben.“ „Okay. Bestellen Sie mir einen riesigen Burrito“, lächelte der Mann dankbar. „Das wird reichen.“

Sofort bestellte Pastor Luis mehrere Burritos, ein paar Toasts und etwas zu trinken.

Während sie auf das Essen warteten unterhielten sie sich weiter, sprachen über die kalte Gasse, den kommenden Regen, die Notwendigkeit von Schmerzmedikamenten und andere Dinge, über die Freunde sprechen.

Plötzlich wurde ihr Gespräch von Lärm unterbrochen. Weiter unten auf der Straße, ganz in der Nähe des Donutladens, spielte sich ein lauter Tumult ab. Sie sahen mehrere große Motorräder beim Donutladen vorfahren, die Lenker ragten in den Himmel wie die gebogenen Hörner wütender Afrikanischer Büffel, die Motoren brüllten wie wütende Tiger, und schwarzgekleidete Biker fuchtelten mit ihren Schrotflinten in Richtung einer Gruppe von Passanten. Alle stürzten ausein

„Kommen Sie, gehen Sie mit mir zum Abendessen. Einer der Stände hat fantastisches mexikanisches Essen.“

ander, flüchteten in den Donutladen, rannten auf die Gasse zu und übertönten mit ihrem Geschrei noch den Motorenlärm der Biker.

Pastor Luis und sein hungriger Freund sahen entsetzt zu, wie das Chaos zu einem Tornado des Terrors wurde. Fenster zerbarsten, Autoalarmanlagen gingen los, Donuts fielen auf verlassene Grills und verbrannten.

Nach einigen Augenblicken war der Spuk vorbei, und die Biker fuhren mit aufheulenden Motoren weiter zu ihrem nächsten Ziel. * * * „Ihr Essen ist fertig“, sagte der Koch vom Essensstand.

Pastor Luis drehte sich langsam um. Ihm wurde bewusst: Wenn er nicht angehalten hätte, um mit dem Obdachlosen zu sprechen, wäre er gerade in dem Moment im Donutladen gewesen, als die Biker auftauchten. Er wäre mitten in dem gefährlichen Geschehen gewesen. Vielleicht hätte er es nicht überlebt. „Ein Burrito. Machen Sie drei Burritos für meinen neuen Freund daraus. Einen Toast und ein Getränk. Einverstanden?

Der Obdachlose nahm das Essen dankbar an, verstaute die Burritos in seinen Manteltaschen, wandte sich seinem neuen Freund zu und sagte: „Danke für die Burritos, Pastor Luis.“ Dann ging er seines Weges und verschwand bald in der dunklen Gasse.

Pastor Luis stand wie angewurzelt in der Gasse neben dem Essensstand.

Ich weiß nicht, wie der Mann heißt, dachte er bei sich. Ich habe mich auch nicht bei ihm vorgestellt. Es ist unmöglich, dass er weiß, wer ich bin. Woher kannte er meinen Namen?

Der Lärm der Biker, die das Donutgeschäft heimgesucht hatten, wurde inzwischen von Sirenen ersetzt, als Polizei- und Feuerwehrautos und Krankenwagen eintrafen. Aber alles, was Pastor Luis hören konnte, war die Stimme eines sehr kranken, lächelnden Obdachlosen. „Danke für die Burritos, Pastor Luis.“

Dick Duerksen ist Pastor und Geschichtenerzähler in Portland, im US-Bundesstaat Oregon. Er ist auf der ganzen Welt als „reisender Bestäuber mit den Pollen der Gnade Gottes“ bekannt.

Herausgeber: Adventist World ist eine internationale Zeitschrift der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten. Sie wird herausgegeben von der Nordasien-Pazifik-Division der Generalkonferenz der Siebenten-Tags-Adventisten.

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