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PaulColeman
Zensiert www.fontis-verlag.com

Hinweis

AlleindiesemBuchzitiertenGesetzeundF lleentsprechen, soweitnichtandersvermerkt,demzeitlichenStandder

2.englischenAusgabevon2016.

Wieeurop ische «Hassrede»-Gesetze dieMeinungsfreiheitbedrohen

PaulColeman Zensiert

BibliografischeInformationderDeutschenNationalbibliothek

DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinder DeutschenNationalbibliografie;detailliertebibliografischeDatensind

imInternet berwww.dnb.deabrufbar.

DieenglischeOriginalausgabeerschien2012unterdemTitel«Censored. HowEuropeanHateSpeechLawsareThreateningFreedomofSpeech»

imVerlag«KairosPublications»Wien.

PaulColeman

Inhalt

2020byFontis-VerlagBasel

bersetzung:AlexandraMariaLinderM.A.,Viersen

Umschlag:Ren Graf,Fontis-Verlag

Satz:InnoSetAG,JustinMessmer,Basel

Druck:Finidr

GedrucktinderTschechischenRepublik

ISBN978-3-03848-191-1

VorwortvonRalfSchuler,BILD....................7 F rdiedeutscheAuflagezumGeleit................17 Einleitung....................................33

TEILEINS: DieEntstehungvonEuropas«Hassrede»-Gesetzen.....49

Kapitel1:DieAllgemeineErkl rungderMenschenrechte51

Kapitel2:NachfolgendeMenschenrechtsabkommen...61

Kapitel3:UmsetzunginnationalesRecht............71

TEILZWEI: DieAuswirkungendereurop ischen«Hassrede»-Gesetze79

Kapitel4:PolizeilicheErmittlungen................81

Kapitel5:Gerichtsverfahren......................97

Kapitel6:Verurteilungen.........................113

TEILDREI: WarumsolcheGesetze?GrundgedankenundMotive...125

Kapitel7:«Hassrede»undGewalt..................127

Kapitel8:SchutzvorKr nkungundWahrungderW rde139

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TEILVIER:

DieZukunftdereurop ischen«Hassrede»-Gesetze....157

VorwortvonRalfSchuler

Kapitel9:EineZukunftderZensur?.................159

Kapitel10:EineZukunftderfreienRede?............175

AnhangA Internationale«Hassrede»-Regelungen..............189

AnhangB

Regionale«Hassrede»-Regelungen(Europa)..........197

AnhangC Nationale«Hassrede»-GesetzeinderEurop

Am15.Juni2020erschieninderlinksalternativen«tageszeitung»(TAZ)einBeitrag,derempfahl,PolizistenaufM llhalden«unterihresgleichen»zuentsorgen.AnstelleeinesFazits hießesamSchlussdesTexteswçrtlich:«Spontanf lltmirnur einegeeigneteOptionein:dieM lldeponie.NichtalsM llmenschenmitSchl sselnzuH usern,sondernaufderHalde, wosiewirklichnurvonAbfallumgebensind.Unterihresgleichenf hlensiesichbestimmtauchselberamwohlsten.»

MenschenalsM llundUnrataufeinerDeponie,wodie GesellschaftihrenAbfallzumVerrottenabl dt.Sogleichbrach einSturmderEntr stunglos.ManmusskeineAssoziationen undBildervonbefreitenKonzentrationslagernderNationalsozialistenbem hen,umzuzeigen,dassdie«unantastbare W rdedesMenschen»,wiedasdeutscheGrundgesetzesin Artikel1garantiert,hierbeimehralsnurangetastetwird.Sie wirdschlichtaberkannt.WennhiernichteinlupenreindefinierterHass-undHetz-Kommentarvorliegt,wanndann?

DochdieEntr stungrundumdieseninvielfacherHinsicht misslungenenMeinungsbeitragrichtetesichwenigergegen denKommentarselbstoderdieAutorindesTextes,sondern drehtesichimGegenteilzugroßenTeilendarum,dassund warumdieserTextmçglich,çffentlichunderlaubtseinm sse undwarumeineangedrohteStrafanzeigedesBundesinnenministersnichtetwafolgerichtig,sonderngeradezuein

ischenUnion
Danksagung...................................249 Endnoten.....................................251 6 PaulColeman
199 Ausgew hlteBibliografie.........................241
LeiterderParlamentsredaktionvonBILD
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AnschlagaufdiePressefreiheitdarstellenw rde.Verkehrte Welt.VerirrteWelt.

StattaufdieAutorinschossensichersteinmalalleaufden Bundesinnenministerein,dersiekritisierte.Wessenhatteer sichnunschuldiggemacht?ErhattewederdieRedaktion st rmenoderschließen,nochdieAutorinmitDrangsalbelegenlassen,sondernsielediglicheinemrechtsstaatlichenVerfahrenzurFeststellungunterziehenwollen,obhierBeleidigung,HassoderHetzevorliegen,wennjemandpauschalalle PolizistenalsM llbezeichnet.

DieDebatterundumdiesenFallisteinParadebeispielf r nahezualleProblemlagen,dieimvorliegendenBuchrund umdieVersuchedesGesetzgebersentstehen,HassundHetze juristischmitHilfevonGesetzgebungenzuunterbinden.

F rdenKampfgegen«Hassrede»istderVorgangindoppelterHinsichtinteressant:ZumeinenhatdiemitWeb-Links undZitatenangereicherteNetz-Debatte berdiesenHassText(PolizistenaufdenM ll)meinerKenntnisnachkeinerleiReaktionseitensderNetzwerk-BetreiberwieTwitterund Facebookausgelçst.WederLçschungennochSperrungen sindbekanntgeworden,beidenenaufdie«gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit»gegen berderPolizeiBezuggenommenwordenw re.MitanderenWorten:WerauchimmerRegief hrtbeimKampfgegen«HassundHetze»,stießsichhier offenbarnichtimGeringstenamoffensichtlichenundauch pauschalenHassaufdiePolizeiundderHetzegegensie. DerzweiteinteressanteAspektbetrifftdieDebatteselbst, dienachg ngigemDemokratieverst ndnisselbstverst ndlich gef hrtwerdenmussteunddief rdiegesellschaftliche SelbstvergewisserungvongroßerWichtigkeitwar.Kurz:Das ansonstenallgegenw rtige«Anti-Hass-Edikt»wirktebeimtazCasusoffenkundigauswillk rlichenGr ndennicht.Tats chlichwaresaberauchgut,dassesnichtwirkte,weilsolcheDe-

batten berHassundvermeintlicheHetzesonstgarnicht f hrbarw ren.WerdieGrenzendesSagbarendiskutierenwill, mussdas«Uns gliche»ersteinmalaussprechenundzurDebattestellend rfen.

Hinzukommtauchimtaz-FalldasProblem,dassHass undHetzevielfachallzubilligimSchattenkonkurrierender RechtsstaatsprinzipienwiePresse-,Kunst-undSatirefreiheit gedeihlichihrDaseinfristenkçnnen,ohnedasssiealsdas benanntwerden,wassietats chlichsind.Schnellwarauch beimText«PolizeiaufdenM ll»dasVerteidigungsargument zurHand,eshabesichhierumeinensatirischenTextgehandelt,deswegenseieskeinHass,sondernHumor.Nurlachte niemand.

IchhabemireinmaldieM hegemacht,dieschriftlichen Urteilsbegr ndungenin hnlichenF llendurchzusehen,die inderVergangenheitf raufgebrachteDiskussioneninMedienundPolitikgesorgthaben.SodurftedieAfD-Politikerin AliceWeidellauteinemGerichtsurteil«satirisch»als«Nazischlampe»bezeichnetwerden,weildashoheGutderKunstundSatirefreiheitjuristischdergestaltwirkt,dassmitmaximalemGutwillennachinhaltlichenAnkn pfungendervermeintlichenSchm hungandiePersongesuchtwird.DasGerichtbegr ndetedamals,daWeidelsParteisowohlgeschichtsrevisionistischeVorstçßeunternommenalsauchauf GeburtenratenvonMigrantenBezuggenommenhabe,sei eine berhçhungvon«Nazi»(f rNationalsozialist)und «Schlampe»(umgangssprachlichf rDirne)einezul ssige Pointierung.

ImFallderGr nen-PolitikerinRenateK nast,diezun chsterfolglosgegendieBeschimpfungetwaals«Drecksfotze»durcheinenTwitter-Nutzervorgegangenwar,wurde zumeinendie«Pressefreiheit»alsVerteidigungderBeleidigungherangezogen,daderKurznachrichtendienstTwitter

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gewissermaßenalsçffentlichesMediumgesehenwird.Zum anderenbegr ndetedieBerlinerKammerdenFreispruch desAngeklagtendamit,dassinderheutigenUmgangssprachesichderurspr nglicheSinngehaltvonWortenund MetaphernauflçseunddieselediglichimSinneeinersehr starkenAblehnungverwendetw rden.

BeideBeispielezeigenauf,dassmanentwederganzneue Justiz-Apparateaufbauenm sste,umbeieinigermaßen gleichverteiltemVerfolgungs-undErmittlungsdruckdie hass-undhetzverd chtigeKommunikationimNetzzeitnah (inklusiveAnhçrungen,Gutachten,Pl doyersetc.)aufarbeitenzukçnnen,oderaberjedenprivatwirtschaftlichen «HassundHetze»-KontrolleurvornahezuunlçsbareKonfliktestellt.L sstmanschonjetztstrafbewehrteDeliktewie AufrufzumMordoderglasklareBeleidigungeneinmalaußenvor,som ssteninstitutionalisierteSittenw chterder InternetplattformenwohlmiteinergehçrigenPortionWillk runterwegssein,umdemlandl ufigenVerst ndnisvon aggressionsarmerKommunikationzudienen,undsichhernachmitKlagenundVerf gungenf rFehllçschungenund -sperrungenherumschlagen,wennmanvorschnellund f lschlichKommentareoderganzeNutzerprofileals«Hass» deklarierthatte.Daskanneigentlichniemandwollen.

schen berTageangefeindet,angegiftetundzurVerzweiflung getriebenwerden.Eskannalsonurdarumgehen,wieundmit welchenMittelnsicheineinhumaneEntgrenzungvonKommunikationbek mpfenl sst,ohnedassdabeigrundlegende undf rdieDemokratielebenswichtigeFreiheitsrechtenachhaltigbesch digtoderzerstçrtwerden.

Hasswirdgemeinhinals«intensivesGef hlderAblehnung undFeindseligkeit»definiert.BeiHetzeoder,wiemancheGesetzeesformulieren,bei«Anstachelung»,kommtnocheine aktivisch-appellativeKomponentehinzu,diederWortherkunftausderJ gersprache(«Hetzjagd»)entstammt.VermischtmitVerunglimpfung,VerleumdungoderfalschenFaktenbleibtesinjedemFalleeineungute,bçse,unversçhnliche Emotionslage.Wirwissenesaugenblicklich,wennwirihrbegegnen.LeichteinzugrenzensinddiesePh nomenedennoch nicht.

Werkçnnteauchetwasdagegenhaben,intensivergegen «HassundHetze»imNetzundwoauchimmervorzugehen?

JedemfallenGelegenheitenein,beidenenmanselbstundanderebçswilligmissverstandenodermissinterpretiertwurden, woniedereGesinnungundGesittunganderenoffenSchlechtes,SchmerzundVertreibungandenHalsw nschtoder durchKettenbildungw sterBeschimpfungenimNetzMen-

Esbeginntschondamit,dasseinezul ssigeMeinungdurch dieWahlvonFormulierungundTonlagejenachGesinnung desRezipientenzuHassundHetzewerdenkann.Sokann etwadieWendung«Grenzendicht,undallezur ckschicken» insozialenNetzwerkenalsfremdenfeindlicherHassmitLçschungundSperrungbelegtwerden.Werdagegenvon«BegrenzungundSteuerungvonMigration»spricht,bewegtsich unzweifelhaftimlegalenundlegitimenBereichdesVerfassungsbogens,obwohlGrenzschließungundZur ckweisung damitebenfallsgemeintseinkçnnen.Istesalsogerechtfertigt,gegendasersteZitataufgrunddesgeringenAbstraktionsgradesundderbildhaftenAufladungderFormulierungvorzugehen?

Alsdernordrhein-westf lischeMinisterpr sidentArmin

Laschet(CDU)imZugedesCorona-SkandalsbeimFleischbetriebTçnniesdavonsprach,dassLeiharbeiterausRumnienundBulgariennachihrerR ckkehrausdenHeimatl

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derndasViruseingeschleppth tten,bracheinSturmder Entr stungobdieser«fremdenfeindlichenHetze» berihn herein.NiemandmachtesichdieM he,dieBehauptung sachlichzupr fen.KamendieArbeitertats chlichamWochenendezuvorausdemHeimaturlaubzur ck?L sstsich dieInfektionskettenachvollziehen?Damith ttemanLaschetklarwiderlegenkçnnen.Oderbeginnen«Hassund Hetze»bereitsbeiderNennungvonTatsachen,dieMigrantenundMigrationineinemung nstigenLichterscheinen lassen?

DaalldieseDebattenundKampagnensichauchimNetz abspielen,h ngtdieBeantwortungdieserFragendirektmit demThemadiesesBuchesundderFragezusammen,obund wanneinZensoreingreifenkannundsoll.Esgehtumdie Frage,obsichdieAufsichts-undKuratierungspflichtder Plattform-BetreiberwieYouTube,FacebookoderTwitterauf einensehrengen,unumstrittenstrafrechtlichrelevantenBereichkommunikativerGrenz berschreitungenerstreckt,oder obderDenk-KorridordesZul ssigenvonbeidenSeitendurch subjektiveLeitplankenverengtwird,dieauchMissliebiges undvermeintlichUnzeitgem ßesaussperren.Tendenzenzu LetzteremsindbeiderjetzigenPraxis berdeutlicherkennbar.ImmerwiederfindensichunterdenLçschungenbzw. SperrungenPostings,etwaauschristlichenKreisen,diegegenl ufigzumMainstream-Diskurslaufen.Ablehnungder Homo-Ehe,KritikanderaktuellenMigrationspolitikoderislamkritischeWortmeldungensindzwargrunds tzlichzul ssig,werdenaberoffenbarvielfacheliminiert,weilmansief r demgesellschaftlichenKlimanichtzutr glichh lt.NuristgenaudasnichtAufgabevonHass-und-Hetze-Bek mpfung. GanzoffensichtlichgehendieMitarbeiter,diemitderSichtungderInhalteinmeistausgelagertenFirmenbetrautsind, nacheinemwenigerjuristischalsvielmehrsubjektivbasier-

tenEmpfindenvonUnrecht,GutundBçseaus.EinvergleichbarerEingriffohnejuristischeGrundlageindieanalogePressefreiheith ttel ngstzunationalenSkandalenundEmpçrunggef hrt.

MankanndieverschiedenenstaatlichenBem hungenim Kampfgegen«HassundHetze»garnichtkritischundskeptischgenugbegleiten.DerdeutscheRechtsanwaltJoachim SteinhçfelhatsichunteranderemaufF llespezialisiert,bei denenMeinungs ußerungenimInternetwillk rlichundzu Unrechtgelçschtodergesperrtwurden.DievonihmgesammeltenF lle 1 sinddurchausinteressant,weilandenBeispielenklarwird,dassentwederkontextlosaufgrundvonSchlagwortlistengelçschtwurdeoderdieZensorenderMaterie,die siepr ften,intellektuellnichtgewachsenwaren.Sowurde beispielsweisediewissenschaftlicheDebatte berdasBuch «HitlersVolksstaat»desHistorikersGçtzAlygelçscht,obgleichdiesesfreizug nglichundvçlligunanstçßigist.Man unterbandaberauchmehrfachdieVerbreitungvonoffenzug nglichenTextenausderSchweizer«Weltwoche»beiFacebook,derenMeinungstendenzvomg ngigenDiskursabwich. DieVerlockungzumMissbrauchvonMeinungsmachtist nichtnurbeipolitischenInstanzengroß,sondernauchbei privatwirtschaftlichenAdministratoren,diedasgesetzliche MandatvonAnti-Hass-Gesetzenalsindividuelle,ganzsubjektiveMeinungsmachtausleben.

Nochheiklerwirdes,wenn,wierealeBeispielezeigen,die vermeintlich«sozialen»NetzwerkeihreAdministratorendazu nutzen,Freundschaften,FollowerundandereVernetzungen derNutzeraufdenPlattformennacheigenenKriterienzu trennen(oderneueherzustellen?).Hierbewegenwirunsan derGrenzezugesellschaftlichenMilieu-undMeinungsmanipulationen,diemansichprofessionalisiertinfalschenH ndengarnichtauszumalenvermag.IndenH ndenjener,die

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vonsichselbstglauben,die«Richtigen»zusein,allerdings auchnicht.WounsichtbareAdministratoreninFreundesnetzwerke,Meinungsblasen,Informationskettenodereinfach auchnurinReichweitenpotenzialeleiselenkendeingreifen, mussjedemwachenFreigeistganzschwummerigwerden.

DieeinzigmçglicheForderunganPlattformbetreiberund Gesetzgeberkannhiernurlauten:Eingriffsbeschr nkungauf hartundunzweifelhaftjuristischangreifbareTatbest nde undmaximaleTransparenz!SowohlAlgorithmen,dieVerbreitungundVernetzungbeeinflussen,gehçrenoffenerkl rt,als auchdieRegelnf rModeration,LçschungundSperrungin Netzwerken.Denkbarw reetwadiePflicht,jedenEingriffder PlattformzudokumentierenundentwederçffentlichoderzumindestdenBetroffenenzug nglichzumachen.Wogelçscht odergesperrtwird,musseinLinkzurDokumentationdes Vorgangshinterlegtwerden,wodieBegr ndung,dieRechtsgrundlageundeineArtRechtsmittelbelehrungf rmçglichen WiderspruchoderAnfechtunghinterlegtist.

Dasmachtesf rdiePlattformennichtleichterundbilliger, istf rKommunikationundInformationsaustauschineiner freiheitlichenGesellschaftaberunerl sslich.

Besserenwenden,wennmandieeigentlichm ndigenB rger lediglichmiteinervorgefiltertenAuswahlanFakten,InformationenundMeinungenkonfrontiere.EineIdee,die,zuEnde gedacht,ingelenkterDemokratieendet,aberauchganz grunds tzlichnichtfunktioniert.DieRealit tistimmerst rkeralsmedialvermittelteWunschbilder.ImGegenteil:Je deutlichersicherlebteWirklichkeitundmedialeWiderspiegelungunterscheiden,destogef hrlichersteigtderDruckimgesellschaftlichenSystemundsuchtnacheinemVentil,umsich zuentladen.

DerinstitutionalisierteEingriffindiefreieMeinungs ußerung kannunddarfinfreiheitlichenDemokratienimmernurAusnahmebleibenundmusssich,wennirgendmçglich,auf strafrechtlichunzweifelhafteTatbest ndebeschr nken.Das istnichtnureineFragederpolitischenHygiene,sondernim GrundeaucheinegesellschaftspolitischeSelbstverst ndlichkeit.ImmerwiedersitzenPolitiker,aberauchandereengagierteVertretervonMedien,Verb nden,ausKunstundKultur demMissverst ndnisauf,dasssichanstrengendeZeitenzum

Auchdieimmerwiederdirektoderindirektbem hteTheorie,wonachDenkenundWirklichkeitsich ndern,wennman nurdieSprache ndert,f hrtindieIrreundallenfallszuimmerengergef hrterSprach-Normierung,wieesdievielerorts praktizierteEinf hrungdersogenannten«Gender-Sprache» geradeeindr cklichbeweist.WoMigrationalsProblemwahrgenommenwird,versch rftdruckvollverlangteKultursensibilit tehernochdieDissonanzzwischenRealit tundverordnetemSchein.Kurz:UmHassundHetzezubek mpfen,ist politischerAlltagsdialogmitdenMenschenunddieLçsung derrealenProblemevielwichtigeralsdieBereinigungdes DiskursesvonvermeintlicherHassrede.Wasnichtgesagt werdensoll,wirddennochgedacht.Gelçschteundgesperrte Meinungenverschwindennicht.EinMenschenbild,welches davonausgeht,dassm ndigeB rgerwillenlosundlatentanf lligseienf rdieInfektionmitfalschenInformationenund bçsenGesinnungen,stelltAufkl rungundHumanismusindirektinAbrede.

ZuguterLetztseidaraufhingewiesen,welchseltsameBltenderKampfgegenHassundHetzeschonheutetreibt.So dr ngtenunl ngstmehralsneunzigFirmen,daruntergroße WeltkonzernewieetwaderBrause-Abf llerCoca-Cola,der Verbrauchsg ter-HerstellerUnileveroderdieKaffee-Kette

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StarbucksdasNetzwerkFacebookdurcheinenAnzeigen-Boykott,verst rktgegenHassundHetzevorzugehen.Selbstwenn manlçblichsteAbsichtenunterstellt,solltendieAlarmglockenderMeinungsfreiheitun berhçrbarschrillen:WirtschaftsunternehmensetzenihreFinanzkraftein,uminhaltlicheEingriffeindieKommunikationfreierB rgerzuerzwingen?

DerçffentlicheAufschreibliebaus.DermedialeundpolitischeAufschreiauch.Antisemitismus,Kriegstreibereioder KinderpornografiesolltenschonjetztbeiFacebookaufdem Indexstehen.Lçschungen,diegewissermaßenvonderIndustrieerzwungensind,bietenStofff rneueVerschwçrungstheorienunddienensichernichtderVertrauensbildung.Man darfgespanntsein,welchepolitischeAgendadiemarktm chtigenKonzernlenkeralsN chstesumtreibt.DieVerlockung d rftewachsen,nichtnurzurUnterdr ckungbestimmterInhaltediemerkantilenHebelanzusetzen,sondernbeipassenderGelegenheitwomçglichauchproaktivdieInfo-Agendazu bestimmen.WirsolltendemvonAnfanganwehren.

Berlin,imJuli2020

RalfSchuler (geb.1965)istLeiterderParlamentsredaktion vonBILDundhatsichinseinemBuch«LasstunsPopulisten sein–10Thesenf reineneueStreitkultur»(Herder)auchmit denpolitischenFolgenderDigitalisierungbesch ftigt.

Vorf nfJahrenbeendeteichdieArbeitenzurenglischenAusgabediesesBucheszurdamaligenLagerundumdie«Hassrede»-GesetzeinEuropa.IchhattebereitsdamalsinKapitel9 desBucheseinigeVoraussagen berdieZukunftformuliert–heutemussichsagen,zumErscheinenderdeutschenAusgabehabensichleiderallediesePrognosenerf

weilesf rdengesellschaftlichenDiskursbesserw re,ich h ttemichinmeinenVorahnungenzurEntwicklungderRedefreiheitgeirrt.

Diedamaligenf nfVoraussagenwaren,kurzzusammengefasst,dasssicherstensderGeltungsbereichder«Hassrede»-Gesetzewahrscheinlichausweitenw rde.DasszweitensdieSchwelleder«Hassrede»-Gesetzeherabsinkenw rde. DassdrittenseineneueKulturderZensurgeschaffenw rde. DassesviertenssteigendeundvonderRegierungunterst tze berwachungundBerichterstattunggebenunddassf nftens derSchutzderRedefreiheitgerichtlichzunehmendverw ssertw rde.

WiedieEntwicklungeninzahlreicheneurop ischenL ndern,aberauchindenUSAindenvergangenenJahreneindr cklichzeigen,werdenallediesePrognosengeradein unterschiedlichenL ndernmitdiversenMaßnahmenund Gerichtsentscheidungenforciert,hatsichdieLagederRedefreiheitmassivversch rftundspitztsichdieEinschr

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llt.«Leider»,
nkung 17

derRedefreiheitderzeitzu.Gehenwirdief nfVoraussagen einmaleinzelndurch:

Ichhatteerstensvorausgesagt,dassderGeltungsbereichder sogenannten«Hassrede»-Gesetzeausgeweitetwird.EinklassischesBeispieldieserEntwicklungkannmaninderSchweiz beobachten.ImFr hjahr2020stimmtedortdieBevçlkerung ineinemReferendummitMehrheitf reineErweiterungdes Diskriminierungsverbotes,umeineneueArtvon«Hassrede» unterStrafezustellen.DieAusweitungdersogenannten«Anti-Rassismus-Strafnorm»imParagrafen261bis desSchweizer Strafgesetzbuches 2 besagtseitdem,dassauchDiskriminierungundAufrufzumHassgegenPersonenaufgrundihrer «sexuellenOrientierung»verbotenseinsoll.Bisherwaren dortKriterienwieReligion,EthnieundRassevermerkt.KritikerdesGesetzesmoniertenvonAnfangan,dasssowohlder Begriffder«sexuellenOrientierung»alsauchdiefehlende KonkretisierungzwischenHassundlegitimer,aberabweichenderMeinungdazueinladen,dieneueRegelungalseine ArtZensur-Gesetzzumissbrauchen,unddieGefahrbestehe, dassjederWiderspruchabsofortmitStrafanzeigenwegenangeblicherHassredebeantwortetwerdenkçnnte.Betrachtet mandieErfahrungenausGroßbritannien,Spanienoderden USAzumUmgangmitKritikern,istdieseBef rchtungleider nichtvonderHandzuweisen.

AuchinSchottlandwirdseitdemFr hjahr2020einneues GesetzzurVerhinderungvon«Hassrede»imParlamentdiskutiert.Diesogenannte«HateCrimeandPublicOrderBill» 3 solldiebereitsbestehenden«Hassrede»-Gesetzezusammenfassen,neueGruppenunterdenSchutzvorDiskriminierung undVorurteilenstellen,aberaucheinenneuenStraftatbestandschaffen,n mlichjenen,«Hasszusch ren»gegenandere.NichtzuletztsollbeiderGelegenheitderStraftatbestand

derBlasphemieabgeschafftwerden,weilerseit ber175Jahrennichtangewandtwurde.Bereitsbisherdarflautgeltender Anti-Diskriminierungs-GesetzeinSchottlandniemandaufgrundvonBehinderung,Rasse,Religion,sexuellerOrientierungundTransidentit tdiskriminiertwerden.DieseListesoll umdieFaktoren«Alter»und«Geschlecht»erweitertwerden. ProblematischistinSchottlandauchdieschwammigeFormulierungderAnstachelungzumoderauchdesSch rensvon Hass,weilnichteinmalansatzweisegekl rtist,welcheAussagendamitnoch«sagbar»bleibenundwasbereitsdemVorwurfvon«Vorurteilen»oder«Hass»unterliegt.Mankannpositivbewerten,dassBlasphemieabgeschafftwerdensoll, wennabergleichzeitigzumBeispielKritikamIslamoderan anderenReligionenneuerdingsalsdasSch renvonHass unterStrafegestelltwird,w redadurchweniggewonnen, sonderneherlegitimeKritikanReligionsgemeinschaften oderreligiçsenPraktikenfaktischsogarerschwert.

Zweitenssahichbereitsvorf nfJahrenkommen,dassdieinhaltlicheSchwellezurDefinitionvon«Hassrede»sinkenw rde,sodassnichtnurextremeAnsichtenals«Hass»gewertet werden,sondernauchjeglicheandereAnsichtenGefahrlaufenkçnnen,neuerdingsals«Hassrede»bewertetzuwerden, wennsievondenAnsichtengesch tzterMinderheitenabweichenunddamitauchschnellergef hrdetsind,strafrechtlich belangtzuwerden.AuchdaswurdedurchdieRealit tleider verifiziert.DennnochbevorRedefreiheitdurchBehçrden, GesetzeoderGerichteeingeschr nktwird,findetneuerdings bereitsimaußerrechtlichenRaum,verst rktauchindensozialenMedien,eineArt(Selbst-)Beschr nkungdeserlaubten Denkradiusstatt,innerhalbdessenesmçglichistzuargumentieren,ohneder«Hassrede»gegenEinzelneodergegen Gruppenbeschuldigtzuwerden.Weitbevorjemandvor

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Gerichtlandet,stehterbereitsimçffentlichenDiskursunter Anklage.

Der«FallRowling» 4 zeigteexemplarischimSommer2020, wiemedialimInternetjemandamPrangerstehenkann,alleinef rdieAussage,dassesnurzweiGeschlechterg beund sogenannte«Transfrauen»keineFrauenimeigentlichen Sinneseien.DieBestsellerautorinder«HarryPotter»-Reihe,J. K.Rowling,wurdeinFolgeihrerdiesbez glichenMeinungals «Transphobe»und«Hassrednerin»bezeichnet.EsdistanziertensichKollegen,SchauspielerundPolitikerweltweitnicht nurvonihrerMeinung,sondernauchvonihrerPerson.Rowlingwarurspr nglichderBritinMayaForstaterçffentlichzur Seitegesprungen,die berdieAussagebeiTwitter«M nner kçnnenkeineFrauenwerden»ihrenArbeitsplatzundauch vordemArbeitsgerichtdanachihreKlagegegendieEntlassungverlor.DieAbschreckungswirkungf rvieleB rgersollte fortanenormsein,inwieweitsiesichnochzumThemenkomplexTranssexualit tçffentlich ußern,wennanderewegen ihrerMeinungdenArbeitsplatzverlierenundselbstweltweite ProminenznichtvorBeschuldigungender«Hassrede» sch tzt,oderdavor,zumindestaneinendigitalenPranger, wennauchnochnichtvorGerichtgestelltzuwerden.WeltweitwurdenmehrfachchristlicheGeistlicheangeklagt,sich der«Hassrede»gegenHomosexuelleschuldiggemachtzuhaben,alleinindemsieBibelstellenzitierten,wieimFolgenden diesesBuchesnochzuberichtenseinwird.Der«ChillingEffect» 5 f randereGeistlicheoderauchReligionslehreran Schulensolltenichtuntersch tztwerden,sodasszubef rchtensteht,dasseinevorbeugendeRedekulturderMeinungsvermeidungEinzugh lt.

DochnichtnurpersçnlicheMeinungen,sondernauchder Diskurs berwissenschaftlicheFaktenwirdinzwischendurch denVorwurfvonHetzeundHassbehindert.ImZugederCo-

rona-KrisewurdenvielfachTweetsundauchYouTube-Videos alsangebliche«Desinformation»oderals«Fake-News»markiertodergelçscht.DiebeidenBegriffesindanalogder«Hassrede»zupolitischenKampfbegriffenavanciert,kçnnenoftgenausowenigklardefiniertwerdenundbergenentsprechend dieGefahr,politischinstrumentalisiertzuwerden.ImMai 2020lçschteYouTube 6 etwaeinVideovonProf.KnutWittkowski,demehemaligenLeiterderAbteilungBiostatistik, EpidemiologieundForschungsdesignanderRockefeller-Universit tvonNewYork,indemerdieLockdown-Politikder Regierungkritisierte. ber1,3MillionenMenschenhattenes bereitsangeklickt,bevorYouTubeesrestlosentferntemitder Begr ndung,esbeinhalte«Falschinformation».Unabh ngig davon,obesnunstimmteodernicht,undobmandieMaßnahmenderRegierungf rangemessenhieltodernicht,durftendieZuschauersichkeineigenesBildmehrdavonmachen, weilYouTubeeigenm chtigentschiedunddenBeitragzensierte.AucheinevangelischerPastorwurdeOpferderZensur inCorona-Zeiten. 7 YouTubeentferntedieHçrbuchversion seinesaktuellenBuches«CoronavirusundChristus»,indem ersechsbiblischeAntwortenzuderFragegab:WastutGott durchdasCoronavirus?JohnPiperistKanzlereinerBibelschuleimUS-amerikanischenMinnesota,dieBegr ndung f rdieBuchzensurdurchYouTubelautete:Verstoßgegendie Community-Regeln.

InEnglandentfernteGooglegardasbekanntechristliche Magazin«Christianity»ausdemVerkaufsangebotim«Google PlayStore» 8,nachdemdieZeitschriftsichimApril2020der weltweitenCorona-Pandemiegewidmethatte.AlsBegr ndungformulierteGoogle,manakzeptiereimApp-Storenur solchePublikationen berCovid-19oderverwandteBegriffe, wennsievonoffiziellenRegierungsstellenoderstaatlichen Gesundheitsbehçrdenautorisiertoderverçffentlichwerden.

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DochauchmedialunliebsameRegierungschefssindnicht davorgefeit,durchTwitterzensiertzuwerden.ImM rz2020 lçschteTwitterzweiVideo-TweetsdesbrasilianischenPrsidentenJairBolsonaro,indenenerdieWirksamkeitderbrasilianischenLockdown-MaßnahmenzurEind mmungvon Covid-19anzweifelteunddieAnordnungendesbrasilianischenGesundheitsministersmissachtete.TwitterrechtfertigtedieLçschungmitdemArgument,manlçscheBotschaften,diedenInformationenderGesundheitsbehçrdenzuder Pandemiewiderspr chenunddasRisikoderWeiterverbreitungerhçhenkçnnten. 9

AuchderamerikanischePr sidentDonaldTrumpwurdein

denvergangenenMonatenzweimalaufderselbenPlattform zensiert.TwitterlçschtezumeineneinVideodesTrump-WahlkampfteamszudenAntirassismus-Demonstrationennach demToddesschwarzenH ftlingsGeorgeFloydunterPolizeigewahrsam.Twitterbegr ndetedieMaßnahmedurcheine angeblicheBeschwerdewegenUrheberrechtsverletzungenbei demBildmaterial,beiFacebookundYouTubeistdasVideo anstandslosweiterzusehen.BereitseinpaarWochenzuvor hatteTwitterzweimalTweetsdesPr sidentenalsangebliche Falschmeldungen,einanderesMalals«gewaltverherrlichend» markiert.Unabh ngigdavon,obmandemamerikanischen Pr sidentenzustimmenmagoderauchnicht,zeigtsichoffensichtlich,dasshiereineOnlineplattformbeieinzelnenPolitikerneigeneMaßst beansetzt,dieimVergleichzuMillionenanderenTweetsnichtneutralbegr ndbarsind.

Der«ChillingEffect»schl gtauchhierdurch:Wennselbst diePr sidentengroßerL ndernichtdavorgesch tztsind, dassihreMeinungs ußerungenzensiertwerden,washatein einfacherB rgerohneMacht,GeldoderwenigstensjuristischenBeistandnochentgegenzusetzen,wennseinePostings, TweetsoderProfilegelçschtwerden?

Drittenshatteichvorausgesagt,dassgesellschaftlicheine neue«KulturderZensur»entstehenwird,diesichvomStrafrechtinimmerweitereBereichedest glichenLebensausweitenwird:SprachregelungeninMedienanstalten,TV-Sendern undimInternet,Verhaltens-undSprachregelnamArbeitsplatzoderaufdemUni-Campus.ImmermehrBereichedes Lebenswerdendadurchzu«meinungsfreien»Zonen.W hrenddiegedanklicheSelbstzensurindenKçpfenderMenschenjuristischnurschwergreifbarist,istbereitsseiteinigen JahrenderVersuchderr umlichenEingrenzung–oderbesser gesagt:der«Ausgrenzung»vonMeinung–zubeobachten: Manversucht,R umezuschaffen,indenenmancheMeinungennichtgeduldetwerden.DasbetrifftUniversit tsgel nde, aberauchdieçffentlichenStraßenundPl tzerundumAbtreibungskliniken.BereitsseiteinigenJahrenistverst rktvor allemimangloamerikanischenRaumdieTendenzzubeobachten,sogenannte«SafeSpaces»anUniversit teneinzurichten,flankiertauchdurchdieZensurvonLiteraturlisten.Ziel istdabei,bestimmtePositionen,dieals«Hassrede»empfundenwerden,ganzvomGel ndezuverbannen.

W hrendLiteraturlistenh ufigthematischvonangeblich rassistischeroderauchantifeministischerLiteratur«bereinigt»werden,sorgtunterdenStudentenh ufigdasThemaAbtreibungf rPolarisierung.Studentische«ProLife»-Gruppen habenzunehmendSchwierigkeiten,gleichberechtigtwieandereStudentengruppenaufdemUniversit tsgel ndeaufzutreten,sichzuorganisieren,R umezunutzenoderauch nurFlyerzuverteilen.InGroßbritannienmusstenindenvergangenenzweiJahrenandenUniversit tenvonGlasgow 10,an derStrathclydeUniversit t 11,anderAberdeenUniversit t 12 undanderUniversit tvonNottingham 13 Studentenjuristisch mitAnw ltenerk mpfen,sich berhauptaufdemUniversit tsgel ndezuerkennenzugebenundzuorganisieren.Die

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Vorsitzendeder«ProLife»-GruppeanderUniversit tNottinghamwurdewegenihresEinsatzesf rdasLebensrechtsogar vonderUniversit tsleitungoffiziellvomStudiumsuspendiert. SiegingjuristischdagegenvorundverloreinganzesStudienjahr,bissiesicherfolgreichwiederalsStudentineinschreiben undweiterstudierenkonnte.ImJahr2018sahsichdasbritischeParlamentgargençtigt,sichmitderH ufungsolcher «Verbannungen»und«SafeSpaces»andennationalenUniversit tenzubefassen.DasparlamentarischeKomiteef rMenschenrechteverçffentlichteeigenseinenBericht 14 zudieser steigendenProblemlageundkritisiertedieCampuspolitik, diezunehmend«unliebsame»MeinungenvomGel ndeverbanne.DerbritischeVorsitzendederKommissionf rGleichstellungundMenschenrechte 15 betonteindenMedien,Universit tensolltenalseine«BastionderDebatteundVerteidiger derMeinungsfreiheit»agierenundnicht«ProLife»-Gruppen anihrerT tigkeithindern,nurweilmanchenStudentendiese Ansichtenmissfallen.AuchinDeutschlandsehensichHochschulgruppen,diedenchristlichenGlaubenpraktizierenoder f rdenLebensschutzeintreten,zunehmendmitSchwierigkeitenbeiderAkkreditierungkonfrontiert,seiesdurchdie Hochschulverwaltung,dieStudentenvertretungodersogar dieKultusministerienderBundesl nder.

UndselbstdieFreiheitvonForschungundLehreistdurch denVorwurfvon«Hassrede»inGefahr.ZahlreicheProfessorenmachteninzwischenindenUSA,inEngland,aberauch inDeutschlanddieErfahrung,dassihreVorlesungenverhindert,niedergebr lltoderlautstarkgestçrtwurden,wennihre inhaltlichenPositionenaufWiderstandstießen.InEngland verçffentlichten berhundertProfessorenverschiedenster FachrichtungenimOktober2018einegemeinsameErklrung 16,dasssiesichdurchdenbritischen«GenderRecognitionAct»nichtmehrinderLagesehen,ergebnisoffenimThe-

menkomplexTranssexualit tzuforschen,zulehrenundzu verçffentlichen,dasiesichst ndigenAnfeindungenundAngriffenausgesetztsehen.DasbritischeGesetzakzeptiertdie SelbstdefinitionvonGeschlechtabseitsbiologischerFakten, waseineabweichendeMeinungzumThemazueinemdiskriminierendenSprechaktumdeutet.

InDeutschlandmussteeinGedicht berBlumen,Alleen unddieSchçnheitderFrauvoneinerBerlinerUniversit tsWandentferntwerden,nachdemfeministischeGruppensich beschwerten,esseifrauenfeindlicheLyrik,weilesFrauenauf sexistischeArtundWeiseaufihr ußeresdegradiere.

DochselbsteinstillesGebetkanninzwischenals«Hassrede»deklariertwerden,dannn mlich,wennesr umlichin derN heeinerAbtreibungsklinikstattfindetundFrauenzur Umkehrbewegensoll.InverschiedenenL ndernwurden auchhierr umlicheBannmeilenderMeinungsbegrenzung gezogen,damitLebenssch tzernichtmehrinunmittelbarer N heodergarinSichtweitevonAbtreibungsklinikenund -praxenstehen,Hilfeanbietenoderauchnurstillbeten kçnnen.ImdeutschenBundeslandHessenhatdasInnenministeriumgareinenoffiziellenErlass 17 verabschiedet,um schwangereFrauenvonAbtreibungsgegnernzuseparieren, denensieaufdemWegzudenEinrichtungenderAbtreibungsorganisation«ProFamilia»begegnenkçnnten.«ImRegelfallsinddie rtlichkeiteinerVersammlungr umlichso weitvonderBeratungsstelleentferntfestzulegenoderbestimmteBereicheauszunehmen,dasskeinSicht-oderRufkontaktmitderBeratungsstellemehrbesteht»,erkl rteein MinisteriumssprechermitVerweisaufdasPapier.DerPartei DieLinke istdasnichtgenug,siehateineGesetzesinitiative 18 zurErrichtungvon«Schutzzonen»ineinemRadiusvon150 MeternrundumAbtreibungsklinikenvorgeschlagen,umjede

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abweichendeMeinungzuAbtreibungausbestimmtenBereichenfernzuhalten.

BisherscheitertdasVorhabenpolitisch,daesnichtnurdie Meinungsfreiheit,sondernauchdieVersammlungsfreiheit unzul ssigeinschr nkt.DochDeutschlandkopiertdamit auchnur«Bannmeilen»-Gesetze,dieinL ndernwieEngland oderineinzelnenStaatenderUSAdurchgesetztwurden,um RedeodergardasGebetgegenAbtreibungausmanchenBereichendesçffentlichenLebenszuverdr ngen.IndenUSBundesstaatenMassachusetts,ColoradoundMontanamusstendieBannmeilennacheinerEntscheidungdesSupreme Court2014wiederaufgehobenwerden,dadasGerichturteilte,sieverstießenunteranderemgegendasRechtauffreie Meinungs ußerung.InEnglandherrschtseitJahrzehnten Streitvorder«MaryStopes»-KlinikinLondon,seit2018existiertnunauchdorteinesogenannte«safezone» 19,inderAbtreibungsgegnernichteinmalstummundschweigendaktiv seind rfen.

Viertenshatteichvorausgesagt,dasseseinesteigende,von derRegierungunterst tzte berwachungundBerichterstattunggebenwird.DerdeutscheKampfgegen«Hassrede»im InternetkannhierbeialsnegativesParadebeispielherangezogenwerden.MitderzunehmendenNutzungdesInternets wurdenschließlichganzneue«digitaleZonen»derMeinungsußerunggeschaffen,diesichst ndigvergrçßernundnun ausstaatlicherSichtoffenbarbeobachtetundreguliertwerdenm ssen.DassderRufnachgesetzlicherEind mmung von«Hassrede»imNetznichtlangeaufsichwartenließ,war erwartbar.DieEinf hrungdessogenanntenNetzwerkdurchsetzungsgesetzes(NetzDG) 20 imJahr2017istvermutlicheines derfolgenreichsten«Hassrede»-GesetzederNeuzeit.Zwei DingesindandiesemGesetzqualitativandersimVergleich

zujenenlangj hrigbestehenden«Hassrede»-Gesetzgebungen,vondenennochdieRedeseinwird:Erstmalssolldie KommunikationderB rgerimdigitalenRaumkontrolliert undeingegrenztwerden,indemmandieneuenMedienund sozialenNetzwerkeindenFokusgenommenhat.

Neuundeinzigartigistaberauch,dassdiesesGesetznicht jenePersonbestrafensoll,dieselbsteine«Hassrede»t tigt, sondernstattdessendiePlattformen,diedem«Hassredner» daf reinPodiumimInternetbieten.Somitwirddie«Beihilfe» zur«Hassrede»bestraft,undzwarauchdann,wennderT ter selbstnievoreinemordentlichenGerichtangeklagtwird.SozialeNetzwerkewieFacebook,Twitter,YouTubeusw.sind seitherverpflichtet,jeneInhalte,dievonanderenNutzernals angebliche«Hassrede»gemeldetwerden,innerhalbk rzester ZeitmiteigenenMitarbeiternzu berpr fenundzulçschen, weildenUnternehmensonstBußgelderzwischen500.000 Euroodergarf nfMillionenEurodrohen. 21

Praktischistf rdendeutschenStaathierbei,dassertrotz diesesGesetzesabsolutfreibleibtvonVorw rfen,erzensiere dieMeinungs ußerungenseinerB rger.DasNetzwerkdurchsetzungsgesetzsagtinseinemParagrafen1,Abs.3,rechtswidrigeInhalteseienInhalte,diebestimmteKriterieneiner ganzenAnzahlvonaufgelistetenStrafrechtsnormendesdeutschenStrafgesetzbucheserf llenundnichtdurchandere Gr ndegerechtfertigtseien.ObnuneineAussagewirklich rechtswidrigistodernicht,wirdimSinnedesStrafrechtsnormalerweisevoreinemordentlichendeutschenGerichtineinemVerfahrengekl rtundistnichtDefinitionssacheeines Privatunternehmens.Facebook,TwitterundCo.gebennun selbstan,dasssiejanichtnachrechtlichenStandards,sondernnachihren«Community-Regeln»entscheiden.Wasalso insozialenNetzwerkennochsagbarist,wurdealsEntscheidungindenvorgerichtlichenRaumandieBetreiberderPlatt-

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formenundderenMitarbeiterausgelagert.DereinfacheNutzersolcherNetzwerkekannalsobereitsbeiVerstoßgegenGemeinschaftsregelnmitderLçschungseinerBeitr ge,mit SperrungenoderderEntfernungseinesganzenProfilsrechnen–undnichterstdann,wennertats chlichgegenein deutschesGesetzverstoßenhatunddeswegenrechtskr ftig verurteiltwurde.

DadieBetreiberdermeistgenutztensozialenNetzwerke nahezualleindenUSAangesiedeltsind,kçnntemanalsomit FugundRechtbehaupten,dassdieFrage,waseindeutscher

B rgeraufseinemFacebook-Profilnochsagendarf,vonRegelnabh ngt,dieimSiliconValleyinKalifornienaufgestellt werden.UndanstattdassderdeutscheStaatseineB rgervor dieserWillk rprivaterUnternehmensch tzt,haterselbstmit diesemGesetzabsichtlichdasInstrumentgeschaffenundfordertunterAndrohungvonBußgeldernseineAnwendungein.

Entsprechendenth ltauchdasdeutscheNetzDGkeine Definitionvon«Hassrede»undsetztdamitdiezweifelhafte «Tradition»allerandereneurop ischenundauchinternationalen«Hassrede»-Gesetzefort.Aktuellwird bereineweitere Versch rfungdesGesetzesinDeutschlanddiskutiert.Dassozialdemokratischgef hrteJustizministeriumhateinenneuen Referentenentwurfvorgelegt,dervomRegierungskabinettbereitsabgesegnetwurde,abernochdieH rdedesParlamentes nehmenmuss.ManmçchtediePlattform-Betreiberfortan zwingen,nichterstnachMeldungeinesHassbeitragesdurch andereNutzerzureagieren,sonderneigeninitiativsolche Postingszufindenundzulçschen.Siesollendar berhinaus aberaucheventuellstrafbareInhalteandasBundeskriminalamtmeldenm ssen.WenndieseErweiterungtats chlichim Parlamentdurchkommt,h ttederdeutscheStaatdieFahndungnach«Hassrede»undauchdasDenunzierenderNutzer gesetzlichebenfallsanprivateUnternehmendelegiert.

DieUnternehmenselbstsehendasGesetzsehrkritisch. GooglewarnteineinerumfangreichenStellungnahme 22,dass durchdiegeplante bermittlungspflicht«eineumfassende DatenbankbeimBundeskriminalamt berNutzerunddie vonihnengepostetenInhaltezumZweckederStrafverfolgung»aufgebautwerde,dieihresgleichensuche,daauchdie HerausgabevonPasswçrternunddamitderZugangauchzu privatenNachrichtenvonNutzernmçglichwird.Wçrtlich heißtes:«DieAusweitungvonStraftatbest nden,dieumfassendeEinr umungneuerBefugnisseundAuskunftsansprchevonSicherheitsbehçrdensowiedieVerpflichtungenvon Telemedienanbietern(Diensteanbietern)imAllgemeinen undDiensteanbieternsozialerNetzwerkeimSpeziellen,NutzerdateninganzerheblichemUmfangzuerfassen,zuspeichernundteilsohneBeachtungbishergeltenderrechtsstaatlicherSchutzmechanismenwieetwadasVorliegeneines richterlichenBeschlussesherausgebenzum ssen,sind rechtlichinhçchstemMaßebedenklich.»

NichtzuletzthatauchdieEurop ischeKommissionimMai 2016einen«VerhaltenskodexzurBek mpfungillegalerHetze imInternet» 23 eingef hrt,umdamitgegendieVerbreitung rassistischerundfremdenfeindlicherHetzeimInternetvorzugehen.EshandeltsichdabeiumeineRahmenvereinbarung,diegroßeIT-UnternehmenwieFacebook,YouTube, Microsoft,Twitter,Google+,Instagram,SnapchatundDailymotiondazuverpflichtet,dieVerbreitungillegalerOnlineInhalteinEuropazubek mpfen.ObwohlessichumeinefreiwilligeSelbstverpflichtungderUnternehmenhandelt,ging ihrerEinf hrungpolitischerDruckvoran,unddieEinhaltung wirdaufEU-Ebenest ndig berwacht.DerKodexsollvorallemsicherstellen,dassrassistischeoderfremdenfeindliche InhalteaufdenOnline-Plattformenraschentferntwerden. DieAmbition hneltdemdeutschenNetzwerkdurchsetzungs-

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gesetz;manhatallerdingsnichtdieKompetenz,dieUnternehmenmit hnlichdrakonischenStrafenwieinDeutschlandtats chlichzubelangen.Dazubr uchteeseinechtesGesetz,daswiederumaufEU-Ebenegarnichtverabschiedet werdenkann,dajaauchderVerhaltenskodexselbstzusichert, dassdienationaleGesetzgebungundnationaleGerichtedie letzteEntscheidungbeibehaltensollen.Dochebenfalls hnlichdemdeutschenNetzDGsolldieFrage,obeinInhaltsich nochimSpektrumlegitimerMeinungsfreiheitoderbereitsim strafrechtlichbewehrtenRaumbefindet,zun chstvonden «VorschriftenundLeitlinienderBranche»understdann«gegebenenfallsanhanddernationalenGesetzgebung» berpr ft werden 24.AuchhierwirdalsodefactodieDefinitionlegitimer MeinungenindenvorjuristischenRaumundindieH nde vonPrivatunternehmengelegt;betroffensindMillionenNutzeraufderganzenWelt.

Dief rdenCodeofConductzust ndigeEU-Kommissarin, VeraJourova,verteidigtedie«freiwilligeSelbstverpflichtung» derdigitalenPlattformenzumKampfgegen«Hassrede»zwar mitdenWorten,manwollekein«Wahrheitsministerium»erschaffen,sieignoriertdabeiaberdenGrundsatzfreierGesellschaften,wonachfalscheIdeenmitrichtigenIdeenzubek mpfenw renundnichtmitZensuroderderAndrohung vonStrafen.

Nat rlichhabennichtalle,dief r«Hassrede»-Gesetzeeintreten,schlechteAbsichten.VielePolitikerbeklagendenzunehmendvergiftetenStatusdergesellschaftlichenundpolitischen Debatten.Siebedauern,wieeinfachundzumeistanonym

Bçswilligkeiten berdasInternetverbreitetwerden.Undsie w nschensicheinenzivilisiertenUmgang,mçchtenHass undDiskriminierungverhindern.Dasssieangesichtsdieser unschçnenEntwicklungenhandelnwollen,istverst ndlich.

AberauchdiebestenAbsichtenkçnnennegative,oftunbeabsichtigteKonsequenzenmitsichbringen.WiediesesBuch aufzeigenwird,schafftrepressiveZensurgeradekeingesundesMiteinanderundkeinenlebendigengesellschaftlichen Diskurs.

F nftenshatteichdiePrognoseerstellt,dassderSchutzder RedefreiheitauchvornationalenundinternationalenGerichtenzunehmendverw ssertwerdenwird,weilauchdieRechtsprechungimmerwenigergeneigtist,bestimmteMeinungen nochalssch tzenswertzubetrachten.

InFinnlandermitteltdieStaatsanwaltschaftseitvielenMonatengegendiePolitikerinP iviR s nen. 25 SieistAbgeordnetedesfinnischenParlamentes,warvierJahrelanggarInnenministerin.ImHerbst2019postetesieeinBibelzitataus demRçmerbriefzumThemaSexualit tundkritisierte,dass ihreKirchealsoffiziellerPartnerbeiderj hrlichen«Pride»ParadederSchwulen-undLesben-Communityfungiert.Die GeneralstaatsanwaltschaftordnetedaraufhineineUntersuchungwegenangeblicher«Hassrede»an,manverhçrtesie f nfStundenlangbeiderPolizei.AuchdreiweitereUntersuchungenwurdendanachangeordnet,unteranderemwegeneinerBrosch re,diediePolitikerinund rztinvor16Jahrenf reinechristlicheOrganisationverfassthatteunddarin diechristlicheSichtaufHomosexualit tthematisierte.

Derbereitserw hnteFallderBritinMayaForstater,diewegenderAussageaufTwitter,esg benurzweiGeschlechter, ihrenArbeitsplatzverlor,fandvorGerichtebenfallswenigVerst ndnis.IhreKlageaufWiedereinstellungvordemLondoner ArbeitsgerichtlehntederRichterexplizitmitderBegr ndung ab,dassihreMeinungzumThemaTranssexualit tdiskriminierendundnichtsch tzenswertist.

Die sterreicherinElisabethSabaditsch-Wolffwurdewe-

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genAussagen,diesiealsDozentinineinempolitischenBildungsinstitutzumIslamt tigte,vorGerichtgestellt.Siewurde wegender«Herabw rdigungreligiçserLehren»gem ߧ188 desçsterreichischenStrafgesetzbuchesangeklagt,weilsie MohammedeineNeigungzukleinenM dchenunterstellte. DasGerichtsprachsieschuldig,obwohldiej ngsteEhefrau MohammedsnachweislichkeinezehnJahrealtwar.

F nfJahresindvergangenzwischenderenglischenundder nunvorliegendenaktualisiertendeutschenFassungdieses Buches.Damalsschriebich,dieZukunftderZensurgesetze seinichtunvermeidbar.Heutew rdeichangesichtsderTatsache,dassdieRealit tgeradeallePrognosen berholt,hinzuf gen:DerKampfumdieMeinungsfreiheitistmçglicherweiseniemalswichtigergewesenalsheute.

Einleitung

«WennicheinWortgebrauche»,sagteHumptyDumptyin ziemlichver chtlichemTon,«heißtesgenaudas,wasich alsBedeutungw hle–nichtmehrundnichtweniger.»

«DieFrageist»,sagteAlice,«obSieWçrtersovielanderes bedeutenlassenkçnnen.»«DieFrageist»,sagteHumpty Dumpty,«werderHerrist–dasistalles.» 26

LewisCarroll,in«AlicehinterdenSpiegeln»

SeitMenschengedenkenwirdversucht,diefreieMeinungsußerungeinzuschr nken.Im20.Jahrhundertwurdestark diskutiert,wanngenausieeingeschr nktwerdensoll,und dieseFragedominiertauchdenaktuellençffentlichenDiskursbisheute.

Angefangenvonderber hmtenAnalogiedesRichtersOliverWendellHolmes berdie«ErzeugungvonPanikdurch f lschlichenFeuerrufineinemTheater»,indererdieUnterscheidungvongef hrlichenFalschaussagen,dienichtvon derRedefreiheitgedecktseien,undvongef hrlichen,aber wahrenunddeswegenlegitimenAussagenherausarbeitete, berdieDebattennachdemZweitenWeltkriegzurFrageder KriminalisierungderLeugnungdesHolocaust,bishinzuder AbschaffunghistorischerBlasphemie-GesetzeinGroßbritannienundanderenwestlichenNationen,wurdeerbittertdarberdebattiert,womandieLiniezwischenakzeptablerund

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inakzeptablerRedeziehensoll.Wasdarfmanalsosagen?Und mussdasGesagteimmerderWahrheitentsprechen,oderdarf mangarimSinnederRedefreiheitl gen? 27

DieRedefreiheitwirdkorrekterweisealseinesderwesentlichenKennzeichenf reinegesundeundstabiledemokratischeGesellschaftangesehen.Daheristes,wennwirunsin derWeltumsehen,nicht berraschend,dassjeneStaaten,in denendieRedefreiheitamdeutlichsteneingeschr nktist,oft repressive,autorit reRegimessind.Nurwenigevonunsw rdensichwohlf hlen,wennihnenindenStraßenvonPjçngjang,TeheranoderRiadeinMegafonindieHandgedr ckt w rdemitderAnweisung,diedortigeRegierungzukritisieren.DieTatsache,dassdieLageinanderenTeilenderWelt verh ltnism ßigschlechterist,bedeutetjedochnicht,dass Europastolzf rsichbeanspruchenkann,eineBastionder Freiheitzusein,wiedieBeispieleindiesemBuchverdeutlichen.

Tats chlichistes–wenndasAusmaß,indemwirdieRedefreiheitsch tzen,hochhaltenundsch tzen,eineMesslattef r unsereDemokratiedarstellt–interessantzubetrachten,wo dieeurop ischenNationenaktuellstehen.Dochzun chst werfenwireinenBlick berdeneurop ischenTellerrand.

SchizophreniederRedefreiheit

WennwirunsinderWeltumsehen,kçnnenwirfeststellen, dassdieRedefreiheitzunehmendbedrohtist.2012erwartete AlexAaninseinemHeimatlandIndonesieneinUrteilzuf nf JahrenGef ngnis,weileraufFacebookgepostethatte,dass «Gottnichtexistiert».DerPolizeichefvonDharmasrayasagte damalsderZeitung JakartaGlobe, dassdieseAussage«dieKriterienderBefleckungderReligion,indiesemFalldesIslam» 28 ,

erf lle.ImJuni2012wurdeAandannletztendlichzuzweieinhalbJahrenGef ngnisverurteilt.Verst ndlicherweiselçste dieserFallweltweitmedialeineMischungausEntsetzenund Empçrungaus, 29 undvieleMenschenrechtsorganisationen startetenKampagnenf rseineFreilassung–dieimJanuar 2014schließlicherreichtwurde. 30

InPakistanwarAsiaBibi,eineChristinundMuttervonf nf Kindern,dieersteFrauindiesemLand,diewegenBlasphemie verurteiltwurde.AchtJahrelangsaßsieimGef ngnis,w hrendsieihreHinrichtungerwartete.DieinfamenBlasphemieGesetzePakistanssindimWestengutbekannt,unddieStrafvorschriftendes« ußernsvonWorten[mitder]bewussten Absicht,religiçseGef hlezuverletzen» 31 wurdenallgemein verurteilt.DieEUzumBeispielwarbeiderKritikfederf hrend unddr ngtediepakistanischeRegierung,ihreHaltungzudiesenGesetzenzu berdenkenundderenAbschaffungzuveranlassen. 32

Journalistenwerdenoftroutinem ßigangeklagtundins Gef ngnisgeworfen,weilsie bersensibleThemenschreiben.DaswardemBeauftragtenf rdieFreiheitderMedien der Organisationf rSicherheitundZusammenarbeitinEuropa (OSZE)Anlassgenug,çffentlichanzumahnen,dass «Redenichtkriminalisiertwerdensollte» 33,inStaatenwie Russland 34,derT rkei 35 undauchKirgistan 36 –derletztgenannteStaathattebeispielsweiseeinenJournalistendaf r verurteilt,dasserinOnline-Zeitungsartikelnzu«interethnischemHassaufgestachelt»habe.Tats chlichhatteerwiederholt berdiegewaltt tigenethnischenUnruhen2010im S denKirgistansberichtetunddieKorruptionbeiderPolizei angeprangert.DasMenschenrechtskomiteederVereinten Nationenempfiehltin hnlicherWeise,dassStaaten«dieEntkriminalisierungderVerleumdungerw gensollten» 37,undin einerSitzungdesMenschenrechtskomiteesin2011wurde

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beispielsweisefestgehalten,dassdiePhilippinendasRecht zurfreienMeinungs ußerungverletzth tten,nachdemein B rgerwegen«Diffamierung»zueinerGef ngnisstrafeverurteiltwordenwar. 38

DiesekurzenBeispielezeigenzweiDinge:Erstens,dassdie FreiheitderRedeinvielenL ndernaufderganzenWeltweit davonentferntist,freizusein,undzweitens,dassdieKritik anRedebeschr nkungeng ngigePraxisauchdereurop ischenInstitutionenist–jedenfallswennsolcheBeschr nkungenderMeinungsfreiheitjenseitsdereigenenGrenzenvorkommen.

Nun,wieweitsinddiegenanntenVerstçßegegendieRedefreiheitaberwirklichentferntvondenVorf llen,diederzeitimangeblichsofreienundtolerantenEuropastattfinden?W hrendinIndonesieneinManndaf rinsGef ngnis kam,dasser«Gottexistiertnicht»gepostethatte,wurdegegeneinenBischofinIrlandwegen«AnstachelungzumHass» polizeilichermittelt,weilergepredigthatte,dassIrlandeine «s kulareundgottloseKultur»habe. 39 Paragraf298despakistanischenStrafgesetzbuchesverbietetdenGebrauchvon WçrternmitderbewusstenAbsicht,«religiçseGef hlezu verletzen».InAbsatz141desStrafgesetzbuchesvonZypern –einemMitgliedderEurop ischenUnion–findetsichexakt dieselbeRegelung.

Undw hrenddieOSZEfordert,dass«Redenichtkriminalisiertwerdensollte»,unddasEurop ischeParlamentexplizit dieBlasphemie-GesetzePakistansverurteilt,w hrendderEurop ischeRatgar2014umfangreicheeigenst ndige«MenschenrechtsleitlinienderEUinBezugaufdieFreiheitderMeinungs ußerung» 40 formulierthat,dr ngenvieleeurop ische undinternationaleInstitutionenweiterhindarauf,innerhalb EuropasmehrundmehrBeschr nkungenderRedefreiheit einzuf hren.SohatzumBeispieldieEurop ischeKommis-

siongegenRassismusundIntoleranz(ECRI)empfohlen,dass dasStrafgesetz«çffentlicheBeleidigungenundDiffamierung» unterStrafestellensolle,wennsieabsichtlichbegangenwerden; 41 dieEUhateineRahmenrichtlinieverabschiedet,die feststellt,dassStaaten«BeschimpfungenoderBeleidigungen» bestrafenkçnnen; 42 unddasMinisterkomiteedesEuroparats hatfestgestellt,Staatensollten«ber cksichtigen,dasskonkreteAusdr ckevonHassredef rEinzelneoderGruppenso beleidigendseinkçnnen,dasssienichtdenGradvonSchutz erhalten,dergem ßArtikel10derEurop ischenMenschenrechtskonventionanderenAusdrucksformenzugestanden wird.» 43 StrafgesetzlicheRedeverbotewerdeninmanchenF llen–vorallem,wennsolcheVerboteaußerhalbEuropasbestehen–verurteilt,beiF lleninnerhalbvonEuropawerden siegebilligt.DieseschizophreneHaltungzeigtrechtdeutlich dieVerwirrung,diedieDebatte berRedefreiheitunddiesogenannte«Hassrede»umgibt.Tats chlichistnochnichteinmalklar,wasmitdemBegriff«Hassrede» berhauptgemeint ist.

Wasist«Hassrede»?

UmalsoLewisCarrolls«HumptyDumpty»zuparaphrasieren,umfasstderBegriff«Hassrede»lediglichdas,wasdie Leutedaf rhalten,nichtmehrundnichtweniger.Deshalb wirdderBegriffindiesemBuchdurchg ngiginAnf hrungszeichenverwendet–eineErinnerungdaran,dassseineDefinitionoderdas,wasmandarunterversteht,nichtalsFaktangenommenwerdenkann.Esgilt,wasProfessorPeterMolnar, einf hrenderSpezialistf r«Hassrede»,schrieb:«Wennim juristischenSprachgebrauchverwendet,scheintderBegriff ‹Hassrede›vorauszusetzen,dassderStaatdiebesonderen

36 Einleitung
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inhaltlichenFormen,dieals‹Hassrede›reguliertwerdensollten,mitgesetzlicherPr zisiondefinierenkann.Daichdiese impliziteAnnahmef rfraglichhalte,sollteman«Hassrede» lediglichinAnf hrungszeichenverwenden.» 44

EinInformationsblattdes Europ ischenGerichtshofsf r Menschenrechte (EGMR)r umtebenfallsein,dasseskeineallgemeinakzeptierteDefinitiondesAusdrucks«Hassrede»gebe. 45 AuchdieUNESCOverçffentlichte2015einHandbuch, dassichmit«Hassrede»imInternetbesch ftigte,undgabzu, dass«dieMçglichkeit,eineallgemein bereinstimmendeDefinitionzuerreichen,unwahrscheinlicherscheint». 46 EinInformationsblattdesEurop ischenGerichtshofsf rMenschenrechteausdemJahr2008stelltefest:

odersozialenGeschlechts,derGeschlechtsidentit t,sexuellen OrientierungoderandererpersçnlicherEigenschaftenund Statusmerkmaleget tigtwerden;[…]» 48

DieselbePolitikempfehlungweistaufdieNotwendigkeit hin,«jeneOrganisationenzuverbieten,dieHassredefçrdern, diezuGewalttaten,Einsch chterungen,Feindseligkeiten oderDiskriminierungengegen berjenenaufstachelnsoll, dieZielder ußerungsind,odervondernachvern nftigem Ermessenangenommenwerdenmuss,dasssiedieseWirkung erzielt;[…]» 49

qualifiziertwerdenkçnnten,istmanchmalschwierig,weil dieseArtderRedesichselbstnichtnotwendigerweise durchdie ußerungvonHassoderEmotionenmanifestiert.SiekannauchinStellungnahmenverborgensein, dieaufdenerstenBlickrationalodernormalerscheinen kçnnen.» 47

2015definiertedie Europ ischeKommissiongegenRassismus undIntoleranz (ECRI)«Hassrede»so,dasssieals«Bef rwortenundFçrdernvonoderAufstachelnzujeglicherFormvon Verunglimpfung,HassoderHerabw rdigungeinerPerson oderPersonengruppezuverstehenist,ebensowiejegliche Bel stigung,Beleidigung,negativeStereotypisierung,StigmatisierungoderBedrohungeinerPersonoderPersonengruppe unddieRechtfertigungdergenannten ußerungen,dieaufgrundder‹Rasse›,Hautfarbe,Abstammung,nationalenoder ethnischenHerkunft,desAlters,einerBehinderung,derSprache,derReligionoderder berzeugung,desbiologischen

DieAgenturderEurop ischenUnionf rGrundrechte (FRA 50)hatebenfallsversucht,jene spezifische Redeweisezu identifizieren,dieihrerMeinungnachalsHassredeverboten werdensollte.Tats chlichfindenwirunterschiedlicheDefinitionen,jenachdem,welchesDokumentwirlesen.Sohatdie FRAzumBeispielfestgestellt,dass«Hassrede»: «[…]Aufrufe undAnspornungzuHass,DiskriminierungoderFeindseligkeit gegen berPersonenbezeichnet,diedurchVorurteilegegen ber einerbestimmtenBesonderheitderBetroffenen[…]motiviert sind.» 51

IneinemweiterenPapierbeklagtdieAgentur: «Derzeitgibt esaufEU-EbenekeingeeignetesverbindlichesInstrument,das aufeinewirksameBek mpfungder ußerungnegativerMeinungen berLGBT,derAufstachelungzuHassoderDiskriminierungsowievonMisshandlungenundGewaltabzielt.» 52 AufGrundlageobenzitierterDokumente–Schriftst cke, diealleinmitderIntentionerstelltwurden,die ffentlichkeit aufzukl renundgesetzlicheKlarheitzuerschaffen–kçnnen wir ber«Hassrede»alsoFolgendesinErfahrungbringen:Sie manifestiertsichnichtnotwendigerweiseselbstdurchden AusdruckvonHass,undsiekannrationalundnormalerscheinen;sieistimmerdurchHassmotiviert,unterderVoraussetzung,dassderHasssichaufvomStaatausgew hlte

«DieIdentifizierungvon ußerungen,dieals‹Hassrede›
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undzusch tzendeGruppenbezieht;undobwohlsieunmçglichzudefinierenist,kann«Hassrede»gleichzeitigdennoch Verunglimpfung,Respektlosigkeit,Verleumdung,negative Meinung,Verherrlichung,Leugnung,Trivialisierung,Rechtfertigung,Verurteilung,Aufstachelung,Diskriminierung, Hass,FeindseligkeitundBeleidigungbeinhalten.

BeieinerderartungenauenTerminologieistleichtzuerkennen,dassdieKennzeichnungeinerRedeals«Hassrede» eineffektivesMittelseinkann,umbeliebigekontroverse SichtweisenzueinemThemazumSchweigenzubringenund dieDebattedar berzubeenden.JeneRedeweisen,dieoftder «Hassrede»bezichtigtwerden,mçgennichtpopul rsein;sie kçnnensogarhçchstunpopul rseinundauchbeleidigend, dochobsiedeswegenstrafrechtlichverfolgtwerdensollten, istinsgesamteineganzandereFrage.

Wassind«Hassrede»-Gesetze?

DaeskeineallgemeinanerkannteDefinitionder«Hassrede» gibt,istdieIdentifizierungvon«Hassrede»-GesetzenentsprechendebenfallskeineleichteAufgabe.Oftwirdargumentiert, dass«Hassrede»-GesetzenureinevonvielenArtenundWeisenseien,mitdenendieRedeeingeschr nktwerde,unddass sienichtilliberalerseienalsGesetze,dieandereFormender ußerungverbietenw rden,wiezumBeispieldieVerbreitung vonKinderpornografie,dieEnth llungvonStaatsgeheimnissenoderdieVerbreitungvonRufsch digung.Dennochgibtes bedeutendeUnterschiede.

AndereFormenderBeschr nkungenbestimmter ußerungen,diesichimLaufederZeitbew hrthaben,sindin derRegelsehrenggefasstundzumindestdurchdieRechtsprechungklardefiniert.DieEinschr nkungderRedefrei-

heitbedarfeinesGesetzesundmusssichzudemamMaßstabderVerh ltnism ßigkeitmessenlassen,mussalso geeignet,notwendigundangemessensein.DieMeinungsußerungsfreiheithatgrunds tzlichVorrang,ihreEinschr nkungbedarfderRechtfertigung.DerVerratvon Staatsgeheimnissenistbeispielsweisenurdannstrafbarund nichtvonderRedefreiheitgedeckt,wenndiese«voneiner amtlichenStelleoderaufderenVeranlassunggeheimgehalten»werdenundihreOffenlegung«dieGefahreinesschwerenNachteilsf rdie ußereSicherheitderBundesrepublik Deutschlandherbeif hrt»(§95Abs.1StGBderBundesrepublikDeutschland).

Bein hererBetrachtungsind«Hassrede»-Gesetzejedoch ganzandersgestaltet:

Siesindbewusstungenauformuliertundwerdenwillk rlichdurchgesetzt.

Siesch tzennurbestimmteGruppenunderfordernselten eintats chliches,konkretesOpfer.

SiekonzentrierensichmehraufdieerzeugteResonanz beimZuhçreralsaufdenWahrheitsgehaltderget tigtenAussage.

Kurz:«Hassrede»-GesetzesindeineEinschr nkungderRedefreiheit,habenabereinvçlliganderesKonzeptalsandere «verbreiteteunddauerhafte»Einschr nkungenfreierRede, vondenendiemeistenGesellschaftenglauben,sieseienw nschenswert. 53

ZieldiesesBuchesistnichtdieabschließendeAuflistungallerzul ssigenBeschr nkungenderMeinungs ußerungsfreiheit;stattdessenkonzentriertessichaufdaszeitgençssische Ph nomenderEntstehungeinschr nkenderVorschriften,die unterdemOberbegriffder«Hassrede»-Gesetzezusammengefasstwerdenkçnnen.HiereinigederGemeinsamkeitendieser Gesetze:

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1.«Hassrede»-Gesetzesindvageformuliert WiedieAnh ngezudiesemBuchverdeutlichen,beinhalten «Hassrede»-GesetzeeinevageTerminologieundermçglichen damiterstaunlichweitreichendeAuslegungsvarianten.In Deutschlandist«Beleidigung»einekriminelleHandlung,wobeieineBeleidigungdefiniertistals«rechtswidrigerAngriff aufdieEhreeinesanderendurchdieKundgabederMissachtungoderderNichtachtung» 54.InGriechenlandkannjeder, der«gegen berGotteinenMangelanRespekt»zeigt,zueiner Gef ngnisstrafeverurteiltwerden,w hrendinSpanienjeder, der«çffentlich,m ndlichoderschriftlich,diejenigenverhçhnt,diesichzukeinerReligionundkeinemGlaubenbekennen»,einVerbrechenbegehenkçnnte,manalsoeherdie AtheistendenndieGl ubigensch tzt.MitBlickaufdieF lle vonVergehen,die«zumHassaufstacheln»,istoftsehrunklar, wasmitdemBegriff«Hass»gemeintist.

2.«Hassrede»-Gesetzebeinhalteneinweitgehend subjektivesElement

AnstelleeinerobjektivenBewertungderfraglichenRedeanhandeinesobjektivenMaßstabsrichten«Hassrede»-Gesetze dieAufmerksamkeitoftauf dieWahrnehmungdurchdenHçrer,alsodenEmpf ngerhorizont. InGroßbritannienzumBeispielerl uterteinvonderRegierungherausgegebenerLeitfaden,dassein«Hassvorfall»jederVorfallsei,«dertats chlich oderauchnichtunbedingteinestrafbareHandlungdarstellt, derdurchdasOpferoderjeglicheanderePersonalsdurch VorurteiloderHassmotiviertwahrgenommenwird». 55 «Hassrede»,«Hassverbrechen»und«Hassvorf lle»kçnnenalsoaus reinsubjektiverWahrnehmungeinesvermeintlichenOpfers zurstrafbarenRealit twerden.

3.«Hassrede»-Gesetzekçnnenauchbeiwahren Aussagengreifen

W hrendzurBegr ndungeinesVerleumdungsvorwurfsnach traditionellemVerst ndnisdiebewussteUnwahrheitder ußerungbewiesenwerdenmuss,alsozurVerteidigungimmer derBelegderWahrheitderget tigtenAussagegen gt,istes mçglich,wegen«Hassrede»verurteiltzuwerden,ohnedass dieWahrheitdesGesagtenjemalsgepr ftwird.Sowurde etwa2014derschwedischePolitikerMichaelHesswegeneines«Hassrede»-Vergehensf rschuldigbefundenundschwer bestraft.W hrenddesProzessesmerktederRichterimHinblickaufdenBeleidigungstatbestandrechtlichzutreffendan, dass«dieFrage,obdieAussagewahristoderzumindestf r MichaelHesswahrzuseinschien,f rdasVerfahrenirrelevant ist». 56

BemerkenswerterweisekonzentriertsicheineganzeReihe vonBeispiel-F llenindiesemBuchaufdie«Beleidigung»und nichtdarauf,obderSprecherdieWahrheitgesagthatoder nicht.Sostehtes brigensauchimdeutschenStrafrecht,Paragraf192,StGB,derklarstellt:«DerBeweisderWahrheitder behauptetenoderverbreitetenTatsache»schließedieBestrafungalsBeleidigungnichtaus.IndemFallentscheidendie FormoderdieArtderVerbreitung berdenGradderStrafbarkeit. 57 AuchdieWahrheitkannalso«Hassrede»sein.

4.«Hassrede»-GesetzeerfordernselteneinOpfer BeivielenstrafbarenHandlungen,wennauchnichtbeiallen, gibteseinklaridentifizierbaresOpfer:Jemandwurdeausgeraubt,angegriffen,entf hrt.AuchintraditionellenF llen vonDiffamierungoderVerleumdungmusseinerealePerson diffamiertoderverleumdetwordensein.Diemeisten«Hassrede»-GesetzeerlaubenjedochdiestrafrechtlicheVerfolgung auchdann,wenneskeinkonkretesOpfergibt–stattdessen

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wirdeinfacheinenichtidentifizierbareGruppemutmaßlicher «Opfer»angenommen.UngarnistvorkurzemdiesenSchritt gegangen,indemesdaskriminelleVergehenschuf,Hassgegen«dieungarischeNation»anzustacheln. 58 DieVerfassung desLandesstelltin hnlicherWeiseklar,dassdieAus bung desRechtsauffreieMeinungs ußerungnichtsoweitgehen kçnne,dassdieW rdederungarischenNationverletztwird. 59 AufdieseWeisekannderStaatselbstjetzteinOpfervon «Hassrede»werden.

5.«Hassrede»-Gesetzesch tzenh ufignur bestimmtePersonengruppen

DiegroßeMehrheitder«Hassrede»-Gesetzesch tztMenschennurdann,wennsiesichselbsteinerbestimmten «Gruppe»zugehçrigdefinieren–unddiesegesch tztenGruppensindoftdiejenigenmitdemgrçßtenpolitischenEinfluss.

WenneinePersonwegenbestimmten ußerenMerkmalen beleidigtwird,zumBeispielwegenihresGewichtsoderihrer Haarfarbe,wirdesseltenBegr ndungenf reineKlagegeben. WenndieselbePersonjedochwegenandererMerkmalebeleidigtwird,wiezumBeispielihrerAbstammung,ihrerHautfarbe,ihremreligiçsenGlaubenoder,wieseitneuestem,ihrer «sexuellenOrientierung»und«Genderidentit t»,kanndies sehrwohlstrafrechtlicheVerfolgungauslçsen.

6.«Hassrede»-Gesetzewerdenwillk rlichdurchgesetzt VageformulierteGesetze,kombiniertmithochmotivierten undfinanziellgutausgestattetenInteressengemeinschaften, ermçglichenes,dass«Hassrede»-Gesetzebenutztwerden, umeinebestimmteAgendazuerzwingen–oftlegensiedamit auchdieDebatten berThemenvonçffentlichemInteresse still.DieswirdnirgendwodeutlicheralsinGroßbritannien, woAbsatz5des PublicOrderAct1986 fast30Jahrelang«belei-

digendeWorte»unterStrafegestellthatte,bisdasGesetz2013 reformiertwurde.DasVerbotwarurspr nglicherlassenworden,umgegenFußball-Hooligansvorgehenzukçnnen.In denletztenzehnJahrenhatsichderinhaltlicheFokusjedoch ver ndert,wodurchesmehrundmehrdazugenutztwurde, umchristlicheStraßenpredigereinzusperrenundjuristisch zuverfolgen,die berThemenwieSexualmoralsprachen. DieFormulierungdesGesetzeshattesichindiesemZeitraum nichtge ndert,daspolitischeKlimaabersehrwohl,unddas GesetzwurdealsWerkzeugbenutzt,umDiskussionenoder mancheMeinungs ußerungenganzabzustellen.

7.«Hassrede»-GesetzekriminalisierenMeinung W hrenddiefreieRedebereitsaufvieleArtenundWeisen durchVerboteundGeboteeingeschr nktwerdenkann,seies durcheinenSprach-KodexanUniversit tenbishinzu SprachregelungenzurVermeidungvonBel stigungenamArbeitsplatz,wurdenindenletztenJahreninEuropazus tzlich einesteigendeAnzahlvonstrafrechtlichenBestimmungen eingef hrt.AngesichtsderTatsache,dassdasStrafrechtdie drastischsteArtist,dasVerhaltenderB rgerzuregulieren, wirdsichdiesesBuchweitgehendaufdiestrafrechtlichenEinschr nkungenderRedefreiheitkonzentrieren.

DiessindalsoeinigederdefinierendenMerkmalegesetzlicherBestimmungen,die«anstçßige»oder«beleidigende» Redeweiseverbieten.Zusammengenommenbildensieeine ungef hreKategorie,aufdiewirunsals«Hassrede»-Gesetze beziehen.Alleeurop ischenStaatenhabensolcheGesetze, undwiewirsehenwerden,hatihrbest ndigerGebrauch, ihrMissbrauchundihrestetigeErweiterungeinetiefgreifendeWirkungaufdieRedefreiheitaufdemgesamtenKontinent.

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«Hassrede»-GesetzeundRedefreiheit

AngesichtsderBedrohung,die«Hassrede»-Gesetzedarstellen, istdiesesBucheinAufruf,einederwichtigstenFreiheitenin denVerfassungssystemenjeglicherdemokratischerStaaten erneutzubest tigen:dieRedefreiheit.OhneRedefreiheit kanneskeineechteDiskussionunterdenB rgerngeben, undohneDiskussiongibteskeineDemokratie.DieVereinten Nationenbest tigtenbereits2011:«Meinungs-undRedefreiheitsindunabdingbareBedingungenf rdieganzheitliche EntwicklungderPerson.Siesindf rjeglicheGesellschaftwesentlich.SiebildendenGrundsteinf rjedefreieunddemokratischeGesellschaft». 60

Dar berhinausistdieMeinungsfreiheitnichtnurdas KennzeicheneinerfreienGesellschaft,sondernsieistinder Regelauch«dasersteRecht,dasvonilliberalenStaateneingeschr nktwird». 61 Eskanndahernicht berraschen,dassHitlerserste«Notverordnung»nachderMachtergreifung1933 festlegte,dass«Beschr nkungenderpersçnlichenFreiheit, desRechtsderfreienMeinungs ußerung,einschließlichder Pressefreiheit,desVereins-undVersammlungsrechts,[…]zul ssig[sind]». 62

ObwohlsolchedrastischenAngriffeaufdieb rgerlichen FreiheitenheutzutageinEuropanichtstattfinden,bedrohen dieallm hlicheAusweitungvon«Hassrede»-Gesetzenund diesteigendeH ufigkeitihrerNutzungdennochzunehmend diefreieRedeundandere,engdamitverbundeneFreiheiten. DieseBedrohungerfordertumfangreicheundsolideAntworten,dieaberaktuellinderçffentlichenDebattezufehlen scheinen.

WiediesesBucherl utert,istdasaktuelleVerst ndnisvon «Hassrede»und«Hassrede»-Gesetzenvollkommenunzureichend.AnstellederaktuellenDefinition,wonacheineRede-

weise,die«beleidigend»oder«anstçßig»ist,ungesetzlichsei, solltenEinschr nkungenderRedefreiheitextremrestriktivgehandhabtundsehrgutdefiniertwerden.Entsprechendsollte dasGesetzdiesogenannte«Hassrede»nurdorteinschr nken, woeseineAnstachelungzuunmittelbarbevorstehenderGewaltgibt.WoeseinesolcheAufstachelungnichtgibt,sollten B rgerfreisein,zubeleidigen,zukr nken,zuschockieren,zu spottenundjedenanderenunddenStaatzukritisieren,unabh ngigdavon,wiel cherlich,unangenehmoderunerfreulich dieseRedeweiseseinmag–dassinddieAnforderungenan eineechteDemokratie.

DerbritischeRichterLordJusticeSedleyhieltes1999ineinerUrteilsverk ndungsehrtreffendfest:«DiefreieRedebeinhaltetnichtnurdasHarmlose,sonderndasIrritierende,das Umstrittene,dasExzentrische,dasKetzerische,dasUnwillkommeneunddasProvokante,vorausgesetzt,estendiert nichtdazu,Gewaltzuprovozieren.DieFreiheit,lediglich Harmloseszusagen,istesnichtwert,siezubesitzen.»

AufdiesergrundlegendenPr missederRedefreiheitbasiert diesesBuch.IchhattenichtdieAbsicht,eineerschçpfendejuristischeAbhandlungeinesThemaszuschreiben, berdas bereitsausf hrlichgeschriebenwordenist.Indemichdie d stereGeschichtevonEuropas«Hassrede»-Gesetzenumreiße,zahlreiche«Hassrede»-VerfahrenunddieGesetze,auf Grundlagederersieerçffnetwurden,zusammenstelleund michmitdenvorgebrachtenArgumentenzugunstenvon «Hassrede»-Gesetzenbefasse,istesmeinZiel,denilliberalen undgef hrlichenWegzuverdeutlichen,aufdemEuropasich dadurchjetztschonbefindet.

EsistgleichzeitigmeineHoffnung,dassEuropaseinenaktuellenKurs ndert,wegvoneinerstaatlichdurchgesetzten ZensurundhinzurRespektierungeinerdergrundlegenden FreiheiteninjederliberalenDemokratie:derRedefreiheit.

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DieEntstehung vonEuropas «Hassrede»-Gesetzen

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